HÖLDERLIN - Große Stuttgarter Ausgabe 7.2 - Dokumente 1794 - 1822

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HÖLDERIIN SÄMTLICHE WERKE 1 ,2 Dokumente / 1794-1822 V. ' GROSSE STUTTGARTER AUSGABE

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  • HLDERIIN

    SMTLICHE

    W E R K E

    1 , 2

    Dokumente /

    1794-1822

    V . '

    G R O S S E

    S T U T T G A R T E R

    A U S G A B E

  • H L D E R L I N G R O S S E S T U T T G A R T E R A U S G A B E

  • H L D E R L I N

    S M T L I C H E W E R K E

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    VERLAG W. K O H L H A M M E R

    STUTTGART 1972

  • S T U T T G A R T E R H L D E R L I N - A U S G A B E

    I M A U F T R A G D E S K U L T U S M I N I S T E R I U M S B A D E N - W R T T E M B E R G

    H E R A U S G E G E B E N V O N

    F R I E D R I C H B E I S S N E R

  • SIEBENTER BAND

    D O K U M E N T E

    H E R A U S G E G E B E N V O N A D O L F B E C K

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    DOKUMENTE 1794-1822

  • W A L T E R S H A U S E N JENA N R T I N G E N

    1794-1795

  • Hlderlin in Nrnberg Nr. 130

    150. H L D E R L I N IN N R N B E R G

    a. Vermerk in der Fremdenliste

    Fremde so allhier angekommen.

    D e n 25. {Dezember 1793). . : H e r r Professor Hlder l in von S tu t tga rd

    und Monsieur de Rernio von Frankreich, mit 1 Bedienten, log. in Mond-

    schein in Gostenhof.

    b. Eigenhndiger Eintrag im Lesehabinett

    M. Hlderlin aus dem Wrtembergischen.

    Eingefrt durch HE. Legationssecretr Schubart.

    d. 26 Dec. 1793.

    berlieferung a. Nrnbergische Frag- und Anzeig-Nachrichten 1793, Nr. CIV

    5 S. 4. b.H: SeeshauptlObb., Dr. Ernst Meyer: Fremdenbuch des Nrnberger Lese-

    kabinetts; Titel in Zierschrift: Namen derienigen fremden Herren, welche das Lese-

    cabinet besucht haben. Der Eintrag: S. 33.

    Erluterungen Mitte Dezember 1793 war Hlderlin von Nrtingen, am 20. von

    Stuttgart nach Waltershausen aufgebrochen. Darber s. die Einfhrung zu B 68, ber

    10 die Reise und die Ankunft B 6971. a. 2 Der Vermerk in der Fremdenliste vom

    2S.12. wird nicht durch einen vom Sonntag, 22.12., an dem Hlderlin lautB 70, 24f.

    von Stuttgart her in Nrnberg ankam, ergnzt, aber gesttzt durch seinen Eintrag in b.

    am 26.12. Er reiste am 24. von Nrnberg nach Erlangen, feierte dort am 2S. mit seinem

    Landsmann und Vetter Jger von Stuttgart einen recht vergngten Christtag und

    15 hrte in der Universittskirche eine kstliche schn und hellgedachte Predigt von

    Prof. Animon (B 71, 43-46; 70, 24-28), kam aber gegen Abend nochmals nach

    Nrnberg, das ihm schon das erstemal als ehrwrdiger Ort mit seinen gothischen

    Pallsten, imd emsigen Einwonem vorgekommen war (B 71, 39f.). ber die Unstim-

    migkeit zwischen den zwei unwidersprechlichen Nrnberger Zeugnissen vom 2J. und 26.

  • Nr. 130. Hlderlin in Nrnberg. Ch.v.Kalb an Schiller

    12. und den Zeitangaben in B 69-71 s. die Erl. zu B 70, lS-34, dazu Martin Trenks, 20

    JVann war Friedrich Hlderlin in Coburg? (Coburger Tageblatt, 5.1.196S, Nr. 3, S.7.

    Trenks nimmt brigens an, in Coburg sei das Gasthaus Zum Schwan in der Spitalgasse

    Hlderlins Herberge in deifr ihn sehr kurzen Nacht vom 27. zum 28.12. gewesen.)

    2 Professor] Der Titel mag auf die Torwache der Reichsstadt und auf die Selbstbe-

    zeichnung des Gastes als Informator zurckgehen. 3 Mondschein] an^pruc/is- 25

    loseres Gasthaus in der Vorstadt; s. die Erl. zuB70,lS-H.-b. ber das Lesekabinett,

    ein privates, mit Journalen wohlversehnes Institut, S.B71,42 und die Erl. z. St. - Auer-

    dem war Hlderlin, sicher ebenfalls von Ludwig Schubart hingefhrt, auf einem Lust-

    hause, wo er wie im Lesekabinett ser kultivirte Menschen kennen lernte (B 71, 42f.).

    2 Schubart] Der Sohn des Dichters, derzeit preuischer Gesandtschaftssekretr in 30

    Nrnberg; s. B 70,18(-24) und die Erl. z. St.

    131. C H A R L O T T E VON KALB AN S C H I L L E R

    Jena, 10. Januar 1794

    Sie werden nun lngst durch meinen leztern Brief wissen da ich

    Holderlins Ankunft in Waltershausen noch nicht wnschte - aber die-

    ser m Brf kam zu spt, er war abgereit als ich seine Ajikunft erfuhr

    - hat es mich einiger Maasen betroffen - denn ich wolte Munch mit

    dieser bessern Bekanntschaft verschonen; und was noch mehr war. 5

    weder Bertuch noch mein Schwager hatten den Mnch wissen lassen

    das meinn fr ihn eine andere Versorgung suchte - u mein Mann es

    ihm nicht gesagt. Nun ist bey mir aber jeder unangenehme Ein-

    druck vorber; ich habe Ein beyde geschrieben, und die Wahrheit die-

    ses Zufalls erzehlt. Auch Mnch bestimt warum ich mit ihn in diesem lo

    Verhltnis nicht leben knnen mag, noch will. Dies liegt blos in mei-

    nen Begrifen u Individualitt: nicht an ihn -

    Auch Hlderlin hat mir geschrieben ehe er selbst meinen Brief er-

    halten hatte - und einen vortrefl. Brief so hellsehend ber Fritz - so

    wrdigend seinen Beruf. 0 mein Freund mein Wohlthter. ich Ahnde 15

    die Erfllung meines feurigsten Verlangens. Die veredelte Bildung

    meines Sohnes.

  • Ch.v.Kalb an Schiller. F. K. an Ph. Hiemer Nr. 131. 132

    berlieferung H: Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv. Erster Druck: Julius

    Petersen, Die Briefe Charlottens von Kalb an Schiller, Jahrbuch der Goethe-Gesell-

    IQ scha 12, 1926,3.130.

    Erluterungen Ch. von Kalb und ihre Familie: s. die Einfhrung zu B 70. (ber

    ihre Schreibweise s. die einleitende Erl. zu T-/D 99.) Schiller war noch in seiner Heimat,

    Charlotte seit dem September 1793,bis Mitte Mrz 1794, in Jena. 1 Brief] Nicht erhal-

    ten. 2 Kn'kur\{t] Vgl. B70,49-S3 und die Erl. z. St. Munch] Mnch: s. LD 99a,

    25 17 und die Erl. z. St. 6 Bertuch] Friedrich Johann Justin (1747-1822), Unterneh-

    mer, auch bersetzer und Verleger, in Weimar; mit Charlottens Schwager in geschft-

    lichen Beziehungen. 6 Schwager] Der entlassene Kammerprsident Johann August

    von Kalb, der Mnch als Sekretr bernahm. 1315 Weder Hlderlins vortrefl. Brief

    aus Waltershausen, auf Grund erster Eindrcke von seinem Zgling, noch sein voriger

    30 aus der Heimat noch der Charlottens an ihn ist erhalten, obwohl er ihn aufbewaren

    wollte; er war davon beglckt und teilte seiner Schwester einen hochgespannten Satz

    daraus mit ( 72, 2327 = Ba 18). Wie ernst er seinen Beruf (IS) nahm, zeigt noch

    im Mrz seine Rechenscliaft vor Schiller in B 76. ber die weitere, ungute Entwicklung

    s. Charlottens sptere Briefe (LD 138, 139, 141, 144, 147).

    132. FRANZ KARL H I E M E R AN S E I N E N BRUDER P H I L I P P

    Calw, 29. Mrz 1794

    Schreibst Du nie ein Hlder l in , oder Mgling Sage mir, was sie

    machen, und wie sie sich befinden, auch vom Hege l erfahr' ich keine

    Silbe.

    berlieferung H: Stuttgart, Frau Else Rath-Hring: eingeheftet ins Hand-

    5 exemplar des Buches von Hanns - Wolf gang Rath, Regina die schwbische Geistesmut-

    ter, Ludwigsburg und I^eipzig 1927, nach S.60. Erster Druck: Rudolf Krau, Aus

    F. K. Hiemers Leben, Wrtt. Vierteljahrshefte N.F. IS, 1906, 5. S84.

    Erluterungen F. K. Hiemer: s. B 6, 36 und die Erl. z. St.; Philipp: s. LD 22

    Nr. 28 und die Erl. z. St. sowie LD 97. Hlderlins Verbindung mit den lustigen Brdern

    10 ri wohl wie die Hegels (2) mit seinem Weggang aus der Heimat ab; auer der bei-

    lufigen Frage in B 80, SO gibt es kein Zeugnis ihres weiteren Bestandes. 1 Mgling]

    Kompromotionale; s. LD 22 Nr. 21 und bes. die Erl. zu B 84, 42.

  • Nr. 133. 134 Magenau an Neuffer. Ch.v.Kalb on Karoline Herder

    133. MAGENAU AN N E U F F E R

    Markgrningen, 6. Mai 1794

    Nun habe ich mein Vaihingen quittirt, u. lebe hier bei den Meinigen

    mit mr. Braut. . . Ich besorge fast, von Dir vergessen zu seyn, wenig-

    stens hat sich zwischen Dich u mich ein Dmon Argwohn eingeschli-

    chen, den ich nicht lnger dulden kann, - nicht einmal so lange htte

    dulden soUen. La ihn uns verbannen, u . verzeih mir brderlich, 5

    wenn ich Anla zu seinem Einflsse gegeben habe. Bald men wir

    uns trennen, sollte die schne 9. Jar lange akadem. Frdschaft so zerrt-

    tet werden? sollten Bagatelle uns scheiden? . . .

    Du weist, da mein Examen bis nchsten Freitag ist, ich wollte Dir

    nur sagen, da ich schon am Mittwoch in Stuttg. eintreffe, u da hoffe lo

    ich Dich gewis zu sprechen, nur mu sich Deine bei unsrer lezten Zu-

    sammenkunft so derb gerunzelte Stirne entfaltet haben. Zu was Fehde

    zwischen zween Brdern unsrer Art. Von Hlderlin will ich Dir 1. Brif

    an mich mitbringen.

    berlieferung Ii: Stuttgart, Cod. hist. 4 447 l Nr. 12: Briefe an Neuffer. 15

    Erluterungen Magenau (s. die Erl. zu B 33,11 und die Einfhrung zuBa4) war

    in Vaihingen an der Enz (1) Vikar gewesen und soeben in die Pfarrei Niederstotzingen

    (nordstlich Ulms) eingesetzt worden. 3 Argwohn] Hlderlin und Neuffer waren be-

    fremdet von Magenaus Einheirat; s. B IS, 8890: auch Hlderlin wollte den derbe-

    ren, lebensgerechten Freund, von dem er im November 1793 so herzlich Abschied genom- 20

    men (s. LD 12f), noch nicht ganx wegwerfen; Anzeichen dafr ist wohl auch sein

    verlorner Brief (13 f.). Doch verkmmerte die Freundschaft unaufhaltsam. 7 9. Jar]

    178291: Magenau zhlt die vier Jahre in Denkendorf und Maulbronn mit. 9 bis]

    Schwbisch in Terminangaben oft fr am. 9 Examen] For dem Konsistorium in

    Stuttgart; obligat vor Antritt einer (neuen) Pfarrei. 25

    134. C H A R L O T T E VON KALB AN K A R O L I N E H E R D E R

    Waltershausen, 18. Juni 1794

    ich lege Ihnen hier ein Gedicht bey von den Magister Hlderlin den

    Lehrer meines Sohnes - Schiller lernte ihn in Schwaben kennen und

  • Ch.V.Kalb an Karoline Herder. An Hlderlins Mutter Nr. 134. IIS

    wehl te i h n . Er wird I h n e n gefal len u n d wnsch t es wohl sehr, denn

    er spricht m i r tglich von e iner Reise nach W e i m a r u n d Jena . E r sucht

    5 das Nachdenken seines Zglings in wachsamer Th t igke i t zu e rha l t en ,

    u n d sicher wi rd er alles aus se inem Un te r r i ch t e n t f e r n e n was totes

    Eitles oder Wortwissen bedeu te t , br igens l t er i h n die Volkomenste

    Fre ihe i t u n d sucht n u r das von i h m zu e n t f e r n e n (durch eigne en t -

    sagung) was i h m moralisch oder Physisch schaden knn te , frei l ich be-

    10 s t i m m t du rch lge u n d Einsicht .

    berlieferung H: frher Berlin, Preuische Staatsbibliothek. Erster Druck (Z. 4

    BitUsIO): Litzmann S.179f.; {des ganzen Abschnitts): Johann Ludwig Klarmann,

    Geschichte der Familie von Kalb, Erlangen 1902, S. 480.

