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JOURNAL FÜR ERNÄHRUNGSMEDIZIN Krause & Pachernegg GmbH · VERLAG für MEDIZIN und WIRTSCHAFT · A-3003 Gablitz Offizielles Organ des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin Offizielles Organ der Österreichischen Adipositas Gesellschaft Mit Nachrichten der Indexed in EMBASE/ Excerpta Medica INTERDISZIPLINÄRES ORGAN FÜR PRÄVENTION UND THERAPIE VON KRANKHEITEN DURCH ERNÄHRUNG Homepage: www .kup.at/ ernaehrung smedizin Online-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche KNASMÜLLER S, PARZEFALL W, SCHWAB C Kanzerogene und gentoxische Substanzen in Lebensmitteln und natürliche Protektionsmechanismen Journal für Ernährungsmedizin 2001; 3 (1) (Ausgabe für Österreich), 5-16

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JOURNAL FÜRERNÄHRUNGSMEDIZIN

Krause & Pachernegg GmbH · VERLAG für MEDIZIN und WIRTSCHAFT · A-3003 Gablitz

Offizielles Organ desÖsterreichischen

Akademischen Instituts fürErnährungsmedizin

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KNASMÜLLER S, PARZEFALL W, SCHWAB CKanzerogene und gentoxische Substanzen in Lebensmitteln und

natürliche Protektionsmechanismen

Journal für Ernährungsmedizin 2001; 3 (1) (Ausgabe fürÖsterreich), 5-16

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5J. ERNÄHRUNGSMED. 1/2001

Eingelangt am 10. 12. 1999, angenommen am 29. 01. 2001Aus dem Institut für Tumorbiologie-Krebsforschung der Universität WienKorrespondenzadresse: o. Prof. Dr. Siegfried Knasmüller, Dr. Christina Schwab, Dr. Wolfram Parzefall, Institut für Tumorbiologie-Krebsforschung derUniversität Wien, Borschkegasse 8a, A-1090 Wien, Austria, E-Mail: [email protected]

D ie amerikanischen Forscher Doll und Peto veröffent-lichten 1981 eine Faktorenanalyse vermeidbarer Krebs-

raten in den USA [1]. Die zentrale Aussage dieser Studie ist,daß für die Auslösung von Krebserkrankungen vor allemUmweltfaktoren verantwortlich sind (mehr als 90 %) undder Ernährung neben dem Tabakkonsum eine zentrale Rollezukommt, während andere Faktoren, die allgemein alsbesonders wichtig eingestuft werden, wie Umweltver-schmutzung, Medikamenteneinnahme oder synthetischeSchadstoffe, eine wesentlich geringere Bedeutung besit-zen (Abb. 1). Auch in jüngeren Untersuchungen hat sich andieser Einschätzung nichts wesentliches geändert [2, 3]. DieBedeutung der Ernährung wird auch klar, wenn man be-denkt, daß ein Mensch bis zu seinem 50. Lebensjahr etwa50.000 kg an Nahrung (Frischgewicht) zu sich genommenhat. Besonders wichtige Erkenntnisse wurden aus Migra-tionsstudien erhalten sowie aus vergleichenden Untersu-chungen ethnischer oder religiöser Minderheiten, die sichhinsichtlich ihrer Ernährungsgewohnheiten von der Rest-bevölkerung deutlich unterscheiden. Studien an Japanern,die in die USA auswanderten, zeigten, daß es nach zweiGenerationen zu einer Änderung der Krebshäufigkeits-verteilung kommt; die in Japan hohe Inzidenz von Magen-karzinomen ging zurück, während es zu einem deutlichenAnstieg der Dickdarmkrebserkrankungen kam, der für Ame-rikaner charakteristisch ist [4]. Beobachtungen an 7-Tage-Adventisten, einer religiösen Gruppe mit geringem Fleisch-verzehr und Alkoholkonsum, zeigten, daß die Inzidenz vonDickdarmkrebs deutlich niedriger ist als bei der Normal-bevölkerung [5]. Auf die Reduktion der Krebsinzidenzenbei Vegetariern wird in der Schlußfolgerung näher einge-gangen.

In der vorliegenden Arbeit wird ein Überblick über denderzeitigen Stand des Wissens über nahrungsrelevante Ri-siko- und Schutzfaktoren gegeben. In den Kapiteln 3 und 4werden die Rolle der Kalorienzufuhr und der Hauptbe-standteile der Nahrung beschrieben, nachfolgend werdennatürlich vorkommende Kanzerogene in Nahrungsmittelnund Gewürzen, die Mykotoxine sowie die viel diskutiertenLebensmittelzusatzstoffe besprochen (Kapitel 5, 6 und 7).Im Kapitel 8 werden Substanzen erörtert, die durch die Zu-

bereitung in die Lebensmittel gelangen. Im letzten Ab-schnitt werden Nahrungsbestandteile beschrieben, die vorKrebserkrankungen schützen; die zugrundeliegenden Me-chanismen werden anhand einiger ausgewählter Beispieledargestellt. Zu Beginn wird es jedoch erforderlich sein,den Lesern einen kurzen Überblick über die Mechanismender Krebsentstehung zu geben und die Methoden derKrebsforschung zu erörtern.

