Holm Friebe ist Volkswirt, Geschäftsführer der Zentralen ... · Johnsons schmalem Büchlein Die...

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Über den AutorHolm Friebe ist Volkswirt, Geschäftsführer der ZentralenIntelligenz Agentur (ZIA) in Berlin und Hochschullehrerfür Designtheorie. Er ist Autor mehrerer Sachbücher, un-ter anderem des Wirtschaftsbestsellers Wir nennen es Arbeit(2006). Zuletzt erschien von ihm, zusammen mit PhilippAlbers verfasst, Was Sie schon immer über 6 wissen wollten.

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

HOLMFRIEBE

DIE

STEINSTRATEGIE

VON DER KUNST,NICHT ZU HANDELN

Verlagsgruppe Random House FSC® N001967Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifizierte Papier

Holmen Book Cream liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

Taschenbucherstausgabe 03/2015

Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigungdes Carl Hanser Verlag München

© 2013 Carl Hanser Verlag MünchenCopyright dieser Ausgabe © Wilhelm Heyne Verlag, Mün-

chen, in der Verlagsgruppe Random House GmbHIllustrator: Peter Palm, Berlin

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie, ZürichPrinted in Germany 2015

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN: 978-3-453-60325-7www.heyne.de

INHALTEinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Be here now:Die Kunst des Liegen-Bleibens . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Don’t panic! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22Deep survival . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25Staying put . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29Action bias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32Zerhackte Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36Bullshit Bingo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38Aktives Warten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42Situationspotenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47Wu wei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Don’t believe the hype:Die Kunst des Ruhe-Bewahrens . . . . . . . . . . . . . . . 57

All change, please! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

Inhalt

6 INHALT

Von Füchsen und Igeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62Future Babble . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65Zäh�üssige Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Gewohnheit rules . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74Advantage: second mouse . . . . . . . . . . . . . . . . . 77Shock of the old . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79Boring times . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

Playing rock:Die Kunst des Sturstellens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

Schere, Stein, Papier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90Der Bias des Tormanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94Kon�iktstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98Zum Stein werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103Gute Strategie, schlechte Strategie . . . . . . . . . . . 109Merkiavellismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113Brinkmanship . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

Sound of silence:Die Kunst des lauten Schweigens . . . . . . . . . . . . . . 125

Schweigen aushalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126Sich rar machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129Talking means trouble . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134Kunstpausen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138Schock-Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140Readymade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144Zauderrhythmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148Tun und Lassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

7INHALT

Steady state:Die Kunst des Bleiben-Lassens . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Neue Steinzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158Red queen e�ect . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162Fortschritt revisited . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166Graue Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169Rethinking Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173Antifragilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178Postheroisches Management . . . . . . . . . . . . . . . 182Laissez-passer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186Lifestyle of resilience . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190Nicht-Handlungsempfehlung . . . . . . . . . . . . . . 195

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Stones taught me to �yDamien Rice

Let there be rockTocotronic

EINLEITUNGWenn du dich bewegst, musst du wissen, wohin. Wenn dudich nicht bewegst, musst du wissen, warum. Dieses Buchwill nicht sagen, wo es langgeht. Es will vielmehr zeigen,warum das Nicht-Handeln, Stillhalten, Abwarten in vie-len Situationen die bessere Wahl ist – und eine Option,die in den Strukturen und Systemen, in denen wir ste-cken, allzu oft ausgeblendet und hinweggefegt wird vonder allgemeinen Drift zum Aktionistischen: Dem zupa-ckenden Macher gehört die Welt, Wagemut schlägt Wan-kelmut.

Natürlich, das gleich vorweg, gehen uns, die wir in derWelt etwas erreichen wollen, die Bremser, Verhinderer undPassivisten oft genug auf die Nerven, über deren Schreibti-schen eine vergilbte Kopie aus den Zeiten des Fax-Humorshängt: „Wir sind bei der Arbeit und nicht auf der Flucht.“Wir ärgern uns über ihre Borniertheit nach dem Motto„keine Experimente!“. Unterm Strich aber richten sie deut-

Einleitung

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lich weniger Schaden an als die Umtriebigen und Agilen,die Paniker und Machbarkeitsfanatiker.