    Erluterungen Die Stze waren sicher ebenso fr Herder wie fr seine Frau be-

    15 stimmt. 1 Gedicht] Gewi in Handschrift, und zum Zweck des Druckes: zehn Tage

    zuvor, am 8.6., schreibt Hlderlin, es sei ihm mglich gemacht worden, seine Kleinig-

    keiten in Herders Briefen fr die Humanitt . . aufzustellen (B 81, 29S2; vgl.

    die Erl. z. St.). Von den nicht zahlreichen Gedichten aus dem letzten Tbinger Jahr (und

    dem ersten Waltershuser Halbjahr) kmen an sich in Frage: Dem Genius der Khn-

    20 heit, Griechenland und Das Schiksaal, das aber Hlderlin schon selbst im Mrz 1794

    an Schiller gesandt hatte (B 76, S662; vgl. Bd. 1,484f.). Es scheint jedoch nicht ganz

    ausgeschlossen, da es sich um ein verlorenes, von Herder nicht verwendetes und unacht-

    sam verlegtes Gedicht handelt. 2 . 3 Schiller . . wehlte ihn] S. L D H 9. 4 ber

    Hlderlins Drang nach Weimar imd Jena s. auer B 81, 614 bes. B 78, 10 f . und

    25 2837 sowie die Erl. z. St. 410 Vgl. Hlderlins pdagogische'Kechenschaft vor

    Schiller in B 76. - Erst Anfang 179S war Hlderlin bei Herder: s. B 9}, 32-38; 94,

    3134. Ein Wort von Herder ber ihn ist nicht bekannt; ob er ihm nher kam und den

    Gedanken, er werde wohl noch fter zu ihm kommen, wahrmachte, ist zweifelhaft.

    135. CHARLOTTE VON KALB AN HLDERLINS MUTTER

    Waltershausen, 20. August 1794

    Wohlgebohrne F r a u

    geehr t e F r a u K a m m e r r t h i n .

    Gewi bin ich rechtsehr von der Vers icherung I h r e r G t e f r m i c h ;

    u n d den edlen Ges innungen Ihres empf indenden Herzens g e r h r t ,

  • Nr. 13S Ch.v.Kolb an Hlderlins Mutter

    welche Sie mir in Ihren Schreiben zu erkenen geben! - Sie sagen mir 5

    mancherley Leiden haben auf die Strke und heiterkeit Ihres Gemths

    gewrkt - ich glaube es wohl; welch ein Mensch ist so glchhch da er

    diese Klagen, nicht aus Er fahrung mitempfinden knnte, aber anhal-

    tenter Kumer benimt endlich den Wesen die Fhigkeit das Dasein

    frhlich zu geniesen. - Sie besitzen aber durch das Bewutsein der lo

    guten Vorzglichen Karaktere und Ausbildung Ihrer Kinder ein sehr

    sicheres G l c k - i c h beurtheile die andern nach unsern theuren Freund

    Hlderlin - der mir durch seine auerortentlichen Bemhungen u m

    meinen Sohn - mir auch das Glck bereitet mich wohl einst eine glk-

    liche Mutter nennen zu knnen, mein Meinn und alle die Ihn kennen 15

    schtzen ihn sehr. Mchten wir ihn berzeugen knnen wie Dcinkbar

    wir sind - und da wir alles gerne thun was seine Zufriedenheit be-

    frdern keinn.

    Wir haben schon einige mahl von einer kleinen Reise die er in eini-

    gen Jahren mi t seinen Zgling nach seinen Vaterlande un te rnehmen 20

    will gesprochen. Wre mein guter Fritz so glklich seine Jugend Jahre

    un te r der aufsieht eines so Vortreflichen Lehrers hinbringen zu kn-

    n e n : Wie beruhiget wre ich dann ber die bestmglichste Bildung

    meines Kindes 1

    Mit Vorzglicher Hochachtung habe ich die Ehre mich zu nennen 25

    Ew Wohlgebohrn ergebene Dr in

    Waltershausen d. 20ten August. Charlotte v. Kalb geb. Marschalck

    berlieferung H: Stuttgart IV 6 Nr. 1. Erster Druck (Z.S Sie bis 18): Litzmann

    S. 180; (des ganzen Briefes): Johann Ludwig Klarmann ('s. LD 134, berlieferung).,

    S.48Sf 30

    Erluterungen Dem Briefe Hlderlins an seinen Bruder vom 21. 8. (B 86, s. Z. fl

    SS) beigelegt. Antwort auf ein Schreiben (S) der Mutter, die der Sohn am 1.7. (B 82,

    48 f.) dazu aufgefordert hatte. Charlotte wollte ihr schon im April von sich aus schreiben

    und schon Ende Juli fr einen Brief wohl sicher den hier erwhnten danken (B 78,

    81 f.; 8 f , 11-1}). Nochmals schrieb sie ihr am 17.1.179S, um sie ber Hlderlins 35

    Trennung von ihrem Hause zu beruhigen (LD 148). 6 Leiden] Die Mutter hatte

    wohl besonders den frhen Tod ihrer beiden Ehemnner (1772 und 1779) und vier klei-

    ner Kinder im Sinne. 1 2 - 1 8 Auer LD 1H, 4-10 vgl. LD131, lS-17; 137, 2f.;

    138, lS-19; 139, 1-4. 16 Dankbar] Der Erzieher selbst schreibt im April 1794

  • Ch.V.Kalb an Hlderlins Mutter. An Johann Pohrt Nr.l3S.136

    40 (B 78, }6): Icli . . finde fr das wenige, was ich tliun kann, eine Dankbarkeit,

    die ich nie erwarten konnte. 17 Zufriedenheit] Juer B 78, 12 f.: da ich ser

    zufrieden bin vgl. bes. LD lU, 20 f.; 147, 27-29 und ^-iS; ferner LD 260, S f .

    und die Erl. z. St. (In Hlderlins Briefen nimmt das Motiv der Zufriedenheit von An-

    fang an eine recht bedeutende Stelle ein: s. B 10, 36 f . und die Erl. z. St.)

    136. C H A R L O T T E VON KALB AN J O H A N N P O H R T

    a. Meiningen, 11. August 1794

    Ferner bitte ich Sie, mir die gedruckten Aufstze, die Fichte

    wchentUch herausgiebt, zu senden.

    b. JValtershausen, 1. September 1794

    Ich habe das Paquet mit Fichtens Schrift und Ihren Brief erhalten -

    es ist mir angenehm, das Herr Fischer die Sorge bernimmt, mir die

    Fortsetzung zu senden.

    berlieferung H: Riga, Stadtbibliothek. Erster Druck: RigaerTageblatt, }. (IS.)

    5 Juli 1891. (Diese nicht nachgeprften Angaben verdankt der Herausgeber Herrn Dr.

    Rudolf Pohrt in Kassel, dem Besitzer desfolgends erwhnten Stammbuches vonJ. Pohrt.)

    Erluterungen Johann Pohrt aus Riga war Student wohl der Theologie in

    Jena, wo er in der Schrammei wohnte, den Bund der freien Mnner mitbegrndete und

    vornehmlich Schler des Philosophen Karl Leonhard Reinhold war, dem er im Septem-

    10 ber 1794 nach Kiel folgte. Im Frhsommer 17 9 S wurde er Erzieher der Kinder der . .

    (Schriftstellerin) Friederike Brun geb. Munter, mit der er viele Jahre in Italien

    usw. lubrachte (Johann Smidt in Johann Friedrich Herbarts Smtlichen Werken, Bd.l,

    1882, S. VI. Gewissermaen trat er diese Stelle an Hlderlins Statt an; s. B 9S, SO und

    die Erl. z. St.). 180) begleitete Pohrt vermutlich den geistig zerrtteten Bhlendorff in

    15 die gemeinsame baltische Heimat zurck, wo er Prediger wurde (Karl Freye, C. U. Boeh-

    lendorff, Langensalza 1913, S. 219-221 und 268, Anm.3S). - Charlotte von Kalb

    hatte ihn, so vermutet Rudolf Pohrt, bei Reinhold kennen gelernt. (In seinem Stamm-

    buch stehen unter vielen freien Mnnern mehrere, die spter personlich oder literarisch

    in Berhrung mit Hlderlin kamen: Bhlendorff, Hlsen, Herbart, Smidt, Fritz Horn.

    20 Andere Namen von Klang darin: Reinhold, Matthisson, Friederike Brun, Karl Ludwig

    Fernow, Fritz von Stein.)

  • Nr. 136. 137 Ch.v.Kalb an Johann Pohrt. An Goethe

    Die beiden Briefstellen betreffen Hlderlin mittelbar und sind darum aufgenommen: sie

    bezeugen genau, wann Charlotte und mit ihr sicher er etwas von Fichte in die Hand

    bekam, der fr ihn im November die Seele von Jena wurde (B 89, 40). Die gedruckten

    Aufstze (a, 1) sind wahrscheinlich die als Handschrift fr seine Zuhrer bogen- 25

    weise erscheinende Wissenschaftslehre; dafr spricht Hlderlins Brief an Hegel vom

    26.1.17PS ber Fichtens spekulative Bltter Grundlage der gesammten Wissen-

    schaftslehre und seinen ersten Eindruck davon, mit dem Zusatz: So schrieb ich noch

    in Waltershausen, als ich seine ersten Bltter las, . . meine Gedanken nieder

    (B94,}9f. undS7-S9). Fichtens Schrift (b,l) knnte an sich auch die andere, fast 30

    gleichzeitig erscheinende sein: Einige Forlesungen ber dieBestimmung des Gelehrten, die

    Hlderlin Hegel ebenda nennt (B 94,40f.); da jedoch Charlotte der Fortsetzung (b, 3)

    gewrtig ist, wird sie auch hier die Wissenschaftslehre meinen, b. 2 Fischer] Sicher

    Frangois Ficher, ein ehemaliger Theologie-Student aus Nancy. Er steht unterm Datum

    des 6. 9. im Stammbuch Pohrts: diesem hatte Charlotte am 23. 6. den Emigranten emp- 35

    fohlen und am 11. 8- fr seine beraus edle Aufnahme gedankt.

    157. C H A R L O T T E VON KALB AN G O E T H E

    Waltershausen, 3. September 1794

    ich h a b e aber auch noch e ine Ursache dies zu w n s c h e n (im Winter nach

    Weimar zu kommen). D e r Erz i ehe r m e i n e s Sohnes ist e in sehr ach tungs -

    w e r t h e r J n g l i n g . Einsichtsvoll G e w i s s e n h a f t T h t i g i n s e inem B e r u f . -

    e r h a t m i t v i e l em Fle i S tud ie r t - u n d h a t wie m i c h d n k t viel An lage

    selbst i n d e m Geb ie th der schnen Wissenscha f t en e twas he rvo rzu - 5

    b r i n g e n . I ch w n s c h e f r I h n sehr d a e r seine Zei t so nzUch u n d

    edel wie mgl ich h i n b r i n g e n m g e - B e n u t z u n g g u t e r Bib l io theken

    R a t h u n d L e i t u n g r e i f e r Geis ter , dies f e h l t i h m - w e n n ich a u c h n i c h t

    k o m m e so w e r d e ich doch woh l i h n m i t F r i t z nach J e n a schicken - da-

    m i t i h m diese Vor th eile w e r d e n . 10

    berlieferung H: Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv. Erster Druck: Eduard

    von der Hellen, Briefe von Charlotte von Kalb an Goethe, Goethe-Jahrbuch Bd.l3,

    1892, S.47f

    Erluterungen 3 Noch ist Charlottens Lob fr den Erzieher ihres Sohnes ohne Vor-

    behalt (vgl. LD13S, 12-18 und die Erl. z. St.). Die ganze uerung bezeugt ihr Be- 15

    streben, seinem Drang nach Weimar und Jena genugzutun (vgl. LD 134, 4 und die

    10

  • Ch.V.Kalb an Goethe. An Schiller Nr. 137. US

    Erl. z. St.). 9 nach Jena schicken] Das geschah im November und fhrte bald zur

    ersten Begegnung mit Goethe, bei Schiller (s. B 89, Sl80). Ob sich Goethe dabei ber-

    haupt an Charlottens Lob und Empfehlung erinnerte, mag man bezweifeln, zumal sie

    20 versumt, ihm den Adamen ihres Schtzlings zu nennen.

