HERBSTPRÜFUNG 2014

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HERBSTPRÜFUNG 2014 1. Gozintograph Der Gozintograph ist ein gerichteter Graph , der beschreibt, aus welchen Teilen sich ein oder mehrere Produkte zusammensetzen. Der Produktionsprozess kann dabei mehrstufig sein, wobei der Input aus Rohstoffen , Halb- und Fertigteilen besteht. Im Gozintographen ist aufgeführt, wie diese Teile gegebenenfalls mengenmäßig verflochten sind. Dabei bezeichnen die Knoten die Teile und die gerichteten Kanten geben an, wie viele Einheiten eines Teiles in eine Einheit eines nachgelagerten Teiles einfließen. Der Name dieses Graphen ist eine scherzhafte Verballhornung : Der Mathematiker Andrew Vazsonyi gab 1962 als Urheber den fiktiven italienischen Mathematiker Zepartzat Gozinto an, was nichts anderes bedeutet als the part that goes into. [1] Diese Bezeichnung ist mittlerweile allgemein akzeptiert. Der Gozintograph wird vor allem im Bereich der Produktionsplanung und - steuerung für die Auflösung von Stücklisten angewendet. Die Inhalte des Graphen können in ein lineares Gleichungssystem eingebracht werden. Es ergeben sich dann meistens sehr große, dünnbesetzte Koeffizientenmatrizen , die je nach Struktur unterschiedliche Lösungsverfahren ermöglichen. Beispiel Im folgenden stark vereinfachten Beispiel sollen für einen Heimwerkermarkt 200 Verlängerungskabel, 100 Stecker und 50 Dosen produziert werden. Die Endprodukte setzen sich aus verschiedenen Teilen zusammen, Stiften, Schrauben, Schellen, Innenteile, Deckel usw. In der folgenden Tabelle sind die einzelnen Teile aufgelistet: Gozintograph für die Erstellung der Elektroartikel Symbo l Inde x Teil A 1 Stecker B 2 Verlängerungsk abel C 3 Steckdose D 4 Deckelsatz Stecker 1

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REWE, KLR, Wirschaftsfachwirt

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HERBSTPRÜFUNG 2014

1. Gozintograph

Der Gozintograph ist ein gerichteter Graph, der beschreibt, aus welchen Teilen sich ein oder mehrere Produkte zusammensetzen. Der Produktionsprozess kann dabei mehrstufig sein, wobei der Input aus Rohstoffen, Halb- und Fertigteilen besteht. Im Gozintographen ist aufgeführt, wie diese Teile gegebenenfalls mengenmäßig verflochten sind. Dabei bezeichnen die Knoten die Teile und die gerichteten Kanten geben an, wie viele Einheiten eines Teiles in eine Einheit eines nachgelagerten Teiles einfließen.

Der Name dieses Graphen ist eine scherzhafte Verballhornung: Der Mathematiker Andrew Vazsonyi gab 1962 als Urheber den fiktiven italienischen Mathematiker Zepartzat Gozinto an, was nichts anderes bedeutet als the part that goes into.[1] Diese Bezeichnung ist mittlerweile allgemein akzeptiert.

Der Gozintograph wird vor allem im Bereich der Produktionsplanung und -steuerung für die Auflösung von Stücklisten angewendet. Die Inhalte des Graphen können in ein lineares Gleichungssystem eingebracht werden. Es ergeben sich dann meistens sehr große, dünnbesetzte Koeffizientenmatrizen, die je nach Struktur unterschiedliche Lösungsverfahren ermöglichen.

Beispiel

Im folgenden stark vereinfachten Beispiel sollen für einen Heimwerkermarkt 200 Verlängerungskabel, 100 Stecker und 50 Dosen produziert werden. Die Endprodukte setzen sich aus verschiedenen Teilen zusammen, Stiften, Schrauben, Schellen, Innenteile, Deckel usw. In der folgenden Tabelle sind die einzelnen Teile aufgelistet:

Gozintograph für die Erstellung der ElektroartikelSymbol Index Teil

A 1 SteckerB 2 VerlängerungskabelC 3 SteckdoseD 4 Deckelsatz SteckerE 5 Korpus SteckerF 6 KabelG 7 Korpus DoseH 8 Deckelsatz DoseI 9 StiftJ 10 SchraubeK 11 Schelle

Die Verflechtungen können in ein Gleichungssystem überführt werden. Es wird zunächst anhand des Gozintographen aufgeführt, wie viele Einheiten von jedem Teil gebraucht werden.

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Variante 1

Aufgrund der einfachen Struktur dieses Beispiels können die einzelnen Gleichungen sukzessive gelöst werden. Es wird benötigt:

Um eine Koeffizientenmatrix für das Gleichungssystem zu erstellen, wandelt man die Gleichungen entsprechend um, z. B.:

Die Koeffizienten dieses linearen Gleichungssystems bilden dann die so genannte Technologiematrix T:

oder in Matrixschreibweise:

Dabei stellt der Spaltenvektor den sog. Primärbedarf dar. Seine Komponenten sind die Vorgaben für die

Absatzmengen und/oder den geplanten Lageraufbau der Komponenten i. Im obigen Beispiel ist ,

, , alle anderen sind 0. Der Spaltenvektor ist der Gesamtbedarf (Primärbedarf plus abgeleiteter Bedarf) für diese Produktion.

Variante 2

Alternativ lässt sich unmittelbar aus dem Gozintographen die sogenannte Direktbedarfsmatrix D aufstellen: Die

Werte der Matrixelemente sind die Zahlen, die im Gozintographen jeweils an dem von Komponente i

nach Komponente j führenden Pfeil stehen. Alle für die es im Gozintographen keinen Pfeil gibt, erhalten

den Wert Null. Mit anderen Worten: ist die Anzahl der Komponenten i, die in Komponente j landen. D ist daher vom Typ n × n, wenn der Gozintograph n Knoten hat. Im Beispiel ist n = 11. Rein mathematisch gesehen ist die Direktbedarfsmatrix somit nichts anderes als die Gewichtsmatrix des jeweiligen Gozintographen.

Die Spalten von D, die zu Rohmaterialien (Kaufteilen) j gehören, enthalten daher ausschließlich Nullen, ebenso die Zeilen von D, die zu Endprodukten i gehören, welche nicht zur Herstellung anderer Komponenten

verwendet werden. Wenn wieder der Primärbedarf und der für die Herstellung des Primärbedarfs

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entstehende abgeleitete Bedarf ist (seine Komponenten sind die Mengen aller für die Deckung des

Primärbedarfs erforderlichen Halbfabrikate und Rohstoffe), dann ist der Gesamtbedarfsvektor definiert als:

(1)

Anhand des Beispiels überzeugt man sich leicht davon, dass

(2)

Aus (1) und (2) folgt dann wieder

(3)

wobei E die Einheitsmatrix der Dimension n ist und (E - D) = T, die Technologiematrix aus Variante 1.

Anwendung

Durch Inversion der nach Variante 1 oder 2 aufgestellten Technologiematrix T lässt sich (3) nach auflösen:

Für unser Beispiel ergibt sich für :

Dadurch lässt sich für einen gegebenen Primärbedarf der Gesamtbedarf sowie mittels (1) auch der

abgeleitete Bedarf berechnen. Die Matrix wird deswegen auch als Gesamtbedarfsmatrix G bezeichnet. Durch zusätzliche Berücksichtigung von vorhandenen Lagerbeständen kann man dann noch weiter vom hier betrachteten Bruttobedarf auf den Nettobedarf zurückrechnen.

2. Kapitalwert

Der Kapitalwert (englisch net present value, NPV ‚Net-Present-Value‘, ‚Nettogegenwartswert‘ [seltener NGW] oder Nettobarwert[1]) ist eine betriebswirtschaftliche Kennziffer der dynamischen Investitionsrechnung. Durch Abzinsung auf den Beginn der Investition werden Zahlungen vergleichbar gemacht, die zu beliebigen Zeitpunkten anfallen.

Der Kapitalwert einer Investition ist die Summe der Barwerte aller durch diese Investition verursachten Zahlungen (Ein- und Auszahlungen). Die Summe der diskontierten Zahlungen entspricht somit dem Integral über den Zahlungsstrom, der mit einer fallenden Exponentialfunktion gemäß Kalkulationszinssatz bewertet wird.

