Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers ...files.proflexion.de/gepostet Nr 367...

5
Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers (1948), in: Gunter Gebauer (Hg.), Anthropologie, Leipzig 1998, S.185-202 01.06.13 (empfohlene Zitierweise: Detlef Zöllner zu Helmuth Plessner, Zur Anthro- pologie des Schauspielers (1948), 01.06.2013, in: http://erkenntnisethik. blogspot.de/) In seiner „Anthropologie der Nachahmung“ führt Plessner die Fähigkeit des Men- schen, seine Mitmenschen nachzuahmen, auf seine exzentrische Positionalität zu- rück, die ihn für den Blick des Anderen ihm gegenüber empfänglich macht. In diesem Blick zeigt sich der Andere als ein beseeltes Innen und spiegelt dem, den er ansieht, sein eigenes Außen, d.h. seinen Körper wider, indem der Angeblickte die sichtbare Körperlichkeit des Anderen ihm gegenüber auf die eigene Körper- lichkeit, insbesondere auch auf die für ihn selbst unsichtbaren Bereiche wie etwa die Mimik projiziert. So wird sich der Angeblickte seiner eigenen Doppelaspekti- vität aus Innen und Außen bewußt. Dieses wechselseitige Projektionsverhältnis von Blicken baut Plessner nun in einem weiteren Aufsatz zu einer „Anthropologie des Schauspielers“ (1998/1948) aus. Ich hatte schon in einem Vergleich zwischen Merleau-Ponty und Plessner (vom 21.11.2011) auf eine entscheidende Differenz in ihren Anthropologien hin- gewiesen. Merleau-Ponty setzt das Verhältnis zwischen der Schauspielerin und ihrer Figur mit dem Verhältnis von Zeichen und Bedeutung gleich. Dabei ordnet er das ‚Zeichen‘, also die Schauspielerin, der ‚Bedeutung‘ (Figur) unter: „Alle Zei- chen gehen unter in der Bedeutung ... Der ästhetische Ausdruck verleiht dem, was er ausdrückt, ein An-sich-sein, versetzt es als ein jedermann zugängliches Wahr- nehmungsding in die Natur, oder umgekehrt, entreißt die Zeichen ihrerseits – die Person des Schauspielers, die Farben und die Leinwand des Malers – ihrer empi- rischen Existenz und versetzt sie gleichsam in eine andere Welt. Niemand wird bestreiten, daß hier der Ausdruck nicht lediglich eine Übersetzung, sondern die Realisierung und Verwirklichung der Bedeutung selbst ist.“ („Phänomenologie der Wahrnehmung“ (1966), S.217) Ich habe Merleau-Pontys Darstellung des Verhältnisses von Schauspielerin und Figur als eine Verschmelzung interpretiert. Merleau-Ponty fokussiert nur den Aspekt ihrer Kunst, in dem die Schauspielerin „unsichtbar“ wird, „wenn Phädra erscheint“. (Vgl. ebenda) Das wesentliche Moment der schauspielerischen Lei- stung besteht Merleau-Ponty zufolge darin, jede Differenz zwischen der darstel-

Transcript of Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers ...files.proflexion.de/gepostet Nr 367...

Page 1: Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers ...files.proflexion.de/gepostet Nr 367 Plessner(2).pdf · Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers (1948), in: Gunter

Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers (1948),in: Gunter Gebauer (Hg.), Anthropologie, Leipzig 1998,S.185-202 01.06.13

(empfohlene Zitierweise: Detlef Zöllner zu Helmuth Plessner, Zur Anthro-pologie des Schauspielers (1948), 01.06.2013, in: http://erkenntnisethik.blogspot.de/)

In seiner „Anthropologie der Nachahmung“ führt Plessner die Fähigkeit des Men-schen, seine Mitmenschen nachzuahmen, auf seine exzentrische Positionalität zu-rück, die ihn für den Blick des Anderen ihm gegenüber empfänglich macht. Indiesem Blick zeigt sich der Andere als ein beseeltes Innen und spiegelt dem, dener ansieht, sein eigenes Außen, d.h. seinen Körper wider, indem der Angeblicktedie sichtbare Körperlichkeit des Anderen ihm gegenüber auf die eigene Körper-lichkeit, insbesondere auch auf die für ihn selbst unsichtbaren Bereiche wie etwadie Mimik projiziert. So wird sich der Angeblickte seiner eigenen Doppelaspekti-vität aus Innen und Außen bewußt.