1. Das Mehrstufenkonzept der Krebsentstehung

Das derzeit allgemein akzeptierte Modell des Mehr-stufenkonzeptes (Abb. 2) der Krebsentstehung basiert aufden Versuchen von Beerenblum [6, 7]. Es wurde durchzahlreiche Nachfolgestudien bestätigt und besagt, daß beider Krebsentstehung mehrere Stufen unterschieden wer-den können. In der Initiationsphase entstehen durch DNA-Schäden „initiierte” Zellen, die sich von den Normalzellenunterscheiden, jedoch noch nicht jenes Teilungsverhaltenaufweisen, das für Krebszellen charakteristisch ist. Unterdem Einfluß von Promotoren beginnen sich die initiierten(„ruhenden”) Krebszellen zu teilen, und es entstehen Tu-more, die sich in der Progressionsphase weiter vergrößernund zu metastasieren beginnen.

Kanzerogene und gentoxische Substanzen in Lebens-mitteln und natürliche Protektionsmechanismen

S. Knasmüller, C. Schwab, W. Parzefall

Die Nahrung und bestimmte darin vorkommende Stoffe (wie natürliche Inhaltsstoffe, Mykotoxine, Nitrosamine, heterozyklische aromatischeAmine, PAK’s) spielen eine große Rolle in der Karzinogenese. Daneben gibt es aber auch Pflanzeninhaltsstoffe mit antikarzinogener und antimutagenerWirkung. Pflanzliche Phenole und Vitamine wirken einer endogenen Nitrosaminbildung entgegen. Daneben sind Mechanismen zur Inhibierung vonPromutagenen und -karzinogenen wirksam, und detoxifizierende Enzyme können induziert werden. Radikalfänger und Phytoöstrogene entfaltenauch Schutzfunktionen, die Krebsbildung vermeiden können.

Schlüsselwörter: Kanzerogene, Zusatzstoffe, Nitrosamine, Antimutagene u. antikarzinogene Substanzen, detoxifizierende Enzyme, Phytoöstrogene

Food and some special substances (natural constituents, mycotoxins, nitrosamines, heterocyclic aromatic amines, PAK’s) play an important rolein the carcinogenesis. There also exist plant ingredients with anticarcinogenic or antimutagenic effects. Phenols or vitamins from plants can suppressendogenous formation of nitrosamines. There are also systems for the inhibition of promutagens and -carcinogens and detoxifying enzymes may beinduced. Also radical scavengers and phytoestrogens have protective functions, avoiding the formation of cancer. J Ernährungsmed 2001; 3 (1): 5–16.

Keywords: Origin of cancer, carcinogens, food additives, nitrosamines, antimutagens, anticarcinogens, detoxifying enzymes, phytoestrogens

Abbildung 1: Einflußfaktoren der Krebsentstehung nach Doll und Peto[1, 2]

For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.

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Zu den gentoxischen Kanzerogenen zählen die meistenin der vorliegenden Arbeit besprochenen Nahrungs-inhaltsstoffe, aber auch Industriechemikalien, wie aromati-sche Amine, Nitroaromaten, die durch Verbrennungs-prozesse gebildet werden, und bestimmte Medikamente,wie Zytostatika, die in der Krebstherapie eingesetzt werden.

Tumorpromovierende Chemikalien sind in der Regelepigenetisch (nicht gentoxisch). Zu ihnen zählen bestimm-te Hormone, Umweltschadstoffe wie Pestizide und Dioxi-ne, aber auch nahrungsrelevante Substanzen wie Gallen-und Fettsäuren. In Tabelle 1 sind die Charakteristika voninitiierenden und promovierenden Agentien einander ge-genübergestellt. Aufgrund der Irreversiblität und Additivi-tät sowie aufgrund des Fehlens von Schwellenwerten wer-den initiierend wirkende Substanzen als wesentlich ge-fährlicher eingestuft als Promotoren. Da die meisten Kan-zerogene sowohl initiierende als auch promovierende Ei-genschaften besitzen, sind die Mechanismen der Kanzero-genese meist wesentlich komplizierter.

Wie erwähnt, wirken Initiatoren DNA-schädigend: DerZusammenhang zwischen gentoxischer Wirkung (toxischeWirkung auf die Erbsubstanz, die zu vererbbaren Ände-rungen = Mutationen) führt, konnte ursprünglich nichtkausal begründet werden. Erst Ende der achtziger Jahrebegann man zu verstehen, daß Mutationen in Krebsgenen(Onkogenen) von Körperzellen ursächlich mit der Krebs-entstehung zusammenhängen. Onkogene sind Gene, diefür Wachstums- und Signalfunktionen in der Zelle verant-wortlich sind, Tumorsuppressorgene verhindern die Tei-lung von Krebszellen oder sind für die Kontrolle von DNA-

Reparatur und Zelltod (Apoptose) verantwortlich. DurchDNA-Veränderungen in Onkogenen oder in Tumorsuppres-sorgenen kommt es zu Funktionsstörungen, aus denenletztendlich die ungehemmte Teilungsaktivität der Zellenresultiert, die für Krebszellen charakteristisch ist [8].