    138. C H A R L O T T E VON KALB AN S C H I L L E R

    Waltershausen, August oder September 1794

    Eine lange zeit in welcher Sie wahrscheinlich wieder einen Brief

    von mir erwarteten - ward ich durch mancherley - besonders aber

    durch die Krnldichen Umstnde meines Fritzens abgehalten Ihnen

    zu schreiben. Der Kleine Leidet durch Gichtschmerzen, die vor einiger

    5 Zeit sehr heftig waren jetzo zwar minder aber doch oft wiederholen.

    Dieses bel wrkt leider auch auf die aeuserung, und den Gebrauch

    seiner Geistes-Krfte, und es vermehrt also auch die Plagen seines

    Lehrers - den wir alle und auch das Kind sehr achten u Lieben - in

    seinen Unterricht kann er zwar jetzo nur die Materialien seimlen die

    10 ihn einst helfen sollen die Bildung dieses Kindes zu befrdern, aber

    ich freue mich zu bemerken. das Fritz nicht mit unnzen Wissen - und

    Klingwerk angepropf t - noch mit unlautern Grundstzen - gegen die

    Wahrheit u Schiksahl oft umsonst kmpfen - und die meist erst des

    Menschen Muth und Glk verschlungen haben - ehe der betrogene

    15 dieser Tiranney entglt. entsagt! - u da Fritz nun nicht mehr um ein

    mit seiner Natur Hederogenen Wesen Leben mu so entwikelt und

    geniet er auch mehr sein eigenes Gemth - Es wird immer besser

    werden - wenn Resignation u Beharlichkeit aufmerksamkeit und

    Thtigkeit - so wohl den Lehrer als den Schler stets mehr beleben -

    20 Das einzige Wesen welches manchmahl unzufrieden - mit Hdlin -

    ist ist er selbst! - u was ich oben sagte ist mehr sein als mein Urtheil

    ber ilm. ich kenne - durch mich - ich hrte oft die Klagen ber den

    Verlust oder nicht besiz des selbsts tndigen Glks oder i n n e r n

    seyns - der r e inen u n b e f a n g n e n a u f n h m e und E i n w r k u n g -

    25 der Gegens tnde auser uns so wenig g e t r b t durch Af fek te ,

    als Vorurtheile. Der Reine hohe Besiz eines solchen Daseins gehrt nur

    11

  • Nr. 138. 139 Ch.v.Kalb an Schiller. An Charlotte Schiller

    den Uns te rb l i chen wer wgt nicht mit sich ab - was er sein mchte -

    knnte u ist und dieser RkbUck. dis in sich Schaun- i s t wrklich ein

    bel eine Krankheit die der beeren Ms. Art anklebt - aber ich mchte

    mit Herder sagen der es mir so oft versicherte - es ist die belste, dies so

    rmste sein welches ich in Betrachtungen ber mich selbst hin-

    bringe. . .

    H. scheint mir eine unwiederstehl. Neigung u auch Talent zu selbst

    Componirten Arbeiten zu haben - ich wnsche ihn eine gute richtung

    und eine gepflegte Reife seiner Geistes Protucte er arbeitet gegen- 35

    wrtig an einen Roman von dem ich noch wenig las - Konnte er dieses

    ehe er es zum Druck befordert Ihrer Meynung bergeben?

    berlieferung H: Wie bei LDIH. Erster Druck: Wie bei LD 131: S . l U f .

    Erluterungen Wegen des Verhltnisses von Z.3337 zu LD 139 und 140 eher

    noch im August geschrieben. 4 Gichtschmerzen] Von Hlderlin mit Sorge schon im 40

    Frhjahr erwhnt (B 79, 20-23). 7 Geistes - Krfte] Vgl. LD141, 6 f . sowie Hl-

    derlins Charakteristik seines Zglings im Juli und bes. die Klage im Oktober ber seine

    ser mittelmsigen Talente (B 83,74-77; 88,}lf.). 1 5 - 1 9 Vgl. LD13f, 12-18

    und die Erl. z.St. 16 Gemeint ist der vorige Hofmeister Mnch, s. LD 99 a, 17 und die

    Erl.z.St. 2Q aa%\xirif:Aen'\Vgl.LD13S,17 unddieErl.z.St. 2 3 des se lbs ts tn- 45

    digen Glks] Bei Hlderlin vgl. z.B. Fragment von Hyperion (S. 211,10f.): auf das

    Selbststndige, Unbezwingliche, Gttliche, das wie in allen, auch in mir sei, mein

    Auge zu richten; auch B 80, 26 und die Erl. z. St. 30 die belste] Nmlich Krank-

    heit (29). 36 Roman] Vgl. B 88, 64-72 (dazu Bd. 3, 300f.) und LD 139,4-9.

    139. C H A R L O T T E VON KALB AN C H A R L O T T E S C H I L L E R

    Waltershausen, Anfang September 1794

    ich kann Schillern nicht genug f r die Empfehlung des guten Hl-

    derlins danken - wenn je Fritz ein Hofnungsvoller Knabe wird so ist

    er es einzig durch ihn! Er ist einsichtsvoll und unablssig thtig in sei-

    nen Beruf. - Ersuchen Sie Schiller da er diesen jungen Mann bald

    auf seinen Brief antworte, - und mit einiger Vorliebe das Bruchstck

    in die Hand nehme, welches er ihm zusendet. Sein Urteil ber diesen

    Versuch - seines Bildenden Geistes sey gerecht aber auch gtig, er

    12

  • Ch.V.Kalb an Ch. Schiller. Ch. Schiller an Schiller Nr. 139. 140. 141

    z r n e n i c h t - n i c h t zwei fe i ; sondern An the i l an H . besorgnisse, verlei-

    d e t e n m i c h , zu dieser A e u s e r u n g .

    10 berlieferung H: Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv. Erster Druck: Ludwig

    Urlichs, Charlotte von Schiller und ihre Freunde, Bd. 2, Stuttgart 1862, S. 222.

    Erluterungen Das Datum ergibt sich aus dem Verhltnis zu LD 140. 14 Das

    letzte vorbehaltlose Lob des Erziehers; s. LD HS, 12-18 und die Erl. z. St., und vgl.

    dagegen LD 141,1S. 3 unablssig thtig] Bald macht auch Hlderlin seine gewis-

    15 senhaften, oft ser angestrengten Bemhungen angesichts ihres offnen Mierfolges

    geltend (B 88, 49). 5 Brief] Nicht erhalten (sicher nicht identisch mit B 76 vom

    Mrz). Er begleitete das Bruchstck (S): das Fragment von Hyperion, das schon im

    November in Schillers (Neuer) Thalia erschien (s.Bd.S,161-184, 301, ^8). 8 H.

    besorgnisse] In der gleichen bangen Stimmung hatte Hlderlin dem Meister im

    20 Mrz sein Gedicht Das Schiksaal zugesandt.

    140. C H A R L O T T E S C H I L L E R AN S C H I L L E R

    Etzelbach, 10. September 1794

    was h a t d i r Hlder l in geschickt?

    berlieferung H: Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv. Erster Druck: Ludwig

    Urlichs (s. LD li9), Bd. 1, Stuttgart 1860, S.

    Erluterungen Charlotte Schiller war am 1. 9. nach Rudolstadt, ihrer Heimat, ge-

    5 reist und weilte nun in Etzelbach (an der Saale, 7 km unterhalb des Stdtchens). 1 ge-

    schickt] Das Fragment von Hyperion; s. LD 1 ?9, 49.

    141. C H A R L O T T E VON KALB AN S C H I L L E R

    Waltershausen, 2S. Oktober 1794

    dies b e t u b t i h n of t sehr - so da er u n f h i g e r ist e twas zu l e r n e n -

    e ine a u f h e i t e r n t e B e w e g u n g w r k t i m m e r a m bes ten - m ich d n k t

    Hlderlin n i m t zu w e n i g rks ich t - auf d e n Korper - U n d d e n n den

    M u t h die H o f n u n g . das V e r t r a u e n an i h n selbst, dies n i ch t in i h n zu

    5 e r s t iken . ist users t n t ig . I ch kcinn mich i r r e n , u i r re g e r n e . D e r

    13

  • Nr. 141. 142 Ch.V.Kalb an Schiller. Mar. Ehrmann an Neuffer

    Unterricht dieses Knaben ist eine schwere Aufgabe - Er hat wircklich

    wenig Geistes krfte; er werde nur brauchbar gelehrt soll er ja nicht

    werden! -

    Hlderlin ist sehr empfindhch; lassen Sie sich also nicht merken da

    ich etwas ber diesen Gegenstand Ihnen schrieb, ich vermuthe H. ist lO

    - etwas berspannt u so sind auch vielleicht seine Federungen ein das

    Kind. - Aber was darf ich von Uberspannung sagen - ich die so oft ber

    gnzliche Disharmonie meines Wesens zu klagen habe.

    Schreiben Sie mir bald nur ein Wort was Sie von meinen Fritz

    hoffen knnen. - Hlderlin wird mir sagen wie Sie sich befinden. 15

    berlieferung H: Wie bei LDISI. Erster Druck: Wie bei LD 131: S.13S.

    Erluterungen Hlderlins bersiedlung mit seinem Zgling nach Jena ist beschlos-

    sen (s. Z.14f. und vgl. LD 1S7, 8 f.), aber Charlottens Vertrauen zu seiner Erziehungs-

    art erschttert. Vierzehn Tage zuvor hatte er Neuffer seinen Mierfolg enthllt {B 88,

    43-60). 7 wenig Geistes krfte] Vgl. LD138,7 unddieErl.z. St. 9 empfindlich 20

    und 11 berspannt] In hchstgesteigerter Form spricht sich dieser Eindruck eineinhalb

    Monate spter in LD 144, 8 aus, wo Charlotte auch nochmals, beschwrend, Schiller um

    Diskretion bittet. (Vgl. auch LD 291, 7 und die Erl. z. St.).

    142. M A R I A N N E E H R M A N N AN N E U F F E R

    a. 1793 oder 1794

    Wirklich bin ich um kleine Beitrge in etwas verlegen, besonders

    poetische fehlen mir. Drf te ich von Ihnen oder Ihrem Freund Hlder -

    l in nicht so bald mglich etwas erwarten ?

    b. Sptsommer oder Herbst 1794

    Hier lege ich Ihnen zur gtigen Bekanntmachung auch einige

    A n k n d i g u n g e n bei. Darf ich bitten das Sie auch einige davon an

    Hlder l in schikken?-

    berlieferung H: Stuttgart, Cod. hist. 4 447 e Nr. 2 und 3: Briefe an Neuffer.

    Erluterungen Marianne Ehrmann: Schriftstellerin, 17SS (17S3)-179S, aus

    Rapperswyl bei Zrich, nach ihrer Eltern frhem Tod bei ihrem Onkel Dominikus (von)

    14

  • Marianne Ehrmann an Neuffer Nr. 142

    Brentano in Frankfurt erzogen, nach unglcklicher erster Ehe Schauspielerin (Pseudo-

    nym Sternheim), u. a. in Straburg, wo sie sich mit dem (vorwiegend kulturhistorischen

    und geographischen) Schriftsteller Theophil Friedrich Ehrmann (17621811) ver-

    10 mahlte, mit dem sie 1788 nach Stuttgart zog. (Vgl.ADB f,721.) In ihren Erzhlungen

    und Schauspielen behandelte sie vornehmlich Probleme des weiblichen Lebens, darunter

    das Problem des gefallnen Mdchens, mit frauenrechtlerischer Tendenz. Mit ebendieser

    redigierte sie in Stuttgart 179092 die Monatsschrift: Amaliens Erholungsstunden,

    Teutschlands Tchtern geweiht (Ende 1790 von Cotta zum Verlag bernommen, mit dem

    15 es 1792 zumBruch kam), 1793194 die Monatsschrift: Die Einsiedlerinn aus den Alpen,

    neben der La Roche die interessanteste Erscheinung unter den Herausgeberinnen da-

    maliger Zeitschriften, eine eigenwillige und merkwrdige, temperamentvolle Persn-

    lichkeit, die erste und temperamentvollste Vorkmpferin des Frauenrechts (Edith

    Krull, Das Wirken der Frau im frhen deutschen Zeitschriftenwesen, Diss. Berlin 19)9,

    20 S. 236, 237, 273; die ganze Darstellung, mit ausfhrlicher Nachzeichnung des Pro-

    gramms der Ehrmann: S. 236276). Marianne Ehrmann kannte Neuffer, der ja

    seit Herbst 1791 wie sie in Stuttgart lebte, persnlich; ob auch Hlderlin, steht dahin; in

    seinem Briefwechsel mit Neuffer, soweit erhalten, fllt ihr Name nie. In ihrer ersten

    Monatsschrift erschien von ihm noch nichts, in der zweiten drei Gedichte: 1793 An eine

    25 Rose, 1794 Lied der Liebe (2.Fassung) und An Neuffer (s.Bd.1,172 und 470,112f.

    und 410 f . , 183 und 482). Der Wortlaut der beiden Brief stellen drfte darauf hindeu-

    ten, da Marianne Ehrmann von Hlderlin als Dichter schon etwas kannte.

    Der zeitliche Abstand der zwei Briefe voneinander ist unsicher. Die erste Bitte um

    kleine Beitrge, zweifellos zur Einsiedlerinn aus den Alpen kann 1793 oder 1794

    30 ausgesprochen worden sein. Im ersten Falle mag die Schriftstellerin das Gedichtchen An

    eine Rose, im andern das An Neuffer erhalten haben, eher wohl durch Neuffer als von

    Hlderlin, der dem Freund Anfang April 1794 zu dem Gedicht an ihn schrieb: Du

    kannst das kleine Ding . . in die Eins iedler inn transportiren (B 7 / , 6971). Da-

    gegen ist der zweite Brief sicher 1794, im Sptsommer oder Herbst, geschrieben. Ein-

    35 gangs bezeugt die Publizistin ihr Mitgefhl mit Neuffers Stimmung und schreibt mit

    Bezug auf Bcher, die er besprechen sollte: ich . . erwarte das verlangte Urtheil zu

    einer andern Zeit, wenn Ihr Kopf wider heiterer, und Ihre Seele wider ruhiger

    ist. Damit kann nur die Sorge um Neuffers Braut Rosine Studlin gemeint sein, von

    deren unheilbarer Krankheit er Hlderlin am 16. 8.1794 unterrichtete (Ba 20, 3 f.).

