Hirnfoschung Affe Im Labor

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    Was soll der Affe im Labor?

    In Bremen wird ber Hirnversuche an Primaten gestrittenVON Ulrich Schnabel | 06. Juni 1997 - 14:00 Uhr

    Die Stimme von Gerhard Roth am Telefon klingt leicht beunruhigt. "Ein Gesprch ber

    die Tierversuche hier in Bremen ? Das knnen wir gerne machen, aber...", kommt der

    bedeutungsvolle Nachsatz: Er bitte doch darum, das Thema eher allgemein zu diskutieren.

    "Sonst haben wir nmlich die militanten Tierschtzer aus Mnchen und Gttingen auf dem

    Hals."

    Darf man, soll man trotzdem ber Tierversuche debattieren? In Bremen ist diese Frage

    lngst mit Ja beantwortet. Rund 18 000 Brger haben mit ihrer Unterschrift bereits dagegen

    protestiert, da im kommenden Wintersemester an der Universitt Bremen Experimente mitMakakenaffen stattfinden sollen. Im Weser-Kurier machte sich die Volksseele seitenlang in

    Leserbriefen Luft.

    Parteipolitische Vortrge, eine ffentliche Anhrung im Rathaus und kommende

    Woche gar eine Abstimmung im Bremer Parlament - selten erregt Wissenschaft so viel

    Aufmerksamkeit.

    "Eine Katastrophe", sagt Wolfgang Apel, der Vorsitzende des Bremer Tierschutzvereins,

    falls die geplanten Versuche an Makakenaffen bewilligt wrden. "Eine Katastrophe",

    sagt der Hirnforscher Gerhard Roth, falls das Projekt vom Parlament abgelehnt werde.Beiden Seiten geht es ums Grundstzliche: Sind Affenversuche in der Forschung ethisch

    vertretbar?

    Mssen Tiere der Wissenschaft wegen leiden - oder mu die Forschung um der Tiere

    willen leiden?

    Der Streit in Bremen entzndet sich an der Berufung des hoffnungsvollen

    Nachwuchswissenschaftlers Andreas Kreiter. Der 33jhrige soll im kommenden

    Wintersemester einen Lehrstuhl fr theoretische Neurobiologie bernehmen und will

    auch Experimente mit Makakenffchen anstellen. Fr Gerhard Roth, den Sprecher

    des Sonderforschungsbereiches "Neurokognition" ist diese Berufung nur folgerichtig.

    Schlielich soll an der Bremer Universitt ein Zentrum der deutschen Hirnforschung

    entstehen. Und um das Funktionieren des Geistes zu entrtseln, reicht es eben nicht aus,

    Zellkulturen zu studieren oder bunte Computerbilder auszuwerten. Das Gehirn selbst mu

    auf den Prfstand - und der Affe wird dabei oft zum Stellvertreter des Menschen.

    Vor allem in der Hirnforschung spitzt sich daher immer wieder der Streit zwischen

    Wissenschaftlern und Tierversuchsgegnern zu. Rein rechtlich sind die Forscher dabei in der

    strkeren Position: Die "Freiheit von Forschung und Lehre" ist im Grundgesetz verankert,

    der Tierschutz hingegen nicht. Das fhrt bei den Tierfreunden mitunter zu ohnmchtiger

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    Wut - und zu militantem Aktionismus. "Wenn auch nur einem Affen ein Haar gekrmmt

    wird, wirst Du bei lebendigem Leibe in Stcke zerschnitten. Bei Gott!!! Wir kennen

    Deine Lebensgewohnheiten genau und lauern Dir auf. Dir und deiner Familie", schrieben

    militante Tierversuchsgegner vor einigen Jahren einer Mnchner Forscherin, die ebenfalls

    einen Antrag auf Versuche an Makakenaffen gestellt hatte.

    "Viele gute Nachwuchsforscher wandern inzwischen aus", meint der Frankfurter

    Hirnforscher Wolf Singer resigniert. Schlielich gibt es allein in New York mittlerweile

    mehr Neuro-Labors, die mit Primaten arbeiten, als in ganz Deutschland. Hierzulande

    dagegen legen die Forscher auf ffentliche Diskussionen verstndlicherweise wenig Wert.

    Der Streit in Bremen zeigt beispielhaft, wohin das fhrt.

    Anstatt die brisante Besetzung schon im Vorfeld ausfhrlich zu diskutieren, bringen

    die Bremer Hirnforscher das Berufungsverfahren zunchst auf die bliche Bahn. Erstdurch eine Meldung in der Tageszeitung erfhrt der rtliche Tierschutzverein davon, kurz

    bevor deren Vorsitzender Wolfgang Apel als Mitglied einer universitren beratenden

    Kommission sein Votum dazu abgeben soll. Apel, zugleich Prsident des Deutschen

    Tierschutzbundes, fhlt sich hintergangen und organisiert eine Gegenkampagne.

    Eine Zielscheibe der Kritik ist auch Gerhard Roth. Er ist nicht nur Direktor des Instituts fr

    Hirnforschung, Sprecher des Sonderforschungsbereiches und Rektor des neu gegrndeten

    Hanse-Wissenschaftskollegs, sondern auch noch Tierschutzbeauftragter der Bremer

    Universitt. Roth ("Ich habe mich um dieses Amt nie gerissen, aber einer mu es ja

    machen") versucht die Berufung Kreiters zu verteidigen. So verweist er unter anderemauf den medizinischen Nutzen von Kreiters Forschung. "Diese Erkenntnisse werden dazu

    beitragen, die Situation von Personen mit neurologischen oder psychischen Strungen

    zu verbessern." Roth erwhnt in diesem Zusammenhang die Alzheimersche Demenz,

    Parkinson, Schizophrenie und Multiple Sklerose - und schiet damit wohl etwas bers Ziel

    hinaus.

