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Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . 5495 Entgegengenommen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5495 Präsident Norbert Kartmann . . . . . . . . . . . . 5495 33. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betref- fend umfassendes Versagen der Sozialministerin – Drucks. 16/4516 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5495 Abgelehnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5510 Petra Fuhrmann . . . . . . . . . . . . . . . . 5495, 5504 Anne Oppermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5498 Kordula Schulz-Asche . . . . . . . . . . . . . . . . 5500 Florian Rentsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5503 Ministerin Silke Lautenschläger . . . . . . . . . . 5507 Dr. Thomas Spies . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5509 Präsident Norbert Kartmann . . . . . . . . . . . . 5510 42. Antrag der Fraktion der FDP betreffend Kinder- schule anstatt gebührenfreies letztes Kindergarten- jahr – Drucks. 16/4526 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5510 Dem Sozialpolitischen Ausschuss, federführend, und dem Kulturpolitischen Ausschuss, beteiligt, überwiesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5524 24. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN betreffend Novellierung des Hessischen Kin- dergartengesetzes dringend notwendig – Drucks. 16/4388 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5510 Dem Sozialpolitischen Ausschuss überwiesen . . . 5524 30. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Freistel- lung des letzten Kindergartenjahres von Elternbei- trägen – Drucks. 16/4463 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5510 Dem Sozialpolitischen Ausschuss, federführend, und dem Kulturpolitischen Ausschuss, beteiligt, überwiesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5524 62. Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend das Recht des Kin- des auf Bildung, Betreuung und Erziehung von An- fang an – früher – länger – besser – Drucks. 16/4553 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5510 Dem Sozialpolitischen Ausschuss, federführend, und dem Kulturpolitischen Ausschuss, beteiligt, überwiesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5524 Dorothea Henzler . . . . . . . . . . . 5510, 5513, 5516 Tarek Al-Wazir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5513 Karin Hartmann . . . . . . . . . . . . . . . . 5514, 5518 Rafael Reißer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5516 Kordula Schulz-Asche . . . . . . . . . . . . . . . . 5518 Ministerin Silke Lautenschläger . . . . . . . . . . 5521 Dr. Andreas Jürgens . . . . . . . . . . . . . . . . . 5523 Reinhard Kahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 5523, 5524 Vizepräsident Frank Lortz . . . . . . . . . . . . . 5524 6. Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregie- rung für ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main (BallrG) und des Gesetzes über den Planungsverband Ballungs- raum Frankfurt/Rhein-Main (PlanvG) – Drucks. 16/4509 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5524 Nach erster Lesung dem Innenausschuss, federfüh- rend, und dem Ausschuss für Wirtschaft und Ver- kehr, beteiligt, überwiesen . . . . . . . . . . . . . . 5539 40. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betref- fend Unterstützung der Kommunen im Ballungs- raum Frankfurt/Rhein-Main – Drucks. 16/4524 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5525 Abgelehnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5539 41. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Rück- nahme der Dringlichkeitserklärung Kultur – Drucks. 16/4525 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5525 Abgelehnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5539 36. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN betreffend Ablehnung des Kulturzwangsver- bands – Drucks. 16/4519 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5525 Abgelehnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5539 Reinhard Kahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 5524, 5538 Frank Gotthardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5525 Minister Volker Bouffier . . . . . . . . . . . . . . 5525 Jürgen Walter . . . . . . . . . . . . . . . . . 5528, 5536 Ministerpräsident Roland Koch . . . . . . . . . . 5530 Mathias Wagner (Taunus) . . . . . . . . . . . . . . 5531 Rudi Haselbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5534 Frank-Peter Kaufmann . . . . . . . . . . . . . . . 5535 Jörg-Uwe Hahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5536 Vizepräsidentin Ruth Wagner . . . . . . . . . . . 5539 Abstimmungsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5569 16. Wahlperiode Plenarprotokoll 16/80 HESSISCHER LANDTAG 12. 10. 2005 80. Sitzung Wiesbaden, den 12. Oktober 2005 Seite Seite Ausgegeben am 4. November 2005 Herstellung: Druckerei Chmielorz GmbH, 65205 Wiesbaden · Auslieferung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postf. 3240 · 65022 Wiesbaden

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Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . 5495Entgegengenommen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5495Präsident Norbert Kartmann . . . . . . . . . . . . 5495

33. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betref-fend umfassendes Versagen der Sozialministerin– Drucks. 16/4516 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5495Abgelehnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5510Petra Fuhrmann . . . . . . . . . . . . . . . . 5495, 5504Anne Oppermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5498Kordula Schulz-Asche . . . . . . . . . . . . . . . . 5500Florian Rentsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5503Ministerin Silke Lautenschläger . . . . . . . . . . 5507Dr. Thomas Spies . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5509Präsident Norbert Kartmann . . . . . . . . . . . . 5510

42. Antrag der Fraktion der FDP betreffend Kinder-schule anstatt gebührenfreies letztes Kindergarten-jahr– Drucks. 16/4526 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5510Dem Sozialpolitischen Ausschuss, federführend,und dem Kulturpolitischen Ausschuss, beteiligt,überwiesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5524

24. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN betreffend Novellierung des Hessischen Kin-dergartengesetzes dringend notwendig– Drucks. 16/4388 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5510Dem Sozialpolitischen Ausschuss überwiesen . . . 5524

30. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Freistel-lung des letzten Kindergartenjahres von Elternbei-trägen– Drucks. 16/4463 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5510Dem Sozialpolitischen Ausschuss, federführend,und dem Kulturpolitischen Ausschuss, beteiligt,überwiesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5524

62. Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN betreffend das Recht des Kin-des auf Bildung, Betreuung und Erziehung von An-fang an – früher – länger – besser– Drucks. 16/4553 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5510Dem Sozialpolitischen Ausschuss, federführend,und dem Kulturpolitischen Ausschuss, beteiligt,überwiesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5524Dorothea Henzler . . . . . . . . . . . 5510, 5513, 5516

Tarek Al-Wazir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5513Karin Hartmann . . . . . . . . . . . . . . . . 5514, 5518Rafael Reißer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5516Kordula Schulz-Asche . . . . . . . . . . . . . . . . 5518Ministerin Silke Lautenschläger . . . . . . . . . . 5521Dr. Andreas Jürgens . . . . . . . . . . . . . . . . . 5523Reinhard Kahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 5523, 5524Vizepräsident Frank Lortz . . . . . . . . . . . . . 5524

6. Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregie-rung für ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes zurStärkung der kommunalen Zusammenarbeit imBallungsraum Frankfurt/Rhein-Main (BallrG) unddes Gesetzes über den Planungsverband Ballungs-raum Frankfurt/Rhein-Main (PlanvG)– Drucks. 16/4509 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5524Nach erster Lesung dem Innenausschuss, federfüh-rend, und dem Ausschuss für Wirtschaft und Ver-kehr, beteiligt, überwiesen . . . . . . . . . . . . . . 5539

40. Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betref-fend Unterstützung der Kommunen im Ballungs-raum Frankfurt/Rhein-Main– Drucks. 16/4524 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5525Abgelehnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5539

41. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Rück-nahme der Dringlichkeitserklärung Kultur– Drucks. 16/4525 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5525Abgelehnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5539

36. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN betreffend Ablehnung des Kulturzwangsver-bands– Drucks. 16/4519 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5525Abgelehnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5539Reinhard Kahl . . . . . . . . . . . . . . . . . 5524, 5538Frank Gotthardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5525Minister Volker Bouffier . . . . . . . . . . . . . . 5525Jürgen Walter . . . . . . . . . . . . . . . . . 5528, 5536Ministerpräsident Roland Koch . . . . . . . . . . 5530Mathias Wagner (Taunus) . . . . . . . . . . . . . . 5531Rudi Haselbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5534Frank-Peter Kaufmann . . . . . . . . . . . . . . . 5535Jörg-Uwe Hahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5536Vizepräsidentin Ruth Wagner . . . . . . . . . . . 5539Abstimmungsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5569

16. Wahlperiode Plenarprotokoll 16/80

HESSISCHER LANDTAG 12. 10. 2005

80. SitzungWiesbaden, den 12. Oktober 2005

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II Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

43. Antrag der Fraktion der CDU betreffend Moderni-sierung und Konsolidierung – Hessen auf einem gu-ten Weg in die Zukunft– Drucks. 16/4527 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5539Angenommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5556

37. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Hessensteigt weiter ab– Drucks. 16/4520 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5539Abgelehnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5556

65. Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betref-fend zukunftsfähige Politik zum Wohle des LandesHessen– Drucks. 16/4556 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5556Abgelehnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5556Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) . . . . . . . . . . 5539Jürgen Walter . . . . . . . . . . . . . . . . . 5542, 5545Michael Boddenberg . . . . . . . . . . . . . . . . 5545Tarek Al-Wazir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5546Jörg-Uwe Hahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5549Ministerpräsident Roland Koch . . . . . . . . . . 5551Ruth Wagner (Darmstadt) . . . . . . . . . . . . . 5555Vizepräsidentin Sarah Sorge . . . . . . . . . . . . 5556

9. Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesre-gierung für ein Gesetz zu dem Staatsvertrag derLänder Baden-Württemberg, Hessen und Rhein-land-Pfalz über die Zusammenarbeit bei derRaumordnung und Weiterentwicklung im Rhein-Neckar-Gebiet– Drucks. 16/4503 zu Drucks. 16/4360 – . . . . . . 5556In zweiter Lesung angenommen:Gesetz beschlossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5556Bernhard Bender . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5556Vizepräsidentin Sarah Sorge . . . . . . . . . . . . 5556

10. Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesre-gierung für ein Gesetz zum öffentlichen Personen-nahverkehr in Hessen (ÖPNVG)– Drucks. 16/4504 zu Drucks. 16/3880 – . . . . . . 5556Nach zweiter Lesung dem Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr zurücküberwiesen . . . . . . . . . . . 5567

26. Antrag der Fraktion der FDP betreffend Sicherungeiner mittelstandsfreundlichen ÖPNV-Politik– Drucks. 16/4394 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5567Dem Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr überwie-sen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5567

46. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschussesfür Wirtschaft und Verkehr zu dem Antrag derFraktion der SPD betreffend Novellierung des Ge-setzes zum öffentlichen Personennahverkehr inHessen (ÖPNV) – Drucksache 16/3880– Drucks. 16/4506 zu Drucks. 16/4484 – . . . . . . 5567Beschlussempfehlung angenommen . . . . . . . . 5567Frank-Peter Kaufmann . . . . . . . . . . . . . . . 5556Hildegard Pfaff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5557Dr. Walter Lübcke . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5559Dieter Posch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5561Mathias Wagner (Taunus) . . . . . . . . . . . . . . 5563Minister Dr. Alois Rhiel . . . . . . . . . . . . . . . 5565Reinhard Kahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5567Vizepräsidentin Sarah Sorge . . . . . . . . . . . . 5567

48. Beschlussempfehlungen der Ausschüsse zu Petitio-nen– Drucks. 16/4469 – . . . . . . . . . . . . . . . . . 5567Beschlussempfehlungen angenommen . . . . . . . 5567Vizepräsidentin Sarah Sorge . . . . . . . . . . . . 5567

Im Präsidium:Präsident Norbert KartmannVizepräsident Frank LortzVizepräsident Lothar QuanzVizepräsidentin Sarah SorgeVizepräsidentin Ruth Wagner

Auf der Regierungsbank:Ministerpräsident Roland KochMinister und Chef der Staatskanzlei Stefan GrüttnerMinister des Innern und für Sport Volker BouffierMinister der Finanzen Karlheinz WeimarMinister der Justiz Dr. Christean WagnerKultusministerin Karin WolffMinister für Wissenschaft und Kunst Udo CortsMinister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung Dr. Alois RhielMinister für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz Wilhelm DietzelSozialministerin Silke LautenschlägerStaatssekretär Dirk MetzStaatssekretär Dr. Walter ArnoldMinDirig Eric SengMinDirig Carsten WilkeStaatssekretär Gerd Krämer

Abwesende Abgeordnete:Jürgen May

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5495

(Beginn: 9.04 Uhr)

Präsident Norbert Kartmann:

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Sieheute Morgen ganz herzlich mit einem fröhlichen „GutenMorgen“ auf den Lippen zur 80. Sitzung in dieser Legisla-turperiode begrüßen und stelle fest

(Unruhe)

– wenn Sie mir zuhören mögen –, dass wir die Tagesord-nungspunkte 1, 2, 3, 5, 7, 11 und 34 erledigt haben.

Wir tagen heute bis ca. 17 Uhr, weil wir das vereinbart ha-ben im Hinblick auf die damals vorgesehenen Feierlich-keiten zum heutigen 60. Jahrestag der Bestimmung derStadt Wiesbaden zur Landeshauptstadt des Landes Hes-sen. Unbeschadet der Veränderung der Tagesordnung beider Stadt Wiesbaden haben wir uns darauf verständigt,dass wir das Ende der Sitzung für 17 Uhr anpeilen. Es istein Gottesdienst vorgesehen und um 18.30 Uhr ein Fest-akt der Stadt Wiesbaden. Sie sind über die Terminlage in-formiert.

Wir beginnen heute mit Tagesordnungspunkt 33, Ent-schließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend um-fassendes Versagen der Sozialministerin, Drucks. 16/4516,mit 15 Minuten Redezeit. Dann folgt Tagesordnungs-punkt 42, und die Punkte 24, 30 und 62 rufen wir da mitauf.

(Unruhe)

– Meine Damen und Herren, es wäre gut, wenn Sie zuhö-ren würden. – Wir beginnen nach der Mittagspause mitPunkt 43, zusammen mit den Punkten 37 und 65, und wer-den am Ende der Sitzung die Petitionen aufrufen.

Noch eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist einDringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und derFDP betreffend nachwachsende Rohstoffe in Hessenkonsequent nutzen – Potenziale für regionale Produkte,Arbeitsplätze, Einkommen und Wertschöpfung erhöhen,Drucks. 16/4558. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das istder Fall. Dann ist dieser Antrag in die Tagesordnung auf-genommen und wird Punkt 67. Er kann, wenn dem nichtwidersprochen wird, mit Punkt 39 aufgerufen werden. –Das ist so, danke schön.

Meine Damen und Herren, das waren die Mitteilungen.Es folgt noch der Hinweis, dass unsere Fußballmannschaftheute Abend wieder einmal versuchen wird, zu gewinnen.

(Günter Rudolph (SPD): Na, na, na!)

– Das war eine Aufmunterung, Herr Kollege.

(Zuruf des Abg. Gerhard Bökel (SPD))

– Herr Bökel, ich bitte Sie, Ihre psychologischen Kräftewirken zu lassen. Einverstanden? – Sie spielt in Langengegen eine Stadtauswahl. Die anderen, die nicht dorthinfahren, gucken dann das Spiel gegen China. Es wird mor-gen früh zu entscheiden sein, wer die schöneren Gesichtermachte.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Wobei die Landtagsmannschaft öfter gewinnt!)

– Das kann passieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich rufe jetztvereinbarungsgemäß Tagesordnungspunkt 33 auf:

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffendumfassendes Versagen der Sozialministerin – Drucks.16/4516 –

Es ist eine Redezeit von 15 Minuten je Fraktion verein-bart. Ich erteile Frau Kollegin Fuhrmann für die Fraktionder SPD das Wort.

Petra Fuhrmann (SPD):

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!Ich möchte diese Rede heute Morgen unter ein Mottostellen, das lautet: Leuchtturm oder Dunkelheit, Bau-trupp oder Abrissbirne?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Sozialmi-nisterium ist ein eminent wichtiges Ministerium. Es istverantwortlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt,für die Gleichberechtigung und Unterstützung von Men-schen und für eine stabile volkswirtschaftliche Situation.

(Beifall bei der SPD)

Frau Lautenschläger, Sie zeigen uns jedoch seit Jahrenvolkswirtschaftlichen Blödsinn – Herr Hahn hat es so ge-nannt. Sie zeigen uns dies, indem Sie die soziale Infra-struktur zerstören, indem Sie die Frauen- und Familien-politik an die Wand fahren und in der Arbeitsmarktpolitiklaufend alte Kamellen auspacken. Sie sind eine Ankündi-gungsministerin geblieben und werden mit diesem Attri-but in die Geschichte Hessens eingehen.

(Beifall bei der SPD)

Wir möchten heute eine Zwischenbilanz ziehen, und ichkann sagen:Wer die „Operation düstere Zukunft“ zu ver-antworten hat, hat sich als Sozialministerin disqualifiziert,und zwar komplett.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben sich aus der sozialen Verantwortung verab-schiedet. Sie haben soziale Einrichtungen platt gemacht.Andere kämpfen Tag für Tag ums Überleben. Aber Sietun immer so, als wäre alles in bester Ordnung. Sie habendie Schuldnerberatung regelrecht ausgehungert. Sie ha-ben bei den Frauenhäusern um 30 % gekürzt. Sie habenEltern- und Erziehungsberatungsstellen, Frauenbildungs-stätten, Arbeit in sozialen Brennpunkten, Obdachlosen-hilfe, Beratung von Haftentlassenen oder das HessischeMütterbüro auf null gesetzt, n-u-l-l. Damit haben Sie ge-zeigt: Sie schaffen keine Leuchttürme, sondern tiefe Dun-kelheit. Bei Ihnen regiert kein Aufbautrupp, sondern dieAbrissbirne.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Wer im Ressort für Frauen zuständig ist, muss auch Frau-enpolitik machen, Politik für und nicht gegen Frauen. Sieaber haben der Auflösung der Frauenministerinnenkon-ferenz auf Bundesebene zugestimmt und haben damitganz klar Ihr Weltbild gezeigt, nämlich Kinder, Küche,Kirche. Sie haben gezeigt, dass Frauenrechte, Gleichbe-rechtigung von Frauen oder Frauenförderung nicht mehrin Ihrem Kopf stattfinden. Sie verstehen einfach nicht,dass es eine eigenständige Frauenpolitik geben muss, weilin dieser Gesellschaft immer noch Diskriminierungherrscht, weil Frauenpolitik kein Anhängsel an Familien-politik ist.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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5496 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Sie lösen die Frauenabteilung im eigenen Haus auf. Sienehmen die Arbeitszeitverlängerung im öffentlichenDienst tatenlos hin, die gerade für Frauen mit Kindern einbesonderes Problem darstellt. Es gibt nicht einmal mehrLippenbekenntnisse zur Frauenförderung. Also auch dakein Leuchtturm, sondern tiefe Dunkelheit in der Frauen-politik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Als Familienministerin verweisen Sie immer stolz auf diekleinen kinder- und familienpolitischen Offensivchen.Ihre schrittweise Erhöhung der so genannten Offensiv-mittel ist ein Witz angesichts der gesellschaftlichen Pro-bleme, die wir haben – das wissen Sie auch –,

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim)(CDU))

und angesichts der Höhe der Unterstützung, die Sie denKindertagesstätten entzogen haben. Ihrer so genanntenfamilienpolitischen Kompetenz verdanken es die Kom-munen, dass ihnen bislang sage und schreibe 300 Millio-nen c entzogen worden sind, die wir als Landesregierungfür den Ausbau der Betreuung vorgesehen hatten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Unruhe beider CDU)

Ihre kleinen Korrekturen werden das Problem der Be-treuungsplätze nicht lösen. – Ich finde es schön, dass dieCDU so laut brummelt.Aber es wäre ganz schön, wenn esein bisschen leiser ginge.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf derAbg. Birgit Zeimetz-Lorz (CDU))

Stichwort: Kindertagesstättengesetz. Ihre Vorgängerin,Frau Mosiek-Urbahn, hat im Jahr 2000 ein Kindertages-stättengesetz angekündigt. Sie haben es 2003 angekün-digt, Frau Ministerin, und jetzt haben Sie das Kindergar-tengesetz um ein Jahr verlängert – eine ganz spannendeAngelegenheit. Das heißt, ein Kindertagesstättengesetzwird es frühestens im Jahre 2007 geben. Wie viele Ankün-digungen sollen den Ankündigungen eigentlich noch fol-gen, Frau Ministerin? Das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Stichwort: Bildungs- und Erziehungsplan. Sie haben die-sen Plan angekündigt und dann ein nacktes Baby aus derTaufe gehoben. – Meine Damen und Herren, 20 Modell-projekte stehen ohne jeden Euro aus dem Landestopf da.

Stichwort: Kindergartenerlass. Sie haben es zumindestnicht verhindert, dass der Kollege Bouffier einen total fa-milienfeindlichen Erlass herausgegeben hat,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

durch den Eltern massiv tiefer in die Tasche gegriffen wor-den wäre. Man könnte sagen, Sie haben es schlicht ver-pennt. Es könnte aber auch sein – das trifft vermutlich zu –,dass Sie dem bei Ihrem Frauen- und Familienbild sogarzugestimmt haben.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Sie machen den Familien das Leben schwer. Familienpoli-tik ist auch kein Leuchtturm Ihrer Politik, sondern eherein schiefer Turm von Pisa.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Fuhrmann, gestatten Sie Zwischenfragen?

Petra Fuhrmann (SPD):

Nein. Da ich eigentlich mindestens eine halbe Stunde Re-dezeit bräuchte, ist mir das jetzt leider nicht möglich.

Sie möchten eine Familienministerin sein, wissen abersehr wohl, dass Frauen und vor allem die Alleinerziehen-den kaum eine Chance haben, Betreuungsplätze zu fin-den, Familie und Beruf in Einklang zu bringen. Ich sageIhnen: Ihre Offensive ändert daran überhaupt nichts, auchwenn Sie sie jetzt auf 18,x Milliönchen hochschraubenwollen. Frau Kollegin, bei den Krippen und Hortplätzenscheinen Sie momentan zwar die rote Laterne an Bayernabgegeben zu haben, zu den Schlusslichtern zählt Hessenaber nach wie vor.

(Ministerin Silke Lautenschläger: Nein, Nordrhein-Westfalen!)

Meine Damen und Herren, wir haben in Hessen für166.000 Kinder von null bis drei Jahren gerade einmal9.000 Krippenplätze. Das sind, selbst wenn ich Ihre eige-nen Zahlen nehme, leider nur 5,7 % für einen Jahrgang.Das ist ein bisschen wenig, wenn Sie das als Schwerpunktbezeichnen. Außerdem steigt die Quote logischerweise,weil wir leider weniger Kinder haben.Auch wenn Sie wei-ter gebetsmühlenartig wiederholen, dass bei dem Ausbaudes Betreuungsangebots der Schwerpunkt der Landesre-gierung auf der Betreuung der unter Dreijährigen liegt,stimmt das einfach nicht. Die GRÜNEN haben Ihnen dasneulich vorgerechnet. Aus dieser Offensive werden über-wiegend Hortplätze gefördert. Ihre familienpolitischeKompetenz ist also ebenfalls null. Auch hier kein Leucht-turm Familienpolitik, sondern Dunkelheit, kein Bautrupp,sondern Abrissbirne.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Mark Wein-meister (CDU))

Meine Damen und Herren, ich komme zu einem weiterenPunkt. Als Sozialministerin sollten Sie Politik für Men-schen mit Behinderungen machen und nicht Politik gegenBehinderte. Bereits vor etlichen Jahren haben wir alsSPD-Landtagsfraktion einen Gesetzentwurf zur Gleich-stellung von Behinderten eingebracht. Sie haben sichquergelegt, Sie haben verzögert, Sie waren dagegen. Jetztist zwar endlich ein Gesetzentwurf über die Zeit gerettetworden, der den Namen aber nicht verdient. Sie haben inPressemeldungen betont, wie wichtig die Barrierefreiheitist – immer wieder, wie Sie das in Pressemeldungen tun.Dann haben Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt, in demdie Barrierefreiheit eine Kannbestimmung ist. Das wissendie Behindertenverbände. Deswegen haben viele gesagt:Ein solches Gesetz brauchen wir nicht.

Sie reden davon, Politik für Behinderte machen zu wollen– und machen das Gegenteil. Sie haben beim Land dasBlindengeld gekürzt. Sie haben bei den familienentlasten-den Diensten für Behinderte um 250.000 c gekürzt. Siehaben den Haushaltstitel „Eingliederung Behinderter“glatt auf null gesetzt. Das ist die Realität. Also auch dakein Leuchtturm, sondern die Abrissbirne. Das spüren dieBehinderten in Hessen.

Meine Damen und Herren, jetzt kommen wir zu demnächsten wichtigen Punkt. Sie sind auch Arbeitsministerinund sollten dies unter Beweis stellen. Frau Ministerin, ichkann mich nicht erinnern, dass das Wort Arbeitsschutz in

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den letzten zwei Jahren auch nur einmal aus Ihrem Mundgefallen wäre.

(Zuruf des Abg. Rafael Reißer (CDU))

Es ist an die Regierungspräsidien abgegeben worden, undseither herrscht Schweigen im Walde.

(Michael Boddenberg (CDU): Sagen Sie doch et-was zum Arbeitsschutz!)

Die Zahl der Auszubildenden ohne Schulabschluss – HerrBoddenberg, Sie müssen nur zuhören – ist dramatischhoch. Sie steigt von Jahr zu Jahr.

(Michael Boddenberg (CDU): Nur Blabla!)

Auch in diesem Jahr werden trotz des hessischen Ausbil-dungspakts Tausende von Jugendlichen vergeblich aufeine Lehrstelle hoffen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in Hessen kommen inzwi-schen auf eine Lehrstelle fünf Bewerberinnen und Be-werber. Damit sind wir das Schlusslicht der westdeut-schen Flächenländer. Das ist ein Skandal für Ihre Politik.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir erreichen in Hessen gerade noch Platz 12 von 16Bundesländern und liegen damit sogar noch hinter Thü-ringen und Mecklenburg-Vorpommern. Ich hätte mir nievorstellen können, dass eine Landesregierung das Land soherunterwirtschaftet.

(Beifall bei der SPD)

Sie überlassen das Problem den Kommunen und derBundesagentur für Arbeit. Sie tun zu wenig. Sie nehmenden Lehrstellenmangel tatenlos hin, anstatt ihn zur Che-finnensache zu machen. Herr Koch hat es irgendwann ein-mal zur Chefsache gemacht.Auch das war wieder nur eineBeruhigungspille für die Öffentlichkeit. Aber das riesen-große Problem für die jungen Menschen in Hessen lösenSie nicht. Sie behaupten, die Zahl der Auszubildenden imLandesdienst sei gestiegen. Eine solche Äußerung ist eineglatte Unverschämtheit.

(Zuruf des Abg. Rüdiger Hermanns (CDU))

Sie verfälschen damit die Statistik, indem Sie die zuvorvon Ihnen abgesenkten Zahlen als Grundlage nehmen.Tatsache ist: Mit 834 neuen Ausbildungsplätzen im hessi-schen Landesdienst – das ist die PE von Frau Lauten-schläger – haben Sie nicht einmal die 903 Stellen aus demJahr 1999 erreicht, die wir im letzten Regierungsjahr hat-ten. Im Jahr 2001 waren es sogar nur 696.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

So kann man Politik auch machen. Ich streiche alles aufnull zusammen und erhöhe dann um 10 % und sage: Ach,wie toll.

(Günter Rudolph (SPD): Das machen sie ständig!)

Sie und Herr Rhiel vertrauen in Sachen Ausbildung dau-ernd darauf, dass die Untätigkeit nicht auffällt. Das Hand-werk in Hessen will in den nächsten drei Jahren zusätzli-che Lehrstellen schaffen. Das ist sehr löblich. Sie tun so-wieso viel. Aber wer springt hin, Herr StaatsministerGrüttner? Herr Staatsminister Grüttner muss natürlichauf den Zug aufspringen.

(Zuruf des Ministers Stefan Grüttner)

Der Mantel des Schweigens ist darüber gelegt. Nun frageich mich, ob sich das Land an der Finanzierung beteiligenwürde. Das fragt sich auch der „Wiesbadener Kurier“. Icherwarte von der Arbeitsministerin klare Aussagen. Ich er-warte, dass sie sich um die Finanzierung kümmert undnicht, dass sie eineinhalbseitige Pressemitteilungen ver-fasst, in denen sie sich vor allem selbst lobt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer in der Fortschreibung seiner Förderprogramme dasBestmögliche sieht, wie Sie es sagen, Frau Ministerin, derhat das Problem nicht begriffen, das wir in diesem Jahr ha-ben, der hat nicht begriffen, dass wir mit Platz 12 von 16Bundesländern nicht zufrieden sein können. Ihrer Aus-rede, die immer kommt, die schlechte rot-grüne Bundes-regierung ist daran schuld, halte ich entgegen, dass dieseVoraussetzungen alle 16 Bundesländer haben. Es machtkeinen Sinn, sich dahinter zu verstecken. Denn anderekönnen es offensichtlich besser. Sie können es nicht.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. GottfriedMilde (Griesheim) (CDU))

Zweiter Punkt zu der Arbeitsmarktpolitik, zu Ihnen, FrauArbeitsministerin. Frau Ministerin, immer wieder kom-men Sie mit den beiden Schlagworten Niedriglohnsektorund Kombilohnmodell. Das sei die Lösung für den Ar-beitsmarkt. Wie oft wollen Sie uns diese Vorschläge ei-gentlich noch auftischen?

(Michael Boddenberg (CDU): Haben Sie auch Ah-nung vom Arbeitsmarkt?)

Ihr eigenes Landesprogramm, das damals mit großemTamtam angekündigt war, das Kombilohnprojekt, sollteder Heilsbringer in Hessen sein. Wenn ich daran erinnerndarf: Es war ein totaler Flop.

(Beifall des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Es waren gerade einmal 150 Teilnehmende in ganz Hes-sen, Frau Ministerin: 150.

(Reinhard Kahl (SPD): Enorm!)

Dann gab es eine Evaluierung dieses Modellprojekts inKassel. Das ist eine wunderbare dicke Broschüre. Ichhabe sie mir angeschaut. In dieser Broschüre zum Kombi-lohnmodell steht eindeutig, dass es Unsinn ist, dass es ein-fach nicht funktioniert, dass es Mitnahmeeffekte gibt undkeine gewünschten Effekte. Insofern sollten Sie an diesemVorschlag nicht weiter beharrlich festhalten.

(Beifall bei der SPD)

Auch bei Hartz machen Sie keine gute Figur. Erst hageltes sehr zu Recht großen Protest gegen Ihre Forderung, dieFamilienangehörigen mit dem Arbeitslosengeld zu belas-ten – was für ein Aberwitz, Frau Lautenschläger. Es istaber auch nicht Aufgabe einer Arbeitsministerin, durchdie Lande zu ziehen und Optionsschilder an den Rathäu-sern und Landratsämtern der Kommunen anzubringen.

(Norbert Schmitt (SPD): Richtig!)

Sie erwecken unermüdlich den Eindruck, Sie würden sichum eine Verbesserung von Hartz kümmern. Meine Güte,Sie setzen auf die Vergesslichkeit der Menschen.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es! – Zuruf des Abg.Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Im Vermittlungsausschuss hat die CDU alle Grausamkei-ten durchgedrückt, um sich jetzt piensig zurückzuziehen

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und zu sagen, sie seien es nicht gewesen, und Verbesse-rungen zu fordern. Herr Kollege Milde, das ist verlogen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Lautenschläger, Sie wollen eine Sozialministerinsein. Sie haben den Sozialetat ohne Not gestutzt und sichnicht im Geringsten um die Menschen gekümmert, dievon Ihren Kürzungen und Streichungen betroffen sind.

(Zuruf von der CDU: Oh!)

– Herr Kollege, da sollten Sie nicht „Oh!“ sagen. Sie ha-ben noch nicht begriffen, wofür eine Sozialministerin zu-ständig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Petra Fuhrmann (SPD):

Herr Präsident, ich komme sofort zum Schluss. – Sie ha-ben die finanziellen Lasten auf die Kommunen abgewälzt.Mit Erlaubnis des Präsidenten: In der „FAZ“ war am04.10. zu lesen:

Unterdessen ist ihr

– gemeint sind Sie, Frau Lautenschläger –

Sozialhaushalt geplündert worden. Das hat ihrnicht weiter geschadet, weil stets Koch die Angriffein der Hauptsache auf sich zog. Die Rechtsanwältinaus dem Odenwald hat daraus die Neigung entwi-ckelt, sich hinter dem Chef oder wahlweise, beiJournalistenanfragen, hinter dem Regierungsspre-cher zu verstecken.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Meine Damen und Herren, das ist nicht das Verhalten, daseine Sozialministerin braucht. Frau Lautenschläger, Ver-stecken ist nicht.

(Beifall bei der SPD)

„Kämpfen für die betroffenen Menschen“, so lauten dasoberste Gebot und die Anforderung für die Sozialminis-terin. Deswegen kann ich sagen: In Ihrem Ressort gibt eskeinen Leuchtturm. Es herrscht Dunkelheit. Es ist keinAufbautrupp unterwegs, sondern die Abrissbirne. Das istdramatisch für Hessen. – Ich bedanke mich.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Ab-geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN)

Präsident Norbert Kartmann:

Das Wort hat Frau Abg. Oppermann für die Fraktion derCDU.

(Frank Gotthardt (CDU): Jetzt spricht eine echteSozialpolitikerin!)

Anne Oppermann (CDU):

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als ich in dervergangenen Woche Ihren Antrag gelesen habe, habe ichmich gefragt, wer bei Ihnen den Antrag geschrieben hat

oder wo Sie schreiben lassen. Aber nach dem, was Sieeben ausgeführt haben, Frau Fuhrmann, habe ich den Ein-druck, dass Sie den Antrag wirklich selbst geschrieben ha-ben.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben eine ausgesprochen selektive Wahrnehmungdessen, was in den letzten Jahren an Positivem in der hes-sischen Sozialpolitik geschehen ist – unter der Verantwor-tung unserer Sozialministerin Silke Lautenschläger, dieeine hervorragende Arbeit macht.

(Beifall bei der CDU)

Sie von der antragstellenden Fraktion mögen ja nochglauben, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben und wasSie, Frau Fuhrmann, gerade ausgeführt haben. Die Men-schen draußen im Lande wissen es aber besser.

(Zurufe von der SPD)

Damit auch Sie von der Opposition in diesen Wissensge-nuss kommen, werde ich Ihnen jetzt zu jedem Punkt IhresAntrags darlegen, dass Ihre Kritik an der Sozialministerinfalsch und unbegründet ist.

Sie schreiben in Ihrem Antrag:

In der hessischen Sozialpolitik ist eine sofortigeKurskorrektur notwendig, damit endlich wieder Po-litik für Frauen, Familien, Kinder und Jugendliche,Seniorinnen und Senioren, Behinderte, Auszubil-dende, Migrantinnen und Migranten sowie für alleBevölkerungsgruppen, die Beratung und Unter-stützung brauchen, gemacht wird.

Frau Fuhrmann, meine Damen und Herren von der SPD,wir verstehen unter einer Politik für Frauen mehr als dieEinrichtung einer Frauenabteilung im Sozialministeriumoder die Wahrnehmung der Rechte von Frauenbeauftrag-ten.

(Zurufe von der SPD)

Frauenpolitik ist eine Querschnittsaufgabe. Dass die Be-hauptung, die Frauenabteilung sei zerschlagen worden,nicht stimmt, wissen Sie so gut wie ich. Im Gegenteil: DieIntegration der Frauenpolitik in die jeweiligen Abteilun-gen, die Ansiedlung der Stabsstelle Frauenpolitik im Mi-nisterinnenbüro und die Einbindung des Grundsatzrefe-rats Chancengleichheit in die Zentralabteilung sorgen füreine systematische ressortübergreifende Einbindung unddamit Förderung der Frauenpolitik in allen anderen Poli-tikfeldern. Damit ist das Thema Frauen überall präsent,nicht nur in einer Abteilung.

Ebenso wenig kann von einer drastischen Beschneidungder Rechte der Frauenbeauftragten die Rede sein. Nein,meine Damen und Herren, Frauenpolitik ist mehr. Frau-enpolitik bedeutet eine Verbesserung der Kinderbetreu-ungsangebote, Frauenpolitik bedeutet Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf, Frauenpolitik bedeutet Vereinbarkeitvon Kindererziehung und Studium, Frauenpolitik bedeu-tet Maßnahmen gegen häusliche Gewalt, Frauenpolitikbedeutet, Berufseinsteigerinnen und Berufsrückkehrerin-nen zu unterstützen. Diese Liste ließe sich beliebig fort-setzen.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Unsere hessische Sozialministerin Silke Lautenschlägerhat viel für die Frauen bewirkt. Wir lassen uns das von Ih-nen nicht kleinreden.

(Beifall bei der CDU)

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Ein Satz zum Thema Frauenbeauftragte. Die Experimen-tierklausel, um die das Hessische Gleichberechtigungsge-setz im Jahre 2002 ergänzt worden ist, bringt die Chan-cengleichheit für Frauen in der Verwaltung voran. Mir hatsich bis heute noch nicht erschlossen, Frau Fuhrmann, wa-rum Sie gegen die Experimentierklausel sind. Lassen Sieuns doch mutig sein und ein neues Instrument anwenden,wenn es der Förderung der Frauen dient.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Beispielhaft möchte ich das Regierungspräsidium in Kas-sel nennen, da es unmittelbar nach der Gesetzesnovellie-rung als erste Behörde in Hessen den erweiterten Spiel-raum genutzt hat und statt der bisherigen stellenbezoge-nen Quotierung das Instrument des Gender Budgetinganwendet. Dieses Modell hat sich bewährt. Die Mitwir-kungs- und Beteiligungsrechte der Frauenbeauftragtensind in keiner Weise eingeschränkt worden. Die erweiter-ten Zuständigkeiten für Themen der Personalentwick-lung, des Gender Mainstreaming und für das Controllingstärken vielmehr ihre Stellung.

Ich komme zum Thema Familien. Mit der Offensive fürFamilienpolitik entwickeln wir Hessen zu einem familien-und kinderfreundlichen Land weiter.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Mit dem Landeswettbewerb „Familienfreundliche Kom-mune“ sind wir in Partnerschaft mit den Kommunen aufdem richtigen Weg. Ich nenne auch den Wettbewerb „Fa-milienstadt mit Zukunft“ und das Projekt „Studieren mitKind“.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Das reicht nicht! Siebrauchen Geld, sie brauchen Unterstützung!)

Der Wettbewerb „Familienfreundlicher Betrieb“ ist inVorbereitung. Auch hier ließe sich die Liste fortsetzen.

Meine Damen und Herren, ist Ihnen eigentlich entgan-gen, dass Hessen Anfang September das Zertifikat für Fa-milienfreundlichkeit erhalten hat?

(Andrea Ypsilanti (SPD):Aber nicht die Landesre-gierung!)

Ihnen entgeht so viel. Wahrscheinlich ist Ihnen auch dasentgangen.

(Frank Gotthardt (CDU): Die lassen sich von Fak-ten nicht irritieren!)

Meine Damen und Herren, die Hessische Landesregie-rung hat sich mit ihrer familienorientierten Personalpoli-tik bundesweit eine Vorreiterrolle erarbeitet. Das Sozial-ministerium hat in Berlin das Zertifikat zum Audit „Berufund Familie“ erhalten, mit dem familienfreundliche Ar-beitsbedingungen bescheinigt werden. Unsere Sozialmi-nisterin Silke Lautenschläger hat viel für die Familien be-wirkt. Wir lassen uns das von Ihnen nicht kleinreden.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Ich komme zum Thema Kinderbetreuung. Die Offensivefür Kinderbetreuung, die die Landesregierung 2001 ge-startet hat, ist ein Erfolgsrenner.

(Lachen des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Meine Damen und Herren, lassen wir Zahlen sprechen.1998 gab es 200.000 Kinderbetreuungsplätze. Heute sindes mehr als 240.000. 1998 gab es knapp 300 Grundschulenmit Betreuungsangeboten. Dieses Jahr sind es 1.094 Schu-

len. Diese Zahlen muss man sich auf der Zunge zergehenlassen und sich vergegenwärtigen.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Für die Offensive für Kinderbetreuung standen im Jahre2002 9,9 Millionen c bereit. Heute sind es 14 Millio-nen c.

(Zurufe von der SPD)

14 Millionen c für 338 hessische Städte und Gemeindenund mehr als 32.000 Betreuungsplätze für Kinder unterdrei Jahren und für Schulkinder. Die Zahl der Krippen-plätze ist seit der Regierungsübernahme 1999 um mehrals 50 % auf fast 10.000 verdoppelt worden.

Nehmen wir den Bereich Tagesmütter: Hessen wird zu ei-nem Land der Tagesmütter. 1,936 Millionen c stehen fürden Auf- und Ausbau der individuellen Tagesbetreuungdurch Tagesmütter und -väter zur Verfügung. Im Jahre2001 waren es 740.000 c. Mittlerweile stehen mehr als13.000 Plätze für unter Dreijährige zur Verfügung.Auch inden nächsten Jahren wird die Kinderbetreuung hohe Prio-rität bei dieser Landesregierung und insbesondere bei un-serer Sozialministerin genießen. Das kann man von derrot-grünen Vorgängerregierung wahrlich nicht behaup-ten.

(Zuruf von der SPD: Warum nicht?)

Unsere Sozialministerin Silke Lautenschläger hat viel fürdie Kinderbetreuung bewirkt. Wir lassen uns das von Ih-nen nicht kleinreden.

(Beifall bei der CDU)

Ich komme zum Thema Jugendliche. Auch hier gäbe eseine Menge zu sagen. Ich nenne beispielhaft die Stich-worte Stärkung des Ehrenamts in der Jugendarbeit undFörderung der Jugendverbände. Ich möchte mich aber aufzwei Themen konzentrieren, nämlich auf die Jugendar-beitslosigkeit und den Lehrstellenmangel. Von nieman-dem wird bestritten, dass die Jugendarbeitslosigkeitbundesweit zu hoch ist und dass der Lehrstellenmangelbundesweit zu groß ist.

(Petra Fuhrmann (SPD): Hessen steht auf Platzzwölf!)

Wir brauchen mehr Wachstum. Die Weichen,

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Frau Fuhrmann, werden jetzt gestellt, nachdem die rot-grüne Bundesregierung abgewählt worden ist. Jetzt kön-nen die Weichen gestellt werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe vonder SPD und dem BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Trotz des bisherigen scharfen Gegenwindes aus Berlin ha-ben Sozialministerin Lautenschläger und die Landesre-gierung hier Beachtliches geleistet. 5.000 junge Menschenwerden jedes Jahr – –

(Petra Fuhrmann (SPD): Hessen steht im Länder-vergleich hinter Mecklenburg-Vorpommern! AlleBundesländer haben die gleiche Bundesregierung!– Weitere Zurufe von der SPD)

– Frau Fuhrmann, mich wundert Ihre Rede überhauptnicht mehr. Sie sind ja noch nicht einmal bereit, zuzuhö-ren, wenn man Ihnen Fakten nennt.

(Petra Fuhrmann (SPD): Doch, ich habe zugehört!)

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– Sie sind noch nicht einmal bereit, zuzuhören.

5.000 junge Menschen werden jedes Jahr in Berufsvorbe-reitungsprogrammen gefördert, die ein Volumen von 18Millionen c haben.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Wir würden zu gern ein-mal von Erfolgen der Landesregierung hören! Esgibt aber keine!)

Für die Ausbildungsprogramme werden jährlich ca. 20Millionen c zur Verfügung gestellt. Damit werden 3.500Ausbildungsplätze gefördert. Ich kann Ihnen auch denHessischen Pakt für Ausbildung nennen.

Das sind nur einige wenige Beispiele für Bereiche, in de-nen die Sozialministerin erfolgreich und umfassend tätigist. Auch das lassen wir uns von Ihnen nicht kleinreden.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte noch auf das Thema Arbeitsmarkt und HartzIV eingehen. In Ihrem Antrag ist das ziemlich kurz be-handelt worden. Sie haben es eben etwas ausführlicherdargestellt.

Frau Sozialministerin Silke Lautenschläger ist es zu ver-danken, dass die Revisionsklausel aufgenommen wurde.Dass die noch amtierende rot-grüne Bundesregierung,ohne die Ergebnisse der Kommunalerhebung abzuwar-ten, jetzt den Bundeszuschuss für die Kommunen strei-chen will, zeigt die Unzuverlässigkeit der noch amtieren-den Regierung.

(Beifall bei der CDU – Norbert Schmitt (SPD):Vorsichtig!)

Mit dem OFFENSIV-Gesetz, dem Existenzgrundlagenge-setz und dem Optionsmodell hat Hessen eine Vorreiter-rolle für eine innovative Arbeitsmarktpolitik eingenom-men. Frau Sozialministerin Silke Lautenschläger hat ei-nen wesentlichen Anteil daran, und das lassen wir uns vonIhnen auch nicht kleinreden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Zur „Operation sichere Zukunft“.

(Petra Fuhrmann (SPD): „Operation düstere Zu-kunft“!)

Die verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik der bisheri-gen Bundesregierung hat zu einem massiven Einbruch beiden Steuereinnahmen geführt und das Land Hessen da-mit in eine finanziell schwierige Lage gebracht.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): So ein Unsinn!)

Die „Operation sichere Zukunft“ war die größte Einspar-aktion in der Geschichte Hessens. Dass auch der Soziale-tat betroffen war, war unvermeidlich. Entgegen Ihren Be-fürchtungen ist jedoch nicht Not und Elend über diesesLand gekommen. Die Strukturen sind flächendeckend er-halten geblieben.

(Petra Fuhrmann (SPD): Weil die Kommunen esaufgefangen haben!)

Die Kommunalisierung sozialer Hilfen ist der richtigeWeg. Die Kreise und die kreisfreien Städte wissen am bes-ten, wie die Mittel eingesetzt werden müssen. Auch dieZielvereinbarung mit den Kommunen ist ein richtigerWeg.

In der Seniorenpolitik leistet unsere SozialministerinLautenschläger Großartiges. Ob es um das Wohnen im Al-

ter oder um die verbesserte Versorgung von Demenz-kranken geht: Die Seniorenpolitik ist bei Ministerin SilkeLautenschläger in den besten Händen, und das lassen wiruns von Ihnen auch nicht kleinreden, meine Damen undHerren.

(Beifall bei der CDU)

Ebenso lassen wir uns die Erfolge bei der Integration aus-ländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht kleinre-den. Als Beispiele nenne ich den Integrationsbeirat, denIntegrationskompass und das Stichwort kultursensibleAltenpflege.

Ein wesentlicher Bestandteil der Integration ist die Spra-che. Wurden für die Sprachförderung im Jahr 2002 nochrund 700.000 c zur Verfügung gestellt

(Zuruf von der SPD: Was ist mit den Kursen?)

– zu den Kursen komme ich noch –, so ist der Ansatz imJahr 2005 auf 3,2 Millionen c heraufgesetzt worden.

Ich möchte Sie vorsichtig daran erinnern, dass es unter Ih-rer Regierungsverantwortung keine Sprachförderunggab. Das Hessische Sozialministerium hatte 1998 – hörenSie gut zu – umgerechnet knapp 1,5 Millionen c für Inte-grationsmaßnahmen im Haushalt. 2005 liegt der Ansatzbei knapp 5 Millionen c.

Präsident Norbert Kartmann:

Ihre Redezeit ist zu Ende, Frau Abg. Oppermann.

Anne Oppermann (CDU):

Das ist sehr bedauerlich.

(Lachen bei der SPD)

15 Minuten Redezeit reichen nämlich einfach nicht aus,um das erfolgreiche, umfassende Handeln unserer Sozial-ministerin darzustellen.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD unddem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Norbert Kartmann:

Das Wort hat Frau Abg. Schulz-Asche, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN.

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Opper-mann, die letzten Worte Ihrer Rede waren bezeichnend.Sie haben gesagt, Sie ließen es nicht zu, dass die Erfolgeder Sozialministerin kleingeredet würden, und dass Siemit 15 Minuten Redezeit nicht auskämen. Wir reden hiernicht über Leuchttürme. Bei dem, was Sie hier vorgetra-gen haben, handelte es sich nicht um einmal um Glüh-würmchen. Mit diesem Vergleich würde man den Glüh-würmchen wahrscheinlich unrecht tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Halbzeitbilanz der hessischen Sozialpolitik ist in derTat vernichtend. Mit anderen Worten: Eine gestaltendeund zukunftsfeste Sozialpolitik findet in Hessen nichtmehr statt. Bei meinem Verständnis von einem Sozialstaatgehe ich sogar so weit, zu sagen: In Hessen findet Sozial-politik gerade gegen die Interessen derjenigen statt, die

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5501

eigentlich der Unterstützung und der Solidarität der Ge-sellschaft bedürften.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Politik von Frau Lautenschläger wurde ein inHessen seit Jahrzehnten bestehender gesellschaftlicherKonsens aufgegeben. Das ist nicht allein eine Frage desGeldes, wie es uns manche glauben machen wollen. Viel-mehr bewegen uns alle die Fantasielosigkeit und die Kalt-schnäuzigkeit, mit der in Hessen Sozialpolitik gemachtwird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die „Operation düstere Zukunft“ ist ein Paradebeispieldafür. Jede Landesregierung und speziell das Sozialres-sort mussten immer mit Kürzungen umgehen, und dashäufige Unverständnis von Finanzpolitikern – Frank seientschuldigt –, was die langfristige Einsparwirkung sozia-ler Leistungen betrifft, kennen Sozialpolitikerinnen undSozialpolitiker jeder politischen Couleur.

Doch die Gretchenfrage in diesem Zusammenhang lau-tet: Nimmt man als Sozialministerin die Verantwortungan, oder wird man – in diesem Fall: Frau – lediglich zumausführenden Organ der Finanzpolitik? Auch wenn ich esin der Vergangenheit nur mittelbar miterlebt habe, stelleich fest, dass es in diesem Land durchaus Sozialministe-rinnen gab, die sich ihrer Verantwortung für die Sozialpo-litik und für die Menschen durchaus bewusst waren.

Was geschah mit der „Operation düstere Zukunft“, durchdie in Hessen der sozialen Landschaft innerhalb eines Jah-res 30 Millionen c entzogen wurden, nachdem bereits imgleichen Jahr zuvor 4 Millionen c gekürzt worden waren?Die Folge war, dass die finanzielle Grundlage und damitauch die in den Neunzigerjahren konstituierte Zu-sammenarbeit zwischen Land, Kreisen, Kommunen undden Trägern sozialer Dienstleistungen zusammenbrachen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund der SPD)

Damit wurde die Sicherstellung gleichwertiger Lebens-verhältnisse der Menschen in den verschiedenen Regio-nen, Kreisen und Gemeinden als sozialpolitisches Zielaufgegeben. Das ist meiner Meinung nach die heftigsteFolge der „Operation düstere Zukunft“. Es wurde undwird immer wieder behauptet, dass die Kürzungen im So-zialbereich unausweichlich und letztendlich intelligent ge-wesen seien. Doch alle Rechtfertigungsversuche sind vonuns bereits widerlegt worden. Deswegen möchte ich hiernicht in die Details gehen, sondern nur einige bestimmtePunkte herausgreifen.

Zur „Operation düstere Zukunft“ ist noch einmal festzu-halten: Sie, Frau Lautenschläger, müssen sich als Sozial-ministerin den Vorwurf gefallen lassen, gerade bei denje-nigen gekürzt zu haben, die unsere Unterstützung und So-lidarität am meisten benötigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund der SPD)

Sie haben bei denen gekürzt, die unsere Unterstützungbrauchen, um ihren Platz in der Gesellschaft zu findenoder zu behaupten. Ich nenne z. B. die Obdachlosen unddie Menschen, die in benachteiligten Stadtvierteln woh-nen, denen Sie das Begleitprogramm „Soziale Stadt“ ge-strichen haben.

Sie haben die Landesförderung für die Schuldnerbera-tung eingestellt und bei der Förderung von Frauenhäu-

sern gekürzt. Entgegen Ihrer virtuellen Öffentlichkeitsar-beit in der Familienpolitik haben Sie die Mittel für die Er-ziehungsberatungsstellen und die Familienbildungsstät-ten gestrichen. Das Gleiche gilt für die Jugendberufshilfe.

Sie haben aber auch das gestrichen, was Ihnen ideologischunlieb war, z. B. die Frauenbildungsprojekte, die Hilfenfür jugendliche Strafgefangene, die Mittel für Suchtprä-vention und Maßnahmen zur Eindämmung vonHIV/Aids – obwohl wir gerade sehen, dass die Zahl dermit HIV infizierten Menschen wieder ansteigt. Die Mittelfür das, was Ihnen ideologisch in den Kram passte, wurdenhingegen nicht gestrichen, sondern zum Teil sogar erhöht.Das gilt z. B. für die Kulturarbeit der Vertriebenen. Auchhier hätten ganz andere Weichenstellungen, z. B. in Rich-tung Drogenprävention und HIV/Aids-Prävention, erfol-gen müssen. All das haben Sie zu verantworten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund der SPD)

Diese Abwendung von denjenigen, die unserer Hilfe be-dürfen, ist tatsächlich das größte Versäumnis der „Opera-tion düstere Zukunft“; denn damit haben Sie sich bewusstvon dem Anspruch einer modernen Sozialpolitik verab-schiedet, nämlich von der Fürsorge für sozial Benachtei-ligte.

Mittelfristig wird eine bislang gut funktionierende sozialeLandschaft ausgetrocknet. Aber langfristig – das ist mei-ner Meinung nach besonders zu betonen – wird es höheregesellschaftliche Folgekosten geben, die vor allem da-durch entstehen, dass die Vielfalt der Präventionsange-bote nicht mehr existiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund der SPD)

Ein weiterer wesentlicher Punkt, der deutlich macht, wiehier Sozialpolitik betrieben wird, ist die Integrationspoli-tik. Obwohl es den Integrationsbeirat gibt, in dem sehrviele Menschen sehr engagiert arbeiten, sendet die Lan-desregierung ständig andere Signale aus. Dazu gehörenunter anderem das Kopftuchverbot für alle Beamtinnenund die Tatsache, dass es nach wie vor keinen islamischenReligionsunterricht an den Schulen gibt. Dadurch wird esüberhaupt erst ermöglicht, dass Kinder in islamistischenKoranschulen abgeschottet werden.

Das wird auch dadurch deutlich, dass Sie bei den Finanz-leistungen für die Integration gekürzt haben. Sie habenRecht, wenn Sie sagen, dass Sie einen großen Teil derMittel für die Sprachförderung ausgeben. In der Migra-tionsforschung ist es ja auch unbestritten, dass Sprach-kenntnisse ein wesentlicher Integrationsbaustein sind.

Meine Damen und Herren, dennoch muss mehr gesche-hen, damit sich Migrantinnen und Migranten in eine Auf-nahmegesellschaft integrieren können. Das weltweit best-funktionierende Integrationsmodell ist nicht die Assimi-lation, sondern die Akzeptanz der Vielfältigkeit der Kul-turen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben auch die Integrationsleistungen gekürzt, von 7,2Millionen c im Jahr 2003 auf 4,9 Millionen c nach der„Operation düstere Zukunft“.Von diesen 4,9 Millionen centfallen allein 3,3 Millionen c auf Sprachkurse. MeineDamen und Herren, für andere Integrationsleistungenbleibt da nicht mehr viel übrig. Das heißt, auch hier habenSie sich von der gestaltenden Sozialpolitik verabschiedet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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5502 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Kommen wir zu einem weiteren Punkt, der Kinder- undFamilienpolitik. Auch hier können wir nur Ihr Versagenfeststellen. Eine gestaltende und mit finanziellen Mittelnausgestattete Kinder- und Familienpolitik ist – entgegender selbstbeweihräuchernden Öffentlichkeitsarbeit derMinisterin, die soeben von Frau Oppermann weiterge-führt wurde – eigentlich nicht vorhanden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Die Philosophie und die Praxis bleiben trotz modernerLippenbekenntnisse eher das Modell Kirchhof. Die Fami-lienpolitik der CDU beschränkt sich auf Virtuelles – aufWettbewerbe, auf „Familienfreundliche Stadt“,

(Petra Fuhrmann (SPD): Auf Familientische!)

„Kinderfreundliche Stadt“, auf Familientage, Fachtageund Familientische. In die Verbesserung der Strukturenwird trotz des belegten Bedarfs nur unzureichend inves-tiert.

Meine Damen und Herren, Kinderfreundlichkeit kannman sicherlich nicht mit Geld kaufen. Dennoch weisensämtliche Untersuchungen darauf hin, dass ein wesent-licher Grund dafür, dass junge Menschen heute kein odernur ein Kind bekommen, darin liegt, dass die nötige Infra-struktur fehlt, um Familie und Berufsleben miteinanderzu vereinbaren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Dennoch sind die Landesmittel von 66,5 Millionen c imletzten Regierungsjahr von Rot-Grün in Hessen auf jetzt18,8 Millionen c im Jahr 2005 hinuntergegangen. MeineDamen und Herren, allein das ist ein Beweis dafür, dassKinder- und Familienpolitik mitnichten ein Schwerpunktdieser Landesregierung ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Die Beliebigkeit, mit der man hier glaubt, Familienpolitikmachen zu können, zeigt sich auch darin, dass der Demo-graphiebeauftragte der Landesregierung, Herr Grüttner,feststellt, dass in Hessen eine Geburtenrate von 1,9 Kin-dern pro Frau notwendig wäre, um dem zu erwartendenwirtschaftlichen Niedergang Hessens entgegenzuwirken.

Abgesehen davon, dass ich mich frage, wie er eigentlich zudiesem Wissen kommt, denke ich, es wird bestimmt nocheinmal Gelegenheit bestehen, darüber zu diskutieren,

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

was das im Prinzip für die Frauenpolitik der HessischenLandesregierung bedeutet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber es gibt auch andere Beispiele für das Versagen derFamilienpolitik dieser Hessischen Landesregierung. In ei-nem Beschluss des CDU-Parteitages am 13.11.2004wurde ein bedarfs- und flächendeckendes Angebot derKinderbetreuung, insbesondere für Kinder unter drei Jah-ren, bis zum Jahre 2010 vorgesehen: Hessen soll zum Landder Tagesmütter werden. Kurze Zeit darauf wurden in denHaushaltsberatungen für diesen gesamten Komplex kei-nerlei zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt. Stattdes-sen wurde ein Schloss gekauft.

Meine Damen und Herren, schon solche Gegenüberstel-lungen zeigen, dass Sie nicht bereit sind, in die Infrastruk-tur für Familien zu investieren. Das zeigt sich dann auch

an den Zahlen. Zurzeit gibt es – das sind die Aussagen Ih-rer eigenen Ministerin – nur 1.448 Tagesmütter in Hessen;nötig aber wären über 5.000.

(Ministerpräsident Roland Koch verlässt die Regie-rungsbank und nimmt neben Dr. Franz Josef Jung(Rheingau) (CDU) auf dem Sitz der Abg. NicolaBeer (FDP) Platz.)

So gibt es im Moment 7.800 Betreuungsplätze für Kinderunter drei Jahren; bedarfsdeckend – auch nach Beschlussder CDU – wären aber 32.000.

Meine Damen und Herren, allein diese Zahlen belegendoch, wie weit Sie davon entfernt sind, Ihre eigenen Ver-sprechungen wahr zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Noch so ein Lieblingskind von Ihnen, bei dem das Vir-tuelle überwiegt und nur wenig Inhalt vorhanden ist: dieOffensive für Kinderbetreuung. Mit diesem Förderpro-gramm macht Hessen angeblich einen Riesenschritt nachvorne – der Stapel der Presseerklärungen dazu ist prak-tisch nicht mehr zu überschauen. Aber von den 29.782Plätzen aus der Offensive für Kinderbetreuung – die an-geblich ein Programm für unter Dreijährige ist – wurdenim Jahr 2005, also im laufenden Jahr, 23.469 für Schulkin-der finanziert.

(Petra Fuhrmann (SPD): Hört, hört!)

Meine Damen und Herren, das Programm „Offensive fürKinderbetreuung“ ist mitnichten ein Kleinkinderpro-gramm,

(Petra Fuhrmann (SPD): So ist es!)

sondern dient dazu, die Defizite der Landesregierung inder Hortbetreuung auszugleichen. Dafür werden dieseGelder verwandt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Obwohl jedes Jahr eine vierstellige Zahl neuer Plätze ent-stehen müsste, um die nachfragegerechte Betreuungs-quote zu erreichen, sind im Jahr 2002 325 Plätze entstan-den, im Jahr 2003 477 und im Jahr 2004 rund 600. MeineDamen und Herren, um bis zum Jahr 2010 unser Ziel tat-sächlich zu erreichen, bräuchten wir jährlich eine mindes-tens vierstellige Zahl neuer Plätze. Wenn Sie in diesemTempo mit dem Ausbau weitermachen, brauchen wir 34Jahre, um die Betreuungsquote von 20 % zu erreichen.Das ist wirklich ein Armutszeugnis für diese Landesregie-rung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Da ist es eigentlich nur noch das i-Tüpfelchen, wenn ichhier den Erlass des Innenministers vom 03.08.2005 er-wähne, in dem defizitäre Kommunen angewiesen werdensollten, für Kinderbetreuungseinrichtungen kostende-ckende Elternbeiträge zu erheben.