    40 Ferner knnen sich im zweiten Briefe die Ankndigungen, um deren Bekanntmachung

    die Schriftstellerin bittet, nicht etwa auf die Einsiedlerinn aus den Alpen beziehen, deren

    Aufhren mit dem lauf enden Jahrgang 1794 sie nach dem zitierten Satze mitteilt: Das

    ich meine Eins id ler in positiv wegen sehr schwchlicher Gesundheit schliesen

    mu, werden Sie im Hefte finden. (Die Ankndigungen sollten also fr ein andres

    15

  • Nr. 143. 144 Ch.v. Stein an Ch. Schiller. Ch. v. Kalb an Schiller

    Unternehmen oder Werk der Publizistin werben, dessen Ausfhrung ihr Tod vereitelte.) 45

    ber Marianne Ehrmann, die mit dem Altertumsforscher Friedrich David Grter

    (s. LD 164,1 und die Erl.z.St.) befreundet war, vgl. ferner Dieter Narr, F. D. Grter,

    Biographische Bausteine (F. D. Grter 17681830, Wrttembergisch Franken Jahr-

    buch S2, 1968, S.1315) und im selben Jahrbuch bes. Grters interessantes Tagebuch:

    Mein Besuch bey Amalien (Marianne Ehrmann} und ihrem Gatten vom 24.7. 50

    bis 12.8.93, kommentiert von Dieter Narr (S. 131-200).

    143. CHARLOTTE VON STEIN AN CHARLOTTE SCHILLER

    Weimar, 7. November 1794

    D a I h n e n die ge lehr te W e l t b e k a n n t e r ist als mi r , so schreiben Sie

    m i r doch, we r der Hlder l in is t ; die F r a g m e n t e h a b e n mich sehr in te r -

    essiert, es ist etwas Wer ther i sches d r in , u n d rech t kindisch m u ich

    sagen, da m i r die griechischen N a m e n so woh l gefal len h a b e n .

    berlieferung H: Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv. Erster Druck: Ludwig 5

    Urlichs (s. LD 139), Bd. 1, S. 298.

    Erluterungen 2 Frag-mente] Das Fragment von Ifyperion, soeben erschienen (s.

    LD 139, S und die Erl. z. St.). Charlottens Worte sind der erste Widerhall davon (aus-

    genommen vielleicht eine verlorene uerung Schillers nach Empfang der Handschrift,

    s. B 129, 18-20). Der nchste kam von Neuffer am 26.1.179S (Ba 22). In Jena trug 10

    dem Dichter sein bischen Schreiberei in Schillers Thalia . . manchen freundlichen

    Gru, und manche hfliche Einladung ein (B 9S,100-102). 3 Wertherisches]

    Charlotte meint wohl erreg- und verletzbare Empfindung, Ergriffenheit des ganzen

    Wesens durch die Liebe, Auf gehnin der Natur. 4 Namen] Darber s. Bd. 3, 43 S437.

    144. CHARLOTTE VON KALB AN S C H I L L E R

    Waltershausen, 9. Dezember 1794

    Es war so gleich bei Fri tzens Abreise der Wil le m s M a n n e s sogleich

    nach W e i n a c h t e n nach Jena zu k o m m e n , u n d b e r Fri tz u seinen L e h -

    re r m i t I h n e n zu sprechen. - u n d en twede r Hlderlin l nger m i t Fri tz

    in J. zu lassen oder e inen ande rn L e h r e r zu wh len . -

    16

  • Ch.V.Kalb an Schiller Nr. 144

    5 Viele Nachrichten melden mir aber die userst harte Behandlung

    welche mein Fritz von seinen Lehrer erdulten m u . - (Lassen Sie

    Hlderlin ich beschwre Sie, nicht das mindeste merken da ich davon

    unterrichtet bin. - ) . seine Empfindlichkeit ist grnzen los - und mann

    meynt wrklich das eine Verworrenheit des Verstandes diesen Betragen

    10 zu grnde liegt; ich glaube da so wohl dies - so wie alle Nachrichten -

    die mann mir gegeben hat sehr bertrieben ist. - Nochmahls bitte ich

    Sie da er n i ch t s e r f a h r e , auch andere vrnschen, da er ja keinen

    Verdacht gegen Sie hege - neml . die es mir geschrieben haben.

    Sie knnen wohl glauben da ich keine Ruhige stunde mehr habe

    15 und nichts Sehnsuchts voller wnsche als meinen Fritz wieder bey mir

    zu haben. ich werde also in wenigen Tagen von hier abreisen - und

    sobald ich nach Er fu r th komme schicke ich Ihnen einen Expressen -

    melde Ihnen das ich krank wre und nicht weiter reisen - knnte. -

    und bitte Sie instndigst - mit Hlderlin u Fritz mich sogleich zu be-

    20 suchen, gewi Sie versagen mir diese flehendliche bitte nicht II soll

    ich mehr sagen Komen Sie ja dort wollen wir Ruhig aUes bereden,

    und dies volenden. - Hlderlin soll seine Papiere mi tnehmen oder sorg-

    fltig verschliesen. - damit mann in der Abwesendheit nicht stre - .

    doch sagen Sie ihn das nu r ohne Wichtigkeit darauf zu l e g e n . . . .

    25 ich glaube auf diese weise ist das beste Mittel wie ich meinen Fritz

    bald wieder bey mir haben kann. - ich erspare mir die Reise u den

    Aufenthalt in Jena. wo ich Sie doch nicht oft sehen kann - hre die

    uncingenehme Geschichte nicht immer wiederholen. Und diese Tren-

    n u n g kann auch auf diese weise f r Hldlin auf die ruhigste Delikateste

    30 weise g e s c h e h n . - -

    berlieferung H: Wie bei LDIH. Erster Druck: Wie bei LDIH: S.lUf. Erluterungen 1 Abreise] mit Anfang des Novembers SS,iij. 5 Nach-richten] Nheres ist nicht bekannt. 8 Empfindlichkeit] Vgl. LD 141, 9-12. 9 Verworrenlieit des Verstandes] Die Briefe Hlderlins aus den ersten drei Monaten

    35 inJena (B 8994) geben fr diesen alarmierenden Eindruck Unbekannter, den Charlotte sogleich abschwcht (10f.), keinen Anhaltspunkt. Doch spricht er selbst im Rckblick von seinen unsglichen Mhen um das Kind, die seine Gesundheit und sein Gemth auf das hrteste angriffen: Das ngstliche Wachen bei Nacht zerstrte meinen Kopf . . (B 92, 49-Si, 60 f . , 64-68). - Es mag sein, da diese Phase seines Lebens

    17

    VII 2, 2

  • Nr. 144. 14S Ch.v.Kalb an Schiller. Schelling an Hegel

    mitgemeint ist in einer uerung Bettinens, deren Quelle vielleicht eine solche der alten 40

    Charlotte von Kalb war: Hlderlin soll . . 5 Anflle von Wahnsinn vor dem eigent-

    lichen Ausbruch gehabt haben (LD 616 Nr. SS, 24 f.). Vgl. auch LD164, SS (und

    die Erl. z. St.). 1724 Zu der Zusammenkunft in Erfurt kam es nicht; vermutlich

    wollte Schiller nicht.

    145. S C H E L L I N G AN H E G E L

    Tbingen, 6. Januar 179S

    D u er inners t Dich also doch noch D e i n e r al ten F r e u n d e ? Beinahe

    g laubte ich mich u n d uns alle von D i r vergessen. b e r h a u p t scheinen

    u n s r e al te Bekann te uns n i m m e r zu k e n n e n . Renz ist i n unse re r N h e ;

    w i r sehen u n d hren nichts von i h m , u n d - Hlder l in - ich vergeh es

    seiner L a u n e , da er uns r e r noch n ie gedacht h a t . H i e r m e i n e H a n d , 5

    a l ter F r e u n d I W i r wollen uns n i m m e r f r e m d w e r d e n ! Ich glaube sogar,

    w i r k n n t e n uns inde n e u geworden sein: desto besser z u m n e u e n

    A n f a n g l

    berlieferung H: Berlin, Deutsche Akademie der JVissenschaften. Erster Druck:

    Aus Schellings Leben. In Briefen {hg. von G. L. Plitt), Bd. 1, Leipzig 1869, S.71. 10

    Erluterungen Schelling war noch im Stift, Hegel Hofmeister in Bern. Von dort

    hatte er Schelling am heiligen Abend 1794 geschrieben, zum ersten Male seit der Tren-

    nung im Sommer 1793; s. Briefe von und an Hegel, hg. von Johannes Hoffmeister, Bd. 1,

    Hamburg (19S2} - Philosophische Bibliothek Bd. 23S-, S.11-13; Schellings Antwort,

    deren Anfang hier geboten wird, S.131S; Hegels Erwiderung darauf, aus der LD 146 15

    ausgezogen ist, S.lS18. Der bedeutsame Austausch kann hier nicht nher vergegen-

    wrtigt werden. 3 Renz] Der Primus der Promotion Hlderlins, von diesem wie von

    Hegel und Schelling sehr geschtzt; s.LD 22 Nr. 1, dazu bes. die Erl. zu B107, 28 und

    zu LD 116,4. Er war damals Vikar bei einem engherzigen Onkel in Bempflingen (zwi-

    schen Reutlingen und Nrtingen) und fhlte sich dort wenig wohl. Hegel hatte Schel- 20

    ling angelegentlich nach ihm gefragt (Hoffmeister S.12): Was macht denn Renz?

    Hat er sein Pfund vergraben ? Ich hoffe nicht; es wre gewi der Mhe wert,

    ihn zu veranlassen oder aufzumimtem, da er seine gewi grndlichen Unter-

    suchungen ber wichtige Gegenstnde zusammentrge; dies knnte ihn viel-

    leicht fr den Verdru schadlos halten, den er seit langer Zeit gehabt hat. Ich 25

    habe einige Freunde in Sachsen, die ihm wohl zum weitem Unterbringen be-

    18

  • Schelling an Hegel. Hegel an Schelling Nr. 14S. 146

    hlflich waren. Wenn Du ihn nicht fr ganz abgeneigt hltst, so muntere ihn

    zu so etwas auf, suche seine Bescheidenheit zu berwinden. S. auch die abschlie-

    ende Erl. zu LD146. 4 Hlderlin] Schelling irrte sich (wie Hagenau, der sich gegen

    30 Ende 179} von dem Freund vergessen glaubte; s. LD 12Sa, 20 f.): Hlderlin hatte

    Hegel aus Waltershausen am 10.7.1794 (B 84) geschrieben, aus Jena schrieb er ihm

    (vor B 94 vom 26.1.179S) mindestens einmal, nach Hegel zuweilen (LD 146,1). Die-

    ser schrieb ihm seinerseits im Januar, bei seinem zweiten Eintritt in Jena, einen nicht

    crhallnen Brief (s. B 94, 2 f.).

    146. H E G E L AN S C H E L L I N G

    Bern, Januar 179S

    Hlder l ia schreibt m i r zuweilen aus Jena , ich werde i h m wegen Dei-

    n e r Vorwr fe m a c h e n ; er hr t F ich te 'n u n d spricht m i t Begeis terung

    von i h m als e i n e m T i t a n e n , der f r die Menschhei t k m p f e u n d dessen

    Wirkungskra i s gewis n ich t i nne rha lb der W n d e des Audi tor iums blei-

    5 b e n we rde . Da raus , da er D i r n ich t schreibt , darfst D u n ich t auf Klte

    in der F reundscha f t schHeen, denn diese h a t bei i h m gewis n ich t abge-

    n o m m e n , u n d sein Interesse f r wel tbrger l iche Ideen n i m m t , wie

    mi rs scheint , i m m e r zu. Das Reich Gottes k o m m e u n d unse re H n d e

    Seyen n ich t m i g i m Schoose!

    10 berlieferung H: Berlin, Deutsche Akademie der Wissenschaften. Erster Druck:

    Karl Rosenkranz, G. W. Fr. HegeVs Leben, Berlin 1844 (Photomechanischer Nach-

    druck Darmstadt 196i), S. 68 f .

    Erluterungen Antwort auf LD 145, undatiert, von Hoffmeister auf Ende Januar

    gelegt, aber vielleicht schon Mitte Januar, sehr bald nach Erhalt von Schellings Brief,

    20 geschrieben: Hegel will Hlderlin wegen seines Schweigens gegen Schelling Vorwrfe

    machen ( I f ) ; Hlderlin erhielt aber einen Brief Hegels bei seinem zweiten Eintritt

    in Jena (B 94, 2 f.), der kurz vor Mitte Januar stattfand: es war vielleicht eben der Brief,

    den sich Hegel in seiner Antwort an Schelling vornahm. Jedenfalls hatte er, als er diesem

    schrieb, noch nicht B 94 vom 26.1. in Hnden, worin Hlderlin sachlicher, mit weniger

    25 Begeisterung (2) seine ersten Eindrcke von Fichtes Philosophie darlegt. 1 zuwei-

    len] S. die Erl. zu LD 14S, 4. 2 - 5 Nochmals berichtet Hegel Schelling in LD1S9,

    I f . von Hlderlins Begeisterung/u> Fichte, der ihm gleich im November 1794 die

    Seele von Jena wurde (B 89, 40). 7 Interesse fr weltbrgerliche Ideen] Hegel

    19

  • Nr. 146. 147 Hegel an Schelling. Ch.v.Kalb an Schiller

    mu das aus mindestens einem verlornen Briefe Hlderlins entnommen haben; weltbr-

    gerliche Ideen sind wohl vornehmlich die der Freiheit, der Gleichheit, der republihani- 30

    sehen Verfassung, jedenfalls solche, die von den besten Anhngern der Revolution ver-

    treten und auch in der ra jakobinischen Terrors nicht erstickt wurden. ber die damit

    zusammenhngenden Probleme der Einstellung zur Franzsischen Revolution und zur

    Republik s. Pierre Bertaux, Hlderlin und die Franzsische Revolution, erweitert in

    edition Suhrkamp 344, Frankfurt a.M. 1970, und Adolf Beck, Hlderlin als Republi- 35

    kaner (Hlderlin-Jahrbuch I f , 1967-1968, S.1-27 und S.2S-S2). 8 Reich Gottes]

    Die Loosung, mit der Hlderlin in B 84, 4 f . den Bund mit Hegel wiederaufnahm.