    Denn die Arbeit von Andreas Kreiter ist reine Grundlagenforschung.

    Anwendungen liegen (noch) in weiter Ferne. Der junge Forscher selbst redet auch nicht von

    direkt verwertbaren Ergebnissen, sondern sagt: "Natrlich knnen wir geistige Krankheitenerst dann richtig heilen, wenn wir genau wissen, wie das Gehirn funktioniert." Kreiter hofft,

    da seine Experimente dazu beitragen. Er will herausfinden, wie aus einzelnen optischen

    Reizen am Ende im Gehirn eine zusammenhngende Wahrnehmung entsteht. Dazu pflanzt

    er seinen Makakenaffen kleine Elektroden ins Gehirn ein, mit denen sich die Aktivitt

    der Nervenzellen messen lt. Whrend die Affen auf einem Bildschirm Lichtpnktchen

    beobachten und verschiedene Wahrnehmungsaufgaben lsen, verfolgt Kreiter die neuronale

    Ttigkeit im Affenhirn.

    Der Versuch klingt gruseliger, als er ist. hnliche Experimente wurden auch schon am

    Menschen gemacht. Denn das Gehirn ist schmerzunempfindlich. Der amerikanische

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    Neurophysiologe Benjamin Libet, der als einer der ersten Elektroden in das Hirn von

    Patienten einfhrte, unterhielt sich whrend seiner Versuche sogar mit seinen Probanden.

    "Wenn man so ein Experiment noch nie gesehen hat, kann man das kaum glauben", sagtKreiter. "Man kann die Elektroden sogar ins Gehirn vorschieben, whrend der Affe wach

    ist und auf den Bildschirm blickt - er reagiert nicht einmal."

    Allerdings mssen zuvor zwei Zentimeter breite "Fhrungsrohre" auf der Schdeldecke des

    Affen befestigt werden. Doch das, so argumentiert Kreiter, geschehe unter Vollnarkose,

    und die Tiere bekmen davon berhaupt nichts mit.

    "Wir knnen sowieso nur mit den Makaken experimentieren, wenn es ihnen gutgeht. Ein

    Affe, der sich nicht wohl fhlt, kann sich niemals den hochkomplexen Aufgaben widmen,

    die wir ihm abverlangen", erklrt Kreiter.

    Dennoch bleibt die Grundfrage: Unter welchen Umstnden drfen Tiere fr die Forschung

    benutzt werden? Denn auch wenn das Grundgesetz die Forschungsfreiheit garantiert, darf

    das nicht bedeuten, da jedes unsinnige Experiment an Tieren erlaubt ist.

    Je strker ihre geistigen Fhigkeiten ausgeprgt sind, desto empfindsamer sind Tiere

    vermutlich. Whrend nur die wenigsten Skrupel haben, etwa Regenwrmer an Angelhaken

    zu hngen, ist daher bei Primaten zu Recht Zurckhaltung geboten. Doch auch bei ihnen

    gibt es augenscheinlich verschiedene Bewutseinsstufen. Am menschenhnlichsten sind

    die Schimpansen und Orang-Utans. Sie knnen sich als einzige Affenarten selbst im

    Spiegel erkennen - mithin mssen wir ihnen wohl so etwas wie Selbsterkenntnis zubilligen.

    Makakenffchen dagegen fehlt diese Form von Bewutsein. Verlaufen die Versuche -

    wie Andreas Kreiter versichert - wirklich schmerzfrei fr das Tier, lt sich daher logisch

    nur schwer dagegen argumentieren. Doch wie steht es damit, da die ffchen vorzeitig

    eingeschlfert werden, weil die Forscher am Ende der Versuche auch deren Gehirn

    untersuchen wollen?

    Da steht das Lebensinteresse des Tieres gegen das Forscherziel. Fr den Tierschutzbund ist

    es "eine ungeheuerliche Zumutung, berhaupt ber den Einsatz von Primaten diskutieren zu

    mssen". Wolfgang Apel spricht von einer "Spielwiese" fr die Forschung und kann wenig

    Sinn in dem Bemhen erkennen, irgendwann einmal eine umfassende Theorie des Geistes

    zu haben. Der Tierschutzbeauftragte der Universitt und Hirnforscher Gerhard Roth sieht

    das verstndlicherweise anders: "Dieses Ziel rechtfertigt die Versuche."

    Allerdings kann Roth sich auch vorstellen, da genau diese Art der Forschung eines Tages

    dazu fhrt, da man hherentwickelte Tiere mehr als bisher als bewute Wesen betrachtet

    und damit die Experimente mit ihnen zunehmend verpnt werden.

    Die nchste Gelegenheit dazu gibt es schon im September in Bremen. Dann wird die erste

    Tagung des Hanse-Wissenschaftskollegs veranstaltet. Thema: "Tierisches Bewutsein".

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    Der Bewutseinsphilosoph Thomas Metzinger, erster Fellow des Hanse-Kollegs und

    seit zwanzig Jahren berzeugter Vegetarier, hlt allerdings die Aufregung um die

    Bremer Tierversuche zum Teil auch fr Heuchelei: "Es ist in unserer Gesellschaft vllig

    sanktioniert, Tiere zu essen, sie in elenden Stllen zusammenzupferchen oder auf der

    Autobahn totzufahren." Da sei der Protest gegen angeblich skrupellose Wissenschaftler

    fr viele ein willkommener Anla, tierfreundliche Gesinnung zu zeigen und unbewute

    Schuldgefhle abzubauen.

    COPYRIGHT: DIE ZEIT, 24/1997ADRESSE: http://www.zeit.de/1997/24/Was_soll_der_Affe_im_Labor_

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