Zum besseren Verständnis der Rechenoperation kann der Kapitalwert auch als der errechnete Geldbetrag betrachtet werden, der eingesetzt werden müsste, um unter Berücksichtigung der Verzinsung und der Ein- und

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Auszahlungen am Ende der Betrachtung zu einem Saldo von 0 zu gelangen. Voraussetzung ist hierbei die Wiederanlageprämisse, d. h. die zwischenzeitliche Anlage der Überschüsse zum Kalkulationszinssatz.

Die Kapitalwertmethode (weniger verbreitet NPV-Methode bzw. Net-Present-Value-Methode oder NGW-Methode) erlaubt die Beurteilung einer Erweiterungsinvestition und die Bestimmung des optimalen Ersatzzeitpunktes. Die Kapitalwertmethode wird u. a. bei Unternehmensbewertungen unter dem Namen Discounted Cash-Flow eingesetzt. Die Begriffe DCF und NPR verwenden also dieselbe Methode mit unterschiedlichem Fokus: Der DCF ist eine Kennzahl der Unternehmensbewertung, der NPR ist eine Kennzahl der Investitionsrechnung.

Berechnung

Abzinsung (beispielhafte Übersicht)

Der Kapitalwert ist abhängig vom Kalkulationszinssatz und basiert auf der Annahme des vollkommenen Kapitalmarktes.

Der Kapitalwert berechnet sich wie folgt:

C0(i)=−I+∑t=1TZt(1+i)t+L⋅(1+i)−T=∑t=0T(1+i)−t⋅Z′t C0: Kapitalwert bezogen auf den Zeitpunkt t=0 i: Kalkulationszinssatz Zt: Zahlungsstrom (Cashflow) in Periode t, wobei Zt=Et−At (Einnahmen − Ausgaben in Periode t)

darstellt, bzw. Z′t ganz allgemein für einen Zahlungsvektor steht. I: Investitionsausgabe zum Zeitpunkt t=0 (kann auch als Z0 aufgefasst werden) L: Liquidationserlös/Resterlös zum Zeitpunkt t=T (kann auch als ZT aufgefasst werden) T: Betrachtungsdauer (in Perioden)

Fallen während der Nutzungsdauer pro Periode stets gleiche Zahlungen an, kann der Kapitalwert auch einfach mithilfe der Rentenbarwertformel ermittelt werden:

C0=−I+ZT⋅(1+i)T−1(1+i)T⋅i+L⋅(1+i)−T ZT: Zahlung pro Periode

Anmerkung: Bei den Liquidationserlösen wird nicht der Buchwert (Abschreibungen), sondern der erwartete Verkaufserlös zur Berechnung herangezogen.

Für unterschiedliche Zinsfaktoren in den verschiedenen Perioden errechnet sich der Kapitalwert, wie folgt:

C0=−I+Z1q1+Z2q1⋅q2+Z3q1⋅q2⋅q3+…=−I+∑t=1T⋅Zt∏n=1tqn Zt: Zahlungsstrom in Periode t qn: Zinsfaktor der Periode n mit q=1+i

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Interpretation

Eine Investition ist absolut vorteilhaft, wenn ihr Kapitalwert größer als null ist.

Kapitalwert = 0: Der Investor erhält sein eingesetztes Kapital zurück und eine Verzinsung der ausstehenden Beträge in Höhe des Kalkulationszinssatzes. Die Investition hat keinen Vorteil gegenüber der Anlage am Kapitalmarkt zum gleichen (risikoäquivalenten) Zinssatz. An dieser Stelle befindet sich der interne Zinsfuß.

Kapitalwert > 0: Der Investor erhält sein eingesetztes Kapital zurück und eine Verzinsung der ausstehenden Beträge, die den Kalkulationszinssatz übersteigen.

Kapitalwert < 0: Die Investition kann eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals zum Kalkulationszinssatz nicht gewährleisten.

Werden mehrere sich gegenseitig ausschließende Investitionsalternativen verglichen, so ist die mit dem größten Kapitalwert die relativ vorteilhafteste. Weiterhin ist es möglich, die Kapitalwerte verschiedener sich nicht gegenseitig ausschließender Investitionen mit unterschiedlichen Kalkulationszinssätzen aufzusummieren, da es sich um ein additives Verfahren handelt.

Die zeitdiskrete Formel des KapitalwertsC0(i)=∑t=0NZt(1+i)t

lässt sich ebenfalls in einer kontinuierlichen Form darstellen.C0(i)=∫∞t=0(1+i)−t⋅z(t)dt z(t) ist die Flussrate der Ein- und Ausgaben in Geld pro Zeit, mit Zahlungsstrom z(t) = 0 wenn die Investition beendet ist.

Der Kapitalwert kann auch als Laplace- [3] bzw. Z-transformierte des Zahlungsstroms mit dem Integraloperator inklusive der komplexen Zahl s (entspricht in etwa dem Zinssatz i bzw. genauer s = ln(1 + i)) aus dem reellen Zahlenraum angesehen werden. Hieraus ergeben sich bekannte Vereinfachungen aus Kybernetik, Systemtheorie bzw. Regelungstechnik. Imaginäre Anteile der komplexen Zahl s beschreiben hierbei die Schwingungsneigung (vgl. mit dem Schweinezyklus und der Phasenverschiebung von Preis und Angebot sowie dem erläuternden Spinnwebtheorem), reale den Zinseszinseffekt (vgl. mit der Dämpfung).

F ( s )=L{ f ( t )}=∫∞0 e − stf ( t ) dt

Kritik

Vorteile

Es handelt sich um ein rechnerisch einfaches Verfahren, das eine leichte Interpretation ermöglicht, da der Kapitalwert in Geldeinheiten ausgedrückt wird (absolutes Ergebnis). Es ist weiterhin möglich, zinsstrukturkonforme Berechnungen durchzuführen, da der Kalkulationszinssatz in jeder Periode angepasst werden kann. Zusätzlich kommen bei der Kapitalwertmethode die Vorteile der dynamischen Rechnung (Beachtung des zeitlichen Anfalls der Zahlungen) gegenüber der statischen Rechnung zum Tragen.

Nachteile

Problematisch beim Einsatz der Kapitalwertmethode, wie auch allen anderen Discounted-Cash-Flow-Verfahren, sind die Annahme des vollkommenen Kapitalmarktes, insbesondere die Annahme der Gleichheit von Soll- und Habenzinssatz, der auf subjektiven Annahmen basierende Kalkulationszinssatz und die Höhe der zukünftigen Zahlungsströme. Aufgrund der einfachen Berechnung und Interpretierbarkeit besteht die Gefahr, die Ergebnisse unkommentiert zu verwenden. Es ist daher wichtig, dass die getroffenen Annahmen, vor allem über die Höhe der Risikoprämie des Kalkulationszinssatzes und der künftigen Cashflows, genannt und begründet werden.

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Wird die Möglichkeit, eine Investition mehrmals zu tätigen, übersehen, so kann dies zu Fehlentscheidungen führen. Abhilfe schafft hier die Annuitätenmethode. Hierbei wird von einer Wiederanlage der Erträge zum Kapitalmarktzins ausgegangen.

Siehe auch

Interner Zinsfuß Endwertmethode Barwert Formelsammlung Betriebswirtschaftslehre

3. ABC-Analyse

Die ABC-Analyse (Programmstrukturanalyse) ist ein betriebswirtschaftliches Analyseverfahren. Sie teilt eine Menge von Objekten in die Klassen A, B und C auf, die nach absteigender Bedeutung geordnet sind. Eine typische ABC-Analyse gibt beispielsweise an, welche Produkte oder Kunden am stärksten am Umsatz eines Unternehmens beteiligt sind (A) und welche am wenigsten (C).

Geschichte

Die ABC-Analyse wurde von H. Ford Dickie, einem Manager bei General Electric, im Jahr 1951 in seinem Artikel „ABC Inventory Analysis Shoots for Dollars, not Pennies“[1] erstmals beschrieben. Grundlage der Methode bildeten die Arbeiten von Vilfredo Pareto, dessen „80/20 Regel“ sowie das sogenannte Paretoprinzip und Max Otto Lorenz sowie die nach ihm benannte Lorenz-Kurve. Damit fanden deren Erkenntnisse erstmals in der Theorie der Unternehmensführung ihre Anwendung.