    Auch in dem Brief , aus dem die vorstehenden Stze sind, fragt Hegel wie in seinem vori-

    gen (s. die Erl. zu LD 14S, 3) drngend nach Renz (Hoffmeister S.18): Was macht

    Rem ? . . Vermchte es Deine Fremidschaft nicht ber ihn, ihn zu Ttigkeit auf- 40

    zufordern, gegen die jetzt lebende Theologie zu polemisieren? Die Notwendig-

    keit, und da es nicht berflssig ist, erhellt doch aus der Existenz derselben.

    Schelling deutet in seiner Antwort am 4, 2. (Hoffmeister S. 23) die unfreie Lage Ren-

    zens bei seinem Onkel an, die vor jetzt nichts von ihm erhoffen lasse. (S. ferner die ab-

    schlieende Erl. zu LD1S9.) 45

    147. C H A R L O T T E VON KALB AN S C H I L L E R

    Weimar, 14. Januar 179S

    W a h r s c h e i n l i c h w a r Hlderlin schon b e y I h n e n - wo n i c h t - so m e l d e

    ich I h n e n h i e r m i t d a er sein Geschf t als L e h r e r u n d Erz i eh , b e y m e i -

    n e n Sohn a u f g e g e b e n h a t . - Hdl. A h n d e t e d a ich wahrsche in l i ch

    m i c h h i e r etabliren w r d e - u da e r in se inen Verh l tn i s sen m i t de r

    Societt w e n i g a u f h e i t e r u n g Z e r s t r e u u n g - u n d n a c h se inen N e i g u n g e n 5

    u n d Bedr fn i s sen des Geistes n i c h t diese C u l t u r e r h a l t e n k n n t e ; S ie

    u F ich te z iehen i h n an I - F r Fr i tz w a r u m seine u n a r t phisisch

    zu v e r h i n d e r n noch gar n ichts g e t h a n - d e n die M i t t e l k n n e n n u r m i t

    de r Zei t w r k e n - b r igens w a r a u c h der U n t e r r i c h t n i c h t so m a n c h -

    fa l t ig - u n d B e w e g u n g u n d Z e r s t r e u u n g - oder a u f s u c h u n g u n d Ver- lo

    m e h r u n g a n d e r e r Vors te l lungen u m diese zu v e r d r n g e n : - I ch t h a t

    was i n m e i n e n K r f t e n w a r . - Abe r es hal f n ichts - M i s m u t h l ange-

    wei le b e y n a h e Antipatien des L e h r e r s u n d Kindes m a c h t e n dieses -

    tglich bsar t iger - u n d wied r ige r - ich b e m e r k t e m i t t i e f en Schmerz

    20

  • Ch.V.Kalb an Schiller Nr. 147

    15 die Leiden des guten H., und sagte ihn ich wolte nicht lnger ihn in

    dieser Laage fesseln; nach dem Schmerzte es mich sehr, das wir uns

    trennen musten und nur nach langer bersicht der gzen Laage,

    konnte ich erst wieder ruhig werden.

    H. halt dies Jahr fr verlohren. - u ich halte es fr uns alle 3. von

    20 groser Wichtigkeit! - ich wei nun mehr in wie fern Privat erziehun-

    gen Einwendbar sind - Fritz hat wenigstens gelernt zu Lernen. ich

    glaube heller ber ihn zu sehn. unsicherer und kleiner sind meine

    Erwartungen - aber dennoch will ich den Muth nicht sinken lassen. -

    Wir mssen hier. - wie wahrscheinlich bey jeder Kultur guten Boden

    25 zutragen und dann erst Sen und Pflanzen woILen. wenn ich Sie sehe

    erlauben Sie mir Ihnen ber dies alles mehr zu sagen! -

    Ich wnsche Herzlich da Holderlins jetziger Aufenthalt fr seine

    Zufriedenheit innere Bildung und behagen seiner usern laage von den

    besten folgen sein mge. - Ihre Gte fr ihn kann sehr viel thun . -

    30 Suchen Sie ihn auch leichte Arbeiten zu verschaffen, die auf eine

    schleunige art seinen Unterhalt erleichtern, und ihn von Sorgen be-

    freien. die wohl seine Praktische Philosophie vermehren wrden, aber

    nicht die Ruhe seines Lebens. - Und ruhe Selbstgengsamkeit - u st-

    tigkeit werde doch endlich den Rastlosen! Er ist ein Rad welches

    35 schnell Luf t ! ! - Er wnschte in Jena zu bleiben - Wenn er es klug

    cinfngt so zweifle ich nicht da es ihn gelingen kcinn. -

    berlieferung H: Wie bei LD 131. Erster Druck: Wie bei LD 131: S.138f.

    Erluterungen Mit demBericht (1-18) vgl. den Gegenbericht inB92, 7-80 (und

    die Erl. z. St.), auch den in B 93,12-31 und SS-73. Wie der folgende an die Mutter

    40 zeigt Charlottens Brief neben der Sorge um ihr Kind und dem Schmerz ob des Ausgangs

    (1618), da Hlderlin nicht unrecht hatte, wenn er mit leisem Zweifel noch beim

    Abschiede ihren ganzen edlen Sinn, u. ihre . . herzliche Freundschaft empfand

    (B 93,7173). Insbesondere bezeugt der letzte Abschnitt (2736) ihren einfhlsamen,

    und selbstlos wohlwollenden, Sinn fr Wesen, Streben und Gefhrdung des Dichters.

    45 Als Ganzes markiert der Brief gleichsam den Schlu eines Dramas, das nicht eines tragi-

    schen 'Luges entbehrt. Der Ausgang enthob Hlderlin unsglicher Mhen und frucht-

    loser Kmpfe; er lie ihn so jedenfalls erklrt er seiner Mutter neue Kraft und

    neuen Muth schpfen, beinahe zum ersten male den ungestrten Gebrauch seiner

    Krfte fhlen und so an Hegel Frchte von einer Unabhngigkeit erhoffen, die er

    21

  • Nr. 147. 148 Ch.v.Kalb an Schiller. An Hlderlins Mutter

    im Grunde jezt im Leben zum erstenmale geniee (B 92, 60, 108-110, 113 f.; 50 94,16 f.). Er nahm aber doch wohl auch das zehrende Bewutsein eines Versagens in einem Amte mit, das er ein Jahr zuvor so ernst und gewissenhaft, hqffnungs- und an-spruchsvoll angetreten hatte (s. bes. die Rechenschaft vor Schiller, B 76). Zunchst jedenfalls hatte er das Gefhl, er msse dies Jahr fr verlohren halten (19). 5 Societt] Wohl die mehr hfische Gesellschaft in Weimar gegenber der in 55 Jena, deren Mittelpunkt die Universitt war. 7 unart] Onanie; vgl. B 92, 40-46. 10 Bewegung] Vgl. LD141, 2f 20 Privat erziehungen] Vgl. LD148, 20-22. 28 Zufriedenheit] Vgl. LD 13 S,17 und die Erl. z. St. 29 Ihre Gte] Vgl.LDlS4. 30 leichte Arbeiten] Schiller handelte wohl von sich aus der Bitte gem, indem er Hlderlin zu den Hren heranzog; s. LD 1 SSa, 6 f . sowie B 9S, 20-34 (und die Erl. 60 z. St.). 35 in Jena zu bleiben] Hlderlins Neigung schwankte in den folgenden Mona-ten (und war wohl auch von leichter Bangnis mitbestimmt); vgl. B 92, 9S104 mit B 93,77; 9S,S5S8: Die Hofnungen, die mir vieleicht in Jena erfllt werden knnten, . . sind . . mir eben nicht so ser an's Herz gewachsen, und B 96, 27f.

    148. CHARLOTTE VON KALB AN HLDERLINS MUTTER

    Liebe Frau Kammerrthin

    Ih r Her r Sohn hat sein Geschft als Erzieher bey meinen Sohn auf-

    gegeben. Diese Nachricht wird Sie gewi nu r auf einen Augenblick,

    vielleicht beunruhigen - was ich Ihnen ferner sagen werde hingegen

    Sie erheitern - und die theihiahme des Mtterlichen Herzens Sie be- 5

    glken. - ich bin hier in Weimar mi t meinen Sohn, wo ich diesen

    bald werde das ffenliche Gimnasium besuchen lassen. - Dirigirt von

    einen Herder - Wer wolte nicht eine Anstalt benutzen - welche von

    einen so hellen Verstnde gebildet wurde und schon so glckliche wr-

    kung auf die Bildung der Jugend hat te ; auch sind aUe andern Lehrer lO

    zwekmsig, und Vorzglich! - brigens verlasse ich meine Kinder

    nicht , und es ist mir ein ses Geschft ihnen meine Zeit und Sorge

    zu wi tmen.

    Mein Fritz hat nicht die seltenen Geistes und Gemths anlagen -

    da er es Verdient htte wenn - ein junger Mann , so ausgezeignet 15

    durch Kenntnisse und Geistes Krfte - , I H n die schnste Zeit seines

    Lebens - und die besten stunden jedes Tags; - wodurch seine Freiheit

    22

  • Ch. V.Kalb an Hlderlins Mutter Nr. 148

    beschrnkt, und die Kultur seines Geistes Verzgert worden wre; -

    gewitmet hatte.

    20 Wo der Stadt schon gute Formen hat soll mann diese Bentzen - und

    wenn diese und die Eltern besser werden, so werden endlich auch die

    Privat Erziehungen gnzlich aufhren. Hlderlin mu sich so bilden

    das er einst zum Vorteil des algemeinen guten und schnen mitwrken

    kann! Es wre der rgste Raub gewesen wenn ich ihn in dieser Laage

    25 - das Kind an Ihn, u . Ihn ans Kind hatte lnger fesseln woUen. - Noch-

    mahls ich bin nicht vor Privat erziehungen (in Weimar), aber ich

    mchte auch nicht das H. je durch Umstnde in den fall versezt wrde

    wieder eine Erziehung zu bernehmen. Sein Geist kann sich zu dieser

    kleinlichen Mhe nicht herablassen. - Oder vielmehr sein Gemth

    30 wird zu sehr davon afficirt. - es giebt sonderbare Erscheinungen an der

    Menschlichen Natur warum nicht auch an der Natur der Kinder! -

    ich mchte selbst kein fremdes Kind erziehen. Meine nehme ich wie sie

    sind u Hoffe von der Liebe, der Zeit, und Mhe das beste!! -

    Nun zum eigentlichen Zwek dieses Briefes. - Ihr Sohn hat in dieser

    35 Gegend Jena u . Weimar unter den wichtigsten Mnnern Gnner und

    Freunde gefunden. - Er ist jetzo in Jena - Auf der Universitt in

    Deutschland die so wohl durch Aufklrung - als durch die Energie der

    idien die dort vorzgHch in Schwnge sind sich auszeignet. - Es ist viel-

    leicht kein Ort in der Welt wo er jetzo so alle residtate der Wissenschaf-

    +0 ten vereiniget findet. - und auf die eigene Cultur seines Geistes Frucht-

    bar kann wrcken lassen. - Freuen sie sich einen Sohn zu haben der

    diese Vorzge zu wrtigen - und zu benutzen in Stande ist! - Er kann

    auch wohl dort gelegenheiten finden u m sich als Activer Brger vorzu-

    bereiten. und nach seiner Neygung einen Stand zu whlen. Jena und

    45 eine Stelle bey der Universitt wre das Ziel seiner jetzigen wnsche,

    und ich glaube es wird nicht so schwer f r ihn sein. - Erleichtern Sie

    ihm also, so viel in Ihren Krften steht seinen jetzigen Aufenthalt, und

    diese wichtige Epoque seines Lebens! - Er hat wenig bedrfnisse - er

    wird selbst durch Litterarische Arbeiten dafr einiges thun knnen; -

    50 Aber entfernen Sie alle kleinUche Sorgen von ihn - das keine unnze

    bekmmernis - seine Zeit trbe, u seine Bildung verzgere! - Das

    Pfund welches Sie ihn jetzo von seinen Eigenthum geben wird tau-

    23

  • Nr. 148 Ch.v.Kalb an Hlderlins Mutter

    sendfl t ig w u c h e r n . U n d ich wei gewi das M t t e r h c h e H e r z wi rd

    es ohne zagen t h u n !

    ich wnsche I h n e n alle erdenkl iche Zu f r i edenhe i t u n d Verha r r e m i t 55

    V e r e h r u n g

    I h r e e rgebene D r i n

    Charlot te Kalb, geb Marschalk .

    Weimar, den 17' Jener: (179S) von Os the im. -

    berlieferung H: Stuttgart IF 6 Nr. 2. Erster Druck (ohne Z. 6-1) und SS-f9): 60

    Litzmann S. 189f.