(Rudi Haselbach (CDU): Das stimmt überhauptnicht!)

Meine Damen und Herren, hier schwieg die Familienmi-nisterin vornehm, und obwohl es in der CDU-Fraktionschon brodelte, verlor Frau Lautenschläger kein Wortdazu. Zum Glück und dank des hartnäckigen Insistierensder Opposition, auch auf kommunaler Ebene, ist dieser

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5503

Erlass nun obsolet und unser grüner Formulierungsvor-schlag übernommen worden.

Lassen Sie mich zu einem weiteren Themenkomplexkommen, zum Thema Arbeitsmarktpolitik. Bundesweitbekannt wurde die Hessische Sozialministerin mit ihrerAuffassung, dass bei der Arbeitslosenhilfe und beim Ar-beitslosengeld erheblicher Missbrauch bestünde, derschärfer bekämpft werden müsste, sowie durch die Forde-rung nach der Heranziehung von Familienangehörigenzur Finanzierung von Langzeitarbeitslosigkeit.

(Ein Bediensteter hantiert an einer technischenEinrichtung am Boden neben dem Rednerpult.)

– Entschuldigung, ich bin etwas irritiert. Muss das sein,wenn ich hier meine Rede halte?

(Heiterkeit und Zurufe)

Zuerst dachte ich, es sei der Ministerpräsident, der ver-sucht Anschluss zu finden.

(Allgemeine Heiterkeit – Roland Koch (CDU): Ichbin mir aber nicht sicher, ob Sie dann unterbrochenhätten!)

– Ach, Herr Ministerpräsident, für Sie unterbreche ichgerne,

(Heiterkeit)

was immer das heißt.

(Allgemeine Heiterkeit und Beifall)

Bundesweit wurde die Hessische Sozialministerin da-durch bekannt, dass sie den erheblichen Missbrauch beiALG-II-Empfängern massiv bekämpfen wollte, sowiedurch die Heranziehung von Familienangehörigen zur Fi-nanzierung. Ansonsten schwamm sie im Gefolge desjeni-gen, den ich gerade erwähnt habe – der seine selbst inWisconsin überholte Philosophie „Nur wer arbeitet, darfauch essen“ bundesweit wie sauer Bier angeboten hat.

Meine Damen und Herren, obwohl Roland Koch als Ver-treter der B-Länder im Vermittlungsverfahren zum Sozi-algesetzbuch II – also zu Hartz IV – teilgenommen hatbzw. sogar deren Verhandlungsführer war, zeigte sich dasSozialministerium überfordert, in der vorgeschriebenenFrist ein hessisches Ausführungsgesetz zum SGB II vorzu-legen. Auch das vorgelegte Vorschaltgesetz war ein Flopund in der Folge unrühmlich. Erwähnt sei hier nur diepeinliche Falschmeldung zur Anzahl der Optionskommu-nen, die in Hessen zum Zuge kommen sollten. In der Pres-sekonferenz, die vor ungefähr einem Jahr stattgefundenhat, musste der Regierungssprecher einspringen. Er hatverkündet, man stünde im Kontakt mit allen anderenStaatskanzleien und Fachabteilungen, und deshalb seiman sich bei dieser Zahl sicher. Zwei Tage später war dasdann alles nur noch Humbug.

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Letztendlich hat die Hälfte der hessischen Kommunenoptiert. Lassen Sie mich deswegen noch ein Wort zu IhrerArbeitsmarktpolitik sagen. Wir haben mehrfach darüberdiskutiert: Das Entscheidende neben allen anderen Pro-blemen, die wir hier mit den Optionskommunen und dem

Weitergeben von Zahlen haben, ist, dass die kommunaleArbeitsvermittlung gescheitert ist. Es ist das eingetreten,wovor wir immer gewarnt haben, nämlich dass die Ab-schottung der Optionskommunen von der Arbeitsagenturletztendlich auf dem Rücken der Betroffenen ausgetra-gen wird. Das Ergebnis: Die Optionskommunen haben biszum 30.06.2005 4.419 Arbeitslosengeld-II-Empfänger inden ersten Arbeitsmarkt integriert, die Arbeitsgemein-schaftskommunen haben hingegen bis zum 31.08.2005 ins-gesamt 15.167 Personen aus Arbeitslosigkeit in Erwerbs-tätigkeit vermittelt.

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Kollegin, ich habe Ihnen das verbale Tête-à-tête mitHerrn Koch schon gutgeschrieben. Bitte kommen Sie jetztzum Ende.

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Alles klar, ich komme zum Ende. – Meine Damen undHerren, allein schon dies zeigt das Versagen der Landes-regierung.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich finde den Tenor desSPD-Antrags nicht in allen Formulierungen glücklich.Aber letztendlich fordert er die Landesregierung auf, wie-der die sozialpolitische Verantwortung zu übernehmen.Darin können wir ihn nur unterstützen. – Ich danke Ihnenfür Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Norbert Kartmann:

Ich erteile Herrn Abg. Rentsch für die Fraktion der FDPdas Wort.

(Norbert Schmitt (SPD): Jetzt legen Sie aber einmalzu!)

Florian Rentsch (FDP):

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!Ich muss zunächst erkennen, dass die FDP-Fraktion einenneuen Fraktionsvorsitzenden hat – Herr Koch hat die Sei-ten gewechselt.Aber kein Wunder, bei dem, was sich da inBerlin anbahnt, kann ich das nachvollziehen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Norbert Schmitt(SPD))

Frau Kollegin Schulz-Asche, Sie erlauben mir eine Vorbe-merkung. Sie haben gerade gesagt, bei der FDP herrschtBewegungsarmut.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Nicht wirklich!)

Es war so, dass Herr Kaufmann zweimal zu mir kam undfragte,

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Einmal!)

warum wir noch nichts abgegeben hätten. Ich denke, essorgt auf jeden Fall für Bewegung bei den GRÜNEN,wenn sich die FDP so verhält. Das ist doch schon etwas,

(Beifall bei der FDP)

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5504 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

wenn sich einige Kollegen der GRÜNEN richtig be-wegen.

Meine Damen und Herren, meine zweite Vorbemerkung.Ich weiß nicht, wie Sie das in Berlin organisieren wollen.Ich bin relativ überrascht.Wie wollen Sie eine große Koa-lition organisieren?

(Zuruf der Brigitte Hofmeyer (SPD))

Sie sind ja völlig zerstritten. Ich bin gespannt, ob solcheAnträge auch auf Berliner Ebene kommen werden.

(Lebhafte Zurufe)

Vielleicht sollten Sie einmal überlegen, ob Sie auch einegemeinsame Klausurtagung hier in Hessen abhalten soll-ten.

(Norbert Schmitt (SPD): War das ein Angebot füreine Ampel? Darüber reden wir!)

Ich denke, das bietet sich an, Herr Kollege Schmitt. Siemüssen ein Stück zusammenrücken.Wir können vielleichtdie Plätze tauschen; das würde sich auch anbieten.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Sie waren ja nicht beweg-lich, Herr Rentsch!)

Dann können Sie sich besser austauschen.

Präsident Norbert Kartmann:

Herr Kollege Rentsch, gestatten Sie Zwischenfragen?

(Florian Rentsch (FDP): Ich gestatte Zwischenfra-gen, natürlich!)

Die Frau Abg. Fuhrmann möchte etwas fragen. Bitteschön.

Petra Fuhrmann (SPD):

Herr Kollege Rentsch, lieber Florian!

(Zurufe: Oh! – Norbert Schmitt (SPD): Hochinte-ressant!)

Ich möchte gerne fragen, warum sich die FDP, wenn hiereine große Koalition an die Wand gemalt wird, die nochgar nicht beschlossen ist, sondern über die höchstens ver-handelt wird, eigentlich jedem Gespräch mit einer großendemokratischen Partei verweigert hat.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Ja, das stimmt!)

Präsident Norbert Kartmann:

Herr Abgeordneter.

Florian Rentsch (FDP):

Sehr geehrte Kollegin Fuhrmann, liebe Petra – wenn ichdas anfügen darf –,

(Heiterkeit)

die FDP hat ja Gespräche mit der CDU, einer großen de-mokratischen Partei, geführt.

(Erneute Heiterkeit)

Insofern läuft die Frage auf jeden Fall ins Leere.

(Norbert Schmitt (SPD): Die CDU ist aber die klei-nere Partei!)

Meine Damen und Herren, kehren wir zurück zu demThema des heutigen Tages, dem Antrag der SPD zum„umfassenden Versagen der Sozialministerin“; so ist er jabetitelt. Der Antrag ist – das sieht man beim ersten Lesen,und ich glaube, diese Ansicht teilen viele Kollegen – wenigkonstruktiv. Frau Fuhrmann, Sie haben in dem Antrageine Situationsbeschreibung aus Ihrer Sicht vorgenom-men. Das kann man machen. Wir werden gleich zu deneinzelnen Punkten kommen. Aber ich habe – ich dachte,es gäbe eine Seite 2 – Vorschläge der SPD zur Sozialpoli-tik vermisst.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Sie haben jetzt einiges gesagt; das will ich nicht bestreiten.Aber zumindest der Antrag hat zu diesem Thema relativwenig ausgesagt.

Meine Damen und Herren, die SPD thematisiert ver-schiedene Punkte der letzten Jahre – sicher auch Schwer-punkte der hessischen Sozialpolitik –, die wir an dieserStelle nicht zum ersten Mal diskutieren. Das Thema„Operation sichere Zukunft“ war auch aus Sicht der Li-beralen in diesem Haus aus mehreren Gründen keinGlanzstück der Landesregierung.

(Reinhard Kahl (SPD): Richtig!)

Wir sind der Auffassung, dass nicht nur der Stil, wie die„Operation sichere Zukunft“ vorgenommen wurde, falschwar, sondern es hat sich auch gezeigt, dass in Bereichengespart, ja so gekürzt worden ist, dass eine nachhaltigeEntwicklung der Sozialpolitik nicht mehr möglich ist. Eshat sich um kurzfristige Sparergebnisse gehandelt, dieeine nachhaltige positive Entwicklung letztendlich nichtfördern.

Was wir wollen, ist eine Sozialpolitik, die auf die wichtigenZukunftsfelder setzt. Das sind die Bereiche Kinder, Ju-gend und Familie; das ist ganz klar. Darauf legt die FDPauch ihren Schwerpunkt in der Sozialpolitik.

Aber es gibt natürlich auch andere wichtige Themen. Des-halb sage ich: Das Sparpaket war – ich glaube, das müsstedie Landesregierung selbst feststellen, wenn sie das kri-tisch begutachtet – kein Erfolg. Die Landesregierungmuss erkennen, dass das Sparpaket in verschiedene Be-reiche eingegriffen hat, wo wir zwar kurzfristig Einspa-rungen, langfristig aber höhere Kosten haben werden.Meine Damen und Herren, das ist sicher nicht der richtigeWeg für eine moderne Gesellschaftspolitik in Hessen.

(Beifall bei der FDP)

Allerdings – das muss man klar erwähnen – werden hierverschiedene Punkte vermischt. Die SPD schreibt einigeZeilen zur Arbeitszeitverlängerung unter dem Gesichts-punkt der Gleichberechtigung von Männern und Frauen,sozusagen unter dem Gender-Gedanken, und vor allemunter dem Gesichtspunkt der Familienfreundlichkeit. DieLiberalen in diesem Haus sind nicht der Meinung, dassdas Thema Arbeitszeitverlängerung so einseitig diskutiertwerden kann, Frau Fuhrmann.

Die Arbeitszeitverlängerung in Hessen war ein richtigerSchritt und eine nachhaltige Entscheidung, um die Kostendes Landes im Bereich des Personalwesens zu minimie-ren. Wenn Sie sehen, wie viele Stunden Menschen außer-halb des öffentlichen Dienstes arbeiten – nehmen Sie ein-mal Kolleginnen und Kollegen hier im Haus –, werden Siefeststellen, dass 42 Stunden in der heutigen Gesellschaft

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5505

ein relativ kurzer Zeitraum sind. Sie müssen das auch zuder Tatsache gegenrechnen, dass Menschen im öffent-lichen Dienst fast unkündbar sind. Die Entscheidung hatsicher nicht allen gut gefallen; das ist völlig klar. Sie stellteinen Einschnitt und auch eine Belastung für Familiendar. Aber dieser Punkt kann nicht isoliert gesehen wer-den.

Zum Zweiten ist es auch so, dass Familien nicht nur vonFrauen gesteuert werden; so aber sagt es Ihr Antrag aus.Familienbetreuung wird in einem modernen Land auchvon Männern übernommen,

(Petra Fuhrmann (SPD): Ja, aber die 3 % könnenwir im Moment noch vernachlässigen!)

sicher noch untergeordnet; aber auch Männer tun etwasfür Familien. Insofern ist der Antrag an dieser Stelle sehrengstirnig.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum Thema Frauen. Die hessische Familienministerin hat– die FDP hat das unterstützt – im Rahmen der Novellie-rung des Hessischen Gleichstellungsgesetzes gemeinsammit der FDP ein Gesetz mit der Experimentierklauselvorgelegt, das unserer Meinung nach viele Ansätze bietet,um eine wirkliche Politik nach dem Gender-Mainstrea-ming-Gedanken zu machen. Ich will anfügen, dass ichdann, wenn wir über die Frauenpolitik diskutieren, oft dasGefühl habe, dass wir sehr unterschiedliche Ansätze ha-ben und Gender Mainstreaming sehr unterschiedlich aus-legen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das stimmt eindeutig!)

Ich habe oft das Gefühl, dass Sie, Frau Kollegin Fuhr-mann, liebe Petra – ich darf das noch einmal anfügen –, dieFrauenpolitik unter dem alten Fördergedanken und nichtunter dem Aspekt des Amsterdamer Vertrages sehen.Gender Mainstreaming ist eben mehr als alte Frauenför-derung.

(Heiterkeit – Zurufe)

– Herr Ministerpräsident, vielen Dank. Sie haben Recht.Es ist mehr als eine Förderung nach dem alten Muster.Ein solcher Versprecher kann bei diesem Thema in derErregung schon einmal passieren.

Immerhin hat die SPD festgestellt, dass in der Frauenpo-litik anscheinend nur zwei kritische Punkte herauszugrei-fen sind. Insofern hat die Ministerin, denke ich, hier keineschlechten Resultate vorzulegen.

Die Familienpolitik ist ein Schwerpunkt, den wir als FDPganz weit oben ansiedeln. Da, muss ich sagen, hat dieCDU die Messlatte sicher selber sehr hoch gelegt. DieCDU hat ja gesagt: Bis 2010 wird eine flächendeckendeBetreuungsquote umgesetzt sein. – Wir haben hierüber imSozialpolitischen Ausschuss auch sehr energisch disku-tiert. Dort war zu hören, dass das in Schritten erfolgensoll, Frau Ministerin.

(Petra Fuhrmann (SPD): Aber nicht in Schritt-chen!)

Sie wissen auch, dass Sie das Ergebnis bis 2010 mit einerErhöhung der Fördermittel aus der Offensive für die Be-treuung der Kinder von 14 auf 18,2 Millionen c nicht er-reichen können. Das wird nicht ausreichend sein, und mitkleinen Schritten werden Sie die große Etappe nicht hin-ter sich bringen können. Deshalb sind wir sehr gespannt,was die Landesregierung an dieser Stelle weiter vorschla-

gen wird. Wenn man einen Titel wie „Familienland Num-mer eins“ ausgibt,

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Sehrgut!)

muss man den Titel auch mit Argumenten und Leistungenunterfüttern. Davon aber sind wir weit entfernt, Frau Mi-nisterin. Dort gibt es noch viel zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Ein weiterer Aspekt bei der Familienpolitik war die Ent-scheidung des hessischen Innenministers, einen Erlassherauszugeben, nach dem die Familien durch die Kom-munen quasi benachteiligt werden sollten. Meine Damenund Herren, wir haben darüber im letzten Plenum ener-gisch diskutiert. Die Landesregierung hat den Erlass zu-rückgezogen. Wir werten das auch als Erfolg der sehr be-rechtigten und konstruktiven Kritik der Opposition.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will nicht werten, wer dafür verantwortlich war, dasses so weit gekommen ist.

(Norbert Schmitt (SPD): Wir! – Weitere Zurufe:Wir!)

– Sie bestimmt nicht. – Ich will auch nicht werten, wer inder Landesregierung dafür verantwortlich war, dass es soweit gekommen ist. Man kann es auch als Erfolg von FrauLautenschläger auslegen, dass der Innenminister seinenErlass zurückgenommen hat.

(Lachen bei der SPD)

Wir werden dazu sicher noch einiges hören.

Meine Damen und Herren, entscheidend ist, was hintenherauskommt, um einen großen deutschen Politiker zu zi-tieren. Insofern sind wir froh, dass der Innenminister denErlass im Sinne der hessischen Familien zurückgenom-men hat; denn der Weg war falsch. Ich glaube, das habenSie auch erkannt.

(Norbert Schmitt (SPD): Er hatte sich doch in derDebatte verdrückt!)

Der Antrag geht weiterhin auf das Thema „Menschen mitBehinderung“ ein und kritisiert das Gleichstellungsgesetzder Landesregierung, das wir gemeinsam mit der CDU imLandtag eingebracht haben. Frau Fuhrmann, bei der Dis-kussion darüber wundere ich mich wirklich darüber, dassimmer noch die Argumente, die wir vorgetragen habenund die von Ihnen bis jetzt nicht widerlegt sind, angeführtwerden.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Wir sind vom Status quo ausgegangen und haben gesagt:Wir haben in Hessen ein Konnexitätsprinzip. Das heißt:Wenn das Land verpflichtende Maßnahmen für die Kom-munen beschließt, muss das Land sie auch bezahlen. Daswar die Ausgangslage. Wir haben nach der Anhörung einGesetz formuliert, das zugegebenermaßen nicht so weitgeht, wie sich das die Behindertenverbände in Hessen ge-wünscht haben; das ist unbestritten. Aber wir haben einGesetz formuliert, das das Machbare umsetzt und auchMöglichkeiten eröffnet, in den Kommunen über Zielver-einbarungen zu guten Ergebnissen zu kommen. Sie habendamals angekündigt, Frau Fuhrmann, Sie würden dasKonnexitätsprinzip mit einem eigenen Gutachten wider-legen. Wir warten auf das Gutachten noch heute.

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5506 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

(Petra Fuhrmann (SPD): Das stimmt doch garnicht!)

Wir sind gespannt, ob Sie es noch vorlegen.Wir können esdann gern nachlesen.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt betrifft dieThemen Arbeitsmarkt, Lehrstellen etc. Das ist einer derHauptpunkte, die Sie kritisieren, und da bin ich sehr ge-spannt, was sich in Berlin ergeben wird. Ich glaube, wirkönnen der Ministerin in diesem Haus viel vorwerfen – esgibt in jeder Fraktion unterschiedliche Positionen undunterschiedliche Schwerpunktsetzungen in der Sozialpo-litik; die FDP legt den Schwerpunkt auf Kinder, Jugendund Familie –, aber ich finde es wirklich ein starkes Stück,wenn gesagt wird, die Ministerin habe im Bereich des Ar-beitsmarktes nichts getan. Man kann ihr viel vorwerfen;aber das Thema Arbeitsmarkt war bei dieser Landesre-gierung wirklich gut aufgehoben.

(Beifall bei der FDP)

Wir können die Debatte darüber hier gern noch einmalführen, wenn Sie auf Bundesebene gemeinsam mit derCDU die Optionsidee deutschlandweit umsetzen. Aufdiesen Tag freue ich mich ganz besonders.

(Beifall bei der FDP)

Denn so wird es kommen. Auch hier müssen wir wirklichzur Ehrlichkeit zurückkehren. Man kann vieles kritisie-ren; aber ich glaube, das Thema Arbeitsmarkt ist in Hes-sen wirklich in guten Händen.

Die Optionsidee hat Hessen – mit 13 Kommunen bundes-weit Spitze, das ist völlig unbestritten – weitgehend umge-setzt. Hartz IV läuft in vielen Kommunen wirklich vor-bildhaft. Es hat sich auch gezeigt – deshalb ist die Statis-tik, die Sie, Frau Kollegin Schulz-Asche, gerade angeführthaben, nicht zutreffend –, dass die Optionskommuneneine gute Arbeit zum einen für die Betroffenen und zumanderen auch für die betroffenen Wirtschaftsunterneh-men machen. Wenn Sie sich mit den Optionskommunenund mit betroffenen Wirtschaftsunternehmen unterhal-ten, stellen Sie fest, dass in Hessen ein Paradigmenwech-sel stattgefunden hat. Es ist nicht mehr so, dass es ein Amtgibt, an das sich Menschen wenden können, sondern esgibt eine direkte Ansprache.

Ich war vor zwei Wochen in Marburg. Wir haben dort mitden Kollegen gesprochen und gestritten. Dort ist ein Kol-lege von Ihnen beteiligt: Herr Kollege McGovern leitetdort sozusagen den Bereich des ALG II. Das ist eine Er-folgsgeschichte, weil das erste Mal eine direkte Anspracheder Betroffenen stattfindet. Die Förderpolitik betrifft aufder einen Seite die Menschen, die sie brauchen, und esgibt eine direkte Ansprache der Wirtschaft durch dieBundesagentur für Arbeit, was wir früher nicht hatten.Das sind zwei erhebliche Erfolge, und deshalb kann manhier nicht von einem Misserfolg, sondern man muss voneinem Erfolg sprechen.

(Beifall bei der FDP)

Ich bin bei dem Thema Hartz IV auch sehr gespannt, wieSie das in Hessen weiter betreiben wollen. Ihr vorgelegterAntrag – ich nehme einen Antrag vorweg, Frau KolleginSchulz-Asche – ist wieder einmal rückwärts gewandt. Siegehen auf ein Thema ein: Bundesagentur für Arbeit, Stär-kung der Kommunen, die nicht in der Option sind.Wir ha-ben doch die Erfolge, die wir uns gemeinsam in den Kom-munen anschauen können. Mir ist wirklich nicht klar, wa-rum Sie, Frau Kollegin Schulz-Asche, weiter an einer Ideehaften, die mittlerweile durch die Praxis widerlegt ist. Es

wäre schön, wenn Sie so ehrlich sein könnten – ich lassekeine Zwischenfragen zu –,

(Heiterkeit)

zuzugeben, dass das, was in den Optionskommunen anArbeit gemacht wird, wirklich ein Erfolg ist.

Meine Damen und Herren, wir bedauern, dass der Antragder SPD relativ wenig Konstruktives anbietet. Frau Fuhr-mann hat in ihrer Rede, wie gesagt, einen Gesamtverrissder Landesregierung vorgenommen. Das steht der sozial-demokratischen Fraktion in diesem Hause zu. Aber siehat nichts zu dem Thema gesagt, wie es in Hessen mit derSozialpolitik weitergehen kann. Frau Ministerin, was wirals Liberale von Ihnen erwarten, ist, dass Sie eine stärkereSchwerpunktsetzung in den Bereichen Kinder, Jugendund Familie vornehmen.

(Beifall bei der FDP)

Das kann auch dazu führen – das ist dann die Schatten-seite dieser Schwerpunktsetzung –, dass andere Bereichestärker in den Hintergrund treten. Aber das würden wirals FDP in Kauf nehmen, wenn wir wirklich eine klareSchwerpunktsetzung für die Zukunft der Gesellschaft inHessen vornehmen könnten.

Des Weiteren vermisse ich immer noch eine wirkliche wir-kungsorientierte Steuerung der Sozialpolitik in unseremBundesland. Es kann nicht sein, dass wir weiterhin in ei-nem Berichtswesen verhaftet sind, wo Menschen und Ver-bände, die eine Zuwendung bekommen, einen Bericht ab-geben, dass sie die Mittel ordnungsgemäß ausgegeben ha-ben, und wir relativ wenig darüber wissen, wie das Geldbei den Betroffenen angekommen ist. Da müssen wirwirklich weiterkommen. Wir haben dazu Vorschläge ge-macht. Vielleicht kommen wir darüber doch noch in dieDiskussion.Wir werden dieses System auf jeden Fall brau-chen, wenn wir in den Prozess der Kommunalisierung ein-steigen. Dann muss es vorgelegt werden, Frau Ministerin.Dann erwarten wir von Ihnen auch klare Vorschläge, wiewir das vornehmen wollen. Es kann nicht sein, dass wirden Bereich der sozialen Hilfen in Hessen kommunalisie-ren, auf die Kommunen übertragen, und das Land dannaus der Verantwortung zurücknehmen. Das darf nichtsein.

(Beifall bei der FDP)

Wir als Land müssen die Steuerung der Sozialpolitik, derGesellschaftspolitik in Hessen weiter in den Händen be-halten. Nur wenn wir das haben, hat das Land auch eineRechtfertigung; denn sonst, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, müssten wir uns überlegen, ob wir die Landesebenenicht vollständig abschaffen. Dann können wir alles aufdie Kommunen übertragen. Dann haben wir noch denBund, der zwar unter Schwarz-Rot keine Wunderdingevollbringt, aber wahrscheinlich immerhin regieren wird.Also das Land muss seine Steuerungsfunktion behalten.Es muss ganz klar festlegen, was wir in der Sozialpolitikbrauchen, welche Bedürfnisse die Menschen in Hessenhaben und welche Schwerpunkte das Land setzt.

Da sagen wir Ihnen zum Abschluss: Wir würden uns wün-schen, dass die CDU mehr den Schwerpunkt im BereichKinder, Jugend und Familie setzt. Dort gibt es Nachbesse-rungsbedarf. Wir werden zu dem Antrag der SPD mit„Enthaltung“ votieren. Der Antrag enthält im ersten Ab-satz einiges Richtige. Ansonsten ist der Antrag leider völ-lig fehlgeleitet. Er kann keine Zustimmung von uns be-kommen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5507

Präsident Norbert Kartmann:

Das Wort hat die Frau Sozialministerin.

Silke Lautenschläger, Sozialministerin:

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!Liebe Kollegin Fuhrmann, es freut mich immer wieder,dass Sie mich zum Anlass nehmen, hier gemeinsam zu dis-kutieren. Nur, liebe Frau Kollegin Fuhrmann, ein ganzkleines bisschen könnten Sie zumindest beginnen, sich mitSozialpolitik in Hessen auseinander zu setzen und dieZahlen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der CDU – Petra Fuhrmann (SPD):Grottenschlechte Politik!)

Es dient ja immer der Wahrheitsfindung, wenn man sichmit Haushaltszahlen auseinander setzt. Deswegen möchteich Ihnen auch heute Morgen noch einmal einige Zahlenzu den Schwerpunkten nennen, die der Kollege Rentscheben noch einmal angemahnt hat und die wir genau in denBereichen, wenn es um Familienpolitik geht, wenn es umKindergarten und Familie geht, in Hessen 1999 gemein-sam mit der FDP umzusetzen angefangen haben und je-des Jahr fortsetzen.

Ich will nur einige Erinnerungsposten nennen. Im Jahr1999: Kindergartengesetz in Hessen ohne Investitionsmit-telförderung, weil die Investitionen bis dorthin getätigtwaren. Damals waren nach dem Kindergartengesetz noch54,58 Millionen c im Haushalt. Im Jahr 2006 werden es 75Millionen c nach dem Hessischen Kindergartengesetzsein. So sehen es die Planungen vor.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der CDU: Hört,hört!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das heißt aberauch, dass die Zahl der Plätze weiter zugenommen hatund dass wir im gesamten Kinderbetreuungsbereich vonder Krippe über den Kindergarten bis zum Hort in dieserZeit eine Zunahme von 20.000 Plätzen haben.

(Beifall bei der CDU – Hans-Jürgen Irmer (CDU):Die hören überhaupt nicht zu!)

Das macht deutlich, dass in Hessen nicht nur im Krippen-bereich Bedarf bestand, sondern dass wir nach wie vor imKindergartenbereich Bedarf hatten und wir gerade, auchwenn Sie heute nichts mehr davon hören wollen, im Hort-bereich anfangen mussten, aufzubauen, damit es eben ge-rade für die Schulkinder von der betreuenden Grund-schule bis mittags zum Hort überhaupt Angebote in aus-reichendem Maße in Hessen gibt. Das ist nach wie vor einThema. Darüber brauchen Sie nicht zu klagen, meine Da-men und Herren von Rot-Grün; denn Sie hatten dafür ge-sorgt, dass der Hort genauso wie die Betreuung in denSchulen in Hessen vor 1999 nicht stattfand.

(Beifall bei der CDU)

Aber Zahlen machen es ja immer einfacher, damit umzu-gehen. Nehmen Sie die Offensive für Kinderbetreuung,die im Jahr 2000 noch mit 3,5 Millionen c ausgestattet warund in diesem Jahr mit über 14 Millionen c ausgestattetist. Für das nächste Jahr planen wir mit über 18 Millionen c.All das macht deutlich, dass es hier nach wie vor Hand-lungsbedarf gibt; aber im Jahr 2010 wird der aus unsererSicht im Bereich der Krippen umgesetzt sein. Aber esmuss selbstverständlich auch weiter etwas gemeinsam mitder kommunalen Seite getan werden.

Da will ich Ihnen nur sagen, dass es schon spannend ist –das wird sicher auch in Berlin die Koalitionsverhandlun-gen spannend machen –, zu sehen, wie man damit umgeht,dass auf der einen Seite den Kommunen 1,5 Milliarden cfür Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt werden sol-len,

(Norbert Schmitt (SPD): Sie haben doch den Kom-munen 50 Millionen c pro Jahr genommen!)

wovon aber noch nichts angekommen ist, dass auf der an-deren Seite der Kollege Clement dort weitere Kürzungenvornimmt bzw. mit Zahlen hantiert, die keinem Menschenoffen gelegt wurden. Das werden wir jetzt hoffentlich ge-meinsam in Verhandlungen schaffen, damit wir die Zah-len auch behandeln können.

(Beifall bei der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Dahaben Sie ausnahmsweise einmal Recht!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir überdiese Zahlen sprechen, dann wird das deutlich machen,dass wir, wenn die Mittel ankommen, natürlich auch ge-meinsam viel schneller den Bereich der Kinderbetreuungumsetzen können, damit es wieder einen Schub für Krip-penplätze geben wird und wir uns das genauso mit auf dieFahne schreiben, Krippe und Tagesmutter weiter zu för-dern und die Angebote in Hessen weiter vorbildlich aus-zubauen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wenn wir zu den Punkten kommen, gehört dazu auch,dass wir einen Bildungsplan, von dem Sie überhaupt nichtsprechen,

(Petra Fuhrmann (SPD):Von dem habe ich gespro-chen! Sie haben nur nicht zugehört!)

für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Hessen einführen unddort erstmals Möglichkeiten der Verzahnung schaffen, umgerade in den Kindergärten und Grundschulen, wo es ei-nen großen Ansturm gibt, nicht nur Betreuung zu organi-sieren, sondern eben auch den Bildungsakzent deutlich zuverstärken. Das wird Schwerpunkt der Landesregierungbleiben.

(Petra Fuhrmann (SPD):Was haben Sie dafür in Ih-rem Landeshaushalt veranschlagt?)

– Frau Kollegin Fuhrmann, ich weiß, dass Sie gerne da-zwischenrufen, aber ich kann Ihnen sagen: Das Audit Fa-milie und Beruf, das Audit an den Universitäten, dieGründung einer Stiftung, die mit Geld ausgestattet wurdeund z. B. im Bereich der Universität Gießen sowohl For-schung betreibt als auch die praktischen Umsetzungs-maßnahmen mit aufnimmt, all das sind Punkte, die wir inden vergangenen Jahren umgesetzt haben und die ich –das kann ich Ihnen versichern – weiter umsetzen werde.

(Beifall bei der CDU)

Dazu gehört dann auch, dass wir Programme für allein er-ziehende junge Mütter gemacht haben, damit sie in Aus-bildung kommen können. Diese Programme sind tatsäch-lich ein Erfolgsschlager geworden und werden hoffentlichbald auch noch von weiteren Ländern übernommen; denndie Teilzeitausbildung für junge Mütter ist ein ganz wich-tiger Punkt, der Berufschancen für diese eröffnet und Fa-milie, Beruf und Ausbildung überhaupt erst unter einenHut bringt.

Die Sprachförderung im Kindergarten und viele weiterePunkte wären hier anzuführen. Es scheint so, als wolltenSie sich mit dem, was sich in Hessen sehr positiv entwi-

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ckelt, nicht auseinander setzen; aber ich glaube, Sie habensich auch gar nicht die Mühe gemacht, sich in vielen Be-reichen vor Ort das anzugucken, was hier passiert.

Das Gleiche gilt – das hat auch Kollege Rentsch geradeangesprochen – bei den Arbeitsmarktprogrammen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch liebe Kol-legin Schulz-Asche, bei den Arbeitsmarktprogrammenoder beim Thema Option wäre es an der Zeit, dass Sievielleicht beginnen, beide Bereiche anzuschauen, die Op-tionskommunen auf der einen Seite, die nach wie vor vor-bildliche Arbeit machen, und das zum Teil unter sehrschwierigen Bedingungen, weil ihnen Akten erst sehr spätoder unvollständig zur Verfügung gestellt wurden, abergenauso die Arbeitsgemeinschaften in Hessen. Es kommtnicht von ungefähr, Frau Kollegin, dass die Arbeitsge-meinschaften in Hessen zu einem großen Teil den kom-munalen Hut aufsetzen, weil sie vorher zum Teil an derOption Interesse hatten, aber jetzt auch wiederum sagen:Endlich werden uns die Fesseln von Nürnberg genom-men, und wir können kommunal auch die Arbeitsgemein-schaft steuern. – Es gibt enge Kontakte und regelmäßigenGedankenaustausch, und die Vorschläge nehmen wir alsLand jedes Mal auf. Die Vorschläge sind in den letztenJahren immer wieder die gleichen: Wir brauchen wenigerzentrale Steuerung aus Nürnberg, sondern mehr Kompe-tenz vor Ort. – Das wird, kann ich Ihnen versichern, dieHessische Landesregierung auch an dieser Stelle weiterverfolgen.

(Beifall bei der CDU)

Aber das Thema Arbeitsmarkt ist natürlich sehr vielfältig.Schauen Sie es sich einmal genauer an, auch im Landes-haushalt. Die Programme zur Ausbildung und zur Ar-beitsmarktgestaltung, die in den vergangenen Jahren wei-ter aufgestockt wurden, funktionieren dort sehr gut. Nur,meine sehr geehrten Damen und Herren, es scheint jaRot-Grün nicht wirklich zu interessieren, was dort pas-siert. Aber schauen Sie sich doch bitte einmal, wenn Sieüber Sozialpolitik sprechen, alle Felder genau an. Wennwir über Ausbildung reden, gehört Altenpflege mit dazu.Das sind Punkte, die Sie überhaupt nicht hören wollen,weil die Ihnen nämlich richtig wehtun. In der Altenpflegehaben wir erst einmal die Ausbildung reorganisiert. Wirhaben sie in Ordnung gebracht und etabliert, eine Kam-pagne gemacht, dass wieder Altenpflegeausbildung inHessen stattfindet.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

– Frau Fuhrmann, regen Sie sich doch nicht so auf. Ichkann Ihnen die Zahlen im Detail vortragen.

Die Zahlen in der Altenpflegeausbildung in Hessen ha-ben wir gesteigert – vom Jahre 2002 mit rund 1.400 Plät-zen bis zu diesem Jahr in den Landesplätzen auf über2.300 Plätze. Das Spannende an der Sache, was Rot-Grünwiederum nicht nennt, ist, dass das Land Hessen seineMittel ausgebaut hat, aber der Bund parallel die Maßnah-men für die Umschüler gestrichen hat. Das ist der eigent-liche Skandal.

(Beifall und Zurufe von der CDU)

Dort sind die Plätze von 1.500 auf inzwischen 1.300 zu-rückgegangen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Die Nummer funktioniert noch drei Wochen!)

Inzwischen gibt es nur noch ganz wenige Bildungsgut-scheine, die überhaupt ausgegeben werden. Unterhalten

Sie sich vor Ort mit den Altenpflegeheimen, was es be-deutet, wenn die Umschüler herausfallen, wenn es nichtmehr möglich ist, dort mitzufinanzieren, um Ausbildungmöglich zu machen.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Es ist ein Skandal, dass Sie sich um diesen Bereich derAusbildung überhaupt nicht kümmern.

(Beifall und Zurufe von der CDU – Petra Fuhr-mann (SPD): Unverschämtheit!)

Anzufügen wäre im Übrigen, dass wir die Helferausbil-dung in der Alten- und Krankenpflege eingeführt haben –auch gegen Widerstände aus Ihren Reihen –, um Men-schen mit Hauptschulabschluss weiter Zugänge zu er-möglichen, Modellprojekte zwischen Alten- und Kran-kenpflegeausbildung mit Bundesmitteln in Hessen ge-meinsam zu initiieren, weil wir gesagt haben: Wir brau-chen mehr Verzahnungen und müssen in diesen Berufen,die gerade für die Zukunft unserer Gesellschaft ganzwichtig sind, die nämlich auch etwas mit demographischerEntwicklung zu tun haben, mehr unternehmen. – Das al-les hört man von Ihnen nicht, wenn es um Ausbildungs-plätze geht. Das wollen Sie lieber vergessen, denn da ha-ben Sie grundsätzlich versagt.

(Beifall bei der CDU – Widerspruch der Abg. PetraFuhrmann (SPD))

Es gäbe eine ganze Reihe von weiteren Punkten, über diewir uns heute Morgen unterhalten könnten, ob es dasThema Krankenhäuser ist, wo Hessen vorbildlich dasKrankenhausbauprogramm aufgelegt und ausgebaut hat.Wir haben die höchste Investitionsquote unter denBundesländern, wenn es um die Pauschalförderung inKrankenhäusern geht, weil wir genau wissen, dass daswichtige Faktoren sind, die künftig ausgebaut werdenmüssen und die nicht nur Ausbildungs-, sondern auch Ar-beitsplätze in Hessen bedeuten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt vielePunkte, die noch zu nennen wären. Ich habe aber bisherim Ausschuss nicht erlebt, dass Sie sich für diese eigent-lichen Punkte interessieren. Sie beklagen das ThemaFrauenförderung. Dabei haben wir im Gesetz eine Expe-rimentierklausel eingeführt, um mehr Möglichkeiten zueröffnen. Die wird hervorragend genutzt, was sich geradeim Bereich des Regierungspräsidiums in Kassel zeigt. –Die Landesverwaltung ist nach wie vor Vorreiter, wenn esdarum geht, behinderten Menschen einen Arbeitsplatz zugeben und die Quote überzuerfüllen. Alles das sindPunkte, die in den vergangenen Jahren umgesetzt wurden,die wir weitermachen.

Als letzten Punkt möchte ich die Kommunalisierung vonFörderprogrammen nennen. Der Kollege Rentsch hat dieFrage angesprochen, wie wir mit der Kommunalisierungumgehen und wie wir dort Gelder wirklich zielgerichteteinsetzen können. Herr Kollege Rentsch, ich hoffe aufIhre Unterstützung, wenn es um die Landeshauptstadtgeht, dass wir dort die Zielvereinbarungen abschließen.Aber hier wurde erstmals zwischen Kommunalen Spit-zenverbänden, dem Sozialministerium und den Ligaver-bänden eine Zielvereinbarung entwickelt, die es möglichmacht, Gelder zielgerechter und genauer einzusetzen unddort ein Berichtswesen einzuführen, das tatsächlich mitden Zielen verbunden ist und nicht nur bewirkt, dassirgendwelche Daten erhoben werden, die dann keinereinsetzt, wenn es darum geht, die Mittel zu verausgaben.

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5509

Das ist vorbildlich, und das geht jetzt in die zweite Phase,wenn es um den Abschluss geht. Dort arbeiten wir her-vorragend mit den Verbänden der freien Wohlfahrts-pflege wie auch mit der kommunalen Seite zusammen.Das ist ein Punkt, wo wir Mittel zielgerecht einsetzen, waszu Zeiten von Rot-Grün in keinster Weise aufgebautwurde und nach wie vor in den Kinderschuhen ist, umjetzt mit der Liga umgesetzt zu werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, vonRot-Grün müssen wir uns sowohl im Bereich von Ar-beitsmarktprogrammen als auch beim Thema Familien-förderung keine Ratschläge geben lassen. Wir setzen inHessen unser Regierungsprogramm zielgerichtet um. Dasheißt, Kinderbetreuung, Vereinbarkeit von Familie undBeruf, Ausbildung für Kinder und Jugendliche werdenweiter ausgebaut, und im Arbeitsmarkt werden wir genauschauen, was dort vereinbart wird, denn die Option istheute schon ein Erfolg. Den wollen wir gerne auf alle an-deren übertragen.

(Beifall bei der CDU)

Präsident Norbert Kartmann:

Das Wort hat der Abg. Dr. Spies.

Dr. Thomas Spies (SPD):

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ministe-rin, wir hatten wirklich erwartet, dass Sie die Gelegenheitnutzen und uns ein bisschen über Ihre Vorstellung von So-zialpolitik und darüber, wie Sie den desolaten Zustand inHessen in Zukunft korrigieren wollten, erzählen würden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruchbei der CDU)

Wir hatten Visionen erwartet und haben Illusionen einervirtuellen Sozialpolitik bekommen.

(Beifall bei der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Le-sen Sie einmal Ihren Antrag!)

Nichts. Aber auch wirklich an keiner einzigen Stelle er-kennt man eine Einsicht daran. Der Bierdeckel scheint fürdie Union eine besondere Bedeutung zu haben. Jedenfallspasst die Sozialpolitik in Hessen auf einen solchen, wennman Ihren Erfolg messen will.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich fange mit einem Beispiel an. Frau Ministerin, Sie wol-len uns hier immer erzählen, eine der bedeutendsten Leis-tungen der Sozialpolitik in Hessen in Ihrer Amtszeit seinun ausgerechnet Familienpolitik und Betreuungspolitik.Dann kommen Sie mit Litaneien von Zahlen. Die begin-nen eigenartigerweise immer erst im Jahre 2000. Im Jahr2000 gab es Landesmittel für Kinderbetreuung von 2Millionen c. Und Sie begrüßen es, dass Sie das auf 17Millionen c gesteigert haben. Das begrüßen wir auch.Aber mit großem Bedauern nehmen wir hin, dass diese 2Millionen gerade einmal 3 % der Mittel waren, die Rot-Grün für Kinderbetreuung ausgegeben hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Wenn Sie es über die Jahre auf ein stolzes Viertel der Lan-desmittel gebracht haben, die noch Rot-Grün für Kinder-betreuung ausgegeben hat, nämlich gerade einmal 17Millionen gegenüber 66 Millionen c, und dann ständig er-

klären wollen, das sei eine bedeutende landespolitischeLeistung,

(Ministerpräsident Roland Koch: Sie müssen nichtschreien!)

dann kann man doch nichts anderes sagen, als dass Sie dieLeute über den Tisch ziehen wollen. Meine Damen undHerren, wenn man sich die Steigerung der Zahl der Be-treuungsplätze anschaut, nehmen wir das mit Freude zurKenntnis. Frau Oppermann, ich habe mit Interesse IhreZahlen gehört. Es wäre einmal sehr interessant, wie vieledieser zusätzlichen Betreuungsplätze eigentlich nur da-durch entstanden sind, dass eine bundesrechtliche Ände-rung mit der Möglichkeit für Tagesmütter, nach Registrie-rung einen Rentenversicherungsbeitrag mitfinanziert zubekommen, dazu geführt hat, dass sich Tagesmütter regis-trieren lassen, die nun auf einmal als zusätzliche Betreu-ungsplätze erscheinen. Die gab es vorher genauso. Eswusste nur keiner.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich mir gerade die Familienpolitik dieser Landesre-gierung anschaue: Statt Familienpolitik finden Familien-tage statt. Diese Landesregierung des Wettbewerbswe-sens – ich weiß, dass Sie den Wettbewerb so loben. AberFamilienwettbewerbe ersetzen keine Familienpolitik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Ich habe mit Interesse gehört, wie Sie zum Schluss ange-fangen haben, ausgerechnet die Gesundheitspolitik dieserLandesregierung zu loben, die seit über zwei Jahren nichtin der Lage ist, auch nur eine vorsichtige Prognosezahl,was z. B. die Versorgungsbedarfe im Gesundheitsbereichangeht, zu liefern. Seit zwei Jahren fordern wir das ein, seitzwei Jahren gibt es das nicht. Dann wäre ich an IhrerStelle sehr vorsichtig, mich dafür zu rühmen. Ich schauemir an, wie Sie die Kommunalisierung sozialer Leistungenbetreiben. Dann entdecke ich – es überrascht mich immerwieder – eine große Übereinstimmung mit HerrnRentsch, sozusagen einem heimlichen Etatist in den Rei-hen der FDP; jetzt hört er gar nicht zu. Er hat völlig Recht.Wie Sie Kommunalisierung betreiben, ist es nichts ande-res als die Entledigung der Landespolitik von der Ver-pflichtung für Soziales. Nein, meine Damen und Herren,früher konnte man darauf vertrauen, dass konservativeSozialpolitik, aus christlicher Soziallehre gespeist,

(Zurufe von der CDU: Oh!)

zwar eine gewährende Wohlfahrtspolitik war, eine, die im-mer ein bisschen den Gestus der Gnadenhaltung in sichtrug, aber doch die Verantwortung für das Gemeinwohl andieser Stelle sehr ernst nahm. Darin unterscheiden wir unssehr grundsätzlich, weil Sozialdemokraten Sozialpolitikals einen Anspruch der Empfänger betrachten und nichtals eine Gnadenleistung. Was wir aber in Hessen feststel-len müssen, ist, dass diese Grundlage hessischer Sozialpo-litik völlig entfallen ist. Sozialpolitik findet in Hessennicht mehr statt. Diese Ministerin ist die Totengräberin ei-ner hessischen Sozialpolitik. Das hat Hessen nicht ver-dient. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU)

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5510 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Präsident Norbert Kartmann:

Meine Damen und Herren, es liegt keine weitere Wort-meldung vor. Da es sich um einen Entschließungsantraghandelt, können wir jetzt zur Abstimmung kommen.

Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD,Drucks. 16/4516, seine Zustimmung geben möchte, denbitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Stim-menthaltung? – Damit stelle ich fest, der Antrag ist abge-lehnt bei Zustimmung durch die Fraktionen der SPD undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Ablehnung durch dieFraktion der CDU und bei Enthaltung der Fraktion derFDP.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 42 auf:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend Kinderschuleanstatt gebührenfreies letztes Kindergartenjahr – Drucks.16/4526 –

Dazu rufe ich Tagesordnungspunkt 24 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-treffend Novellierung des Hessischen Kindergartengeset-zes dringend notwendig – Drucks. 16/4388 –

Ebenso rufe ich Tagesordnungspunkt 30:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend Freistellung desletzten Kindergartenjahres von Elternbeiträgen – Drucks.16/4463 –

sowie Tagesordnungspunkt 62 auf:

Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN betreffend das Recht des Kindes auf Bildung,Betreuung und Erziehung von Anfang an – früher – län-ger – besser – Drucks. 16/4553 –

Die vereinbarte Redezeit für diese Tagesordnungspunktebeträgt 15 Minuten je Fraktion. Ich erteile zunächst FrauKollegin Henzler für die Fraktion der FDP das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Dorothea Henzler (FDP):

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir habeneben sehr emotionale und gegensätzliche Reden gehört.Ich will deshalb doch einmal festhalten, dass es auch The-men gibt, bei denen Gemeinsamkeiten bestehen. Das istzumindest vom Grundsatz her so. Diese Gemeinsamkei-ten betreffen den weiter einzuschlagenden Weg. Außer-dem haben diese Gemeinsamkeiten sehr viele Verände-rungen im Bewusstsein der Bevölkerung und im Bewusst-sein der Politik erbracht.

Als ich 1985 in Oberursel als Stadtverordnete anfing, be-gann die Diskussion über einen Kindertagessstättenent-wicklungsplan. Der Kommentar des damaligen Sozialde-zernenten lautete so – Herr Staatssekretär Krämer kenntihn sehr gut, später war es nämlich sein Kämmerer –: Erwolle doch einmal anmerken, dass es in Oberursel nochMütter gebe, die ihren Kindern ein Mittagessen kochenkönnten, deshalb bräuchte man in Oberursel keinen Kin-dertagesstättenentwicklungsplan.

Die Kommentierung des Sozialdezernenten der Nachbar-stadt Bad Homburg war wie folgt: Soll ich die Kindergär-ten bauen, damit die Mütter morgens auf den Tennisplatzgehen können?

So verlief die Diskussion 1985. Das ist inzwischen 20 Jahreher. Trotz allem will ich bemerken, dass sich in diesen 20

Jahren in den Köpfen der Bevölkerung und auch in derpolitischen Meinung eine wirklich deutlich spürbare Ver-änderung zum Thema Kinderbetreuung und Kindertages-stätten ergeben hat.

(Beifall bei der FDP – Nicola Beer (FDP): Gott seiDank!)

– „Gott sei Dank“ ist das so, das kann man wohl sagen.

Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass El-tern Familie und Beruf vereinbaren wollen und auch müs-sen. Das beginnt damit, dass Frauen heute berufstätig undgut ausgebildet sind. Sie ergreifen einen Beruf. Dann er-hebt sich natürlich die Frage, was Mann und Frau machen:Entscheiden sie sich für oder gegen ein Kind? Entschei-den sie sich für oder gegen den Beruf? Wenn Sie die Be-troffenen wirklich fragen, können Sie feststellen, dass sieim Grunde genommen beides wollen. Sie möchten einenBeruf haben. Sie möchten aber auch eine Familie haben.

Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es,volkswirtschaftlich gesehen, unsinnig ist, gut ausgebildeteFrauen an den Herd zu schicken. Wenn Sie mit Personenaus den Firmenleitungen sprechen, werden Sie feststellen,dass die Ihnen sagen: Wir haben Frauen, die in ihrem Be-ruf top sind. Wenn die in den Mutterschutz gehen und wirsie durch eine neue Person ersetzen müssten, die wir kom-plett neu aufbauen müssten, dann würde uns das unend-lich viel mehr Geld kosten, als wenn wir ihnen währendder Zeit des Mutterschutzes die Gelegenheit bieten, sichweiter- und fortzubilden, und ihnen hinterher jeglicheMöglichkeit der Teilzeitarbeit bzw. der Flexibilisierungder Arbeitszeit anbieten.

In vielen Firmen hat sich die Einsicht durchgesetzt, dassdie Eltern sehr viel ruhiger und produktiver arbeiten,wenn sie wissen, dass ihre Kinder gut aufgehoben sind,und wenn sie wissen, dass es auch Maßnahmen für denNotfall gibt, also etwa für den Fall, dass ein Kind einmalkrank wird. Es beruhigt sie, wenn sie wissen, dass ihnendann die Arbeitgeberseite entgegenkommt.

(Beifall bei der FDP)

Außerdem hat sich auch die Erkenntnis durchgesetzt,dass die Erziehung und die Sozialisierung der Kinder sehrviel besser und einfacher erfolgen kann, wenn sie mög-lichst früh mit anderen Kindern zusammenkommen unddamit aus der Königsrolle der so genannten Einlinge her-auskommen. Denn heute gibt es überwiegend die Ein-kindfamilie.

Viele dieser Erkenntnisse hat schon die in der Legislatur-periode von 1995 bis 1999 tagende Enquetekommission„Familienfreundliches Hessen“ des Hessischen Landtagszusammengetragen und in ihren Bericht hineingeschrie-ben. Ich habe die Diskussion über die Kinderbetreuungs-einrichtungen verfolgt und kann deshalb sagen: Vieles,was diese Enquetekommission damals gesagt hat, findetsich jetzt in dem wieder, was die Politik umsetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Seit Veröffentlichung der Ergebnisse der PISA-Studie hatdie Kindertagesbetreuung eine Doppelfunktion. Wir sinduns alle darüber einig, dass man seit Veröffentlichung derErgebnisse der PISA-Studie der Auffassung sein muss,dass in der Kindertagesstätte die Aufgabe der Betreuungvon dem Bildungsauftrag nicht mehr getrennt werdenkann.

Das wird auch durch die Hirnforschung belegt. Zum Bei-spiel gibt es die Aussage, dass, wenn man eine Fremdspra-

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5511

che bis zum fünften Lebensjahr lernt, sie in der gleichenHirnhälfte erlernt wird, in der man auch die Mutterspra-che lernt. Deshalb muss die Fremdsprache in diesem Fallim Gehirn nicht übersetzt werden. Deshalb spricht maneine Fremdsprache, wenn man sie bis zum fünften Le-bensjahr gleichzeitig lernt, so gut wie die Muttersprache.

(Beifall bei der FDP)

Bei der Diskussion über die Kindertagesstätten könnendeshalb die Aspekte Bildung und Betreuung sowie dieKosten der Bildung und der Betreuung nicht mehr ge-sondert diskutiert werden. Das kann man nur noch ge-meinsam besprechen.

Über den Kindergarten wurde in Hessen in letzter Zeitunter Bezugnahme auf diese drei Aspekte sehr kontro-vers diskutiert. Ausschlaggebend hierfür war zum einendas Grundsatzurteil des Verwaltungsgerichtshofs in Kas-sel zur Finanzierung der Betriebskostenzuschüsse. Aufmanche Gemeinden werden dadurch etliche zusätzlicheKosten zukommen, falls das wirklich umgesetzt werdensollte. Dann gab es die Leitlinie des Innenministers zurKonsolidierung der kommunalen Haushalte. Sie ist zumGlück zurückgezogen worden. Denn sie hat auch eine füruns nicht tragbare Regelung hinsichtlich der Elternent-gelte enthalten.

Kindergartenplätze und ein gutes Angebot an Betreu-ungseinrichtungen sind für die Städte und die Kreise einStandortfaktor. Den sollte man insbesondere auch mitBlick auf die demographische Entwicklung bei weitemnicht unterschätzen.

(Beifall bei der FDP)

Die Einführung des Bildungs- und Erziehungsplans fürKinder von 0 bis 10 Jahren, der jetzt in die Erprobungs-phase geht, ist ein weiterer guter Schritt in die richtigeRichtung. Denn zum ersten Mal gibt es eine Leitlinie fürdie Betreuung und Bildung der Kinder von Geburt an.

Begonnen hat die ganze Debatte über die Gebühren fürdie Nutzung der Kindergärten im Jahre 2001, und zwarmit einer Rede, die Dr. Wolfgang Gerhardt auf demBundesparteitag der FDP in Düsseldorf gehalten hat.

(Beifall bei der FDP)

Weit vorausdenkend – das macht er immer so – hat er da-mals die Frage gestellt: Warum müssen Eltern in der An-fangsphase, also in der Phase, in der die Kinder noch kleinund die Eltern ohnehin finanziell sehr stark belastet sind,für die Bildung ihrer Kinder relativ viel Geld bezahlen,während die Kinder später, wenn sie eigentlich erwachsensind – sie sind dann schon volljährig und studieren –, kos-tenlos studieren dürfen? Durch diese Provokation – daswar schon ein bisschen provokativ – wurde eine Diskus-sion angestoßen. Sie kam damit ins Rollen. Heute be-schäftigen wir uns deshalb mit den Gebühren für die Kin-dertagesstätten.

Der Wunsch der Entlastung der Eltern einerseits und dieAufgabe, alle Kinder an elementare Bildung heranzufüh-ren und das Sozialverhalten und die kognitiven Fähigkei-ten zu fördern, würden am besten durch das Modell derKinderschule der FDP erfüllt. Ich will den Begriff nocheinmal erklären. Ich konnte nach Lesen des Antrags derGRÜNEN erkennen, dass das Modell anscheinend im-mer noch nicht ganz richtig verstanden wird, obwohl wires vor zwei Jahren vorgestellt haben.

(Zuruf)

– Der Begriff wurde gewählt, weil er zeigt, dass wir dieVerknüpfung von Kindergarten und Schule wollen. Diessoll wirklich ein Bindeglied in der Ausbildung der Kinderund zur Vorbereitung auf die Schule sein. Es soll sich da-bei um ein für alle Fünfjährigen verpflichtendes Jahr han-deln.Am Beginn dieses Jahres muss zunächst eine ausgie-bige Diagnose der Stärken und Schwächen jedes Kindesstehen.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP))

Durch ein auf das jeweilige Kind abgestimmtes Gesamt-konzept mit spielerischem Lernen, musischen und künst-lerischen Aktivitäten, Lernen im naturwissenschaftlichenBereich sowie mit Bewegung und Gesundheitserziehungsollen die kognitiven, sozialen und motorischen Fähigkei-ten der Kinder gefördert werden. Damit soll die Grund-lage für die spätere Freude am Lernen gelegt werden.

(Beifall bei der FDP)

Die GRÜNEN kritisieren das in ihrem Dringlichen An-trag. Darin wird nämlich ausgesagt, das sei eine einseitigeVorbereitung auf die Schule. Das ist es natürlich nicht.Vielmehr werden die Begabungen spielerisch ausgebildetwerden. Fehlende Fähigkeiten sollen in einem Aufholpro-zess erworben werden. Natürlich soll es letzten Endesauch auf die Schule vorbereiten und die Startchancen ver-bessern.

Das ist ab dem fünften Lebensjahr nicht zu früh. Ich weiß:Viele stoßen sich daran, dass dann ab dem fünften Le-bensjahr eine Art Schulpflicht bestehen würde. – Sie soll-ten sich aber einmal in unseren Nachbarländern um-schauen: Da gehen die Kinder selbstverständlich ab demdritten Lebensjahr in vorschulische Einrichtungen,manchmal geschieht dies verpflichtend auch ab dem vier-ten oder fünften Lebensjahr.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Warum macht man das dann nicht ab demdritten Lebensjahr?)

– In Frankreich sind die Kinder in der Ecole maternelle abdem zweiten Lebensjahr. Das ist freiwillig. Aber imGrunde genommen besuchen fast alle Kinder die Ecolematernelle.

Durch individuelle Förderung sollen Defizite ausge-glichen und Begabungen speziell gefördert werden.

Bei der Kinderschule handelt es sich um ein pädagogi-sches Konzept. Räumlich kann sie an eine Kindertages-stätte oder an eine Grundschule angebunden sein. Daskann je nachdem erfolgen, wo sich aufgrund der Bevölke-rungsentwicklung freie Räume ergeben.

Die Kinderschule soll mit Erzieherinnen, Sozialpädago-gen und Grundschulpädagogen besetzt werden. Außer-dem muss sie ein eigenes pädagogisches Konzept haben.Hierzu könnte man sicherlich sehr viel von den Eingangs-stufen lernen, die im Grunde genommen auch mit Kin-dern ab dem fünften Lebensjahr beginnen.

Die Kinderschule weist eindeutige Vorteile auf. Sie er-möglicht eine finanzielle Entlastung der Eltern. Außer-dem ermöglicht sie eine individuell abgestufte vorschuli-sche Bildung aller Kinder.

(Beifall bei der FDP)

Da alle Kinder erfasst würden, würden sie alle auch diegleichen Startbedingungen haben. Das wäre wirklicheChancengleichheit. Nachher werden wir wieder über ei-

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5512 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

nen Gesetzentwurf reden, bei dem es um Chancengleich-heit gehen soll.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Die verpflichtende Kinderschule ist natürlich eine Schuleund damit eine Angelegenheit des Staates. Sie fällt damitin die Zuständigkeit des Landes. Allerdings fordern wirweitergehend, dass, je mehr die Kindertagesstätten zu Bil-dungseinrichtungen werden, sie in Zukunft auch in dieZuständigkeit des Kultusministeriums überführt werdensollen.

Die Kinderschule kann durchaus finanziert werden. Dennmit ihr würden die Vorschulklassen überflüssig. Die Ein-gangsstufen könnten aufgelöst werden. Außerdem würdeauch der flexible Eingang, der zusätzlich Personal bindet,mit der Einführung der Kinderschule entfallen.

Die Kommunen und die freien Träger würden für einenganzen Jahrgang die Betreuungskosten in den Kindergär-ten sparen.

Die Kinderschule stellt also das Königsmodell dar. Unab-hängig davon ist aber auch eine Weiterentwicklung derKindertagesstätten notwendig. Wegen der demographi-schen Entwicklung – wir haben weniger Kinder – ist eineÖffnung der Kindertagesstätten für jüngere Kinder, alsosolche ab dem zweiten Lebensjahr, sinnvoll. Die Räumegibt es. Das Personal ist vorhanden. In vielen Kommunenwird das bereits gemacht. Auch eine Öffnung dieser Ein-richtungen für die Schulkinder am Nachmittag wird mitt-lerweile durchgeführt, wenn sich dort nicht mehr so vieleKindergartenkinder in den Räumen aufhalten.