Prinzipien

Grafische Darstellung einer ABC-Analyse

Die ABC-Analyse als betriebswirtschaftliches Mittel zur Planung und Entscheidungsfindung unterteilt Objekte in drei Klassen von A-, B- und C-Objekten. Sie ist eine einfache Vorgehensweise zur Gewichtung von Objekten oder Prozessen und wird beispielsweise dazu verwendet, den Materialverbrauch nach Wertgrößen zu gruppieren. Der Aufbau besteht in der Regel aus zweidimensionalen Wertepaaren. Diese Wertepaare werden zunächst nach Größe sortiert, danach kumuliert in Klassen eingeordnet und häufig als Paretodiagramm dargestellt. Anhand dieser Einordnung kann man sich ein grobes Bild der IST-Situation verschaffen und weitere Vorgehensweisen ableiten. Die ABC-Analyse ist weit verbreitet und findet Anwendung inner- und außerhalb der Betriebswirtschaft. Beispiele:

Kunden – Umsatz Artikel – Bestand (Anzahl) Ressourcen – Kosten Kosten – Nutzen

Klassifizierung: A-Teile: hoher Ergebnisbeitrag B-Teile: mittelmäßiger Ergebnisbeitrag C-Teile: geringer Ergebnisbeitrag

Durchschnittlicher Wertanteil an jährlichen Materialkosten für die drei Kategorien:

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Wertanteil Klasse

Wertanteil 80 % A

Wertanteil 15 % B

Wertanteil 5 % des Jahresverbrauchswerts C

Dies sind jedoch nur Beispiele für entsprechende Einteilungen. Jedes Unternehmen legt die Prozentzahl seiner Güter selbst fest.

Erläuterungen

Mit der ABC-Analyse ist es möglich,

das „Wesentliche“ vom „Unwesentlichen“ zu trennen Rationalisierungsschwerpunkte zu setzen unwirtschaftliche Anstrengungen zu vermeiden die Wirtschaftlichkeit zu steigern.

Die ABC-Analyse ist ein Ordnungsverfahren zur Klassifizierung einer großen Anzahl von Daten (Erzeugnisse, Kunden oder Prozesse).

Die gängige Aufteilung sieht die Bildung jeweils einer A-, B- und C-Klasse vor, woher das Verfahren seinen Namen hat. Die Einteilung in drei Klassen ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Die Anzahl der zu bildenden Klassen hängt vielmehr von der darauf folgenden unterschiedlichen Behandlung der einzelnen Gruppen ab. Werden zwei oder mehr Gruppen später gleich behandelt, ist keine Unterteilung notwendig.

Als idealtypisch gilt die 80/20-Regel (Paretoprinzip), d. h. es werden zum Beispiel im Fall der Kundenbewertung mit lediglich 20 Prozent der Kunden bereits 80 % des Umsatzes erzielt (A-Kunden = hohe Bedeutung), 30 % der Kunden bringen 15 % des Umsatzes (B-Kunden = mittlere Bedeutung) und von 50 % der Kunden kommen nur 5 % des Umsatzes (C-Kunden = geringe Bedeutung). Die Ergebnisse des Pareto-Ansatzes werden allerdings in der Realität selten erreicht. Eine solche, idealtypische Verteilung basiert auf Lehrbüchern und wird gerne als Rechenbeispiel angeführt. Zur genauen Gruppierung der verschiedenen Klassen werden in der Wirtschaft häufig Clusteranalysen durchgeführt.

Die ABC-Analyse verschafft dem Disponenten einen Überblick über die Zusammensetzung des Warenlagers, indem die Waren in A-, B- und C-Güter eingeteilt werden. Daraus ist zu erkennen, bei welchen Produkten es sich lohnt, weitere Maßnahmen durchzuführen, bspw. hinsichtlich der Bestellpolitik. Gerade angesichts der immer kürzer werdenden Lieferzeit nimmt die ABC-Analyse einen wichtigen Stellenwert ein, indem solche Rohstoffe, Waren und Güter identifiziert werden, bei denen bspw. eine Lagerhaltung zugunsten einer Just-in-time-Anlieferung aufgegeben wird. Ziel ist dabei die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit, indem die Zins- und Lagerkosten gesenkt werden.

A-Güter haben einen wertmäßig hohen Anteil am Gesamtbeschaffungsvolumen.

Weiteres Beispiel:

Der A-Gruppe werden Güter zugeordnet, deren jeweiliger Anteil am Gesamtwert über 15 Prozent liegt. Bei der Beschaffung der A-Güter ist besonders auf günstige Preise, Liefer- und Zahlungsbedingungen zu achten. Der B-Gruppe werden die Güter zugeordnet, deren Anteil am Gesamtwert über 5 Prozent beträgt; die übrigen Güter gehören zur C-Gruppe.

Für eine entscheidungsorientierte Abgrenzung der einzelnen Gruppen ist es erforderlich, die ökonomischen Konsequenzen der Zuordnung eines Artikels zu einer Klasse zu quantifizieren. So wäre es möglich, für jede Klasse ein Verfahren der Bedarfsplanung festzulegen und dann jeden Artikel derjenigen Klasse zuzuordnen, bei der die von der Klassenzugehörigkeit abhängigen Kosten minimal werden. Eine solche Vorgehensweise scheitert jedoch oft daran, dass die ökonomischen Konsequenzen der Zuordnung eines Artikels zu einer Klasse

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nicht ermittelt werden können. Dies liegt an der Schwierigkeit, den Nutzen zu quantifizieren, der durch den Einsatz eines Prognoseverfahrens oder einer bestimmten Behandlung entsteht, und an dem Problem, die Kosten der Verfahrensanwendung exakt zu bewerten.

Anwendungsbereiche

Das Einsatzgebiet der ABC-Analyse ist vielfältig. Dabei ist das Ziel immer, Komplexität großer Zahlen handhabbar zu machen. So werden Kunden nach ihrem anteiligen Umsatz oder Deckungsbeitrag (ABC-Kunden), Produkte nach ihren Verkaufs-/Umsatzzahlen, ihrem Deckungsbeitrag oder ihrer Drehgeschwindigkeit (ABC-Teile) und Lieferanten (ABC-Lieferanten) nach ihrem Einkaufsvolumen klassifiziert. Im Zeitmanagement können beispielsweise die Prioritäten der Aufgaben nach A, B oder C klassifiziert werden. Auch in der Lagerhaltung werden mit Hilfe dieses Verfahrens ABC-Plätze identifiziert – z. B. nach Zugriffshäufigkeit. In der Materialwirtschaft können mit Hilfe der ABC-Analyse Baugruppen und Einzelteile nach ihrem Wert klassifiziert werden. Hierzu können Herstellungskosten/Einstandspreis, der durchschnittliche Bestandswert oder das jährliche Einkaufsvolumen herangezogen werden. Die Zielsetzung der Analyse ist es üblicherweise, die höchsten Kosten oder Leistungserbringer mit einem entsprechend hohen Aufwand zu steuern (A-Teile, -Lieferanten) oder zu pflegen (A-Kunden). Andererseits kann man den Entscheidungsbedarf für die C-Kategorie entweder stark reduzieren (Pauschalabwicklung) oder vollständig beseitigen (beispielsweise Lagerbestückung durch Lieferanten).

Seit einigen Jahren wird die ABC-Analyse auch im Personalmanagement angewandt. Hierbei werden Mitarbeiter nach ihrer Leistung und Motivation bewertet und unterschieden. Eine einfache Formel lautet: „Es gibt A-, B- und C-Mitarbeiter. Der A zieht den Karren, der B geht nebenher und der C sitzt oben drauf und lässt sich ziehen.“

Schnell- und Langsamdreher

Bezogen auf Umsatz mit einzelnen Artikeln wird eine Liste der A-Teile, gelegentlich auch der A- und B-Teile in Handelsunternehmen häufig als Schnelldreher (Renner) bezeichnet. Die übrigen Artikel (C-Teile) bezeichnet man als Langsamdreher (Penner). Damit werden häufig logistische, aber auch verkaufspolitische Entscheidungen verbunden. Diese Listen sind damit wichtige Instrumente der Verkaufssteuerung.