    Erluterungen Charlotte hatte der Mutter schon am 20. 8.1794 sehr freundlich

    und damals noch voll des Lhes fr den Erzieher ~ geschrieben (LD 13S. Ein dritter^

    nicht erhaltner Brief vom Februar 179S lag B 9S nach Z.114 bei.) Der Brief aus An-

    la der Trennung ist, wie schon Litzmann (S.189) vermutete, aus eigenem Antriebe 65

    geschrieben, jedenfalls wie LD 147 in herzlicher Theilnahme an seinem Schicksal,

    bes. aber im Glauben an seine Berufenheit zum Vorteil des algemeinen guten und

    schnen (2^). Hlderlin selbst unterrichtete seine Mutter tags zuvor, kndigte ihr Char-

    lottens Brief an, legte seine Vorstellungen von seiner nchsten Zukunft dar und sprach

    seine Zuversicht aus (B 92, 93 f . und 9S-116). 14 Schon seit Monaten war sich Char- 70

    lotte ber die sehr beschrnkten Geistes krfte ihres Sohnes Fritz im klaren, s. LD 141,

    S-8. 22 Privat Erziehimgen] Vgl. LD 147, 20f. Erziehung und Unterricht durch

    Hofmeister waren ja damals in adligen Husern, besonders auf dem Lande, noch fast

    allgemein blich und gehrten zum Standesprestige. Insofern ist Charlottens Auffassung

    fortschrittlich. Allerdings wurde neben dem Besuche des Weimarer Gymnasiums ein 75

    Hauslehrer fr ihren Sohn angenommen (B 92, 91 f.; vgl. die Erl. z. St.). 4 4 . 4 5

    Vgl. LD 147,3S und die Erl. z. St. 4 6 - 5 4 Hlderlin selbst bat zustzlich am 19.1.

    Neuffer, er mge seine Mutter notfalls ber seine Vernderung . . beruhigen und ihr

    sagen, er wolle alles thun, um ihr nicht lstig zu werden, und lebe deswegen auch

    ser sparsam; die Mutter sagte darauf ber Neuffer zu, sie werde ihn, soweit sie ver- 80

    mge, untersttzen (B 93,1331)7; Ba23, 68); sie schrieb das auch ihm selbst, wo-

    fr er ihr am 22. 2. den innigsten Dank sagte (B 9S, 3f.; vgl. die Erl. z. St.). Charlotte

    ihrerseits versah ihn bei der Trennung mit Geld fr ein Vierteljahr (B 92, 80; vgl.

    B 93, 68f.). Er mute dann aber schon gegen Ende Februar auf baldige Hilfe der Mut-

    ter rechnen, die ihm am 30.3. den Betrag von 100 Gulden schickte; s.B 9S,7S87 (und 85

    die Erl. z. St.).

    24

  • Korrespondenz in Jena. S
  • Nr. ISO. ISl Schelling an Hegel. Ch.v.Kalb an Schiller

    berlieferung H: Berlin, Deutsche Akademie der Wissenschaften. Erster Druck:

    mebei LD14S: S.74. 15

    Erluterungen Anfang der Antwort auf Hegels Brief vom Januar (Hoffmeister

    S.15-18), woraus LD 146. Hlderlin ist zwar in dem Briefe nicht erwhnt; trotzdem

    ist der Eingang aufgenommen, weil er in seiner hochgemuten, zukunftsgewissen und da-

    bei kmpferischen Stimmung gleichsam stellvertretend die geistige Lebensluft vermittelt,

    in der die Stiftsfreunde trotz der rumlichen Trennung atmeten und die auch Hlderlin 20

    teilte (wenn er auch brieflich nur mit Hegel, nicht mit Schelling verbunden blieb). Dieses

    Element der Geister (Hyp. I SS,1), zu dem die hochgespannte Hoffnung auf reini-

    gende Wirkung der kritischen Philosophie und auf die Verwirklichung der Loosung

    Reich Gottes, auf die sieghafte Zukunft der unsichtbaren streitenden Kirche ge-

    hrte, bekundet sich bei Hlderlin, nach dem Eingang von B 84, andeutend und pole- 25

    misch in B 107,16-21, fast enthusiastisch in B 106, 48S4 (vgl. die Erl. zu Z. 42 bis

    S4), bei Hegel noch in dem Hlderlin zugedachten Gedicht Eleusis (Ba 121). 5 das

    Groe] Die kritische Philosophie, deren Urheber Kant wohl in Z.7 gemeint ist.

    6 Sauerteig] Die Orthodoxie, die in Tbingen das kritische System zur Sttze des

    ihrigen zu verwenden in den Augen der Stiftsfreunde: zu mibrauchen bemht war 30

    und es dadurch Verunstaltungen und Herabstimmungen zur alten hergebrachten

    Form (8f.) aussetzte. 13 zur Nachwelt gehen] Der Schreibende bersieht anschei-

    nend bei diesem emphatischen Schlupunkt, da er den notwendigen Infinitiv schon in

    Z. 11 gesetzt hat.

    151. C H A R L O T T E VON KALB AN S C H I L L E R

    Weimar, Ende Februar 179S

    W a r a m aber berhaupt mir die Geseelschaft wenig ist - hab ich

    heute in einen Brief an Hlderlin detaillirt -

    Die Geseelschaft hat sich hier in ganzen verschlimmert es ist wo ich

    war kein ton - keine haltung - und selbst bey einigen kein schein des

    guten mehr. - unter den bessern - Vermehren sich die Misverstnd- 5

    nisse immer mehr, und dciher die Trennungen 1

    berlieferung H: Wie bei LDIH. Erster Druck: Wie bei LD 131: S.139f.

    Erluterung 2 Brief] Verloren und wohl ohne Antwort gelassen (vgl. LD 161 und

    die Erl. dazu); als Bekenntnis Charlottens sicher interessant. Vermutlich lag ein Brief

    Charlottens an die Mutter bei, der die Antwort auf deren Dank fr LD 148 war und von 10

    26

  • Ch.V.Kalb an Schiller. Tagebuch I. Niethammers Nr. ISl. 152

    Hlderlin mit B9S (s.Z.114) weitergeleitet wurde. Die verlornen Briefe an Mutter und

    Sohn lassen beide darauf schlieen, da Charlotte nach Hlderlins Trennung von ihrem

    Hause wirklich, wie er es beim Abschied empfinden zu drfen glaubte, herzliche Freund-

    schaft (B 9), 72 f.) fr ihn behielt.

    152. NACH D E M TAGEBUCH I M M A N U E L N I E T H A M M E R S

    Im November 1794 und fters bis Mai 17 9 S Vermerke ber Besuche des Magisters

    Hlderlin aiis Nrtingen, manchmal in Verbindung mit anderen Namen (so mit denen

    Schillers oder Fichtes), hin und wieder mit kurzen Stichworten ber den Anla der Zu-

    sammenkunft und den dabei gepflogenen Gedankenaustausch.

    5 Im Fruhsommer 1795 kamen eines Abends in seinem Hause Hlderlin, Fichte und

    Friedrich von Hardenberg (Novalis) zusammen.

    Viel ber Religion gesprochen und ber Offenbarung und da fr

    die Philosophie hier noch viele Fragen offen bleiben.

    Oberlieferung h: Mnchen, Privatbesitz: Tagebuch Niethammers (fremde Ab-

    10 Schrift, nicht eingesehen). Erste Mitteilung (des Inhalts von Z.14): Johann Ludwig

    Dderlein, In Freundesnhe des einsamen Dichters. Aus unbekannten Briefen von und

    ber Hlderlin. Mnchner Neueste Nachrichten 1939, Nr.l88 vom 7.7.; (von Z.S-8):

    J. L. Dderlein, Neue Hegel-Dokumente, Zeitschrift fr Religions- und Geistesge-

    schichte Jg. 1, 1948, S.7. (Mangels Einsicht in das Tagebuch schien es gerechtfertigt

    15 und notwendig, in der vorliegenden Darbietung die beiden Verffentlichungen Dderleins

    zu kombinieren.)

    Erluterungen ber Niethammer s. bes. B 89, 80 und die Erl. z. St. Hlderlin,

    der ihn vom Stift her kannte, nahm in Jena, wie aus dieser ersten Erwhnung hervor-

    geht, alsbald im November 1794, den Verkehr mit ihm auf; er wurde von ihm, wie er

    20 rhmt, ser freundschaftlich behandelt und im Frhjahr 1795 gebeten, an seinem

    (ccfi ie^riiWetm) philosophischen Journale mitzuarbeiten (B 93,106f.; 97,9Sbis

    97; vgl. die Erl. z. St.). Dderlein gibt in dem Zeitungsaufsatz an: Von Schiller auf

    den jungen Schwaben hingewiesen, nahm sich Niethammer seines Landsmanns an.

    Fr diesen Hergang gibt es, sofern nicht in dem Tagebuch, kein Zeugnis. Die darauf

    25 folgenden Stze Dderleins ber regen persnlichen Verkehr sind von ihm nicht belegt

    und daher hier nur wrtlich wiederzugeben: Man traf sich im kleinen Kreise, bei Schil-

    ler, bei Niethammer oder bei Fichte, in dessen Haus Hlderlin durch Niethammers Ver-

    mittlung eingefhrt wurde, und sprach mit Vorliebe ber Probleme der kritischen Philo-

    27

  • Nr.lS2.1S3 Tagebuch I.Niethammers. Hlderhns Umgang in Jena

    Sophie; besonders gern wurden religionsphilosophische Themata errtert. Niethammer

    hatte gerade eine Schrift ber > Religion als Wissenschaft< verfat^ deren Inhalt Hol- 30

    derlin kannte. So war Gelegenheit gegeben, ber die darin aufgeworfenen Fragen, die

    das religionsphilosophische Hauptanliegen jener Zeit, den Begriff der Offenbarung, be-

    trafen, zu disputieren. Offen bleibt die Vermutung, da diese Gesprche dazu beige-

    tragen haben, den Dichter mehr als bisher zu philosophischen Studien und zu eigenen

    Arbeiten anzuregen . Dasoder doch einZentralproblem von Gesprchen mit Nietham- 55

    mer, das dem Geist der Zeit wie der Herkunft der beiden Landsleute aus dem Stift ent-

    sprach, ist von Dderlein wohl richtig bezeichnet und durch den von ihm wrtlich zitier-

    ten Tagebuchvermerk gesichert. Aber Hlderlin seinerseits uert sich in seinen Briefen

    aus Jena nirgends ber den Inhalt dieser Gesprche und ihre Bedeutung fr ihn (auch

    nicht in dem philosophisch so gehaltvollen B97 an den Bruder vom 1}. 4., worin er kurz 40

    von Niethammers Antrag zur Mitarbeit an seinem Philosophischen Journal berichtet).

    Nirgends auch erwhnt er das als Faktum so denkwrdige Zusammentreffen mit

    Friedrich von Hardenberg (Sf.). Auch von diesem ist darber nicht ein Wort bekannt. Es

    bleibt offen, ob sich die beiden Dichter, die ein paar Jahre spter die Nacht in so ver-

    schiedner Weise rhmen sollten, schon vor dem Abend bei Niethammer, nach dem Hol- +5

    derlin bald Ende Mai heimgereist sein mu, kennen gelernt, mehrmals getroffen und

    tiefer erkannt haben. Anderseits geht auch nicht das argumentum ex silentio an, da

    beide voneinander ohne strkern Eindruck geblieben seien. Wie Dderlein endlich (in

    der Publikation von Hlderlins Brief an Niethammer vom 23.6.1801; s. den ersten

    Nachtrag in diesem Bande) mitgeteilt hat, vermerkt der Philosoph in seinem Tagebuch 50

    vom November 1794 bis Anfang Juni 179S elf Zusammenknfte mit Hlderlin,

    einige Male in Gesellschaft des Theologen Paulus und Schillers, andere Male zsam-

    men mit einigen Mitgliedern des . . >Bundes der freien Mnner< (Brnhof, Herbart,

    Smid{t), Reimers). Damit ist endlich die lang gesuchte Verbindung Hlderlins mit

    freien Mnnern schon in Jena erwiesen. Vgl. den zweiten Abschnitt der Erl. zu LD ISh 55

    155. H L D E R L I N S U M G A N G I N JENA

    Unter den Bekanntschaften, die er machte, sind brigens Welt-

    mann, Sophie Mereau, . . . Wilhelm v. Humboldt und ein Landsmann

    Diez, welcher frher in Tbingen Theologie studirt, nun aber sich zur

    Medicin gewandt hatte, zu nennen.

    berlieferung Schwab II 284.

    28

  • Hlderlins Umgang in Jena Nr. IS}

    Erluterungen 1 Woltmann] Vgl.B9},103 und die Erl. z. St. Engere Beziehun-

    gen sind nicht bezeugt und nicht wahrscheinlich. 2 Sophie Mereau] Vgl. die Erl. zu

    B 89,7} sowie BISS, 13 und die Erl. z. St. 2 Humboldt] Persnliche Bekanntschaft

    ist sonst nicht bezeugt, aber wohl mglich, da Humboldt 179S bis zum Juli in regem Um-

    10 gang mit Schiller in Jena lebte; nhere Beziehung allerdings ist nicht wahrscheinlich.

    3 Diez] 5. LD S4,S und die Erl. z. St. In Hlderlins Briefen ist Diez nie genannt.

    Auerdem aber war dieser 179S gar nicht mehr in Jena, wo er 179294 Medizin stu-

    diert hatte. Von Landsleuten, mit denen er in Jena verkehrte, nennt Hlderlin selbst

    seinen Kompromotionalen Hesler (B 90,S}f.; 91,S4-S6; vgl. die Erl. zu B 84,38) und

    15 den Mediziner Camerer (B 91,S4S6), dessen Umgang und dessen (nicht mehr fa-

    bare) Bedeutung fr ihn er noch spter stark betont (B 137,1014). Zum Umgang in

    Jena s. ferner LD IS6, auch 1S8.