Dazu bedarf es in den Kindertagesstätten aber eines bes-seren und weiter gehenden Personalmixes. In diesem Zu-sammenhang müssen wir durchaus noch einmal über dieMindeststandards und die für den Kindergarten zugelas-senen Personalkapazitäten reden. Kinderkrankenschwes-tern, Kinderpfleger oder auch Grundschullehrerinnen ge-hören dort mit hin, die zusätzlich die Vorbereitung auf dieGrundschule übernehmen könnten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Es ist auch nicht einzusehen, dass man in den Kindergär-ten nicht mehr Eltern oder Großeltern einbezieht. Wirmachen das jetzt sogar bei den Unterrichtsausfällen inden Schulen. Wenn man Menschen hat, die mit Kinderngerne umgehen, die mit Kindern etwas machen können,dann kann man sie genauso gut in den Kindergarten ho-len. Es gibt zum Teil schon sehr erfolgreiche Versuche mitLesepaten, wo ältere Menschen in den Kindergarten ge-hen und mit den Kindern lesen, den Kindern vorlesenoder auch Märchen erzählen – eine Erfahrung, die vieleKinder zu Hause in der Familie gar nicht mehr machenkönnen.

Auch die Erzieherinnenausbildung bedarf andererSchwerpunkte. Sie sollte auch mehr Fort- und Weiterbil-dungsmöglichkeiten und dadurch bedingt auch Aufstiegs-möglichkeiten aufweisen. Auch hier muss man überlegen,ob man eine Fortbildungspflicht für Erzieherinnen ein-führt, wie wir sie jetzt für die Lehrerinnen und Lehrer anden Schulen eingeführt haben.

Zu den vorliegenden Anträgen möchte ich Folgendes sa-gen: Wir unterstützen natürlich grundsätzlich die Forde-rung nach einer Gebührenfreiheit für die halbtägige Be-treuung in Kindertagesstätten. Eine ganztägige Betreu-ungsgarantie für alle Kinder quasi von Geburt an, wie sieim Dringlichen Antrag der GRÜNEN steht, halten wir

allerdings weder für finanzierbar noch für wünschens-wert.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten derCDU)

Meine lieben Damen von den GRÜNEN, das geht auchan den Wünschen der Eltern völlig vorbei.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Völliger Käse!)

Ich habe es vorhin gesagt: Eltern wollen eine Vereinbar-keit von Familie und Beruf, aber nicht unbedingt dadurch,dass sie die Kinder den ganzen Tag in eine Betreuungs-einrichtung geben.

(Beifall bei der FDP)

Sie wollen das mit flexiblen Arbeitszeiten vereinbarenkönnen.

(Sarah Sorge und Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN): Es geht um das Angebot, nichtum eine Pflicht!)

Es geht hier um eine Betreuungsgarantie. Es tut mir sehrLeid, das halte ich weder für finanzierbar noch für wün-schenswert.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten derCDU)

Wir haben schon immer argumentiert, dass wir das Sys-tem der Bildungsfinanzierung vom Kopf auf die Füße stel-len wollen. Das heißt, es muss mehr bei den Kindergar-tengebühren getan werden. Allerdings ist die bloße For-derung nach Gebührenfreiheit für das letzte Kindergar-tenjahr im Antrag der SPD unserer Meinung nach zu kurzgegriffen. Allein die Tatsache, dass Eltern ein Jahr langnichts für den Kindergartenbesuch bezahlen müssen, ge-währleistet nicht, dass alle Vorschulkinder tatsächlichzwecks Bildung und Erziehung in den Kindergarten ge-hen.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP))

Es ist uns zwar bewusst, dass der Prozentsatz der Kinder,die nicht in den Kindergarten gehen, mit 3 bis 5 % relativgering ist.Aber genau diese Kinder sind die Risikogruppe,die man eigentlich erfassen müsste. Ich bin mir nicht si-cher, ob für diese Elterngruppe die Gebührenfreiheit einAnreiz ist, ihre Kinder in die Kindertagesstätte zu schi-cken.

(Beifall bei der FDP)

Sozialhilfeempfänger zahlen bereits jetzt keine Kinder-gartengebühren. In vielen Kommunen, z. B. auch meinereigenen, gibt es dann Zuschüsse zu Einkommen, die di-rekt über dem Sozialhilfesatz liegen.

Ich nenne ein ganz krasses Beispiel: Bad Homburg erlässtjetzt den Eltern die Kindergartengebühren.Wer die StadtBad Homburg kennt, der weiß, dass diese Stadt viel Geldhat. Der weiß aber auch, dass die Eltern, die in dieserStadt leben, nicht gerade zu den Ausgegrenzten und denschlechtesten Verdienern gehören. Von daher weiß ichnicht, ob es nicht Kommunen gäbe, wo dieses Verfahrenwesentlich notwendiger wäre. Aber diese Kommunen ha-ben meistens auch nicht so viel Geld, um das zu finanzie-ren.

(Beifall bei der FDP)

Sie bleiben mit Ihrer Antragsbegründung, wonach dasletzte Kindergartenjahr ein kostenfreies Regelbesuchs-

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5513

jahr werden soll, nicht sehr deutlich. Es ist nicht ganz klar:Müssen die Kinder dahin? Ist es Pflicht, oder ist es einfreiwilliger Besuch, der halt nur nichts kostet? Wo ist daspädagogische Konzept für dieses letzte Jahr? Wird es einVorbereitungsjahr auf die Schule? Beinhaltet es alle dieseForderungen wie bei der Kinderschule, die wir für ganzeminent halten?

Wir finden auch den Weg, die Träger voll zu entlasten unddas Ganze mit Landesmitteln auszugleichen, nicht sehrsinnvoll und auch nicht ausreichend. Sehr viel sinnvollerwäre es, wenn sich die Bundesregierung – wir werden se-hen, was die neue Bundesregierung macht – statt für eineErhöhung des Kindergeldes für Betreuungsgutscheine fürEltern entscheidet, sodass man den Eltern die Gutscheinein die Hand gibt und sagt: Suche dir die Betreuungsein-richtung deiner Wahl.

(Beifall bei der FDP)

Dann wären wir vom Angebotsprinzip zum Nachfrage-prinzip gekommen. Die Eltern könnten als Nachfragerauftreten, und die Kindertagesstätten wären dazu angelei-tet, sich sehr viel mehr als Serviceunternehmen für die El-tern darzustellen und sich sehr viel mehr nach den wirk-lichen Bedürfnissen zu richten.

Meine Damen und Herren, wir sind in allen Dingen nichtso weit auseinander, was wir für Kinder und Betreuungwollen. Aber ich denke, wir müssen den Mut haben, wirk-lich zu sagen: Wir brauchen ein verpflichtendes Vorschul-jahr, wir brauchen ein verpflichtendes Jahr vor der Schulefür alle Kinder, damit wir alle Kinder fördern können unddamit wir alle Kinder nicht zulasten der Eltern, sonderngebührenfrei betreuen und weiter auf die Schule vorbe-reiten können. – Haben Sie den Mut, und unterstützen Siedas Konzept der FDP.

(Anhaltender Beifall bei der FDP)

Präsident Norbert Kartmann:

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Abg. Al-Wa-zir das Wort.

Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Die Kollegin Henzler hat den Antrag der GRÜNENangesprochen und hier ein bewusstes oder unbewusstesMissverständnis zum Besten gegeben, das ich aufklärenmöchte.Wir wollen genau keine Zwangsbeglückung. FrauKollegin Henzler, das ist übrigens auch der Grund, warumdie hessische Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN sich gegen das verpflichtende Vorschuljahrausspricht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sagen vielmehr „Betreuungsgarantie“. Das bedeutetaus unserer Sicht bei den unter Dreijährigen eine Quotevon mindestens 20 % Plätze eines Jahrgangs. Es wird imersten Lebensjahr weniger als 20 % Bedarf sein. Im drit-ten Lebensjahr wird es mehr sein. Im Schnitt glauben wir,dass für ungefähr 20 % der Kinder eines Jahrgangs beiden unter Dreijährigen von den Eltern ein Betreuungs-platz abgefragt wird.Wir haben diese Zahl nicht erfunden,sondern wir haben die Zahl aus einem Gutachten desDIW für die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, das ungefähr von 20 % Bedarf ausgeht. Wir

schätzen, dass es vielleicht sogar ein bisschen mehr seinkönnte.

Aber allein schon die Zahl von 20 % deutet darauf hin,dass wir niemanden zwangsbeglücken wollen. Denn mit20 % eines Jahrgangs kann man nicht einen ganzen Jahr-gang zwangsbeglücken. Es geht vielmehr darum, dass dieEltern, die einen Betreuungsplatz wünschen, ihn findensollen. Diejenigen, die ihn nicht wünschen, brauchen ihnauch nicht. Darum geht es, um nichts anderes. – VielenDank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Henzler, Sie haben das Wort zur Antwort.

(Frank Gotthardt (CDU): Die FDP hätte man mit18 % beglücken können!)

Dorothea Henzler (FDP):

Herr Gotthardt, ich sage Ihnen, in Schmitten haben wirüber 20 %, in Oberursel haben wir 16,6 %. Ich bin sehrbeglückt über unsere Ergebnisse.

(Frank Gotthardt (CDU): Sie sehen auch ganz be-glückt aus!)

Herr Al-Wazir, ich will Ihnen jetzt antworten. Sie haben inIhrem Antrag ganz klar geschrieben:

Ein erster Schritt ist der bedarfsdeckende Ausbauvon Angeboten, abgesichert durch eine ganztägigeBetreuungsgarantie für alle Kinder.

Das steht darin. Da steht nichts von 20 %, und auf diesenText habe ich mich bezogen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Bedarfsdeckend!)

– „Ganztägige Betreuungsgarantie“ steht hier.

Wenn wir über das Wort Garantie sprechen, dann wissenSie ganz genau, dass die CDU mit der Unterrichtsgarantiein Hessen sehr geworben hat, dass wir das Wort aber niein den Mund genommen haben. Ich halte eine Garantie,die man Eltern gegenüber ausspricht, und auch noch eineganztägige Garantie für nicht realisierbar. Sie können inHessen keine ganztägige Garantie garantieren. Sie kön-nen sagen, unser Wunsch ist, dass wir soundso viele Plätzeanbieten, dass wir die 20 % – da sind wir nicht auseinan-der – zu bekommen versuchen. Aber dann müssten Siedas etwas genauer in Ihren Antrag schreiben. Ich habemich genau auf die Formulierung Ihres Antrags bezogen.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Norbert Kartmann:

Frau Kollegin, es gibt keine Kurzintervention zur Kurzin-tervention. Das müssten wir beschließen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Eigentlich schade!)

– Eigentlich schade. Gut, wenn wir rund sitzen, schwätztjeder mit jedem. Dann hält man alles auf.

Das Wort hat Frau Kollegin Hartmann für die Fraktionder SPD.

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5514 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Karin Hartmann (SPD):

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei diesemPunkt hat meine Kollegin Henzler schon angekündigt,dass wir gar nicht so weit auseinander sind. Deshalbmöchte ich eingangs noch einmal appellieren, dass in ei-nem ressourcenarmen Land wie dem unseren, das sich zu-dem noch mit dem steigenden demographischen Druckauseinander setzen muss, auf die Frage nach Zukunftsin-vestitionen nur eine Antwort gegeben werden kann: DiePriorität der Investitionen muss auf Bildung und Betreu-ung liegen.

Insbesondere bei der elementaren Bildung bedarf es des-halb eines grundlegenden Perspektivwechsels. Mittel fürBildung, Betreuung und Erziehung müssen endlich alsZukunftsinvestitionen angesehen werden. Alle diesbe-züglich vorliegenden Studien, egal ob von der bayerischenWirtschaft, von der GEW oder der Bundesregierung inAuftrag gegeben, bestätigen, dass ein gutes Betreuungs-und Bildungsangebot zu einer Erhöhung der volkswirt-schaftlichen Wertschöpfung führt. Länder wie die skandi-navischen Länder, die diesen positiven Effekt schon früherkannt haben, verfügen nicht nur über deutlich erfolgrei-chere Sozial- und Bildungssysteme, sie erzielen bei inter-nationalen Bildungsvergleichen auch die besseren Ergeb-nisse.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich will nicht bestreiten, dasses Mut, Geduld und auch Geld erfordert, diesen Umbaudes Bildungs- und Betreuungssystems vorzunehmen. Dareicht es nicht aus, mit Aushängeschildern, Ankündigun-gen oder schönen Plänen aktiv zu werden, wie es dieseLandesregierung macht. Dazu bedarf es nicht nur derschönen Worte, sondern auch konkreter Finanzierungs-konzepte.

(Beifall bei der SPD)

Sicherlich wird die Ministerin wieder auf die fehlendenMittel für den Umbau verweisen. Da kann ich wiederumnur auf Rheinland-Pfalz verweisen.Andere Bundesländerhaben den Mut und setzen ihre Prioritäten dort, wo esnotwendig ist. Rheinland-Pfalz hat auch nicht mehr Geldals Hessen.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Sie habenviel weniger! Daher bekommen sie viel Geld vonuns! Die zahlen das mit unserem Geld!)

Aber dort geht man einen anderen Weg. Man geht denWeg, das letzte Kindergartenjahr als Vorschuljahr von El-ternbeiträgen freizustellen. Es ist halt eine Frage der Prio-ritätensetzung, Herr Milde, ob ich Schlösser und Park-plätze kaufe oder ob ich auf struktureller Ebene Voraus-setzungen für zukunftsfähige Bildungsprozesse schaffe.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde(Griesheim) (CDU))

Bei der frühkindlichen Bildung liegen die Positionen zwi-schen den Fraktionen, insbesondere zwischen SPD undFDP, gar nicht so weit auseinander. Ich würde mir wün-schen, dass wir die vorliegenden Anträge endlich zurKenntnis nehmen und in den zuständigen Ausschüssendiskutieren. Ich möchte auch ausdrücklich darum bitten,die Diskussion nicht nur im Sozialpolitischen Ausschusszu führen. Denn wir haben ähnlich wie die FDP das Ver-ständnis davon, dass gerade Vorschule oder Kinderschuledort angesiedelt werden muss, wo sie in den fortschritt-

lichen Ländern angesiedelt sind, nämlich im Kultusminis-terium. Daher möchte ich ausdrücklich darum bitten, dasswir die Diskussion nicht nur im Sozialpolitischen, sondernauch im Kulturpolitischen Ausschuss führen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sollten diese Anträge nutzen, um in einen konstrukti-ven Dialog darüber einzusteigen, wie wir in Hessen ge-meinsam die Bereiche Bildung und Betreuung zumMittelpunkt der politischen Anstrengungen machen kön-nen.

Was das Konzept anbelangt, Frau Henzler – der Antrag istzugegebenermaßen sehr kurz gefasst –:Wir haben mit un-serem Vorschulkonzept bereits seit 2002, ebenso wie Sie,sehr dezidiert ein konkretes Konzept auf den Tisch gelegt,wie wir uns eine Verbesserung der vorschulischen Bildungund Erziehung vorstellen. In diesem Konzept haben wirauch festgelegt, dass es ein verpflichtendes Vorschuljahrsein soll und es den Eltern nicht anheim gestellt werdensoll, ob sie ihre Kinder hinschicken oder nicht. Nach wievor besuchen ca. 8 % aller Fünfjährigen keinen Kinder-garten. Ein Drittel aller Kinder, die keinen Kindergartenbesuchen, kommt aus sozial benachteiligten Familien.Diese wollen wir erfassen, mindestens im letzten Kinder-gartenjahr. Deshalb wollen wir dieses Vorschuljahr auchals verpflichtendes Vorschuljahr. Aber anders als Sie wol-len wir dieses Vorschuljahr nicht an Schulen, sondern anKindertagesstätten angliedern.

(Beifall des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Das hat zweierlei Gründe. Zum einen geht es uns darum,dass es organisatorisch und finanziell zurzeit einfachersein wird, das Vorschuljahr an Kindertagesstätten anzu-gliedern. Dort sind die Kapazitäten vorhanden. Dort istauch das Know-how vorhanden. Dort ist es auch möglich,Kinder spielerisch und trotzdem mit einem verbindlichenpädagogischen Konzept auf die Schule vorzubereiten.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Mir geht es auch darum, dass wir die Schulpflicht und denLeistungsdruck, der in der Schule unweigerlich entsteht,nicht um ein Jahr vorverlagern, sondern dass wir Kinderninsbesondere aus Familien mit sozialer Benachteiligungdie Chance eröffnen, in diesem letzten KindergartenjahrEntwicklungsdefizite zu kompensieren.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb halten wir die Anbindung an Kindertagesstättenfür sinnvoller. Ich bin auch der Überzeugung, dass, wennman diese Kinderschule oder dieses Vorschuljahr anSchulen anbinden würden, zusätzliche Kapazitäten ge-bunden würden, weil sowohl ein räumlicher als auch einpersoneller Zusatzbedarf entstehen würde, ein Bedarf anzusätzlichen Lehrern, den wir im Moment finanziell undorganisatorisch aus meiner Sicht nicht decken könnten.

Meine Damen und Herren, die frühkindliche Bildung be-ginnt bereits mit der Geburt. Es reicht nicht aus, früh-kindliche Bildung auf das letzte Kindergartenjahr zu re-duzieren.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim)(CDU))

Das sehen wir genauso wie die GRÜNEN. Deshalb mussdieses Vorschuljahr in ein frühkindliches Bildungs- undBetreuungskonzept eingebunden werden. Dieses Vor-schuljahr muss aber innerhalb dieses Konzeptes eine her-vorgehobene Position einnehmen. In dem vorliegenden

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5515

Bildungs- und Erziehungsplan kommt gerade der Bereichvorschulische Erziehung, Kooperation von Schule undKindergarten aus unserer Sicht zu kurz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit unserem vorliegenden Antrag fordern wir die Lan-desregierung auf, ähnlich wie in Rheinland-Pfalz ein Fi-nanzierungskonzept vorzulegen, das es den Kommunenermöglicht, das letzte Kindergartenjahr für die Eltern bei-tragsfrei zu stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir beklagen, dass es zu wenige Kinder gibt. Um das zuändern, bedarf es verlässlicher Strukturen für Eltern, aberauch verlässliche Strukturen für diejenigen, die die Plätzeschaffen müssen, d. h. für die Kommunen. Wenn ich mirdann überlege, dass die Sozialministerin unkommentierthinnimmt, dass der Innenminister einen Erlass heraus-gibt,

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Ah!)

der nicht nur den Ausbau von Strukturen verhindert, son-dern sogar dazu tendiert, bestehende Strukturen zu zer-schlagen, dann denke ich, dass sich in dieser Landesregie-rung noch viel ändern muss, wenn man mehr Kinder-freundlichkeit erreichen will.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. GottfriedMilde (Griesheim) (CDU))

Mir ist auch ganz wichtig, dass es eine Reform der Ausbil-dung der Erzieherinnen und Erzieher gibt.

(Beifall der Abg. Dr. Judith Pauly-Bender (SPD))

Im Zusammenhang mit dem Bildungs- und Erziehungs-plan habe ich immer wieder betont, mehr Bildung im ele-mentaren Bereich sei nicht kostenfrei zu haben. Für qua-lifizierte Bildungsangebote brauchen wir gut ausgebildeteFachkräfte. Deshalb müssen wir auch in die Ausbildungund in die Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehernsowie von Lehrerinnen und Lehrern investieren. Es be-darf also der Rahmenbedingungen für eine qualitativhochwertige frühkindliche Bildungsarbeit. Man kannnicht einfach einen Plan vorlegen und den Kräften, diedort tätig sind, etwas aufzwingen, sondern man muss ih-nen auch die Möglichkeiten geben, mehr Bildung zu ver-mitteln.

Die Anträge der GRÜNEN bezüglich einer Novellierungdes Kindergartengesetzes spiegeln auch unsere langjäh-rige Forderung nach einem Kindertagesstättengesetz wi-der. Aus unserer Sicht greift der vorliegende Antrag aberetwas zu kurz, denn wir wollen die CDU nicht aus der Ver-antwortung für ihre Versprechen entlassen. Meine Kolle-gin Fuhrmann hat vorhin gesagt, dass die Sozialministerineigentlich die Ankündigungsministerin ist. Das gilt nichtnur für diese Sozialministerin. Das gilt auch für ihre Vor-gängerin. Das gilt für den Ministerpräsidenten.

Ich habe mir die Regierungserklärung von 1999 ange-schaut. Der Ministerpräsident hatte angekündigt, die ver-alteten Kindertagesstättenrichtlinien novellieren zu wol-len.

(Petra Fuhrmann (SPD): Hört, hört!)

Die Amtsvorgängerin von Frau Lautenschläger hat am18.09.2000 Folgendes gesagt:

Die Landesregierung strebt ein einheitliches Ge-setz an, mit dem eine Grundlage für alle Arten vonKindertageseinrichtungen und individueller Tages-

betreuung geschaffen sowie die Landesförderungvereinheitlicht und vereinfacht wird, ...

(Petra Fuhrmann (SPD): Das war 2000!)

– Das war 2000. Jetzt haben wir 2005.

(Norbert Schmitt (SPD): Ein halbes Jahrzehnt istschon um!)

Auch Frau Lautenschläger hat Ähnliches verkündet. Wirwarten immer noch auf dieses Kindertagesstättengesetz.

(Beifall bei der SPD)

Es ist nicht damit getan, ein schier unüberschaubares Ge-wirr von Gesetzen, Richtlinien, Verordnungen und Stan-dards auf den Tisch zu legen und kein Konzept, das fürdiejenigen, die vor Ort Tagesstätten ausbauen wollen, eineHilfestellung wäre. Ein solcher Gesetzentwurf liegt im-mer noch in der Schublade und wird, warum auch immer,nicht auf den Tisch gelegt. Es ist notwendig, die bestehen-den Kinderbetreuungsangebote unter einen Hut zu brin-gen und darzulegen, wie ein für die Eltern kostenfreiesverpflichtendes Vorschuljahr für alle Fünfjährigen für dieKommunen finanzierbar gemacht werden kann.

Manchmal denke ich, es ist vielleicht ganz gut, dass dieRegierung nichts vorlegt. Dann kommt es wenigstensauch nicht zu Verschlechterungen. Denn manchmal habeich den Eindruck, dass diese Regierung nach dem Mottohandelt: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“Auch da komme ich noch einmal auf die Regierungser-klärung von 1999 zurück. Da hat der Ministerpräsidentangekündigt:

Wir sind bereit, einen Teil der Mittel, die nicht mehrfür Investitionen im Kindergartenbereich benötigtwerden, in Zuwendungen zu den Betriebskostender Einrichtungen umzuwidmen.

Wenn ich mir anschaue, was passiert ist: Die investivenMittel sind nicht umgewidmet worden, sondern sie sindgestrichen worden.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr.Andreas Jür-gens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die originären Betriebskostenzuschüsse sind gestrichenworden, bzw. diese Sozialministerin brüstet sich damit,dass das Land die Mittel der Kommunen, die im Kommu-nalen Finanzausgleich stehen, für Kinderbetreuung aus-gibt. Das sind keine originären Landesmittel. Das sind dieMittel der Kommunen. Auch wenn sie das immer wiederbehaupten, wird diese Behauptung dadurch nicht richti-ger.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie müssen sich auch immer wieder anhören, dass zu rot-grüner Zeit über 60 Millionen originärer Landesmittel fürKinderbetreuung ausgegeben wurden. Sie haben dieseMittel im Jahr 2000 auf ganze 2,1 Millionen reduziert.Jetzt brüsten Sie sich damit, wenn sie ein paar Offensiv-chen starten und wieder etwas draufsatteln, und lassensich dafür feiern. Die Wahrheit ist: Sie haben die Kinder-betreuung an die Wand gefahren.Wenn es eines Beweisesbedarf, dass die Politik, die Sie hier betreiben, eine Politiknach Gutsherrenart ist, dann war es der Erlass des Innen-ministers.

(Beifall bei der SPD – Frank Gotthardt (CDU):Den Text hatten wir vor fünf Minuten schon!)

Das ist ein typisches Beispiel. Statt verlässliche Struktu-ren zu schaffen und den Trägern Finanzierungssicherheit

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5516 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

zu geben, machen sie Miniprogramme, deren vorrangigesZiel eine pressemäßige Vermarktung ist, und schiebenüber die Hintertür Beschränkungen ein, sodass noch nichteinmal die vorliegenden Strukturen erhalten werden kön-nen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, halten Sie die Familien nichtfür so dumm, dass sie die vollmundigen Ankündigungendieser Landesregierung nicht durchschauen könnten. Ge-rade wenn sie selbst Kinder haben, erkennen sie sehrschnell, dass zwischen den rosaroten Seifenblasen und dergrauen Realität eine ziemliche Diskrepanz besteht.

(Beifall bei der SPD)

Diese Diskrepanz gilt es gemeinsam anzugehen. MachenSie doch endlich einmal Nägel mit Köpfen. Stimmen Sieunserem Antrag auf ein verpflichtendes, für Eltern kos-tenfreies letztes Kindergartenjahr zu. Es reicht nicht, mitdem Blick auf die demographische Entwicklung die Über-alterung unserer Gesellschaft zu beklagen und zu jam-mern.Wenn ein wirkliches Interesse an der Erhöhung derGeburtenrate besteht, muss Kinderbetreuung endlich daszentrale Thema in unserer Landespolitik werden. Sie istheute schon ein zentrales gesellschaftspolitisches Thema.Es wird nicht damit getan sein, Wohltaten anzukündigen.Legen Sie ein Konzept vor, wie diese Wohltaten umge-setzt werden können.

(Zurufe von der CDU)

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

(Norbert Schmitt (SPD): Was ist in Kassel bei derCDU los?)

Karin Hartmann (SPD):

Legen Sie ein Kindertagesstättengesetz vor, das denKommunen den finanziellen und organisatorischen Rah-men für die Umsetzung eines qualifizierten Bildungs- undBetreuungsangebots für Kinder von 0 bis 10 Jahren bietet.Stimmen Sie unserem Antrag auf Einrichtung eines Vor-schuljahres zu.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin Henzler hat das Wort zu einer Kurzinter-vention.

Dorothea Henzler (FDP):

Liebe Frau Kollegin Hartmann, ich habe mich noch ein-mal zu Wort gemeldet, weil Sie hier Dinge erzählt haben,zu denen ich feststellen muss, Sie haben es immer nochnicht begriffen, und Sie haben auch nicht richtig zugehört.

(Petra Fuhrmann (SPD): Na, na, na!)

Ich habe sehr deutlich gesagt, dass es zweitrangig ist, wodie Kinderschule stattfindet: ob im Kindergarten oder inder Schule, das hängt von den räumlichen Gegebenheitenvor Ort ab. Es gibt mittlerweile Grundschulen, die Raum-kapazitäten frei haben. Das Gleiche gilt für die Kinderta-

gesstätten. Von daher gesehen ist das kein Gegenargu-ment.

Zweitens. Sie sprechen von einem verpflichtenden Jahr –aber im Kindergarten und mit den gleichen Ressourcen.Das geht nicht. Dann kann man die Aufgaben, die ein Vor-schuljahr oder eine Kinderschule erfüllen sollte, nicht leis-ten. Man braucht zusätzliches Personal, und man brauchtauch eine deutliche Orientierung auf das, was in diesemeinem Jahr geschehen soll.

Sie sagen, Sie lehnen den Begriff „Kinderschule“ ab, denn„Schule“ bedeute Leistungsdruck, und Leistungsdruck seivon vornherein schlecht. Ich muss dazu ganz ehrlich sa-gen: Für Kinder, seien sie noch so klein, ist jede Leistung,auch eine spielerisch erzielte, ein Erfolg, und dieser Erfolgmacht ihnen Freude. Genau diese Freude sollen die Kin-derschulen wecken. Sie sollen den Kindern zeigen: Jederkleine Fortschritt ist eine große Leistung. Das macht ih-nen Freude. Diese Freude am Erfolg soll für das spätereLeben geweckt werden. Ich denke, die Kinderschulebraucht ein eigenes pädagogisches Konzept. Sie brauchtkeine eigenen Räumlichkeiten, aber ein pädagogischesKonzept und zusätzliche Ressourcen.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Frank Lortz:

Das Wort hat der Kollege Reißer für die CDU-Fraktion.

Rafael Reißer (CDU):

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Hessi-sche Kindergartengesetz ist im Jahre 2000 in Kraft getre-ten und wurde inzwischen mehrfach qualitativ angepasst.

Alle neu erlassenen bzw. geänderten Gesetze werdennach fünf Jahren evaluiert. Wenn die Evaluation des Kin-dergartengesetzes abgeschlossen ist und die nötigen Kon-sequenzen gezogen wurden, kann die Gültigkeitsdauerdes Gesetzes um fünf Jahre verlängert werden. Da nochnicht alle Ergebnisse vorliegen, wird die Gültigkeitsdauerdieses Gesetzes um nur ein Jahr verlängert. Die in IhremAntrag aufgestellte Behauptung, die Verlängerung derGültigkeitsdauer um ein Jahr sei unzureichend, istschlichtweg falsch.

(Beifall bei der CDU)

Im Gegenteil, solange die notwendigen Auswertungennicht abgeschlossen sind, ist es absolut sinnvoll, die Gül-tigkeit des Gesetzes um nur ein Jahr zu verlängern. Es istdoch unser aller Ziel, das Gesetz zu überprüfen und gege-benenfalls so zu korrigieren, wie es die Erkenntnisse ausder Evaluation empfehlen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Die CDU-Fraktion hält es für besser, das Gesetz sorgfäl-tig zu novellieren, anstatt jetzt eine Gesetzesänderung mitheißer Nadel zu stricken.

(Reinhard Kahl (SPD): Die Nadel ist schon mehr-fach kalt geworden!)

Die Opposition in diesem Hause tut immer so, als würdesie alles immer viel besser und schneller machen. DiesenAnspruch erhebt sie immer wieder. Das hat aber mit derRealität nichts zu tun. Sie sollten nicht vergessen, dass das,was Sie als Opposition uns und den Menschen in Hessen

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5517

immer wieder vorgaukeln, in krassem Widerspruch zudem steht, was in Ihrer Regierungszeit in der Familienpo-litik gemacht wurde.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD – Rein-hard Kahl (SPD): Wir haben Kindergartenplätzegeschaffen, zusammen mit den Kommunen!)

Vor 1999 war es nicht weit her mit der rot-grünen Famili-enpolitik. Das kann man genauestens nachlesen. Erst seitder Regierungsübernahme durch CDU und FDP habendie Familien wieder eine Priorität in der hessischen Poli-tik. Wir haben Hessen in diesem Bereich nach vorne ge-bracht – nicht nur in diesem Bereich. Sie sollten die Sachedaher etwas unaufgeregter angehen.

Die Tatsache, dass Sie sich darüber beschweren, dass dasKindergartengesetz nur um ein Jahr statt um fünf Jahreverlängert wird, zeigt, von welcher Qualität Ihr Antrag ist.Das Gesetz muss gründlich überprüft werden, bevor dieGültigkeitsdauer um fünf Jahre verlängert wird.

Nun komme ich zum Antrag der SPD-Fraktion. Ihr An-trag zeigt einmal mehr, dass die hessische SPD keine poli-tische Verantwortung zu tragen hat, dass sie keine tragenwill und dass sie auch keine tragen kann.

(Beifall bei der CDU)

Dies erkennt man allein schon daran, dass Sie sich nichteinmal die Mühe machen, auch nur im Ansatz ein Finan-zierungskonzept vorzulegen. Von Ihnen kommt immernur die Plattitüde, das müsse vom Staat bezahlt werden.Eigene Vorschläge haben Sie aber nicht gemacht.

Sie stellen sich hierhin und sagen, Sie wollen das letzteKindergartenjahr beitragsfrei machen. Wie das finanziertwird, interessiert Sie überhaupt nicht. Oder müssen wir esandersherum verstehen? Ich mache einmal einen anderenGedanken auf: Wollen Sie den Kommunen die Finanzie-rung aufbürden? Das würde die Kommunen vor gewaltigefinanzielle Probleme stellen. Das wäre natürlich auch einmassiver Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung. Soetwas kann kein ernst gemeinter Beitrag sein. Ich denke,es ist unser aller Anliegen, den Familien in unserem Landeine qualitativ möglichst gute und kostengünstige Kinder-betreuung anbieten zu können.

(Petra Fuhrmann (SPD): Deshalb hat Bouffier die-sen Erlass gemacht!)

Das letzte Kindergartenjahr ist das unproblematischste.Fast alle fünfjährigen Kinder gehen in unserem Land inden Kindergarten. Das zeigt zum einen, dass es genügendKindergartenplätze gibt, und zum anderen, dass das An-gebot vonseiten der Eltern angenommen wird. Dafür sor-gen nicht zuletzt auch die nach Elterneinkommen gestaf-felten Beiträge und die Möglichkeit der Kostenüber-nahme durch das Jugendamt bei Eltern mit geringem Ein-kommen. Auch den Kommunen ist es natürlich freige-stellt, im Rahmen ihrer kommunalen Selbstverwaltung ei-gene Handlungsspielräume bei der Bemessung der Kos-ten der Kindergartenplätze zu nutzen. Eines dürfen wiraber nicht machen – das zeigt uns das Beispiel Kassel inganz dramatischer Weise –:Wenn man im Wahlkampf kos-tenlose Kindergartenplätze verspricht und dann, wennman gewählt ist, nicht mehr zu seinem Wort steht, dann istdas schädlich für die Kinder- und Familienpolitik in die-sem Lande.

(Beifall bei der CDU)

Wie sähe die Situation für das Land aus? Ein beitrags-freies letztes Kindergartenjahr würde den Landeshaus-

halt mit Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe belas-ten. Angesichts der angespannten Lage der öffentlichenHaushalte erscheint es mir fraglich, ob wir Millionenbe-träge in die Gebührenfreiheit des letzten Kindergarten-jahres stecken sollten. Ich sage das, obwohl das Ziel imPrinzip nicht schlecht ist.

Es gibt in der Kinderbetreuung aber Bereiche, die einehöhere Priorität haben als das letzte Kindergartenjahr.Hierzu gehört ohne Zweifel die Betreuung von Kindernunter drei Jahren. Darin sind wir uns sicherlich weitge-hend einig. Wir müssen außerdem die Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf verbessern. Die Hessische Landesre-gierung und die CDU-Fraktion sind hier auf einem gutenWeg. Bei der Betreuung unter Dreijähriger brauchen wirzudem mehr Elternunterstützung. Wir haben zwar schonviel erreicht, aber das Angebot – gerade in der Kinderbe-treuung – sollte weiter ausgebaut werden.

Allerdings müssen wir verantwortungsvoll darauf achten,dass sowohl die kommunalen Haushalte als auch der Lan-deshaushalt nicht über Gebühr belastet werden. Eine Fi-nanzierung des letzten Kindergartenjahres über eine hö-here Verschuldung im Landeshaushalt verbietet sich, weildies die Kinder später dazu zwingen würde, die finanziel-len Folgekosten zu tragen. Das kann nicht das Ziel unse-rer Politik sein. Es gilt also, ein rechtes Maß aus guter Fa-milienpolitik und seriöser Finanzierung zu finden. Genaudas tut die Opposition aber nicht. Sie fordert, fordert, for-dert, aber sie macht sich keine Gedanken darüber, wie dasseriös finanziert werden soll.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Überhaupt nicht, Herr Kollege, das wis-sen Sie ganz genau! Sie haben alle unsere Anträgezum Haushalt abgelehnt! Erzählen Sie nicht so ei-nen Unsinn!)

Eine anständige Opposition sollte sich nicht so verhalten.Daher glaube ich, dass wir mit unserer Politik des über-legten Ausbaus der Kinderbetreuungsangebote auf demrichtigen Weg sind.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das wird durch dauerndeWiederholungen nicht wahrer!)

Den Vorwurf an die Opposition, dass sie hier Anträgestellt, deren Finanzierbarkeit als fraglich zu betrachten ist,kann ich an dieser Stelle auch der FDP nicht ersparen. IhrVorschlag, alle Fünfjährigen verpflichtend in eine noch zuschaffende Kinderschule zu schicken, würde den Haushaltin einem noch weit stärkerem Maße belasten, als es dieUmsetzung der Forderung im Antrag der SPD-Fraktiontäte. Darüber hinaus bleibt zu fragen, welcher Nutzen denenorm hohen Ausgaben für die Kinderschulen entgegen-stehen würde.

Liebe Kollegen von der FDP-Fraktion, die CDU-Fraktionteilt Ihre Ansicht, dass das Entwicklungspotenzial derKinder so früh wie möglich zu fördern ist. Brauchen wirdazu aber eine Kinderschule? Wir sollten die vorhande-nen Strukturen besser nutzen, um das Lernpotenzial derKleinen zu fördern und sie optimal auf die Schule vorzu-bereiten. Kinder sollten so früh wie möglich gefördertwerden. Zwischen dem Kindergarten und der Schule darfkein Bruch entstehen. Deshalb bedarf es einer Koopera-tion der Eltern, der Kindergärten und der Schulen. Die-sem Konzept trägt die Hessische Landesregierung mitdem Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 bis10 Jahren Rechnung.

(Beifall bei der CDU)

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Wir halten dies für eine sinnvolle Lösung, um die Bildungder Kinder optimal zu fördern.

Der Antrag der FDP-Fraktion sieht vor, fünfjährige Kin-der zum Besuch der Kinderschule zu verpflichten. EineZwangskinderschule ist weder notwendig noch liberal, zu-mal fast alle Kinder das letzte Kindergartenjahr in An-spruch nehmen.

(Zurufe von der SPD)

Auch mir ist klar, dass es auch dann, wenn die allermeis-ten Fünfjährigen das letzte Kindergartenjahr besuchen,immer noch Kinder gibt, auf die wir unser besonderes Au-genmerk richten müssen, weil sie eine Randgruppe bil-den, die uns eine besondere Aufmerksamkeit abfordert.Das halte ich an dieser Stelle für zutreffend. Das heißttrotzdem, dass praktisch jedes fünfjährige Kind heutzu-tage in den Genuss von Bildungs- und Förderungsmaß-nahmen im Kindergarten kommt. Das kann sicherlichnoch verbessert werden, auch durch die Weiter- und Fort-bildung der Erzieherinnen und Erzieher. Ich glaube aber,dass der Nutzen der Kinderschulen im keinen guten Ver-hältnis zu den eingesetzten Mitteln stehen würde, die mandafür bräuchte.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Anträge derOpposition wohl weniger ernst gemeinte Beiträge zur Fa-milienpolitik sind. Sie scheinen vielmehr lediglich demZweck zu dienen, sich gegenüber der Öffentlichkeit alsInteressenvertreter der Familien aufzuspielen. Mit so et-was können Sie uns nicht beeindrucken.

Die CDU-Fraktion und die Hessische Landesregierungstehen weiterhin für eine kluge und seriöse Familienpoli-tik ein.

(Beifall bei der CDU – Petra Fuhrmann (SPD): DasGegenteil ist der Fall! – Frank-Peter Kaufmann(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sagen Sie dieWahrheit, und lesen Sie nicht das Zeug da ab!)

An erster Stelle steht für uns der Ausbau des Betreuungs-angebots für Kinder unter drei Jahren, bis im Jahr 2010eine 20-prozentige Abdeckung erreicht ist. Das ist unserePriorität. So lauten die Beschlüsse der CDU-Fraktion indiesem Hause.

(Beifall bei der CDU)

Das gilt auch für den Bildungs- und Erziehungsplan fürKinder von 0 bis 10 Jahren. In diesem Bereich können wirden Eltern dabei helfen, Familie und Beruf besser zu ver-einbaren, und das Bildungsangebot für Kinder deutlichverbessern.

Es gibt noch einiges zu tun.Wir haben aber bereits viel be-wegt und erreicht. Auf diesem Weg wollen wir weiterge-hen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsident Frank Lortz:

Zu einer Kurzintervention hat Frau Kollegin Hartmann,SPD-Fraktion, das Wort.

Karin Hartmann (SPD):

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr KollegeReißer hat das Finanzierungskonzept der SPD angespro-chen. Dieses Finanzierungskonzept haben wir wiederholt

vorgestellt. Ich will aber das, was darin steht, hier gernenoch einmal vortragen.

(Frank Gotthardt (CDU): Das haben wir im Zu-sammenhang mit Kassel gesehen!)

Wie ich vorhin schon ausgeführt habe, wurden im Jahr2000 die Verstärkungsmittel im Kommunalen Finanzaus-gleich in Höhe von rund 50 Millionen c gestrichen. Dasheißt, die Kommunen finanzieren die Betriebskostenzu-schüsse, die sie vom Land erhalten, aus ihrer eigenenKasse.

(Frank Gotthardt (CDU): Sie wissen, dass sie nichtgestrichen worden sind, aber das macht nichts!)

Diese 50 Millionen c wollen wir zugunsten des Vorschul-jahres umschichten.Vielleicht schauen Sie sich die Zahleneinmal an; dann können auch Sie mit genauen Zahlenhantieren. Das wird etwa 50.000 Kinder betreffen.Wir ha-ben schon im Vorwahlkampf Gespräche mit Vertreternder Kommunalen Spitzenverbände geführt. Wenn manden Trägern rund 1.000 c pro Kind und Jahr zukommenließe, wären sie bereit, weitgehend auf Elternbeiträge zuverzichten – es sei denn, der Innenminister pfuscht hinein.

(Zurufe von der CDU: Oh! – Gegenruf der Abg. Pe-tra Fuhrmann (SPD): Nicht „Oh!“! – Abg. FrankGotthardt (CDU): Lest es euch doch einmal durch!Ihr müsst das wahrnehmen!)

Mit diesen 50 Millionen c könnte man für die 50.000 Kin-der das letzte Kindergartenjahr kostenfrei stellen.Wir ha-ben in allen Haushaltsberatungen Vorschläge dazu ge-macht, wie wir das finanzieren können. Wir haben gesagt,dass man von dem Geld, das für SAP zum Teil in den Sandgesetzt wird, einiges abziehen und stattdessen hier inves-tieren könnte.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Frau KolleginSchulz-Asche, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Debattehat gezeigt, dass wir alle uns darin einig sind, dass die früh-kindliche Bildung einen sehr hohen Stellenwert habenmuss. Wir sind uns sicher ebenfalls darin einig, dass Bil-dungsangebote grundsätzlich kostenfrei sein sollten unddass dies auch für frühkindliche Bildungsangebote gilt,bei denen es sich um ein erstrebenswertes und gesell-schaftspolitisch wichtiges Ziel handelt.

Wir wissen, dass Kinder bereits früh anfangen, zu lernen,und wir wissen, dass sie dabei unterstützt werden müssen.Eine bildungsanregende Umgebung und altersgemäßeBildungsangebote in Kinderbetreuungseinrichtungenoder in der Familientagesbetreuung fördern die musische,kognitive und seelische Entwicklung des Kindes. Diessollte, unabhängig von der Finanzkraft ihres Elternhauses,allen Kindern zugute kommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unabhängig von der Schuldfrage:Wir wissen, dass wir vondiesem Ziel noch meilenweit entfernt sind, und wir mei-nen, dass die Landesregierung seit 1999 mehr hätte ma-chen können.

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Die Verstärkungsmittel der Betriebskostenförderung sind2000 gestrichen worden. Der Haushaltsansatz im Kom-munalen Finanzausgleich erhöht sich nur deshalb, weil dieZahl der Plätze aufgrund der Inanspruchnahme steigt.Das ist kein besonderes Verdienst der Landesregierung.Wie ich vorhin ausgeführt habe, gibt es bei Ihnen denSchwerpunkt Kinder- und Familienpolitik nicht mehr. DieReduzierung der Landesmittel von 66,5 Millionen c auf18,8 Millionen c – nicht auf 17 Millionen c, wie der Kol-lege Spies vorhin gesagt hat – zeigt das deutlich.

Mit dem Bildungs- und Erziehungsplan, den wir in weitenTeilen begrüßt haben, haben Sie sich einer bundespoliti-schen Entwicklung angeschlossen. Dieser Plan ist keinehessische Erfindung.Andere Länder setzen ihn längst um.Dagegen läuft in Hessen noch eine zweijährige Probe-phase.

Aber lassen Sie mich versuchen, unsere Gemeinsamkei-ten herauszuarbeiten. Wir fordern eine früher einset-zende, bessere und längere Bildung für alle Kinder. Auchwir GRÜNEN – das sage ich deutlich in Richtung SPDund FDP – diskutieren seit längerem über eine gebühren-freie und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung. Dochunser Ziel ist es, eine solche Betreuung für alle Kinder zuerreichen. Hierbei stellen wir aber erhebliche Defizitefest.

Wir haben in Hessen nur für knapp 20 % der Kindergar-tenkinder Ganztagsplätze. Für kleinere Kinder fehlennach aktueller Schätzung rund 25.000 Plätze. Bei denHortkindern sehen sowohl die nachmittägliche Betreu-ung als auch die Betreuung vor Beginn des Unterrichtsausgesprochen mau aus.

Auf der anderen Seite haben wir heute 210.000 Kinder-gartenplätze für 205.000 Kinder. Das heißt, es gibt eine100-prozentige Versorgung. Doch die Zahlen sagen über-haupt nichts über die Qualität dieser Einrichtungen aus.

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich weder die Positionder SPD noch die der FDP verstehe. Unsere Position ist:Wer für alle Kinder die gleichen Bildungschancen habenwill, der muss prioritär in die Qualitätsverbesserung in-vestieren. Eine Kinderschule ist, vor allem aus bildungs-politischer Sicht, die falsche Antwort.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen keine Verschulung des Kindergartenjahres;denn es geht um die umfassende Entwicklung des Poten-zials und der Persönlichkeit von Kindern, nicht aber umdie Vorbereitung auf die Schule, wie es die FDP uns hierweismachen will. Sie hängen offenbar immer noch derAuffassung an, in der Schule beginne der Ernst des Le-bens. Das ist ein bildungspolitischer Ansatz, der seit derVeröffentlichung der Ergebnisse der PISA-Studie eigent-lich obsolet sein müsste.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir über Qualität sprechen, stellt sich doch dieFrage: Wieso beginnt der Ernst des Lebens nicht mit derAuseinandersetzung in der Kindergruppe, wodurch dieKinder soziales Verhalten lernen und sich Kompetenzenim Umgang mit sozialen Konflikten aneignen? Wenn Siejetzt antworten, darauf seien die Erzieherinnen bisher garnicht vorbereitet, sage ich Ihnen: Das ist Wasser auf un-sere Mühlen. Qualitätsverbesserung, nicht aber Kosten-freiheit, ist das Zauberwort, wenn es um die Verbesserungder Zukunftschancen unserer Kinder geht.

Apropos Kostenfreiheit: Wieso soll nicht das erste, son-dern das letzte Kindergartenjahr kostenfrei sein? WennSie meinen, dass vor allem die Kinder, die aus sozialschwierigen Lebensverhältnissen stammen, zu selten ei-nen Kindergarten besuchen, müssten Sie doch gerade ver-suchen, den Eltern den Einstieg in die Kindergartenbe-treuung zu erleichtern. Damit könnte man den Eltern zei-gen, welche positiven Effekte eine frühkindliche Betreu-ung auf ihre Kinder hat. Warum sollte man also nicht denEinstieg in die Betreuung belohnen? Wenn wir alle derMeinung sind, dass die Bildungsangebote grundsätzlichkostenfrei sein sollen, stelle ich die Frage: Warum sollenwir das Pferd von hinten aufzäumen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch in Kassel ist die Kostenfreiheit für die Betreuungjedes Kindes, das das sechste Lebensjahr vollendet hat,zugesagt. Aber das ist keine pädagogische, sondern eineaus finanziellen Gründen getroffene Entscheidung. Letzt-lich wird damit nämlich die Betreuung im letzten halbenJahr vor Schulbeginn kostenfrei gestellt. Wenn man sagt,es gehe darum, allen Kindern, auch denen aus sozialschwachen Familien, einen gerechten Zugang zur Bildungzu eröffnen, dann ist das Augenwischerei.

(Zuruf von der CDU)

Ich lasse es in der Diskussion auch nicht als Argument gel-ten, dass durch die Kostenfreiheit im letzten Jahr be-sonders die einkommensschwachen Familien unterstütztwürden. Diese Familien werden nämlich in den meistenFällen von der Zahlung freigestellt, und die Gebührenwerden von der Jugendhilfe oder der Sozialhilfe über-nommen. In Marburg betrifft das rund ein Drittel allerKinder, in Darmstadt 43 %.Auch andere Kommunen sindbereits dazu übergegangen, die Kindergartenbeiträge zusenken und sozial zu staffeln. Das ist kein Argument. Sieentlasten die Mittelschichtfamilien, aber mit der Förde-rung von Kindern aus sozial schwachen Verhältnissen hatdas eigentlich nichts zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber gerade die Bedeutung einer Staffelung der Gebüh-ren nach sozialen Kriterien macht deutlich, wie gut es ist,dass der kinderfeindliche Erlass des Innenministers zu-rückgezogen werden musste. Wir wissen, dass es Kommu-nen gibt, z. B. meine Heimatstadt Eschborn, die jetzt dieKostenfreiheit für alle Kinder einführen. Doch wir wissenauch, dass Eschborn nicht unbedingt mit anderen Kom-munen zu vergleichen ist.

Deswegen wiederhole ich: Zur Kostenfreiheit sagen wirgrundsätzlich Ja – aber nur, wenn sie für alle Kinder gilt.Für uns heißt das aber, dass wir angesichts der aktuellenMangelsituation zunächst in die Verbesserung der Qua-lität zu investieren haben. Unser Slogan – das ersehen Sieauch aus unserem Antrag – heißt „früher – länger – bes-ser“. Das ist der richtige Ansatz; denn dadurch wird dasRecht des Kindes auf eine von Anfang an erfolgende Bil-dung und Entwicklung seiner Persönlichkeit aufgegriffen.

Diese Qualitätsverbesserung ist nicht zum Nulltarif zu ha-ben. Ich will hier nicht künstlich Gräben aufreißen. Aberklar ist doch, dass die Kommunen auch die Unterstützungdes Landes brauchen, wenn sie sich den gestiegenen Qua-litätsanforderungen seitens der Eltern stellen müssen.Das reicht von der Reform der Erzieherinnen- und Erzie-herausbildung bis zur notwendigen Einstellung von Päda-goginnen und Pädagogen, um für die Kinder den Über-gang vom Kindergarten zur Grundschule vernünftig und

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gut zu gestalten, damit die Verzahnung dort besser funk-tioniert.

Auch die Grundschule muss sich umorientieren. Eine aufdas Kind ausgerichtete Bildung setzt eine Grundschulpä-dagogik voraus, die z. B. flexible Eingangsstufen vorsieht,wodurch eine individuelle Einschulung und Förderungdes Kindes ermöglicht wird.Wenn wir Kinderbetreuungs-einrichtungen als Bildungsinstitutionen betrachten, istdies, nicht aber die verpflichtende Vorschule, der richtigeWeg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Alles, worüber wir hier reden, hat auch einen finanziellenAspekt. Die Bundestagsfraktion der GRÜNEN hat beimDIW ein Gutachten zum finanziellen Mehrbedarf einesbedarfsgerechten Bildungs-, Erziehungs- und Betreu-ungsangebots für alle Kinder erstellen lassen. Nach diesenBerechnungen kostet in Hessen ein Kindergartenplatzrund 5.000 c pro Jahr.

Wenn das Land die Gesamtkosten für den letzten Kinder-gartenjahrgang – das sind ungefähr 60.000 Kinder – über-nähme, kämen wir auf eine Summe von rund 300 Millio-nen c. Die SPD sollte ihre Berechnungen, die sie hier ge-rade vorgestellt hat, noch einmal überprüfen. Dabei wür-den diese 300 Millionen c noch nicht einmal die Maß-nahmen zur Qualitätsverbesserung, die Ganztagsplätze,die Betreuung der unter Dreijährigen, das Einrichten vonkleineren Gruppen, die Sprachförderung und die Verbes-serung der Erziehung und Ausbildung abdecken.

Wir haben hier einen großen Nachholbedarf, und des-wegen finde ich es wichtiger, hier darüber zu reden, wiewir zu einer guten Betreuung und Erziehung in Kinderta-geseinrichtungen und zu einer guten Familientagesbe-treuung für alle Kinder kommen und welche Schritte wirzur Kostenfreiheit tatsächlich unternehmen wollen – undzwar gemeinsam. Denn es ist doch logisch, dass wir mitvereinzelten Ansätzen hier nicht vorankommen.

Nach unserer Position ist der erste Schritt der bedarfsge-rechte Ausbau von Angeboten, abgesichert durch eineganztägige Betreuungsgarantie für Kinder. Betreuungsga-rantie heißt nicht etwa Pflicht, sondern Verlässlichkeit fürdie Eltern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor dem Hintergrund dieser akuten Mangelsituation, an-gesichts des Defizits bei Qualität und Quantität, sehe ichnicht, wie wir im Moment tatsächliche Kostenfreiheit rea-lisieren könnten. Deswegen springen beide Anträge zukurz, sowohl der von der SPD als auch der von der FDP.Sie blenden eigentlich die tatsächlichen Probleme aus undgeraten damit in die Gefahr eines billigen Populismus.

Meine Damen und Herren, es wird immer Familien ge-ben, die ihr Kind nicht ausreichend in seiner Entwicklungfördern können. Manche Kinder benötigen aufgrund ih-rer besonderen Lebenssituation, ihrer spezifischen Pro-bleme besondere Förderung, um gleiche Entwicklungs-chancen wie andere Kinder zu haben. Dazu gehören be-hinderte Kinder, Kinder in sozialen Brennpunkten, Kin-der mit Migrationshintergrund – um nur einige zu nennen.

Die Sicherung eines qualitativ hochwertigen Betreuungs-,Bildungs- und Erziehungsangebots ist eine gesamtgesell-schaftliche Aufgabe. Unser Ziel ist – analog des Rechtsan-spruchs auf einen Kindergartenplatz – die Ausweitung aufkleine Kinder bis zum dritten Lebensjahr. Als einen ers-ten Schritt dahin können wir uns auch eine Ausweitung

des Rechtsanspruchs, der sich derzeit auf die Kindergar-tenaltersgruppe bezieht, auf die zweijährigen Kinder vor-stellen. Das finde ich einen sinnvollen Zwischenschritt,den wir hier unter Umständen gemeinsam vorschlagenkönnten.

Meine Damen und Herren, da auch in Hessen die Zahlder Geburten rückläufig ist, müssen auch nicht in jederGemeinde neue Einrichtungen gebaut werden, um die be-nötigten zusätzlichen Plätze zu erreichen, sondern wirkönnen zunehmend zu altersgemischten Gruppen über-gehen, die übrigens auch pädagogisch sehr sinnvoll sind.Oder es können Angebote der Familientagesbetreuungan bestehende Einrichtungen angedockt werden. Es istmehr Flexibilität zwischen den Angeboten notwendig.

Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ist sta-tistisch gesehen in Hessen erfüllt. Für uns hat jetzt derAusbau von Ganztagsangeboten, die erst tatsächlich eineVereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen wer-den, eine besonders hohe Priorität. Das kommt nicht nurden Kindern zugute – denen zwar besonders, aber natür-lich auch den Eltern, wenn sie neben dem Familienlebenerwerbstätig sein wollen.

Meine Damen und Herren, die Forderung heute lautet:früher – länger – besser. Aber wenn wir einen Bildungs-anspruch für alle Kinder unter sechs Jahren ernst nehmen,müssen wir über realistische Finanzierungskonzepte wiedie Kostenfreiheit nachdenken. Dabei muss man genauüberlegen, welches die notwendigen Leistungen des Bun-des, welche die des Landes und welche die der Kommu-nen sind. Hier sollten wir wirklich ernsthaft drangehen,anstatt in einen Kommunalwahlkampf zu ziehen, in demsich alle mit kurzfristigen Angeboten zur Kostenfreiheitüberbieten, um die Stimmen der Eltern zu fangen.

(Zustimmung des Ministers Volker Bouffier)

Vielmehr sollten wir uns, wenn wir alle dieses Problemernst nehmen, mit der Finanzierungsfrage seriös ausein-ander setzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die rot-grüne Bundesregierung hatte dazu mit der Ent-lastung der Kommunen im SGB II einen ersten Schritt ge-tan. Aber ich gebe durchaus zu, dass hier noch weitereMöglichkeiten bestehen. Es muss auch wieder zu einerhöheren Beteiligung des Landes an den Betriebskostenkommen. Wir müssen darüber nachdenken, wie das ge-schehen kann.Wir haben das in unserem Gesetzesentwurf– der morgen zur zweiten Lesung in dieses Haus kommt –vorgeschlagen: Hier müssten Landesmittel als Betriebs-kostenzuschüsse vorgesehen werden.

Meine Damen und Herren, natürlich haben auch dieKommunen ein großes Interesse daran, die hoch qualita-tive Kinderbetreuung auszubauen; denn Familienfreund-lichkeit – da gibt es in diesem Hause keinen Widerspruch– ist ein harter Standortfaktor auch im Wettbewerb zwi-schen den Kommunen geworden.

Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch zu dem zweitenAntrag kommen, der in diese Auseinandersetzung überdie Beitragsfreiheit hineingemengt wurde. In unseremAntrag fordern wir eine Modernisierung des Kindergar-tengesetzes. Seit Jahren wird uns das versprochen. Die Mi-nisterin hat hier im Hause angekündigt oder bemerkt,dass eine Evaluierung des Kindergartengesetzes stattge-funden habe. Dann haben Sie hier in einem Omnibusge-setz die Verlängerung durchgezogen, ohne dass irgendet-was an diesem Gesetz geändert wurde. Die letzten Urteile

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5521

des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Finanzierungund der Zuständigkeit machen diese Novellierung not-wendig. Ich denke, es ist nicht möglich, hier einfach mitOmnibusgesetzen eine bloße Verlängerung durchzuset-zen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich im August einenBrief an die Ministerin geschrieben, in dem ich ausdrück-lich darum gebeten habe, dem Hause die Ergebnisse derEvaluierung mitzuteilen, aufgrund derer die Verlänge-rung um ein Jahr beantragt wurde. Darauf habe ich bisheute noch keine Antwort erhalten.Vielleicht können Siehier die Gelegenheit nutzen – –

(Ministerin Silke Lautenschläger: Das ist schonlange raus!)

– Ich weiß nicht, was bei Ihnen geschehen ist, aber bei mirist nichts angekommen.

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin Schulz-Asche, Sie müssen zum Ende kom-men.

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke schön. – Das Hauptproblem, das Frau Lauten-schläger beim Thema Kinderbetreuung hat – und ichdenke, das sollten wir alle im Hause sehr ernst nehmen –,ist, dass sie nicht ausreichend Geld zur Verfügung hat, umhier tatsächlich zu gestalten. Deswegen werden viele ihrerAnkündigungen nicht realisiert. Meine Damen und Her-ren, ich meine aber, wir sollten uns noch einmal ernsthaftüberlegen, ob wir im Kommunalwahlkampf die Abschaf-fung der Elternbeträge fordern. Wir sollten die Beratungim Sozialpolitischen Ausschuss dazu nutzen, zu prüfen,wie wir gemeinsam mit einem vernünftigen Konzept dievon allen angestrebte Verbesserung der frühkindlichenBildungsangebote, und zwar von Geburt an, erreichenkönnen und wie wir dafür realistische Finanzierungskon-zepte zusammentragen können. – Ich danke Ihnen fürIhre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank. – Das Wort hat die Sozialministerin, FrauStaatsministerin Lautenschläger.

Silke Lautenschläger, Sozialministerin:

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!Wir haben uns schon mehrfach im Sozialpolitischen Aus-schuss zu dem Thema Bildung und Erziehung von Kin-dern auseinander gesetzt. Die heute vorliegenden An-träge umfassen die gesamte Spanne in diesem Bereich –von der Beitragsfreistellung bis zur Frage, wie wir Bildungund Erziehung besser verzahnen und konkret umsetzenkönnen und wie wir deutlich machen – das hat heuteschon jemand in der Debatte gesagt –, dass der Ernst nichterst mit der Schule anfängt, sondern wie wir Bildung undErziehung selbstverständlich in den Alltag von Kinder-gartenkrippe bis zu den Elternhäusern hineinbringen,eben nicht nur in das letzte Kindergartenjahr, sondern inalle Bereiche der frühkindlichen Bildung und Erziehung.

Deswegen haben wir als Land Hessen naturwissenschaft-liche Experimente und vieles mehr nicht einfach zu einemBildungs- und Erziehungsplan zusammengefasst, sondernsind einen anderen Weg gegangen. Er ist durchaus andersals der anderer Bundesländer, aber er wird bundesweitaußerordentlich beachtet. Denn wir haben gemeinsammit Trägern und Kommunen, mit sehr vielen verschiede-nen Gruppen, einen Bildungs- und Erziehungsplan erar-beitet, der sich derzeit in einer Erprobungsphase befindet.Dazu sind viele Anregungen eingegangen.