Zwar wird der bedächtig Abwartende niemals Lob undLorbeeren für seine heroische Kühnheit ernten. Er wirdhäu g nicht das maximale Resultat erzielen. Aber er wirdkatastrophale Fehlentscheidungen vermeiden, nicht mit�iegenden Fahnen in sein Verderben rennen und im Zwei-fel länger am Leben bleiben.

In diesem Sinne ist die Stein-Strategie bei gewissenhafterAbwägung die klügere Alternative – und ein Gegengiftwider voreiliges Handeln, blauäugige Beherztheit und kon-fusen Hyperaktivismus. Was sie nicht ist: eine Apologie derFaulheit und ein erneutes Loblied auf die „Prokrastina-tion“, das zwanghafte Aufschiebeverhalten. Das Unterlas-sen als Strategie setzt voraus, dass man immer auch han-deln könnte und sich bewusst dagegen entscheidet – undnicht, dass man durch höhere Mächte, Antriebslosigkeitoder eine pathologische Disposition dazu gezwungen wird,in Untätigkeit zu verharren. „Die Bedingung der möglichenVerhaltensalternativen ist ein konstitutives Moment desUnterlassens“, stellt der Philosoph Dieter Birnbacher klar.

Es geht hier also weniger um die Tradition Fürst Oblo-movs, jenes Antihelden aus dem gleichnamigen Gontscha-row-Roman, der zum Symbol personi zierter Lethargie(„der Mittagsschlaf war das Zentrum seines Tagesablaufs“)und damit zur Identi kations gur aller Slacker wurde.Dann schon eher um das Erbe von Herman MelvillesBartleby, dem Schreiber, der durch seine plötzliche starr-köp ge Verweigerungshaltung („I would prefer not to“)sein gesamtes Büroumfeld lahmlegte. Sicherlich kann man

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sich bei den Vorbildern aus der Richtung von ShakespearesHamlet bis zu Samuel Becketts trantütigen Helden – den„Athleten des Zauderns“, wie sie der KulturwissenschaftlerJoseph Vogl nennt – einiges abschauen. Allerdings werdenwir uns nicht groß mit ihnen aufhalten und verweisen aufdie einschlägige Fachliteratur.

Zugleich sollte dieses Buch nicht als ein Plädoyer für dieangeblich verlernte Kulturtechnik von Muße, Müßiggangund Nichtstun missverstanden werden. Auch davon hat esin den letzten Jahren zur Genüge gegeben. Anders als jenegutgemeinten, zumeist kulturpessimistisch grundiertenMahnungen zu Entschleunigung und innerer Einkehr, zieltdie Stein-Strategie auf die Verfolgung und Durchsetzunghandfester Eigeninteressen von Individuen und Organi-sationen. Sie ist eine Lektion in Abwarten und Aussitzen,ein Lob auf die Tugend des Füße-still-halten-Könnens undKommen-Lassens. In einer von sinnlosem Stress, Hektikund Atemlosigkeit geprägten Zeit ist intentionale Passivitäteine rare und zu Unrecht verfemte Kunstform, die durchnichts besser versinnbildlicht wird als durch den ruhendenStein.

Manuel De Landa, ein Philosoph des „Neuen Materia-lismus“, argumentiert in seinem großartigen Buch A�ousand Years of Nonlinear History, dass zwischen derErd-, Sozial- und Kulturgeschichte mehr strukturelleÄhnlichkeiten bestehen als Unterschiede. Es führt einedirekte, wenn auch keine gerade Linie von der Geologie zurSoziologie: „Wir leben in einer Welt, die von Strukturenbevölkert wird – eine komplexe Mischung aus geologi-schen, biologischen, sozialen und linguistischen Konstruk-

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ten, die nichts sind als Akkumulationen von Material, dievon der Geschichte geformt und gehärtet werden.“ Indieser nonlinearen Geschichtsschreibung ndet man„Bifurkationslinien“, an denen das System einen Sprungbekommt und in einen anderen Zustand wechselt. DieSpur der Steine und die Spur der Menschen kreuzen sichmehrfach und durchdringen sich wechselseitig. Die He-rausbildung von Knochen, die Mineralisierung des tieri-schen und später menschlichen Endoskeletts bildet einender Kreuzungspunkte. Ein weiterer liegt vor etwa 8000Jahren, als Menschen begannen, sich mineralische Exo-skelette zu bauen: Häuser aus Stein. So sind wir über dieGeschichte mit den Steinen verbandelt.