    Mglicherweise lernten sich Hlderlin und Friedrich Muhrbeck schon in Jena kennen,

    wofr es bisher keinen Anhalt gab: der Verfasser von LD 1S8 schreibt in seinem Reise-

    20 tagebuch (S.79) ber den 28.4. 179S in Halle: Wir trenten uiis diesen Morgen,

    Camerer ging nach Leipzig zuruk, Muhrbeck nach Greifsvvalde. Sicher ist das

    Hlderlins Homburger Freund (der in dem Tagebuche vorher nicht erwhnt ist); er war

    also whrend seines Greifswalder Studiums der berlieferung nach 179296 auch

    schon in Jena, lernte hier den schwbischen Wanderer aus Gttingen kennen und war

    25 bis Halle sein Gefhrte. Zwar trat Muhrbeck erst im Winter 1796 in den Kreis der freien

    Mnner; aber nach dem Tagebuch wird es denkbar, wenn auch durchaus nicht sicher,

    da Hlderlin und Muhrbeck schon 179S in Jena miteinander bekannt wurden, und wie-

    der stellt sich die Frage nach der Nhe Hlderlins zu freien Mnnern (vgl. u.a. LD

    21S; 243,11 und die Erl. z. St. sowie die abschlieende Erl. zu LD 1S2).

    30 Als einstiges Mitglied des Bundes der freien Mnner charakterisiert Johann Georg Rist

    (177 S1847) scharf und fein die Atmosphre des geistigen Lebens im damaligen Jena

    (Lebenserinnerungen, hg. von G.Poel, Bd.l, Gotha 1880; vgl. auch Rists Andeutun-

    gen und Erinnerungen in: H. Ratjen, Johann Erich vonBerger's Leben,Altonal83S).

    Da wohl auch Hlderlin, wenn auch in nicht schrfer bestimmbarer Weise, von dieser

    35 Atmosphre berhrt wurde, seien einige Stze aus den Lebenserinnerungen Rists zitiert,

    der von sich persnlich (S.64f.) sagt, was vermutlich auch fr manchen seiner Freunde

    gilt: er verdanke der Z^eit in Jena das tiefeingeprgte Gefhl von der geistigen Wrde

    des Menschen, die Gewohnheit eines hheren Maastabes fr die irdischen

    Dinge und die feste berzeugung von einer ber alle weltliche Verhltnisse er-

    40 habenen Bestimmung. Allgemeiner S.S7f.: Es war eine gefhrliche Zeit fr Jng-

    linge von Geist, mid diese Jahre die gefhrlichsten. Heftig aufgeregt und ange-

    zogen von allen Seiten, bewegte sich das Leben zwischen lauter Extremen; die

    Richtung fehlte, und wo sie sich feststellen wollte, da griff der gewaltige uere

    29

  • Nr. 153. 154 Hlderlins Umgang. Hlderlin und Schiller in Jena

    Drang der Revolution und des Krieges verstrend ein. Goethe und Pichte hoben

    die Geister in einen Brennpunkt des Lichts und der Wrme, dem die Naturen, 45

    welche nicht im Innern ein starkes Gleichgewicht trugen, nicht widerstehen

    konnten. , . Grnzenlose Hoffnungen, die khnsten Entwrfe rissen die besseren

    Geister fort und das Alter des Geschlechtes flammte noch einmal auf in jugend-

    licher ppigkeit. S.71: Schne, unvergeliche Abende haben wir da verlebt;

    wir erfreuten uns alles Guten und Trefflichen in unserem Bereich, mit offenem, 50

    xmschuldigem Sinn, und eine besser gestaltete Weltordnimg ging in der Zukunft

    vor uns auf, weil wir sie im Herzen trugen. Reine Begeisterung, welcher der Ge-

    sang selbst nicht gengen wollte, trieb uns oft von den Glsern hinaus ins Freie,

    und der Mond hat mehr als einmal die kleine Schaar wahrhaft Seliger im Para-

    diese lustwandeln gesehen. / Was wir gestrebt und gewollt, war Groes und 55

    Treffliches; was wir geleistet, ist wenig. Aber deshalb schmhen wir die schnen

    Trume unserer Jugend nicht. Denn diese Trume waren Offenbarungen des

    groen Geistes, aus dessen Schoo wir unverflscht und unverwirrt durch die

    Erscheinungen einer alten Welt hervorgegangen waren.

    154. H L D E R L I N UND S C H I L L E R I N JENA

    a. Nach Gustav Schwab

    Uebr igens w a r dieser poet ische L c m d s m a n n u n s e r e m Schiller sehr

    Wer th , u n d e r stellte i h n e i n e m eben g e g e n w r t i g e n F r e m d e n in J e n a

    m i t d e n W o r t e n vor, i n d e m er H lde r l i n dazu be i der H a n d n a h m : das

    ist m e i n l iebster S c h w a b e ! (Das L e t z t e aus m n d h c h e r M i t t h e i l u n g . )

    Hlder l in w a r damals e in sehr schner J n g l i n g von 26 J a h r e n . D i e 5

    U m n a c h t u n g seines Geistes b e g a n n in s e inem 33s t en J a h r e , je tz t (Nov.

    1840.) zhl t er , leiblich ganz ge sund , 70 J a h r e .

    b. Nach Christoph Theodor Schwab

    I n des Dich te r s H a u s e w a r H l d e r h n i m m e r w i l l k o m m e n u n d j e n e r

    n a n n t e i h n s e i n e n h e b s t e n Schwaben .

    berlieferung a. Gustav Schwab, Schiller^s Leben. 2., durchgesehener Druck,

    Stuttgart 1841, S. 490 f . , Anm. - b. Schwab II 28/.

    Erluterungen Hlderlin selber fhlte sich, im Mrz 179/, von Schiller ohne Auf- 5

    hren . . mit Freundschaft und recht vterlicher Gte berhuft (B 96,18-20;

    30

  • Hlderlin und Schiller in Jena. Verlag des Hyperion Nr.lS4.1SS

    vgl. bes. B 9 f , 17-20). a. 2 - 4 Der Fremde ist nicht bekannt. Vielleicht ist es die

    Quelle, die wohl ber G. Schwab Waiblinger zukam: Der edle Schiller hatte ihn

    uerst lieb gewonnen, achtete sein Strhen ungemein und sagte, da er weit der

    10 talentvollste von allen seinen Landsleuten sey (LD 499,306-W9). 5 Hlderlins

    Schnheit ist mehrmals bezeugt; s. LD 61 und die Erl. dazu. (Sein Alter ist ungenau

    angegeben: er wurde 179S am 20.3. in Jena 2S Jahre alt.) 6 Die Umnachtvmg, die

    endgltig erst in seinem )6.Jahr, ISOSj, hereinbrach, wurde von den Zeitgenossen

    meistens in das Jahr der Rckkehr von Bordeaux gelegt.

    155. S C H I L L E R UND COTTA BER VERLAG DES HYPERION

    a. Schiller an Cotta. Jena, 9. Mrz 119$

    Hlder l in h a t e inen kle inen R o m a n , Hyper ion , davon in d e m vor-

    letzten Stck der Thal ia etwas e ingerckt ist , u n t e r der Feder . D e r

    erste The i l der e twa 12 Bogen be t r agen wiird, wird in e inigen Mona ten

    fe r t ig . Es wre m i r gar l ieb, w e n n Sie i h n in Verlag n e h m e n wol l ten .

    5 E r h a t r ech t viel genialisches, u n d ich hoffe auch noch e inigen E in f lu

    darauf zu h a b e n . Ich rechne b e r h a u p t auf Hlder l in f r die H e r e n

    in Z u k u n f t , d e n n er ist sehr f leiig u n d an T a l e n t feh l t es i h m gar

    n ich t , e i n m a l in der l i t ter arischen W e l t etwas rechtes zu w e r d e n .

    b. Cotta an Schiller. Tbingen, 20. Mrz 179S

    D a Sie Hlde rn ' s H y p e r i o n empfe l en , so woUen wir i hn ver-

    legen - wollen Sie i h m di schreiben? oder soUen wir es t h u n ?

    berlieferung H: Marbach, Cotta-Archiv (Stiftung der Stuttgarter Zeitung). Erster

    Druck: Briefwechsel zwischen Schiller und Cotta, hg. von TVilhelm Vollmer, Stuttgart

    5 1876, S.7) fund 78.

    Erluterungen Hlderlin wute von Schillers Empfehlung; s. B 96, 2123 vom

    12.3. a. 2 etwas] Das Fragment von Hyperion (s.Bd.3,161-184, 301, 338). 3 . 4

    in einigen Monaten fertig] Schiller tuschte sich darin mit Hlderlin (vgl. B 92, 83

    bis 8f; 94, 18-21; 9S, 41-43); ber die Jenaer Phase der Entstehungsgeschichte des

    10 Hxperions.Bd.3,301-306. 6.1 Vgl.B9S, 20-34 {unddieErl.z.St.).- b. 2 An-

    scheinend wute Cotta nicht, da sein Autor in Jena lebte. Er hielt sich dort, auf dem

    Wege nach Leipzig, vermutlich am 27. 4. auf und setzte ob gegenber Hlderlin selbst

    51

  • Nr.lSS.lS6 Verlag des Hyperion. Sinclair an F.W. Jung

    oder Schiller, steht dahin das mige Honorar von 100 Gulden aus, das der Autor irr-

    tmlicherweise auf das erste Bndchen bezog und auch dafr, mit Recht, gering fand,

    aber annahm, um sich keinem Jdeln auszusezen, und am 1 S.S. 1796 nochmals, trotz 15

    der Gewiheit vergrerter Bogenzahl, ausdrcklich akzeptierte (B 99, 4S47; 120,

    12-16). Vgl. ferner LD 168.

    156. S I N C L A I R AN FRANZ W I L H E L M J U N G

    Jena, 26. Mrz 179S

    Meine philosophischen Kenntnisse die zu einer sehr msigen Gre

    bisher nur gediehen sind, haben mir bisher mehr geraubt als gegeben

    und ich mu die reichere Erndte erst von einer grseren Reife erhalten.

    berdies treibt alles mich jezt in mich selbst hinein, und ich bin klter

    und verschlossener geworden, zum Theil aus berdru ber Ergieun- 5

    gen, womit man sich immer ein Stck Eiffer wegredet, zum Theil aus

    Unzufriedenheit ber meine eigene Armuth und Abhngigkeit. Ich

    habe bisher zuviel f r andere, die mich umgaben und weniger f r

    meine eigene Bildung und einen grseren Wrkungskreis gelebt. Viele

    Erfahrungen haben auch hierinn mein Feuer gedmpft, und auch hier lo

    waren einige Stse nthig u m mich reflektiren zu machen.

    Die Ordensgeschichten wovon ihnen B. vielleicht etwas gesagt hat ,

    haben eine ble Wendung f r das Ganze, und f r den Augenblick auch

    f r mich genommen. Sie haben mir die grste Anzahl meiner Bekannt-

    schaften geraubt, die zwar nicht zu meinen reineren Freuden, doch 15

    aber zu den AnnehmUchkeiten meines Aufenthalts gehrten. - Fr

    diese Legion von Bekannten, die ich verlohr, habe ich aber die Zeit

    einen Herzensfreund instar omnium erhalten, den M. Hlderlin. Es ist

    Jung und Leutwein in einer Person: seine Bildung beschmet mich,

    und giebt mir zur Nachahmung einen mchtigen Reiz; mit diesem 20

    strahlenden, liebenswrdigen Vorbild werde ich knftigen Sommer

    auf einem einsamen Gartenhaus zubringen. Von meiner Einsamkeit

    und diesem Freund verspreche ich mir viel. Ich habe seinetwegen

    an die Hofmeisterstelle bei den Prinzen gedacht, ich mchte um alles

    ihn wenigstens in unserer Nhe einst haben. 25

    32

  • Sinclair an Franz Wilhelm Jung Nr. IS6

    berlieferung H: Anscheinend verschollen; frher Homburg, Stadtarchiv. Erster

    Druck (Z.12-1S geraubt, 17-2S): Ernst Kelchner, Hlderlin in seinen Beziehungen

    zu Homburg v. d. H., Homburg 1883, S. 4 f .

    Erluterungen Jung: Mentor, Freund, Gesinnungsgenosse des Demokraten Sin-

    30 clair in Homburg; s. die Erl. zuB IIS,48 und Christian Waas, F. TV. Jung und die

    Homburger Revolutionsschwrrner, Homburg 1936. Sinclair war damals neunzehnein-

    halb Jahre (geb. inHomburg am 3.10.177S), seit Mai 1794 Student der Rechte in Jena,

    vorher (seit Herbst 1792) in Tbingen. 13 Der Sinn der uerung Sinclairs ber Ab-

    trag seiner philosophischen Kenntnisse ist schwerlich scharf zu fassen. Er war jeden-

    35 falls wie Hlderlin fasziniert von Fichtes Philosophie, bes. von ihrem ethischen Kern: in

    der Fortsetzung des Briefes nennt er sie eine FeuerTaufe und sieht ihre Hauptige dar-

    in, da sie miausgesezte Thtigkeit, ewigen Kampf heischt, niemahls Ruhe er-

    laubt, und immer zum Ziel nicht Glckseeligkeit, sondern Gerechtigkeit vorsezt.