Beispiel

Eine Gärtnerei möchte ihre Produktkategorien entsprechend den jeweiligen erwirtschafteten Umsätzen einer ABC-Analyse unterziehen, in der umsatzstarke Produktgruppen der Kategorie A, Produktgruppen mit mäßigem Umsatz der Kategorie B und umsatzschwache Produktgruppen der Kategorie C zugeteilt werden. Es liegen die einzelnen Produktgruppen und die entsprechenden Jahresumsatzzahlen vor. Die abgebildete Tabelle zeigt diese Ausgangswerte zusammen mit den Schritten und dem Ergebnis der durchgeführten ABC-Analyse:

Produktgruppe Umsatz / [€] Anteil kumuliert Kategorie

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Laubgehölze 179.250,00 46,72% 46,72% A

Obst 89.320,00 23,28% 70,00% A

Nadelgehölze 42.160,00 10,99% 80,99% B

Rhododendron 21.580,00 5,62% 86,61% B

Dünger und Erden 12.869,40 3,35% 89,96% B

Bambus 8.593,20 2,24% 92,20% B

Rosen 6.156,00 1,60% 93,81% B

Clematis 4.637,30 1,21% 95,02% C

Kletterpflanzen 4.588,00 1,20% 96,21% C

Pflanzenschutz 3.384,00 0,88% 97,09% C

Formschnitte 3.084,90 0,80% 97,90% C

Stämmchen 2.441,10 0,64% 98,53% C

Stauden 2.236,10 0,58% 99,12% C

Heckenpflanzen 2.049,80 0,53% 99,65% C

Bodendecker 1.337,60 0,35% 100,00% C

Die Rechenschritte der ABC-Analyse können wie folgt beschrieben werden:

Zunächst wird innerhalb der ABC-Analyse zu dem Jahresumsatz jeder Produktgruppe der Anteil am Gesamtjahresumsatz errechnet. Daraufhin werden die Produktgruppen nach ihrem Umsatzanteil absteigend sortiert. Danach wird der Umsatzanteil der Produktgruppen jeweils kumuliert, d.h. für jede Produktgruppe wird der Umsatzanteil mit allen größeren Umsatzanteilen summiert. Für eine ABC-Analyse seien die Anteile der Kategorien A, B, C auf 70%, 25%, 5% festgelegt. Kumuliert man diese Anteile nun ebenfalls, so ergeben sich kumulierte Umsatzanteilsgrenzen von bis zu 70%, bis zu 95% und bis zu 100% des Gesamtumsatzes für die Kategorien A, B und C. Mithilfe dieser Grenzen lassen sich durch Wertevergleich der kumulierten Umsatzanteile die Produktgruppen kategorisieren.

Die ABC-Analyse lässt sich auch wie abgebildet durch ein Diagramm darstellen. Dabei steht die Kurve für die kumulierten Umsatzanteile. Die eingezeichneten Boxen repräsentieren die drei ABC-Klassen. An der Breite einer solchen Box lässt sich die Anzahl der zugeordneten Produktgruppen ablesen, wohingegen die Höhe einer Box den Anteil am Gesamtumsatz angibt.

Vor- und Nachteile

Die ABC-Analyse bietet nur ein Bild der IST-Situation. Daraus müssen erst Handlungsanleitungen entwickelt werden. Sind die wesentlichen von den weniger bedeutenden Artikeln oder Kunden getrennt, können zielgerichtete Maßnahmen entwickelt und strategisch eingesetzt werden.

Die Vorteile der ABC-Analyse liegen besonders in folgenden Punkten:

Analyse komplexer Probleme mit einem vertretbaren Aufwand durch die Beschränkung auf die wesentlichen Faktoren

Einfache Anwendbarkeit9

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Methodeneinsatz ist vom Untersuchungsgegenstand unabhängig (abgesehen von den unten genannten qualitativen Faktoren)

Sehr übersichtliche und graphische Darstellung der Ergebnisse möglich.

Als nachteilig können sich beim Einsatz der ABC-Analyse folgende Punkte erweisen:

Sehr grobe Einteilung in drei Klassen (wobei es selbstverständlich möglich bleibt, ABCD, ABCDE… zu Klassen zu erklären und die so entstehenden 4, 5… Klassen entsprechend auszuwerten), allerdings widerspricht eine feingranulare Aufgliederung dem Ziel der komplexitätsreduzierenden Gruppierung

Einseitige Ausrichtung auf ein Kriterium, wobei es selbstverständlich möglich ist, zwei Faktoren durch Multiplikation o. ä. zu kombinieren, beispielsweise

Es werden keine qualitativen Faktoren berücksichtigt Bereitstellung konsistenter Daten als Voraussetzung.

Erweiterungen

Die ABC-Analyse wird durch die XYZ-Analyse ergänzt, die eine Klassifikation von Rohstoffen und Produkten nach der Regelmäßigkeit ihres Verbrauchs oder Verkaufs vornimmt. Diese Kombination wird auch als ABC/XYZ-Analyse bezeichnet. Diese wiederum kann man mit der GMK-Analyse erweitern. Hierbei wird zusätzlich die Größe (groß, mittel, klein) berücksichtigt.

4. Kanban

Materialbegleitkarte im Bergbau

Kanban ist eine Methode der Produktionsprozesssteuerung. Das Vorgehen orientiert sich ausschließlich am tatsächlichen Verbrauch von Materialien am Bereitstell- und Verbrauchsort. Kanban ermöglicht eine Reduktion der lokalen Bestände von Vorprodukten in und nahe der Produktion, die dort in Produkten der nächsten Integrationsstufe verbaut werden.

Ziel der Kanban-Methode ist es, die Wertschöpfungskette auf jeder Fertigungs-/Produktionsstufe einer mehrstufigen Integrationskette kostenoptimal zu steuern. Dabei erfolgen die Entnahmen aus den jeweiligen Pufferlagern und das Nachliefern in dieselben Pufferlager asynchron. Durch das Verteilen der Pufferlager in der Produktion entlang der Integrationskette wird mit einfachen Mitteln der Information und mit kurzen Wegen des Transports eine einfache Lösung erreicht.

Kanban entstammt dem Japanischen. Dort heißt かんばん (看板) so viel wie „Karte“, „Tafel“ oder „Beleg“. Alternative Namen für Kanban sind Hol-, Zuruf- oder Pull-Prinzip.

Historische Entwicklung

Das ursprüngliche Kanban-System wurde 1947 von Taiichi Ohno in der japanischen Toyota Motor Corporation entwickelt. Ein Grund hierfür war die ungenügende Produktivität des Unternehmens im Vergleich zu

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amerikanischen Konkurrenten. Ohno beschrieb die Idee so: „Es müsste doch möglich sein, den Materialfluss in der Produktion nach dem Supermarkt-Prinzip zu organisieren, das heißt, ein Verbraucher entnimmt aus dem Regal eine Ware bestimmter Spezifikation und Menge; die Lücke wird bemerkt und wieder aufgefüllt“.[1]

Ebenso stellten die gestiegenen Erwartungen der Kunden an die Produktionsgeschwindigkeit und Lieferbereitschaft sowie die immer engeren Zuliefererbeziehungen zwischen den Unternehmen eine neue Situation dar, für die eine geeignete Lösung gefunden werden musste. Hohe und damit, insbesondere auf einer räumlich beengten Insel wie Japan, kostenintensive Lagerbestände an Rohmaterial und Halbfertigmaterialien waren hierbei die Kostentreiber. Um diese Kosten zu minimieren, wurde eine flexible und effiziente Fertigungssystematik gesucht. Diese fand man im Kanban-Verfahren, welches bisherige gängige Verfahren der Produktionssteuerung und der Intralogistik ersetzte. Die eigentliche Produktion blieb davon unberührt. Daraufhin wurde dieses Konzept der kurzfristigen Disposition von zahlreichen japanischen Unternehmen übernommen, an die jeweiligen Anforderungen angepasst und schließlich im gesamten Toyota-Konzern eingeführt. In den 1970er Jahren wurde dieses Steuerungskonzept von Unternehmen in den USA und Deutschland adaptiert und eingeführt. Verbunden mit Toyota und damit Japan ist auch die Bedeutung des Wortes Kanban, welches „Schild“ oder „Kärtchen“ bedeutet. Diese Karten sind Basiselement dieser PPS-Systematik und dienen der einfachen Informationsweiterleitung.

Vorteile gegenüber der zentralen Produktionssteuerung

In traditionellen, zentral gesteuerten Planungssystemen der Produktionssteuerung wird der gesamte Materialbedarf an einer zentralen Stelle bis ins kleinste Detail vorausgeplant. Die einzelnen Produktionsstellen haben kaum die Möglichkeit, bei Schwankungen im Durchsatz den Zufluss an Material zu beeinflussen. Diese Tatsache machte diese Systeme in herkömmlicher Organisation mit schwacher IT-Unterstützung unflexibel und im Falle kurzfristiger Änderungen der zu produzierenden Teile auch träge, da diese Änderungen weitreichende Folgen und einen hohen Koordinationsaufwand nach sich ziehen. Dies führt dazu, dass bei zentral geplanten Systemen eine hohe Vorratshaltung nötig ist, um die mangelnde Flexibilität zu kompensieren, was wiederum hohe Lagerhaltungskosten verursacht.