Dieses wechselseitige Projektionsverhältnis von Blicken baut Plessner nun ineinem weiteren Aufsatz zu einer „Anthropologie des Schauspielers“ (1998/1948)aus. Ich hatte schon in einem Vergleich zwischen Merleau-Ponty und Plessner(vom 21.11.2011) auf eine entscheidende Differenz in ihren Anthropologien hin-gewiesen. Merleau-Ponty setzt das Verhältnis zwischen der Schauspielerin undihrer Figur mit dem Verhältnis von Zeichen und Bedeutung gleich. Dabei ordneter das ‚Zeichen‘, also die Schauspielerin, der ‚Bedeutung‘ (Figur) unter: „Alle Zei-chen gehen unter in der Bedeutung ... Der ästhetische Ausdruck verleiht dem, waser ausdrückt, ein An-sich-sein, versetzt es als ein jedermann zugängliches Wahr-nehmungsding in die Natur, oder umgekehrt, entreißt die Zeichen ihrerseits – diePerson des Schauspielers, die Farben und die Leinwand des Malers – ihrer empi-rischen Existenz und versetzt sie gleichsam in eine andere Welt. Niemand wirdbestreiten, daß hier der Ausdruck nicht lediglich eine Übersetzung, sondern dieRealisierung und Verwirklichung der Bedeutung selbst ist.“ („Phänomenologieder Wahrnehmung“ (1966), S.217)

Ich habe Merleau-Pontys Darstellung des Verhältnisses von Schauspielerinund Figur als eine Verschmelzung interpretiert. Merleau-Ponty fokussiert nur denAspekt ihrer Kunst, in dem die Schauspielerin „unsichtbar“ wird, „wenn Phädraerscheint“. (Vgl. ebenda) Das wesentliche Moment der schauspielerischen Lei-stung besteht Merleau-Ponty zufolge darin, jede Differenz zwischen der darstel-

Page 2: Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers ...files.proflexion.de/gepostet Nr 367 Plessner(2).pdf · Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers (1948), in: Gunter

lenden und der dargestellten Person zum Verschwinden zu bringen. Die Tatsache,daß die Schauspielerin aber als verkörpernde Person dennoch sichtbar bleibt, wirdvon Merleau-Ponty nicht weiter berücksichtigt. Nicht so Plessner. Er beharrt auchbeim Schauspiel auf der exzentrischen Positionalität als einer fundierenden Mög-lichkeitsbedingung dieser Kunstform. Und diese Exzentrizität macht Plessner anbeiden Seiten fest: an den Darstellern wie an den Zuschauern. Auf beiden Seitenhat die Doppelaspektivität von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit des Schauspielerseine wichtige anthropologische Funktion.

Zunächst einmal hält Plessner den entscheidenden Unterschied zwischen derSchauspielerei und anderen Kunstformen fest: „Ein Mensch verkörpert einen an-deren. Nirgends sonst wird uns das gezeigt. Dichtung und bildende Kunst verkör-pern ‚auf Umwegen‘ und ‚im Abstand‘, in Wort, Farbe und Form, nicht in Men-schen selbst.“ (Plessner 1998/1948, S.185)

An dieser Stelle ist noch einmal interessant, daß Plessner „Dichtung und bil-dende Kunst“ in ihrer Funktion ähnlich beschreibt wie Lévi-Strauss, der derKunst insgesamt eine Modellierungsfunktion zuschreibt, die darin besteht, daß sievon der Wirklichkeit verkleinerte Modelle erstellt. (Vgl. meinen Post vom 18.05.2013) Als „Verkleinerung“ bezeichnet er das Weglassen von Wirklichkeitsdimen-sionen. Indem das Kunstwerk also die Wirklichkeit ‚verkleinert‘, schafft es einen„Abstand“ zur Wirklichkeit, der es dem Menschen erlaubt, mit dieser Wirklich-keit zu spielen und so zu lernen, sie zu beherrschen und zu kontrollieren.