    Aus den Tiefen der menschlichen Erkenntni steigt er empor und sagt: Ruhe und

    40 Glck sind nicht Werte des Menschen, zum Kampf, zum Streben zum Unend-

    lichen sind wir bestimmt. 411 Sinclair neigt in den Briefen an Jung zu solchen

    Reflexionen und Rechenschaften ber sich selbst; doch vgl. mit Z. 4 f.: ich bin kalter

    und verschlossener geworden auch noch das Bekenntnis zu Hlderlin am 30. 6.1802:

    Seit du mich verlassen hast, hat mich mancherlei Schicksal betroifen. Ich bin

    45 ruhiger und klter geworden (iJa J / J . 7 Unzufriedenheit ber . . Armuth]

    Von Hlderlin vgl. das Bekenntnis inB 89,16 f . (und die Erl.z.St.): vielleicht bei beiden

    Widerhall der Lehre Fichtes. 10 mein Feuer] Anscheinend darauf deutet schon

    Z. 4 f . empfand Sinclair sein rasches, feuriges, leidenschaftliches Wesen (auf das er

    sich doch etwas zugute tat) als eine gewisse Gefahr. Der ganze Brief, und seine Hinter-

    d grnde, d.h. die (z.T. nur schattenhaft fabaren) Erlebnisse und menschlichen Be-

    ziehungen in Jena, die dahinterstehen, lassen etwas von der Spannungsweite, und der

    Widersprchlichkeit, der geistigen Existenz des jungen Edelmanns und Demokraten er-

    kennen. Das zeigt die folgende (samt der bernchsten) Erl. 12 Ordensgeschichten]

    In Jena zu Anfang 179S (und im Sommer) Ursache studentischer Unruhen. Seit etwa

    55 1770 (bis etwa 1800) gab es dort wie an andern Universitten neben (und z. T. in) den

    herkmmlichen Landsmannschaften studentische Orden, in manchen Zgen den Frei-

    maurerlogen verwandt, aber von ihnen unterschieden und unabhngig; von Senioren

    meistens straff (autoritr) geleitet, ihre Mitglieder durch Eid verbindend, zur Geheim-

    haltung verpflichtend, fr den Notfall ihnen Meineid gegen die Behrden nahelegend,

    CO was diese wie akademische Lehrer besonders schwer nahmen; in ihren Satzungen zumeist

    moralisch, Pflege der Freundschaft besonders betonend; in ihrem Treiben immer wieder

    der Verrohung und Verwilderung verfallend, gelegentlich Tyrannis ber die Studenten-

    schaft versuchend, seit Beginn der neunziger Jahre z. T. von Ideen der Franzsischen

    53

    VII 2, 3

  • Nr, 1S6 Sinclair an Franz Willielm Jung

    Revolution berhrt und durchdrungen, von den Regierungen daher verboten und verfolgt,

    doch niemals ganz zu unterdrcken. ber Jena s. bes. Otto Gtze, Die Jenaer akademi- 65

    sehen Logen und Studentenorden des lS.Jh.,Jena 19^2 (nachlssig in der Darstellung

    und offenbar auch sachlich fters ungenau). In der Auseinandersetzung der Regierung

    und des Senats mit den Orden nahm Fichte nach seinem Antritt alsbald die geistige Fh-

    rung an sich und den Kampf gegen sie auch in Vorlesungen mit starkem persnlich-

    moralischem Engagement auf. Eine Zeitlang glaubte er, durch Vernunft, Lauterkeit und 70

    moralischen Appell sei besser ans Ziel zu kommen als blo durch staatliche Manahmen

    (die er allerdings auch als Druckmittel gebrauchte und deren Einsatz zunchst, am 19.

    12.1794, in der Bildung einer Untersuchungskommission bestand). Um das Jahresende

    erreichte Fichte durch persnliche Zurede und Brgschaft fr Diskretion und Straflosig-

    keit die Bereitschaft der Harmonisten (Schwarzen Brder) und z. T. der Constantisten, 75

    ihrem Orden abzuschwren und ihn aufzulsen. Die weitere Entwicklung richtete sich

    jedoch entschieden gegen Fichte und fhrte ihn zu einer Revision seiner Einstellung;

    am 16. 2.179S schrieb er: Die Orden knnen nur ausgerottet werden, wenn ihnen

    mit Vemunftgrnden und mit physischer Gewalt zugleich zu Leibe gegangen

    wird (J. G. Fichtes Briefwechsel, hg. von Hans Schulz, Bd. 1, Leipzig 192S, Nr. 224, 80

    S. 434; vgl. Gtze S.13S). Fichte erregte auch bei Kollegen den Verdacht, er wolle

    aus Ehrgeiz sich der Gelegenheit bedienen, imter den Studirenden sich einen'

    strkeren, dem Ganzen nachteiligen Anhang zu rerschaffen (Schreiben des Her-

    zogs von Meiningen, nach Gtze S.DO). Insbesondere zog er sich aber die gehssige

    Feindschaft der Unitisten zu, die gegen die Auflsung der Orden angingen, andere 85

    Studentenkreise mit ihrem Ha ansteckten und den Philosophen durch Pbeleien, bes.

    durch einen Exze in der Nacht vom 8. zum 9. 4., erbitterten, so da er sich, emprt

    auch ber den seiner Meinung nach zu schwachen und lssigen Schutz seiner Persn-

    lichkeit, Anfang Mai, bis Anfang Oktober, nach Omannstedt zurckzog. Sinclairs

    Brief ist whrend der Krise, doch vor diesem ihrem ersten Hhepunkt geschrieben (in der 90

    Fortsetzung bemerkt er noch: Fichte liest knftigen Sommer NaturrechtJ. Welchen

    (aktiven) Anteil er schon an der skizzierten Phase der Ordensgeschichten hatte, ist

    nicht bekannt, aus seinem Briefe nicht erschliebar; die Bekanntschaften, die er infolge

    ihrer verlor (14 f.), werden wohl Studenten gewesen sein, mit denen er darber uneins

    wurde (oder solche, die von Jena abgehn muten). Bemerkenswert ist aber viererlei. 95

    1. Sinclair gehrte dem Orden der Harmonisten (Schwarzen Brder) an und legte offen-

    bar noch 179S den Ordenseid ab (s. die Mitgliederliste mit Notizen bei Gtze S. 226f.).-

    2. Sinclair suchte im Winter 17 9419S vergeblich Eingang in den Kreis der freien Mn-

    ner, die um Fichte geschart, seine sittlichen Ideen zu leben bemht und gegen die Orden

    eingestellt waren ("i. den Rckblick des freien Mannes Breuning im Brief an Herbart, 100

    29.10.179S; Briefe von und an Herbart Bd. 4, hg. von Theodor Fritzsch Smtliche

    34

  • Sinclair an Franz Wilhelm Jung Nr. 1S6

    Werke Bd. 19 -, Langensalza 1912, S.69). Es ist zwar nicht beweisbar, aber denkbar,

    da Sinclair, von den freien Mnnern abgewiesen, von politischem Wirkungsdrang er-

    fllt, bei den Schwarzen Brdern eintrat. h In diesem Orden war Sinclair besonders

    105 befreundet mit einem Georg Friedrich Bauer aus Hanau (vielleicht in Z.12 mit B. ge-

    meint). Mit diesem wilden Universittsgefhrten, der nach Werner Kirchners, wohl

    allzu gnstigem, Eindruck und Urteil ein besonders anziehender Vertreter der um Fich-

    te grenden Jugend . ., ein unruhiger, in neue Lebensformen drngender, tatkrftiger

    Geist war (Der Hochverratsproze gegen Sinclair, Marburg 1949, S.99), errterte

    110 Sinclair revolutionre Ideen und Plne, denen 180S in seinem Proze die Vernehmer auf

    die Spur zu kommen suchten; Weiteres darber s. in der Einfhrung zu der LD-Reihe

    S24340 (Hlderlin und der Hochverratsproze gegen Sinclair). 4. Sinclair war

    dann wie Bauer bei den Studenten- Tumulten am 21 .S. und 19.7. dabei, die wieder mit

    Ordensgescliichten zusammenhingen und in der durch diese ausgelsten Krise den

    115 zweiten und dritten Hhepunkt bildeten. ber Sinclair steht in den Untersuchungsakten

    (Jena, Univ.-Archiv; nach Christian Waas, SiegfriedSchmid, Darmstadt 1928, S.S}):

    Der Studiosus Sinclair . . machte am 30. Mai d.J. den Mitabgeordneten der

    brigen Studenten, insistierte (bei Waas: insinuierte, mit Fragezeichen) bei dem

    Proreil tor auf Straflosigkeit des Tumultes vom 27. Mai, mit dem Anfhren, da

    120 er auerdem fr die Folgen nicht stehen knne. Er war am 19.Juli bei dem

    Tumult auf dem Markte und will den Tumultuierenden nur zugerufen haben,

    ruhig lu sein. Er ist sonst der Teilnahme am Tumult sehr verdchtig. Die Sache

    hatte in der Studentenschaft einen achttgigen Protest-Auszug (wie schon im Juli 1792)

    zur Folge, fr die Rdelsfhrer Flucht oder Relegation, fr Bauer ebendiese Strafe,

    125 fr Sinclair zuerst dieselbe, die jedoch auf sein Rechtfertigungsschreiben hin zum Con-

    silium abeundi gemildert wurde (Senatsurteil vom 23.1.179S, nach Waas S.S3). Er

    war schon vor dem ersten Urteil heimgekehrt, nach Meinung der Richter geflohen. Da-

    heim hing ihm die Sache gar nicht nach.

    18 Herzensfreund instar omnium] Etwa: der alle andern aufwiegt. (Die Wen-

    130 dung ist von Cicero, Brutus S 1,191.) Sinclair und Hlderlin waren schon in Tbingen,

    sptestens im September 1793, miteinander bekannt, aber nicht vertraut geworden fs. LD

    121a, 68 auch an Jung sowie die Einfhrungen zuB 67 und 68, wonach Hlder-

    lin im Oktober 1793 schon zuhause war). In Jena mgen sich die beiden ber die Teil-

    nahme an Fichtes Vorlesungen und die Begeisterungyr ihn nahe gekommen sein (fr

    135 Sinclair s. die Erl. zu Z. 1-3, fr Hlderlin B 89, 40 und SO sowie LD146, 2-S; 1S9,

    I f ) . 19 Leutwein] Philipp Jakob (1764-1800), seit 1786 zweiter ev.-lutherischer

    Pfarrer in Homburg (ein anderer als Hegels Stiftsfreimd: vgl. LD 112; ber Sinclairs

    Freund s. Waas, F. W.Jung . ., S. 4145; nach ihm war Leutwein Schwabe, 1763

    in Ronfeld recte: Bonfeld bei Heilbronn geboren; von Kirchner auf Grund des

    35

  • Nr. 1S6 Sinclair an Franz Wilhelm Jung

    Hamburger Kirchenbuchs berichtigt: geboren 1764 in Uiingen bei Lauda, also wohl 140

    Franke). Er war der religise Lehrer Sinclairs, der sich ihm ob der Lauterkeit und Wahr-

    haftigkeit seines Geistes und Herzens sehr verbunden wute und nur die politische Zu-

    rckhaltung des Geistlichen bedauerte (an Jung, 16. 9.1792, 10. 9. und 11.11.1793).

    Da Sinclair in Hlderlin Jung und Leutwein in einer Person sah, erklrt Waas

    (S. 42) wohl richtig so: schtzte Sinclair in seinem Jung die hohe geistige Bildung des 145

    erfahrenen Weltmannes, so fand er in seinem neuen Freunde die seelenvolle, liebens-

    wrdige Art jenes Geistlichen wieder, dem er seine sittlich - religise Erziehung verdankte .

    22 Gartenhaus] Vgl. B 98, 83-8S und die Erl. z. St. 24 Primen] Nach Kelchner

    (S. S Anm. 1) die drei jngsten Shne des Homburger Landgrafen. Seinen Wunsch, den

    Freund einst in der Nhe zu haben, verfolgte Sinclair bald mittelbar weiter: s. LD 162 150

    und die Erl. dazu. Hlderlin erwhnt aus Jena Sinclair nie, auch da nicht, wo er zum

    andern Male, seinem Freunde Neuffer, von dem Gartenhaus urul dessen schner Lage

    berichtet (B 99, 2S-27). Er verlie Jena wohl Ende Mai (oder Anfang Juni), erlebte

    also wohl gerade noch den Tumult am 27.S. mit, in dessen Folgen wenn nicht in ihn

    selber sein Freund eingriff. Da sein Weggang mit den Unruhen urschlich zusam- 155

    menhing, ist nicht wahrscheinlich. Wie sich das Verhalten des jungen Edelmanns

    und Demokraten im Sommer 179S, besonders auch seine Beziehungen zu jenem Bauer,

    mit der Hingerissenheit von dem jungen Dichter und der Orientierung an diesem strah-

    lenden . . Vorbild (21) reimen: diese Frage drngt sich auf. Sie lt sich aus der vor-

    ab schon betonten Spannungsweite seiner Existenz, worin hochfliegender ethischer 160

    Idealismus und weitstrebender, ja vermener revolutionrer Aktivismus mit- und gegen-

    einander waren, nur leidlich ergrnden. Jedenfalls: ihn schuf aus grberm Stoe die

    Natur. Zu ihrer Luterung, und zur Ergnzung seines Wesens, war er auf den Dich-

    ter angewiesen. Anscheinend bedurfte es (so im Hlderlin-Jahrbuch 1947, S. 46) der

    Begegnung mit einem Geiste von ursprnglich reiner Artung, um in dem jungen, sehr 165

    beeinflubaren Homburger Edelmanne das Feuer des revolutionren Denkens und Wol-

    lens von den groben Schlacken studentischer Burschikositt zu lutern und ihn zu bedeu-

    ten, wo er zu stehen habe. Hlderlin strahlte in Jena diesen Weckruf aus. Es ist die Ehre

    Sinclairs, da er ihn vernahm. In Hlderlins Schaffen aber kann das ist vermutet wor-

    den, doch nicht erweisbar Sinclairs Wesen und Verbindung mit Gesellen vom Schlage 170

    jenes Bauer auf die Konzeption vonAlabanda und dem Bund der Nemesis im Hyperion

    (ISS, 2~S9,14, bes. II 86,