Im Gegensatz hierzu bietet die Kanban-Systematik ein hohes Anpassungspotenzial bei kurzfristigen Änderungen des Bedarfs, da mit dem Zur-Neige-Gehen eines benötigten Vorprodukts der Auftrag zur Nachproduktion zeitnah ausgelöst wird. Hier erfolgt die Informationsweiterleitung stets aktuell und somit angepasst an die momentane Bedarfssituation vom Verbraucher zum Produzenten oder zum Lieferanten. Dadurch lassen sich unnötige Lagerbestände drastisch reduzieren und die Durchlaufzeiten deutlich verkürzen.

Kanban stellt eine Möglichkeit für Unternehmen dar, die teilweise sehr aufwändige und verschachtelte Produktionssteuerung mit autonomen Regelkreisen zu bedienen, was den Steuerungsaufwand deutlich reduziert und die Transparenz der Prozesszusammenhänge erhöht. Im Vorfeld jedoch sind die lokalen Ketten und das Erzeugnisspektrum genau auf die Methode mit Kanban einzustellen. Wenn diese Vorbereitung erfüllt wird, ist Kanban besonders für Unternehmen mit relativ geringer Variantenvielfalt und relativ konstantem Verbrauch interessant, bei denen Lagerkosten ein großer Kostenfaktor sind.

Aber auch bei größerer Variantenvielfalt oder langen Lieferketten kann Kanban sinnvoll verwendet werden, wenn beispielsweise moderne Informationstechnik eingesetzt wird. Hier ist jedoch ein erheblich größerer Planungs- und Koordinationsaufwand nötig.

Ungeeignet ist Kanban für Einzelprodukte oder für Sonderaufträge oder gar Projektfertigung, da hier die benötigte Standardisierung des Produktionsprogramms nicht gegeben ist.

Durch das erreichte hohe Maß an Flexibilität und Liefertreue sind JIT-Aufträge mit Kanban leichter zu bewältigen als mit herkömmlichen PPS-Systemen.

Durch die gesteigerte Verantwortung und Qualifizierung innerhalb der Regelkreise kann die Motivation der Mitarbeiter erheblich gesteigert werden.

Ziele

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Ziel von Kanban-Systemen ist die Reduzierung von Lagerbeständen und damit Reduzierung von Kapitalbindung und eine Erhöhung der Flexibilität im Hinblick auf geänderte Bedarfsmengen. Dieses Ziel soll ohne Verluste von Lieferbereitschaft, ohne Verschlechterung von Ausschussquoten, ohne Erhöhung von Nacharbeit, zusätzlichen Transporten etc. erzielt werden. Dies alles soll dabei mit stark vermindertem Planungsaufwand erfolgen.

Die häufig beobachteten Verbesserungen im Bereich Lieferbereitschaft, Ausschussquoten, Nacharbeit etc. sind sekundäre Effekte.

Voraussetzungen für die Anwendung von Kanban

Kanban verlangt von Unternehmen unter Umständen eine Vielzahl von Veränderungen, um dieses Materialsteuerungssystem wirksam einzuführen. Takeda nennt sieben essenzielle Voraussetzungen, die vor dem Einsatz von Kanban unbedingt erfüllt sein müssen.

Aufbau einer Fließfertigung

Das Produktionsprogramm muss in gleichmäßigen Fluss gebracht werden. Das heißt, der Standardisierungsgrad der Produkte muss erhöht und die Produktion streng getaktet werden.

Verkleinerung der Losgrößen

Um eine Just-in-time-Produktion zu erreichen und eine Senkung der Lagerbestände zu erzielen, muss von der herkömmlichen Optimierung der Losgrößen Abstand genommen werden. Ziel hingegen muss die Vermeidung von Überproduktion sein, um eine bedarfsgemäße Produktion zu verwirklichen. Rüstkosten sind hierbei eher zu vernachlässigen.

Geglättete Produktion

Da sich die Kanban-Systematik über mehrere Produktionsstufen erstreckt, ist die Vermeidung großer Schwankungen und die genaue Planung der Produktion auf der letzten Stufe äußerst wichtig. Jede unvorhergesehene Schwankung würde sich auf die vorgelagerten Stufen übertragen und zu Belastungen führen, was wiederum Pufferbestände oder Pufferkapazitäten nach sich ziehen und somit Verschwendung darstellen würde.

Verkürzung und Vereinheitlichung der Transportzyklen

Die Reduzierung von Lagerbeständen erfordert einen erhöhten Transportaufwand. Damit die Produktion durch ausbleibende Vorprodukte nicht ins Stocken gerät, ist sicherzustellen, dass der Materialtransport von der vorgelagerten zur nachfolgenden Stelle stets nach dem logistischen Prinzip erfolgt.

Kontinuierliche Produktion

Durch Kanban soll eine konsequente Auslastung der Produktionsstellen erreicht werden. Dies muss durch eine geeignete Dimensionierung und Standardisierung des Kanban-Systems erfolgen. Jedoch müssen auch Fälle wie Sonderaufträge berücksichtigt werden können.

Bestimmung der Adressen

Da der Materialfluss im Kanban-System durch Karten gesteuert wird, benötigt jede produzierende und verbrauchende Stelle sowie jedes Pufferlager und jeder Artikel eine eindeutige Bezeichnung, womit eine genaue Zuteilung der Karten, Materialien und Behälter möglich wird. Diese Systematik muss so transparent und einfach wie möglich gehalten werden, um Fehler zu vermeiden.

Konsequentes Behältermanagement

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Behälter erfüllen beim Transport mehrere Aufgaben. So stellen sie unter anderem den beschädigungsfreien Transport der Produkte sicher und geben über Anzahl und Art des Inhaltes Aufschluss. Bei der Wahl des Behälters ist auf die Bedürfnisse des nachfolgenden Prozesses zu achten, und es ist eine möglichst kleine Behältergröße zu wählen.

Weiterhin sind hohe Qualität der Vorprodukte in Verbindung mit einer ausgeprägten Qualitätssicherung Schlüsselvoraussetzungen für ein funktionierendes Kanban-System, da durch die niedrigen Lagerbestände eine Kompensation von Schlechtteilen zu Stockungen im Produktionsablauf führen kann. Deshalb muss ein Qualitätsmanagement-System implementiert werden, welches aus automatischen Qualitätskontrollen, Selbstkontrolle durch die Mitarbeiter und aus Prozesskontrollen besteht.

Eignung für die Kanban-Fertigung

Kanban ist als Steuerungsinstrument für die Produktion nicht in jedem Fall geeignet. Neben den genannten Voraussetzungen für den Einsatz von Kanban muss insbesondere die Erzeugnisstruktur auf Kanban ausgerichtet sein. Hier sind die wichtigsten Kriterien, die erfüllt sein müssen:

Es eignen sich besonders Produkte mit hohem Wertanteil und hoher mengenmäßiger Vorhersagegenauigkeit, geringen Nachfrageschwankungen (AB/XY-Artikel) und niedrigem Anteil an Sonderwünschen. Eine große Variantenvielfalt, Einzelfertigung oder häufige Produktänderungen können für die Kanban-Systematik hingegen problematisch werden und sind daher weniger gut geeignet.

Im Fertigungsbereich sind nur Produktionsstätten geeignet, die sich durch relativ konstante und niedrige Rüstzeiten, qualifiziertes Personal sowie ausreichende und relativ flexibel disponierbare Kapazitäten auszeichnen.

Wenn Kanban zur Steuerung des externen Einkaufes verwendet werden soll, sind sowohl die Eignung der Zulieferer zu hoher Liefertreue als auch eine gleich bleibend hohe Qualität ausschlaggebend.

Sind die Voraussetzungen und die Kriterien nicht erfüllt, ergeben sich Probleme, die das Scheitern einer Einführung des Kanban-Systems zur Folge haben können. Daher ist es von eminenter Wichtigkeit, diese Punkte im Vorfeld kritisch zu begutachten und bei Bedarf Änderungen in den Abläufen vorzunehmen.

Einsatzgebiete

Das System lässt sich sehr gut bei einstufiger Produktionstiefe (Endproduktfertigung) zur Versorgung der Fertigungseinrichtungen mit Teilen aus dem Lager einsetzen. Eine Reduzierung des Lagerbestands ist dann allein damit aber nicht möglich.