Diese Vorstellungen werden sich in der Erprobungweiterentwickeln können: Wie können diese Vorschlägein die Praxis umgesetzt werden, in Kindertageseinrichtun-gen wie in Krippen, im Zusammenhang mit Familienbil-dungsstätten und mit Tageselternvermittlung? Ich glaube,dieser Punkt ist wichtig. Es wäre schön, wenn wir uns indiesem Hause gemeinsam darauf verständigen könnten,dass es ein wichtiger Prozess ist, dort nicht Einzelprozesse,nicht neue Lehrpläne für den Kindergarten aufzustellen,sondern einen gesamten Entwicklungsprozess von Kin-dern ins Auge zu fassen, dabei gleichzeitig Erzieherinnenzu schulen, damit sie gemeinsam mit der Grundschule tat-sächlich das umsetzen und Kinder begleiten und fördernkönnen, um von Anfang an Bildung möglich zu machen.

Ich denke, das ist der große Unterschied – dass es ein Planfür Kinder von 0 bis 10 Jahren ist. Er umfasst nicht nur denKindergarten, nicht nur ein Vorschuljahr, sondern treibtdie Verzahnung der verschiedenen Einrichtungen voran,auch die Weiterbildung von Erzieherinnen und Grund-schullehrerinnen, viel mehr, als das bisher irgendwo je derFall gewesen ist. Selbstverständlich wird das in Zukunfteinen viel stärkeren Austausch in diesen Bereichen er-möglichen.

Das gilt dann eben nicht nur für den Kindergarten, son-dern genauso für die Grundschule. Dies gilt natürlichauch, wenn es darum geht, Nachmittagsangebote, bei-spielsweise zwischen Hort und Grundschule, noch we-sentlich enger zu verzahnen und an den Grundschulen an-zubinden.

Wir müssen sehen, dass alle Fachberatungen nun über denBildungs- und Erziehungsplan – sowohl im Bereich desKultusministeriums als auch im Bereich des Sozialminis-teriums – geschult und beraten werden. Ich möchte hiernochmals darauf hinweisen: Es werden nicht nur die ge-schult oder in Fachberatungen beraten, die bei den Ju-gendhilfeträgern für die Weiterbildung zuständig sind.Dies zeigt nochmals, dass wir in der ersten Phase die Mo-dellstandorte und den erweiterten Kreis der direktenWeiterbildung der Erzieherinnen konzentrieren und dassalle Fachberatungen von Beginn an die Möglichkeit ha-ben, geschult und beraten zu werden und das an alle Ein-richtungen weiterzugeben, was wir mit dem Institut afwumsetzen.

Das macht nochmals deutlich, dass wir natürlich bei derUmsetzung des Bildungs- und Erziehungsplanes auchGeld in die Hand nehmen. Denn wir sehen auch dort dieNotwendigkeit der Schulung und der Fachberatungen vorOrt sowie der Unterstützung und Begleitung der Einrich-tungen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, es istauch wichtig, nochmals darauf hinzuweisen, dass selbst-verständlich auch heute die Fachberatungen eine Pflichthaben, gerade im Kindergarten die Schulung und Weiter-bildung von Erzieherinnen dauerhaft zu begleiten. ImÜbrigen haben wir dort rund 80 Stellen – vertraglich völ-

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lig einheitlich – an die kommunale Seite abgegeben. Diesebzw. der Gegenwert in Geld sind genau in diese Fachbe-ratungen gegangen.

Das heißt auch, dass es dort Möglichkeiten gibt, man dieseumsetzen muss und man sie nicht anders in den Haushal-ten einsetzen darf. Auch hierauf möchte ich an dieserStelle noch einmal hinweisen; denn es ist wichtig, dass dieSchulung auch von den Jugendhilfeträgern vor Ort statt-findet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Erzieherin-nenausbildung, die schon mehrfach zur Sprache kam, istwichtig. Sie ist im letzten Jahr schon einmal novelliertworden, und es kann durchaus sein, dass aus der Umset-zung des Bildungs- und Erziehungsplans und aus den Er-fahrungen, die dort gemacht werden, wiederum neue Im-pulse für weitere Entwicklungen bei der Erzieherinnen-ausbildung aufgenommen werden und davon weitererÄnderungsbedarf ausgeht.

Ich halte es deswegen auch für richtig, dass wir den Pro-zess offen gestaltet haben, der Erfahrungen aus der Praxiswiderspiegelt, Anregungen aus der Praxis aufnimmt unddas Ganze mit wissenschaftlicher Begleitung in die Bil-dungs- und Erziehungspläne aufnimmt. Denn es ist falsch,zu glauben, man könnte das in nur einem Kindergarten-jahr umsetzen oder man könnte mit Versuchsanordnun-gen auskommen, die durchaus sehr wichtig sind, wenn esdarum geht, Praxisbeispiele und Unterstützungsmateria-lien für Eltern zu haben und ihnen an die Hand zu geben.Viel wichtiger ist es, das von Anfang an als einen gesam-ten Bildungsprozess zu sehen, es mit den Einrichtungenzu erproben und umzusetzen.

Heute Vormittag wurde ein Thema mehrfach angespro-chen: Müssen wir als Land Hessen dazu das letzte Kin-dergartenjahr kostenfrei stellen? Wo ist an dieser Stelledie kommunale Aufgabe, und welche Möglichkeiten ha-ben die Kommunen? Die Kommunen haben die Möglich-keit, Finanzierungsvorschläge zur Freistellung zu machen;das ist ganz klar geregelt. Es gibt da auch keine Irritatio-nen mehr. Das haben wir im letzten Plenum gemeinsambehandelt. Es gibt da eine klare Lage, und wir solltenheute feststellen, dass Einigkeit zumindest darüber be-steht, dass Kommunen all diese Möglichkeiten haben.

(Zuruf des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN))

Aber ich sage noch etwas, was die CDU-Fraktion undauch die Kollegin Schulz-Asche deutlich gemacht haben.Aus unserer Sicht ist es nicht die Priorität des Landes, mo-mentan an dieser Stelle für Entlastung zu sorgen. Einesolche Entwicklung kann wünschenswert sein; aber dasLand sieht seine Prioritäten dort, wo weiterer Bedarf vor-handen ist.

Die Mittel sollen eingesetzt werden, um die Kindergärtendort weiter auszubauen, wo es um Ganztagsbetreuungs-angebote geht, vor allem aber auch im Bereich der Krip-pen und der altersübergreifenden Gruppen, deren Zahlsehr stark zugenommen hat, gerade wenn es darum geht,Zweijährige in die Kindergartengruppen aufzunehmen.Das sind für uns die wichtigen Punkte, die bis 2010 umge-setzt werden müssen; so sieht es übrigens auch das TAGvor. Wir werden uns mit den Finanzmitteln des Landesdarauf konzentrieren, dass dort die Schwerpunkte gesetztwerden.

(Reinhard Kahl (SPD): Was machen Sie da? Nen-nen Sie einmal eine Hausnummer!)

Alles andere ist eine Angelegenheit der kommunalen Trä-gerschaft. Ich will auch noch einmal darauf hinweisen,dass es natürlich ein ganz wichtiges Instrument ist und inHessen im Gegensatz zu anderen Ländern längst dieMöglichkeiten vorhanden sind, sowohl Elternbeiträge zustaffeln als auch die Frage einer Freistellung derjenigen zuklären, bei denen die Eltern die Gebühr nicht zahlen kön-nen. Dann übernehmen heute schon zu großen Teilen –die Zahlen sind genannt worden – die Jugendhilfeträgerdie Kosten.

Herr Kahl, Sie haben dazwischengerufen: Was ist mit denKosten? Ich will Sie da nur auf eines hinweisen. Die SPD-Fraktion fordert auf der einen Seite, es am besten für dieunter Dreijährigen noch schneller zu machen – wir habendort einen Nachholbedarf; wir haben ihn von Ihnen mitübernommen –, und auf der anderen Seite sagt sie: Gleich-zeitig müssen wir das andere komplett freistellen. – Ichglaube, wir sollten in der Debatte doch ein bisschen mehrRedlichkeit haben. Denn wenn wir den Haushaltsplan desLandes beraten, werden Sie genau das Gegenteil sagenund verlangen, dass das Land überall noch wesentlichmehr einsparen muss.

(Reinhard Kahl (SPD): Was wollen Sie denn jetztmachen? – Petra Fuhrmann (SPD): Eine Frage derPrioritäten, ganz einfach!)

Wir setzen klare Prioritäten, und wir bauen – das habenwir heute auch schon mehrfach diskutiert – die Betreuungaus,

(Petra Fuhrmann (SPD): Eine Frage der Prioritä-ten!)

vor allem mit dem Schwerpunkt der unter Dreijährigen.Die Kommunen haben die Möglichkeit, selbst flexibel zuentscheiden. Aber ich glaube, das ist nicht der wichtigstePunkt. Wir setzen auf das Thema Bildung und Erziehung

(Reinhard Kahl (SPD): Was machen Sie nun finan-ziell? – Petra Fuhrmann (SPD): Wo steht das imHaushaltsplan?)

und auf die Weiterbildung der Erzieherinnen. Ich könnteIhnen viele Projekte nennen, von QUINT angefangen.

(Reinhard Kahl (SPD): Ganz konkret finanziell!)

– Das sage ich Ihnen doch gerade. Hören Sie einfach zu,Herr Kahl. Denn es wäre einfacher, wenn Sie sich damitauseinander setzen würden. – Wir haben Weiterbildungenfür die Erzieherinnen gemacht. Es wäre schön, wenndaran alle Kreise teilgenommen hätten, als es darum ging,mit dem Projekt QUINT eine bessere Qualität der Kin-dertagesstätten für behinderte Kinder zu erreichen. Dahat das Land Geld in die Hand genommen. Beim Bil-dungs- und Erziehungsplan nimmt das Land Geld in dieHand, und die Betreuung der unter Dreijährigen werdenwir weiter ausbauen.

Wir haben zumindest gemeinsam das Ziel, dass diesePriorität bis 2010 umgesetzt sein wird und dass dann derGrad der Betreuung über die Jahrgänge hinweg bei 20 %liegt. Ich teile die Auffassung, dass das im Bereich derZwei- bis Dreijährigen notwendiger sein wird als im Be-reich der Kleinkinder bis zu einem Jahr. Aber das wirdsich in den Bedarfsplanungen vor Ort ergeben.

Nun zum letzten Punkt, zum Kindergartengesetz und zuseiner Novellierung. Ich habe dazu schon etwas im Aus-schuss gesagt. Da konnten Sie, Frau Kollegin Schulz-Asche, nicht anwesend sein. Aber dazu ist auch etwas in

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der Begründung des Verwaltungsstrukturreformgesetzesgesagt worden.

Wir haben evaluiert.Aber wir wussten zum einen, dass einUrteil aussteht, das möglicherweise weiteren Novellie-rungsbedarf mit sich bringt, und wir hatten an einigenStellen weitere Nachfragen zur Novellierung. Die Urteils-begründung, die ganz dringend in die Novellierung ein-fließen muss, liegt leider bis heute nicht vor. Denn es gehtdarum, wie die Trägerschaft und die Verantwortlichkeit imHessischen Kindergartengesetz geregelt werden. Des-wegen haben wir nicht einfach die Geltungsdauer verlän-gert, sondern wir haben gesagt: Wir haben hier weiterenBedarf. Das Gesetz wurde nur um ein Jahr verlängert, weilgenau in diesem Bereich weiterer Handlungsbedarf be-steht. Gleichzeitig soll das Kinder- und Jugendhilfegesetzmit umgesetzt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will auchdarauf hinweisen, dass wir in Hessen keinen Handlungs-bedarf hatten, aus dem TAG etwas zu dem Thema der Ta-gesmütter neu umzusetzen, weil wir genau in diesem Be-reich Vorreiter waren und in Hessen längst Regelungenhatten, die etwas möglich machten, was in anderenBundesländern nicht möglich war. Im Ausschuss hat dieFraktion der GRÜNEN selbst gesagt, man müsse nocheinmal bei den Tagesmüttern darüber nachdenken, dieBetreuung auch in anderen Räumen zuzulassen, wie dasin Hessen schon längst der Fall ist. Wir haben dadurchauch keinen Handlungsdruck aufgrund des TAG. Wir ha-ben unsere gesetzlichen Möglichkeiten bis hin zur Staffe-lung von Elternbeiträgen. Das ist in Hessen gängige Pra-xis; dazu brauchen wir keine neuen gesetzlichen Regelun-gen.

Deswegen würde es uns, glaube ich, allen gut tun, wennwir uns auf der einen Seite die Möglichkeiten anschauen,die wir längst haben, und nicht einen Handlungsdruckaufbauen, der an dieser Stelle nicht vorhanden ist, und aufder anderen Seite gleichzeitig die Bildungs- und Erzie-hungsplanung gemeinsam so ernst nehmen, dass dieKommunen in ihrer Verantwortung die Erzieherinnen ge-nauso schulen und weiterbilden, wie wir das als Land mitzusätzlichen Mitteln tun.

Herr Kahl, möglicherweise können Sie in der SPD-Frak-tion noch einmal intervenieren. Dann sollten Sie der Red-lichkeit halber klar dazusagen, woher Sie die Mittel neh-men.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das haben wir bei denletzten Haushaltsberatungen ganz klar gesagt! Wirhaben eine Gegenfinanzierung vorgeschlagen!)

Denn Sie werden dann, wenn wir bei den Haushaltsbera-tungen Mittel erhöhen, zwar sagen, dass Ihnen alles nochnicht genug ist, gleichzeitig aber kritisieren, dass die Ver-schuldung steigt. Das ist alles unredlich, und so kann mankeine seriöse Politik machen.

(Petra Fuhrmann (SPD): Was Sie gerade sagen, istgelogen!)

Das ist Unsinn. Wir werden deswegen unsere Politik fort-setzen, Bildung und Erziehung zu stärken, die Erzieherin-nen zu begleiten,

(Petra Fuhrmann (SPD): Eine schlichte Lüge, wasSie erzählen!)

die Erprobungsphase umzusetzen, das, was dort stattfin-det, in die Bildungs- und Erziehungsplanung weiter ein-zubringen,Tagesmütter und Krippen aber als die Priorität

zu betrachten, die wir in Zukunft mit Landesmitteln wei-ter ausbauen müssen, und dafür auch alle Spielräume zunutzen.

(Beifall bei der CDU – Petra Fuhrmann (SPD): Im-mer dieselbe Schallplatte!)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Es gibt jetzt zweiKurzinterventionen, zuerst Herr Dr. Jürgens, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN, und dann Herr Kollege Kahl.

Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Ministerin, ich habe mich zu einer Kurzinterventiongemeldet, als Sie gesagt haben, die Gestaltung der Kin-dergartengebühren liege in der kommunalen Verantwor-tung, und es gehe um eine richtige Prioritätensetzung.

(Petra Fuhrmann (SPD): Genau!)

Das haben wir in Kassel gerade erleben können. Es gabeinen Beschluss der Kasseler Stadtverordnetenversamm-lung. Sie wollte zum einen die Qualität der Betreuungdurch eine Reduzierung der Gruppengrößen und dieSchaffung von mehr Stellen schrittweise verbessern undzum anderen die Kostenbeteiligung schrittweise mit demZiel der vollständigen Kostenfreiheit reduzieren.

Dann gab es die Weisung des Regierungspräsidenten alsAuflage zum Haushalt 2005, das genaue Gegenteil zu tun,nämlich zum einen die Gruppengrößen anzuheben undzum anderen die Kostenbeteiligung keinesfalls anzutas-ten, sondern allenfalls noch zu erhöhen. Es wäre alleinschon schlimm genug, dass Ihr CDU-Regierungspräsidentdie Stadt Kassel anweist, die Situation bei der Kindergar-tenbetreuung zu verschlechtern.

Aber zum vollständigen Skandal wurde das Ganze, weil erauch noch eine völlig falsche Prioritätensetzung vornahm.Denn die im gleichen Haushalt enthaltenen Verpflich-tungsermächtigungen für den Flughafen Kassel-Caldenvon 17 Millionen c in den nächsten Jahren sind völlig un-beanstandet geblieben. Wir wissen inzwischen alle: Diese17 Millionen c sind und bleiben hinausgeworfenes Geld.

(Beifall des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN))

Jedes Jahr kommen eine halbe bis 1 Million c für lau-fende Betriebskosten hinzu, die weiter hinterhergeworfenwerden. Genau das macht die Entscheidung zu einemSkandal. Sie sparen bei der Betreuung von Kindern, damitSie das Geld haben, um die Landschaft mit Beton zukleis-tern zu können und Investitionsruinen in die Landschaftzu stellen. Diese falsche Prioritätensetzung ist und bleibtein Skandal, und dafür trägt Ihr Regierungspräsident dieVerantwortung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank. – Herr Kollege Kahl.

Reinhard Kahl (SPD):

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Frau Ministerin, sicherlich sind wir uns in der Frage

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einig, dass Kinderbetreuung die Zukunftsaufgabe ist undPriorität im Landeshaushalt zu haben hat.

(Petra Fuhrmann (SPD): Genau! – Beifall bei Ab-geordneten der CDU)

Nur, eines lassen wir Ihnen nicht durchgehen, nämlichdass Sie behaupten, wir hätten dafür kein Finanzierungs-konzept. Dann bitte ich Sie wirklich einmal eindeutig da-rum, unsere Anträge zum letzten Haushalt wenigstensnachzulesen und nicht nur einfach im Haushaltsausschussabzulehnen. Das ist die Realität.

(Beifall bei der SPD)

In einem unterscheiden wir uns in der Finanzierungschon. Das will ich noch einmal in der Sache klar unddeutlich sagen. Die Zuweisung für die Förderung von Be-triebskosten der Kindergärten, und zwar sowohl der kom-munalen als auch der freien Träger, wollen Sie nach unsvorliegenden Zahlen im kommenden Jahr um 8,7 Millio-nen c anheben: 5,2 Millionen c für die kommunalen und3,5 Millionen c für die freien Träger. Nur, meine Damenund Herren, das finanzieren Sie wieder ausschließlich ausdem Kommunalen Finanzausgleich. Mit anderen Worten:Das, was die Kommunen zusätzlich bekommen, müssendie Kommunen von ihrem eigenen Geld bezahlen. Das istIhre Art der Finanzierung von Politik.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Frank Lortz:

Vielen Dank, Herr Kollege Kahl. – Meine Damen undHerren, es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Damit istdie Aussprache beendet.

Es wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN unter Tagesordnungspunkt 24 ge-meinsam mit den Anträgen unter den Tagesordnungs-punkten 30, 42 und 62 dem Sozialpolitischen Ausschuss zuüberweisen. – Kollege Kahl ist anderer Meinung.

Reinhard Kahl (SPD):

Nein, wir bitten darum, dass die Anträge unter den Tages-ordnungspunkten 30 und 42 mitberatend auch an denKulturpolitischen Ausschuss überwiesen werden.

Vizepräsident Frank Lortz:

Die Anträge unter den Tagesordnungspunkten 30 und 42mitberatend an den Kulturpolitischen Ausschuss. – Es gibtkeinen Widerspruch. Dann machen wir das so.

Dann kommen wir zum nächsten Punkt der Tagesord-nung.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident, Entschuldigung! DemKulturpolitischen Ausschuss sollte der zusätzlicheAntrag unter Tagesordnungspunkt 62 auch mitbe-ratend überwiesen werden, weil der auch das glei-che Thema aufgreift!)

– Also wenn wir uns einig sind und Sie sich auch entschul-digt haben, Herr Kollege Kaufmann, dann machen wirdas.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Danke!)

– Bitte sehr.

Dann rufe ich jetzt Punkt 6 der Tagesordnung auf.

(Wortmeldung des Abg. Reinhard Kahl (SPD) zurGeschäftsordnung)

– Kollege Kahl?

(Reinhard Kahl (SPD): Rufen Sie erst einmal auf!)

– Schön langsam. – Also rufe ich Punkt 6 der Tagesord-nung auf:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierungfür ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Stärkungder kommunalen Zusammenarbeit im BallungsraumFrankfurt/Rhein-Main (BallrG) und des Gesetzes überden Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main (PlanvG) – Drucks. 16/4509 –

Das Gesetz wird eingebracht von der Landesregierung.

(Reinhard Kahl (SPD): Jetzt!)

– Jetzt, zur Geschäftsordnung, Kollege Kahl.

(Vizepräsidentin Ruth Wagner übernimmt den Vor-sitz.)

Reinhard Kahl (SPD):

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Wir stellen den Geschäftsordnungsantrag, die Tages-ordnungspunkte 40, Entschließungsantrag der Fraktionder SPD betreffend Unterstützung der Kommunen imBallungsraum Frankfurt/Rhein-Main, und 41, Antrag derFraktion der SPD betreffend Rücknahme der Dringlich-keitserklärung Kultur, bitte jetzt zusammen mit Tagesord-nungspunkt 6 aufzurufen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich begründe das wie folgt: Beide Anträge gehören ein-deutig zum Bereich Ballungsraumgesetz. Es war und istPraxis in diesem Hause,Anträge mit Gesetzentwürfen zu-sammen zu beraten, wenn sie zum gleichen Thema gehö-ren, zumal es auf Vorschlag der antragstellenden Fraktionist und wir keine zusätzliche Redezeit an der Stelle brau-chen. Unverständlich ist, dass bei dieser Sachlage dieCDU die gemeinsame Beratung verhindern will, immernach der Devise: wegducken und verdrängen. Dies wirdIhnen aber nicht gelingen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem Ballungsraumgesetz und der Dringlichkeitser-klärung Kultur haben Sie bewusst einen massiven Kon-flikt mit allen Kommunen im Rhein-Main-Gebiet provo-ziert. Sie haben gleichzeitig einen Konflikt innerhalb derCDU-Fraktion, weil eine Reihe von CDU-Abgeordnetenals Kommunalpolitiker im Ballungsraum genau in diesemKonflikt stehen. Diese Abgeordneten könnten wir na-mentlich nennen.

Eine isolierte Diskussion zu den vorgeschlagenen Ände-rungen des Gesetzes – Verlängerung der Befristung undBestimmung über die Abberufung der hauptamtlichenWahlbeamten – ist in dieser Situation schlicht weltfremd.Den Hauptkonflikt dieses Gesetzes können Sie damitnicht ausblenden. Sie können die Diskussion und Abstim-mung heute verhindern, aber nicht auf Dauer. Ihre falschePosition gegenüber allen Kommunen und praktisch allenpolitischen Kräften im Rhein-Main-Gebiet werden Sieräumen müssen, weil dies ein massiver Eingriff in diekommunale Selbstverwaltung ist.

(Beifall des Abg. Jürgen Walter (SPD))

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5525

Meine Damen und Herren, dazu nur ein einziges Zitat,und da nehmen wir den Landkreis des Ministerpräsiden-ten als Beispiel. Der Kreistag hat einstimmig Folgendesbeschlossen:

Der Kreistag spricht sich gegen den von der Lan-desregierung angestrebten Zweckverband „Kultur-region Frankfurt/Rhein-Main“ aus. Dieser Zweck-verband würde die Kommunen des Main-Taunus-Kreises finanziell überfordern,

(Frank Gotthardt (CDU): Ist das noch zur Ge-schäftsordnung?)

das Selbstverwaltungsrecht missachten und der an-gestrebten freiwilligen Zusammenarbeit in derRhein-Main-Region erheblich schaden.

(Jürgen Walter (SPD): Unglaublich!)

Meine Damen und Herren, dies als ein einziges Beispielaus dem Heimatkreis des Ministerpräsidenten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Herr Kahl, ich bitte Sie, sich bei der Geschäftsordnungs-debatte sehr eng zu halten.

Reinhard Kahl (SPD):

Das ist auch schon mein letzter Satz. – Meine Damen undHerren, deshalb fordern wir Sie auf, unserem Geschäfts-ordnungsantrag zuzustimmen. Stellen Sie sich dieser Dis-kussion heute.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Meine Damen und Herren – Moment, Herr Minister, wirsind in einer Geschäftsordnungsdebatte –, wir wollen zu-erst klären, ob die Anträge unter den Tagesordnungs-punkten 40 und 41 mit aufgerufen werden. Dazu möchteich jetzt um Wortmeldung bitten. Wer möchte sich dazuäußern? – Herr Kollege Gotthardt, Sie haben das Wort.

Frank Gotthardt (CDU):

Frau Präsidentin, der Kollege Kahl hat das so engagiertvorgetragen und sich so bemüht, dass wir einverstandensind.

(Heiterkeit – Reinhard Kahl (SPD): Wenigstenseinmal ein Erfolg!)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Das freut mich sehr, meine Damen und Herren, zumal dieLandtagsverwaltung die Akten so für die Präsidentin auf-bereitet hat, dass sie offensichtlich vorausgesehen hat,dass das inhaltlich zusammengehört.

(Gerhard Bökel (SPD): Aha!)

Ich stelle also fest, dass alle Fraktionen des Hauses damiteinverstanden sind, dass mit diesem Gesetzentwurf derLandesregierung auch die Anträge – ich sage das jetztsehr formal – –

(Unruhe)

– Meine Damen und Herren, ich bitte einmal die Abge-ordneten rechts, aus dem Saal zu gehen oder den Mund zuhalten und sich hinzusetzen.

(Beifall bei der FDP)

– Ich meine die CDU auf der rechten Seite. Bitte sehr. Ichbin auch bereit, andere zu rügen, wenn es sein muss, alle.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Aber nicht die FDP, FrauKollegin!)

Ich rufe also weiter Tagesordnungspunkt 40:

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffendUnterstützung der Kommunen im Ballungsraum Frank-furt/Rhein-Main – Drucks. 16/4524 –

und Tagesordnungspunkt 41 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend Rücknahme derDringlichkeitserklärung Kultur – Drucks. 16/4525 –

Die werden jetzt gemeinsam mit aufgerufen.

(Frank Gotthardt (CDU): Und Tagesordnungs-punkt 36! – Reinhard Kahl (SPD): Das müssen dieGRÜNEN sagen! – Frank-Peter Kaufmann(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Logisch!)

– Jawohl, das gehört inhaltlich eigentlich auch dazu. DerHesse hat dafür einen wunderbaren Ausdruck. – Ich rufealso Tagesordnungspunkt 36 mit auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be-treffend Ablehnung des Kulturzwangsverbands – Drucks.16/4519 –

Alles wird gemeinsam aufgerufen. Meine Damen undHerren Geschäftsführer, bleibt es bei der Redezeit vonzehn Minuten? – Das machen wir so.

Dann hat für die Landesregierung Herr Kollege Bouffierdas Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs.

Volker Bouffier, Minister des Innern und für Sport:

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Ich stellemit Freude fest, dass wir zumindest beim Verfahren nocheinig sind. Wir wollen einmal schauen, wie weit wir in derSache kommen.

Ich bringe zunächst für die Landesregierung die Novellie-rung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Stär-kung der kommunalen Zusammenarbeit im Ballungs-raum Frankfurt/Rhein-Main und des Gesetzes über denPlanungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Mainein. Nun haben wir ein kleines Problem.

(Anhaltende Unruhe)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Meine Damen und Herren, jetzt wird die linke Seite ge-rügt, Frau Fuhrmann, alle Menschen, die links Unruheverbreiten.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Es dient sich hier eine große Koalition der Unruhe an.Meine Damen und Herren, ich bitte das draußen zu ver-handeln.

(Heiterkeit)

Herr Minister, Sie haben das Wort.

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Volker Bouffier, Minister des Innern und für Sport:

Also fangen wir noch einmal an.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Und zwar von vorn, bitte!)

Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren!

(Heiterkeit des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP) – Jür-gen Walter (SPD): Jetzt müssen Sie die Mitte rügen,Frau Präsidentin!)

CDU und FDP haben nach den Erfahrungen mit demUmlandverband im Jahr 2000 einen neuen Ansatz dafürgewählt, wie die unbestreitbar notwendige Zusammenar-beit im Ballungsraum Rhein-Main gestaltet werden soll.Ergebnis dieses Ansatzes waren zwei Gesetze, die inhalt-lich zusammengehören: zum einen das Gesetz über diekommunale Zusammenarbeit im Ballungsraum Rhein-Main und zum anderen das Gesetz über den Planungsver-band des Ballungsraums. Beide Gesetze stehen zur Dis-kussion, und beide Gesetze sollen mit dem von mir einge-brachten Entwurf der Landesregierung erneut für fünfJahre verlängert werden. Daneben sollen einige Ände-rungen vorgenommen werden, die sicherlich, gemessen ander Grundsatzdebatte, von geringerer Bedeutung sind.

Ich will zunächst einmal festhalten, dass sich alle Behaup-tungen der Opposition, dass z. B. das Ballungsraumgesetzeiner gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten würde,als falsch erwiesen haben. Der Staatsgerichtshof hat aus-drücklich erklärt, dass von Verfassungs wegen keine Be-denken bestehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb haben wir eine Ausgangslage, die, wenn wir sieein wenig abstufen, so aussieht: Der Umlandverbandhatte 30 Jahre Zeit, die Probleme zu lösen, und hat sich amSchluss wegen mangelnder Handlungsfähigkeit sozusa-gen selbst ins Abseits gestellt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Der neue Ansatz hat drei Grundelemente. Er setzt auf dieinterkommunale Zusammenarbeit, er ist für die Kommu-nen das freieste Instrument, das überhaupt organisations-rechtlich denkbar ist. Sämtliche Alternativen, ob Regio-nalkreis, Eingemeindungen, oder was es sonst alles gibt,schneiden weiter in die kommunale Selbstverwaltung ein.

Er baut auf das Prinzip der Freiwilligkeit nach dem Motto– das wir für richtig halten, was auch für Fragen gilt, dieunter Kultur und Sonstigem hier zu diskutieren sind –,dass die Freiwilligkeit Priorität hat. Wir sind allerdingsschon gemeinsam der Auffassung – wozu ich von nieman-dem gehört habe, dass es nicht so wäre –, dass sich die De-batte nicht darin erschöpfen kann, Probleme zu beschrei-ben, festzustellen, die Probleme sind immens, festzustel-len, es gibt enorme Widersprüche, und weil das alles soschwierig ist, machen wir nichts. Das war die Situation, wiesie jahrzehntelang bestand. Das haben wir überwunden,indem wir hinzugefügt haben: Wir setzen auf Freiwillig-keit. Sollte es aber zu gar nichts kommen, dann nimmt derLandesgesetzgeber und in Ableitung dieser Verpflichtungdie Landesregierung die Verpflichtung wahr, entspre-chende Rahmendaten zu setzen.

Das ist die Grundsystematik dieses Gesetzes. Dabei bleibtes. Ich bin der Überzeugung, das Gesetz hat sich bewährt.Entgegen allen Aufgeregtheiten will ich aus meiner Sichthinzufügen, warum es aus grundlegender Sicht notwendigist, dass beide Gesetze fortgeführt werden.

Man kann über viele Einzelheiten streiten. Aus meinerSicht kann man nicht ernsthaft darüber streiten, dass es,wenn dieser Raum in irgendeiner Weise gemeinschaftlichpositiv entwickelt werden soll, eine gemeinsame Grund-lage geben muss. Diese gemeinsame Grundlage ist durchden regionalisierten Flächennutzungsplan geschaffen.Dieser regionalisierte Flächennutzungsplan war und ist inder Bundesrepublik ein Vorreiter, den es in dieser Art undWeise noch nirgends gegeben hat. Er fügt die kommunaleKompetenz der Flächennutzungsplanung mit der notwen-digen Regionalplanung zusammen, die gemeinsam mitden Gremien des Planungsraums und dem Regierungs-präsidium in Darmstadt erarbeitet wurde. Das ist schonheute eine Erfolgsgeschichte.

Herr Kollege Walter, wenn ich das einmal an Sie persön-lich richten darf. Mir fehlt jedes Verständnis. Wer fordert,beide Gesetze ersatzlos zurückzunehmen, der müsstekonsequenterweise eine Antwort darauf geben, ob esrichtig ist, dass in Zukunft wieder jede Kommune aus-schließlich selbstständig ihre Planung ohne den notwendi-gen Abstimmungsprozess im Ballungsraum betreibt. Ichhalte das für nicht richtig. Wenn man an dieser Grundele-mentstruktur – nämlich der regionalisierten Flächennut-zungsplanung – nicht festhält, dann kann man sich ausmeiner Sicht von jeglicher Verdichtungsdiskussion abso-lut verabschieden.

Deshalb ist der regionalisierte Flächennutzungsplan dieGrundlage für die gesamte Entwicklung dieses Raumes.Allein dieses Instrument macht es notwendig – das ist ausmeiner Sicht auch richtig –, dass beide Gesetze verlängertwerden und eine Abschaffung dieser beiden Gesetze mei-nes Erachtens ernsthaft überhaupt nicht diskutiert wer-den kann. Es kann nicht richtig sein, dass jede Gemeindeihre Flächennutzungsplanung völlig freihändig von allenanderen macht. Genau das war der Grund, weshalb wirdieses neue Instrument haben, das bundesweit beachtetwird.

Meine Damen und Herren, es hat auch eine Menge Er-folge gegeben. Die Debatte entwickelt sich – wie so viele– rein an der Oberfläche. Ich darf einmal darauf hinwei-sen, dass die Region mittlerweile schon neben vielemFachlichen ein gemeinsames Leitbild entwickelt hat. Dasist für jede gemeinschaftliche Planung ungemein wichtig.Diese Region hat eine Einzelhandelsplanung. Oder, wasvielleicht die GRÜNEN besonders interessiert und mirnicht mehr in Erinnerung war, sie hat eine gemeinsamePlanung zur Windenergie und vieles andere mehr entwi-ckelt.

Mir ist etwas besonders wichtig.Wir haben diesen Prozessmit den Kommunen, dem Planungsverband, dem Regie-rungspräsidium und den Experten in der Öffentlichkeitsehr transparent und mit großem Einvernehmen zu-sammengeführt. Nicht zuletzt das ist der Grund, warumjetzt das Land Nordrhein-Westfalen in ähnlicher Weise imRuhrgebiet – aber nicht nur dort – die Arbeit aufnimmt,um den integrierten Flächennutzungsplan fortzuführen.

Meine Damen und Herren, die Erfolge der integriertenkommunalen Zusammenarbeit sind beim besten Willennicht zu bestreiten. Das geht zum Teil weit über das hin-aus, was öffentlich wahrgenommen wird, wenn Sie fol-gende Beispiele nehmen: die Frankfurt Ticket Rhein-Main GmbH, die Route der Industriekultur, das Internet-portal für den Sport, die Initiative des Rates der Regionzu den Handwerkerausweisen und zu den Handwerker-hilfestellungen, die Sportentwicklungen. Dort ist eineganze Menge geschehen. Das verdient letztlich Anerken-

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5527

nung der integrierten kommunalen Zusammenarbeit imRahmen dieser gesetzlichen Vorgabe.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb ist das schon jetzt eine Erfolgsgeschichte. Be-sonders hervorzuheben – das darf man auch nicht verges-sen – ist die Frankfurt Rhein-Main GmbH InternationalMarketing. Am 24. März dieses Jahres haben 22 Gesell-schafter aus dem Ballungsraum darüber hinaus eine neueEinrichtung geschaffen, die sehr gut geeignet ist, die vor-handenen und von allen nicht bestrittenen Defizite desStandortmarketings in Zukunft zu beseitigen. Genaudiese Frankfurt Rhein-Main Marketing GmbH ist ein her-vorragendes Beispiel dafür, dass das Instrumentarium,das beiden Gesetzen zugrunde liegt, greift.

Auch dieser Entscheidung, die dort aufgrund kommuna-ler Entscheidungen und kommunaler Gestaltung getrof-fen wurde, lag eine Dringlichkeitserklärung der Landes-regierung zugrunde. Das ist vielleicht in der Debatte gele-gentlich vergessen worden. Auch dort hat die Landesre-gierung, nachdem man zunächst zu gar nichts kam, eineDringlichkeitserklärung abgegeben. Diese Dringlich-keitserklärung hat im Ergebnis dazu geführt, dass dieKommunen – wie ich denke – mit weiteren Partnern einesehr vernünftige Entscheidung getroffen und für ihreStandortmarketingaufgaben eine zukunftsweisende Lö-sung gefunden haben. Mir ist es im Prinzip – das gilt übri-gens auch für das Thema Kultur – völlig gleichrangig oderauch nachrangig, ob es das Ergebnis der Dringlichkeitser-klärung, des Drucks der Landesregierung oder eigeneEinsicht war.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Ach je!)

– Frau Ypsilanti, wahr ist doch, man hat 30 Jahre disku-tiert. Man hat gemeinsam beklagt, es gebe ein Defizit imStandortmarketing. Es ist nichts geschehen.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Das stimmt gar nicht!Das hat sich vorher schon bewegt!)

Als wir dann die Dringlichkeitserklärung abgegeben ha-ben, hat es sich in die richtige Richtung bewegt, und dieKommunen haben entschieden. Das ist ein Erfolg genaudieses politischen Ansatzes.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Februar 2005, Gesellschaft für integriertes Verkehrsma-nagement, 15 Gebietskörperschaften im Rhein-Main-Ge-biet sowie die Länder Hessen und Rheinland-Pfalz – dassind doch nachweisbare Erfolge dieses Konzeptes.

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Herr Minister, die Zeit der Fraktionen ist abgelaufen.

Volker Bouffier, Minister des Innern und für Sport:

Frau Präsidentin, da die Fraktionen geschäftsordnungs-mäßig noch ein weiteres Thema eingebaut haben, mussich das bitte ein klein wenig überziehen. Ich will die Zeitnicht überstrapazieren.Aber zwei, drei Gedanken müssenschon noch sein.

Regionalparkentwicklung. 20. Juli 2005, RegionalparkBallungsraum Rhein-Main gemeinnützige GmbH, 13 Ge-sellschafter, das Land Hessen, Planungsverband – allesLösungen im Rahmen des Konzeptes integrierte kultu-relle Zusammenarbeit. Meine Damen und Herren, nun

rügen und beantragen Sie, die DringlichkeitserklärungKultur zurückzunehmen. Ich habe bewusst darauf hinge-wiesen, wie es beim Standortmarketing war. Ich bleibedabei, diese Dringlichkeit ist notwendig. Alle beklagen,dass etwas zu tun sei. Niemand bestreitet, dass Hand-lungsbedarf besteht. Alle sind der Auffassung, man müsseetwas tun. Gemeinsam stellt man fest, dass man leiderkeine gemeinsamen Vorstellungen hat.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Das stimmt nicht!)

Das Ergebnis ist, dass wir – wie in den anderen Punktenauch – entweder vor der Vielzahl der Probleme kapitulie-ren und nichts tun oder den Kommunen die Chance ge-ben, in eigener Entscheidung nach eigener Gestaltungs-kraft das, was sie schon begonnen haben, im Bereich derKultur zu gestalten. Das muss mehr werden, als es heuteist. Ich bin der festen Überzeugung, es wird mehr werden.Wenn Sie sich das einmal anschauen: Der Rat der Regionhat Widerspruch eingelegt. Wir haben jetzt ein Jahr Zeit.Ich bin der festen Überzeugung, dass sich in diesem Jahrauf diesem Feld eine Menge bewegen wird. Nicht zuletztgibt es auch eine Initiative der IHK mit dem Mediations-angebot. Die Signale, die aus dem Bereich kommen, zei-gen doch, dass niemand bestreitet, dass Handlungsbedarfbesteht, dass die Dringlichkeitserklärung im Sinne von„Es ist dringend etwas zu tun“ unbestritten ist.

(Andrea Ypsilanti (SPD): So kann man es auchinterpretieren! Das ist sehr wohlwollend!)

Dann streiten wir über die Frage: Sollen wir die Dring-lichkeitserklärung zurücknehmen mit dem Ergebnis, dassalle wieder hinter das zurückfallen, was wir haben, und sa-gen, wir haben es nicht so ernst gemeint? – Wir meinen esernst und setzen darauf, dass die Kommunen in eigenerZuständigkeit und in eigener Entschlusskraft zu Ergeb-nissen kommen.Wir werden in diesem Jahr sehen – da binich sehr zuversichtlich –, dass wir entsprechende Ergeb-nisse vorzeigen können. So, wie es ist, kann es nicht blei-ben. Wenn es besser werden soll, muss es anders werden.Das gilt auch und gerade im Bereich der Kultur.

Der Gesetzentwurf enthält drei Änderungen, auf die ichpflichtgemäß hinweisen will. Wir haben beim Planungs-verband die Aufgabenstellung zu Mitwirkungsbefugnis-sen ausgestaltet, weil wir der Auffassung sind, die Aufga-benstellung der Planung ist so zentral, dass sie sich auf dieKernaufgaben konzentrieren sollte. Das hat in der Anhö-rung Zustimmung und Ablehnung gefunden. Es ist wiefast immer. Zugestimmt haben z. B. der Städte- und Ge-meindebund und die Stadt Offenbach, abgelehnt habender Städtetag und die Stadt Frankfurt und alle dazwi-schen. Wir haben die bisherigen Beteiligungen des Pla-nungsverbandes ausdrücklich belassen, sind aber der Auf-fassung, dass zukünftig eine Mitwirkung und nicht eineweitere Ausdifferenzierung in Gesellschaften stattfindensoll.Wir haben hinsichtlich der Hauptamtlichen die Rege-lung der Abwahlmöglichkeiten nachgebildet, wie sie inder HGO vorgesehen sind. Es trifft die derzeitigen Betei-ligten nicht, weil sie einen Bestandsschutz haben.

Meine Damen und Herren, im Ergebnis sind die Fragen,was den Planungsverband bzw. die Region angeht, und dieArgumente nicht neu. Diejenigen, die seinerzeit gesagthaben, sie hielten das Ganze für falsch, haben diese Auf-fassung beibehalten. Die Landesregierung – ich hatte daseingangs gesagt – hat sich seinerzeit entschieden, wie Siees kennen. Wir sind der Auffassung, dass das auch heuteeine vernünftige und zukunftsweisende Maßnahme ist.

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5528 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Zum Schluss. Die integrierte kommunale Zusammenar-beit hat sich schon heute bewährt. Das Instrumentariumist geeignet. Es ist, was die Frage des regionalisierten Flä-chennutzungsplanes angeht, beispielhaft in Deutschland.Und es ist ein klares Signal an alle, dass es, wenn wir die-sen wichtigen Raum in Hessen, der unser Herzstück ist,weiter voranbringen wollen, einer entschlossenen Politik-begleitung bedarf.

Diese führt sich so zusammen: Die Landesregierung for-dert die Kommunen auf: Rauft euch zusammen, bringt dieKraft auf, wie beim Marketing eine eigene Lösung zu ent-wickeln. Dann bedarf es keines weiteren Rahmens durchdie Landesregierung. Allerdings kann ein dissonanterChor, der sich im Wesentlichen so zusammenfassen lässt,dass alle gegen das Vorgeschlagene sind, aber keiner einegemeinschaftliche Vorstellung entwickelt, für die Zukunftnicht richtig sein. – Deshalb bleibt es dabei: Ich bin sehrzuversichtlich, dass wir in diesem Jahr, wenn mancherTheaterdonner verklungen und mancher Rauch verzogenist, eine sehr zukunftsweisende Struktur auch bei der Kul-tur bekommen. Im Übrigen besteht in den Ausschussbe-ratungen zu dem Gesetzentwurf die Möglichkeit, sich imEinzelnen noch zu äußern. – Ich bitte um Zustimmung.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, bevor ich jetztHerrn Walter das Wort erteile, will ich Ihnen nur mittei-len, dass die Übereinkunft besteht, dass wir nachher überalle Initiativen sofort abstimmen. Ich sage das, damit dieKollegen, die sich in dem anderen Haus aufhalten, wissen,wann es losgeht. Die Redezeiten kennen Sie.

Zur Begründung des Entschließungsantrags der SPD-Fraktion hat deren Fraktionsvorsitzender, Herr Walter,das Wort. Herr Walter, Sie haben zehn Minuten Redezeit.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Er hat elfeinhalb Minuten Redezeit! –Jörg-Uwe Hahn (FDP): Frau Vizepräsidentin, dasgeht zuzüglich Mehrwertsteuer! – Gegenruf desAbg. Reinhard Kahl (SPD): Das ist aber noch deralte Steuersatz!)

Jürgen Walter (SPD):

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! HerrInnenminister, vorab möchte ich eines sagen: Ich weißnicht, ob Sie es willentlich oder eher fahrlässig gemachthaben. Aber Sie haben mit Ihrer Darstellung den Ein-druck erweckt – eigentlich haben Sie es sogar ausdrück-lich gesagt –, dass wir Sie auffordern würden, beide Ge-setze zurückzuziehen. Das ist natürlich nicht richtig.

Herr Innenminister, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bit-ten, und zwar nur für einen kurzen Augenblick? Es dientder sachlichen Aufklärung.

Natürlich halten wir die regionale Flächennutzungspla-nung für wichtig. Ein Blick auf unsere Anträge zeigt, dasswir Sie auffordern, das Ballungsraumgesetz zurückzuzie-hen.Wir fordern Sie aber nicht auf, die regionale Flächen-nutzungsplanung abzuschaffen. Das wollte ich nur zurKlarstellung sagen, damit da kein falscher Eindruck ent-steht.

Warum befristen wir Gesetze? Wir befristen die Gesetze,damit vor einer Prolongation im Sinne einer Qualitäts-

kontrolle überprüft werden kann, ob das Gesetz sinnvollist. Es soll geprüft werden, ob die Ziele, die mit dem Ge-setz erreicht werden sollten, tatsächlich erreicht wurden.Man kann es auch umgekehrt sagen: Es soll geprüft wer-den, ob die Probleme, die mit dem Gesetz gelöst werdensollten, tatsächlich gelöst wurden.

Herr Innenminister, diese Qualitätskontrolle haben Sienicht vorgenommen. Hätten Sie wirklich die Frage ge-stellt: „Hat dieses Gesetz etwas dazu beigetragen, dass dieProbleme im Ballungsraum besser gelöst werden konn-ten?“, dann hätten Sie diese Frage mit Nein beantwortenmüssen. Herr Innenminister, wenn die Qualitätskontrolleernst gemeint sein sollte, dann hätten Sie zu dem Ergebniskommen müssen, dass Sie uns dieses Gesetz nicht zur Pro-longation vorlegen, sondern dass Sie dieses Gesetz aus-laufen lassen sollten.

(Beifall bei der SPD)

Was soll denn mit dem Ballungsraumgesetz erreicht wer-den? Das Problem besteht in der Tat in der mangelndenOrganisation der Region. Das ist unstrittig. Wir wolleneine bessere Organisation mit dem Ziel der Verbesserungder Wettbewerbsfähigkeit haben.

Dieses Gesetz wurde im Dezember 2000 beschlossen.Mittlerweile sind fünf Jahre vergangen. In diesen fünf Jah-ren ist die Organisation in unserem zentralen Wirtschafts-raum Rhein-Main nicht besser, sondern eher schlechtergeworden. Herr Minister, Sie haben davon gesprochen,die Kommunen hätten sich geeinigt. Ich sehe aber mo-mentan nur, dass es eine Einigung der Kommunen dahingibt, die Politik der Landesregierung abzuwehren.

(Beifall bei der SPD)

Herr Innenminister, in dem Rat der Region sitzen nichtnur Sozialdemokraten. Die kommunale Ebene lehnt denAnsatz grundsätzlich ab, den Sie mit Ihrer Politik gewählthaben.

Sie haben das Standortmarketing angesprochen. Zum ei-nen möchte ich dazu Folgendes sagen: Die Kommunenhaben die ganze Zeit versucht, sich hinsichtlich des Stand-ortmarketings zu verständigen. – Sie werden jetzt aber sa-gen: Ohne die Abgabe der Dringlichkeitserklärung hättedas nicht funktioniert.

Wir sollten das einmal auf den Kulturzwangsverbandübertragen. Herr von Harbou hat hinsichtlich des drohen-den Kulturzwangsverbands eine Mediation initiiert.Wennwir davon ausgehen, dass diese Mediation zu einem Er-gebnis kommt, wüsste ich, wie Sie argumentieren würden.Sie würden nämlich sagen: Seht her, unsere Dringlich-keitserklärung hat dazu geführt, dass sich diese Freundeeinmal zusammengesetzt haben, das ist unser Erfolg.

(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten derCDU)

– Freut euch nicht zu früh. Denn das Gegenteil wird ein-treten. – Herr Innenminister, das Gegenteil wird Wirk-lichkeit werden.

Herr Innenminister, es gibt einen Unterschied zum regio-nalen Standortmarketing. Das, was hier zur Diskussionsteht, ist sehr kostenintensiv. Ich habe Gespräche mit so-zialdemokratischen Kommunalpolitikern geführt, abernicht nur mit ihnen. Herr Banzer hat Herrn von Harboueine deutlich ablehnendere Antwort gegeben, als es HerrGrandke getan hat.

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5529

Die Position der Kommunalpolitiker ist doch relativ ein-deutig. Sie sagen: Wir sind nicht bereit, über die Frage derkulturellen Zusammenarbeit ernsthaft zu verhandeln,wenn uns die Landesregierung die Pistole vorhält.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Innenminister, es ist nicht so, dass Ihr Gesetz nicht zuErgebnissen führen würde. Es handelt sich dabei auchnicht um ein Thema, das wir in den Parlamenten be-sonders intensiv diskutieren, das aber in Wirklichkeit inder Welt relativ wirkungslos ist. Das Grundproblem IhresGesetzes besteht doch darin, dass es kontraproduktiv ist.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Ja!)

Herr Innenminister, ich bin mir relativ sicher, dass sichkein vernünftiger Kommunalpolitiker, dem mit derDringlichkeitserklärung die Pistole vorgehalten wird,ernsthaft auf diese Mediation einlassen wird. Mit derDringlichkeitserklärung verhindern Sie das, was gewolltund notwendig ist, nämlich eine bessere Zusammenarbeitin unserer Region.

(Beifall bei der SPD)

Verehrter Herr Ministerpräsident, was ich hier mache, istdoch nicht die Rhetorik der Opposition. Ich könnte Ihnenhier zig Zitate von Kommunalpolitikern aus Ihren eige-nen Reihen vorlegen. Herr Kollege Kahl hat aus demMain-Taunus-Kreis berichtet, aus dem Sie kommen. KeinKommunalpolitiker ist bereit, Sie sozusagen als Vormundder kommunalen Familie anzuerkennen. Kein Kommu-nalpolitiker ist bereit, den Hessischen Ministerpräsiden-ten als denjenigen anzuerkennen, der der kommunalenFamilie im Einzelnen vorschreiben kann, was sie zu ma-chen hat.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, wenn die kommunale Familiediesen Weg gehen würde, dann bräuchten wir über kom-munale Selbstverwaltung nicht mehr zu reden.

Jetzt kommen wir zu den Grundfehlern, also zu den Feh-lern, die Ihr Gesetz schon in der Anlage hat. Zum einensieht Ihr Gesetz eine viel zu enge räumliche Begrenzungvor.

(Andrea Ypsilanti (SPD): Ja!)

Das haben wir Ihnen oft genug gesagt. Der Pressemel-dung des Herrn von Harbou kann ich entnehmen, dass erder Auffassung ist, dass der Ballungsraum 5,5 MillionenEinwohner hat. Das Land Hessen hat knapp über 6 Milli-onen Einwohner. Seiner Auffassung nach reicht der Bal-lungsraum wahrscheinlich bis nach Baden-Württemberg.

Sie haben den Ballungsraum so festgelegt, dass Land-kreise wie der Landkreis Groß-Gerau oder der Wetterau-kreis durchtrennt werden. Das funktioniert natürlichnicht. Denn es könnte der Fall sein, dass sich die eineKommune an der Finanzierung beteiligen muss, währenddie Nachbarkommune, die nicht mehr Mitglied des Bal-lungsraums ist, völlig frei von Zahlungen ist. Herr Minis-terpräsident, das werden Sie in dem Parlament einesLandkreises vor Ort niemandem erklären können. HerrMinisterpräsident, Sie werden auch niemandem erklärenkönnen, dass die Stadt Darmstadt und die Stadt Wiesba-den nicht zum Ballungsraum Rhein-Main gehören.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens geht es um den Eingriff in die kommunaleSelbstverwaltung. Hinter Ihrem Gesetz steht folgende

Konzeption: Wir, die Landesregierung, beschreiben dieZiele. Dann geben wir den Kommunen ein Jahr Zeit.Während dieses Jahres haben die Kommunen gefälligstdas zu erledigen, was wir von ihnen wollen. Wenn sie dasnicht tun – Sie haben mit freundlicheren Worten dasselbebeschrieben –, werden wir für die Kommunen handeln. –Herr Innenminister, wo bleiben die viel beschworeneFreiwilligkeit und die kommunale Selbstverwaltung?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie wollen von Wiesbaden aus entscheiden, und zwar bisins Detail hinein, wie die Probleme der Rhein-Main-Re-gion auf kommunaler Ebene gelöst werden sollen.

Sie schütteln den Kopf. Herr Innenminister, nachdem Sieaber die Dringlichkeitserklärung zum Kulturzwangsver-band abgegeben haben, können wir bis auf den Euro ge-nau berechnen, wie Sie die Kommunen zur Finanzierungdes kulturellen Angebots heranziehen wollen.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, das ist ein Sachverhalt, der noch zu wenig be-leuchtet wurde.

Drittens. Sie bevorzugen ausschließlich monothematischeZweckverbände. In der Begründung zum Planungsver-band steht: Wir wollen den Planungsverband nicht mehran anderen Themen als dem der regionalen Flächennut-zung beteiligen, weil wir Verbände ablehnen, die mehre-ren Zwecken dienen.

Herr Ministerpräsident, ich kann da Ihre Sichtweise ver-stehen. Ganz offensichtlich ist es so, dass Sie es nicht wol-len – möglicherweise befürchten Sie sogar, dass es einStück weit so kommen könnte –, dass tatsächlich so etwaswie ein kommunales Kompetenzzentrum entsteht, dasdann auch zu einem kommunalen Machtzentrum werdenkönnte.

Das ist doch augenfällig. Natürlich ist es sinnvoll, ver-schiedene Themen gemeinsam zu behandeln. Ich gebe ei-ner anderen Kommune etwas für die Kultur, um etwas fürdie Wirtschaftsförderung zu bekommen. Das ist nichtmöglich, wenn es verschiedene, voneinander unabhängigeZweckverbände gibt.

Das von Ihnen in Auftrag gegebene Gutachten des HerrnPfäffli geht auch in diese Richtung. Dies spricht natürlich,sachlogisch gesehen, nicht für Regelungen über monothe-matische Zweckverbände. Vielmehr spricht dies dafür,dies mit einem großen Ansatz zu machen, der all die Pro-bleme umfasst, die in der Region Rhein-Main gelöst wer-den müssen. Das spricht also dafür, das alles in einem Ver-band zu erfassen. Herr Innenminister, wir Sozialdemokra-tinnen und Sozialdemokraten bezeichnen unseren An-satz, den wir in diesem Zusammenhang haben, als Regio-nalkreis.

(Minister Volker Bouffier:Warum ist dann der Um-landverband in 30 Jahren nicht einen Schritt voran-gekommen?)

– Herr Innenminister, nur wenn man diese Themen zu-sammengefasst betrachtet, kann man zu einem ernsthaf-ten Ergebnis kommen. Dann hätte man einen Ansatz, mitdem man alle Probleme lösen kann, die es im Rhein-Main-Gebiet gibt.

Sie sehen das doch mittlerweile auch. Ihre Landtagsabge-ordneten, die auf der kommunalen Ebene selbst noch alsStadtverordnete oder Kreistagsabgeordnete tätig sind,

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5530 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

müssen doch momentan aus der Sitzung hinausgehen, wiedas Herr Grüttner in Offenbach macht,

(Norbert Schmitt (SPD): Er geht sogar hier schonhinaus!)

oder sie müssen gucken, wie sie in irgendeiner anderenArt und Weise das Spannungsfeld lösen, das sich hinsicht-lich der Loyalität gegenüber ihrer Landesregierung undgegenüber ihrer eigenen kommunalen Fraktion ergibt.Herr Ministerpräsident, es wird in der Region doch au-genfällig, dass Sie mit Ihrer Konzeption Schiffbruch erlit-ten haben. Wir stehen kurz vor der Kommunalwahl. IhreFreunde auf kommunaler Ebene weigern sich, mit Ihnenbei der Kommunalwahl unterzugehen. Deswegen erlebenSie, dass eine Resolution nach der anderen gegen IhrenPolitikansatz verabschiedet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Jürgen Walter (SPD):

Kurz vor der Kommunalwahl gefällt es mir als Fraktions-vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei, dass Sieeine deutlich kommunalfeindliche Politik betreiben. Esfreut mich, das Ihre Freunde vor Ort sagen: Die Politikdieses Ministerpräsidenten und dieser Landesregierunglehnen wir ab. – Das ist für uns für die Auseinanderset-zung im Kommunalwahlkampf keine schlechte Ausgangs-lage.

(Zuruf von der CDU)

– Lieber Herr Kollege, Sie müssten das doch aus Mörfel-den-Walldorf kennen. Ich habe nicht geguckt, ob das beieuch schon beschlossen ist. Aber wenn es eingebrachtwerden sollte, bin ich mir relativ sicher, dass die Partei-freunde in Mörfelden-Walldorf die Resolution gegen den– –

(Zuruf)

– Das wurde also schon beschlossen. Man sprach sich ein-stimmig gegen die Politik der Landesregierung aus.

Das ist natürlich für uns eine bequeme Position. Herr Mi-nisterpräsident, die Schwächung der CDU vor Ort und dieStärkung der kommunalen SPD vor Ort ist etwas, was unsnatürlich freut. Herr Ministerpräsident, das Problem be-steht aber doch darin, dass Sie mit Ihrer Politik dem LandHessen schaden.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn Sie verstärken damit, dass die Kommunen gegen-einander arbeiten. Es wäre allerhöchste Zeit, dass Sie dasScheitern Ihrer regionalpolitischen Konzeption einräu-men und dass Sie auf die Opposition in diesem Hause, zu-mindest auf die Opposition der Sozialdemokraten undGRÜNEN, zugehen, die Ihnen die Hand zu einem muti-gen Schritt reicht.

Denn wir alle wissen – in manchen Ihrer Reden, die sichum Berlin drehen, höre ich das auch –, dass der Wettbe-werb im globalen Bereich für kleinteilige Lösungen mitt-lerweile zu groß ist. Wir brauchen eine große Lösung fürdie Probleme in unserem Land.

Wir reden über die Föderalismusreform in Berlin. Wir re-den über ein System gegenseitiger Verantwortungslosig-keit. Herr Ministerpräsident, Herr Innenminister, wir ha-ben die Probleme doch nicht nur in Berlin. Wir haben dieProbleme auch in unserem eigenen Lande Hessen.

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Herr Kollege Walter, Ihre Redezeit ist ausgeschöpft.

Jürgen Walter (SPD):

Mit einzelnen kleinteiligen Lösungen werden Sie die Pro-bleme des Ballungsraums Main-Rhein nicht lösen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eigentlichbrauchen wir eine Föderalismusreform in unserem eige-nen Lande. Wir brauchen eine vollständige Neuorganisa-tion, jedenfalls in unserem Ballungsraum, die Hinführungzu einer Ebene, die Zusammenführung der Landkreiseund der Regierungspräsidien zu einem Regionalkreis.Dies wäre eine Lösung, die unser Land nach vorne bringt,die unser Land wettbewerbsfähig macht.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Birgit Zei-metz-Lorz (CDU))

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Herr Walter, Sie müssen zum Ende kommen. Sie habenschon Verlängerung.

Jürgen Walter (SPD):

Ich kann nur an Sie appellieren, Herr Ministerpräsidentund Herr Innenminister: Ziehen Sie als Allererstes dieseDringlichkeitserklärung zurück. Dann hat ein Media-tionsverfahren eine Chance.

(Lachen des Ministerpräsidenten Roland Koch)

Zum Zweiten – –

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Nicht mehr zum Zweiten. Sie haben jetzt schon zwei Mi-nuten zusätzlich bekommen.

Jürgen Walter (SPD):

Nur kurz. – Lassen Sie das Ballungsraumgesetz auslaufen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Meine Damen und Herren, ich wollte es für die weiterenRedner aus dem Plenum sagen: Zwölf Minuten haben siealle. Aber nun hat sich – das ist sein Recht – der Minister-präsident zu Wort gemeldet.

Roland Koch, Ministerpräsident:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube,es spart uns allen am Ende Zeit, wenn ich mich jetzt

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melde. Denn das führt zu einer ganz anderen Redezeitzu-rechnung, und ich mache es auch ganz kurz.

(Jürgen Walter (SPD): Reden Sie jetzt als Minister-präsident oder als Mitglied der Opposition?)

Ich will nur zwei Punkte sagen. Herr Kollege Walter, ers-tens ist es ein löblicher und richtiger Streit, den Regierungund Opposition führen können, ob ein Regionalkreismehr kommunale Entmachtung ist, wie ich und meine po-litischen Freunde das empfinden,

(Beifall bei der CDU)

oder eine sachliche Zusammenarbeit in einzelnen Berei-chen. Das kann man diskutieren. Das sind unterschiedli-che Modelle. Die sind bekannt.