Zwar haben Steine, nach allem, was man weiß, keinBewusstsein, keinen eigenen Willen und können ergo auchkeine Strategie verfolgen. „Wozu über Steine reden, wennder Mensch das �ema ist?“, versetzt Peter Sloterdijk inseiner Weltfremdheit: „Von der Seinsweise der Steine führt,so scheint es, kein Weg zu der der Menschen.“ Für denPhilosophen erschöpft sich die Parallele von Mensch undStein im Bild des Findlings, den die Eiszeit in der Ebenezurückgelassen hat: Indem wir uns unserer Existenz be-wusst werden, würden wir zu Findlingen unserer selbst, zu„Selbst ndlingen“.

In diesem Buch wollen wir eine andere Abzweigung neh-men, indem wir uns, cum grano salis, von der Metapher desSteins in Richtung strategisches Denken leiten lassen.

Im Genre des populären Strategie-Sachbuchs, das unsOrientierung für die private Bewältigung des Alltags undfür das professionelle Vorankommen verspricht, ist es

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modern geworden, niedere Lebensformen zum titelgeben-den Vorbild zu machen. Begonnen hat das mit SpencerJohnsons schmalem Büchlein Die Mäuse-Strategie fürManager, das anhand einer Fabel aufschlüsselt, wie wir„Veränderungen erfolgreich begegnen“: Zwei Mäuse undzwei Zwergenmenschen suchen täglich in einem Labyrinthnach Käse. Als sie einen größeren Vorrat gefunden haben,setzen sich die Menschen zur Ruhe und werden bequem,während die Mäuse alert und auf dem Sprung bleiben. Alsder Käsevorrat aufgezehrt ist, ziehen die Mäuse sofort wie-der hinaus ins Labyrinth, während die Menschen langeüber dem Verlust brüten, bevor sie sich endlich aufra�en,neuen Käse zu suchen.

Was will uns das sagen? Was sollen wir von den Mäu-sen lernen? „Die Mäuse analysierten die Lage nicht über-mäßig und belasteten sich nicht mit komplizierten Über-legungen.“ Und für alle, die es noch nicht kapiert haben,sind ganzseitige Merksätze und Sinnsprüche wie „Je schnel-ler Du den alten Käse sausen lässt, desto eher ndest Duneuen“ eingestreut. Der Käse steht – logisch, was sonst? –für alles, was uns kostbar ist und was wir im Leben an-streben.

So platt die Botschaft, so imposant am Ende der deut-schen Ausgabe die Liste der Unternehmen, in denen dasBuch so etwas wie P�ichtlektüre zu sein scheint. Sie reichtvon Exxon über General Motors bis Xerox. Seit Erschei-nen 1998 hat sich die einfältige kleine Geschichte welt-weit 26 Millionen Mal verkauft und wurde zu einem dererfolgreichsten Wirtschaftsbestseller aller Zeiten. O�en-sichtlich hat sie einen Nerv der Zeit getro�en und einen

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Bedarf richtig erkannt: den Betro�enen der seit etwa Mitteder 1990er grassierenden Umbaumanie in Unternehmenund Konzernen – den „�exiblen Menschen“, wie RichardSennett sie getauft hat – etwas Erbauliches und Tröstendesan die Hand zu geben.