Kanban lässt sich generell in den meisten Fertigungsbereichen einsetzen, unabhängig ob die Teile aus dem Lager entnommen oder erst gefertigt werden. In größeren Fertigungsstätten muss das Holen der Teile (und damit die automatische Bedarfsmeldung) durch ein selbstständiges innerbetriebliches Transportwesen erfolgen. Insbesondere für relativ standardisierte Produkte mit geringer Variantenanzahl bei relativ konstanter Nachfrage ist Kanban geeignet.

Letztlich eignet sich Kanban insbesondere für Reihenfertigung.

Kanban ist ungeeignet für Einzelfertigung. Auch der Einkauf von Rohmaterial und Teilen lässt sich darüber nicht abwickeln. Ebenso ist es nicht geeignet bei sperrigen Teilen (beispielsweise Verpackungen), die jeweils in Lkw- beziehungsweise Containergröße angeliefert werden.

Funktionsweise eines Kanban-Systems

Ein Kanban-System wird grundsätzlich von der Produktion der letzten Fertigungsstufe gesteuert: Unterschreitet dort der Lagerbestand eines bestimmten Materials einen definierten Mindestwert (Meldebestand), wird dies

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an die vorgelagerte Produktionseinheit bzw. das zuständige Lager gemeldet. Das stößt ggf. Fertigung und dann die Bereitstellung des Materials für den Einsatzort aus.

Im klassischen Kanban-System nutzt diese Kommunikationskette die Kanban-Karten, die mit den gefüllten Transportbehältern an die Senke geliefert werden. Sobald der Inhalt des Behälters verbraucht ist, legt die Senke die Kanban-Karte in eine Kanban-Sammelbox. Die Karten werden regelmäßig an die zuständigen Quellen verteilt. Die Quelle ist dann für die rechtzeitige Bereitstellung des benötigten Materials bei der Senke verantwortlich.

Nach Erhalt der Kanban-Karte beginnt die Quelle mit der Produktion bzw. Bereitstellung der auf der Karte festgelegten Art und Menge des Materials und lagert diese in Kanban-Behältern. Sobald der Kanban-Behälter mit der geforderten Menge gefüllt ist, wird er mit der Kanban-Karte in das Pufferlager der Quelle transportiert. Von dort aus versorgt sich die Senke dann selbst. So entsteht ein sich selbst steuernder Regelkreis ohne zentrale Planungsinstanz.

Oft wird dieses System auch mit einem Supermarkt verglichen, bei dem sich die Kunden (Senken) selbst bedienen und das Personal (Quellen) für ausreichende Bestände in den Regalen (Pufferlager) sorgt. Erreicht die verbrauchende Stelle wieder den Meldebestand, beginnt der Zyklus von Neuem.

Generell unterscheiden lassen sich das Zweikartensystem, welches mit Produktions- und Transport-Kanbans arbeitet, und das Einkartensystem, welches sich der Transportbehälter als Hilfsmittel bedient.

Während das Zweikartensystem vorwiegend in der innerbetrieblichen Produktion Anwendung findet, wird die Einkartensystematik aufgrund der einfacheren Handhabung häufig für die Steuerung in Zusammenarbeit mit externen Zulieferern eingesetzt.

Damit eine ausreichende Anzahl von Kanban-Karten im System vorhanden ist, ermittelt ein Kanban-Koordinator im Vorfeld die benötigte Zahl der Karten und passt diese gegebenenfalls geänderten Umständen an. Grundsätzlich gilt für die Anzahl der Kanban-Karten im System die Regel, dass ausreichend Material zirkulieren muss, um die im Wiederbeschaffungszeitraum auftretenden Bedarfsmengen zu decken.

Kanban-Regeln

Um ein reibungsarmes Funktionieren des Kanban-Systems sicherzustellen, ist die Einhaltung verbindlicher Regeln unerlässlich. Diese sind im Einzelnen:

Die Senke darf nur so viel Material anfordern, wie sie benötigt.Das bedeutet, dass nur Material mit zugehörigen Kanban-Karten im Umlauf sein darf.

Die Senke darf nicht vorzeitig Material anfordern.Eine Missachtung dieser Regel würde zu Störungen im Produktionsablauf führen, da alle Kapazitäten sehr eng aufeinander abgestimmt sind.

Die Quelle darf nicht auf Vorrat produzieren.Dies würde ebenfalls zu Überschreitungen in den Produktionskapazitäten führen.

Die Quelle muss für einwandfreie Qualität der Teile sorgen.Mangelnde Qualität führt auf Grund der minimalen Lagerbestände zu Produktionsverzögerungen bei den nachfolgenden Stellen.

Der Kanban-Koordinator hat für eine gleichmäßige Belastung der Produktionsstellen zu sorgen.Ohne gleichmäßige Belastung lassen sich Ziele wie niedrige Lagerbestände und optimaler Materialfluss nicht realisieren.

Der Kanban-Koordinator sorgt für eine möglichst geringe Anzahl von Kanban-Karten.Jede einzelne Karte stellt gebundenes Material dar, welches Kosten in Form von Lagerhaltung und Transport erzeugt.

Zur Einhaltung dieser Regeln sind die Mitarbeiter, die in hohem Maße an den Funktionen des Kanban-Systems beteiligt sind, zu schulen, und die strikte Beachtung dieser Grundvoraussetzungen muss von den Mitarbeitern auch akzeptiert werden.

Elemente und Hilfsmittel der Kanban-Steuerung

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Kanban-Karten

Kanban-Karten sind im klassischen Kanban-System das vorrangige Steuerungselement und der elementare Informationsträger, welcher alle für Produktion, Lagerung, Einkauf und Transport von der Quelle zur Senke relevanten Daten enthält. Diese sind unter anderem:

Artikelnummern / Identifizierungsnummern Angaben über Art und Füllmenge der Transportbehälter Bezeichnungen der Quellen und Senken Arbeitsanweisungen / Qualitätsdaten Nummer der Kanbankarte

Gemeinhin lassen sich sechs Arten von Kanban-Karten unterscheiden:

Produktions-Kanban Transport-Kanban Einkaufs-Kanban Laufkarten-Kanban Lager-Kanban Sonder-Kanban

Die Ermittlung der Anzahl an Kanban-Karten innerhalb eines Kanban-Kreises (Strecke zwischen Quelle und Senke) erfolgt auf Basis nachfolgender Formel:

AK=SM+(TV∗WBZ)+SZSB

hierbei bedeutet:

AKAnzahl Karten im System (im Kanbankreis)

SMSammelmengeLosgröße, die die Nachproduktion zu Beginn des Kanbankreises (Quelle) auslöstStückzahl pro Behälter * Anzahl Behälter

TVTagesverbrauchdie Stückzahl, die durchschnittlich pro Tag nachgefragt wird, d. h. aus dem betrachteten Kanbankreis abfließt (Senke)

WBZWiederbeschaffungszeit in Arbeitstagen (intern oder extern), um SM nachzuproduzieren

SZSicherheitszuschlagdie Menge, die abgedeckt werden muss, falls doch Qualitätsprobleme oder Maschinenausfallzeiten etc. in Erscheinung treten können

SBStückzahl pro Behälter

Über die Anzahl an Karten im Kanbankreis (zwischen Quelle und Senke) kann auch der geschätzte Durchschnittsbestand in Stück ermittelt werden:

Durchschnittsbestand in Stück =AK2∗SB

Dieser Wert kann deswegen herangezogen werden, da bei der Kanbansteuerung die nachgefragte Menge und die produzierte Menge keinen großen Schwankungen unterliegt; somit gleichmäßig verbraucht und nachproduziert wird.

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Produktions-Kanban

Diese Kanbans lösen einen Auftrag zur Produktion des auf der Karte genannten Materials aus und werden dem Material beigelegt, welches sich im Pufferlager der Senke befindet. Sobald die Senke Material aus dem Pufferlager entnimmt, wird das Produktions-Kanban an die Quelle weitergeleitet, worauf der Produktionsauftrag ausgelöst wird.

Für den Fall, dass das erzeugte Material im selben Regelkreis bestellt wird, kann das Produktions-Kanban gleichzeitig als Transportauftrag von der Quelle zur Senke dienen. Wichtig ist, dass gemäß den aufgeführten Kanban-Regeln keine Produktion ohne Produktions-Kanban erfolgen darf, da andernfalls die Produktion nicht mehr verbrauchsgesteuert ist.