Der zweite Punkt. Man kann natürlich auch über dieSchwerpunktsetzung diskutieren. Auch das ist legitim. Siehaben dieser Tage gesagt, Sie wollten auf diesen Stuhloder den, der drüben im Landtagsgebäude neu gebautwird. Dann müssen Sie sich mit einem auseinander setzen,und das jeden Tag: Die Summe kommunaler Wünsche istnicht Landespolitik, so bedauerlich das ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die Summe kommunaler Wünsche ist nicht Landespoli-tik. Ich habe in Ihrer Anwesenheit die Gelegenheit ge-habt, ein paar Bemerkungen beim Städtetag dazu zu ma-chen. Die Landespolitik ist oft gefordert, sich zu fragen,was das allgemeine Wohl des Landes ist. Sie ist auch ver-pflichtet, das dann zu realisieren, wenn es möglicherweiseeine Diskussion zwischen den Ebenen gibt. Hier habenwir logischerweise eine Diskussion zwischen den Ebenen.Sie werden sich der Verantwortung unter dem Gesichts-punkt stellen müssen, ob Sie in der Sache etwas bewirken.

An der Stelle bleibt die Frage, die Sie nicht beantwortethaben. Seitdem es das Ballungsraumgesetz gibt, bewegtsich in der Region etwas in Fragen, wo sich bisher nichtsbewegt hat. Ich sage Ihnen: Wir können Ihrem Ratschlagheute nicht folgen, auch wenn selbstverständlich alleKommunen das einstimmig entscheiden. Was glauben Siedenn, wie das in den Kommunen zugeht? Da gibt es dochkeine CDU-Kommunalpolitik, die lieber Geld zahlt, weildas Land es für das Allgemeinwohl für notwendig hält, alseine SPD-Kommunalpolitik. Das gibt es auf Länderebeneauch nicht. Der Kollege Beck und ich, ob große Koalitionoder nicht, verständigen uns doch auch seit vielen Jahrenin zwei Minuten untereinander, wenn der Bund von unsGeld haben will und wir es ihm nicht geben wollen.Trotz-dem muss der Bund Regelungen schaffen, weil er für dasGemeinwohl auf der nationalen Ebene zu sorgen hat. Dagibt es unterschiedliche Rollen, und die gibt es auch hier.Die Frage ist, ob man die Kraft hat, sie wahrzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Das müssen Sie sich fragen lassen.Wer mir heute den Rat-schlag gibt, die Dringlichkeitserklärung zurückzuziehenund das Ballungsraumgesetz abzuschaffen, kann Herrnvon Harbou in Urlaub schicken. Der hat überhaupt keineChance mehr, mit irgendjemandem darüber zu sprechen,ob in der Kultur etwas geschieht.

Wer fordert, das alles wegzulassen, der sagt entweder, dassmehr Zwang auf der regionalen Ebene geschaffen werdensoll, oder er sagt: Es ist uns egal, ob in der Kultur in derRhein-Main-Region etwas passiert oder nicht. – Dazusage ich Ihnen: Es ist im Interesse des ganzen Landes Hes-sen, dass an dieser Stelle etwas passiert. Deshalb werdenwir uns auch daran beteiligen.

(Norbert Schmitt (SPD): Ihr Vorschlag bedeutetdas Ende der Kultur auf kommunaler Ebene!)

Das geht nur, wenn eine Landesregierung eine klare Posi-tion hat. Das Werkzeug dazu werden wir auch in Zukunftbrauchen. Deshalb ist das Gesetz hier zur Verlängerungangesetzt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Beifall bei Abge-ordneten der FDP)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat HerrMathias Wagner von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dasWort. Herr Wagner, das sind jetzt 13 Minuten.

Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Minis-terpräsident, Herr Innenminister, Sie können SPD undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jetzt wirklich nicht vor-werfen, dass es kein alternatives Konzept zur Organisa-tion des Rhein-Main-Gebiets gibt. Dieses Konzept vonSPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gibt es.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt hat sich die Landesregierung für ein anderes Kon-zept entschieden, für das Ballungsraumgesetz. Aber Siekönnen uns, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,nicht die Fehler dieses Gesetzes und die Probleme vor-werfen, zu denen dieses Gesetz jetzt führt. Das geht redli-cherweise nicht, Herr Innenminister und Herr Minister-präsident.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich fand die Einbringungsrede des Herrn Innenministerserstaunlich kleinteilig. Sie haben ein paar Bereiche ange-sprochen.

(Ministerpräsident Roland Koch: Er sollte dochevaluieren!)

– Herr Koch, ich komme noch zur Evaluation. Die Evalu-ation ist mir besonders wichtig, auch bei diesem Gesetz.Das wissen die Vertreter meiner Fraktion.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber das, was Innenminister Bouffier an Evaluation vor-genommen hat, war sehr kleinteilig. Sie haben ein paarBereiche angesprochen, wo die interkommunale Zu-sammenarbeit klappt. Das ist richtig, das wird von unsnicht bestritten, das finden wir gut.

Aber wir müssen doch einmal schauen, von wo wir kom-men. Was waren vor fünf Jahren die Zielsetzungen diesesGesetzes? Es ist doch der Sinn von Evaluation, und es istder Sinn der Befristung von Gesetzen, dass wir nach fünfJahren schauen, ob die Ziele erreicht worden sind, die wiruns oder die Sie sich mit diesem Gesetz gesetzt haben.

Vor fünf Jahren klang das ein bisschen anders. Da war dasZiel: Wir wollen mit den beiden Gesetzen, über die wirheute beraten, die Wettbewerbsfähigkeit der Rhein-Main-Region verbessern. Wir wollen den Wettbewerbaufnehmen mit London und mit Paris. Da war die Rededavon, dass wir die Verwaltungsstrukturen durchschauba-rer und einfacher machen wollten.Wir wollten Bürokratieabbauen, sodass Unternehmen gerne in die Rhein-Main-

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Region kommen, dass sie Ansprechpartner haben, dasssie einfache Strukturen haben, dass sie nicht durch Büro-kratie bei der Ansiedlung im Rhein-Main-Gebiet behin-dert werden. Es war davon die Rede, dass wir das Ver-hältnis der Kommunen untereinander und das Verhältnisder Kommunen zum Land mit diesen Gesetzen auf eineneue Basis stellen wollten. Das waren doch die Zielbe-stimmungen, und gemessen daran kann man nur sagen:Sie haben all diese Ziele mit dem Instrumentarium Bal-lungsraumgesetz nicht erreicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Ich glaube, man muss der Opposition in diesem Hausenicht angehören, um bei der Beantwortung der Problem-kreise, die ich gerade geschildert habe, zu sagen, dass dasnoch nicht verwirklicht ist. Aber wenn das alles nicht ver-wirklicht ist, dann muss man, wenn man Evaluation ernstmeint, sagen, Herr Ministerpräsident: Bei der Evaluationkommen wir zu dem Ergebnis, dass der Ansatz falsch war,dass er gescheitert ist. – Genau das vertritt meine Fraktionin diesem Haus.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nehmen wir die Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Re-gionen. Wir hatten in der vergangenen Woche schon einemassive Debatte über die Arbeitslosenzahlen und Wachs-tumszahlen in Hessen. Da spielt das Rhein-Main-Gebietnatürlich eine entscheidende Rolle. Es ist der Motor fürdie wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land. Wenn esin diesem Bereich stockt, dann zeigt das, dass wir imRhein-Main-Gebiet mit der Wettbewerbsfähigkeit nichtvorangekommen sind, dass wir da Probleme haben unddass die Ziele, die Sie mit dem Ballungsraumgesetz hat-ten, eben nicht erreicht wurden, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Ich erkenne ausdrücklich den Zusammenschluss für dieStandortmarketinggesellschaft an, den die Kommunenzusammengebracht haben. Aber dass damit die Wettbe-werbsfähigkeit mit London und Paris – darunter machenSie es nicht, es muss immer ziemlich groß sein – gegebensei, das können wir nicht ernsthaft sagen. Leider ist dasnoch nicht gegeben.

Ich zitiere aus der „FAZ“ von heute. Unter der Über-schrift „Vortritt für Hamburg – Rhein-Main auf der ExpoReal“ heißt es in einem Artikel von Matthias Alexander:

Noch verschlungener als in der Frankfurter Kom-munalpolitik sind die Entscheidungswege in derRegion. Roth rühmt zwar gerne die Zusammenar-beit über die Stadtgrenzen hinweg. Viel zu spürenist davon auf der Expo Real nicht. Immerhin hatman sich in einer Halle zu einer „Straße“ zu-sammengefunden, zu einem einheitlichen Design,unter dem etwa die Städte des Ruhrgebiets antre-ten, hat es aber wieder nicht gereicht. Darmstadtund Wiesbaden präsentieren sich in Weiß, Frankfurtin Rot. Auch der Planungsverband Frankfurt –Rhein-Main ist mit einem eigenen Stand vertreten,die Stadt Eschborn hat es jedoch wiederum vorge-zogen, sich als Partner am Frankfurter Stand zu prä-sentieren, wie auch die Offenbacher Hafenprojekt-gesellschaft. So bekommen potenzielle Investorengleich einen treffenden Eindruck von der polyzen-trischen Region. Kein Wunder also, dass es HartmutSchwesinger, Geschäftsführer der neuen regionalen

Wirtschaftsförderung, vorgezogen hat, während derMesse auf Geschäftsreise zu gehen. Da kann erkurzfristig den Eindruck erwecken, die Regionspräche mit einer Stimme.

Das ist das Problem im Rhein-Main-Gebiet, und deshalbgreift Ihr Ansatz zu kurz; und Ihre Darstellung, es sei einErfolg des Ballungsraumgesetzes, ist falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Zuruf des Ministerpräsidenten Roland Koch)

Schauen wir uns den Bereich Verwaltungsstruktur undBürokratie an. Ist es wirklich einfacher geworden imRhein-Main-Gebiet? Wir haben das Regierungspräsi-dium, das sich um das Rhein-Main-Gebiet kümmert. Wirhaben den Planungsverband, der sich um das Rhein-Main-Gebiet kümmert. Das Rhein-Main-Gebiet ist vonder EU als europäische Metropolregion anerkannt. DerZuschnitt des Ballungsraumgesetzes hat nichts mit demZuschnitt der europäischen Metropolregion zu tun. Wirhaben als Auswirkung des Ballungsraumgesetzes zahlrei-che Klubs und Zweckverbände gebildet, die alle eigeneStrukturen, eigene Geschäftsführer, eigene Zuschnitte ha-ben.

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, dakann man nicht sagen, dass die Strukturen im Rhein-Main-Gebiet einfacher geworden sind. Das Gegenteil istrichtig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund des Abg. Jürgen Walter (SPD))

Exemplarisch zeigt sich das – das hat Kollege Walterschon angesprochen – an Ihren Plänen zum Kultur-zwangsverband.Wenn es irgendwo offenkundig wird, dassder Zuschnitt des Ballungsraumgesetzes ungeeignet ist,dann bei Ihrem Kulturzwangsverband. Wie wollen Siedenn Kultur im Rhein-Main-Gebiet organisieren, wennSie die Städte Wiesbaden und Darmstadt heraus lassen?Wie wollen Sie den anderen Kommunen erklären, dass esda eine intensive Landesförderung für die Theater gibtund dass es das in den anderen Kommunen nicht gibt? Dazeigt sich die volle Unzulänglichkeit Ihres Ballungsraum-gesetzes.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt mindestens einen CDU-Abgeordneten hier imHause, der Sie auch schon aufgefordert hat, davon Ab-stand zu nehmen: Das ist Herr Bellino aus dem Hochtau-nuskreis. Er hat in der Gemeindevertretung von Neu-An-spach gesagt, er wolle den Kulturzwangsverband nicht.

(Norbert Schmitt (SPD): Dann haben wir ja eineMehrheit!)

Damit ist die Mehrheit für den Kulturzwangsverbandweg. Meine Damen und Herren, das ist auch gut so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Herr Ministerpräsident, Sie überspannen den Bogen beider Kultur. Es gibt die Bereitschaft der Gemeinden, im öf-fentlichen Wohl zusammenzuarbeiten. Man darf dabeiden Bogen aber nicht überspannen. Was Sie da machen,ist nicht einfach: Leuchttürme, wie Sie es so gerne nennen,im kulturellen Bereich zu definieren, Leuchttürme, diedann für die internationale Bedeutung des Kulturstandor-tes Frankfurt/Rhein-Main entscheidend werden. Nein, Siewollen von Wiesbaden aus einen breiten Teil des kulturel-

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5533

len Angebots in der Rhein-Main-Region bestimmen. Dasist ein grundfalscher Ansatz, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Wenn es Ihnen darum ginge, Leuchttürme in der Regionzu schaffen, dann wären das drei, vier oder fünf.Wenn wirvon internationaler Wettbewerbsfähigkeit im Bereich derKultur reden, von Angeboten, die über die Region, dieüber die Grenzen des Nationalstaates hinausgehen, dannsind das drei, vier, fünf. Es ist aber eben nicht die Mengean Projekten, wie Sie es in Ihrem Konzept darstellen. Essind zu viele, um wirklich Exzellenz zu schaffen, um wirk-lich Leuchttürme zu schaffen. Um die tatsächliche kultu-relle Vielfalt der Region abzubilden, sind es zu wenige.Deswegen ist Ihr Ansatz an diesem Punkt völlig ungeeig-net.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Es sollte Ihnen schon zu denken geben, wenn ausgerech-net dieser Landesregierung, die sich immer für entschei-dungsstark hält und die glaubt, sie gebiert alles aus der ei-genen Machtvollkommenheit der absoluten Mehrheit, alsRettung eine Mediation angeboten werden muss, um ausder völlig verfahrenen Situation, die sie im Kulturbereichherbeigeführt hat, wieder herauszukommen. Es sollte Ih-nen wirklich zu denken geben, dass der Herr Ministerprä-sident und der Herr Innenminister jetzt zu einem Fall fürdie Mediation geworden sind. Das zeigt: Dieser Ansatzträgt hinten und vorne nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –Norbert Schmitt (SPD): Kurz vor der Couch!)

Wir haben also nach wie vor ernsthafte Probleme in derRegion. Herr Innenminister, einiges hat geklappt. Ichhabe das angesprochen. Aber die wesentlichen Fragensind ungelöst. Daher finde ich es unter dem Gesichts-punkt der Evaluation – Herr Ministerpräsident Kochhatte das angesprochen – schon etwas merkwürdig, zuwelchen Ergebnissen die Landesregierung bei der Evalu-ation kommt. Wir sind im Rhein-Main-Gebiet noch nichtmit anderen europäischen Regionen wettbewerbsfähig.Wir sind bei der Kultur noch nicht wettbewerbsfähig. Wirsind auch in vielen anderen Bereichen noch nicht wettbe-werbsfähig.

Was schlägt die Landesregierung angesichts dieser Situa-tion vor? Was ist die größte Sorge der Landesregierungangesichts dieser Situation? Die Abwahl der hauptamt-lichen Wahlbeamten beim Planungsverband. Das ist diewesentliche Änderung, die die Landesregierung an ihremBallungsraumgesetz vorschlägt. Da kann ich nur sagen:Sie haben die Dimension und die Aufgabe, die wir inFrankfurt/Rhein-Main haben, nicht begriffen, wenn dasIhre größte Sorge ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Im Übrigen korrigieren Sie mit dem, was Sie vorschlagen,nur das, was Sie vor fünf Jahren verpennt haben. Sie hät-ten es vor fünf Jahren machen können. Sie haben schlichtund ergreifend vergessen, dass man die Regelung der Ab-wahl der hauptamtlichen Wahlbeamten aus der HGOauch auf den Planungsverband hätte übertragen müssen.Das korrigieren Sie jetzt. Das ist wahrlich keine sehrgroße Reform.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Dabei hat er jetzt einen Job!)

Dann machen Sie ein Zweites: Sie schränken die Kompe-tenzen des Planungsverbandes weiter ein.

(Norbert Schmitt (SPD): Das war ein bewussterAkt!)

Sie haben sie zum ersten Mal eingeschränkt, als Sie ausdem Umlandverband den Planungsverband gemacht ha-ben. Sie tun es jetzt ein zweites Mal. Ich glaube, dass die-ser Weg falsch ist. Sie wissen, dass auch wir nicht hundert-prozentig glücklich mit dem Planungsverband sind. UnserModell ist ein Regionalkreis mit direkt gewähltem Parla-ment. Aber solange wir diesen Zustand nicht haben, fän-den wir es richtig, den Planungsverband in einer Motor-rolle, in der Rolle des Impulsgebers zu belassen. Deshalbhalten wir die zweite Änderung, die Sie vorschlagen, näm-lich dass Sie die Rolle des Planungsverbandes zurückstut-zen, für falsch. Sie brauchen, wenn Sie die Region organi-sieren wollen, auch einen regionalen Player. Bei allen Un-zulänglichkeiten, die er hat, ist das der Planungsverband.Deshalb ist es falsch, dass Sie ihm diese Rolle mit dem Ge-setz nehmen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie machen den Planungsverband zu einem Rumpfver-band. Sie konzentrieren ihn auf die regionale Flächennut-zungsplanung. Das ist sicherlich eine wichtige Aufgabe.Aber wir kommen in der Frage, wie wir die Region orga-nisieren, nicht weiter, weil Sie einen Impulsgeber wegneh-men.

Ich habe es zu Beginn meiner Rede gesagt, ich will es aucham Ende meiner Rede sagen: Das Gegenmodell liegt aufdem Tisch. Es ist nicht von heute auf morgen zu realisie-ren. Das behaupten wir GRÜNEN nicht, und, soweit ichweiß, behaupten es auch die Freunde von den Sozialde-mokraten nicht.

(Rudi Haselbach (CDU): 2040!)

– Herr Haselbach, das alternative Modell könnte früherals 2040 greifen. Wir sind ein bisschen fixer als Sie. – Indem Regionalkreis gingen die bisherigen Landkreise,Teile des Regierungspräsidiums und der Planungsver-band auf. Das bedeutete auf jeden Fall deutlich wenigerVerwaltung und deutlich weniger Bürokratie sowie kla-rere Entscheidungsstrukturen im Rhein-Main-Gebiet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Herr Wagner, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Herr Ministerpräsident, die Debatte über den Eingriff indie kommunale Selbstverwaltung müssen wir dann füh-ren. Wir sagen in der Tat, wir können uns perspektivischvorstellen, die Kompetenzen der Landkreise zum einenTeil auf die Kommunen zurückzuverlagern und zum an-deren Teil regional zu organisieren.

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Die Zeit ist zu Ende: 13 Minuten.

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5534 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Der letzte Satz. – Ich glaube, dass das ein Modell ist, überdas man mit den Kommunen sehr gut sprechen könnte.Herr Ministerpräsident, über Ihr Konzept will, ehrlich ge-sagt, niemand mehr von den GRÜNEN reden.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten derSPD)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Haselbach dasWort.

Rudi Haselbach (CDU):

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Die ganze Diskussion kommt mir etwas gespenstigvor, weil man sich offensichtlich nicht gerne daran er-innert, warum das Ballungsraumgesetz der Vorgängerre-gierung im Jahr 2000 überhaupt erforderlich gewesen ist.Damals hatte der Umlandverband Frankfurt bei den Trä-geraufgaben im wahrsten Sinne des Wortes Schiffbrucherlitten – um Ihre Worte zu verwenden, Kollege Walter. Erhatte tatsächlich Schiffbruch erlitten. Es gab große Einig-keit, dass es so nicht weitergeht. Es hat deshalb nicht funk-tioniert, weil 43 Gemeinden zwangsverpflichtet waren,Trägeraufgaben wie die Abfallentsorgung völlig unabhän-gig von ihrer Struktur einheitlich durch den Umlandver-band Frankfurt regeln zu lassen. Das war der große Nach-teil. Deshalb mussten wir dieses Gesetz schaffen. Wir ha-ben die Trägeraufgaben in den freiwilligen Bereich her-eingenommen. Lediglich die Planungsaufgaben mit demAperçu des regionalen Flächennutzungsplanes, der inDeutschland ziemlich einmalig sein wird, haben wir auf-genommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, dasmuss man einmal zur Vorgeschichte sagen. Dass wirgleichzeitig den Geltungsbereich von 43 auf 75 Kommu-nen erweitert haben, ist eine stolze Leistung, die dieseLandesregierung und die sie tragenden Fraktionen bewäl-tig haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, schon damals war die Rededavon, man müsse die Landkreise einfach abschaffen,man könne doch Regionalkreise schaffen, und damit seidas ganze Problem erledigt. Meine sehr verehrten Damenund Herren, dass die Abschaffung von Landkreisen ohnejeden Zweifel eine Steigerung des Zwangs gegenüberetwa einer Dringlichkeitserklärung darstellt,

(Jürgen Walter (SPD): Gegenüber wem?)

darüber brauchen wir doch überhaupt nicht zu diskutie-ren, Kollege Walter. Das ist doch dummes Zeug.

(Beifall des Abg. Frank Gotthardt (CDU) und desMinisters Volker Bouffier – Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Man kann doch nicht sagen: „Wir sind gegen Zwang“,aber selbst Vorschläge machen, die ausschließlich ausZwang bestehen. Das wäre eine Vergewaltigung derLandkreise.

(Jürgen Walter (SPD): Nein, die sind dann nichtmehr da!)

Das wäre eine ganz eindeutige Bevormundung bestehen-der Struktur in der kommunalen Familie, Kollege Walter.

(Jürgen Walter (SPD): Die sind dann weg! – Nor-bert Schmitt (SPD): Jetzt reden Sie dummes Zeug!)

Vielleicht wird das einmal im Jahr 2040 realisiert werden.Ich habe berechtigte Zweifel, dass Sie dann immer nochVorsitzender der SPD-Fraktion sein werden.

(Norbert Schmitt und Gerhard Bökel (SPD): Dasstimmt!)

Man weiß es nicht. Altersbeschränkungen gibt es dakeine. – Aber ich gehe davon aus, es wird so nicht zumTragen kommen. Es wäre ganz eindeutig gegen denWillen der Landkreise. Außerdem wäre es ein zentralisti-scher Ansatz. Bei der SPD verstehe ich das noch. Vor al-lem der Zentralismus ist gewissermaßen mit der Mutter-milch entwickelt worden.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD – Jür-gen Walter (SPD): Das ist doch völlig falsch!)

Dass die GRÜNEN das aber auch nachbeten, finde ichschon sehr bemerkenswert.

(Norbert Schmitt (SPD): Jetzt kommt das „Dum-mes Zeug!“ zurück!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Übrigenwürde sich ein Regionalkreis ganz vehement gegen das sogenannte Subsidiaritätsprinzip richten, dem wir uns sehrverpflichtet fühlen. In der einen oder anderen Wahl-kampfrede tun Sie das zwar auch, meinen es aber offen-sichtlich nicht so. Deshalb kann Ihrem Vorschlag unter garkeinen Umständen gefolgt werden.

Heute stellt sich lediglich die Frage der Verlängerung derGeltungsdauer dieses wichtigen und guten Gesetzes mitgeringfügigen Änderungen. Es stellt sich also die Frage:Brauchen wir dieses Gesetz? Selbstverständlich wird dasGesetz gebraucht, z. B. als Grundlage für die Arbeit desPlanungsverbands Frankfurt. Anders ist es nicht denkbar,dass er weiterhin bestünde. Sie wissen, dass sich Art. 2 desGesetzes mit dem Planungsverband beschäftigt.

In Kürze erwarten wir den Entwurf eines regionalen Flä-chennutzungsplans. Es wird Sie vielleicht überraschen,wenn ich Ihnen sage, dass aus Nordrhein-Westfalen, ausNiedersachsen und aus anderen Ländern bereits Anfra-gen vorliegen, die sich sehr intensiv mit dem befassen wol-len, was der Planungsverband zustande bringt. Da der Pla-nungsverband schon als Umlandverband Frankfurt eineganz tolle Planungsarbeit geleistet hat, können Sie davonausgehen, dass sich die Qualität der Arbeit eher noch ver-bessert hat.

Es ist ganz selbstverständlich, dass wir wollen, dass derPlanungsverband plant – und zwar nur plant. Für alle an-deren Aufgaben bleibt überhaupt kein Raum, sonst hät-ten wir den Umlandverband Frankfurt so belassen kön-nen, wie er war, der sich aber, das wissen wir doch alle,nicht bewährt hat.

Ich halte es für ganz schwierig, zu akzeptieren, KollegeWalter, dass man eine Dringlichkeitserklärung, wie in demGesetz vorgesehen, zurücknimmt. Sie mögen das anderssehen. Sie mögen das als einen Eingriff in die kommunaleSelbstverwaltung beschreiben. Das ist es aber nicht.

(Jürgen Walter (SPD): Das ist es sehr wohl!)

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5535

Es ist schade, dass man einem Juristen erklären muss, dassdie kommunale Selbstverwaltung ihre Grenzen an den ge-setzlichen Bestimmungen findet. Lesen Sie das doch ein-fach einmal im Grundgesetz nach. Dann wüssten Sie das.Wenn in einem Gesetz eine gewisse Einschränkung vor-gegeben ist, dann ist es doch ganz eindeutig so, dass einesolche Einschränkung nicht gegen den Grundsatz derkommunalen Selbstverwaltung verstößt.

(Norbert Schmitt (SPD): Wenn Sie so weiterreden,beantragen wir eine Verlängerung der Redezeit!)

Im Übrigen darf man festhalten, dass Art. 1 des Gesetzesvollumfänglich vom Staatsgerichtshof bestätigt wordenist. Wenn Sie hier mit Ihren Plattitüden daherkommenund sagen, es handele sich um einen Eingriff in die kom-munale Selbstverwaltung,

(Norbert Schmitt (SPD): Das sagt der Richtige! –Weitere Zurufe von der SPD)

dann könnten Sie auch sagen, jedes Steuergesetz sei einEingriff in die kommunale Selbstverwaltung. Sie merkendoch selber, dass Sie hier auf dem falschen Dampfer sind,wenn Sie die kommunale Ebene völlig aufheben wollenund gleichzeitig davon reden, hier gebe es böse Buben, dieam Werk seien und die kommunale Selbstverwaltung aus-höhlen wollten.

(Norbert Schmitt (SPD): So platt, wie Sie argumen-tieren, dagegen ist selbst ein Maulwurfshügel einegroße Erhebung!)

Sie wissen doch selbst, dass da irgendetwas nicht in Ord-nung ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass die Dring-lichkeitserklärung mit Blick auf eine kulturelle Zu-sammenarbeit erfolgt ist, ist doch ein richtiger, wie ichdenke, von uns allen gewollter Schritt. Sie als Oppositionargumentieren mit den Gutachten, in denen ganz nüch-tern aufgeführt ist, das Umland nutze diese Einrichtungenzu 30 %. Das mache in etwa 60 Millionen c aus, und dasmache für Mörfelden-Walldorf 570.000 c und für dieStadt Offenbach zwischen 3 und 4 Millionen c im Jahraus. Das ist in hohem Maße unredlich. Es ist lediglich eineBeschreibung, wie das Nutzungsverhältnis und das Ent-geltverhältnis derzeit sind, sonst gar nichts.

Ich sage dazu Folgendes. Erstens. Es gibt keinen Kultur-zwangsverband. Zweitens. Nicht nur der Kollege Bellino,sondern wir alle wollen keinen Kulturzwangsverband. DieEinrichtung eines Kulturzwangsverbandes können wirsehr einfach dadurch verhindern, dass sich die Gemein-den, wie in anderen Fällen bereits geschehen, auf den Wegmachen und zu einer freiwilligen kommunalen Zu-sammenarbeit kommen.

(Beifall bei der CDU)

Diese freiwillige kommunale Zusammenarbeit mag ganzanders aussehen als das, was in den Gutachten steht. Mög-licherweise werden die Einrichtungen nur zu 20 % ge-nutzt; ich weiß es nicht. Es wird Aufgabe der Landesregie-rung sein, nachdem sie jetzt eine Frist ins Laufen gebrachthat, nach einem Jahr festzustellen, ob das, was die Kom-munen freiwillig machen wollen, genügend ist für das, wasdie Landesregierung für erforderlich hält, oder nicht. Ichdenke, das war erstens ein mutiger Schritt der Landesre-gierung, zweitens ist es aber ganz wichtig, dass wir Ver-trauen in die Kommunen setzen, dass wir sagen: Ihr könntdas, wenn ihr wollt. Schafft etwas Gescheites, dann bleibteuch ein Pflichtverband erspart. – Ich denke, das ist eine

Möglichkeit, Politik zu gestalten. Ich betone, Politik mussgestalten.

Wir werden den Gesetzentwurf der Landesregierung voll-umfänglich unterstützen. Ich vermute, es wird eine Anhö-rung dazu geben, die morgen in der Mittagspause be-schlossen wird.Am Ende wird es viel Arbeit für die Kom-munen im Rhein-Main-Raum geben.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Gerhard Bökel(SPD))

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Meine Damen und Herren, das Thema treibt uns um. Esgibt zwei Wortmeldungen zu Kurzinterventionen. Danachwird Herr Hahn reden. Wir drei im Präsidium drohen Ih-nen an, dass wir die Mittagspause verkürzen. Drüben war-ten ein paar Menschen auf uns. Ich bitte, das zu beachten.

Herr Kaufmann, Sie haben das Wort zu einer Kurzinter-vention.

Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Sicherlich knurrt der Magen, und andere warten aufuns. Das, was der Kollege Haselbach hier abgelassen hat,zwingt aber einfach dazu, zu widersprechen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

So viel Unsinn vor der Mittagspause lässt sich nicht un-kommentiert ertragen. Ich muss mich auf wenige Punktekonzentrieren, schon wegen der Redezeit.

Herr Kollege Haselbach, wenn Sie sich hierhin stellen underklären, es werde keinen Kulturzwangsverband geben,dann interpretiere ich das als eine Ankündigung, dass Sieunserem Antrag zustimmen werden. Unser Antrag for-dert nämlich genau dieses.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund der SPD)

Wenn dem aber nicht so sein sollte, wie ich Ihrer Handbe-wegung entnehme, Herr Haselbach, dann haben Sie hier-mit erklärt, dass die Landesregierung ein Papiertiger ist.Sie haben nämlich erklärt, es werde keinen Zwangsver-band geben, obwohl die Landesregierung genau damitmittels einer Dringlichkeitserklärung gedroht hat. Sie hatnämlich gesagt, wenn innerhalb des Jahres nichts passiere,dann komme der Zwangsverband. Darüber diskutierendoch alle. Wenn Sie aber sagen, der Zwangsverbandkommt nicht – der Herr Ministerpräsident sagt es etwasfeinsinniger, er sagt, er wolle ihn nicht –, dann haben wirhier eine Mischung von Leuten, die ihn nicht wollen, derAnkündigung, dass er nicht kommt, und der Tatsache, dassSie alle dafür gesorgt haben, dass er angedroht wurde.

Herr Haselbach, Ihre Anmerkung zu den Grenzen derkommunalen Selbstverwaltung ist zutreffend. Die kom-munale Selbstverwaltung hat aber Verfassungsrang. Eshat auch schon Entscheidungen von Verfassungsgerichtengegeben, die Gesetze aufgehoben haben, die die kommu-nale Selbstverwaltung verletzt hätten. Hier mit gesetz-lichen Bestimmungen zu kommen ist deshalb kein Argu-ment.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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5536 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Jetzt kommen wir zu dem entscheidenden Argument, dasHerr Haselbach gegen die Vorstellungen der GRÜNENund auch der SPD ins Feld führt, sprich: gegen den Regio-nalkreis. Herr Haselbach hat gesagt, dann wären dieKreise weg, und er nennt das einen viel größeren Zwang.Sie haben überhaupt nicht verstanden, Herr Haselbach,und auch andere in Ihrer Fraktion haben es offensichtlichnicht verstanden, dass es primär nicht um die Organisa-tionsform, sondern darum geht, dass der Wille des Volkeszur Wirksamkeit gelangt.

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Herr Kollege, die Redezeit ist zu Ende.

Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – RegionaleProbleme müssen regional gelöst werden – mittels der Or-ganisationsform Regionalkreis mit einem direkt gewähl-ten Parlament. Das ist das Entscheidende, nicht die Frage,ob sich eine Institution hält. Institutionen müssen nämlichden Menschen dienen, nicht umgekehrt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Herr Kollege Walter, Sie haben das Wort zu einer Kurzin-tervention.

Jürgen Walter (SPD):

Frau Präsidentin! Lieber Kollege Haselbach, das war mirjetzt verfassungs- und verwaltungsjuristisch tatsächlichein bisschen zu sophisticated. Das habe ich nicht ganz ver-standen.

Ich erkläre Ihnen in einfachen Worten, was Ihre Dring-lichkeitserklärung im Zusammenhang mit der Freiwillig-keit bedeutet. Sie müssen es sich so vorstellen, dass sichdie Landesregierung und die kommunale Ebene gegen-überstehen. Die Landesregierung hat eine geladene Pis-tole, setzt sie der kommunalen Ebene auf die Brust undsagt: Gib mir dein Geld. – Wenn die Kommunen der Lan-desregierung das Geld geben, dann empfindet die Lan-desregierung das als eine „freiwillige“ Leistung.Wenn dasnicht geschieht und das Jahr abgelaufen ist, dann drücktdie Landesregierung ab und nimmt sich das Geld von demOpfer, den Kommunen. Das ist das Bild, das wir bei derDringlichkeitserklärung der Landesregierung vor Augenhaben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Sie sollten das Gutachten Pfäffli nicht so weit herunterre-den, auch wenn ich verstehe, dass Sie das tun. Ein Blick indie Dringlichkeitserklärung des Innenministerium zeigt –die haben Sie wahrscheinlich noch nicht gelesen, Herr Ha-selbach –: Die Dringlichkeitserklärung ist relativ detail-liert formuliert, und das muss nach dem Gesetz auch sogemacht werden. Da wird auf das Pfäffli-Gutachten Be-zug genommen. Wenn das Jahr abläuft und die kommu-nale Ebene nicht zu einer Regelung findet, steht relativgenau fest, was dann geschehen wird, weil die Landesre-gierung nach dem Ballungsraumgesetz verpflichtet ist,vorher zu sagen, was ungefähr passiert. Man muss also nurin die Dringlichkeitserklärung schauen.

Der letzte Punkt richtet sich in erster Linie an Sie, HerrMinisterpräsident. Mit der Darstellung: „Wenn wir die ge-ladene Pistole den Kommunen nicht auf die Brust setzen,dann passiert nichts“, zeichnen Sie ein Bild vaterlandslo-ser Kommunalpolitiker. Ich sage Ihnen: Sie unterschätzendie Kommunalpolitiker in unserer Region.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, es sind die Kommunalpolitikeraus Ihrer und aus meiner Partei, die für die KommunenVerantwortung tragen.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Herr Kollege Haselbach, Sie wollen nicht antworten?

(Rudi Haselbach (CDU): Nein! – Zurufe)

– Er darf, aber er muss nicht. Das ist ein Unterschied. – Alsnächster Redner hat Herr Hahn für die FDP-Fraktion dasWort.

Jörg-Uwe Hahn (FDP):

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichmache mir keinen Vorwurf, weil ich jetzt Ihre Mittags-pause und die Einladung der „Frankfurter Rundschau“etwas durcheinander bringe. Ich glaube, es gehört sich,dass jede Fraktion in diesem Hause zu diesem richtigwichtig gewordenen Punkt – das war zunächst nicht er-kennbar – ausführlich Stellung nehmen kann.

Ich greife zunächst das auf, was Jürgen Walter gesagt hat:Wir beschäftigen uns heute mit dem Thema, weil die Lan-desregierung den Auftrag hat, das Gesetz zur Stärkungder kommunalen Zusammenarbeit und Planung in derRegion Rhein-Main vom 19. Dezember 2000 zu evaluie-ren. Evaluieren heißt in unseren Augen, das Gesetz dar-aufhin zu prüfen, was sinnvoll ist und was nicht.Wenn manzu dem Ergebnis kommt, dass etwas nicht mehr sinnvollist, wird es gestrichen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, sozusa-gen zur Entkrampfung der Situation darf ich Ihnen jetztetwas vorlesen. Herr Innenminister, ich wäre Ihnen dank-bar, wenn Sie mir kurz zuhören könnten. In § 4 Abs. 5 –Rat der Region – des gültigen Gesetzes steht:

Den Vorsitz für die Dauer der ersten Wahlzeit hatdie Oberbürgermeisterin oder der Oberbürger-meister der Stadt Frankfurt am Main. Der Rat derRegion wählt für die Dauer der Wahlzeit nach Abs.4 die stellvertretende Vorsitzende ...

Wenn dieses Gesetz ordentlich evaluiert worden wäre,hätte man feststellen müssen, dass das bereits erledigt ist.Deshalb ist das schlicht und ergreifend zu streichen.

(Beifall bei der FDP)

Ich empfehle also der Landesregierung, den Passus, indem steht, dass Frau Roth vor vier Jahren Chefin gewor-den ist, einfach aus dem Gesetz herauszunehmen.

Einerseits sage ich das mit einem belustigten Unterton.Andererseits fragt man sich, ob die Evaluierung wirklichpräzise durchgeführt wurde; denn es springt einem ja insAuge, dass diese Formulierung nicht dorthin gehört.

(Beifall bei der FDP)

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5537

Lassen Sie mich für die FDP-Fraktion dieser Legislatur-periode, aber auch für die der vorherigen sagen, dass wirweiterhin voll und ganz hinter der Zielsetzung dieses vonuns mit verabschiedeten Gesetzes stehen. Zu glauben,dass die Männer und Frauen aller hier im Parlament ver-tretenen Parteien – die Sie, Herr Kollege Walter, eben als„vaterlandslose Kommunalpolitiker“ bezeichnet haben –in der Lage waren, die Region Rhein-Main eigenständigund selbstverantwortlich zu organisieren, ist eine Schi-märe, die offensichtlich umso größer wird, je länger dasschon zurückliegt.

Sie hatten, mit einem demokratisch legitimierten Parla-ment im Umlandverband, 20 Jahre lang Zeit. Sie haben esaber nicht gemacht. Sie haben diese Aufgabe schlichtnicht erfüllt. Jeder von uns in diesem Raum, der ein biss-chen Ahnung vom Rhein-Main-Gebiet hat und nicht nurweiß, dass Eintracht Frankfurt dort manchmal in der er-sten, manchmal in der zweiten Bundesliga spielt, begreiftauch, woran das liegt.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN) – Weitere Zurufe)

– Ich habe jetzt nicht über Kickers Offenbach geredet.Die Darmstädter habe ich auch nicht erwähnt, weil mannie genau weiß, wo die spielen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN: Oh!)

Es liegt daran, dass sich die Kommunalpolitiker nicht ei-nig waren. Jeder hat zwar einmal kurz über den eigenenGartenzaun geschaut, war aber nicht bereit, zusammenmit einem anderen ein Gärtchen zu bepflanzen.

(Beifall bei der FDP)

Das war der Grund, warum das Umlandgesetz abzuschaf-fen und der Umlandverband aufzulösen war. In allen Le-sungen in diesem Hause haben wir das immer wieder ge-sagt. Wir haben ein neues Modell entwickelt, das im De-zember 2000 in der „FAZ“ in den ersten Umrissen publi-ziert wurde – damals noch unter den Namen Roland Kochund Ruth Wagner.

Ich habe bereits in der letzten Legislaturperiode für dieFDP-Fraktion mehrfach gesagt – ich habe nie von „vater-landslosen Kommunalpolitikern“ gesprochen, wie Sie,Herr Walter, es eben getan haben –, dass man Zuckerbrotund Peitsche kombinieren muss. Das ist das System, dashinter dem Ballungsraumgesetz steht. „Zuckerbrot“heißt: Wir sagen euch jetzt, was aus Landessicht bei euchzu organisieren ist. Bitte organisiert das selbst.

(Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Ihr kriegtauch noch Geld dafür!)

– Ihr kriegt auch noch Geld. – Wenn ihr das nicht in einemgewissen Rahmen macht, kommt die Peitsche. „Peitsche“heißt: Wenn ihr das auf der kommunalen Ebene nichtselbst machen wollt, weil ihr kaum über euren eigenenGartenzaun hinausschaut usw., muss die Landesregierungweitere Schritte einleiten; denn so ist das Gesetz aufge-baut.

Wenn sich also jemand hierhin stellt und Krokodilstränendarüber vergießt, dass die Landesregierung in mehrerenPunkten – teilweise noch mit der Beteiligung von DieterPosch und Ruth Wagner – dem Zuckerbrot die Peitschehinzugefügt hat, sage ich: Das ist erstens gesetzeskonformund zweitens auch klug.

(Beifall bei der FDP)

Die Frage ist, ob das immer klug ist. Dazu komme ichgleich. Hier ist ein paarmal der Name Schwesinger gefal-len. Ich kann mich erinnern, dass die Diskussionslage beidiesem Thema gerade andersherum war. Die Frankfurterwaren relativ schnell bereit, eine Organisation für dasweltweite Standortmarketing zu schaffen. Es waren dieFürsten – die Landräte und Vizelandräte; ich kenne deneinen oder anderen persönlich relativ gut –, die, als sie denNamen Schwesinger gehört haben, sofort erklärt haben:Das kann aber nicht sein, das ist ein Frankfurter.

Ich kann mich an den Neujahrsempfang der IHK erin-nern. Ich stand mit zwei Landräten und zwei Vizelandrä-ten zusammen und habe gesagt: Jetzt kommt doch bitte indie Puschen. Begleitet den hinaus in die Welt. Dann könntihr sehen, dass er es kann. Er kann die ganze Region ver-treten. – Daraufhin wurde mir gesagt: Das kann dochnicht sein, das ist ein Frankfurter.

Liebe Freunde, die ihr euch um das Thema kümmert: Esmusste eine Organisationsstruktur gefunden werden, weildas Land ein vitales Interesse daran hat, dass es mit demRhein-Main-Gebiet weiterhin aufwärts geht, sowohl wirt-schaftlich und kulturell als auch in anderer Hinsicht.

Das ist das System. Deshalb ist es vollkommen richtig,wenn der Herr Ministerpräsident darauf hinweist, dass esdie berühmte Standortmarketinggesellschaft und die Ei-nigung zwischen den Kommunen und der Stadt Frankfurtnicht gegeben hätte, wenn das Ballungsraumgesetz nichtso, wie es vorgesehen war, verabschiedet und umgesetztworden wäre.

(Beifall bei der FDP)

Nächste Bemerkung. Sie haben jetzt zwei oder drei Än-derungen in den Gesetzentwurf geschrieben. VolkerBouffier hat sie eben für die Landesregierung vorgetra-gen. Da die Redezeit relativ begrenzt ist und ich Ihnen et-was zum Kulturzweckverband – oder „Kulturzwangsver-band“ – sagen möchte, will ich ankündigen, dass wir Libe-ralen noch einige andere Änderungsvorschläge haben.

Uns geht die Eingrenzung der Aufgaben des Planungsver-bands nicht weit genug. Warum darf er sich eigentlichnoch beratend mit Sachen beschäftigen, wenn wir nichtwollen, dass er dies macht? Bisher standen ihm dafür so-gar noch Geld und Personal zur Verfügung. Wir müssenuns überlegen, dass all dies von den Mitgliedskommunenbezahlt wird. Ich verstehe sowieso nicht, dass die Politikerin den Mitgliedskommunen bereit sind, so viel Geld anden Planungsverband zu zahlen, wohl wissend, dass er ei-gentlich nur die Aufgabe hat, die regionalisierte Flächen-nutzungsplanung durchzuführen. Aber das ist ein Themafür die Stadtverordneten in Frankfurt und anderswo.

(Beifall bei der FDP)

Wir möchten den Finger auf die Wunde legen. Auch wün-schen wir uns ein anderes System der Vertretung. Es kannnicht sein, dass eine Person zwölf Stimmen hat. Damitmich jeder richtig versteht: Es geht nicht um das, was dortgeschehen ist. Es geht um mehr Demokratie. Nach unse-rer Auffassung fehlt das bisher im Planungsverband. Obdie Wahlzeit so oder so organisiert wird, ist mir relativegal. Als einer der Väter des Gesetzes bekenne ich aber,dass wir uns zumindest zum damaligen Zeitpunkt keineGedanken über die Abwahl gemacht haben, weil wir alleglaubten, dass die HGO anwendbar ist.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Das ist die hahnsche Gesetzgebung!)

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5538 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Das gleiche Problem hatten wir vor einigen Monatenbeim Landeswohlfahrtsverband. Auch da haben wir ge-dacht, dass die HGO und die HKO anwendbar seien. Daswar aber nicht der Fall. Das kommt eben davon, wennman Sondergesetze macht. Man vergisst, dass es auch Ge-neralgesetze gibt.

Lassen Sie mich noch eines sagen. Wenn die Sozialdemo-kraten und die GRÜNEN den Menschen zu erklären ver-suchen, ein Regionalkreis sei die Lösung des Problems,sage ich erstens, dass sie sich irren, und zweitens, dass siedamit das Rhein-Main-Gebiet entdemokratisieren.

(Beifall bei der FDP)

Das ist ganz einfach zu erklären. Wenn Sie sechs oder sie-ben Landkreise – da gibt es verschiedene Modelle – zu ei-nem Regionalkreis zusammenfassen, schaffen Sie 7 mal81 Kommunalparlamentarier schlicht und ergreifend ab.Das ist keine Politik, die die FDP vor Ort haben möchte.

(Beifall bei der FDP)

Die letzte Bemerkung betrifft den Kulturvertrag. NicolaBeer hat das für die FDP-Fraktion vor einigen Monatenvon diesem Pult aus in einer sehr dezidierten Rede deut-lich gemacht: Wir empfanden es nicht als richtig, dass dieDringlichkeitserklärung zum damaligen Zeitpunkt – eswar vor der Sommerpause – abgegeben wurde.Wir habenschon zum damaligen Zeitpunkt gesehen, dass es in denKommunen Bemühungen gibt, eine eigenständige Lösungzu finden.Wir meinen, dass die Gutachten, die als Grund-lage zur Verfügung gestellt worden sind, die Kulturpolitikund die Ziele der Kulturpolitik im Rhein-Main-Gebietnicht richtig beschreiben.

Nun ist die Dringlichkeitserklärung aber abgegeben wor-den. Deshalb ist es in unseren Augen völlig unlogisch – umin diesem Plenum kein zu rügendes Wort in den Mund zunehmen –, dass wir jetzt dafür stimmen sollten, diese Er-klärung zurückzunehmen. Das ist der falsche Weg.

Der richtige Weg ist – das ist der Antrag der Sozialdemo-kraten, dem wir auch zustimmen werden –, dass die Ent-scheidung der CDU/FDP-Gruppe im Rat der Regionunterstützt wird. Die Kommunalpolitiker haben genaudas Richtige getan. Sie haben formal, aber auch inhaltlichauf das reagiert, was die Landesregierung mit der Dring-lichkeitserklärung begonnen hat. Sie haben zum einenWiderspruch eingelegt – mit den rechtlich bekannten Fol-gen. Zum anderen haben sie damit deutlich gemacht, dasssie bereit sind, in eine Diskussion über die Neuorganisa-tion der Kultur im Rhein-Main-Gebiet einzutreten.

Nun weiß jeder von Ihnen – Nicola Beer hat es hier sehrausdrücklich gesagt –, dass wir gegen einen „Zwangsver-band Kultur“ sind. Einerseits überfordert er die die Kom-munen hinsichtlich ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit –lieber Rudi Haselbach, darin bin ich anderer Auffassungals Sie –, andererseits missachtet er das Selbstverwal-tungsrecht der Kommunen.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP))

Das Selbstverwaltungsrecht wirkt nicht formal, sondernüber die Finanzen. Wenn nämlich das gemacht werdensoll, was beabsichtigt ist und auch dem Gutachten zu-grunde liegt, sind die Kommunen mit ihrem Geld nichtmehr dort unterwegs, wo sie unterwegs sein wollen, son-dern sie geben alles an den Zwangsverband ab.

Zufälligerweise habe ich gestern eine Zahl aus dem Land-kreis des Ministerpräsidenten bekommen: Immerhin wer-den den Städten und Gemeinden des Main-Taunus-Krei-

ses 2,5 Millionen c abgeknöpft , die in den Zwangsver-band gehen sollen.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Das kann nicht richtig sein, und deshalb ist die FDP gegendiesen Zwangsverband.

(Beifall bei der FDP)

Wir finden, Freiwilligkeit ist eine Voraussetzung dafür.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind derfesten Überzeugung, dass die Kommunalpolitiker – hiersitzt doch eine Reihe von Kommunalpolitikern aus demRhein-Main-Gebiet -jetzt hier nicht nur aus landespoliti-scher Sicht Reden halten, sondern bitte auch in ihrenKreistagen und ihren Stadtverordnetenversammlungenaus ihrer kommunalen Verantwortung heraus handelnsollen. Setzt euch zusammen.

Es gibt schon ein Modell der KulturregionFrankfurt/Rhein-Main GmbH, die nach unserer Auffas-sung der Motor und der Transportriemen sein kann, umdie Kultur zu organisieren. Natürlich müssen Finanz-ströme neu organisiert werden. Aber eines muss doch je-dem Landespolitiker klar sein: Ohne eine erhebliche fi-nanzielle Beteiligung des Landes Hessen, ohne eineGleichstellung der Frankfurter im Zusammenhang mitden Finanzzahlungen an Darmstadt, Gießen, Kassel undWiesbaden wird es eine Lösung dieses Problems nicht ge-ben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb zumAbschluss zu diesem Gesetzentwurf der Landesregie-rung: Er ist ein bisschen schnell gemacht. Ich habe es andem Beispiel bewiesen, dass dort noch ein Paragraph ent-halten bleibt, der nie mehr Anwendung finden kann. Er istin einigen Punkten etwas zaghaft – nach unserer Auffas-sung soll der Planungsverband vollständig der Aufgabenentledigt werden, die er bisher wahrnimmt; er soll aus-schließlich die regionalisierte Flächennutzungsplanungdurchführen. Wir sind gegen ein SPD- oder GRÜNEN-Modell des Regionalkreises, denn das ist eine Entdemo-kratisierung des Rhein-Main-Gebietes.

Bei der Kultur sagen wir: Jawohl, es muss eine Zu-sammenarbeit geben, aber nicht im Wege des Zwangs. –Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Meine Damen und Herren, nun liegen keine weiterenWortmeldungen mehr vor.

Dann kommen wir zu den Abstimmungen. – Herr Kahl,zur Geschäftsordnung.

Reinhard Kahl (SPD):

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Namens der SPD-Fraktion beantrage ich, dass überunseren Entschließungsantrag Drucks. 16/4524 in na-mentlicher Abstimmung entschieden wird, damit wir denKolleginnen und Kollegen aus der CDU die Möglichkeitgeben, ihr Abstimmungsverhalten zwischen Landtagsab-geordneten und kommunalen Mandatsträgern richtig zukoordinieren.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU)

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5539

Vizepräsidentin Ruth Wagner:

Meine Damen und Herren, keine Aufregung. Der Antragist gestellt. Ihm muss gefolgt werden.

(Unruhe)

– Meine Damen und Herren, je länger Sie hier sitzen,desto später kommen Sie in die Mittagspause. Das ist auchgegenüber den Kollegen ungastlich.

Zunächst zu Tagesordnungspunkt 6: Gesetzentwurf derLandesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Geset-zes zur Stärkung der kommunalen Zusammenarbeit imBallungsraum Frankfurt/Rhein-Main und des Gesetzesüber den Planungsverband BallungsraumFrankfurt/Rhein-Main, Drucks. 16/4509. Er wird an denAusschuss für Wirtschaft und Verkehr und den Innenaus-schuss überwiesen, federführend der Ausschuss für Wirt-schaft und Verkehr.

(Frank Gotthardt (CDU) und Reinhard Kahl(SPD): Nein, Federführung Innenausschuss!)

– Okay, gut, in Ordnung, also Federführung Innenaus-schuss.

Dann zu Tagesordnungspunkt 36: Antrag der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Ablehnung desKulturzwangsverbands, Drucks. 16/4519. Darüber soll so-fort abgestimmt werden.

Wer diesem Antrag seine Stimme gibt, den bitte ich umdas Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Dann ist dieserAntrag mit den Stimmen von CDU und FDP gegen dieStimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD ab-gelehnt.

Dann kommen wir zu dem Entschließungsantrag derFraktion der SPD betreffend Unterstützung der Kommu-nen im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main, Drucks.16/4524. Über diesen Antrag wird namentlich abge-stimmt. Ich bitte um Aufruf.

(Namensaufruf – Abstimmungsliste siehe Anlage)

Meine Damen und Herren, ich sage jetzt schon: Die Mit-tagspause wird um 14.30 Uhr beendet sein. Dann tagenwir weiter. Wir müssen unser Arbeitspensum erledigen.

Meine Damen und Herren, das Abstimmungsergebnislautet: 52 Stimmen haben für diesen Entschließungsan-trag der SPD gestimmt, 55 dagegen. Damit ist dieser Ent-schließungsantrag abgelehnt.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 41 auf: Antrag derSPD-Fraktion betreffend Rücknahme der Dringlichkeits-erklärung Kultur, Drucks. 16/4525.

Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer istdagegen? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmen vonCDU und FDP gegen die Stimmen von SPD und BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.

Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzungbis 14.30 Uhr.

(Unterbrechung von 13.37 bis 14.34 Uhr)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung amheutigen Nachmittag. Verabredungsgemäß kommen wirzu Tagesordnungspunkt 43:

Antrag der Fraktion der CDU betreffend Modernisierungund Konsolidierung – Hessen auf einem guten Weg in dieZukunft – Drucks. 16/4527 –

Dieser Antrag wird gemeinsam aufgerufen mit Tagesord-nungspunkt 37:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend Hessen steigtweiter ab – Drucks. 16/4520 –

(Frank Gotthardt (CDU): Er wird für unzulässig er-klärt!)

Für die CDU-Fraktion hat sich ihr Vorsitzender, Herr Dr.Jung, zu Wort gemeldet. Herr Dr. Jung, die Redezeit be-trägt 15 Minuten.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Der verteidigungspolitische Sprecher!)

Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU):

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Nach zweieinhalb Jahren ihrer Regierungszeit mit ei-ner absoluten Mehrheit der CDU-Landtagsfraktion, derstärksten Fraktion, die es je in diesem Hause gegeben hat

(Beifall bei der CDU)

– wenn ich in diesen Saal schaue, sehe ich, dass die Domi-nanz noch größer ist –, können wir feststellen: Hessen istauf einem guten Weg. Wir sind einen entscheidendenSchritt vorangekommen, unser Land nach vorne zu brin-gen.

(Beifall bei der CDU – Reinhard Kahl (SPD): Dashabe ich schon einmal gehört, Herr Kollege!)

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Kahl, die Wendehaben – das ist wahr – 1999 CDU und FDP gemeinsameingeleitet.

(Reinhard Kahl (SPD): Ja, abwärts!)

Aber wir haben 2003 die absolute Mehrheit bekommenund haben die erfolgreiche Politik mit der absolutenMehrheit der CDU fortgesetzt

(Reinhard Kahl (SPD): Weiter abwärts!)

und Hessen weiterhin in der Spitzenposition der Bundes-länder platziert.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, Herr Kollege Kahl, ich habemanchmal den Eindruck, die Opposition kritisiert – das istihre Aufgabe –, macht aber teilweise auch destruktive Po-litik.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Das kennen Sie doch, Herr Kollege!)

Sie kritisiert die Arbeitslosigkeit. Doch wer hier antrittund Zahlen zur Arbeitslosigkeit kritisiert, aber zur glei-chen Zeit Perspektiven für Arbeit wie beispielsweise amFrankfurter Flughafen mit einer Perspektive von 100.000Arbeitsplätzen beanstandet,

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Millionen!)

ist – auch in seiner Rolle als Opposition – unglaubwürdig.

(Beifall bei der CDU – Reinhard Kahl (SPD): Wiebitte?)

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5540 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir erfüllenunser Regierungsprogramm Stück für Stück nach demMotto – anders, als das bei Rot-Grün war, Herr Al-Wazir –:Versprochen und gehalten.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei dem BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Wir setzen nach der Wahl das um, was wir vor der Wahl ge-sagt haben.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Wie kann man so realitätsfern sein?)

Deshalb ist Hessen in der Spitzengruppe und baut seinePosition weiterhin aus.

Meine Damen und Herren, ich will etwas zu den zentralenFeldern der Politik sagen, zunächst zur Bildungspolitik.Ich glaube, es ist unbestritten, dass das ein zentralesThema für die Zukunft unseres Landes ist. Wenn wir unsdas einmal vor Augen führen, können wir festhalten: ZumErsten ist in diesem Land noch nie so viel Geld in die Bil-dungspolitik investiert worden wie unter unserer Führungund unserer absoluten Mehrheit.

(Beifall bei der CDU)

Zum Zweiten gab es noch nie eine derart hohe Anzahlvon Unterrichtsstunden in den hessischen Schulen wie un-ter unserer Verantwortung. 1.210.000 Lehrerstunden wer-den an unseren Schulen erteilt. Als wir angetreten sind –das muss man immer wieder in Erinnerung rufen –, sindpro Woche 100.000 Unterrichtsstunden ausgefallen. Dashaben wir beseitigt.Wir haben die Unterrichtsgarantie er-füllt, die Kinder erhalten wieder ihren Unterricht. Hierhaben wir unsere Verantwortung entsprechend umge-setzt.

(Beifall bei der CDU)

Wenn man den ruhigen Unterrichtsbeginn in diesem Jahrsieht, werden wir zusätzlich bestätigt. Aber man kann ei-nen weiteren Punkt hinzufügen. Wir haben jetzt dieUnterrichtsgarantie Plus für eine verlässliche Schule um-gesetzt und auf den Weg gebracht; die Kultusministerinhat das in der letzten Woche vorgestellt. Das heißt, wirwerden dafür sorgen, dass der Unterricht auch dann,wenn er wegen Krankheit oder aus einem anderen Grundausfallen würde, abgedeckt wird, indem die Schulen in ei-gener Verantwortung dafür sorgen, dass Unterricht nichtmehr ausfällt. Das ist ein zusätzlicher Punkt, den die hes-sische CDU mit ihrer Regierung umgesetzt hat.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben jetzt von der Unter-richtsgarantie den Schritt zur Qualitätsgarantie getan.Wirhaben das Gesetz zur Qualitätssicherung in hessischenSchulen in diesem Parlament mit unserer Mehrheit ver-abschiedet. Ich nenne weiter das Thema Modernisierungder Lehrerbildung und das Thema Modernisierung desAbiturs, aber beispielsweise auch die Einführung einesqualifizierten Hauptschulabschlusses.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil das nichtso oft im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht: Ich halte esfür eine ganz wichtige Aufgabe, dass es dieser Landesre-gierung und uns gelungen ist, die Zahl derjenigen, die dieHauptschule ohne Abschluss verlassen, erheblich zurück-zuführen, und zwar durch entsprechende Förderpro-gramme, um gerade jungen Menschen dort eine Perspek-tive für die Zukunft zu geben.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben die Ganztagsangebote verdoppelt. Wir sind imBereich der Überwachung, was die Frage der Qualität an-belangt, mit der Einführung des Schul-TÜV ein Stückweitergegangen. Wir fördern jedes Kind nach seiner Be-gabung. Das ist der Unterschied zu der Philosophie derSozialdemokraten in diesem Parlament, die wieder zu-rück zur Einheitsschule wollen. Wir wollen die Fähigkeitund Begabung jedes einzelnen Schülers fördern, angefan-gen bei demjenigen, der nicht so leistungsstark ist, bis zudem Hochqualifizierten. Das ist unsere Politik, und diesetzen wir in der Praxis um.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, dazu gehört beispielsweiseauch das gesamte Thema der Eliteförderung auf SchlossHansenberg. Sie haben bei dem letzten Haushaltsbera-tungen gesagt, dass Sie das wieder abschaffen wollen.

(Reinhard Kahl (SPD): Ja, dabei bleiben wir!)

Meine Damen und Herren, wenn Sie sich einmal vor Ortbegeben und sich anschauen, mit welchem Engagementdort hoch qualifizierte Schüler und Schülerinnen über dieLeistung in der Schule hinaus sich engagieren, hervorra-gende Leistungen erbringen und das positiv umsetzen,kann ich nur sagen: Es war richtig, diesen Schritt vonsei-ten der Landesregierung gewählt zu haben und umzuset-zen.

(Beifall bei der CDU)

Ich füge hinzu: In der Schul- und Bildungspolitik geht esauch um die Frage von Inhalten. Im Gegensatz zur SPD inBerlin werden wir, wenn wir eine Wertediskussion führen,den Religionsunterricht nicht abschaffen, sondern weiter-hin an unseren Schulen Religionsunterricht erteilen.

(Beifall bei der CDU – Reinhard Kahl (SPD): Dassteht in der Verfassung!)