2. Methoden der Krebsforschung

Die moderne Krebsforschung ist eine multidisziplinäreWissenschaft, in der biologische, zellbiologische, mole-kulargenetische, biochemische und mathematisch-statisti-sche Methoden angewendet werden. Um Aufschlüsse dar-über zu bekommen, ob umwelt- oder nahrungsrelevanteSubstanzen DNA-schädigend wirken, werden Mutations-experimente durchgeführt [9, 10]. Aufgrund der Tatsache,daß die Erbsubstanz bei allen Lebewesen eine weitgehendidente Struktur aufweist, können verschiedene Indikator-organismen bei diesen Untersuchungen eingesetzt wer-den. Unter anderen verwendet man leicht züchtbare Bak-terien oder Säugerzellen, die in Gewebekultur gehaltenwerden. Mutationen in einzelnen Genen (Genmutationen)können in einfachen Experimenten nachgewiesen wer-den, in denen auf stoffwechselphysiologische Veränderun-gen geprüft wird (etwa auf die Fähigkeit von Bakterien, be-stimmte Aminosäuren wie Histidin zu synthetisieren wieim Ames-Test). Änderungen auf chromosomaler Ebene(Chromosomenmutationen) können lichtmikroskopisch inMetaphasen von Gewebekulturzellen, aber auch in mensch-lichen Blutzellen nachgewiesen werden. Etwas wenigerzeitaufwendig ist die Erfassung von Kleinkernen, die infol-ge von Chromosomenbrüchen (Klastogenität) oder Fehl-aufteilungen (Aneuploidie) entstehen. Es handelt sich beiKleinkernen um kleine Körperchen, die neben dem eigent-lichen Zellkern liegen. Für die Detektion von Rekombi-nationsprozessen wurden eigene Modelle mit Hefezellen,Fruchtfliegen und Mäusen entwickelt. Neben Mutations-experimenten können auch indirekte Verfahren eingesetztwerden, um Hinweise auf erbsubstanzschädigende Effektevon Chemikalien zu erhalten. Bei UDS-Tests wird dieDNA-reparaturbedingte „außerfahrplanmäßige” (unschedu-led) DNA-Synthese mittels radioaktiver Markierung in Zel-len erfaßt (Einbau von 3H-Thymidin). Einzelstrangbrüchekönnen durch Filterexperimente (alkalische Eluierung)oder durch Einzelzellgelelektrophoresetests gemessenwerden. Die unterschiedliche Wanderungsgeschwindigkeitder DNA-Stränge in einem elektrischen Feld führt zur Bil-dung von „Kometen”, deren Größe vermessen wird und Aus-

Tabelle 1: Initiation und Promotion

Initiation Promotion

Auslösung durch gentoxische Effekte Auslösung durch epigenetischeMechanismen

Wirkung additiv1) Wirkung nicht additivWirkung irreversibel2) Wirkung irreversibelKein Schwellenwert3) SchwellenwertGeringe Organspezifität Hohe Organspezifität

1) Gemeint ist, daß in Tierversuchen die Gesamtmenge (tägliche Dosis ×Fütterungsdauer), die bei einem bestimmten Prozentsatz der Individu-en zu Krebsentstehung führt, relativ konstant ist – eine Verringerungder Dosis erfordert dementsprechend eine Verlängerung der Fütterungs-zeit.

2) Eine Unterbrechung der Exposition wirkt sich auf die Häufigkeit derErkrankungen nicht revertierend aus.

3) Es gibt keine „niedrigste” Dosis, bei der keine Gefährdung gegeben ist.In Tierversuchen zeigt sich jedoch, daß die Dosis so gering werdenkann, daß die Lebensdauer der Tiere nicht ausreicht, daß sie Krebsbekommen. „Alle Raucher bekommen Krebs – nur manche erlebenihn nicht.”Abbildung 2: Mehrstufenkonzept der Krebsentstehung.

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kunft über das Ausmaß der Schädigung gibt. Ein ebenfallsaktuelles Verfahren ist die Auftrennung der DNA mittelsRestriktionsenzymen. Durch nachfolgende chromato-graphische Untersuchungen ist es möglich, einzelne Basen-addukte zu detektieren. Einige der Verfahren können auchmit Zellen exponierter Personen durchgeführt werden,und es ist möglich, durch derartige Biomonitoring-Unter-suchungen Aussagen über genetische Belastungen und dasdamit verbundene Krebsrisiko beim Menschen zu treffen.

Ein besonderes Problem, das bei In-vitro-Verfahren auf-tritt, die zeit- und kostenaufwendige Untersuchungen mitLabornagern ersetzen sollen, liegt im Defizit der Nachah-mung der Stoffwechselvorgänge: Die meisten eingesetztenIndikatorzellen sind metabolisch nicht kompetent, d.h., esfehlen ihnen jene Enzyme, die eine Aktivierung und Inak-tivierung von körperfremden Substanzen im lebendenSäuger katalysieren [11]. Die derzeit verwendeten Enzym-homogenate sind nur teilweise in der Lage, die komplexenStoffwechselvorgänge im lebenden Säugetier wiederzuge-ben.

Versuche, In-vitro-Tests zu entwickeln, in denen dieUmwandlung von Normalzellen zu Krebszellen erfaßtwerden kann (Transformationstests), waren nur teilweiseerfolgreich: Es wurden zwar Methoden entwickelt, mit de-nen die Effekte einzelner Klassen von Kanzerogenen erfaßtwerden können, die Modelle sind jedoch zu unzuverläs-sig, um schlüssige Aussagen zu ermöglichen [12]. Daherkann man in der Krebsforschung auf Langzeittierexperi-mente mit Labornagern derzeit nicht verzichten [13]. Zahl-reiche humanrelevante Kanzerogene wurden in Tierversu-chen entdeckt. Für die Bearbeitung mechanistischer Fra-gestellungen werden jedoch zunehmend Versuche mitkultivierten Zellen eingesetzt. Um die Kosten und die Tier-zahlen möglichst gering zu halten, werden bei den routi-nemäßigen Substanzprüfungen meist relativ wenige Tierehohen Dosen einer Prüfsubstanz ausgesetzt. Diese Art derExposition ist prinzipiell anders als die menschliche Be-lastungssituation, bei der meist viele Individuen geringenDosen über lange Zeiträume ausgesetzt sind. Wie im Kapi-tel über Lebensmittelzusatzstoffe dargestellt, kann dies zuFehleinschätzungen führen.