Dabei geht Lévi-Strauss nicht auf das Theater ein. Denkbar wäre, daß er dasTheater insofern als verkleinertes ‚Modell‘ beschreiben würde, als das Theater-skript alle Zufälligkeit aus den dargestellten Ereignissen eliminiert und nur die fürdas Stück bzw. die ‚Struktur‘ notwendigen Ereignisse zur Darstellung kommen.In diesem Sinne hätten wir es hier also ebenfalls mit einem ‚verkleinerten‘ Wirk-lichkeitsmodell zu tun.

Damit würde Lévi-Strauss aber den von Plessner hervorgehobenen Aspekt ver-fehlen. Das Theaterstück unterscheidet sich von allen anderen Kunstformen ebengerade dadurch, daß seine Verkörperungen nicht verkleinern, sondern 1:1 umset-zen: verkörpernder Darsteller = verkörperte Figur. Die dem Theater eigene ‚Bild-haftigkeit‘ bedient sich eben nicht eines Modells zur Darstellung des Menschen,sondern des Menschen selbst: „Sie (die Theaterfiguren – DZ) existieren nicht alsfarbige Figuren auf einer Fläche, auch nicht als lebende Bilder und bewegte Skulp-turen. Sie sind von Menschen verkörperte und bedeutete Menschen.“ (Plessner

Page 3: Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers ...files.proflexion.de/gepostet Nr 367 Plessner(2).pdf · Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers (1948), in: Gunter

1998/1948, S.186)Das ‚Bild‘, das der Schauspieler verkörpert, existiert dabei aber nicht in dieser

Verkörperung selbst. Die Verkörperung materialisiert es nur. Seine Wirklichkeithat es vielmehr im „Reich der Phantasie“. (Vgl. Plessner 1998/1948, S.185) Wirhaben also zwei von einander getrennte ‚Wirklichkeiten‘: die der Phantasie unddie der Realität, um es mal in dieser tautologischen Form auszudrücken. Denn ob-wohl der verkörpernde Darsteller mit der verkörperten Figur 1:1 zusammenfällt,funktioniert die ‚Figur‘ bzw. das ‚Bild‘ der Phantasie, das der Schauspieler beimZuschauer hervorruft, wie eine ‚Maske‘, die sich zwischen die Person des Schau-spielers und den Zuschauer schiebt: „Mit dem Fortfall der künstlichen Maskewird der Leib selbst zum Kunstmittel. Der Darsteller bleibt hinter seinem eigenenAussehen genauso verborgen wie der kultische Tänzer.“ (Plessner 1998/1948, S.191)

Plessner macht diese Entwicklung, in der die künstliche Maske und mit ihrder Abstand zum Zuschauer im zunehmenden Maße wegfällt, an den drei Statio-nen des Ritus, des Theaters und des Films fest. Im Ritus ist es die Maske selbst,die eine Gottheit oder einen Dämon ‚verkörpert‘, während die Person des Mas-kenträgers überhaupt keine Rolle spielt. (Vgl. Plessner 1998/1948, S.186f.) ImTheater wird schon die Person des Schauspielers hinter der Figur sichtbar. Aller-dings bleibt seine Persönlichkeit noch an ein Ensemble gebunden und kann sichschon deshalb in seiner Verkörperungsfunktion nicht verselbständigen. (Vgl. Pless-ner 1998/1948, S.189) Und auf Seiten des Zuschauers verhindert auch der Ab-stand zwischen Zuschauerraum und Bühne eine weitergehende Identifikation mitdem Schauspieler. Dennoch kennen wir schon auf dieser Ebene einen Starkult, indem der Schauspieler selbst zum Gegenstand des Interesses und sogar der Vereh-rung wird.