Transport-Kanban

Sobald eine Senke einen Behälter vollständig verbraucht hat, bezieht sie durch die Weiterleitung eines Transport-Kanbans Nachschub aus dem Pufferlager. Dort wird das dem Transportbehälter beiliegende Produktions-Kanban durch das Transport-Kanban der Senke ersetzt, und das benötigte Material wird gemäß den Informationen auf der Karte der Senke zugeführt. Somit dient das Transport-Kanban als innerbetrieblicher Transportauftrag. Gleichzeitig wird das dem Kanban-Behälter beiliegende Produktions-Kanban an die Quelle geschickt und löst eine Nachproduktion aus.

Kanban-Behälter

Alternativ zu der dargestellten Kartensystematik lassen sich Kanban-Regelkreise auch über die zum Transport der Materialien nötigen Behälter steuern. Hierzu werden alle benötigten Informationen an den Transportbehältern selbst angebracht, und die Steuerung der Produktion erfolgt über Beobachtung der verbrauchten Behälter. Das heißt also, dass mit dem Eingang eines leeren Behälters bei der Quelle der Produktionsauftrag entsteht (Behälter-Kanban). Unabhängig davon, ob nun mittels Zweikartenkanban oder Behälterkanban gesteuert wird, gilt es, bei der Gestaltung der Transportbehälter die Größe und Form der Teile sowie die Handhabung, Sicherheit und Unterscheidbarkeit der Behälter sicherzustellen. Um hier eventuellen Verwechslungen vorzubeugen, muss auf jedem Kanban-Behälter das mit dem Behälter zu transportierende Material z. B. über eine Artikelnummer vermerkt sein. Um unnötige und kostenträchtige Transporte zu vermeiden, sollte die Größe des Behälters der Produktionslosgröße des Materials angepasst sein.

Kanban-Tafeln

Kanban-Tafeln erfüllen mehrere Funktionen in den Regelkreisen. Zum einen dienen sie der Reihenfolgeplanung der durch verschiedene Kanban-Karten ausgelösten Produktionsaufträge, und zum anderen dienen sie der Kapazitätsplanung und der Einteilung der Kanbans in verschiedene Dringlichkeitsstufen. Durch Kanban-Tafeln wird auch dem Verlust von Kanban-Karten vorgebeugt, indem man ein einheitliches Aufbewahrungssystem für die am Produktionsablauf beteiligten Karten verwendet. Dieses Hilfsmittel ist zwar kein essentieller Bestandteil eines Kanban-Systems, jedoch empfiehlt sich die Verwendung solcher Tafeln aus oben genannten Gründen.

Eintreffende Kanban-Karten werden ihrer Artikelnummer entsprechend in die freien Felder der Tafel von links beginnend abgelegt. Eines dieser Felder ist mit "Start" markiert. Sobald eine neu eingetroffene Karte auf dem „Start“-Feld abgelegt wird, werden alle diese Artikelnummer betreffenden Produktionsaufträge ausgeführt. Zusätzlich kann das Feld „Eilt“ für Sonderaufträge verwendet werden. Wichtig für eine funktionierende Kanban-Tafel ist, dass die Anzahl der zuzuordnenden Karten nicht zu hoch wird. Andernfalls entfällt der Vorteil der Übersichtlichkeit, und mögliche Störungen oder Engpässe im System werden nicht erkannt.

Kanban-Tafeln mit Strichcode

Neben der Signalisierung der Zustände „Voll“ und „Nachzuliefern“ besteht die Möglichkeit mit dreistufigen Informationen auch den Zustand „Bestellt“ oder „Wird in Kürze geliefert“ darzustellen. Es wird mit einem einfachen Schiebemechanismus der Zustand des Kanban-Behälters allen Beteiligten an dem Materialkreislauf

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dargestellt. So bedeutet z. B. die Farbe Grün „Voll“ oder „ausreichend Material enthalten“. Wird durch Verschieben der Tafel der Strichcode sichtbar z. B. auf gelben Untergrund, bedeutet das die Anforderung zur Nachlieferung. Durch Scannen des Strichcodes wird der Lieferauftrag erzeugt und elektronisch verarbeitet, im gleichen Zuge wird die Tafel weiter verschoben auf z. B. Rot, so ist der Scanvorgang dokumentiert und allen wird signalisiert, dass die Ware in Kürze kommt. Ein Beispiel für so eine Schiebetafel ist SLIDELOG. Besonders geeignet ist diese Vorgehensweise an den Endpunkten von EDV-Systemen, bei denen eine vollelektronische Erfassung umständlich oder zu zeitintensiv wäre.

Signal-Kanban für Pufferbestände

Eine weitere Kanbanform funktioniert ohne bewegliche Karten als Hilfsmittel: Die Steuerung erfolgt durch visuelle Überwachung der Pufferbestände, welche an festgelegten Plätzen in der Nähe der Quelle gelagert werden. Diese Lagerplätze sind durch ortsfeste, meist dreieckige Karten, welche Maximal- und Minimalbestände ausweisen, gekennzeichnet. Sobald eine Materialart den Minimalbestand erreicht hat, beginnt die Nachproduktion. Es empfiehlt sich eine Einteilung einer solchen Lagerfläche in verschiedenfarbige Segmente, um die Übersichtlichkeit für die Quelle zu erhöhen.

E-Kanban

Moderne Produktionssysteme sind aufgrund ihrer Komplexität und Variantenvielfalt häufig auf starken Einsatz von Informationstechnologie angewiesen. Daher wurde es für Unternehmen wichtig, die eingeführte Kanban-Systematik in ihr PPS-System zu integrieren. Für diese Integration werden von verschiedenen Herstellern, wie z.B. SAP, CellFusion und anderen, Lösungen angeboten, die eine kanbangesteuerte Zuliefererkette auch über das Internet ermöglichen. Dadurch wird Kanban auch für Unternehmen möglich, deren Standorte weit verteilt sind, oder die auf andere Unternehmen als Zulieferer angewiesen sind. Jedoch entstehen hierbei zahlreiche Schnittstellen, die von einem solchen PPS-System bedient werden müssen. Unter anderem sind die Bereiche Produktionssteuerung, Einkauf, Qualitätssicherung, Transport und Montage betroffen und müssen Elemente der EDV sein. Um eine von den Mitarbeitern leicht zu bedienende und damit fehlerarme Systematik zu schaffen, empfiehlt sich der Einsatz von Kanban-Karten, welche mit Barcodes versehen sind. Durch diese kann der Status eines Artikels von „vorhanden“ auf „Nachproduktion“ umgestellt werden und somit automatisch einen Produktionsauftrag beim Lieferanten auslösen. Bei Wareneingang wird das Material durch erneutes Abscannen wieder als „vorhanden“ eingebucht. Von besonderer Wichtigkeit ist, dass sowohl Verbrauch als auch Eingang von Materialien von den Mitarbeitern konsequent erfasst werden. Andernfalls können sich aufgrund der unter Umständen langen Lieferzeiten wiederum Stockungen in der Produktion ergeben.

Ein weiterer Vorteil eines EDV-gestützten Kanban-Systems ist, dass sich alle Regelkreise, Quellen und Senken sowie Pufferlager jederzeit grafisch darstellen lassen und somit Engpässen oder Problemen schnell entgegengewirkt werden kann. Oft wird die Zuliefererkette durch dynamische Netzpläne grafisch dargestellt, wodurch eine Identifikation von Schwachstellen in dieser leichter erfolgen kann. Ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von E-Kanban über eine große räumliche Distanz stellt das Daimler-Werk in Sindelfingen dar, welches die Bestellung von Sitzleder bis zum Erzeuger in Südafrika erfolgreich steuert.