Die zell- und tierexperimentellen Untersuchungen wer-den durch epidemiologische Studien am Menschen er-gänzt. Allerdings ist das Auftreten von Krebserkrankungendurch lange Latenzzeiten (15–40 Jahre) charakterisiert, sodaß sich bei retrospektiven Untersuchungen (Fallstudien)Probleme durch das mangelhafte Erinnerungsvermögenergeben. Prospektive Studien (Kohortenstudien) wiederumermöglichen hohe Teilnehmerzahlen und lange Laufzei-ten, sind aber aufgrund der relativen Seltenheit der Erkran-kungen äußerst arbeits- und kostenaufwendig.

3. Kalorienzufuhr und Übergewicht

Zahlreiche Studien deuten darauf hin, daß hyperka-lorische Ernährung und Übergewicht Risikofaktoren für dieKrebsentstehung, insbesondere für die Auslösung hormon-abhängiger Krebsarten, darstellen. In einer internationalenVergleichsstudie wurde bei Frauen ein deutlicher Zusam-menhang zwischen Körpergröße und Brustkrebsinzidenzgefunden, wobei die Körpergröße nicht nur genetisch, son-dern auch durch die Kalorienzufuhr im Kindesalter mitbe-stimmt wird [14]. Besonders gut dokumentiert ist das erhöh-te Auftreten von postmenopausalem Brustkrebs bei überge-

wichtigen Frauen [15, 16]. Dieses Phänomen kann durchStörungen des Hormonhaushalts, d. h. durch postmeno-pausale Östrogenproduktion im peripheren Fettgewebe er-klärt werden. Auch aus Tierversuchen geht hervor, daßÜbergewicht mit erhöhten Krebsrisiken assoziiert ist. Diver-se Mechanismen, wie verringerte Aktivität von protektivenEnzymen, erhöhte Zellteilung und Störungen des Hormon-spiegels, könnten dabei eine Rolle spielen [15]. Weiterskonnte in Tierversuchen nachgewiesen werden, daß Apop-tose in chemisch induzierten Lebertumoren bei Ratten ver-stärkt auftritt, wenn die Nahrungszufuhr der Tiere reduziertwurde [17].

Lutz und Schlatter [18] berechneten aufgrund bekannterExpositionsdaten aus der Schweiz das Humanrisiko durchgentoxische/nichtgentoxische nahrungsrelevante Kanzero-gene auf der Grundlage tierexperimenteller Daten. Insge-samt konnten diesen Berechnungen zufolge nur einige tau-send Fälle auf nahrungsrelevante Chemikalien zurückge-führt werden. Dem Alkoholkonsum wurde eine etwas wich-tigere Rolle als den anderen Faktoren zugeschrieben (8000Krebserkrankungen/106 Personen). Aufgrund weiterer tier-experimenteller Daten mit Ratten wurde der Einfluß desÜbergewichts ermittelt. Den Berechnungen wurde dieDosis bei Ratten zugrundegelegt, die bei hyperkalorischerErnährung mit Kohlenhydraten zu einer Verdoppelungder Krebserkrankungen führt (16 g/kg/Tag). Aufgrund derErnährungsdaten der Schweizer Bevölkerung ließ sich aufdas durch Überernährung verursachte Krebsrisiko rück-schließen und es zeigte sich, daß etwa 60.000 Krebsfälle/106 Personen durch hyperkalorische Ernährung verursachtsein könnten. Allerdings ist nicht eindeutig klar, ob die inder Studie verwendeten linearen Extrapolationsmodelle aufden Menschen zutreffen, weiters wurden bei der Berech-nung der Effekte der Chemikalien synergistische und ant-agonistische Effekte nicht berücksichtigt.

4. Die Rolle der Hauptbestandteile der Nahrung

Während internationale Vergleichsstudien einen deutli-chen Zusammenhang zwischen Fettkonsum und hormon-abhängigen Krebsarten und Kolonkrebserkrankungen nahe-legten, wurden diese Korrelationen in Fallstudien nur teil-weise bestätigt [19]. Ein deutlicher Zusammenhang zeigtesich nur zwischen dem Konsum gesättigter Fettsäuren undKolonkrebs, während weder mit gesättigten noch mit unge-sättigten Fettsäuen Assoziationen mit der Auslösung vonBrustkrebserkrankungen gefunden wurden. Es ist jedochaus Tierversuchen bekannt, daß Linolensäure bei der Brust-krebsentstehung eine zentrale Rolle als Promotor spielt.Weiters ist gut dokumentiert, daß 6fach ungesättigte Fett-säuren die Krebsentstehung begünstigen, während 3fachungesättigte Fettsäuren hemmend wirken. 6fach ungesättig-te Fettsäuren spielen bei der Bildung von Prostaglandineneine Rolle, die das Immunsystem beeinflussen und unteranderem die Aktivität der Makrophagen inhibieren [20].