Der im Theater noch vorhandene Abstand zwischen Schauspieler und Zu-schauer wird im Film durch die Kamera, die ja letztlich nur das subjektive Augedes Zuschauers mitten im Geschehen ist, vollends überwunden. Die Kamera ist„wirklich an keinen Abstand mehr gebunden und (kann) vom Überblick einerSzene unvermittelt in die Großaufnahme eines Gesichts, einer Hand, eines Gegen-standes übergehen ...“ (Vgl. Plessner 1998/1948, S.188) – Der Schauspieler wirdzum Filmstar.

Dabei besteht die suggestive Wirkung des Schauspiels nicht etwa darin, daßPlessner nun die Sichtbarkeit des Schauspielers an die Stelle der von ihm verkör-

Page 4: Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers ...files.proflexion.de/gepostet Nr 367 Plessner(2).pdf · Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers (1948), in: Gunter

perten Figur treten läßt, im Gegensatz zu Merleau-Ponty, der die suggestive Wir-kung an der Unsichtbarkeit des verkörpernden Schauspielers festmacht. Vielmehrbesteht der Identifikationsmechanismus des Schauspiels gerade in einer Ver-schränkung beider Aspekte, in ihrer Gleichzeitigkeit bzw. Doppelaspektivität:„Indem sich die Augenscheinlichkeit eines wirklichen Darstellers, der eine wirkli-che Person spielt, zwischen den Zuschauer und die dargestellte Person schiebt,wird der scheinbar verringerte, im Grenzfall des Filmstars vernichtete Abstandzur Figur wiederhergestellt, freilich nur in den Menschen selbst verlegt und alsdas Verhältnis des Mensch zu sich selbst entdeckt. Als das Verhältnis seiner selbstzu sich selbst ist er die Person seiner Rolle, für sich und für den Zuschauer. Indieser Verhältnismäßigkeit wiederholen Spieler und Zuschauer jedoch nur dieAbständigkeit des Menschen zu sich und zueinander, die ihr tägliches Lebendurchdringt ... Denn was ist schließlich dieser Ernst der Alltäglichkeit anderes alsdas Sich-einer-Rolle-verpflichtet-Wissen, welche wir in der Gesellschaft spielenwollen?“ (Plessner 1998/1948, S.194)

Der Schauspieler spiegelt also in seiner Sichtbarkeit als Verkörperung einerFigur bzw. Rolle das Verhältnis des Zuschauers zu seiner eigenen gelebten Wirk-lichkeit. Seine Spaltung spiegelt die Spaltung, d.h. die exzentrische Positionalitätdes Menschen schlechthin. Insofern ist jedes Schauspiel ein „anthropologischesExperiment“ (Plessner 1998/1948, S.199), in dem der Zuschauer seinen eigenenWirklichkeitsbezug erproben kann, indem er sich mit dem Schauspieler identifi-ziert.

Wir haben es hier also weder auf Seiten des Zuschauers, noch auf Seiten desSchauspielers mit einer Verschmelzung zu tun, in der der individuelle Mensch inseiner Figur verschwindet. Ganz im Gegenteil funktioniert das Schauspiel nur auf-grund einer Spaltung, die durch die „Selbstbeherrschung“ des Schauspielers er-möglicht wird: „In der normalen Hingegebenheit an irgendeine Beschäftigung kannder Mensch, ja muß er sich vergessen. Nur das Stück seiner selbst, das für dieDurchführung seiner Absichten als Mittel besonderer Beherrschung und Pflegebedarf, macht er sich bewußt, spaltet er von sich ab. Beim Schauspieler umfaßtdieses Stück ihn selbst, als Leib und Seele. Er ist sein eigenes Mittel, d.h., er spal-tet sich selbst in sich selbst, bleibt aber, um im Bilde zu bleiben, diesseits des Spal-tes, hinter der Figur, die er verkörpert, stehen. Er darf der Aufspaltung nicht ver-fallen, sondern er muß mit der Kontrolle über die bildhafte Verkörperung den Ab-stand zu ihr wahren. Nur in solchem Abstand spielt er.“ (Plessner 1998/1948, S.

Page 5: Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers ...files.proflexion.de/gepostet Nr 367 Plessner(2).pdf · Helmuth Plessner, Zur Anthropologie des Schauspielers (1948), in: Gunter

190)