Bei so einem Erfolg ließen die Epigonen natürlich nichtlang auf sich warten. Unter anderem liegen mittlerweilevor: Die Bären-Strategie, Die Schaf-Strategie, Das Pinguin-Prinzip und natürlich eine Del�n-Strategie. Den vorläu -gen Tiefpunkt markiert Die Kakerlaken-Strategie von CraigHovey. 2006 erschienen, handelt sie davon, dass ein frust-rierter Angestellter, der einer sprechenden Kakerlake dasLeben schenkt, zum Dank mit allerlei Kni�en für den täg-lichen Existenzkampf im Büro versorgt wird. Logisch,denn „als die ultimativen Überlebenskünstler, die schonvor den Dinosauriern existierten, kennen Kakerlaken diebesten Überlebenstipps für das Überleben im Job“. Ihre„Kakerlaken-Gebote“ lauten also: „Greif an, während dieanderen noch grübeln.“ Oder: „Was dich nicht umbringt,macht dich nur stärker.“

Was ist aus dem schönen Strategie-Ratgeber-Genre ge-worden, das einst in Asien erfunden wurde, in Europa zurBlüte gelangte und von den Amerikanern verwissenschaft-licht wurde?! Als gesammeltes Erfahrungswissen aus zwei-tausend Jahren chinesischer Kriegskunst sind die berühm-ten 36 Strategeme überliefert, die so schöne Namen tragenwie „Einen Backstein hinwerfen, um Jade zu erlangen“oder „Die Akazie schelten, dabei aber auf den Maulbeerzeigen“ – in Wahrheit sind es weniger Strategien als takti-sche Finten und Winkelzüge.

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Am Anfang der Neuzeit beantwortete der Medici-Ein-�üsterer Niccoló Machiavelli die Frage, ob es für einenHerrscher besser sei, geliebt oder gefürchtet zu sein, miterfrischendem Realitätssinn: nach Möglichkeit beides, aberwenn man sich denn für eines entscheiden müsse, dannbesser gefürchtet. Die Wahrheit müsse man nur sagen,wenn man Gefahr laufe, beim Lügen erwischt zu werden.Aufklärerische Interpreten waren sich lange Zeit nichtsicher, ob es sich bei Machiavellis Buch Der F ürst nichtvielleicht um Satire handele.

Unmissverständlicher war da schon General von Clau-sewitz’ Handbuch der Kriegskunst Vom Kriege aus dem frü-hen 19. Jahrhundert. Mit preußischer Sachlichkeit undAkribie wird darin zwischen Strategie und Taktik, inner-halb der Strategien noch einmal zwischen „Niederwer-fungs-“ und „Ermattungsstrategie“ di�erenziert. Clause-witz war auch der Erste, der darauf hinwies, dass es imKrieg immer außerplanmäßige „Friktionen“ gebe und im„Nebel des Krieges“ nichts so laufe wie geplant.

In der ersten Hochphase des Kalten Krieges 1960schließlich legte �omas C. Schelling mit seiner Ana-lyse �e Strategy of Con�ict die Grundlagen für die wis-senschaftliche Spieltheorie, wofür er später den Wirt-schaftsnobelpreis erhielt. Am Anfang steht bei ihm dieUnterscheidung zwischen denen, die Kon�ikte für etwasPathologisches halten, das es zu beseitigen und zu überwin-den gilt, und der Fraktion derer, die Kon�ikte als gegebeneund wiederkehrende Tatsache begreifen und sie in all ihrerKomplexität verstehen wollen – wobei Letztere natürlichden spannenderen Ansatz verfolgen.

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Dagegen nehmen sich die heutigen zoologisch inspirier-ten Strategiebücher eher naseweis und bauernschlau aus.Auch wenn bislang noch niemand eine Hunde-Strategiefür Manager formuliert hat, kann man sagen: Das Genreist auf den Hund gekommen. Angesichts des unterschwel-ligen und unre�ektierten (oder auch: bewusst in Kauf ge-nommenen) Zynismus, den es darstellt, erwachsene Men-schen mit den Verhaltensmustern und Reaktionsweisenvon Säugern, Nagern und Ungeziefer zu behelligen, ist esein geradezu konsequenter Rettungsversuch für das Genre,zur – mit Max Goldt gesprochen: – „majestätischen Ruhedes Anorganischen“ durchzubrechen und den Stein zuminspirierenden Vorbild zu erküren.