Auf die Rolle der Proteine und Kohlenhydrate soll hiernur kurz eingegangen werden [21, 22]: Erhöhte Proteinzu-fuhr ist oft mit erhöhter Fettzufuhr verbunden, so daß esschwer möglich ist, klare Aussagen zu treffen. Eine unab-hängige Rolle der Eiweiße bei der Krebsentstehung konntedaher in epidemiologischen Studien bisher nicht nachge-wiesen werden. Es gibt jedoch Hinweise auf erhöhte In-zidenzen von Kolon- und Brustkrebs bei Konsum tieri-scher Proteine (Fleisch), möglicherweise spielen in diesemZusammenhang heterozyklische aromatische Amine (sie-

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he Kapitel 8.2) eine Rolle. Es gibt einige Studien, die aufeine Assoziation von Zuckern (Mono- u. Diglyzeride) underhöhtem Auftreten von Dickdarmkrebs hinweisen [23,24], möglicherweise ist dies durch die gesteigerte Gallen-säureproduktion bei Zuckeraufnahme bedingt [25]. Inver-se Korrelationen bestehen zwischen dem Konsum vonKohlenhydraten und der Inzidenz von Kolon- und Rek-tumkrebs. Ob diesem Phänomen Schutzmechanismen zu-grunde liegen, oder ob die reduzierte Aufnahme von Fet-ten und Fleisch, in dem zubereitungsbedingte Kanzeroge-ne enthalten sind, ausschlaggebend ist, ist nicht geklärt.Weiters ist die erhöhte Aufnahme von Kohlenhydraten miteiner erhöhten Aufnahme von Ballaststoffen und pflanzli-chen Schutzsubstanzen assoziiert, denen besondere Schutz-effekte zugeschrieben werden (siehe Kapitel 9.6) (Tab. 2).

5. Natürlich vorkommende Kanzerogene inpflanzlichen Nahrungsmitteln

Bereits in den siebziger Jahren entdeckte man in Mehl,das aus den Stämmen von Cycadeen-Palmen hergestelltwurde, eine glykosidische Substanz, das Cycasin [26]. DasMehl wurde auf verschiedenen südpazifischen Inseln undauch auf den Florida Keys zur Herstellung von Backwarenverwendet. Cycasin wird durch die intestinale Darmfloragespalten und das Aglucon (Methylazoxymethanolazetat)in der Leber in DNA-reaktive Stoffwechselprodukte umge-wandelt. Cycasin löst im Tierversuch Lebertumoren aus;auch aus epidemiologischen Studien geht hervor, daß derVerzehr von Cycadeenmehl beim Menschen zu erhöhtenLeberkrebsraten führt.

Der Adlerfarn (Pteridium aquilinum) wird vor allem inJapan und in China für Speisezwecke verwendet. InVerfütterungsexperimenten mit Ratten zeigte sich, daß derFarn intestinale Adenokarzinome und Blasentumoren aus-löst. Auch bei Weidevieh löste Verfütterung Blasenkar-zinome aus, und es gibt Hinweise darauf, daß beim Men-schen der Konsum von Adlerfarnen möglicherweise zuÖsophaguskarzinomen führt (siehe auch [41]).

Die Forschung konzentrierte sich in den letzten Jahr-zehnten vorwiegend auf die Untersuchung synthetisch her-gestellter Chemikalien, sodaß über kanzerogene Effekte vonpflanzlichen Nahrungsmitteln und deren Inhaltsstoffen ne-ben den oben erwähnten klassischen Beispielen nur ver-gleichsweise wenige Daten vorliegen. 1990 veröffentlichte

der Amerikaner B. N. Ames [27] eine aufsehenerregendeArbeit über natürlich vorkommende Kanzerogene in Pflan-zen: Von 52 Pflanzeninhaltsstoffen, über die tierexperimen-telle Daten vorlagen, hatten sich etwa 50 % als krebsaus-lösend erwiesen. Typische Beispiele sind Gewürzinhalts-stoffe wie Sesamol (in Sesam), Estragol (in Basilikum), Safrol(in Safran), Capsaicin (in Paprika) sowie Methoxypsoralenein Petersilie und Sellerie. Auch phenolische Substanzen wieKaffeinsäure, Katechol und Chlorogensäure, die in relativhohen Konzentrationen in Getränken und Gemüsen enthal-ten sind, besitzen krebsauslösendes Potential. In Speise-pilzen wurden ebenfalls Kanzerogene entdeckt, etwa das inChampignons enthaltene Agaritin, das bei der Maus Blutge-fäßtumoren verursacht. Das in manchen Kohlgemüsen ent-haltene Sinigrin induziert ebenfalls bei Nagetieren Tumoren[27, 28]. Ames betonte, daß die menschliche Expositiondurch Rückstände synthetischer Pestizide wesentlich gerin-ger sei, als jene durch die Aufnahme der in den Pflanzenenthaltenen „natürlichen” Pestizide, die von Pflanzen pro-duziert werden, um sich vor Freßfeinden zu schützen. Die-se Behauptungen lösten heftige Diskussionen aus. In denfünfziger Jahren war in den USA die Delaney-Klausel verab-schiedet worden, die besagte, daß Nahrungsmittel keinewie immer gearteten Kanzerogene enthalten dürfen, undnun zeigte sich, daß viele pflanzliche Lebensmittel a prioriderartige Substanzen enthalten. Da offensichtlich die Auf-nahme der pflanzlichen Kanzerogene aus der Nahrung fürden Menschen kein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellt,ist es erforderlich, die Interpretation der Tierversuche neuzu überdenken. Positive Ergebnisse aus Hochdosierungs-experimenten mit Labornagern können nicht unreflektiertauf den Menschen übertragen werden, sondern sollten le-diglich als Hinweis auf mögliche Krebsgefährdung bewertetwerden. Ob tatsächlich ein Risiko für den Menschen be-steht, kann nur durch Klärung der zugrundeliegenden Me-chanismen beurteilt werden.