Aber ich füge auch hinzu, Herr Kollege Kahl, weil Sie da-mals dagegen gestimmt haben:Wenn es darum geht, überWerte und über die Erziehung der Kinder im Interesseunserer Verfassung zu diskutieren, ist es auch richtig, dasswir gesagt haben: Wer als Lehrerin mit einem islamischenKopftuch unterrichten will, hat bei uns keinen Platz, weilsich das gegen unsere Verfassung und gegen unsere Werterichtet.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich will das Thema der Hoch-schulen nennen.Wir haben noch nie so viele Mittel in die-sem Bereich investiert wie unter unserer Verantwortungin diesem Parlament und mit dieser Landesregierung. DerHochschulpakt ist abgeschlossen worden und, wenn manso will, auf eine neue Grundlage gestellt worden. Wir ha-ben das Gesetz zur Technischen Universität in Darmstadtim Hinblick auf die Unabhängigkeit, Eigenverantwortungund Autonomie einer Hochschule beschlossen. Wir sindhier in Deutschland beispielhaft.Wenn davon gesprochenwird, dass wir einen Wettbewerb unter den Hochschulenbrauchen, haben wir hier einen Akzent gesetzt, einenPunkt auf den Weg gebracht, der meines Erachtens bei-spielhaft in Deutschland und für die Hochschullandschaftist.

(Beifall bei der CDU – Jürgen Frömmrich (BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist einstimmig verab-schiedet worden!)

Wenn Sie dazwischenrufen, will ich auch hinzufügen: DieFusion der Universitätskliniken in Gießen und in Mar-

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5541

burg, die Perspektive für eine Privatisierung bedeuteneine zukünftige Sicherung in dem gesamten Bereich vonMittelhessen, um hier auch weiterhin hoch qualifizierteMedizin und medizinische Versorgung anbieten zu kön-nen und Forschung und Lehre umzusetzen. Sie betreibenauch in diesem Punkt – dort sind die Sozialdemokratenmit im Boot – Destruktion, statt die Dinge vernünftignach vorne zu bringen und im Interesse unseres Landespositive Entscheidungen zu treffen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich erwähne nur am Randedie Modernisierung der Hochschulen. Goethe-Univer-sität in Frankfurt: 600 Millionen c von Campus West überCampus Riedberg, über House of Finance usw. Ich könntedas fortsetzen: Förderung der Nanotechnologie, Innova-tionszentrum Biotechnologie. Meine sehr verehrten Da-men und Herren von Rot-Grün,

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Wann war das alles, Herr Kollege?)

– Herr Kaufmann, Sie haben den Hochschuletat zumSteinbruch für Finanzpolitik gemacht.

(Beifall bei der CDU)

Wir setzen Prioritäten im Bereich von Schule und Bil-dungspolitik.

Auch was wir im Rahmen der „Operation sichere Zu-kunft“ hier beschlossen haben – darüber wird ja immerviel diskutiert –, nämlich die Einführung der Langzeitstu-diengebühren, das war der richtige Weg. Es war ein sozialgerechter Weg, weil ich denke, dass man von Studentinnenund Studenten verlangen kann, dass sie, wenn ihre Regel-studienzeit beispielsweise acht Semester beträgt und wirnoch einen Zuschlag bis zwölf Semester geben, ab dem 13.Semester entsprechend bezahlen. Das ist sozial verant-wortlich und auch sozial gerecht.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich nenne das Feld der inne-ren Sicherheit. Wir haben in Hessen die höchste Aufklä-rungsquote seit 35 Jahren. Wir haben das modernste Poli-zeigesetz in diesem Lande eingeführt.Wir sind Vorreiterin der Videoüberwachung, um Kriminalität konkret zubekämpfen. Wir sind diejenigen, die gegen Ihren Wider-stand den freiwilligen Polizeidienst umgesetzt haben.

(Beifall bei der CDU)

Wir machen jetzt das Projekt „Schutzmann vor Ort“.

Meine Damen und Herren, Sie haben gestern die Bilanzim Bereich der Justiz gehört.Wir sind auch hier Vorreiter.Mit der Einführung und Eröffnung der ersten teilprivati-sierten Justizvollzugsanstalt in Hünfeld gehen wir bei-spielhaft nach vorne. Wir leisten einen Beitrag für die in-nere Sicherheit. Das ist auch ein Punkt, den wir hier unterdem Erfolgskonzept abhaken können.

(Beifall bei der CDU)

Weil die Zeit etwas drängt, konzentriere ich jetzt die an-deren Punkte etwas. Thema: Entbürokratisierung. Daskommt in der gesamten Diskussion viel zu kurz. Wir sindin der größten Umbauphase dieses Landes, wo wir Behör-den zusammenführen, wo wir über 10.000 Stellen für Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter umstrukturieren, wo wirdie Kommunalisierung der Oberbürgermeister und Land-räte umgesetzt haben, wo wir dabei sind, das gesamteEDV-System zu modernisieren, und zwar bis zu dem

Thema, dass wir jetzt einen Produkthaushalt beraten undvorlegen werden. Wir machen die Verwaltung effizienter,schneller und flexibler. Das liegt im Interesse der Bürge-rinnen und Bürger.Auch das ist ein Erfolg dieser Landes-regierung.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn ich auf das Thema Wirt-schaft und Arbeit zu sprechen komme, weil das besondersauch von Ihnen, Herr Kollege Walter, kritisiert worden ist,muss man doch in aller Ruhe und Gelassenheit festhalten:Auch die Bertelsmann Stiftung kam zu dem Ergebnis,dass wir uns weiterhin unter den Top 3 im Ranking allerBundesländer in Deutschland befinden. Wir sind dasGründerland Nummer eins. Wir haben im Vergleich mitden anderen Bundesländern in Hessen die meisten Exis-tenzgründungen. Wir haben die beste Förderung im Be-reich des Mittelstands. Was wir jetzt mit dem Gesetz zurStärkung der innerstädtischen Geschäftsquartiere ge-macht haben, ist ein Schritt, um das Ausbluten der Innen-städte zu verhindern, aber auch um die Stärkung des Ein-zelhandels in diesem Bereich zu ermöglichen. Auch dasgehört dazu, wenn wir hier über positive Akzente unsererPolitik sprechen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch dasThema Infrastruktur ist zu erwähnen. Wir haben geradejetzt den ersten Bauabschnitt der A 44 eingeweiht. HerrKaufmann, Sie haben alles getan, um derartige Straßen-verkehrsverbindungen zu verhindern. Wir haben im Be-reich des Flughafens jetzt bis zum – –

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Wenn hier alles so toll ist, warum wol-len Sie dann weg? – Heiterkeit und Beifall bei demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordne-ten der SPD)

– Ich will Ihnen mit der Halbzeitbilanz vor Augen führen,was positive Ergebnisse dieser Landespolitik und positiveErgebnisse unserer Arbeit innerhalb dieser zweieinhalbJahre im hessischen Parlament sind. Das muss man Ihnenimmer wieder deutlich vor Augen führen, weil man sonstimmer hört, was Sie teilweise an destruktiven Argumen-ten vorbringen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn ich jetzt lese, dass unsder Steuerzahlerbund mit Kassel-Calden kritisiert, dannkann ich nur sagen: Es war richtig, dass wir die Entschei-dung zum Flughafen für die A-380-Halle getroffen habenund vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt wordensind. Damit sind 32.000 Arbeitsplätze der Lufthansa inFrankfurt gesichert worden.

(Beifall bei der CDU)

Der Flughafenausbau gehört dazu.Aber dazu gehört auchdie Perspektive in Nordhessen. Wir haben auch hier eineVerantwortung. Die Arbeitslosigkeit ist in Nordhessen amstärksten zurückgegangen, weil sich dort positive Ent-wicklungen – von Logistik bis zu anderen Bereichen – er-geben haben. Aber auch der Flughafen Kassel-Calden isteine zusätzliche Perspektive für diese Region. Wenn derSteuerzahlerbund meint, das kritisieren zu müssen, liegter einfach falsch. Wir wollen eine positive Entwicklungauch für Nordhessen.

(Beifall bei der CDU)

Das Thema ländlicher Raum müsste ich anfügen – vondem Thema Förderrichtlinie unter einem Dach über das

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5542 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Thema Umweltallianz, über die effektivere Gestaltungdes Verbraucherschutzes

(Lachen des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN))

bis um Thema Hochwasserschutz, ein Thema, das in denletzten Jahren aktuell war. Meine Damen und Herren, Siehaben 1Million c im Haushalt für Hochwasser investiert.Wir investieren 10 Millionen c, um Hochwasserschutz inunserem Lande effektiv zu gestalten und damit Bürgerin-nen und Bürgern vor einer entsprechenden Gefahr zu si-chern, wie sie beispielsweise Hochwasser darstellen kann.

(Beifall bei der CDU)

Der Nationalpark Kellerwald-Edersee wird zum Besu-chermagnet.

(Lachen des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN))

Wir haben in anderen Bereichen weitere positive Akzentegesetzt, auch wenn es darum geht, über regenerativeEnergien zusätzliche Perspektiven für die Landwirtschaftzu sichern. Wenn ich über Biomasse rede, wenn ich überdas Biorohstoffzentrum Witzenhausen rede, zeigt das,dass wir zusätzliche Akzente gesetzt haben, um eine Per-spektive für die Entwicklung regenerativer Energien,aber auch für die Landwirtschaft zu sichern.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Dr. Jung, Sie müssen zum Schluss kommen. Die Re-dezeit ist abgelaufen.

Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU):

Herr Präsident, lassen Sie mich vielleicht noch kurz dreiSätze sagen.

Ich möchte hier die familienpolitische Initiative vortra-gen, die wir eingeleitet haben.

(Günter Rudolph (SPD): Ach du lieber Vater, damusst du selber lachen! – Weitere Zurufe von derSPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das haben wir heute Morgen gehört. Ich nenne unser En-gagement zum Ehrenamt und andere Punkte, die wir ge-leistet haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie michzusammenfassend sagen: Die Bürgerinnen und Bürgerkönnen sich darauf verlassen, dass wir unseren positivenWeg, den wir in den letzten zweieinhalb Jahren gegangensind, auch in der Zukunft fortsetzen – für eine gute Bil-dung, für Wirtschaft und Arbeit, für Freiheit und sozialeGerechtigkeit, für Familie, für die Bewahrung der Schöp-fung.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Und eine starke Bundes-wehr!)

Meine Damen und Herren, wir arbeiten im Interesse derMenschen dieses Landes und bringen dieses Land weiternach vorn. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung. – BestenDank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Dr. Jung.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Das war der Abschied! – Günter Ru-dolph (SPD): Schwache Abschiedsrede!)

Herr Walter, Sie haben als Nächster für die SPD-Fraktiondas Wort.

Jürgen Walter (SPD):

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir allewissen, dass es in der kurz zurückliegenden Vergangenheit

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

wüste Spekulationen gibt. Der eine oder die anderescheint zumindest bundesweit daran zu zweifeln, ob Kol-lege Jung ausreichende Kompetenzen im Bereich der Ver-teidigung hat. Ich glaube, das hat er heute bewiesen. Werso eine grottenschlechte Bilanz einer Landesregierungmit so großem Mut hier verteidigen kann, der zeigt, dasser in dem Bereich tatsächlich hervorragend strukturiertist.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Jürgen Frömm-rich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Kollege Jung, unser Land Hessen

(Clemens Reif (CDU): Ist Spitze!)

hat sich in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren anvielen Stellen verändert. Unser Land Hessen hat sich ver-ändert

(Clemens Reif (CDU): Zum Guten hin! – Gegenrufdes Abg. Günter Rudolph (SPD): Träumen Sie wei-ter!)

in Kassel, in Marburg, in Hanau, in den KreisstädtenFriedberg und Heppenheim und im Landratsamt desRheingau-Taunus-Kreises in Bad Schwalbach. Herr Kol-lege Fraktionsvorsitzender Jung, in all diesen Städten wa-ren vor zweieinhalb Jahren Christdemokraten an der Re-gierung. Auch wegen der von Ihnen als hervorragend be-schriebenen Politik der Landesregierung hat sich diesmittlerweile geändert. In Kassel mit Bertram Hilgen, inMarburg mit dem Kollegen Vaupel, in Hanau, in Fried-berg, in Heppenheim und im Landratsamt in Bad Schwal-bach regieren jetzt Sozialdemokraten. Auf diesem gutenWeg wollen wir das Land weiter nach vorne bringen.

(Beifall bei der SPD – Clemens Reif (CDU): Sieverlassen gerade das Kanzleramt in Berlin!)

– Herr Kollege Reif, mit dem „Berlin“ muss man auchvorsichtig sein.

Vor zweieinhalb Jahren haben diese Landesregierung unddie sie tragende CDU unbestritten die absolute Mehrheitin diesem Land gewonnen. Bei der letzten landesweitenWahl, der Bundestagswahl, ist die CDU mit einem deut-lich schlechteren Ergebnis als die SPD aus der Wahl her-ausgekommen. Sie werden verstehen, dass uns Sozialde-mokraten und Sozialdemokratinnen das ausgesprochenoptimistisch stimmt, lieber Herr Kollege Reif.

(Beifall bei der SPD)

All diese Ergebnisse sind sicherlich zu erklären mit ört-lichen Begebenheiten und dem Thema der Wahl. Aber esmacht eines deutlich, was wir dem Herrn Ministerpräsi-denten bereits am Beginn der Legislaturperiode gesagt

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5543

haben: dass er mit diesem Landtagswahltermin seinen Ze-nit erreicht hat und seit diesem Landtagswahltermin, dernun zweieinhalb Jahre zurückliegt, auf einem stetigen,aber konsequenten Abwärtstrend ist. Dieser Abwärts-trend wird immer deutlicher.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden diesen Abwärtstrend die nächsten zweiein-halb Jahre sehen. Dann werden wir Sozialdemokratinnenund Sozialdemokraten diese Tendenz wieder umkehrenund unser Land nach vorne bringen.

(Beifall bei der SPD – Frank Gotthardt (CDU):Der Schröder ist dann Spitzenkandidat!)

Es gibt einige, die an der Stelle noch Direktwahlen vorsich haben. Die sind jetzt ein bisschen lauter als diejeni-gen, die die Direktwahl hinter sich haben, liebe Kollegin-nen und Kollegen von der CDU.

Lassen Sie mich auf einzelne Punkte eingehen, die derKollege Jung angesprochen hat. Ich möchte mit einemThema beginnen, das er – für mich nicht verwunderlich –vollkommen ausgeklammert hat, nämlich die Frage: Wiesieht es mit den Finanzen in unserem Lande aus?

(Günter Rudolph (SPD): Schlecht! – Volker Hoff(CDU): Schöne Grüße an Eichel!)

Das ist die zentrale Frage, weil jeder, der Politik in demLand machen will, dafür die entsprechenden finanziellenMittel braucht. Die Aussage, dass die Landesfinanzen ineinem katastrophalen Zustand sind, wird mittlerweileselbst von der Presse eher als eine Untertreibung angese-hen. In der Regierungszeit des Herrn MinisterpräsidentenKoch, also in insgesamt sechseinhalb Jahren, haben sichdie Schulden unseres Landes von einem Stand um die 23Milliarden c auf einen Stand von 32 Milliarden c, mögli-cherweise sogar 33 Milliarden c am Ende dieses Jahres,erhöht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben einstrukturelles Haushaltsdefizit in Höhe von ungefähr 2,4Milliarden c. Wenn die Landesregierung am Donnerstagden Kabinettsbeschluss „Haushalt 2006“ fassen wird, wirdsehr deutlich, dass dies keine Aussage des Oppositionspo-litikers ist, sondern dass dies das zentrale Problem in un-serem Lande ist, Herr Kollege Jung.

(Beifall bei der SPD)

1,6 Milliarden c Neuverschuldung und 0,8 Milliarden cPrivatisierungserlöse, also 2,4 Milliarden c strukturellesDefizit – und einen Finanzminister, der in der Debatte derletzten Plenarwoche seine Ratlosigkeit und seine Hand-lungslosigkeit eingestanden hat. Er hat hier gestandenund gesagt: Ich weiß auch nicht mehr, was ich machen soll.

(Ministerpräsident Roland Koch: Na, na, na!)

Nur den einen Satz, der konsequent gewesen wäre, hat ernicht hinzugefügt: Und deshalb trete ich von meinem Amtzurück.

(Beifall bei der SPD – Zurufe der Abg.Volker Hoff(CDU) und Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Sie haben die schlimmste Haushaltskatastrophe in derGeschichte dieses Bundeslandes zu verantworten.An die-ser Stelle nutzen Ihnen auch die Reden nichts, liebe Kol-leginnen und Kollegen von der Union. Die Zahlen sindunbestreitbar. Die Zahlen in Hessen werden tendenziellnoch schlechter. „Steuerrückgang weiter über demDurchschnitt“, „Minister weist Kritik an Verschiebung zu-

rück“ – das war die Diskussion um die Einbringung desHaushalts. Wir haben in unserem Bundesland Hessen imersten Halbjahr dieses Jahres 2005 Steuerrückgänge inHöhe von 9,3 % zu beklagen, im Bundesdurchschnitt0,3 %.

Meine sehr verehrten Damen und Herren der Union, an-statt hier Lobeshymnen zur Halbzeitbilanz zu verkünden,hätte die Opposition, ich glaube mehr noch, hätten dieBürgerinnen und Bürger in unserem Lande einen An-spruch darauf, dass Sie erklären, was in unserem Lande losist. Warum sind wir so viel schlechter als die anderenBundesländer? Vor allen Dingen erwarten die Leute zuRecht eine Antwort, was Sie tun wollen, um diese Tendenzumzudrehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

Die Haushaltssituation hat Ursachen. Eine der zentralenUrsachen ist, dass es in unserem Lande Hessen auch wirt-schaftlich nicht mehr so gut geht, wie es in diesem Landeeinmal ging und in diesem Lande gehen könnte. Ich habean dieser Stelle mehrfach gesagt: Unter sozialdemokrati-schen Ministerpräsidenten war Hessen stets an der Spitzebei der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Unter dieser Lan-desregierung sind wir im Jahre 2004 insgesamt elfmal imbundesweiten Vergleich an der Spitze bei der Zunahmeneuer Arbeitslosigkeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das hat dann dazu ge-führt, dass wir in der Arbeitslosenstatistik im September2005 mittlerweile eine Arbeitslosenquote von 9,6 % ha-ben. Diese Zahl hat kein sozialdemokratisches Institutveröffentlicht, sondern die Bundesagentur für Arbeit. Da-mit liegen wir mittlerweile deutlich vor dem Land Rhein-land-Pfalz, das im September 2005 „nur“ eine Arbeitslo-senquote von 8,3 % aufwies. Die hier anwesenden, längerdienenden Sozialdemokratinnen und Sozialdemokratenkönnen sich noch an die Zeiten erinnern – ich sehe denehemaligen Wirtschaftsminister Lothar Klemm in diesenReihen sitzen –, in denen wir Hessen regiert haben. Dawar die Arbeitslosenquote stets niedriger als in Rhein-land-Pfalz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nun schicken wir uns auch noch an, das nächstschlechtereBundesland, das Saarland, zu überholen. Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren dieser Landesregierung, dasist die unmittelbare Folge Ihrer Politik.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Volker Hoff(CDU))

Ich will jetzt über die Wirtschaft reden. Herr Kollege Dr.Jung hat das zentrale Infrastrukturprojekt unseres Landesangesprochen, nämlich den Ausbau des Frankfurter Flug-hafens. Ich denke, es ist gut, dass wir, die Mitglieder derbeiden großen Volksparteien, für den Ausbau des Frank-furter Flughafens sind. Denn wenn eine der beiden gro-ßen Parteien dazu eine andere Auffassung hätte, würdedas schwierig werden.

(Michael Boddenberg (CDU): Herr Walter, derAusbau könnte schon seit drei Jahren fertig sein!)

– Herr Kollege Boddenberg, man sollte nicht mit Steinenwerfen, wenn man im Glashaus sitzt. Wir stellen fest, dieLandesregierung hat beim Ausbau des Frankfurter Flug-hafens, den wir wollen und unterstützen, mehrfach mas-sive handwerkliche Fehler begangen.

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5544 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Der erste grundsätzliche Fehler bestand in der allzu frü-hen Festlegung auf eine Bahnvariante. Die EuropäischeKommission hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben, dassman die Entscheidung nicht vor Eintritt in die Abwägungvornehmen kann. Es ist schon fast sachlogisch, dass manin ein Abwägungsverfahren ergebnisoffen einzutretenhat. Wer in das Abwägungsverfahren mit einer Entschei-dung geht, die schon feststeht, riskiert, dass ihm nachherGerichte attestieren, dass die Ermessensabwägung fehler-haft ist, weil das Ermessen nicht gebraucht wurde. Wenndies geschehen würde, würde es den Prozess des Ausbausdes Frankfurter Flughafens um Jahre zurückwerfen.

(Hildegard Pfaff (SPD): So ist das!)

Zweiter Punkt. Sie haben den Bau der Halle für den Air-bus 380 am Flughafen Frankfurt angesprochen. HerrWirtschaftsminister, auch wir sind froh, dass das funktio-niert hat. Die Halle wird in Frankfurt gebaut werden. Siewissen, dass damit jetzt nicht Sie, sondern Ihr Vorgängergemeint ist. Mit dem Hinzufügen weiterer Vorgaben inden Regionalplan Südhessen hat die Landesregierung ris-kiert, dass der Bau der Wartungshalle für den Airbus 380so lange verschoben werden muss, dass zu befürchtenstand, dass diese Halle nicht in Frankfurt, sondern in Mün-chen gebaut würde.Wegen der Hinzufügung dieser weite-ren Vorgaben hat der Verwaltungsgerichtshof in Kasseldem Regionalplan die höchste Strafe gegeben. Er hat ihmnämlich den Makel gegeben, nichtig zu sein.Wir alle mus-sten gemeinsam mit unseren Regionalpolitikern in derRegionalversammlung dafür sorgen, dass erneut ein Be-schluss dazu gefasst wurde. Das war also ein klarer hand-werklicher Fehler.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf desAbg. Michael Boddenberg (CDU))

Herr Ministerpräsident, ich komme zum dritten Punkt.

(Ministerpräsident Roland Koch: Wer hat denn inder Regionalversammlung dagegen gestimmt? Wasist denn das für eine Wahrnehmung?)

Er betrifft das Nachtflugverbot. Wir alle wissen, dass dasNachtflugverbot eines der zentralen Themen beim Aus-bau des Frankfurter Flughafens ist. Seit dem Ende desMediationsverfahrens sagen wir alle in großer Einigkeit:Ohne Nachtflugverbot wird es den Ausbau nicht geben.

Herr Ministerpräsident, allerdings nicht nur die Sozialde-mokratinnen und Sozialdemokraten dieses Hauses hättenerwartet, dass diese Landesregierung seit dem Ende desMediationsverfahrens wenigstens schrittweise etwas zurUmsetzung des Nachtflugverbots getan hätte. Nichts istgeschehen. Es ist sogar noch schlimmer: Im Jahre 2001 hatHerr Minister Posch ein Punktesystem für die Nachtflügeam Frankfurter Flughafen eingeführt. Das kann man ma-chen. Er hat den Lärm nach einem Punktesystem bewer-tet und das mit dem Versprechen verbunden – Herr Kol-lege Posch, korrigieren Sie mich gegebenenfalls, aber ichglaube, es sollte ab dem Sommerflugplan 2006 gelten –:Ab dem Sommerflugplan 2006 werden wir die Punkte indiesem Punktesystem jeweils schrittweise um 5 % redu-zieren. – Damit wäre etwas getan worden, um in Richtungdes Nachtflugverbots zu kommen. Damit hätte die Belas-tung der Menschen in der Region jedenfalls in der Nachtreduziert werden können.

Was müssen wir Mitte dieses Jahres feststellen? Die Lan-desregierung hat in den zweieinhalb Jahren, seitdem dieCDU und Ministerpräsidenten Koch allein regieren,

nichts, aber auch gar nichts getan, um eine Verfügung zuerlassen, mit der die Reduzierung der Nachtflüge, die ver-sprochen wurde, umgesetzt würde. Das wurde mit der Be-gründung verschoben: Wenn wir jetzt eine entsprechendeVerfügung erlassen, wissen wir nicht, ob sie Bestand ha-ben würde, wenn die Fluggesellschaften diese Verfügungangreifen würden. – Herr Minister Rhiel, das steht so inIhrer Pressemitteilung.

Wir hatten von Ihnen erwartet – ich glaube, die Men-schen, die in der Region leben und durch die Nachtflügeerheblich belastet sind, hatten dies auch erwartet –, dassSie die zweieinhalb Jahre, die Sie gehabt haben, daraufverwenden würden, eine Verfügung zu erarbeiten, die Be-stand haben kann. Sie sagen aber: Wir fangen jetzt damitan, wir bitten noch um ein Jahr weitere Frist, um eine Re-duzierung der Nachtflüge, die dann zum Nachtflugverbotführt, vorzunehmen. – Meine sehr verehrten Damen undHerren, wer bei dem Nachtflugverbot so fahrlässig arbei-tet, wie Sie das zurzeit tun, wird das Vertrauen der Men-schen in der Region nicht gewinnen können. Ich habemehrfach gesagt: Das Fundament dieser Bahn muss Ver-trauen sein. Herr Ministerpräsident, Sie sind gerade da-bei, das Vertrauen der Menschen in der Region zu ver-spielen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich zur Bildungspolitik kommen. Ich will da-bei etwas zur Unterrichtsgarantie sagen. Ich bin mittler-weile der Auffassung, dass es für die Opposition keinenbesseren Wahlkampfslogan gibt, als wenn die Christde-mokraten in Hessen von der Unterrichtsgarantie spre-chen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg.Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir hören tagtäglich von den Eltern und den Schülerin-nen und Schülern unseres Landes, dass der Geschichts-unterricht drei Wochen lang ausgefallen ist oder dass es indem ganzen Schuljahr noch keinen Mathematikunterrichtgegeben hat. Manches Elternteil sagt: Mein Kind kommtmorgens um 11 Uhr nach Hause, ich weiß überhauptnicht, wie ich das mit meiner Arbeit vereinbaren soll.

In diesem Land fallen unendlich viele Unterrichtsstundenaus. Die Bürgerinnen und Bürger merken das. Die Men-schen merken das. Meine sehr verehrten Damen und Her-ren der Union, fahren Sie damit fort, den Menschen zu er-klären: In Hessen gibt es die Unterrichtsgarantie. – Ichglaube, dass die Menschen bereit sind – –

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

– Herr Kollege Boddenberg, ich glaube, dass die Men-schen bereit sind, sich auf diesen Diskussionsprozess ein-zulassen, wenn man ihnen ernsthaft erklärt, dass Pro-bleme bestehen.

(Zuruf von der CDU: Das, was Sie sagen, ist dochdie Unwahrheit!)

Wenn Sie aber einem Elternpaar, das von seinem Kind ge-rade erfahren hat, dass es bisher in dem ganzen Schuljahrnoch nicht eine Stunde Mathematikunterricht gehabt hat,erklären, dass wir in Hessen eine Unterrichtsgarantie ha-ben, dann ist es doch einleuchtend, dass sich diese Men-schen auf den Arm genommen fühlen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5545

Sie brauchen sich nicht zu wundern, dass die Menschenzunehmend der Auffassung sind, dass Sie mit Ihrer Politikabgewirtschaftet haben.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Walter, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kom-men. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Jürgen Walter (SPD):

Ich verstehe schon, dass Sie dazwischenrufen. Das könnenSie machen. Sie reden dann gern über das Jahr 1995. Ge-stern, als wir über den Justizvollzug gesprochen haben, re-deten wir über Dinge aus dem Jahr 1977. Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren, all das wird Ihnen aber nichtsnützen.

(Zuruf des Abg. Rudi Haselbach (CDU))

– Herr Haselbach, wir, also all diejenigen, die sich mit Po-litik beschäftigen, müssen doch auf eine Frage eine Ant-wort finden. Dabei geht es um die Frage: Was tut ihr jetzt,um den schlechten Zustand zu verbessern? – Nach derRede, die Herr Kollege Jung gehalten hat,

(Günter Rudolph (SPD): Das war seine Abschieds-rede!)

entsteht der Eindruck, dass diese Landesregierung nochnicht einmal bereit ist, wahrzunehmen, welche Problemewir in diesem Land haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Landesregierung und die Mitglieder der CDU-Land-tagsfraktion, die vor den Problemen, die es in unseremLand gibt, die Augen verschließen, können die Problemedieses Landes dann auch nicht lösen. Deshalb bin ich sehroptimistisch, dass sich die Tendenz in der zweiten Halbzeitdieser Legislaturperiode, also in den nächsten zweiein-halb Jahren, fortsetzen wird, der zufolge die Sozialdemo-kraten auf kommunaler Ebene in quantitativer und quali-tativer Hinsicht stärker werden.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Walter, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kom-men.

Jürgen Walter (SPD):

Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. – Sehr geehrterHerr Ministerpräsident, sehr verehrter Herr Kollege Jung,im Jahre 2008 werden wir die Tendenz umkehren, dass esin diesem Land nach unten geht.Wir werden mit einer vonden Sozialdemokraten geführten Regierung dieses Landwieder dahin bringen, wo es hingehört, nämlich auf einenSpitzenplatz in Deutschland.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD – MichaelBoddenberg (CDU): Ui! – Wortmeldung des Abg.Michael Boddenberg (CDU) – Frank-Peter Kauf-mann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist zuspät! Die Diskussion ist zu Ende! Er muss sich wäh-rend der Rede zu Wort melden! – Reinhard Kahl(SPD): Das ist zu spät! Die Rede war zu Ende!)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Walter, vielen Dank. – Meine Damen und Herren,Herr Boddenberg hatte sich am Ende der Rede des HerrnWalter vom Platz aus zu Wort gemeldet. Er hat mit dieserMeldekarte signalisiert, dass er eine Kurzinterventionwünscht. Ich habe das zugelassen. – Herr Boddenberg,bitte schön, Sie haben für zwei Minuten für eine Kurzin-tervention das Wort.

Michael Boddenberg (CDU):

Vielen Dank. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Da-men und Herren! Herr Walter, Sie haben wider besseresWissen wieder einmal viele Unwahrheiten verbreitet.Eine Unwahrheit regt mich mittlerweile aber wirklich auf.Dabei geht es darum, dass Sie hinsichtlich des Ausbausdes Frankfurter Flughafens und des Nachtflugversuchsdas Gleiche versuchen, was die GRÜNEN tun. Herr Wal-ter, Sie wissen sehr genau, dass ein Wirtschaftsministernicht gerade einmal so hergehen und sagen kann: Wirschränken die Nachtflüge nach dem Gusto und den Vor-stellungen ein, die wir als Mitglieder der Landesregierunghaben.

Herr Walter, Sie wissen ganz genau, dass es bei dieserFrage um ein sehr sensibles Thema geht, das auch dieGlaubwürdigkeit der Politik betrifft. Sie wissen ganz ge-nau, dass die GRÜNEN seit Jahren die Unwahrheit ver-breiten, indem sie die Forderung „Nachtflugverbot so-fort“ plakatieren. Damit tun sie genau das, was auch Sieheute in Ihrer Rede getan haben. Sie haben den Men-schen nämlich den Eindruck vermittelt, das könne per Re-gierungserlass gerade einmal so beschlossen werden, wieSie es gerne hätten.

Sie wissen, dass vieles notwendig ist, um ein Nachtflug-verbot durchzusetzen. Sie wissen auch, dass es eine völligneue Qualität bei der Realisierung dieses Ziels gibt, diedarin besteht, dass der Antragsteller Fraport in seinemAntrag auf Genehmigung des Flughafenausbaus genaudas formuliert hat, was wir wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Herr Walter, Sie wissen, dass es da eine einzige Möglich-keit gibt und dass da gemeinsam noch einige Dinge unter-nommen werden müssen. Ein Stichwort dazu lautet: Aus-bau des Flughafensystems mit den Flughäfen Frankfurtam Main und Frankfurt-Hahn.

Sie wissen ganz genau, dass all das notwendig ist, um zuerreichen, dass die Menschen in der Nacht sechs Stundenweniger Lärmbelastung haben, als das heute der Fall ist.Tun Sie bitte nicht so, als handele es sich da um ein Ver-säumnis der Landesregierung. Bitte hören Sie auf, denMenschen die Unwahrheit zu sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Walter, Sie haben die Möglichkeit zur Antwort, auchzwei Minuten.

Jürgen Walter (SPD):

Herr Präsident! Herr Kollege Boddenberg, mit Verlaub,aber Sie haben das Thema nicht verstanden, über das ichgeredet habe.

(Lachen bei der CDU)

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5546 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Es ist wirklich so. Der Herr Posch wird nachher sicherlichnoch etwas dazu sagen, wenn er dazu spricht.Aber für dieFDP-Fraktion wird vermutlich Herr Hahn reden. – Esgeht nicht um das absolute Nachtflugverbot. Es geht umeine Verfügung aus dem Jahr 2001,

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist doch durch-sichtig!)

die die Landesregierung gegenüber Fraport als Flugha-fenbetreiberin erlassen hat, in der ein Punktesystem fürden jeweiligen Nachtsektor festgelegt wurde.

(Michael Boddenberg (CDU): Dann reden Sienicht vom Nachtflugverbot in diesem Zusammen-hang!)

– Aber das führt natürlich dahin, dass in der Nacht weni-ger Flugbewegungen stattfinden. Es wurde im Zu-sammenhang mit dieser Verfügung den Menschen ver-sprochen, auf dem Sommerflugplan 2006

(Michael Boddenberg (CDU): Das hat nichts zu tunmit dem Nachtflugverbot!)

dieses Lärmkontingent um 5 % zu reduzieren. Jetzt ist dieLandesregierung nicht dazu in der Lage, eine entspre-chende Verfügung sofort zu erlassen – das steht in der ei-genen Presseerklärung –, da Fluggesellschaften angedrohthaben, dagegen zu klagen. Herr Minister Rhiel, Sie sagen:Wir wollen juristisch auf der sicheren Seite sein, wir müs-sen das durchprüfen.

Um diesen Sachverhalt geht es. Mein Angriff und meineKritik, Herr Wirtschaftsminister, ist: Wenn der KollegePosch in seinem Amt als Wirtschaftsminister im Jahre2001, getragen von der Landesregierung, eine entspre-chende Verfügung erlässt und im Jahr 2001 ankündigt, abdem Sommerflugplan 2006 eine fünfprozentige Reduzie-rung vorzunehmen, dann erwarten wir, dass Sie nicht mitAblauf des Sommerflugplans 2005 beginnen, sich darüberGedanken zu machen, wie man eine entsprechende Ver-fügung formulieren könnte, sondern dass Sie die langeZeit, die seitdem verstrichen ist, dafür verwenden, eineVerfügung hieb- und stichfest erlassen zu können. DieMenschen haben einen Anspruch darauf, dass das, was ih-nen unstrittig im Jahre 2001 versprochen wurde, auch um-gesetzt werden kann.

Sie haben es verabsäumt, in den letzten zweieinhalb Jah-ren das zu tun, was notwendig ist, nämlich eine rechts-kräftige Verfügung vorzubereiten. Daran besteht meineKritik. Das hat nichts mit dem absoluten Nachtflugverbotzu tun, sondern es ist der Vorwurf der Tatenlosigkeit undPlanlosigkeit an diese Landesregierung.

(Beifall bei der SPD – Volker Hoff (CDU): Dasmacht es auch nicht besser!)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Walter. – Herr Al-Wazir, Sie haben alsNächster das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Zurufe der Abg. Michael Boddenberg und VolkerHoff (CDU))

Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Da-men und Herren! Ich fand die Tatsache, dass der HerrKollege Jung in der ihm eigenen und für die hessische

CDU so typischen Art erklärt hat, dass hier alles wunder-bar ist, sehr amüsant. Denn wie Herr Kollege Kaufmannrichtigerweise bemerkt hat, Herr Kollege Dr. Jung: Wennhier alles so doll ist, warum wollen Sie eigentlich so drin-gend weg?

(Zuruf des Abg. Volker Hoff (CDU))

Diese Frage müssten Sie schon einmal beantworten. Diezweite Frage hat auch etwas mit dem Weggang zu tun, ober gelingt oder nicht. Mich wundert, wie eine CDU-Frak-tion, die in Hessen erstmals über die absolute Mehrheitverfügt – das war eine der wenigen Äußerungen, die ge-stimmt haben –, die zweieinhalb Jahre eine absoluteMehrheit hat, dann zu einer Bundestagswahl mit demSpitzenkandidaten Franz Josef Jung antritt und dabei dasschlechteste Ergebnis der hessischen CDU seit 1953 ein-fährt, da noch der Meinung sein kann, sie hat alles richtiggemacht. Das geht nicht in meinen Kopf hinein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Naturgemäß ist es so – das kann gar nicht anders sein –,dass Regierungsfraktionen die Arbeit der Regierung po-sitiver und Oppositionsfraktionen die Arbeit der Regie-rung eher kritischer sehen. Das ist sozusagen schon imWesen des parlamentarischen Systems.Aber dass man an-gesichts einer solchen Bilanz, die man in der Realität vor-zuweisen hat, solche Anträge einbringt und solche Redenhier hält, sehr verehrter Herr Dr. Jung, das ist wirklich et-was, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Da wir inden letzten zweieinhalb Jahren schon sehr viel über dieFrage geredet haben, was die reale Bilanz dieser Regie-rung ist, und alles Reden offensichtlich bei Ihnen nicht an-gekommen ist, habe ich, um diesem fortschreitenden Re-alitätsverlust vorzubeugen, jetzt nicht nur eine Rede vor-bereitet, sondern auch etwas zum Gucken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn manchmal kann die Wahrnehmung mit zwei Sin-nen, also mit Ohren und Augen, dazu führen, dass irgend-etwas ankommt. Fangen wir einmal an. Ich habe mir IhrenAntrag vorgenommen, und dieser Antrag beginnt mitdem Bildungsbereich. Der Kollege Walter hat völligRecht.Wenn man in irgendeiner Schulaula im Lande Hes-sen das Wort Unterrichtsgarantie in den Mund nimmt,dann sorgt man für Gelächtersalven. Aber schauen wir esdoch einmal an. Herr Ministerpräsident, Frau Kultusmi-nisterin, Sie rühmen sich der Unterrichtsgarantie, dienicht existiert. Schauen Sie sich auf diesem Bild die Ent-wicklung der Lehrerstellen an.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): In welchem Jahr habt ihrangefangen?)

– 2003/2004; wir sind jetzt bei der Halbzeitbilanz dieserPeriode. – Wenn Sie sich die Lehrerstellen anschauen,dann werden Sie feststellen, dass die Halbzeitbilanz ist,dass ihre Zahl immer weiter nach unten geht.

(Michael Boddenberg (CDU): Es hat vorher schonnicht geklappt! Lassen Sie es sein! – Volker Hoff(CDU): Wir sind hier nur im ersten Stock! Dasreicht nicht aus! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nichteinmal die Zahl stimmt! – Heiterkeit)

– Ich verstehe Ihre Aufgeregtheit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5547

Ich jedenfalls habe mir vorgenommen, ganz ruhig zu seinund Ihnen die Zahlen zu zeigen. Herr Kollege Dr. Jung,wenn Sie sich rühmen, dass Sie die Zahl der Hauptschüle-rinnen und Hauptschüler ohne Abschluss reduziert ha-ben, dann ist das zwar richtig.

(Zuruf des Abg. Dr. Walter Lübcke (CDU))

Aber es gibt noch eine zweite Seite dieser Medaille. Inderselben Zeit ist die Zahl derer, die an Sonderschulenabgeschoben werden, exorbitant nach oben gegangen.Wenn Sie diese Linie fortsetzen, sehen Sie ungefähr, wowir am Ende dieser Legislaturperiode landen werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD – Michael Bodden-berg (CDU):Was heißt denn „abschieben“? Was istdas für ein unerträglicher Sprachgebrauch?)

– Herr Generalsekretär der He-Partei, ich verstehe,

(Michael Boddenberg (CDU): Das ist wirklich un-anständig!)

dass Sie aufgeregt sind, wenn Sie mit den Realitäten kon-frontiert werden.Aber ich glaube, für diese Aufgeregtheitgibt es keinerlei Grund.

Herr Kollege Dr. Jung, Sie haben sich ansonsten dafür ge-rühmt, dass die Kriminalität in Hessen angeblich im Griffsei. Betrachten Sie einmal, wo wir bei der erfassten Kri-minalität sind.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Sind das die Ausbrecher?Von Plottnitz!)

Sie werden feststellen, dass die Zahl der erfassten Strafta-ten seit 2001 um 13 % gestiegen ist, nachdem sie vorherunter Rot-Grün jahrelang zurückgegangen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von derCDU)

Wenn man sich dann hinstellt und sagt, man habe eine po-sitive Bilanz, verstehe ich es nicht mehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD – SchriftführerAbg. Horst Klee: Lachhaft!)

– Dass inzwischen das Präsidium hinter mir „Lachhaft!“ruft, das hätte ich mir als Schriftführer nicht erlaubt. Werwar es? – Ach so, der Herr Klee. Der darf das.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Ich habe das mit meinem Kollegen schon sehr freund-schaftlich geregelt, Herr Al-Wazir.

Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gut. – Herr Kollege Dr. Jung, Sie haben die Frage der Er-werbslosigkeit angesprochen. Ich finde, das ist einer derPunkte, die fast das Katastrophalste an dieser Bilanz sind.Man kann sich die Quote der Jugendarbeitslosigkeit be-trachten. Wenn Sie sich betrachten, wie sie sich in Hessenentwickelt hat, dann sehen Sie, dass wir eine dramatischeSituation bei den unter 25-Jährigen haben. Jetzt kann mansagen, wir sind im selben Umfeld, und dieselbe Nummerabziehen, die noch genau drei Wochen funktionierenwird. Bei Ihnen ist immer die Bundesregierung schuld. Ichbin gespannt, was Sie in drei Wochen sagen werden. Dann

werden Sie wahrscheinlich immer noch dasselbe sagen.Aber bitte sehr, das werden wir sehen.

Sie werden sagen, das liege alles daran, dass die Bundes-regierung schuld ist. Aber wenn wir sehen, dass die Ju-gendarbeitslosigkeit seit 2002 im Bundesdurchschnitt um27 % gestiegen ist und im gleichen Zeitraum in Hessenum 63 % gestiegen ist, dann sage ich: Hessen war und istein Teil der Bundesrepublik. Alle anderen Länder habendieselbe Bundesregierung gehabt.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Armes Deutschland!)

Ich finde, bei diesem Punkt müssen wir uns alle miteinan-der Gedanken machen, wie wir von dieser Position weg-kommen. Das wird nicht alleine mit Beton beim Flugha-fenausbau funktionieren, Herr Kollege Boddenberg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Betrachten Sie einmal die gesamten Arbeitslosenquoten.Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir die Abteilung Agita-tion und Propaganda beiseite lassen und uns anschauen,was die Septemberzahlen gesagt haben. Das ist ein weniguntergegangen.

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Al-Wazir, gestatten Sie eine Zwischenfrage vonHerrn Boddenberg?

Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein. Herr Boddenberg ist geübt in Kurzinterventionen,die eigentlich nicht mehr zulässig sind.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das war eine Kritik andem Präsidenten!)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Al-Wazir, ich habe erklärt, warum ich sie zugelassenhabe. Dazu stehe ich auch. Ich erlaube es jeder Fraktion,wenn es am Ende der Rede vom Platz aus deutlich signa-lisiert wird. Das war unter uns immer unstreitig. Das sollauch so bleiben.

(Zuruf des Abg. Volker Hoff (CDU))

Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Betrachten Sie sich die Arbeitslosenquoten. Wir sind imSeptember des Jahres 2005

(Zurufe von der CDU)

– ich finde die Zahl viel zu ernst für die Zwischenrufe, dieich hier höre – in Hessen bei 9,6 % Erwerbslosigkeit. Die9,6 % liegen natürlich unter dem Bundesschnitt. Aber ichkann Ihnen sagen: Es ist das erste Mal, seit es in derBundesrepublik Deutschland Arbeitslosenstatistikengibt, dass das Bundesland Hessen einen schlechterenSchnitt hat als die westdeutschen Bundesländer. Die west-deutschen Bundesländer haben einen Schnitt von 9,5 %,wir sind in Hessen inzwischen bei 9,6 %. Das hat es nochnie gegeben, dass Hessen schlechter ist als die westdeut-schen Länder. Wie man sich dann hinstellen und sagenkann, wir sind super, wir sind toll, das verstehe ich nicht,meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU-Fraktion.

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5548 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Sie schreiben dann in Ihrem Antrag – wortwörtliches Zi-tat –:

Die Konsolidierung des Haushalts trotz schwierig-ster gesamtstaatlicher Rahmenbedingungen ist einMerkmal solider hessischer Landespolitik.

(Lachen bei der SPD)

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Dannzeige ich Ihnen diese Linie hier: den Schuldenstand desLandes Hessen. Wir haben einmal die Trendlinie weitergezogen, davon ausgehend, dass Sie so weitermachen.AmEnde dieser Legislaturperiode werden wir im BundeslandHessen knapp unter 40 Milliarden c Schulden haben. Indiesem Jahr werden wir allein 1,4 Milliarden c an Zinsenzahlen. Man kann sagen: „Auch anderen Ländern geht esschlecht.“ Aber dann muss man sich die Frage stellen, wasdie eigene Verantwortung ist, wenn man jahrelang imBundesrat jede Einnahmeverbesserung des Staates ver-hindert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Kolleginnen und Kollegen von der CDU, dann schreibenSie in Ihrem Antrag von der „vorbildlichen Familienpoli-tik“ und dem „Ausbau des Kinderbetreuungsangebots“.Das fanden wir schon fast putzig. Auch hier: Dies sind dieZahlen der unter dreijährigen Kinder. Dies sind die Be-treuungsplätze für unter dreijährige Kinder. Das sindnicht 100 %, sondern die 20 %, von denen wir heute Vor-mittag geredet haben, die aus unserer Sicht für eine Be-treuungsgarantie nötig wären. Wir haben einmal ausge-rechnet, wie dieser Trend weitergeht. Wenn Sie in demTempo zusätzliche Plätze bei der Betreuung der unterDreijährigen schaffen, dann haben wir in sage undschreibe 34 Jahren für 20 % der unter dreijährigen Kinderein Angebot. Meine sehr verehrten Damen und Herren,wie man dann von einer vorbildlichen Familienpolitik re-den kann, das verstehe ich nicht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich noch hinzufügen: Bis heute sprechen Sievon der „Operation düstere Zukunft“ als Erfolg.

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Kollegin Lannert, wir haben selbst konstruktive Vor-schläge gemacht, auf die Sie nicht eingegangen sind. Icherinnere nur an das andere Modell beim Urlaubs- undWeihnachtsgeld der Beamtinnen und Beamten. Das hatSie gar nicht interessiert. Aber bitte sehr, wir sind immerdabei, wenn es darum geht, Vorschläge für Einsparmög-lichkeiten zu machen. Da lassen wir uns als GRÜNE vonniemandem in diesem Hause übertreffen. Das Problemist, die absolute Mehrheit denkt, sie habe die absoluteWahrheit und damit auch die absolute Arroganz undmüsse deshalb absolut nicht auf irgendetwas anderes ein-gehen.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Ich finde es bis heute dermaßen schäbig, in welcher ArtSie bei der „Operation düstere Zukunft“ mit den sozialenInitiativen im Lande Hessen umgegangen sind, deren Ein-sparbeitrag zu dem, was am Ende wirklich Konsolidie-rungsbedarf ist, nur einen Bruchteil, einen Promillebetragausmacht. Das ist eines der schäbigsten Kapitel des Um-

gangs einer Landesregierung mit Bürgerinnen und Bür-gern und auch mit ehrenamtlich engagierten Menschenim Lande Hessen, den es je gegeben hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Ein letzter Punkt, auch mit Zahlen unterlegt. Sie habensich dafür gerühmt, dass Sie die Bewahrung der Schöp-fung unter anderem dadurch betreiben, dass Sie etwas miterneuerbaren Energien anfangen. Man könnte jetzt vielzum Nationalpark Kellerwald sagen. Ich lasse das.

Sehr verehrte Damen und Herren, bei den erneuerbarenEnergien sehen Sie hier auch zwei Linien. Die obere Liniezeigt die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschlandinsgesamt. Die Linie hier unten zeigt die Entwicklung inHessen. Ich glaube, wenn wir tiefer in die Zahlen einstei-gen, wenn man sich mit der Realität beschäftigt und nichtmit dem, was Herr Metz in seiner großen Trommelabtei-lung in der Staatskanzlei immer macht, dann können wirsehen, dass Ihre Bilanz keine gute ist. Aus unserer Sichtgeht es Ihnen ungefähr so wie dem berühmten Kaiser undseinen neuen Kleidern. Herr Ministerpräsident, auch dagab es viele Menschen, die Bücklinge gemacht haben. Dieganze CDU-Fraktion sagt immer: „Ja, alles wunderbar,Sie sind toll.“ Sie sind nicht der Kaiser, sondern – ich weißnicht, welchen Spitznamen Sie haben – RoKo, oder wasauch immer.

(Rudi Haselbach (CDU): Machen Sie sich keineGedanken um uns!)

Sie wissen, am Ende gab es ein kleines Kind, das gesagthat: „Der Kaiser hat gar nichts an.“ Herr Kollege Dr. Jung,die Tatsache, wie Sie hier geredet haben und wie das inZusammenhang mit der Realität im Lande Hessen zubringen ist, wird am Ende dazu führen, dass im Frühjahr2008 das Kind, in dem Fall der Souverän, sagt: „Der Kai-ser hatte gar nichts an“, und diese Mehrheit im Hessi-schen Landtag wieder eine andere wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir auf die letzten zweieinhalb Jahre zurückblickenund uns an die Regierungserklärung des Ministerpräsi-denten zu Beginn der Legislaturperiode erinnern, dannstellen wir fest, dass es damals einen Appell gab, HerrKoch, die großen Trommeln einzupacken.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Da war etwas! Dasstimmt!)

Die großen Trommeln sind nicht eingepackt worden. Siesind, das geben wir zu, von manchen mehr und von man-chen weniger eingepackt worden. Ich glaube allerdings,der größte Trommler, den es in der hessischen Landespo-litik gibt, ist Dirk Metz. Wenn Sie davon ausgehen, dassdie Trommeln eingepackt werden müssen, dann müssenSie den Oskar-Matzerath-Verschnitt in der Staatskanzlei

(Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund der SPD – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg(CDU))

unbedingt dazu bringen, dass er aufhört, ständig zu trom-meln. Denn ich glaube, Herr Ministerpräsident, dass Sieam Ende etwas einholen wird, was Sie selbst einmal ge-sagt haben – ich möchte zitieren, was Sie 1999 gesagt ha-ben –: „Oppositionsparteien werden nicht wegen ihrerSchönheit gewählt, sondern Regierungen wegen ihrerHässlichkeit abgewählt.“

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5549

Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, das ist ein Zitat,an das Sie sich 2008 bei der Landtagswahl noch einmal mitGrausen erinnern werden. – Vielen herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN – Lebhafter Beifall bei derSPD)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Al-Wazir. – Kurzinterventionen liegenunstrittig nicht vor. Ich darf dann zum nächsten Rednerkommen. Herrn Hahn für die FDP-Fraktion, bitte schön.

Jörg-Uwe Hahn (FDP):

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren.Es ist immer gut, wenn man ein gutes Gedächtnis hat, undnoch besser ist es, wenn man ein gutes Archiv hat. Am 28.März des Jahres 2001 hat Ministerpräsident Roland Kochzur Halbzeit der 15. Legislaturperiode höchstpersönlicheine Regierungserklärung abgegeben. Das ist der ersteUnterschied der ersten Regierung Koch zur zweiten Re-gierung Koch.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Gerhard Bökel(SPD) und Margaretha Hölldobler-Heumüller(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Gerhard Bökel(SPD): Das ist bemerkenswert! Warum wohl?)

Die Regierungserklärung, die Roland Koch für die dama-lige Koalitionsregierung von CDU und FDP abgegebenhat, hatte den Titel: „Aus Chancen werden Erfolge – dieneue Politik in Hessen“. Recht hatte Roland Koch damals.Das war die Halbzeitbilanz der Regierung von CDU undFDP in Hessen.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun fragt mansich:Was ist anders geworden? Warum gibt es keine Halb-zeitbilanz in Form einer Regierungserklärung? Warummuss bei der Plenarsitzung, die in dieser Phase stattfindet,eine Regierungserklärung zum Thema Strafvollzug vorge-tragen werden?

(Gerhard Bökel (SPD): Gute Frage!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, warum disku-tieren wir dieses Thema so intensiv? Wie Sie gesehen ha-ben, war ich gestern auch engagiert bei der Sache gewe-sen.

(Beifall des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Aber warum kommt der Ministerpräsident nicht selbstund gibt eine Regierungserklärung über die Halbzeitbi-lanz seiner absoluten CDU-Mehrheit ab? Weil es eigent-lich fast nichts Neues zu erklären gibt.

(Beifall bei der FDP)

Das ist der Grund, warum der Ministerpräsident nichtselbst aktiv geworden ist. Das ist auch der Grund, warumder Ministerpräsident um den 4. Oktober dieses Jahresnicht aktiv geworden ist, sondern ein bisschen getriebenzu einer Pressekonferenz in Form eines Frühstücks in dieRosselstraße geladen hat. Irgendwann fingen die Rotenund die GRÜNEN an, einen Tag auszusuchen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Andersherum!)

– Wegen mir: die GRÜNEN und die Roten. Das ist mirvollkommen egal. – Wir wurden jedenfalls auch gefragt,ob wir diesen Tag als den Tag der Halbzeit ansehen. Wirhaben gesagt: „Rechnet ihr, wie ihr wollt. Da wir eine an-dere Art von Opposition machen als Rot und Grün, be-teiligen wir uns nicht daran.“ Dann kam auf einmal dieVhU und wollte auch etwas machen. Irgendwann wurdedann urplötzlich auf 8.30 Uhr zu einem Frühstück in dieRosselstraße eingeladen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es auchso nicht war, wenn der gerade von Herrn Al-Wazir so großgelobte Sprecher der Landesregierung das alles schonweit vorausschauend geplant hatte, ist das jedenfalls einUnterschied zu der ersten Regierung von Roland Kochund Ruth Wagner. Damals gab es einen ordentlichen Re-chenschaftsbericht, der zur Halbzeit im Parlament abge-geben worden ist. So muss es auch sein.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Jürgen Walterund Gerhard Bökel (SPD))

Bei diesem Frühstück – das entnehmen wir der „FAZ“ –hat Herr Heptner offensichtlich gut aufgepasst. Kein an-derer als er hat geschrieben, dass der Ministerpräsident ei-nen Seitenhieb auf die FDP abgegeben hat oder, wieBernd Heptner es schreibt: „Einen Seitenhieb ... konntesich der Ministerpräsident nicht verkneifen.“

(Gerhard Bökel (SPD): Unglaublicher Vorfall!)

– Herr Kollege Bökel, das sehe ich auch so. Die Formulie-rung, die er dort gewählt hat, ist noch unglaublicher, HerrKollege Bökel, wenn ich Ihre geschätzte Aufmerksamkeitnoch einmal haben dürfte. Er hat nämlich gesagt, er seisich sicher, dass ihn neben der Regierungspartei CDUauch die FDP gelobt hätte, wenn sie nicht zu Beginn derLegislaturperiode sein Angebot ausgeschlagen hätte,trotz absoluter CDU-Mehrheit die vorherige CDU/FDP-Koalition fortzusetzen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Da hat er Recht! – Zuruf des Abg. Gerhard Bökel(SPD))

Herr Kollege Bökel, da hat er Unrecht. Denn eine Arbeit,wie sie die jetzige CDU-Mehrheit in der Regierung ablie-fert, hätte es mit dem Koalitionspartner FDP nicht gege-ben.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, dass sich jetzt alle hinter meiner Äußerungwieder finden können, dass der Ministerpräsident irrt,wenn er meint, dass er alles so fortgesetzt hat – und mitihm seine Mitstreiter im Kabinett und seine Mitstreiter inder CDU-Fraktion –, wie das in den Jahren von 1999 bis2003 inhaltlich und auch vom Stil her angelegt worden ist.

Herr Ministerpräsident, ich möchte erst etwas zum Stil sa-gen.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Na, na, na!)

Ich kann mir schon vorstellen, warum es aus Ihrer Frak-tion ein bisschen Widerhall dagegen gibt. Die Unionsfrak-tion hat es nicht nötig, die Opposition rechtzeitig zu infor-mieren.

Das gilt – das habe ich gestern für meine Fraktion festge-stellt – für den Justizminister bei besonderen Vorkomm-nissen im Justizvollzug, das gilt für den Innenminister beibesonderen Vorkommnissen im Bereich des Inneren, dasgilt aber auch für Absprachen zwischen Obleuten, und dasgilt insbesondere bei den unsäglich langen Vorlagen zur

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Korrektur von Gesetzentwürfen der Landesregierung, diewenige Stunden vor den Ausschusssitzungen eingereichtwerden.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein Stil, den es während unserer gemeinsamen Re-gierungszeit nicht gab. Dieser Stil begründet sich dadurch,dass eine einzige Fraktion in diesem Hause meint, ihr ge-höre alles, sie habe überall die Mehrheit und könne allesdurchsetzen, was sie wolle. Das klappt aber nicht. Dasmerken Sie z. B. daran, dass großes Missvergnügen sogarbei Personen herrscht, die zwar nicht Ihrer Fraktion ange-hören, aber inhaltlich an vielen Punkten mit Ihnen einigsind. Ich führe mir beispielhaft die Thematik Schulgesetzvor Augen, wo innerhalb weniger Stunden 20 oder mehrSeiten durchgearbeitet werden mussten. Dann wird selbstder wohlmeinendste Begleiter Ihrer Politik nicht mehrmitmachen – einfach deshalb, weil er merkt, dass sein Mit-machen nicht erwünscht ist.

(Beifall bei der FDP)

Das sollte sich nach unserer Auffassung bei Ihnen bitteändern. Bezüglich der politischen Fragen möchte ichgerne das Bild aufnehmen, das Roland Koch selbst immergern benutzt oder von Dirk Metz benutzen lässt, nämlichdas Bild von den Baustellen. Es ist zutreffend: Im Jahr1999 ist eine Vielzahl von Baustellen neu angelegt wor-den. Ich habe das Gefühl, dass bei vielen Baustellen –nachdem die FDP nicht mehr mit in der Bauleitung ist –die Organisation nicht mehr klappt, dass die Baustellen-logistik nicht mehr klappt, dass darüber hinaus eine Reihevon Baustellen angelegt worden ist, wo immer nur derChef spricht, die Facharbeiter sich aber nicht richtig küm-mern.

Um es anders zu formulieren: Es gibt eine Reihe von Auf-gaben, die ausschließlich Chefsache sind. Der Chef turntaber auf so vielen Baustellen herum, dass wenigstens dieFacharbeiter auf den Baustellen weiterarbeiten sollten.Hier stimmt es also bei der Abstimmung im Baukonzern„CDU-Hessen führt dieses Land AG“ nicht. Deshalbkann ich eigentlich nur empfehlen, dass die Ressortzu-ständigkeiten wieder mehr Einfluss gewinnen, wie es sichgehört, dass z. B. der Wissenschaftsminister wieder dafürzuständig ist, in welcher Form die Kliniken organisiertwerden. Ich will keine weiteren Beispiele nennen, weil ichnicht möchte, dass die Missstimmung rechts von mir unddas Grimmen und Grollen immer größer werden. Ichglaube aber, jeder Betrachter der Politik in Hessen weiß,was ich meine, jeder hier im Raume weiß, was ich meine.Wir haben Fachminister. Die müssen die Facharbeit leis-ten. Das muss der Ministerpräsident nicht alles selbst ma-chen.

(Beifall bei der FDP)

Das ist die eine Seite der Halbzeitbilanz. Sie wird auf deranderen Seite leider von einer Diskussion in diesemHause begleitet, an der wir uns von Anfang an nicht be-teiligt haben, die aber in ritualisierter Form immer wiedergeführt wird. Die Mehrheitsfraktion – das ist auch geradejetzt wieder der Fall – legt einen Jubelantrag vor, und dieFundamentalopposition von Roten und GRÜNEN setztentgegengesetzte Schaufensteranträge auf die Tagesord-nung. Das ist zwar hier nicht der Fall, das war aber bei deneben geführten Debatten so.