Die Menschen mögen Steine – bis hin zur Identi ka-tion mit ihnen. I Am A Rock sangen Simon and GarfunkelAnfang der 1960er. Und Bob Dylan fragte sich: „How doesit feel, to be on your own (…) like a rolling stone?“ ZehnJahre später wurde es in der Hippiekultur der USA Mode,sich Steine als Haustiere zu halten. Der „Pet Rock“, einhandelsüblicher Kieselstein, kam auf Stroh gebettet ineiner mit Luftlöchern versehenen Transportschachtel insHaus. Er war anspruchslos, p�egeleicht und selbst Kin-dern guten Gewissens zu überantworten. Über eine Mil-lion „Pet Rocks“ wurden seinerzeit verkauft, was den Er n-der Gary Dahl aus Kalifornien zu einem reichen Mannmachte. Heute gibt es die Neuau�age des Haustier-Steinsmit USB-Anschluss im Internet zu bestellen.

Die evolutorische Überlegenheit nicht-domestizierterSteine ist unabweisbar: Wenn dereinst Menschen, Mäuse,selbst Kakerlaken vom Erdboden verschwunden sein wer-

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den, wird es immer noch und für eine lange Zeit danachSteine geben. Steine sind optimal angepasst an ihre natür-liche Umgebung. Steine denken in langen Zeiträumenund großen Bögen; der schnelle Vorteil – sogenannte„quick wins“ – sind nicht ihr Geschäftsmodell. Steine sindihrem gesamten Wesen nach grundsolide.

Die Stein-Strategie ist demnach ein Programm innererBeständigkeit und langfristiger Überlegenheit. Sie verstehtsich als Übung in Selbstdisziplin und Antidot gegen Unge-duld und Aktionismus, Unrast und Umtriebigkeit. DerSpur der Steine folgen heißt, Eigensinn und Gelassenheiterfolgreich zu kombinieren, den geschmeidigen situativenWechsel zwischen Beharrlichkeit und Geschehenlassen zupraktizieren. Oder kürzer und mit Dank an den großenRobert Gernhardt: Von Steinen lernen heißt liegen lernen.

In einer Nussschale meint die Stein-Strategie: wenigertun, eigentlich fast gar nichts tun, aber das Wenige mitdurchschlagender Wirksamkeit. Sie ist eine Variation aufdas ewige �ema „In der Ruhe liegt die Kraft“, das, wie zuzeigen sein wird, mehr als nur das taugliche Grundmusterspiritueller Meditation und individueller Achtsamkeit ist.Vielmehr lässt sich die Stein-Strategie anwenden auf Poli-tik und Staatskunst, Bildende Kunst und Literatur. Sieist handlungsleitend für Wirtschaft, Management undFinanzgeschäfte. Und sie stiftet Orientierung im unweg-samen Gelände von Paarbeziehungen und privaten Kon-�ikten, was ja nicht selten dasselbe ist.

Eine Freundin, ohne die ich selbst niemals zum Bücher-schreiben gekommen wäre, die Autorin, Verlegerin undgroße Alltagsphilosophin Annette Anton, p�egt zu sagen:

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„Entweder, man ist Teil des Problems – oder man ist Teilder Landschaft.“ Wenn man vor der Wahl steht, ist Letzte-res sicher die bessere Alternative. Wir wollen also damitbeginnen, wie man Teil der Landschaft wird. Wir wollenbegründen, warum es von Vorteil sein kann, sich nicht zubewegen.

BE HERE NOW:DIE KUNST DES

LIEGEN-BLEIBENS

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Holm Friebe

Die Stein-StrategieVon der Kunst, nicht zu handeln

Taschenbuch, Broschur, 224 Seiten, 11,8 x 18,7 cmISBN: 978-3-453-60325-7

Heyne

Erscheinungstermin: Februar 2015

Abwarten und Tee trinken In unserer turbulenten Gegenwart gilt Stillstand als Niedergang. Doch sind wir vielleicht längstdem blinden Aktionismus verfallen? Wäre es oft nicht klüger, erst einmal abzuwarten und nichtzu handeln? Holm Friebe zeigt: Mit dem klug eingesetzten Prinzip des Nicht-Handelns lassensich eigene Interessen durchsetzen und strategische Vorteile erreichen. Prominente Vorbilder:Angela Merkel, die ihre Macht durch Aussitzen ausbaut. Und Warren Buffett, der sein Geld ander Börse durch kluges Abwarten verdient. Scharfsinnig und bestechend – eine verführerischeOption für das eigene Leben.