6. MykotoxineEbenfalls den natürlichen Kanzerogenen zuzurechnen

sind die Gifte, die von Pilzen produziert werden undNahrungspflanzen am Feld oder während der Lagerungbefallen [29]. Aflatoxin B1 (AFB1) wird von Aspergillusflavus, einer Pinselschimmelart produziert, die in unserenBreiten nicht vorkommt. Weitere Aspergillus-Arten produ-zieren strukturell ähnliche Gifte, die jedoch wesentlichweniger stark kanzerogen wirken. Befallen werden vor al-lem Nußarten, aber auch Feigen, und es wird angenom-men, daß AFB1 für die hohen Inzidenzen von Leberkrebsin Hochbelastungsgebieten wie China und Zentralafrikaverantwortlich ist. Die Substanz wird in der Leber in einDNA-reaktives Epoxid umgewandelt, wirkt stark gen-toxisch und löst in Ratten bereits in sehr geringen DosenLebertumoren aus. Aflatoxin wird als gefährlichstes be-kanntes Humankanzerogen eingestuft. Jüngere Untersu-chungen haben gezeigt, daß AFB1 eine spezielle „Fin-gerprint”-Mutation in einem bestimmten Genabschnitt(Codon 249) des Tumorsuppressorgens p53 auslöst. DiesesGen verhindert die Teilung von Krebszellen und ist an derAuslösung von Apoptose beteiligt. Durch Extraktion undAnalyse von DNA-Proben aus Leberkrebszellen ist esmöglich, Aussagen darüber zu treffen, ob AFB1 bei derAuslösung der Krebserkrankung eine Rolle spielte [30].

Ochratoxin wird von Aspergillus ochraceus und Peni-cillium verrucosum gebildet. Diese Pilze befallen vor al-lem Getreide, wie Hafer und Weizen, sowie Kaffeeboh-nen, seltener auch Hülsenfrüchte wie Erbsen und Bohnen

Tabelle 2: Zusammenhang zwischen Krebs und Hauptnährstoffen (nachWorld Cancer Research Fund 1993).

Kalorien- Fett Protein Zucker Polysac-aufnahme charide

Kolon � � � � �Rektum � � � �Pankreas � � � �

Brust1) � � � �

Endometrium � � �

Eierstöcke � � �

Prostata � � �

1) Nur postmenopausal� steigendes Krebsrisiko, � abnehmendes Krebsrisiko,� geringer Effekt, � mäßiger Effekt, � starker Effekt

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[29]. Ochratoxin besitzt eine hohe akute Toxizität undhemmt die Synthese der Aminosäure Phenylalanin. InBalkanländern, wie Rumänien, Bulgarien und Jugoslawi-en, trat in den achziger Jahren eine Nierenerkrankung(Balkan-endemische Nephropathie, BEN) auf, die durchOchratoxin ausgelöst wurde. Diese Krankheit ist durcheine nichtentzündliche Verkleinerung der Nieren gekenn-zeichnet, und BEN-Patienten weisen eine stark erhöhteInzidenz von Harnleiter- und Nierentumoren gegenüberder Normalbevölkerung auf. Durch gezielte Untersuchun-gen konnte gezeigt werden, daß Ochratoxin DNA-Addukte bildet und der Auslösung der Krebserkrankungengentoxische Schäden zugrunde liegen.

Fusarien-Arten bilden strukturell sehr unterschiedlicheMykotoxine (Trichothecene, Fumonisine) und befallen Ge-treidearten auf dem Feld (Feldpilzflora). Diese Infektionentreten auch in gemäßigten Zonen auf. Einige der Myko-toxine (Fumonisin B1 [FB1], T-2 Toxin) lösen im Tierver-such Krebserkrankungen aus (FB1 Lebertumoren in derRatte, T-2 Toxin hepatozelluläre Karzinome und Lungen-adenome in Mäusen). Es wurde vermutet, daß diese Giftemit dem Auftreten von Ösophaguskarzinomen in Hoch-belastungsgebieten wie in der Transkei (Südafrika) undChina in Zusammenhang stehen [29, 31].

7. Lebensmittelzusatzstoffe

Laut Gesetz handelt es sich um Substanzen, die dazubestimmt sind, die Beschaffenheit von Lebensmitteln zubeeinflussen oder bestimmte Eigenschaften und Wirkun-gen zu erzielen. Ausgenommen sind Stoffe mit Lebens-mittelcharakter (z. B. Eigelb) oder Substanzen, die unbeab-sichtigt in Lebensmittel gelangen [32]. Für die Lebens-mittelzusatzstoffe wurden ADI-(Average Daily Intake-)Wer-te festgelegt. Es sind dies die täglichen Aufnahmemengenin mg/kg Körpergewicht, bei denen keine gesundheitli-chen Schäden zu erwarten sind.

Die meisten eingesetzten Farbstoffe sind Natursub-stanzen, wie Vitamine, Provitamine oder Pflanzenfarb-stoffe (Blattgrün, Karotinoide oder Rote-Rübenfarbe). Einezusammenfassende Darstellung der mutagenen und kan-zerogenen Effekte der Lebensmittelzusatzstoffe geben dieArtikel von Knasmüller und Bursch [33, 34]. In Abbildung3 sind die Strukturformeln einiger krebsverdächtiger Le-bensmittelzusatzstoffe dargestellt.