(Beifall bei der FDP)

Warum kann man dieses Ritual, das in diesem Hause seitJahrzehnten gepflegt wird – ich gebe zu, Jörg-Uwe Hahnist nicht ganz unbeteiligt daran gewesen, dass das eineZeit lang sehr aktuell und sehr engagiert gemacht wordenist –, nicht beenden? Was soll das eigentlich bringen? DieMenschen erwarten von uns nicht, dass wir uns gegensei-tig erklären, was wir von dem jeweils anderen halten, son-dern die Menschen erwarten von uns, dass wir konkreteVorschläge erarbeiten.Wenn die Menschen sogar meinen,dass große Koalitionen das am besten können, so wissenwir Insider, dass die Menschen an diesem Punkte irren.Auf alle Fälle zeigt es aber sehr deutlich, dass sie eine be-stimmte Erwartungshaltung an die Politik haben. Deshalbfrage ich: Warum muss es eigentlich immer Schaufenster-anträge zum Jubeln oder des Inhalts geben, dass die Lan-desregierung von vorne bis hinten schlecht arbeite? Wirhatten das gestern z. B. beim Thema Justizvollzug. Es istwirklich nicht richtig, was die Fundamentalopposition vonSozialdemokraten und GRÜNEN dem Justizminister ansRevers zu heften versucht hat.

(Beifall bei der FDP)

Ich rufe deshalb unter Hinweis auf der Frage der Trom-meln, die Roland Koch bei seiner Vereidigung im Aprildes Jahres 2003 hier aufgegriffen hat, dazu auf, mit denTrommeln piano umzugehen. Das tun wir in der letztenZeit ein bisschen besser als früher. Ich rufe aber auch dazuauf, die Rituale zu beenden, sodass wir endlich das tunkönnen, was die Menschen von uns erwarten, nämlich Po-litik für dieses Land zu gestalten.

Ich finde es einfach Klasse, wenn, wie eben geschehen, derKollege Rudolph zu mir und zu Herrn Dr. Jung kommtund fragt: Können wir die Frage der Wahlkreiseinteilungnicht endlich gemeinsam lösen? Muss es denn sein, dasswir weiterhin konfliktorisch gegeneinander anrennen? –Viele, die sich mit dem Thema beschäftigen, wissen, es gibtnur noch ein einziges Problem, nämlich die Aufteilung derGemeinden des Kreises Gießen in zwei Wahlkreise. Ichfinde, so sollte unsere Arbeit vonstatten gehen.

(Zurufe von der SPD)

– Ich weiß, dass die Damen und Herren aus der Landes-hauptstadt ein weiteres Problem haben. Nehmen Sie aberbitte zur Kenntnis, dass Sie an der Stelle relativ alleine ge-lassen werden, weil das die anderen ein bisschen anderssehen. Ich glaube, das ist in den Fraktionen schon disku-tiert worden.

(Florian Rentsch (FDP): Nicht dieses Fass aufma-chen! – Heiterkeit)

– Ich weiß doch, Kollege Pighetti, Kollege Rentsch, dassman euch motivieren kann. Ich habe doch darauf gewar-tet, dass dieser Zwischenruf kommt.

(Heiterkeit)

Ich will damit nur Folgendes deutlich machen. Beendenwir diese ritualisierten Diskussionen, versuchen wir, dieProbleme gemeinsam zu lösen. Das schaffen wir auch.Wirsind dazu Manns und „Fraus“ genug. Dazu brauchen wirwirklich nicht diese Art der ritualisierten Auseinanderset-zung.

Wir haben in sechs Punkten das zusammengefasst, waswir für die Zukunft unser Land als wichtig erachten. Ichwill mich jetzt nicht mit Vergangenheitsbewältigung be-schäftigen, weil das die ritualisierte Auseinandersetzungnur noch toppen würde. Ich will Ihnen vielmehr sagen, wirLiberale meinen, dass eine strukturelle Haushaltskonsoli-

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dierung – die Betonung liegt ganz bewusst auf „struktu-relle“ – vorgenommen werden muss, dass wir entschiedenmehr für den Bildungsstandort Hessen leisten müssen,dass wir eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung undeine zukunftsfähige Sozialpolitik organisieren müssen,dass wir die Mobilität ausbauen müssen und dass wir dendemographischen Wandel beachten müssen. Ich gebe zu,das zuletzt genannte Thema ist noch nicht in unser allerKöpfen verankert; es war Ruth Wagner vorbehalten, unsin der Fraktion daran zu erinnern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese sechszentralen Punkte müssen in den kommenden zweieinhalbJahren von der Landesregierung, aber auch von uns ernst-haft besetzt werden. Eines dürfen wir alle – damit meineich auch die CDU-Fraktion – dem Finanzminister unddem Ministerpräsidenten aber nicht mehr durchgehenlassen: den in meinen Augen relativ unsympathischen Ver-gleich der Zahlungen in den Länderfinanzausgleich einer-seits und der Einnahmen z. B. des Landes Rheinland-Pfalzandererseits. Ich glaube, es klingt auf der anderen Seitedes Rheines relativ arrogant, wenn wir so tun, als obRheinland-Pfalz unser Kostgänger wäre. Wie sollte manes denn sonst formulieren? Gerade der Ministerpräsident,gerade der Finanzminister – ich weiß, wovon ich spreche –sind dafür verantwortlich, dass es den Länderfinanzaus-gleich in der jetzigen Form gibt, denn der Ministerpräsi-dent hat ihn verhandelt.

(Beifall bei der FDP)

Er hat ihn – auch für die Koalition aus CDU und FDP –führend verhandelt. Lieber Herr Ministerpräsident, HerrKollege Koch, eines darf aber doch nicht wahr sein: Siekönnen doch nicht auf der einen Seite etwas verhandelnund als gut bezeichnen, und auf der anderen Seite jetzt sotun, als sei das alles Mist. Entweder gibt es einen Finanz-ausgleich, der die Unterschrift von Roland Koch trägt –ich gebe zu, die Unterschrift ist auch für die hessischeFDP abgegeben worden –, oder es gibt ihn nicht. Wenn esihn gibt, dann hören Sie doch bitte mit dem Nölen überden Länderfinanzausgleich auf. Man glaubt fast, dass Siesagen wollen, Sie haben schlecht verhandelt, Sie haben dieInteressen des Landes Hessen nicht wirklich berücksich-tigt. Ich sage das nicht. Es gibt eine Solidarität zwischenden Bundesländern, die in den bestehenden Verfahrennur so gelöst werden kann. Wir alle wissen aber, dass imRahmen einer Föderalismusreform auch die Frage der Fi-nanzströme noch einmal neu diskutiert werden muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine strukturelle Haus-haltskonsolidierung fängt im Kopf an. Ich sage das sehrbewusst. Solange man nicht bereit ist, zu akzeptieren, dassman nur so viel Geld ausgeben kann, wie man einnimmt,hat man nicht nur ein Ausgabenproblem und ein Einnah-menproblem, sondern auch ein mentales Problem. Manbekommt die Schere im Kopf nicht zusammen. Meinesehr verehrten Damen und Herren, der Finanzministerhat diese mentale Haltung anscheinend noch nicht. Er er-zählt uns jedes Mal von neuem, er habe ein Einnahmen-problem, und weil er das nicht lösen könne, müsse er dieAusgaben über Schulden finanzieren. Ich wette einen ho-hen Einsatz, das werden wir am Ende der Woche in der-selben Diktion wieder hören.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Dagegen wettet keiner!)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Herr Hahn, Sie müssen zum Schluss kommen.

Jörg-Uwe Hahn (FDP):

Herr Präsident, ich habe die Glocke gehört. – Deshalb ge-hört es zu einer strukturellen Haushaltskonsolidierung,kurzfristig ein ordentliches Beteiligungsmanagement ein-zuführen, die Vermögenswerte, die dieses Land hat, zu er-mitteln und eine vernünftige Veräußerung durchzufüh-ren. Ich wiederhole, was Kollege von Hunnius das letzteMal hier gesagt hat: Geben Sie uns für vier Wochen Pro-kura.Wir werden einen hervorragenden Preis für die Nas-sauische Heimstätte erzielen, sodass Sie mindestens1 Milliarde c mehr an Einnahmen für den Haushalt desLandes Hessen noch in diesem Jahre generieren können.

Wir appellieren an Sie, die Haushaltspolitik zu konsoli-dieren. Das ist der Grundstein dafür, die anderen Aufga-ben, die wir in unserem Antrag aufgeführt haben, eben-falls zu erfüllen.

(Beifall bei der FDP)

Vizepräsident Lothar Quanz:

Vielen Dank, Herr Hahn. – Herr Ministerpräsident Koch,Sie haben sich zu Wort gemeldet.

Roland Koch, Ministerpräsident:

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Wir werden in etwa sechs Wochen mit etwa vierfa-cher Redezeit – jeder der Beteiligten, inklusive mir – Ge-legenheit haben, wieder über diese Fragen zu diskutieren.

Daher ist es so, dass es in einer solchen Debatte, die wirfrüher, entsprechend unserer Tradition, nach zwei Jahrenführten, jetzt aber logischerweise – dankenswerterweiseauf Antrag der CDU-Fraktion – nach zweieinhalb Jahrenansetzen und die wir auch bei den Haushaltsberatungenin wenigen Wochen wieder erleben werden, keine völligneuen Argumente geben wird. Es ist auch klar, dass dieInteressenlagen immer unterschiedlich sind.

Die Fraktionsvorsitzenden der SPD und der GRÜNENwollen gerne wieder an die Regierung kommen – die ei-nen ganz nach vorne, während die anderen wenigstensdaran beteiligt sein möchten. Möglicherweise wollen sieein Team bilden, wobei die SPD nicht genau weiß, ob sielieber mit den GRÜNEN oder doch mit jemand anderszusammengehen möchte. Die GRÜNEN wissen auchnicht mehr so genau, ob sie lieber mit der SPD oder mitwem auch immer zusammenarbeiten möchten.

(Jürgen Walter (SPD): Freie Partnerwahl!)

– Herr Kollege Walter, Sie haben eben zwei offene Flan-ken: Frau Ypsilanti und die GRÜNEN.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Allerdings wird es sich auch immer wiederholen, dass dieKolleginnen und Kollegen von der FDP dem Wähler er-klären, es sei besser, wenn sie beim nächsten Mal wiederdabei sind – wohl wissend, dass wir über vieles reden, waswir gemeinsam durchgeführt haben, indem wir das been-det haben, was unter Rot-Grün begonnen worden ist. DieFDP hätte selbstverständlich ein Interesse daran gehabt –ich verhehle nicht: die CDU auch –, die Zusammenarbeitder ersten vier Jahre fortzusetzen. Jetzt ist die FDP natür-lich daran interessiert, dem Wähler zu erklären, dass siebeim nächsten Mal dabei sein sollte.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist ja auch besser!)

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Was kann einen daran überraschen? Deshalb sind wirauch nicht überrascht. Ich verweise auf die Rede, die HerrDr. Jung hier gehalten hat. Damit es hier keine Missver-ständnisse gibt: Ich teile übrigens die Auffassung, dass erim Verteidigen prima ist.

(Heiterkeit bei der CDU)

Aber ich habe für die Regierung zu erklären – was Sienicht verwundern wird, weil wir, da wir mit absoluterMehrheit regieren, nicht andere dafür verantwortlich ma-chen können, wie wir regieren –, dass wir mit dem, was wirdie letzten zweieinhalb Jahre gemacht haben, zufriedensind. Ich gehe sogar ein Stück weiter, zu sagen: Wir sindein bisschen stolz auf das, was wir als Landesregierung inden letzten zwei Jahren geleistet haben. Auch das kannniemand bestreiten.

(Beifall bei der CDU)

Nun gibt es die nächste Diskussion über die Frage: Wiesokönnt ihr darauf stolz sein? Es gibt doch auch Probleme.– Nun kenne ich niemanden – jedenfalls solange ich michpolitisch engagiere –, der die Regierungsverantwortungträgt und in der Lage ist, von einer problemlos verlaufen-den Regierungstätigkeit zu berichten. Wahrscheinlich hates das auch zu anderen Zeiten nicht gegeben.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): In Berlin wird das jetztnoch schlimmer werden!)

– In Berlin werden wir jetzt darüber diskutieren, wer beiwem und warum aufräumt.Wenn diejenigen, die mit dafürverantwortlich waren, meinen, es müsse nicht aufgeräumtwerden, wird die Diskussion natürlich noch schwieriger.Das macht die Schwierigkeit einer Koalition aus.

Hier ist alles einfacher. Es ist einfacher, weil sich dieDenkrichtung, die Prinzipien und die Arbeitsweise, wasdie grundlegenden Fragen betrifft, in den letzten sechs-einhalb Jahren nicht geändert haben. Herr Kollege Hahnhat, unabhängig davon, ob er mit dem Baustellenmanage-ment zufrieden ist oder nicht, den Flächennutzungsplanmit beschlossen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Jörg-UweHahn (FDP))

Wenn man sich an dieser Stelle um Koordination bemüht,steht man auch nicht auf so unterschiedlichen Standpunk-ten.

Da ich nun schon einmal über Baustellen spreche, will ichdarauf hinweisen, dass wir, wenn wir in diesem Land überaktuelle Daten im Wettbewerb reden, nach wie vor auchdarüber sprechen müssen, dass wir Rückstände haben.

Deswegen sage ich Ihnen, meine Damen und Herren vonder SPD und von den GRÜNEN, die Sie von 1991 bis 1999die Verantwortung getragen haben, dass ein paar FragenSie weiter begleiten werden. Es gab wahrlich keinen sach-lichen Grund, die Debatte über die Erweiterung desFrankfurter Flughafens erst aufgrund eines Gesprächs,das eines Abends mit Herrn Weber in der Binding-Braue-rei stattfand, beginnen zu lassen, nachdem Sie als Regie-rungsfraktionen vorher ideologisierteste Koalitionsver-träge geschlossen hatten, in denen es um die Bedeutungeines zufällig in den Wald gepflanzten Zaunes ging. Daswar das Ergebnis von Politik.

(Beifall bei der CDU)

Die Tatsache, dass Sie in den Koalitionsverhandlungen soinbrünstig um jenen Zaun gestritten haben, zeigt, dass Siein diesen Jahren schon darüber nachgedacht haben und

dass Ihnen bewusst war, dass eigentlich eine andere Ent-scheidung auf der Tagesordnung stand.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben eine Entscheidung getroffen, indem Sie nichtentschieden haben. Deshalb sage ich Ihnen ganz klar:Wasdie Länge der Verfahrensdauer betrifft, so stimmen wirdurchaus mit Ihnen überein. Möglicherweise haben CDUund SPD in Zukunft die Möglichkeit, eine ganze Reihedieser Zeiten zu verringern. Herr Kollege Posch und an-dere haben in der letzten Zeit mit Mitgliedern unsererRegierung diskutiert. In den nächsten Tagen werden siedarüber sprechen. Wir haben eine ganze Menge Ideen,wie man die Zeitspannen wesentlich verringern kann.

Egal um wie viele Jahre es geht: Hätten Sie in den Jahren1992, 1993, 1994 oder 1995 – es ist mir ganz egal, wann –damit begonnen, diese Diskussion zu führen, die Sie erstEnde 1998 angeregt haben, nachdem Herr Weber Sie dazugedrängt hatte, wären wir heute unstreitig bei der Einwei-hung der Landebahn und nicht erst beim Planfeststel-lungsverfahren angelangt.

(Beifall bei der CDU)

Ich schätze auch sehr, dass Herr Kollege Eichel die A 44kurz vor der Einweihung mit dem Fahrrad befahren hat.Aber dabei darf nicht verkannt werden, was passiert wäre,wenn wir in den Jahren 1989 und 1990, als die Verkehrs-projekte deutsche Einheit aufgelegt worden sind, mit derPlanung begonnen hätten. Es gab nur neun Projekte inDeutschland. Sieben davon sind sofort in Planung gegan-gen. Das achte Projekt – in Schleswig-Holstein – ist mitVerzögerung in Planung gegangen, und unseres kam zual-lerletzt.

Wäre Herr Kollege Dieter Posch nicht 1999 zum Bund ge-gangen und hätte gesagt: „Bitte, bitte, gebt uns nachträg-lich das Recht, diesen Schwachsinn zu beenden, dass wirnach einem langsameren Planungsverfahren planen müs-sen, als es bei allen anderen Verkehrsprojekten deutscheEinheit der Fall ist“, wären wir heute nicht einmal dabei,den ersten Abschnitt fertig zu stellen.

(Beifall bei der CDU)

Aber wir könnten mehr haben. Für den hohen Wohlstanddes Landes Hessen bleibt die Frage der Verkehrsinfra-struktur existenziell. Was die Verkehrsinfrastruktur be-trifft, so sind wir dabei, eine Aufholjagd zu betreiben unddas wettzumachen, was Sie während eines Dreiviertel-jahrzehnts aus politischen Gründen nicht wollten. Es han-delt sich um nichts, was Sie nicht gekonnt oder gewussthätten. Vielmehr haben Sie aus politischen Gründen ent-schieden, in Hessen das zu verhindern, was in anderenLändern der Bundesrepublik Deutschland möglich war.

Deshalb sage ich Ihnen auch:Verschonen Sie uns mit Dis-kussionen über den Wettbewerb. Ich werde Ihnen gleichsagen, auf welchen Plätzen wir jeweils stehen. Wir habenkein Problem damit, darüber zu diskutieren.Aber dass Siesich hierhin stellen und darüber sprechen, auf welchemPlatz Hessen steht, obwohl Sie ein Dreivierteljahrzehntdamit verbracht haben, die Wettbewerbsbedingungenschlechter zu machen, als sie hätten sein können, delegiti-miert Sie für eine ganz schön lange Zeit, hier eine solcheDiskussion mit uns zu führen.

(Beifall bei der CDU)

Auch was Bildung und Wissenschaft betrifft, hat ein Landviel zu fordern. Das bezieht sich auch auf den gemeinsa-men Flächennutzungsplan. Gehen Sie mit offenen Augen

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durch das Land, bevor Sie über andere Sachen diskutie-ren. Vielleicht gibt es auch gar nicht immer Gründe, darü-ber zu streiten. Die Sozialdemokraten und die GRÜNENhaben mit dem Kauf des I.G.-Farben-Hochhauses denGrundstein für den Campus Frankfurt gelegt. Wir habendann die ersten Planungen gemacht. Die Kollegen Wei-mar und Corts planen jetzt die wirtschaftliche Verwertungder alten Gelände und zugleich den Bau der neuen Ge-bäude. Wir werden allein an dieser Stelle sehr schnell1 Milliarde c verbauen.

Wir sind dabei, mehr Geld – absolut, in Prozenten, oderwie auch immer Sie rechnen – für einen Universitäts-standort aufzuwenden, als es irgendjemand anders in die-ser Republik macht. Das bezieht sich auf die Physik unddas Innovationszentrum Biotechnologie, das inzwischenläuft und über seinen zweiten Bauabschnitt nachdenkt.Auf dem Gelände der Universitätsklinik in Frankfurt be-findet sich die größte Baustelle, die wir in der Bundesre-publik im Universitätsbau zurzeit haben. Das ist die Poli-tik, die wir heute machen.

(Beifall bei der CDU)

Reisen Sie jetzt einmal durch Europa, und reden Sie überAutonomie. Versuchen Sie, jemanden zu finden, für dendas, was in der Technischen Universität Darmstadt alsModellprojekt aufgelegt worden ist, inzwischen als dasKriterium dafür gilt, ob es der deutschen Universitätspo-litik der Zukunft gelingt, für mehr Autonomie zu sorgen.Das reicht von dem, was wir begonnen haben, damit dieTU Darmstadt zur Modelluniversität wird, bis zu dem,was diese Landesregierung jetzt unternimmt: keinzwangsweiser Beamtenstatus für Professoren mehr, dieMöglichkeit für die Universität, Unternehmen zu grün-den, keine Beteiligung mehr an der Berufung, eigene Bau-und Personalhoheit. Das findet in Darmstadt – in Hessen– statt; es ist von uns geschaffen.

(Beifall bei der CDU)

Nehmen Sie die Diskussion zur Kenntnis, die in diesenTagen geführt wird. Es kann durchaus politischen Streitgeben. Das ist in Ordnung; Streit gehört zu unserem Ge-schäft. Aber bei dem, worüber wir im Augenblick in denUniversitätskliniken diskutieren und was in Marburg undGießen passiert, handelt es sich um das entscheidendeModell, wenn es um die Frage geht: Können wir in einerZeit, in der Universitätskliniken sterben, weil wir uns lei-der Gottes in der Situation befinden, dass wir all das nichthalten können, einen Standort, der schwerpunktmäßigvon der Medizin abhängig ist, durch privatwirtschaftlicheEinflüsse retten, statt ihn zu schwächen? Kann man esschaffen – diese Debatte führen wir im Landtag –, privat-wirtschaftliche Interessen, die Sicherung der Qualität unddie Freiheit von Forschung und Lehre zusammenzube-kommen? Alle wissen, dass, was Universität und Medizinangeht, die Krankenhäuser nicht auf die Dauer staatlichbleiben können. Das wissen auch alle Sozialdemokraten.In allen sozialdemokratisch regierten Ländern wird darü-ber diskutiert.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Da hab ich meine Pro-bleme!)

– Einzelfälle ausgeschlossen. – Das weiß jeder. Diese Dis-kussion findet in Hessen statt. Wir werden die Vorreiterdabei sein. Wir hätten uns auch bequem zurücklehnenund sagen können: Das soll jemand anders ausprobieren.

Ob Sie nach Darmstadt, nach Marburg/Gießen oder nachFrankfurt gehen: Wir wissen, dass, neben der Infrastruk-

tur, die zweite Herausforderung für dieses Land und seineGestaltung Wissen, Wissensentwicklung und Wissens-transfer sind. Wir befinden uns in der Situation, dass derRest der Bundesrepublik Deutschland auf unser Landschaut, nicht umgekehrt. Das ist einer der Gründe, warumwir sagen:Wir sind stolz auf unsere Arbeit und auf die Po-litik, die wir machen.

(Beifall bei der CDU)

Es war lieb, dass der Kollege Al-Wazir hier vorne dieCharts gezeigt hat. Ich behaupte – es hat nie jemand be-stritten –, dass es meine Erfindung ist, vom Rednerpultdes Hessischen Landtags aus Charts zu zeigen. Das ist alsodurchaus nichts, was ich kritisiere. Ich bin deshalb auchmit der Technik vertraut, wie man, wenn man die Zahl von50.000 Lehrern darstellen will, es so einrichten kann – z. B.indem die letzten 200 mithilfe von Balken gekennzeichnetwerden –, dass der Eindruck entsteht, die Hälfte der Leh-rer sei weggefallen.

(Heiterkeit bei der CDU)

All das ist okay.Wir empfehlen Ihnen, beim nächsten Maldie Seitenstriche etwas dicker zu machen; denn nicht ein-mal der Kollege Hoff – der ist in dem Alter, in dem maneine Brille braucht, und er hat sogar eine – konnte sie er-kennen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Der ist jünger als ihr!)

Herr Al-Wazir, das zeigt relativ schnell – im Vergleich zuder Frage, die ich zu beschreiben versucht habe –, überwelche Chaosreden wir diskutieren.

Natürlich, wir haben Stellen abgebaut. Ja. Aber gleichzei-tig haben wir Lehrerstunden aufgebaut. Das hat unsereMitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht erfreut. Ichkönnte jetzt rübergehen und Ihnen meine Charts zeigen:Jedes Jahr, in dem wir regieren, gibt es mehr Unterrichts-stunden als im Vorjahr. Das ist gut.

(Beifall bei der CDU)

Ich nehme ausdrücklich in Anspruch, die beiden Dinge zutrennen. Denn Sie haben die Haushaltszahlen angespro-chen. Auch dazu werde ich gleich einen Satz sagen. Manmuss diese beiden Dinge auseinander halten.

Mir ist wichtig, den Haushalt nicht aus den Augen zu ver-lieren, aber wir müssen trotzdem mehr Unterrichtsstun-den haben. Das ist extrem schwierig.

Ich sage jetzt, jenseits der Fronten, den Kolleginnen undKollegen der Opposition sehr offen: Angesichts der licht-vollen Äußerungen des Bundes der Steuerzahler müssenwir, finde ich,

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

in der Kommunikation mit den Bürgern ein paar Dingeerörtern.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Sehr richtig!)

Wer mir sagt, ich solle 10 % Personal über alles streichen,den muss ich fragen: Wir haben 150.000 Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter im Land; davon sind rund 50.000, in Voll-zeitstellen gerechnet, Lehrer. Soll ich davon 10 % strei-chen?

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das ist es näm-lich!)

Davon sind alles in allem etwa 20.000 Polizei und Umfeld.Soll ich davon 10 % streichen?

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5554 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Dann sind 15.000 Personen aus den Hochschulen dabei.Sollen wir davon 10 % streichen?

Dann kommen die Leute aus dem Justizvollzug; und dannbleiben 30.000, vielleicht 35.000, je nachdem, wie man esrechnet, übrig. Von denen streichen wir keine 10 %, vondenen streichen wir mehr. – Die Regierungspräsidentenhaben mich immer gefragt: Warum wir? Ich habe ihnengeantwortet: Weil sie sich so gut eignen. – Dort nehmenwir 25 % des Personals in drei Jahren heraus. In der hessi-schen Forstverwaltung reduzieren wir das gesamte Perso-nal um wahrscheinlich mehr als 35 %. Das heißt, dort, woes machbar und notwendig ist, reden wir über sehr vielPersonal. Sie haben lange genug darüber geschimpft.

Wenn wir zu der Frage kommen, die mit finanzieller Ent-wicklung zu tun hat, sage ich sehr klar: Ich bin auch unterden jetzigen Bedingungen, in dieser schwierigen Über-gangszeit in Wirtschaft und Entwicklung, nicht bereit, einePolitik zu verantworten, in der wir bei Wissenschaft undAusbildung unserer Kinder und der jüngsten Generationsparen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, damuss das Notwendige investiert werden.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Hahn, nur in diesem Zusammenhang ist ausmeiner Sicht das Argument des Länderfinanzausgleichsvon einer gewissen Relevanz. Denn wir müssen aufpas-sen, dass sich hier die Enden nicht falsch begegnen. Ichrespektiere, dass die Opposition – die andere, sozusagendie Opposition jenseits des Ganges – sagt:

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Die ohne den Flächennut-zungsplan!)

Wir gehen zum Staatsgerichtshof, denn ihr haltet die Re-gelgrenze der Verfassung bei der Verschuldung nicht ein.– Ob das aussichtsreich ist oder nicht, mag der Staatsge-richtshof entscheiden. Aber das ist eine Diskussion, diedoch geführt werden kann. Denn die Regelgrenze haltenwir nicht ein. Wir glauben, das ist begründbar und richtig,aber wir tun es.

Unterstellen wir einmal für den Augenblick, der Staatsge-richtshof würde sagen: Richtig. Unterstellen wir weiter fürden Augenblick – der Satz ist eigentlich richtig –, in denBereichen, die nicht Bildung und Sicherheit sind, strei-chen wir in einer solchen Größenordnung, dass wir garkeine Neuen mehr einstellen, also eigentlich nichts mach-bar ist. Und stellen wir uns als Drittes nur einmal vor:Wirfahren diese Mittel zurück, und in einem Nachbarland – –Ich mag denen nichts Böses. Die rheinland-pfälzischeEntwicklung bezahlen wir übrigens ein Stück mit, aus gu-ten eigenen Interessen. Bei dem Teil des Wirtschafts-wachstums, der dort gerade entsteht, können Sie ziemlichgenau – in Tausenderzahlen – ein Projekt angeben, das inGesellschafterbeteiligung des Landes Hessen gemachtwird,

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

weil wir Gott sei Dank die Region in Rheinland-Pfalz mitdem Flughafen Hahn in eine unglaublich gute Positionbringen.

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Aber das ist in unserem Interesse, das ist nicht gegen uns.Das ist nichts, wofür ich etwas haben will, aber daraus ent-steht natürlich eine statistische Entwicklung.

Es geht aber nicht, dass wir am Ende dort den Finanzaus-gleich bezahlen – das können wir nicht ändern –, damit

eine Verschuldung erreichen – denn ohne Finanzausgleichhaben wir gar keine Verschuldung – und anschließend dieLehrerstellen kürzen, die mithilfe unseres Finanzaus-gleichs in Rheinland-Pfalz geschaffen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das theoretische Modell müssen wir miteinander bere-den. Das hat nichts damit zu tun, dass ich nach wie vor derAuffassung bin, dass Länderfinanzausgleichssysteme rich-tig sind. Aber an dieser Stelle geraten wir in eine Schwie-rigkeit, die ich so entschieden habe und so vertrete, dassich sage: Ich glaube, in Anerkennung eines Finanzaus-gleichssystems, das ich nicht jedes Jahr zur Dispositionstellen kann – –

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrageder Kollegin Ruth Wagner?

Roland Koch, Ministerpräsident:

Gleich. – Die Situation ist doch die: Wenn ich sage, dieVerschuldung ist nicht legitim, dann muss ich automatischan die Anzahl der Lehrer gehen. In diesem Kreislauf gibtes nicht endlos offene Türen.

Das ist der spannende Punkt dieser Diskussion. Dies istein wichtiger Punkt in einer Verfassungsdiskussion und inder politischen Debatte über Verschuldung und ihreRechtfertigung sowie den Wunsch, diese abzubauen.

Deshalb sage ich an dieser Stelle: Ich vertrete den Haus-halt, den wir Ihnen hier vorgelegt haben, auch mit diesenSchwierigkeiten – in der Abwägung der verschiedenenDinge zwischen Solidarität unter den Ländern und dem,was für die nächste Generation notwendig ist.

Dann füge ich hinzu: Natürlich ist ein Land, das relativ„reich“ ist – obwohl es in den Siebziger- und Achtziger-jahren sehr viele Schulden gemacht hat, insgesamt abersehr reich ist –, verpflichtet, sich im Verhältnis zu den an-deren Ländern nicht zu verschlechtern. Diesen Maßstablegen Sie bitte an. Wir sind immer das dritt- oder viert-beste Land – ob es die Verschuldung pro Kopf, die Ge-samtverschuldung oder den Verschuldungsanstieg proLand betrifft; wir gehören immer zu den Ländern wieBayern, Baden-Württemberg und manchmal Sachsen, zudiesem Dreieck. Im Augenblick nähern wir uns den Ba-den-Württembergern an, weil es denen bedauerlicher-weise schlechter geht als uns, was deren augenblicklichePro-Kopf-Verschuldung und deren Entwicklung angeht.

Das ist die Situation Hessens. Auf der einen Seite mussHessen die Herausforderung schultern, jungen MenschenAusbildung und Menschen im Land Sicherheit zu geben,Verkehrsinfrastruktur zu schaffen; auf der anderen Seitedarf es nicht stärker in eine Verschuldung hineingeraten,als es andere tun. Hessen kann aber nicht den Ansprucherheben, auf einer Insel zu leben.

Wenn Sie sehen, dass Nordrhein-Westfalen in einemNachtragshaushalt einfach 2,1 Milliarden cNettoneuver-schuldung in einem Jahr zusätzlich macht und deren Neu-verschuldung damit jetzt bei insgesamt 7,6 Milliarden cliegt, dass ein Land wie Schleswig-Holstein bei der Regie-rungsübernahme nach Rot-Grün – verehrte Damen undHerren von der Opposition diesseits des Ganges – einegenauso hohe Verschuldung wie wir hat, bei nicht einmaleinem Drittel unseres Haushaltes, wenn Sie die Situation

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5555

sehen, die Christian Wulff in Niedersachsen übernommenhat, und sich dann ansehen, wie wir in Hessen in den letz-ten Jahren unter der Federführung von Karlheinz Weimarim Haushalt gearbeitet haben, dann sage ich Ihnen: DieLage dieses Haushaltes ist schwierig, aber trotzdem sindwir stolz darauf, es mit diesen Mitteln so beherrschbar ge-macht zu haben, wie wir es getan haben. Wir haben nichtdie Absicht, uns dafür zu entschuldigen.

(Beifall bei der CDU)

Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP):

Das passt jetzt sehr gut. Herr Ministerpräsident, erinnernSie sich an eine öffentliche Sitzung des DeutschenBundesrates, in der wir über genau diese Frage des Län-derfinanzausgleichs bis 2019 geredet haben und das an-ders als viele Länder gehandhabt haben? Wir beide habenunsere unterschiedlichen Positionen vorgetragen, nämlichdass z. B. ich glaube, dass der Kompromiss nicht bis 2019hält, wegen der Argumente, die Sie eben alle vorgetragenhaben; daraufhin haben Herr Eichel, Herr Clement fürNordrhein-Westfalen und Herr Stoiber für Bayern gesagt:Da ist eine einzige FDP-Ministerin, die gegen diesen wun-derbaren gemeinsamen Beschluss „anstinkt“.

Meine Damen und Herren, ich will nur fragen,

(Heiterkeit)

ob diese Argumente wirklich erst heute vorgetragen wer-den und nicht auch schon zu dem Zeitpunkt, als wir denKompromiss bis 2019 geschlossen haben.

Roland Koch, Ministerpräsident:

Werte Frau Kollegin, erstens beantworte ich Ihre Frage,ob ich mich daran erinnere, mit: Ja, das ist korrekt.

Zweitens. Die Hessen haben wie viele andere – insbeson-dere die zahlenden – Länder diesen Kompromiss nichtgerne geschlossen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ja, ja!)

Ich habe die Position vertreten, wenn drei Länder im Au-genblick den gesamten Finanzausgleich zahlen – na gut,nehmen wir den Stadtstaat Hamburg mit einem kleinenBetrag dazu, also vier Länder –, dann ist eine Zweidrit-telmehrheit zu deren Gunsten schwer zu erlangen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist nachvollziehbar!)

Karlheinz Weimar sagt uns – das werden wir in der Haus-haltsdebatte hören –, so zwischen 700 und 750 Millionencwerden wir in diesem Jahr weniger zahlen als vor demKompromiss. Das in einem sehr schlechten Jahr, denn jemehr die Wirtschaftsentwicklungen wieder ansteigen,desto günstiger ist der Vorteil, den das Land hat. Ich teiledas nach wie vor. Ich hätte mir auch Besseres gewünscht.

Ich finde es bedauerlich, in nächster Zukunft wahrschein-lich öfter in einer Situation zu sein, einen solchen Satz sa-gen zu müssen, als mir das möglicherweise lieb ist.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Genau! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das unterscheidet uns dann!)

– Ja, Opposition ist auch eine ganz bequeme Position.Herr Abgeordneter, das bestreite ich gar nicht.

(Widerspruch der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt)(FDP))

Aber die haben Sie sich ja herbeigesehnt.

(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU –Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie michzum Schluss Folgendes sagen. Dieses Bundesland ist inder Mitte einer Wahlperiode in der Wahrnehmung derer,die das beurteilen, in einer Situation, in der wir uns sehr,sehr viele Chancen erarbeitet haben und diese Chancenauch nutzen.Aber wir sind nicht frei von den Risiken die-ser Zeit. Wir sind ein Land mit viel Automobilindustrieund deshalb nicht frei von deren Risiken. Wir sind einLand mit viel Finanzindustrie und deshalb von denSchwierigkeiten, die wir dort haben, besonders gebeutelt.Das wollen wir nicht niederreden. Sie können sicher sein:Die Arbeitsmarktbilanz ist das, was ich mir jeden Monat,manchmal jede Woche, als Erstes anschaue. Fest stehtaber auch: Die ersten vier Plätze sind die Plätze, in denenwir uns bewegt haben und weiterhin bewegen.

Die Statistiken, die Sie genannt haben, zeigen, dass wiruns bedauerlicherweise bei der Jugendarbeitslosigkeit derunter 25-Jährigen – wenn ich das richtig sehe – um einenPlatz verbessert, nicht verschlechtert haben, obwohl dievon Ihnen genannten absoluten Zahlen richtig sind.

Das heißt, wir reden in der Bundesrepublik Deutschlandüber ein Problem. Deshalb wird der Streit über die Arbeitin den nächsten Monaten und Jahren äußerst wichtig sein– ob wir in Deutschland Veränderungen erreichen. MeinZiel ist es, dieses Land in einer Position zu haben, in derjede kleine Verbesserung in Deutschland einen größerendurchschnittlichen Effekt in unserem Land haben wird alsin anderen.

Das konnten Sie sehen, wenn Sie gestern die Statistik desStatistischen Bundesamtes über die Entwicklung der letz-ten Monate zum Auftragseingang der Unternehmen be-trachtet haben.Wenn er langsam anzieht – und er hat imletzten Monat angezogen –, sind das in Hessen 1 bis 2 %mehr Inlandsaufträge und 1 bis 2 % mehr Auslandsauf-träge als in den anderen Bundesländern. Das ist gut er-klärbar, und das ist unsere Chance. Daran müssen wir mit-wirken.

Deshalb habe ich jedenfalls persönlich ein großes Inte-resse daran, dass es zu einer Bundesregierung kommt, dieam Ende trotz aller schwierigen Bedingungen Erfolgehat. Wir werden bei den Voraussetzungen, die wir ge-schaffen haben, davon abhängen, dass wir in Deutschlandein vernünftiges Umfeld haben. Deshalb wird der Kreisderer, die dafür an anderer Stelle die Verantwortung tra-gen, möglicherweise mit dem ersten Redner dieser De-batte, unserem Fraktionsvorsitzenden Jung, zu tun haben.

Ich hoffe sehr, dass wir in der Umgebung in Deutschlandeine Politik machen können, die den erfolgreichen Weg imRahmen des damals beschlossenen Flächennutzungs-plans, aber mit einer ganzen Reihe von Einweihungen undÜbergaben in den nächsten zweieinhalb Jahren fortsetzt,weil die Projekte, die wir begonnen haben, fertig werdenund weil wir neue Projekte wie die UnterrichtsgarantiePlus im Schulbereich und vieles andere beginnen.

Wir sind auf einem guten Weg.Wir sind mitten auf diesemWeg. Es ist gut, wenn man das zwischendurch auch einmallobt. Aber vor allen Dingen ist eines wichtig. Am Endedieser Wahlperiode werden wir wieder vor die Wählerin-nen und Wähler treten und sagen: Das war unser Regie-rungsprogramm, und hier ist unsere Bilanz. Ihr könnt je-den Satz vergleichen und stellt fest: Wir halten die Zusa-gen ein, mit denen wir vor die Wählerinnen und Wähler

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getreten sind. Das ist mir sehr wichtig. – Vielen herzlichenDank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident.

(Anhaltender Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Es liegen keineweiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Endeder Aussprache.

(Weiterhin anhaltender Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Es liegen keineweiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Endeder Aussprache.

Ich habe gehört, dass man sich unter den Geschäftsfüh-rern darauf geeinigt hat, doch gleich über die Anträge ab-zustimmen. Ist das richtig?

Dann kommen wir zur Abstimmung, zunächst zu Tages-ordnungspunkt 43: Antrag der Fraktion der CDU betref-fend Modernisierung und Konsolidierung – Hessen aufeinem guten Weg in die Zukunft, Drucks. 16/4527. Wer istfür die Annahme dieses Antrags? – Gegenstimmen? – Da-mit ist der Antrag mit den Stimmen der CDU-Fraktiongegen die Stimmen der Opposition angenommen.

Wir kommen zu Punkt 37; das ist der Antrag der Fraktionder SPD betreffend Hessen steigt weiter ab, Drucks.16/4520. Wer ist für die Annahme dieses Antrags? –Gegenstimmen? – Der Antrag ist mit den Stimmen derCDU und der FDP gegen die Stimmen von SPD undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgelehnt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 65, Dringlicher An-trag der Fraktion der FDP betreffend zukunftsfähige Po-litik zum Wohle des Landes Hessen, Drucks. 16/4556. Werist für die Annahme dieses Antrags? – Gegenstimmen? –Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU, SPD undBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen derFDP abgelehnt.

Damit sind wir am Ende dieser Tagesordnungspunkte undkommen zu Tagesordnungspunkt 8:

Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPDfür ein zweites Gesetz zur Wiederherstellung der Chan-cengleichheit an Hessens Schulen – Drucks. 16/4528 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Zur Ein-bringung des Gesetzes hat das Wort die Frau Kollegin – –

(Wortmeldung des Abg. Reinhard Kahl (SPD) zurGeschäftsordnung)

Reinhard Kahl (SPD):

Frau Präsidentin, wir bitten, diesen Tagesordnungspunktauf morgen zu verschieben. Die Ministerin ist – das wurdeangekündigt – jetzt in Berlin, und es ist auch kein Staats-sekretär da. Wir halten es aber nicht für sinnvoll, jetzt dieDebatte ohne die Verantwortlichen in der Landesregie-rung zu führen.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Das ist vereinbart. Dann wird dieser Punkt von der Tages-ordnung abgesetzt.

(Nicola Beer (FDP): Verschoben! – Jörg-UweHahn (FDP): „Absetzen“ wäre richtig! – ReinhardKahl (SPD): Der Antrag lautete anders!)

– Dann wird dieser Punkt für heute von der Tagesordnungabgesetzt und auf morgen verschoben.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 9:

Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierungfür ein Gesetz zu dem Staatsvertrag der Länder Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz über die Zu-sammenarbeit bei der Raumordnung und Weiterentwick-lung im Rhein-Neckar-Gebiet – Drucks. 16/4503 zuDrucks. 16/4360 –

Zur Berichterstattung erteile ich Herrn Abg. Bender dasWort.

Bernhard Bender, Berichterstatter:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Haupt-ausschuss empfiehlt dem Plenum, den Gesetzentwurf an-zunehmen.

Der Gesetzentwurf war dem Hauptausschuss in der 78.Plenarsitzung am 22. September 2005 zur Vorbereitungder zweiten Lesung überwiesen worden. Der Hauptaus-schuss hat sich in seiner Sitzung am 28. September 2005mit dem Gesetzentwurf befasst und ist einstimmig zu sei-ner Beschlussempfehlung gekommen. – HerzlichenDank.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank. – Zu diesem Tagesordnungspunkt ist keineAussprache vorgesehen.

Deswegen kommen wir direkt zur Abstimmung. Wer fürdie Annahme des Gesetzentwurfs ist, den bitte ich um dasHandzeichen. – Dann brauche ich gar keine Gegenprobemehr zu machen. Das Gesetz ist einstimmig angenom-men. Ich bedanke mich.

Wir kommen jetzt vereinbarungsgemäß zu Tagesord-nungspunkt 10:

Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierungfür ein Gesetz zum öffentlichen Personennahverkehr inHessen (ÖPNVG) – Drucks. 16/4504 zu Drucks. 16/3880 –

Der Berichterstatter, Herr Abg. Denzin, ist nicht anwe-send. Wer übernimmt? – Herr Kollege Kaufmann über-nimmt.

Frank-Peter Kaufmann, Berichterstatter:

Der Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr empfiehlt demPlenum, den Gesetzentwurf in zweiter Lesung anzuneh-men.

Der Gesetzentwurf war dem Ausschuss für Wirtschaft undVerkehr in der 68. Plenarsitzung am 27. April 2005 über-wiesen worden. Der Änderungsantrag Drucks. 16/4478war dem Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr am 28.September 2005 vom Präsidenten überwiesen worden.

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5557

Der Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr hat zu dem Ge-setzentwurf und zu dem Antrag Drucks. 16/3753 am 30.Juni 2005 eine öffentlichen Anhörung betroffener Ver-bände und Organisationen durchgeführt. Der Ausschussfür Wirtschaft und Verkehr hat sich in seiner Sitzung am29. September 2005 mit dem Gesetzentwurf befasst undist mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stim-men von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dervon mir eingangs erwähnten Empfehlung gekommen. Zu-vor war der Änderungsantrag Drucks. 16/4478 mit denStimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung derSPD abgelehnt worden. – Vielen Dank.

(Allgemeiner Beifall)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Kollege Kaufmann. – Ich rufe verein-barungsgemäß mit dem Tagesordnungspunkt 10 den Ta-gesordnungspunkt 26:

Antrag der Fraktion der FDP betreffend Sicherung einermittelstandsfreundlichen ÖPNV-Politik – Drucks.16/4394 –

und den Tagesordnungspunkt 46 auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses fürWirtschaft und Verkehr zu dem Antrag der Fraktion derSPD betreffend Novellierung des Gesetzes zum öffent-lichen Personennahverkehr in Hessen (ÖPNV) – Druck-sache 16/3880 – Drucks. 16/4506 zu Drucks. 16/4484 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt 15 Minuten. Die FrauKollegin Pfaff hat das Wort für die SPD-Fraktion.

Hildegard Pfaff (SPD):

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Wir beraten heute in zweiter Lesung die Novelle desÖPNV-Gesetzes. Vorausgegangen ist dazu im Verkehrs-ausschuss eine breit angelegte Anhörung, in der gleichzei-tig die neu geordnete Wettbewerbs- und Ausschreibungs-praxis des Landes im ÖPNV gemäß Güttler-Erlass vomMärz 2004 mit behandelt und angehört wurde. Diese vonuns beantragte Erweiterung der Anhörung war überaussinnvoll, da nicht zuletzt die Ausschreibungspraxis in kau-salem Zusammenhang mit der Novelle steht und zudemfür die Weiterentwicklung des ÖPNV in Hessen von he-rausragender Bedeutung ist.

Nach einer sorgfältigen Auswertung der Anhörung siehtsich die SPD-Fraktion in ihrer kritischen Haltung bestä-tigt und bestärkt.

(Dr.Walter Lübcke (CDU): Dann waren Sie auf ei-ner falschen Veranstaltung!)

Novelle und Erlass haben in der Anhörung eine breiteKritik erfahren. Insbesondere die Kommunalen Spitzen-verbände, die Verkehrsunternehmen und deren Interes-sensverbände, Sachverständige und Gewerkschaften sindmit der Novelle an entscheidenden Stellen und in wichti-gen Punkten nicht einverstanden.

Sie selbst, Herr Minister Rhiel, haben im Ausschuss ein-geräumt, dass Sie von allen Seiten massiv Kritik erfahrenhaben. Davon abzuleiten, dass Sie auf dem richtigen Wegsind, halte ich für falsch.

(Beifall bei der SPD)

Einzig und allein die beiden großen Aufgabenträgerorga-nisationen, also die Verbünde, waren allem Anschein nachzufrieden und begrüßten die Novelle. Kein Wunder,meine sehr verehrten Damen und Herren, denn diesesGesetz ist ganz nach dem Munde der beiden Verbünde ge-staltet und stellt eine überaus einseitige Stärkung der Ver-bünde dar, während die lokalen Aufgabenträger, dieStädte und Gemeinden, die kommunalen Verkehrsbe-triebe und die Privaten einen drastischen Kompetenzver-lust erfahren.

Das zentrale Anliegen der Novelle, die strikte Trennungder Besteller- und Erstellerebene, wird von unserer Seitenicht infrage gestellt, wie wir überhaupt einen fairen unddiskriminierungsfreien Wettbewerb mit sozial- und ar-beitsrechtlichen Standards, also mit Marktspielregeln, vollund ganz unterstützen. Die konkrete Ausgestaltung diesesPrinzips in der vorgelegten Novelle führt jedoch nicht zueinem von mir definierten Wettbewerb und nicht zu einerkonstruktiven Partnerschaft der Besteller und Ersteller.Vielmehr werden die Verkehrsunternehmen zu reinenFahrdienstleistern degradiert, deren Know-how und Mit-wirkung bei der Erfüllung dieser Aufgabe wie bislangnicht mehr gefragt sind. Wir kommen jedenfalls auf derBasis der Anhörung und der dort vorgetragenen Stellung-nahmen weiterhin zu dem Ergebnis: Mit der Novelle wirddie Landesregierung ihre selbst gesteckten Ziele nicht er-reichen, nämlich Bewährtes zu erhalten und auszubauen,klare Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerbzu schaffen und die Finanzierung des ÖPNV zu optimie-ren. Ich will unsere Vorstellungen und unsere Forderun-gen anhand dieser drei Ziele darstellen.

Zunächst zum ersten Ziel: Bewährtes erhalten und aus-bauen. Meine Damen und Herren, wir sehen nicht, dassder Entwurf in wichtigen Bereichen Bewährtes erhaltenwill, geschweige denn ausbauen; ganz im Gegenteil, diebewährten Grundsätze und bewährten Strukturen des öf-fentlichen Verkehrs in Hessen werden vollständig verän-dert. Das macht sich zunächst an dem Prinzip der öffent-lichen Daseinsvorsorge fest. Das alte Gesetz enthält in § 2Abs. 2 eine sehr klare Regelung, die heißt: „Der öffentli-che Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseins-vorsorge.“

(Dr.Walter Lübcke (CDU): Das ist im Bundesrechtgeregelt!)

Dieses klare Bekenntnis ist weggefallen.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Das ist doch Bundes-recht!)

Wir fordern die Wiederaufnahme in der bisherigen Fas-sung, denn dies, Herr Kollege Dr. Lübcke, ist der eindeu-tige Auftrag, den das Bundesregionalisierungsgesetz denLändern im Rahmen der Bahnreform aufgegeben hat.

(Beifall bei der SPD)

Folgerichtig stellt der Bund den Ländern dafür öffentlicheGelder zur Verfügung. Hessen erhält für den Betrieb unddie Infrastruktur alljährlich über 500 Millionen c vomBund.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Union,an dieser Stelle beginnt allerdings Ihr Problem.Anders alsdem Bundesgesetzgeber ist Ihnen der ÖPNV als Aufgabeder Daseinsvorsorge des Landes ein Dorn im Auge. Dem-entsprechend streben Sie dreierlei an: a) kurzfristig dieVerlagerung der politischen und finanziellen Verantwor-tung auf die kommunale Ebene, b) längerfristig den gene-rellen Ausstieg aus der Daseinsvorsorge und c) die drasti-

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sche Absenkung der öffentlichen Mittel für den ÖPNV,was Sie auch bereits in Hessen seit einigen Jahren prakti-zieren und was Herr Koch im Rahmen des Subventions-abbaus bei den Regionalisierungsmitteln schon durchge-setzt hat. Getreu Ihrem marktradikalen Wettbewerbsmo-dell würden Sie sehr gern den ÖPNV europaweit voll-ständig liberalisieren und ganz den Kräften des freienMarktes übereignen.

Übrigens, Herr Kollege Rhiel,

(Heiterkeit – Dr. Walter Lübcke (CDU): So weitsind wir!)

Herr Minister Rhiel, beim Postmonopol war das ebenfallsIhr Weg und waren das ebenfalls Ihre Wettbewerbsvor-stellungen. Sie sind damit im Bundesrat an den eigenenCDU-geführten Ländern gescheitert. Ihre Wettbewerbs-vorstellungen gehen jedenfalls weit über die der EU-Kommission hinaus, wie inzwischen nach Vorlage desneuen Verordnungsentwurfs Verkehr der EU-Kommis-sion bekannt geworden ist. Ihre marktradikalen Wettbe-werbsvorstellungen im ÖPNV würden im Ergebnis aller-dings zu einer massiven Benachteiligung der Mobilitäts-verhältnisse im ländlichen Raum mit einer Ausdünnungdes Angebots gegenüber den Ballungszentren führen;denn niedrigere Kostendeckungsgrade, die ja gerade beiden Linien im flachen Lande eher entstehen, sind für ge-winnorientierte Unternehmen vollkommen unattraktiv.Ihr Wettbewerbsmodell lehnen wir daher ab. Wir wollengleiche Lebensverhältnisse in allen Landesteilen.

(Beifall bei der SPD)

Lediglich aufgrund massiver Proteste wegen der bundes-gesetzlichen Vorgaben haben Sie die Daseinsvorsorge soganz am Rande in einem Nebensatz wieder hineinge-schrieben.

Damit wäre ich bei einem weiteren Punkt, den grundsätz-lichen Zielen, die in § 1 des alten Gesetzes enthalten sindund die nach Ihrer Lesart ideologischer Schnickschnacksind und gestrichen wurden.Auch dies findet nicht unsereZustimmung. Neben der zentralen Ausgabe als überauswichtigem Teil des Gesamtverkehrssystems, zur Bewälti-gung der Mobilitätsbedürfnisse und des Gesamtverkehrs-aufkommens beizutragen, erfüllt der ÖPNV noch weitereFunktionen. Diese müssen Bestandteil eines modernenGesetzes sein:

Erstens soll der ÖPNV Umweltqualität und Lebensbe-dingungen der Menschen durch eine deutliche Verringe-rung der Verkehrsimmissionen verbessern, zweitens soller als Teil des Umweltverbundes dem Umweltschutz, derVerkehrssicherheit, der Verbesserung der Verkehrsinfra-struktur sowie der Herstellung und Sicherung gleichwer-tiger Lebensverhältnisse dienen, und drittens soll er alsmöglichst vollwertige Alternative zum motorisierten Indi-vidualverkehr zur Verfügung stehen. Die Inhalte desneuen § 3 halten wir für zu unbestimmt, um als gesetzlicheGrundlage den Ansprüchen an Verfügbarkeit, Qualitätund Service gerecht werden zu können.

Ich komme zum zweiten Ziel: klare Rahmenbedingungenfür faire Wettbewerbsbedingungen schaffen. Sehr geehr-ter Herr Minister Rhiel, meine Damen und Herren vonder Union, von diesem Ziel sind Sie mit Novelle und Er-lass Lichtjahre weit entfernt,

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Na, na, na!)

insbesondere von § 8 Abs. 2. Dort heißt es:

... eine Angebotsvielfalt (ist) zu fördern, mittelstän-dische Strukturen des Verkehrsgewerbes sind zuunterstützen.

In Wirklichkeit passiert in Hessen, als einzigem Bundes-land übrigens, genau das Gegenteil. Sie haben mit Erlassvom März 2004 den bundesweiten Alleingang fast über-gangslos im Hauruckverfahren im europaweiten Aus-schreibungswettbewerb verordnet. Alle anderen Bundes-länder ermöglichen einen behutsamen Übergang in denWettbewerb. Daher lassen diese neben der Ausschreibungweiterhin entsprechend Bundes- und EU-Recht eine Di-rektvergabe unter Beachtung der Kriterien, die der Euro-päische Gerichtshof zur Finanzierung aufgestellt hat, zu.Die Novelle selbst verankert zwar keine generelle Aus-schreibungspflicht, eine solche Regelung war Ihnen danndoch zu riskant; allerdings normiert sie in § 9 in Verbin-dung mit dem genannten Erlass faktisch die ausnahmsloseAusschreibungspflicht. Das lehnen wir ab, und das lehnenauch die Kommunalen Spitzenverbände ab, wie in der An-hörung deutlich geworden ist.

(Beifall bei der SPD)

Daher wurden Sie, Herr Minister Rhiel, in der Anhörunginsbesondere vom Städtetag aufgefordert, entsprechendder Rechtsprechung des EuGH und den Vorgaben desvorliegenden EU-Verordnungsentwurfs den Städten wiein den anderen Bundesländern auch ein Wahlrecht einzu-räumen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrterHerr Minister Rhiel, seit Monaten fordern wir Sie auf,Ihre Wettbewerbspraxis dahin gehend zu verändern. Siehaben unsere Forderungen und Warnungen in den Windgeschlagen, und jetzt, nach Vorlage des neuen EU-Ver-ordnungsentwurfs, rudern Sie zurück und müssen die vonuns seit Monaten geforderte Kurskorrektur vornehmen.In der letzten Ausschusssitzung mussten Sie einräumen,dass die hessischen Vergaberichtlinien mit dem EU-Ver-ordnungsentwurf nicht kompatibel sind. Herr Minister,Sie haben überaus vorsichtig anklingen lassen, Ihren Er-lass anpassen zu wollen, und den Rückzug auf Raten be-reits eingeläutet.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Da ging es doch umganz andere Fragestellungen!)

Ihr bundesweiter Alleingang ist damit kläglich geschei-tert,

(Gerhard Bökel (SPD): Mittelstandsfeindlich!)

und der so genannte hessische Weg ist ein verhängnisvol-ler Irrweg,

(Beifall bei der SPD)

ein Irrweg, der bereits heute zahlreiche kleine Mittel-ständler in die Insolvenz geführt hat, Dumpinglöhne be-wirkt hat und einigen Städten unverantwortliche finan-zielle Risiken gebracht hat. Das habe ich bereits in derDebatte zur ersten Lesung deutlich gemacht. Wir fordernSie in unserem Antrag zur Novelle erneut auf, den Erlasszurückzunehmen und eine Veränderung Ihrer Vergabe-praxis vorzunehmen. Wir raten Ihnen, relativ schnell zuhandeln, da Ihnen ansonsten ein riesiger Ärger ins Haussteht. Sie wissen, Herr Minister, dass die Städte Kassel,Gießen, Marburg,Wetzlar und Hanau eine Direktvergabeunter Beachtung der EuGH-Vorgaben prüfen und gege-benenfalls auch in die Tat umsetzen. Kassel zumindest hatbereits öffentlich angekündigt, sich mit Ihnen in dieserFrage anzulegen.

(Beifall bei der SPD)

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5559

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir begrüßen indiesem Zusammenhang überaus den Antrag der FDP, derebenfalls eine Modifizierung des Erlasses verlangt. Aller-dings geht uns eine Modifizierung an dieser Stelle nichtweit genug. Zudem halten wir die Aufnahme einer Ver-ordnungsermächtigung in den vorliegenden Gesetzent-wurf für erforderlich. Um tatsächlich einen fairen, diskri-minierungsfreien und mittelstandsfreundlichen Wettbe-werb in Hessen zu erreichen, muss auf der Ermächti-gungsgrundlage parallel zum Gesetz eine Rechtsverord-nung erlassen werden, die alle Anbieter zur Vollkosten-kalkulation verpflichtet, kleinere Losgrößen bei Aus-schreibungen vorsieht und diese zeitlich versetzt ermög-licht, die Einhaltung von Mindeststandards bei der Pro-duktion und der Leistungsqualität und insbesondere auchtariftreue Entlohnung vorsieht und letztlich den Gebiets-körperschaften die Erbringung von Verkehrsdienstleis-tungen ohne Ausschreibung gemäß EU-Verordnung er-möglicht.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zum letzten der Ziele: die Finanzierung opti-mieren. Die in der Novelle vorgesehene Finanzierungsre-gelung läuft diesem Ziel eklatant zuwider. Auch an dieserStelle wurde die Kritik der Kommunalen Spitzenver-bände, insbesondere des Städtetages und des Städte- undGemeindebundes, sehr deutlich vorgetragen. Ich halte dieFünfjahresbudgets für die beiden großen Verbünde mitder Zusammenführung der konsumtiven und investivenMittel durchaus für einen Fortschritt. Aber das ist nichtneu, Herr Kollege Dr. Lübcke. Das wird seit einiger Zeitpraktiziert. Voraussetzung ist für uns allerdings, dass dieMittel nicht, wie in den vergangenen Jahren, sukzessivegekürzt werden. Zudem erwarten wir mindestens eineBeibehaltung der Status-quo-Finanzierung, da diese jetztschon eine große Herausforderung für die Weiterentwick-lung des Angebotes darstellt.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Frau Kollegin Pfaff, kommen Sie bitte zum Schluss.

Hildegard Pfaff (SPD):

Ich komme zum Schluss. Gestatten Sie mir noch zweiletzte Anmerkungen.

Herr Minister Rhiel, wir erwarten, dass die pauschalenZuwendungen für den lokalen Verkehr konkretisiert wer-den, und zwar konkretisiert mit landeseinheitlichenKennzahlen und Größen, und dass es auch für die öffent-lichen Aufgabenträger mehrjährige Finanzierungsverein-barungen gibt.

Ein letzter sehr wichtiger Punkt ist für uns, dass wir er-warten, dass in dem Gesetz wieder eine Regelung auf-taucht, wonach die Regionalisierungsmittel des Bundesfür den ÖPNV zweckgebunden werden.Auch das ist weg-gefallen. Wir vermuten an dieser Stelle, dass der Finanz-minister die eine oder andere Million Euro gerne aus denRegionalisierungsmitteln des Bundes für andere Zweckeeinsetzen und damit abgrundtiefe Löcher stopfen will.

(Günter Rudolph (SPD): So sind sie! – GerhardBökel (SPD): Hart und radikal!)

Deshalb gehört diese Regelung wieder in das Gesetz. –Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Frau Kollegin Pfaff. – Als Nächster hat Kol-lege Dr. Lübcke für die CDU-Fraktion das Wort.

Dr. Walter Lübcke (CDU):

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Frau Pfaff, Ihre Rede hat dieselbe Qualität wie Ihreingebrachter Antrag – viel Schall, viel Rauch, viele Ver-mutungen, nichts Konkretes.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Günter Ru-dolph (SPD))

Ich kann nur sagen:Auch von der Anhörung habe ich per-sönlich, wie meine Kollegen, einen anderen Eindruck.Herr Kollege Rudolph, wir behandeln heute in der zwei-ten Lesung das ÖPNV-Gesetz für das Land Hessen. FrauPfaff, dieses Gesetz ist im politischen Sinne ein Rahmen-gesetz, das in erster Linie die Organisation und die Finan-zierung regelt. Wenn Sie dabei gleich kritisieren, die Da-seinsvorsorge sei aus dem hessischen Gesetz verschwun-den, weise ich darauf hin: Das ist Bundesrecht, das das re-gelt. Dann braucht man hessische Gesetze nicht aufzublä-hen und Bundesgesetze abzuschreiben, nur damit der Be-griff erscheint. Ich glaube, diese Forderung, die Sie auf-stellen, ist ein weiterer Beweis für die Lächerlichkeit IhresVortrages.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das ÖPNV-Gesetz legt ganzklar fest, welche Finanzierungsinstrumente genommenwerden und wie die Rollen der Aufgabenwahrnehmung inHessen verteilt sind. Wie schon in der ersten Lesung alsauch bei der Behandlung im Ausschuss hält die CDU-Fraktion an dem vorliegenden Gesetzentwurf fest. FrauPfaff, die Veränderungen gegenüber dem bestehendenGesetz sind notwendig, da das bisherige Gesetz von 1996nicht mehr in allen Punkten den heutigen Anforderungengerecht wird. Die bisherige Beratung im Ausschuss unddie dort durchgeführte Anhörung der Verbände bestäti-gen die Richtigkeit des vorgelegten Entwurfs und den vonder Landesregierung eingeschlagenen Weg.