Beispiel aus der Produktion

Die praktische Umsetzung eines elektronischen Kanban-Systems soll am realen Beispiel eines Luxusartikelherstellers verdeutlicht werden, welcher im Jahr 2003 ein solches System einführte. Die Zielsetzung war, die Durchlaufzeiten für die Produktion sowie die damit verbundene Kapitalbindung zu reduzieren. Von Vorteil erwies sich der hohe Anteil von AB-XY-Teilen mit ca. 66 % bei den Produkten des Herstellers, welche sich durch ihren relativ konstanten Verbrauch gut für die Kanban-Fertigung eigneten und einen großen Teil des Gesamtumsatzes ausmachten. Für die verbleibenden Teile, welche durch ihre geringe Prognostizierbarkeit und Verbrauch weniger gut für Kanban geeignet waren, wurden größere Lagerbestände eingeführt, um Schwankungen im Bedarf zu kompensieren. Ebenso sollten die bis dahin vorhandenen hohen Lagerbestände deutlich reduziert und gleichzeitig die Liefertreue gesteigert werden. Im Vorfeld wurden die beteiligten Prozesse einer genauen Prüfung auf ihre Eignung unterzogen und die Mitarbeiter umfassend geschult, um Verständnis und Akzeptanz für das neue System zu erzielen. Als Software wurde das bereits im Unternehmen vorhandene System um die Kanban-Funktionalität erweitert, was softwareseitige Probleme minimierte. Um

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eine möglichst fehlerfreie Auftragsverwaltung zu schaffen, wurde eine Barcode-Systematik eingeführt, welche durch einfaches Abscannen der Kanban-Karten Produktionsaufträge auslöst und auch abschließt. Externe Zulieferer, die die Voraussetzungen für Kanban erfüllen konnten, sind mittlerweile direkt in die Kanban-Regelkreise integriert, und die restlichen Zulieferer wenden Meldebestandsverfahren an, um ihre herkömmlichen PPS-Systeme weiterhin verwenden zu können.

Insgesamt führte dies zu einer Senkung der Lagerbestände um 48 % und durch Reduktion der Rüstzeiten und Produktionslosgrößen zu einer gesteigerten Flexibilität bei Bedarfsänderungen. Ebenso konnte die Lieferbereitschaft auf 98 % erhöht werden, was bisher durch Bevorratung in Lagern nicht zu erreichen war. Somit konnte die Fertigung effizienter gestaltet und die Kundenzufriedenheit gesteigert werden, was das Unternehmen als sehr positiv wertet.

Nachteile und Probleme

Obwohl sich das System einfach anhört, ist die Umsetzung komplex. An der Verbrauchsstelle muss Platz sein für mindestens zwei Gebinde jeden Teils. Die Gebindegröße und die Anzahl der Gebinde ist abhängig von den räumlichen Maßen der einzelnen Artikel, dem Materialbedarf pro Tag, dem angestrebten Sicherheitsbestand, der angestrebten Reichweite des Vorrats und somit der Frequenz des Auffüllens und dem Platzangebot an der Verbrauchsstelle. Die Vorfertigung und der innerbetriebliche Transport müssen abgewickelt werden können, ehe der Vorrat an der Verbrauchsstelle erschöpft ist. Es gibt zudem auch Produktionsabläufe, in denen statt nach Verbrauch „auf Halde” produziert wird; beispielsweise Kunststoffteile oder Stanzteile. Das Einrichten der Maschinen (Formenwechsel beziehungsweise Werkzeugwechsel) dauert lange und die Anlaufverluste (Ausschuss) sind hoch. Hier wird entweder nach Durchschnittsverbrauch, aufgrund eines Absatzplans oder eines Regelkreises mit Auslösebestand, Mindestbestand, Höchstbestand und eventuell optimaler Losgröße der Bedarf einer bestimmten Periode befriedigt.

Siehe auch

Conwip Kaizen Produktionsplanung und -steuerung Schlanke Produktion Toyota-Produktionssystem

5. Opportunitätskosten

Opportunitätskosten (selten auch als Alternativkosten, Verzichtskosten oder Schattenpreis bezeichnet) sind entgangene Erlöse (allgemeiner: entgangener Nutzen), die dadurch entstehen, dass vorhandene Möglichkeiten (Opportunitäten) zur Nutzung von Ressourcen nicht wahrgenommen werden. Umgangssprachlich kann man auch von Kosten der Reue oder Kosten entgangener Gewinne sprechen. Opportunitätskosten sind somit keine Kosten im Sinne der Kosten- und Leistungsrechnung, sondern ein ökonomisches Konzept zur Quantifizierung entgangener Alternativen. Den Gegensatz zu Opportunitätskosten als entgangene Erlöse bilden die nicht zusätzlich entstehenden (Mehr-) Kosten, die auch als Opportunitätserlös bezeichnet werden.

Arten von Opportunitätskosten

Ihrer Art nach werden Opportunitätskosten – in Anlehnung an den Produktionsprozess – in input- und outputbezogene Opportunitätskosten unterschieden.

Inputbezogene Opportunitätskostenergeben sich, indem der Deckungsbeitrag des produzierten Gutes auf den Inputfaktor (Arbeitsstunden, Stück, Tonnen etc.) relativiert wird (→ relativer Deckungsbeitrag). Zur Beurteilung der Opportunitätskosten müssen Deckungsbeiträge nicht unbedingt herangezogen werden. Sie können auch durch eine relative Betrachtung bezüglich entgangener Kundenakquise, entgangener Marktanteile oder entgangener Umsätze beurteilt werden. Im Allgemeinen hat sich jedoch die Bewertung bezüglich entgangener Stückdeckungsbeiträge durchgesetzt, da diese einfacher verglichen werden können.

Outputbezogene Opportunitätskostensind „Kosten“ (entgangene Deckungsbeiträge) einer Alternative, die nicht auf den Input, sondern auf den Output des Produktionsprozesses bezogen werden. Man unterscheidet hierbei zwischen Alternativkosten (Opportunitätskosten in

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Abweichung von der nächstbesten Alternative) und Optimalkosten (Abweichung der gewählten Alternative von der optimalen Verwendung).

Alternativkosten können dazu verwendet werden, verschiedene Produktionsprogramme eines Unternehmens miteinander zu vergleichen. Optimal Kosten hingegen bewerten eine Alternative nur im Vergleich zum optimalen Produktionsprogramm. Allerdings kann das Konzept der Opportunitätskosten meistens nur dafür verwendet werden, Alternativen zu bewerten, nachdem Entscheidungen bereits getroffen wurden. Sie lassen also lediglich eine Ex-post-Analyse zu.

Anwendungsgebiete der Opportunitätskosten

Von seinem grundlegenden Konstrukt ausgehend findet das Konzept der Opportunitätskosten sowohl in betriebswirtschaftlichen als auch in volkswirtschaftlichen Bereichen Anwendung.

Betriebswirtschaftliche Anwendung (Beispiele):1. Entscheidung über Zusatzaufträge2. Ermittlung des optimalen Produktionsprogramms3. opportunitätskostenorientierte Lenkpreise4. In der Investitionsrechnung derjenige Zinssatz, der mit einer vergleichbaren Alternativinvestition erzielt werden könnte

(englisch: opportunity cost of capital)Volkswirtschaftliche Anwendung (Beispiele):

1. Theorie der komparativen Kostenvorteile2. Konzept der Transformationskurve3. für den entgangenen Nutzen4. Als Summe aus expliziten Kosten (= absolute, tatsächliche Kosten) und impliziten Kosten (= Theoretisch mögliche Einnahmen, die

bei der Ausführung einer anderen denkbaren Sache, in der gleichen Zeit erwirtschaftet werden könnten.)

Beispiele Man betrachte beispielsweise ein Unternehmen, das ein Bürogebäude besitzt und dieses selber nutzt. Durch eine Vermietung

dieses Gebäudes könnte das Unternehmen Erträge erzielen. Diese entgangenen Erträge werden als Opportunitätskosten bezeichnet.

In der Sozial- und Familienpolitik spielen Opportunitätskosten eine Rolle im Sinne eines Ausfalls an Erwerbseinkommen und beruflicher Karriereentwicklung des Individuums aufgrund von Haus- und Familienarbeit, insbesondere der Kindererziehung. So nennt das BMFSFJ als Opportunitätskosten der Kindererziehung den Verlust von Erwerbseinkommen, den Verlust von rentenrechtlichen Ansprüchen und ein erhöhtes Beschäftigungsrisiko. Eine berufliche Auszeit, die sich über viele Monate oder Jahre erstreckt, bringt zudem eine Disqualifikation mit sich.

Opportunitätskosten bezeichnen aber auch den „entgangenen“ Nutzen eines Produktes A, die entstehen, falls zu Gunsten des Konsums von Produkt B auf A verzichtet wird (etwa wegen einer Budgetrestriktion).

Die Opportunitätskosten staatlicher "Einsparpolitik" summieren sich aus den verschenkten Chancen, kurzfristig die Konjunktur und mittelfristig die ökonomischen Wachstumspotentiale zu stärken; mögliche Steuereinnahmen werden auf diese Weise verschenkt."

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