Im Hinblick auf mögliche kanzerogene Wirkungen sindvor allem synthetisch hergestellte Azofarbstoffe von Interes-se. Diese sind durch eine Stickstoff-Doppelbindung gekenn-zeichnet. Es ist bekannt, daß Hautzellen, aber auch intesti-nale Mikroorganismen die Azobindung spalten können.Dadurch können aromatische Amine entstehen, die u. a. inder Blase Tumoren induzieren [35]. Die derzeit für Lebens-mittel zugelassenen Azofarbstoffe sind relativ gut unter-sucht, und es gibt bei den meisten keine Hinweise aufkrebsauslösende Wirkung. Für Amaranth (E 123), das in Li-kören und Bittersoda verwendet wird, ist die Datenlage un-zureichend, da nur Ergebnisse von veralteten Studien vor-liegen. Erythrosin (E 127), ein roter Farbstoff, der fürCocktailkirschen oder in Mischobstkonserven Verwendungfindet, löste bei Ratten in hoher Dosierung Schilddrüsen-tumoren aus. Dieser Effekt beruht auf einer Erhöhung derTSH-Sekretion. Es ist bekannt, daß Ratten besonders emp-findlich auf Verbindungen reagieren, die über diesen Me-chanismus Tumoren auslösen, daher können diese Er-gebnisse nicht auf den Menschen übertragen werden [36].Allerdings ist die Diskussion um Erythrosin durch neuereErgebnisse wieder aufgelebt, die zeigten, daß die Substanzdie Teilung von Brustkrebszellen (in vitro) via Bindung anÖstrogenrezeptoren induziert und darüber hinaus Mutatio-nen im p53-Tumorsuppressorgen auslöst [37]. Andere Farb-stoffe, wie Cochenillerot A (E 124), Tartrazin (E 102) oderGelborange (E 110), erwiesen sich in Tierversuchen alsharmlos. Aus Vorsichtsgründen, aber auch wegen gelegent-licher allergischer Reaktionen, wurde der Einsatz vonAzofarbstoffen bei der Lebensmittelherstellung in den letz-ten Jahren drastisch eingeschränkt. Kohleschwarz (E 153)wird ebenfalls als Farbstoff verwendet und enthält krebser-regende Substanzen. Es wird jedoch nur in Wachsüber-zügen von Käsen verwendet und nicht verzehrt.

Konservierungsmittel werden zugesetzt, um den Ver-derb von Nahrungsmitteln durch Mikroorganismen zu ver-hindern. Das in Japan zwischen 1965 und 1974 verwen-dete, 2-Furylfuramid (AF2), das Tofu, Würsten und Fisch-konserven zugesetzt wurde, ist der klassische „Bösewicht”unter diesen Substanzen. AF2 löst bei der Maus Vorma-gentumoren und bei der Ratte Magen- und Brustkrebs ausund wurde umgehend aus dem Verkehr gezogen [38].Nitritzusatz zu Fleischwaren dient der Unterdrückung vonBakterienwachstum (u. a. von Clostridium botulinum).Durch Pökelung von Fleischwaren können aus Nitrit undNahrungs-Aminen Nitrosamine gebildet werden (s. Kapi-tel 8.1). Der Zusatz von Nitrat und Nitrit wurde daher ge-setzlich streng geregelt, und eine überwiegende Ernährungmit gepökelten Fleischwaren sollte vermieden werden.Propionsäure wurde früher vor allem Schnittbroten zuge-setzt. Diese Verbindung löst in hohen Dosierungen Vor-magentumoren bei der Ratte aus und wird aus Sicherheits-gründen nicht mehr verwendet [39].

Unter den Antioxidantien, die zugesetzt werden, umReaktionen mit Luftsauerstoff zu verhindern (Ranzigwer-den von Fetten), sind vor allem zwei phenolische Sub-stanzen von Interesse: butyliertes Hydroxytoluol (BHT, E321), das derzeit nur in Kaugummis verwendet wird, undbutyliertes Hydroxyanisol (BHA, E 320), das in Biskuits,Kuchen und Rinderbrühe zu finden ist (Übersichts-arbeiten siehe [40, 41]). In Langzeitexperimenten mitBHA zeigte sich, daß Verfütterung an Ratten ab 0,25 % inder Nahrung Vormagentumoren ausgelöst. Der Menschbesitzt keinen Vormagen, das Epithel des unteren Teilsder Speiseröhre weist jedoch strukturelle Ähnlichkeitenmit den Vormagenzellen auf. In Versuchen mit PrimatenAbbildung 3: Lebensmittelzusatzstoffe, die im Tierversuch Krebs auslösen.

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wurde durch BHA keine Krebsauslösung beobachtet, undes wird angenommen, daß der Induktion der Tumoren inNagern entzündliche, nichtgentoxische Prozesse zugrun-de liegen. In Initiations-Promotions-Experimenten bewirk-te BHA nach der Behandlung der Tiere eine Verstärkungder Krebsauslösung durch initiierende Kanzerogene. BeiVorbehandlung der Versuchstiere mit BHA wurden dage-gen überwiegend antikanzerogene Effekte beobachtet.Ähnliche Synergismen und Antagonismen wurden mitBHT beobachtet. Aufgrund der derzeitigen Datenlage wirdBHA als nichtgentoxisches Kanzerogen eingestuft. Bei Ein-haltung des ADI-Wertes (0,7 mg/kg) ist keine Gefährdungdes Menschen zu befürchten.