Ein Großteil der Diskussion, wie auch aus dem vorliegen-den Antrag der SPD-Fraktion zu ersehen ist, wird um dieAusschreibung im ÖPNV geführt, obwohl das vorgelegteGesetz dazu keine Regelung trifft. Die entsprechendenVorgaben sind bundes- und europarechtliche Bestimmun-gen, auf die der Landesgesetzgeber keinen Einfluss hat.Frau Manuela Rottmann – ich glaube, sie war einmal imLandtag beschäftigt – erteilt in ihrem Beitrag im Heft „In-frastruktur und Recht“ vom Februar 2005 eine klare Ab-sage an die so genannte marktorientierte Direktvergabe.Ich empfehle der SPD-Fraktion und insbesondere FrauPfaff, sich diesen Artikel einmal in einer ruhigen Minutezu Gemüte zu führen, was hier unter einer marktorien-tierten Direktvergabe – wie der Begriff auch immer hei-ßen mag – verstanden wird und warum dieses Verfahrenabzulehnen ist.

Unser Ziel bei der Gesetzesnovellierung ist eine über-sichtliche Strukturierung, größere Transparenz und dieBeseitigung überflüssiger Regelungen. In der Organisa-tion bleibt es bei der Zusammenfassung aller Zuständig-keiten im Nahverkehr bei den Landkreisen, kreisfreienStädten und Sonderstatusstädten. Dabei wird die Eigen-verantwortung der kommunalen Aufgabenträger ge-stärkt, Frau Pfaff. ÖPNV wird zu einem gestaltbaren kom-munalen Politikfeld. Frau Pfaff, diejenigen von Ihnen, die

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diese größere Transparenz ablehnen, müssen sich fragenlassen, warum sie Angst vor zusätzlicher Eigenverantwor-tung in den Kommunen haben. Mehr Verantwortung aufdie kommunale Ebene entspricht unserem Leitbild vomSubsidiaritätsprinzip. Natürlich gehört auch dazu,

(Zuruf des Abg. Uwe Frankenberger (SPD))

dass eine fehlerhafte Politik vor Ort, Herr Frankenberger,schneller erkannt wird und die Verantwortlichen dafür ge-radestehen müssen. Wir verstehen darunter bürgernahePolitik, die den Staat zurücknimmt, wo er nicht unbedingtbenötigt wird, und den handelnden Akteuren mehr Frei-heiten lässt. Auch der Finanzierungsbereich wird in Zu-kunft klarer und einfacher strukturiert. Frau Pfaff, ichfreue mich, dass Sie das Budget über das Verfahren, demSie sich angeschlossen haben – –

(Dieter Posch (FDP): Es gibt noch einen zweiten!)

– Das eine ist die Infrastruktur. Frau Pfaff hat beide ange-sprochen. Sie haben ein Zweites gefordert – mehr Ver-lässlichkeit. Aber ich glaube, dass hier der richtige Wegeingeschlagen worden ist.

Die Förderung soll flexibler gestaltet und zielorientiertausgerichtet werden. Das Land wird die öffentlichen För-dermittel bündeln und sie vorrangig den Aufgabenträger-organisationen zur Verfügung stellen, um so die Aufga-benträger – d. h. vorrangig die Kommunen – zu entlasten.Durch eine mehrjährige Budgetierung der Fördermittelwird eine Planungssicherheit für die Träger garantiert.Das Besteller-Ersteller-Prinzip im neuen ÖPNV-Gesetzschafft deutlich mehr Transparenz zwischen öffentlichemGemeinwohlauftrag und unternehmerischem Handelnbei der Leistungserstellung.

Dazu gehört natürlich auch, dass die europa- und bundes-rechtlichen Vorgaben bei den Ausschreibungen bewirkensollen, dass mehr Wettbewerb zu einem effizienteren Ein-satz staatlicher Fördermittel führen kann. Dabei wird esniemandem helfen, wenn er künstlich vom Wettbewerbausgeschlossen wird. Es macht keinen Sinn, marktwirt-schaftsfreie Inseln zu schaffen. Jedes kommunale Unter-nehmen – für die Privatwirtschaft gilt das ohnehin schon,und es gibt dazu keine Alternativen –, das jetzt noch ver-sucht, sich vor dem Wettbewerb zu drücken, verpasst einegroße Chance, sich rechtzeitig auf die Veränderungen ein-zustellen und sich damit zukunftsfähig aufzustellen. Dieswird spätestens dann nötig sein, wenn in diesem Bereichunmittelbar geltendes Europarecht zum Tragen kommt.

Die Hessische Landesregierung und die Mehrheitsfrak-tion dieses Hauses wollen mit diesem neuen Gesetz allenBeteiligten des ÖPNV in Hessen dabei helfen, bestmögli-che Ausgangspositionen für den Wettbewerb zu erbrin-gen. Die schon bei der Einbringung des Gesetzes von derSPD-Fraktion geforderte marktorientierte Direktvergabeist weder nach nationalem noch nach EU-Recht möglich.Die Anhörung hat mir gezeigt, dass keiner der Angehör-ten gegen Ausschreibung im Wettbewerb ist. Es gab ledig-lich einige kleine Korrekturwünsche. Die wurden aufge-nommen, und es wurde zugesagt – Herr Posch, Sie undHerr Denzin waren bei der Veranstaltung –, dass ihreWünsche aufgenommen werden. Die öffentliche Aus-schreibung wird sogar vom neuen Verordnungsentwurfder Europäischen Kommission, der übrigens für Deutsch-land mit Günter Verheugen ein Sozialdemokrat angehört,als Regelfall vorgeschrieben.

Die CDU-Fraktion fühlte sich dabei von der EU-Kom-mission bestätigt, dass wir mit dem vorliegenden Gesetz-

entwurf auf dem richtigen Weg verfahren. Der vorlie-gende Antrag der SPD-Fraktion, dieses von fast allen Sei-ten als richtig und zukunftsweisend bezeichnete Gesetzerneut zu überarbeiten, zeigt, dass Sie in allen Debatten,die wir geführt haben, und in der Anhörung nichts dazu-gelernt haben. Immer noch offenbaren die sozialdemo-kratischen Kollegen ihre ausgeprägte Wettbewerbsfeind-lichkeit, ihr Beharren auf staatlichem Einfluss und den da-mit verbundenen Hang zur Überregulierung.

Wie schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs wirddabei von zügellosem oder ruinösem Wettbewerb gespro-chen, sodass eigentlich nur noch der Hinweis auf die Heu-schrecken fehlt, Frau Pfaff. Hier kommt ein ziemlich ge-störtes Verhältnis zur sozialen Marktwirtschaft zum Aus-druck. Dagegen zeigen die Erfahrungen der letzten Zeit,dass überall dort, wo wir Wettbewerb unnötig einschrän-ken oder gar verhindern, die betroffenen Akteure imwahrsten Sinne des Wortes nicht mehr wettbewerbsfähigsind und damit sowohl Wachstumschancen als auch zu-sätzlichen Wohlstand für unsere Gesellschaft verspielen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion steht aus voller Überzeugung hinter dem Kon-zept des Wettbewerbs im ÖPNV, wie es in dem vom Wirt-schaftsminister eingebrachten Gesetzentwurf verankertist. Dieses Gesetz ist ein neuer Meilenstein in der hessi-schen Verkehrspolitik. Es führt zu einer neuen und zeit-gerechten Organisation der Durchführung des ÖPNVeinerseits und seiner Finanzierung andererseits.

Herr Wagner, der Änderungsantrag von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN ist von der äußeren Form her sehr sau-ber ausgearbeitet. Sicherlich sind Sie mittlerweile aus denTurnschuhen herausgewachsen. Inhaltlich enthält dieserAntrag lediglich die immer wiederkehrenden alten For-derungen, die der grünen Ideologie entspringen, so z. B.Vorrang für den ÖPNV gegenüber dem motorisierten In-dividualverkehr oder Stärkung des Umweltverbundes.

(Demonstrativer Beifall bei dem BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN – Margaretha Hölldobler-Heu-müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das istauch richtig!)

Der Änderungsantrag enthält auch weite Passagen, mitdenen das geregelt werden soll, was bereits durch Bundes-recht geregelt ist. Das wäre also eine künstliche Aufblä-hung des Gesetzestextes durch ständige Wiederholung.Das wurde ähnlich von der SPD hier vorgetragen. Das be-trifft z. B. die Daseinsvorsorge.

Herr Wagner, wenn wir die von Ihnen geforderte Schlich-tungsstelle für den Nahverkehr einrichten würden, würdesicherlich das Konnexitätsprinzip greifen. Das heißt, dasLand müsste dann die Finanzierung allein sicherstellen.Das ist weder angebracht noch mit den heute vorhande-nen Instrumentarien zur Finanzierung durchführbar.

Der vorliegende Änderungsantrag wurde bereits im Aus-schuss mit Mehrheit abgelehnt. Herr Wagner und FrauPfaff, ich würde mich deshalb sehr freuen, wenn Sie nachdieser Debatte auch die bisher in Ihren Reihen vorhande-nen Skeptiker davon überzeugen könnten, dass die Neu-ordnung des öffentlichen Personennahverkehrs wichtigist. Es wäre schön, wenn Sie unserem Vorschlag folgenkönnten. Denn wir werden damit in Hessen einen zu-kunftsweisenden öffentlichen Personennahverkehr fürdie Bürgerinnen und Bürger auch weiterhin aufrechter-halten können. Wir werden damit ein Angebot vorhaltenkönnen, das Masse, Qualität und Struktur hat. – Ich danke

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für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche mir, dass wir viel-leicht doch noch einen Konsens finden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Dr. Lübcke, vielen Dank. – Als nächstem Redner er-teile ich Herrn Abg. Posch für die FDP-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der FDP – Hans-Jürgen Irmer (CDU):Er hat noch gar nicht gesprochen, da fangen dieschon mit Klatschen an!)

Dieter Posch (FDP):

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung. Liebe FrauPfaff, ich schätze Sie sehr als eine sachkundige Abgeord-nete, die sich mit unglaublich viel Engagement mit diesemThema befasst. Sie haben sich hier aber hingestellt undbehauptet, bei der Anhörung sei vernichtende Kritik zu-tage getreten.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Das war falsch!)

Dazu muss ich schon sagen: Wir waren wohl auf zwei völ-lig unterschiedlichen Veranstaltungen.

(Dorothea Henzler (FDP): Das ist öfter so!)

Ich sage dies insbesondere deswegen, weil während derAnhörung Gegenstand der dort geübten Kritik nicht derGesetzentwurf selbst war, sondern genau jener Erlass, vondem die Anzuhörenden nachher gesprochen haben.

(Hildegard Pfaff (SPD): Herr Kollege, es betraf bei-des!)

Denn in der Tat ist Folgendes richtig: Die Ausschrei-bungsbedingungen und die Frage, wie der Wettbewerbbeim öffentlichen Personennahverkehr realisiert werdensoll, ist nicht Regelungsgegenstand dieses Gesetzent-wurfs.

Verehrter Herr Dr. Lübcke, Sie wissen aber auch, dass wirin der Vergangenheit bereits den Wettbewerb eingeführthaben. Es geht deshalb etwas zu weit, zu sagen, es handelesich dabei um eine Sternstunde des öffentlichen Perso-nennahverkehrs. Die Einführung des Wettbewerbs habenwir während der vergangenen Legislaturperiode bereitsgemeinsam mit den Verbünden realisiert.Wenn es nur umdie Frage der Umsetzung des Wettbewerbs ginge, bräuch-ten wir ein solches Gesetz überhaupt nicht. Denn das ha-ben wir schon in der Vergangenheit realisiert.

Sie selbst haben dargestellt, dass wir – ich füge hinzu: lei-der – seit geraumer Zeit auf die entsprechende Rechts-verordnung der Europäischen Union warten. Ich sage eseinmal so: Hier liegt ein Vollzugsdefizit vor, das letztenEndes zulasten aller Beteiligten geht. Herr Dr. Rhiel, wirsind uns sicherlich einig, dass es dazu eine berechtigte Dis-kussion gibt. Auf der einen Seite führen die kommunalenVerkehrsbetriebe diese Diskussion.Auf der anderen Seitewird diese Diskussion auch von den mittelständischenUnternehmen betrieben. Das rührt genau daher, dass wirim Grunde genommen seit Jahren darauf warten, zu er-fahren, zu was sich die Europäische Union bei dieserFrage durchringt.

(Beifall bei der FDP)

Ich halte es deswegen für falsch, diesen Zusammenhang inder Art und Weise zu problematisieren, wie das hier getanwurde.

Das Gleiche gilt hinsichtlich des Stichworts „Daseinsvor-sorge“. Ich halte es für richtig, dass aus dem Gesetzeswerkdas herausgenommen werden soll, was zum Vollzug undzur Organisation des öffentlichen Personennahverkehrsnicht notwendig ist. Dass der öffentliche Personennahver-kehr auch in Zukunft eine Aufgabe der Daseinsvorsorgebleiben wird, ergibt sich allein daraus, dass wir beispiels-weise beim Wettbewerb auf das Vergaberecht Rücksichtnehmen müssen. Denn auf absehbare Zeit wird der öf-fentliche Personennahverkehr ohne öffentliche Bezu-schussung nicht möglich sein.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmalauf etwas zu sprechen kommen, was ich in diesem Zu-sammenhang auch nicht verstehe.Verehrte Frau Pfaff, Siehaben gesagt, wir seien in Hessen einen Weg gegangen,der nicht mittelstandsfreundlich sei und der die Belangeder kommunalen Betriebe nicht ausreichend berücksich-tige.

Ich sage einmal in Richtung der Landesregierung sehr be-wusst: Ich freue mich darüber, dass der Kurs des Wettbe-werbs fortgesetzt wird, den wir in der vergangenen Legis-laturperiode eingeschlagen haben.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Walter Lüb-cke (CDU))

Denn es gibt zur Einführung des Wettbewerbs im öffent-lichen Personennahverkehr überhaupt keine Alternative.

Bei der Frage, wie der Wettbewerb organisiert werdensoll, bin ich wieder bei Ihnen. Es muss sichergestellt wer-den, dass mittelständische Unternehmen auch tatsächlicheine Chance haben. Darauf werde ich noch zu sprechenkommen. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass es ohnediesen Wettbewerb nicht geht und dass das die einzigmögliche und denkbare Form ist, das zu realisieren.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen würden, damitwürden die Verbünde in unzulässiger Weise gestärkt –verehrte Frau Pfaff, das waren jetzt meine Worte –, dannsage ich Ihnen dazu Folgendes: Hätten wir die Verbündemit dem Einbezug der Kommunen nicht, wären wir heutebeim Wettbewerb nicht so weit, wie wir sind. – Es ist gera-dezu das Verdienst des Nordhessischen Verkehrsverbun-des und des Rhein-Main-Verkehrsverbundes, dass sie dieKommunen davon überzeugt haben, dass es dazu keineAlternative gibt. Das ist der entscheidende Punkt, auf denes in diesem Zusammenhang ankommt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten derCDU)

Ich sage deswegen für die FDP-Fraktion: Die Art undWeise, wie der öffentliche Personennahverkehr hier orga-nisiert wird, stellt eine Säule des integrierten Verkehrssys-tems dar, wobei ich immer davon ausgehe – Herr Dr. Lüb-cke, da teile ich Ihre Auffassung –, dass jeder Verkehrsträ-ger entsprechend seiner Stärke im Verkehrssystem einge-setzt werden muss. Die einseitige Bevorzugung eines Ver-kehrsträgers würde der Sache schlicht und ergreifendnicht dienen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Michael Bod-denberg (CDU))

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Es gibt Menschen, die darauf angewiesen sind, über denso genannten und manchmal verpönten Individualver-kehr an ihren Arbeitsplatz zu kommen. Denn wir als Ver-treter der öffentlichen Hand können gar nicht die Bedie-nung aller Strecken sicherstellen. Ich bin deshalb der Mei-nung: Eigentlich waren wir schon weiter. Die Ausei-nandersetzung nach dem Motto: „Derjenige, der für denöffentlichen Personennahverkehr ist, ist ein guterMensch, und derjenige, der für den Individualverkehr ist,ist ein böser Mensch“, ist irrsinnig und falsch. Im Grundegenommen dient das den Menschen auch in keiner Artund Weise.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten derCDU)

Deswegen sage ich: Die FDP-Fraktion bekennt sich aus-drücklich zu der hervorragenden Arbeit, die die Verbündegeleistet haben. Die Verbünde haben maßgeblich dazubeigetragen, dass wir den Wettbewerb tatsächlich realisie-ren konnten. Gerade die Einbeziehung der Kommunenhat dazu geführt.

Verehrte Frau Pfaff, an dieser Stelle möchte ich noch Fol-gendes sagen: Auch Sie haben doch während der Anhö-rung wahrgenommen, dass auch der Landkreistag durch-aus Positionen bezogen hat, die im Interesse der Ver-bünde waren. Sie haben in gleicher Art und Weise das ge-sagt, was auch die Verbünde gesagt haben.

Herr Dr. Lübcke, das Besteller-Ersteller-Prinzip ist vor-teilhaft. Das wurde in Hessen erfunden und realisiert. Beidieser Gelegenheit will ich noch schnell hinzufügen: Daswurde nicht von mir gemacht, sondern das geschah schonwährend der Amtszeit des verehrten Herrn KollegenKlemm.

(Beifall der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) undHeinrich Heidel (FDP))

Wir haben im Hessischen Landtag immer versucht, dasThema öffentlicher Personennahverkehr ideologiefrei zudiskutieren.

(Hildegard Pfaff (SPD): Das ist richtig!)

Das Besteller-Ersteller-Prinzip, das damals erstmals dis-kutiert wurde, ist die Grundlage dafür, dass man wirklichdarüber nachgedacht hat, nur das zu bestellen, was manauch wirklich bezahlen kann. Es wird dann nicht nachdem Motto verfahren: Wenn aus politischen Gründenirgendwo entschieden wird, eine Linie aufrechtzuerhal-ten, muss ich mich überhaupt nicht mehr darum küm-mern, was das kostet. – Ich glaube deswegen, dass die Ent-scheidung, das Besteller-Ersteller-Prinzip einzuführen,eine sehr grundlegende Entscheidung war, die richtig ist.

Ich komme jetzt noch zu den Problemen. Die Problemewill ich gar nicht gering schätzen. Es gibt zwei Probleme.

Die mittelständischen Busunternehmer kritisieren, dasssie gegenüber den kommunalen Betrieben einen Wettbe-werbsnachteil hätten. Ich sage Ihnen sehr offen: Uns allebeschleicht immer wieder ein gewisses Unbehagen. Wirfragen uns, ob da nicht sogar etwas dran sein könnte.Denn die Frage, ob es bei öffentlichen kommunalenUnternehmen zu einer Quersubventionierung kommt, istsehr schwer verifizierbar.Wer sagt denn, dass der Sachbe-arbeiter, der morgens auf der Erstellerseite sitzt, nachmit-tags nicht auf der Bestellerseite zu finden ist? Ich habe dasjetzt einmal etwas flapsig ausgedrückt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Damit würde im Grunde genommen dieses Prinzip etwaskonterkariert.

Auf der Seite der mittelständischen Unternehmen gibt esein Problem. Sie müssen sich an diesen Wettbewerb ge-wöhnen. Sie müssen sich darauf einstellen.

In diesem Zusammenhang muss man daran erinnern, wiedie Struktur früher aussah. In der Vergangenheit warenviele mittelständische Busunternehmer nicht in dem ei-gentlichen Sinne unternehmerisch tätig. Denn sie habensich nicht an Ausschreibungen beteiligt.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ja!)

Vielmehr waren sie als Subunternehmer der öffentlichenBetriebe tätig. Dabei haben sie sich wohl gefühlt. Sie ha-ben mit zwei oder drei Bussen die Leistung als Subunter-nehmer erbracht. Auf einmal sagen wir jetzt den mittel-ständischen Unternehmen: Das geht so nicht mehr, ihrhabt eine schwierige Aufgabe zu bewältigen. Ihr müsst ko-operieren, gemeinsam Angebote unterbreiten und Ähnli-ches mehr.

Herr Dr. Rhiel hat zu Recht auf die Erfolge hingewiesen,die wir im mittelhessischen Raum dazu haben. Da warenUnternehmen bereit, dies zu tun.

Gleichwohl gibt es diese Probleme. Wir haben diese Pro-bleme mit den Verbänden diskutiert. Es gibt in diesemZusammenhang einen berühmten Brief. Der wurdewegen eines Gesprächs zwischen Vertretern der Landes-regierung und den Vertretern verschiedener Verbände ge-schrieben. In diesem Brief wurden bestimmte Zusagengemacht. Deswegen bin ich noch einmal darauf zu spre-chen gekommen.

(Beifall der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Das ist auch Gegenstand unseres Antrags. Wir wollen,dass parallel mit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes dieVergaberichtlinien zugunsten der mittelständischenUnternehmen so geändert werden, dass die Lösung ihrerProbleme Berücksichtigung findet.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Hildegard Pfaff(SPD))

Frau Pfaff, Sie haben angekündigt, dass eine dritte Lesungstattfinden wird. Ich hoffe, dass bis dahin auch tatsächlichdieser „Vergabeerlass“ vorgelegt werden wird. Dannkann man deutlich sagen: Bei den Losen kann man diesesoder jenes machen. – Das ist eine Problematik, die manbeispielsweise auch bei jedem Generalunternehmer hat.Dabei geht es um die Frage, ob man da etwas zugunstender mittelständischen Unternehmen mindern kann. Ichwollte das nur als ein Beispiel nennen.

Wie gesagt, wir haben ein Interesse daran, dass das gere-gelt wird. Denn natürlich besteht da eine Gefahr. Des-wegen wird immer auch zu Recht auf die Situation in an-deren Ländern hingewiesen. Die Einführung des Wettbe-werbs darf nicht dazu führen, dass wir am Schluss dreigroße Unternehmen haben, während die kleinen undmittleren Unternehmen überhaupt keine Chance mehrhaben.

(Beifall bei der FDP)

Dass das entsprechend geregelt wird, ist ein ganz ent-scheidender Punkt. Das war der Grund, weshalb wir die-sen Antrag eingebracht haben. Wir wollen dies sicherge-stellt wissen.

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5563

Herr Dr. Rhiel hat das während der Ausschusssitzungschon angekündigt. Ich gehe deshalb davon aus, dass einesolche Korrektur des Erlasses stattfinden wird.

Da spielen auch andere Fragen noch eine Rolle, die imZusammenhang mit dem kommunalen Wirtschaftsrechtstehen. Ich hoffe, dass das noch ausreichend geklärt wird.

Ich fasse für die FDP-Fraktion zusammen. Wenn manMarktwirtschaft in diesem Bereich will, dann kann mandas nicht nach dem Motto machen: „Wir sind nur ein bis-schen schwanger“, sondern dann muss man Wettbewerbeinführen, und man muss dafür sorgen, dass diejenigen,die sich am Wettbewerb beteiligen, faire Bedingungenvorfinden.

An dieser Stelle sehe ich ein großes Problem. Ich glaube,dass es dringend notwendig ist, diejenigen Busunterneh-men, die sich am Wettbewerb beteiligen, besser zu infor-mieren über Möglichkeiten, sich an Ausschreibungen zubeteiligen. Herr Dr. Lübcke, ich sage einmal, das ist keineFrage der Verbände. Ich impliziere damit keine Kritik anden Verbänden. Denn in den Verbänden sind diejenigenvertreten, die gleichzeitig bei Ausschreibungen als Wett-bewerber auftreten. Dann können Sie von einem Verbandnicht verlangen, dass er selbst diese Schulung unternimmt.

Ich habe schon einmal mit dem einen oder anderen Kol-legen gesprochen und will es an dieser Stelle anregen:Hier sind meines Erachtens beispielsweise die Kammerngefordert, das Überführen in den Wettbewerb so zu orga-nisieren, dass Unternehmen informiert und geschult wer-den, um so etwas besser tun zu können.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube, dass das jenen Betrieben eine vernünftigeHilfe sein könnte.

Die FDP begrüßt dieses Gesetz, weil damit ein Weg fort-gesetzt wird, der in der Vergangenheit begründet und er-folgreich eingeführt worden ist. Wir sehen die Probleme,die im Vollzug bestehen.Wir wollen sie nicht gering schät-zen. Wir haben das gegenüber den Verbänden zum Aus-druck gebracht und hoffen, dass bis zur dritten Lesung imAusschuss dementsprechend erfolgreich berichtet werdenkann, dass den Problemen Rechnung getragen werdenkann.

Wir sind alles in allem in der Tendenz und in der Zielset-zung mit diesem Gesetz einverstanden. Nicht zuletzt ist eseine kontinuierliche Fortsetzung dessen, was wir in dervergangenen Legislaturperiode begonnen haben. – Vielenherzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP – Frank-Peter Kaufmann(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Begonnen wurdees schon etwas früher, nicht in der letzten Legisla-turperiode!)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Kollege Posch. – Als Nächster hat HerrKollege Mathias Wagner von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN das Wort.

Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube,dass mit diesem ÖPNV-Gesetz eine Chance vergebenworden ist. Ich glaube, es hätte die Chance bestanden,

dass das, was in den Neunzigerjahren unter rot-grünerVerantwortung mit dem zu damaliger Zeit richtungwei-senden ÖPNV-Gesetz auf den Weg gebracht wurde, miteiner sehr viel breiteren Mehrheit hier im Landtag hättefortgeführt werden können als der absoluten CDU-Mehr-heit. Wir hätten uns durchaus vorstellen können, dass wirdem ÖPNV-Gesetz zustimmen. Aber dafür wäre es not-wendig gewesen, dass die absolute Mehrheit den Themenin unserem Änderungsantrag ein bisschen mehr Auf-merksamkeit geschenkt hätte, als sie einfach mit Nichtbe-achtung zu strafen. Eines kann nicht sein: Wir macheneine Anhörung zu dem Gesetz, und selbst mit absoluterMehrheit kann es nicht sein, dass in der Anhörung über-haupt nichts geäußert wird, das lohnend gewesen wäreaufzunehmen. Insofern wurde hier wirklich eine Chancevertan, das auf eine sehr breite Basis zu stellen. Ich be-dauere das sehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei Abgeordneten der SPD)

Meine Fraktion hat im Gegensatz zur SPD sehr detail-lierte Vorschläge vorgelegt, wie wir uns Änderungen andem Entwurf des Gesetzes vorgestellt hätten. Leider hatdas keine Mehrheit gefunden. So kann man über das Ge-setz jetzt in drei Bereichen urteilen. Im Bereich der Ziele,für einen modernen, für einen ambitionierten ÖPNV, istdieses Gesetz ein Rückschritt gegenüber der geltendenRechtslage. Im Bereich des Wettbewerbs und der Rege-lungen zum Wettbewerb sind das Gesetz und der damitverbundene Erlass – wir haben vorgeschlagen, auch eineRechtsverordnung zu machen, um den Wettbewerb näherzu regeln – auf jeden Fall unzureichend. Im Bereich derFahrgastrechte, dem dritten Bereich, der meiner Fraktionsehr wichtig war, ist dieses Gesetz schlicht nicht auf derHöhe der Zeit. Deswegen können wir dem Gesetzent-wurf, wie er jetzt vorliegt, nicht zustimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte auf die drei Bereiche eingehen. Zum Aus-schreibungswettbewerb ist schon einiges gesagt worden.Auch wir halten das im Prinzip für das richtige Instru-ment, um Vergaben im ÖPNV durchzuführen. Allerdingsdarf man nicht die Augen davor verschließen, welche Pro-bleme es dabei gibt. Man muss die Einwände, die von Ge-werkschaften geäußert werden, ernst nehmen. Man musssich damit beschäftigen, dass darüber geklagt wird, dassder Wettbewerb und die Kosteneinsparungen im ÖPNVzulasten der Beschäftigten, zulasten der Busfahrer gehen,somit zulasten von Personen, die ohnehin nicht in be-sonders guten Lohngruppen eingestuft sind und die ohne-hin knapsen müssen, damit sie ihre Familien ernährenkönnen. Dieses Problem gibt es, und man muss es deshalbbearbeiten und darf es nicht einfach mit Nichtbeachtungbestrafen, wie es die absolute Mehrheit hier tut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund der Abg. Hildegard Pfaff (SPD))

Wir müssen auch sehr ernst nehmen, dass von den mittel-ständischen Omnibusunternehmern gesagt wird, dass sieSorge haben, ob sie faire Wettbewerbsbedingungen ha-ben. Auch das muss man ernst nehmen und bearbeiten.Man muss auf der anderen Seite zur Kenntnis nehmen,dass die kommunalen Betriebe sagen: Es ist schon rechtmit dem Wettbewerb. Aber was machen wir in unsererStadt dann, wenn ein anderes Unternehmen die Aus-schreibung gewinnt und wir auf dem Personal unsererStadtwerke sitzen bleiben? – Dieses Problem muss manzur Kenntnis nehmen. Man muss es bearbeiten.

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5564 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005

Deswegen hat meine Fraktion vorgeschlagen:Wir macheneine Rechtsverordnung zu diesem Gesetz, in der man allediese Fragen näher hätte bearbeiten können. Ich glaube,es wäre für eine absolute Mehrheit nicht unzumutbar ge-wesen, sich auf diesen Vorschlag zuzubewegen. Vor allemhätten wir in der Sache sehr viel mehr regeln können undwären zu einer sehr viel besseren Lösung gekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde es auch sehr interessant: Was hat die CDU ei-gentlich dagegen, wie von uns vorgeschlagen, einen jähr-lichen Wettbewerbsbericht vorzulegen? Damit hätten wireine völlige Transparenz über das Marktgeschehen. Da-mit könnten wir den Teil der Ängste, die unbegründetsind, wegnehmen, indem wir Fakten gegenüberstellen.Wir hätten ein Instrument und einen Bericht in der Hand,auf dessen Grundlage wir dann sagen könnten, wenn esFehlentwicklungen gibt: Wir wollen sie korrigieren. – Washätte dagegen gesprochen? Natürlich ist es ein Ex-post-Instrument. Das ist mir schon klar. Aber ein Ex-post-In-strument ist immer noch besser als gar kein Instrument,um auf Marktverzerrungen reagieren zu können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die FDP schlägt vor, den Wettbewerb näher auszu-gestalten. Der Kollege Posch hat darauf hingewiesen, derAntrag der FDP fordert, den Erlass zur Ausschreibungneu zu fassen. Dieser Idee können wir nahe treten. Wirschlagen eine Rechtsverordnung vor, Sie schlagen eineNeufassung des Erlasses vor. Darüber wollen wir nichtlange streiten. Deshalb können wir Ihrer Idee zustimmen,Herr Kollege Posch.

Auch bei den Fahrgastrechten verstehe ich es nicht. In an-deren Bundesländern, wo über die Novellierung vonÖPNV-Gesetzen nachgedacht wird, wird das berücksich-tigt und findet es Eingang. Ich verstehe nicht, wieso das inHessen nicht möglich ist. Sie wissen, wir haben sehr de-taillierte Vorstellungen dazu, Herr Kollege Lübcke. Wirhaben eine Kundencharta dazu vorgelegt etc. pp. Das ha-ben wir jetzt alles nicht gesagt, weil wir meinen, das mussman nicht in einem Gesetz regeln. Das Einzige, was wirvorgeschlagen haben, ist, dass die Verbünde per Gesetzverpflichtet werden, bis zum Fahrplanwechsel 2006/07verbindliche Fahrgastrechte zu definieren. Das war unserAnsinnen. Ich glaube, die absolute Mehrheit muss vor denFahrgästen des ÖPNV verantworten, warum sie den Fahr-gästen diese Rechte nicht geben will. Ich habe es, ehrlichgesagt, nicht verstanden.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Der RMV macht esdoch schon! Der NVV will es auch!)

Ich habe aber auch die Haltung der SPD in dieser Fragenicht verstanden, wie sich die SPD überhaupt aus meinerSicht sehr weit von dem entfernt hat, was unter rot-grünerVerantwortung in den Neunzigerjahren zum ThemaÖPNV vereinbart und auf den Weg gebracht wurde.

(Florian Rentsch (FDP): Schön war die Zeit!)

Wenn die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag sagt, dassunsere Vorschläge zu den Fahrgastrechten zu bürokra-tisch und deshalb nicht machbar seien, dann bin ich sehrerstaunt. Denn das ist exakt die Regelung, die in Nord-rhein-Westfalen unter rot-grüner Verantwortung getrof-fen wurde.

(Hildegard Pfaff (SPD): Das haben wir nie gesagt!Ich habe gesagt, wir wollen eine bundesweite Lö-sung!)

Ich kann nur sagen, die SPD in Hessen ist entgegen dem,was sie oft verkündet, offenbar in einer vorweggenomme-nen großen Koalition. Für den ÖPNV ist das nicht gut,Frau Kollegin Pfaff, es tut mir Leid.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was hätte eigentlich gegen die Schlichtungsstelle Nahver-kehr gesprochen, Herr Kollege Lübcke? Auch das ist einInstrument, das in Nordrhein-Westfalen hervorragendfunktioniert. Da gibt es ein Beispiel. Das ist nichts, wasman hätte neu erfinden müssen. Auch das hätte einen im-mensen Imagegewinn für den ÖPNV gebracht. Auch dabedauere ich sehr, dass diese Chance nicht genutzt wurde.

Noch nicht einmal die stärkere Beteiligung von Fahrgast-beiräten war mit dieser CDU möglich. Es gibt im Bereichdes ÖPNV ganz viele Menschen, die sich in ihrer Freizeitehrenamtlich engagieren, die gute Vorschläge zur Weiter-entwicklung haben, die sich gerne in Fahrgastbeiräten en-gagieren und ihre Vorschläge einbringen würden. Wirwollten im Gesetz eine Grundlage verankern, dass dieVorschläge dieser Menschen auch Gehör finden.Auch daswar leider nicht möglich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei den Zielen steht schließlich im geltenden Recht, dassder ÖPNV seinen Teil zur Verbesserung der Lebensqua-lität beitragen soll, indem er sich an der Reduzierung derEmissionen aus dem Individualverkehr dadurch beteiligt,dass die Leute öfter das Auto stehen lassen können undauf den ÖPNV umsteigen.Wieso muss man das streichen?Das ist doch ein völlig richtiges Ziel angesichts der Klagenvon vielen Menschen über Lärmbelastung und Abgasbe-lastung durch den Individualverkehr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, was istfalsch an dem Ziel, wie es im geltenden Recht steht undSie es jetzt streichen wollen, dass der ÖPNV eine mög-lichst vollwertige Alternative zum motorisierten Individu-alverkehr ist? Was ist falsch an dem Ziel, dass der Schie-nenpersonennahverkehr das Rückgrat für das gesamteÖPNV-Angebot bieten soll? Was ist an diesen Feststel-lungen falsch? Sie müssen sich schon gefallen lassen, dassman argwöhnisch wird, was Sie im ÖPNV vorhaben, wennSie sich zu so einfachen Zielen in Ihrem Gesetz nichtmehr bekennen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bedauere, dass sich die SPD auch bei den Zielen vondem verabschiedet hat, was unter Verantwortung von Lo-thar Klemm, unter rot-grüner Verantwortung in denNeunzigerjahren Konsens war, nämlich dass der ÖPNVbeim Ausbau Vorrang vor dem Individualverkehr habensoll. Die Frau Kollegin Pfaff hat im Ausschuss wörtlich ge-sagt, sie halte das nicht mehr für zeitgemäß. Ich bedaueresehr, dass die SPD hier hinter Positionen zurückgeht, diesie schon einmal hatte. Ich halte es auch inhaltlich fürfalsch. Ich bin in der Tat der Meinung, dass, nachdem derIndividualverkehr über Jahre und Jahrzehnte in der Ver-kehrspolitik immer Vorrang hatte und immer privilegiertwurde, es uns nach wie vor sehr gut ansteht, weiter eineAufholjagd des ÖPNV zu organisieren und den ÖPNVbeim Ausbau und bei der Finanzierung zu privilegieren.Frau Pfaff, ich halte das für sehr zeitgemäß.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch kurz auf die Anträge eingehen, auf dieich noch nicht eingegangen bin. Ich habe bereits gesagt:

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Dem FDP-Antrag können wir zustimmen. – Es wundertmich ein bisschen, warum die SPD nach einer Debattevon einem Dreivierteljahr über das ÖPNV-Gesetz, nacheiner fraktionsinternen Anhörung, die die SPD gemachthat, nach einer großen Anhörung, die meine Fraktion ge-macht hat, nach der Anhörung, die der Ausschuss gemachthat, hier als einziges Ergebnis vorlegt, man beantrage, denGesetzentwurf zurückzuziehen. Ich glaube, das wird denProblemen, die man mit diesem Gesetzentwurf hat, undden Problemen, die es in der Praxis gibt, überhaupt nichtgerecht. Meine Damen und Herren, deshalb können wirdiesem Teil des SPD-Antrags auch nicht zustimmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite Antrag der SPD setzt sich mit der marktorien-tierten Direktvergabe auseinander. Ich teile nicht die Auf-fassung, wie sie der Minister im Ausschuss dargestellt hatund wie er sie gleich wieder bringen wird – wahrscheinlichgleich wieder bringen wird; wir kennen uns ein bisschen,Herr Minister; insofern habe ich mir erlaubt, das zu sagen –,dass durch den Vorschlag, den die EU-Kommission jetztgemacht hat, die hessische Position gestärkt wird. Es istmitnichten so, sondern das, was die EU-Kommission jetztvorgeschlagen hat, ist eine Öffnung in Richtung markt-orientierte Direktvergabe.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Nein!)

Bloß weil man das nicht gut findet und weil man findet,dass der Ausschreibungswettbewerb das bessere Organi-sationsprinzip für den ÖPNV ist, kann man diese Feststel-lung nicht ignorieren. Insofern ist der Teil der Feststel-lung, den die SPD macht, durchaus richtig. Dennoch hal-ten wir es für falsch, über eine marktorientierte Direkt-vergabe vor allem die kommunalen Betriebe erneut überJahre in falscher Sicherheit zu wiegen, Frau Kollegin Pfaff.Wir haben in den Neunzigerjahren mit dem Besteller-Er-steller-Prinzip unter rot-grüner Verantwortung begonnen.Seit den Neunzigerjahren war völlig klar, wohin dieseEntwicklung führen wird. Es war allen Marktteilnehmernvöllig klar, und es war auch den Stadtwerken völlig klar:Sie müssen sich auf diese Situation vorbereiten. Sie müs-sen sich auf diese Entwicklung einstellen. – Ich habe wirk-lich große Zweifel, ob es eine sinnvolle Position ist, dasswir zum weiteren Schutz der Leute, die ihre Hausaufga-ben über Jahre nicht gemacht haben, in Kauf nehmen,dass wir weniger Geld für den ÖPNV zur Verfügung ha-ben. Ich glaube, liebe Kollegen von den Sozialdemokra-ten, das ist keine gute Position.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb wird es Sie nicht überraschen, dass wir auch demAntrag zur marktorientierten Direktvergabe nicht zu-stimmen können. Wie gesagt, es gibt die rechtliche Grau-zone. Die Irritation ist durch das, was jetzt als Vorschlagdurch die EU-Kommission kommt, größer geworden.Aber wir sagen: Jenseits der rechtlichen Debatte ist es alsOrganisationsprinzip für den ÖPNV sinnvoll, auf denAusschreibungswettbewerb zu setzen. Aber man mussdann die vorhandenen Probleme bearbeiten. Das habe ichzu Beginn meiner Rede gesagt. Da versagt leider der Vor-schlag, den die Landesregierung macht und den die CDU-Fraktion trägt. So kann man den Ausschreibungswettbe-werb nicht machen, wenn er zulasten der Busfahrer gehtund wenn er dazu führt, dass es im Mittelstand weit ge-hende Verunsicherungen gibt.

Ich fasse zusammen. Es wäre eine Voraussetzung gewe-sen, das, was unter rot-grüner Verantwortung begonnenwurde, mit schwarz-grüner Mehrheit heute zu verabschie-

den. Die Chance wurde verpasst, weil die CDU auf unsereÄnderungsanträge leider nicht eingegangen ist. Ich be-dauere das sehr. Aber man sieht sich immer zweimal imLeben. In dem Sinne gebe ich es nicht auf und gibt esmeine Fraktion nicht auf, für den ÖPNV in Hessen nochmehr zu erreichen. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Als nächster Red-ner hat für die Landesregierung Herr WirtschaftsministerRhiel das Wort.

Dr. Alois Rhiel, Minister für Wirtschaft, Verkehr und Lan-desentwicklung:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Zunächst einmal möchte ich am Ende dieser Debattedeutlich festhalten, dass wir uns bei aller Kritik, die ausunterschiedlicher Richtung an dem Gesetzentwurf geäu-ßert wird, im Großen und Ganzen auf der Basis einer brei-ten Übereinstimmung aller Redner im Hause befinden.Ich glaube, es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass dieÖPNV-Politik im Lande Hessen seit Jahrzehnten – insbe-sondere Herr Wagner hat darauf hingewiesen –, seit dasBesteller-Ersteller-Prinzip eingeführt wurde, eine hoheKontinuität aufweist. Es hat immer wieder Verbesserun-gen gegeben, die dazu geführt haben, dass die ÖPNV-Po-litik in Hessen eine hohe Akzeptanz erfahren hat und da-mit auch eine Erfolgsgeschichte geworden ist.

Das neue ÖPNV-Gesetz wird die Mobilität bei Bahnenund Bussen in Hessen weiter verbessern. Es ist ein Schrittnach vorne. Damit wird eine Weiterentwicklung eingeläu-tet. Es stärkt insbesondere aber das Grundprinzip in Hes-sen, dass nämlich die Kommunen, sei es im Verbund oderals lokale Verantwortungsträger, weiter die Verantwor-tung übernehmen und dass wir mit diesem Gesetz derenVerantwortung weiter stärken, und zwar bei voller Auf-rechterhaltung der Mittelausstattung. Ich glaube, das istsehr wichtig.

Wir können die Mittelausstattung an einem Bild verdeut-lichen. Der ÖPNV ist und bleibt eine Aufgabe der öffent-lichen Daseinsvorsorge. Das wird schon daran deutlich,dass pro Fahrschein etwa 50 % der Mittel aus allgemeinenSteuermitteln bezuschusst werden müssen. Meine sehrverehrten Damen und Herren, uns geht es bei diesem Ge-setzentwurf vor allem darum, dass diese knappen, aberebenso wertvollen öffentlichen Mittel effizient eingesetztwerden, d. h. dass mit den vorhandenen Mitteln ein Maxi-mum erreicht wird. Das wird auch an der Leistung deut-lich, die im ÖPNV angeboten wird.

Als das Regionalisierungsgesetz damals verabschiedetwurde, als damals die Beträge definiert wurden, die denLändern vom Bund zugeteilt werden, hatten wir ein An-gebot – ich will das am Beispiel des Schienennahverkehrsdeutlich machen –, das um 8.000 km pro Jahr niedrigerwar als jetzt. Umgekehrt und positiv formuliert heißt das,dass wir mit den gleichen öffentlichen Fördermitteln desBundes, die wir nun sinnvoller und effizienter verwenden,im Verbund inzwischen 8.000 km mehr Leistung pro Jahranbieten. Dieses Beispiel macht uns Mut, fortzufahrenund den ÖPNV und dessen Finanzierung weiter zu mo-dernisieren – so, wie es in diesem Gesetzentwurf ge-schieht.

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Das wird neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen, vor al-lem indem wir die Vielfalt der Fördertöpfe in nur nochzwei Fördertöpfe vereinheitlichen. Der erste Fördertopfenthält die pauschale Mittelausstattung, die wir mit Fünf-jahresverträgen kontinuierlich und verlässlich sichern.Herr Wagner, die Einführung des Bonus-Malus-Systemsin dem Zusammenhang soll die Qualität sichern. Geradekönnen wir in der Zeitung über die hohe Akzeptanz die-ser Vorgehensweise lesen.

Der zweite Fördertopf beinhaltet die Finanzierung vonInfrastrukturmaßnahmen, die aber nur dann gewährtwird, wenn sie – da kommt das Stichwort Wettbewerb insSpiel – diskriminierungsfrei für alle Anbieter im ÖPNVzur Verfügung gestellt wird.

Meine Damen und Herren, der am meisten diskutiertePunkt in Verbindung mit dem neuen ÖPNV-Gesetz stehtgar nicht im ÖPNV-Gesetz. Das ist nämlich die Frage, wiedie Vergabe nach dem Besteller-Ersteller-Prinzip in derRealität zustande kommt. Herr Wagner, Sie haben ge-nauso wie Herr Posch deutlich unterstrichen, dass Sie die-ses Prinzip für richtig halten.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Wir auch!)

– Herr Dr. Lübcke, von Ihnen habe ich das unterstellt. – Esist klar, dass diese Vergabe auf der Basis einer Ausschrei-bung zustande kommt, bei der das Prinzip der Leistungs-gerechtigkeit den Vorzug erhält. Meine sehr verehrtenDamen und Herren, es kann nicht sein, dass beispiels-weise kommunale Unternehmen oder andere öffentlicheUnternehmen hohe Zuschussbeträge einfordern, sie er-halten, sich aber nicht dem Leistungswettbewerb stellen.Der Leistungswettbewerb – das sehen wir auch in ande-ren Bereichen – dient vor allem den Kunden und damitden Nutzern, d. h. – den Passagieren, hätte ich fast gesagt– den Nutzern des ÖPNV in Hessen. Die Zahlen sind kon-tinuierlich gestiegen, und sie werden bei der Qualität, diewir haben, auch weiter steigen.

Ich will nicht zu lange reden, weil ich weiß, dass Sie auf dieUhr schauen. Lassen Sie mich einige wenige Punkte ausder kontroversen Debatte noch einmal aufgreifen. Zumeinen sind die Deckungsgrade im Schienenverkehr imländlichen Gebiet heute geringer als die Deckungsgradeim Ballungsraum, speziell bei der S-Bahn. Dennoch müs-sen wir dafür sorgen, dass auch dauerhaft gerade im länd-lichen Gebiet ein ausreichendes qualitatives und auchzeitlich dichtes Angebot im ÖPNV-Verkehr vorhandensein wird. Deswegen muss die Mittelausstattung so sein,dass dies auch auf Dauer gewährleistet wird.

Deswegen ist es so, dass wir die Mittel, die uns aus derBundeskasse zugewiesen werden – Stichwort: Regionali-sierungsgesetz –, vollständig an die Verkehrsverbündeweiterreichen, die sie ihrerseits für die regional bestelltenVerkehre verwenden, aber auch die lokalen Aufgabenträ-ger, die LNGs, entsprechend unterstützen. Dies reichtaber in Zukunft nicht aus, nicht nur deswegen, weil wir dieQualität weiter steigern wollen, sondern auch deswegen,weil aufgrund der Inflationsrate die reale Kaufkraft, dieeingebracht werden kann, sinken wird. Deswegen bleibtnur eine Variante übrig, nämlich das, was durch Effizienz-steigerung zu erreichen ist, durch Ausschreibung heraus-zulösen und dem Kunden verfügbar zu machen. Das ist inHessen eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen.

(Beifall bei der CDU)

Hierzu nur zwei Zahlen.Wir haben inzwischen etwa 19 %der regionalen und lokalen Busverkehre ausgeschrieben,

und wir haben trotz höherer Qualität – Niederflurbusse,Klimaanlagen in den Bussen – eine Einsparung von 20Millionen c pro Jahr. Das ist in der Tat ohne Beispiel, weildadurch zum einen die Kreise entlastet werden, was dieUmlage betrifft – übrigens auch ein interessanter Ansatzin der Frage des Finanzausgleichs, den man einbeziehenmuss –, und weil zum anderen die Qualität und damit derUmfang der Angebote sukzessive erweitert werden kön-nen, sei es bezüglich der Länge der Strecken oder bezüg-lich einer höheren Taktintensität.

Ich will noch einen Punkt aufgreifen, weil dieser, bezogenauf die Ausschreibung, von zwei Seiten angesprochenworden ist. Frau Pfaff, es ist richtig, dass die Kommunenauf der einen Seite Kritik an diesem Gesetz geäußert ha-ben, vor allem an der Ausschreibungspraxis; denn dieKommunen sitzen in einem warmen Nest, weil sie sich inder Vergangenheit nicht danach richten mussten, was an-dere Anbieter zu leisten in der Lage sind.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Deswegen kann ich Herrn Wagner nur zustimmen, wenner sagt, genau hier muss deutlich werden, dass die öffent-lichen Mittel, auch die Mittel der kommunalen Haushalte,nicht verschwenderisch eingesetzt werden dürfen.

(Zurufe von der SPD)

Das ist ein Gebot der Stunde. Sehr verehrte Frau Pfaff, aufder anderen Seite haben Sie gesagt, dass auch die Mittel-ständler Kritik geübt hätten. Die Mittelständler habenaber an der bisherigen Situation Kritik geübt, dass näm-lich kommunale Unternehmen bereit sind – und es offen-bar auch realisiert haben –, an Ausschreibungen außer-halb des kommunalen Gebietes, in dem sie beheimatetsind, teilzunehmen. Ich unterstreiche diese Kritik. Sie hataber nichts mit der Kritik am ÖPNV-Gesetz zu tun, son-dern sie spornt uns an, an der Zielsetzung festzuhaltenund dafür zu arbeiten.

Eine kurze Anmerkung zum Thema Wettbewerbsfähig-keit der kleinen und mittelständischen Unternehmen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ob Sie es leug-nen wollen oder nicht, Realität und Fakt ist Folgendes. Be-vor wir vor zwei Jahren mit den Ausschreibungen begon-nen haben, wurden 85 % der regionalen und lokalen Bus-linien von der DB Regio bedient. Wenn wir heuteschauen, wer bei den 19 % inzwischen ausgeschriebenenBuslinien den Zuschlag bekommen hat, wer also denWettbewerb gewonnen hat, dann sehen wir, dass 26 %dieser Verkehre durch mittelständische private Busunter-nehmen bedient werden. Sie sind die großen Gewinnerdieses Ausschreibungswettbewerbs. Wenn man hinzu-nimmt, dass weitere 25 % der Verkehre – das sind zusam-men also über 50 % – von privaten und kommunalenUnternehmen, die sich zusammengeschlossen haben, indiesem Ausschreibungswettbewerb gewonnen wurden,dann kann man sich in der Tat nicht hierhin stellen und sa-gen, dass die privaten Busunternehmer, insbesondere dieMittelständler, die Verlierer seien. Nein, sie sind die Ge-winner dieses offenen Systems, das im Sinne eines Leis-tungswettbewerbs den Besseren nach vorne bringt.

(Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben inden Gesprächen mit dem LHO, mit dem Verband derOmnibusunternehmer, deutlich gemacht, dass wir derenPunkte mit aufnehmen. Es geschieht bereits, dass wirkleine Teillose vergeben, hier und da bereits in der Grö-ßenordnung von 160.000 km pro Jahr. All das wollen wir

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5567

deutlich machen, auch in dem Erlass. Deswegen werdenwir in dem Erlass alle Punkte aufnehmen, einschließlichderer, die aufgrund der in dem Verordnungsentwurf derEU erkennbaren Linie jetzt möglich sind.

Die EU hat nun endgültig Rechtsklarheit geschaffen,auch was mögliche Ausnahmen angeht. Wichtig ist, sehrgeehrte Frau Pfaff, dass die Ausnahmen nicht den Blickauf die Hauptsache verstellen. Die Hauptsache ist, soschreibt die EU in ihrem Verordnungsentwurf eindeutigfest, dass alle Verkehrsleistungen als Konzessionen verge-ben werden – was ein zeitlich begrenztes Monopol dar-stellt, wie wir wissen – und dass alle Verkehrsleistungen,auch die in der deutschen Terminologie vorkommendenso genannten eigenwirtschaftlichen Linien, die es de factonicht gibt, ausgeschrieben werden müssen, bevor sie inForm einer Konzession vergeben werden. Damit stehtfest, dass die EU-Kommission den hessischen Weg – damitstehe ich durchaus in der Kontinuität meiner beiden Vor-gänger – voll und ganz bestätigt. Sie hat aber – dafür binich dankbar – auch Klarheit bezüglich der Ausnahmenfestgeschrieben. Für diese Ausnahmen gelten sehr, sehrstrenge Kriterien.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Herr Rhiel, gestatten Sie eine Zwischenfrage der KolleginPfaff?

Dr. Alois Rhiel, Minister für Wirtschaft, Verkehr und Lan-desentwicklung:

Ich möchte das erst zu Ende führen, dann gerne.

Die für Ausnahmen geltende Formulierung lautet, dasseine Direktvergabe innerhalb eines kommunalen Gebie-tes an einen kommunalen Aufgabenträger dann erfolgenkann, wer er sich mit seinem Betrieb hundertprozentig aufsein Gebiet konzentriert, nicht an einer Ausschreibungjenseits dieses Gebietes teilgenommen hat und nicht mitDritten verbunden jenseits seines Gebietes an einer Aus-schreibung oder an einer Vergabe teilgenommen hat.Wenn Sie auf die Landkarte Hessens schauen, werden Sieerkennen, dass es hier nur ganz, ganz wenige Ausnahmengibt.

Wir werden, wenn wir dies zulassen, aber auch deutlichmachen, dass dies nicht zulasten der großen ÖPNV-Ge-meinschaft gehen darf, dass die Kommunen nicht gleich-zeitig Zuschüsse empfangen können, wenn sie sich wei-gern, die Effizienzreserven auszuschöpfen. Das werdenwir nicht zulassen, denn das würde ein unsolidarischesVerhalten gegenüber der Gemeinschaft der ÖPNV-Teil-nehmer bedeuten. Deswegen ist klar, dass unser Weg vollbestätigt ist, dass wir Ausnahmen entsprechend handeln

können und für Hessen eine Basis geschaffen worden ist,die den Kunden dient. Das ist das eigentliche Ziel.

Jetzt bin ich bereit für eine Zwischenfrage. – Okay, keineFragen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Bittegehen Sie mit uns gemeinsam diesen Weg.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Dr. Rhiel. – Herr Kollege Kahl hat dasWort zur Geschäftsordnung.

Reinhard Kahl (SPD):

Namens meiner Fraktion beantragen wir die dritte Le-sung für diesen Gesetzentwurf.

Vizepräsidentin Sarah Sorge:

Vielen Dank, Herr Kahl. – Wir sind am Ende der Aus-sprache, da es keine weiteren Wortmeldungen gibt.

Die dritte Lesung ist beantragt. Daher sollten wir be-schließen, dass dieser Gesetzentwurf nach der zweiten Le-sung zur Vorbereitung der dritten Lesung dem Ausschussfür Wirtschaft und Verkehr überwiesen wird. Wird demwidersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieserGesetzentwurf dem Ausschuss überwiesen.

Der Tagesordnungspunkt 26 soll ebenfalls an den Aus-schuss für Wirtschaft und Verkehr überwiesen werden.Gibt es dagegen Widerspruch? – Nein, dann machen wirdas so.

Über Tagesordnungspunkt 46 lasse ich abstimmen. Werstimmt der Beschlussempfehlung zu? – Gegenstimmen? –Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmender Fraktionen der CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund der FDP gegen die Stimmen der SPD-Fraktion ange-nommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 48:

Beschlussempfehlungen der Ausschüsse zu Petitionen –Drucks. 16/4469 –

Wer den Beschlussempfehlungen zu den Petitionen zu-stimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit sind die Be-schlussempfehlungen angenommen.

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Tages-ordnung. Ich beende die heutige Sitzung. Wir treffen unsmorgen früh um 9 Uhr wieder. Ich wünsche Ihnen allen ei-nen schönen Abend.

(Schluss: 17.35 Uhr)

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Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · 80. Sitzung · 12. Oktober 2005 5569

Anlage (zu Tagesordnungspunkt 40)

Abstimmungsliste

über die namentliche Abstimmung zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD bereffend Unterstützung

der Kommunen im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main – Drucks. 16/4524 –

Name der/des Abgeordneten

Frak- tion

ja nein ent-halten

gefehlt

Al-Wazir, Tarek GRÜNE x Apel, Elisabeth CDU x Becker (Nidda), Gerhard SPD x Beer, Nicola FDP x Bellino, Holger CDU x Bender, Bernhard SPD x Beuth, Peter CDU x Bocklet, Marcus GRÜNE x Boddenberg, Michael CDU x Bökel, Gerhard SPD x Bouffier, Volker CDU x Caspar, Ulrich CDU x Corts, Udo CDU x Denzin, Michael FDP x Dietz, Klaus CDU x Dietzel, Wilhelm CDU x Dörr (Bergstraße), Ilona CDU x Eckhardt, Hannelore SPD x Erfurth, Sigrid GRÜNE x Faeser, Nancy SPD x Frankenberger, Uwe SPD x Frömmrich, Jürgen GRÜNE x Fuhrmann, Petra SPD x Gerling, Alfons CDU x Gotthardt, Frank CDU x Gottschalck, Ulrike SPD x Grumbach, Gernot SPD x Grüttner, Stefan CDU x Habermann, Heike SPD x Hahn, Jörg-Uwe FDP x Hammann, Ursula GRÜNE x Hartmann, Karin SPD x Haselbach, Rudi CDU x Häusling, Martin GRÜNE x Heidel, Heinrich FDP x Henzler, Dorothea FDP x Hermanns, Rüdiger CDU x Herr, Dr. Norbert CDU x Hoff, Volker CDU x Hoffmann, Christel SPD x Hofmann, Heike SPD x Hofmeyer, Brigitte SPD x Hölldobler-Heumüller, Margaretha GRÜNE x Holler, Christoph René CDU x Holzapfel, Hartmut SPD x von Hunnius, Roland FDP x Irmer, Hans-Jürgen CDU x Jung (Rheingau), Dr. Franz Josef CDU x Jürgens, Dr. Andreas GRÜNE x Kahl, Reinhard SPD x Kartmann, Norbert CDU x Kaufmann, Frank-Peter GRÜNE x Klee, Horst CDU x Klein (Wiesbaden), Armin CDU x Klein (Freigericht), Hugo CDU x

Name der/des Abgeordneten

Frak- tion

ja nein ent-halten

gefehlt

Klemm, Lothar SPD x Koch, Roland CDU x Kölsch, Brigitte CDU x Kühne-Hörmann, Eva CDU x Landau, Dirk CDU x Lannert, Judith CDU x Lautenschläger, Silke CDU x Lenhart, Roger CDU x Lennert, Dr. Peter CDU x Lenz, Aloys CDU x Lortz, Frank CDU x Lübcke, Dr. Walter CDU x May, Jürgen SPD x Milde (Griesheim), Gottfried CDU x Möller, Klaus Peter CDU x Müller (Gelnhausen), Dr. Rolf CDU x Oppermann, Anne CDU x Osterburg, Gudrun CDU x Otto, Reinhard CDU x Pauly-Bender, Dr. Judith SPD x Peuser, Helmut CDU x Pfaff, Hildegard SPD x Pighetti, Marco SPD x Posch, Dieter FDP x Quanz, Lothar SPD x Ravensburg, Claudia CDU x Reif, Clemens CDU x Reißer, Rafael CDU x Rentsch, Florian FDP x Reuter, Dr. Michael SPD x Rhein, Boris CDU x Riege, Bernd SPD x Rudolph, Günter SPD x Schäfer-Gümbel, Thorsten SPD x Schmitt, Norbert SPD x Scholz, Angelika CDU x Schulz-Asche, Kordula GRÜNE x Siebel, Michael SPD x Sorge, Sarah GRÜNE x Spies, Dr. Thomas SPD x Tesch, Silke SPD x Wagner (Lahntal), Dr. Christean CDU x Wagner (Taunus), Mathias GRÜNE x Wagner (Darmstadt), Ruth FDP x Walter, Jürgen SPD x Waschke, Sabine SPD x Weimar, Karlheinz CDU x Weinmeister, Mark CDU x Wiegel, Kurt CDU x Williges, Frank CDU x Wintermeyer, Axel CDU x Wolff, Karin CDU x Ypsilanti, Andrea SPD x Zeimetz-Lorz, Birgit CDU x Ziegler-Raschdorf, Margarethe CDU x