Besonders heftig wurden die künstlichen Süßstoffediskutiert. Derzeit sind vier Stoffgruppen zugelassen, diemit römischen Nummern gekennzeichnet werden: Sac-charin (I), Cyclamat (II), Aspartam (III) und Acesulfam(IV). 1977 wurde erstmals über einen Zusammenhangzwischen dem Konsum von Saccharin (es werden sowohldas Na-Salz als auch Benzoesäurederivate als Süßmittelverwendet) und erhöhten Blasenkrebsraten beim Men-schen berichtet. Großangelegte Folgestudien (u. a. mit21.000 Diabetikern) bestätigten diesen Zusammenhangnicht. Es wurde jedoch in Zwei-Generationsstudien mitRatten eine deutliche Erhöhung der Blasenkarzinome beimännlichen Tieren beobachtet [42]. Bei weiblichen Tie-ren traten diese Effekte kaum auf, auch Versuche mit an-deren Spezies verliefen negativ. In Experimenten mit denKalium- und Kalzium-Salzen wurden keine Hinweise aufkrebsauslösende Wirkungen erhalten, während in Versu-chen mit Natrium-Salzen anderer Verbindungen (Na-Glutamat, Na-Citrat) wie auch mit Na-Saccharin eine ge-steigerte Zellproliferation des Harnblasenepithels undtumorpromovierende Effekte bei Ratten beobachtet wur-den. In Gentoxizitätsuntersuchungen mit Na-Saccharinwurden durchwegs negative Ergebnisse erhalten. Eskonnte durch eingehende mechanistische Untersuchun-gen gezeigt werden, daß die Effekte von Na-Saccharinbei der Ratte mit dem hohem Proteingehalt und demniedrigen pH-Wert des Harns kausal zusammenhängen.Darüber hinaus fand man, daß bei Fütterung hoher Na-Saccharin-Dosen im Harn Silikatkristalle gebildet wer-den, die vermutlich über entzündliche Reizungen desBlasenepithels zur Tumorauslösung führen. Aufgrund dervöllig anderen Zusammensetzung des menschlichen Harnsund der vergleichsweise geringen täglichen Aufnahme-mengen ist nicht anzunehmen, daß Na-Saccharin beimMenschen ein Risiko darstellt. Darauf weisen auch zahl-reiche epidemiologische Studien hin. Auch über Cycla-mat liegen vereinzelt Hinweise auf kanzerogene Effekteaus Tierexperimenten vor, die jedoch in Wiederho-lungsexperimenten nicht bestätigt werden konnten [43].

Wir haben uns im vorliegenden Kapitel auf die Bespre-chung jener Lebensmittelzusatzstoffe konzentriert, überdie Hinweise auf eine mögliche Krebsgefährdung vorlie-gen. Bei den meisten Substanzen zeigt sich, daß beimMenschen keine Gefährdung zu befürchten ist, in einigenwenigen Fällen sollten weitere Untersuchungen durchge-führt werden, um die Unbedenklichkeit der zugesetztenChemikalien weiter abzuklären. Über den größten Teil derZusatzstoffe liegen jedoch Daten vor, die zeigen, daß siekeine krebsauslösenden Eigenschaften aufweisen, und eskann aufgrund des derzeitigen Wissenstandes festgestelltwerden, daß das menschliche Krebsrisiko durch Lebens-mittelzusatzstoffe als sehr gering bzw. vernachlässigbaranzusehen ist.

8. Substanzen, die bei der Zubereitung derNahrungsmittel entstehen

Durch die Zubereitung von Lebensmitteln, insbesonde-re von fleischhältigen Nahrungsmitteln, entstehen verschie-dene Klassen von gentoxisch wirkenden Kanzerogenen.Die Strukturformeln typischer Vertreter der verschiedenenSubstanzen sind in Abbildung 4 dargestellt.

8.1 NitrosamineDiese Verbindungen wurden in den fünfziger und

sechziger Jahren vor allem von Mitarbeitern des Heidel-berger Krebsforschungszentrums erforscht. Eine ausge-zeichnete Darstellung über Vorkommen und biologischeEffekte von Nitrosaminen in Lebensmitteln findet sich beiLijinski [44]. Nitrosamine entstehen durch Umsetzung se-kundärer Amine (aus eiweißreicher Nahrung) mit einemnitrosierenden Agens. Es sind ca. 200 Verbindungen be-kannt, am intensivsten untersucht wurden einzelne Mo-dellsubstanzen, wie das hochkanzerogene Dimethylnitros-amin (NDMA), Nitrosopyrrolidin (NPYR) und Nitrosopi-peridin (NPIP). Die Bildung der Nitrosamine erfolgt entwe-der exogen, d. h. bei der Pökelung im Fleisch, oder aberendogen, während der Verdauung, im sauren Milieu desMagens. Im letzteren Fall spielt bei der Nitrosaminbildungder Konsum von nitrathaltigem Trinkwasser bzw. der Ver-zehr von nitrit- oder nitratreichem Gemüse eine Rolle. Ni-trat wird im Verdauungstrakt jeweils zu Nitrit umgewan-delt. Interessanterweise wurden in den 70er Jahren auchim Bier relativ hohe NDMA-Belastungen nachgewiesen.Durch eine Senkung der Temperatur beim Darren des Mal-zes konnten jedoch diese Belastungen drastisch reduziertwerden. Fast alle Nitrosamine werden, vor allem in derLeber, durch Hydroxylierung am a-C-Atom metabolischaktiviert. Die gebildeten N-Hydroxylamine sind instabilund zerfallen zu DNA-reaktiven Stoffwechselprodukten.Nitrosamine lösen im Tierversuch Krebs aus, die Organ-spezifität ist von der chemischen Struktur abhängig, und esgibt auch starke Speziesunterschiede. Die Stärke der Wir-kung hängt wesentlich von der Aktivierungskapazität derGewebe ab. Als Faustregel gilt, daß die kanzerogene Po-tenz der Alkylnitrosamine mit steigender Kettenlänge ab-nimmt, symmetrisch substituierte Nitrosamine induzierenoft Lebertumoren, während von asymmetrisch substituier-ten Nitrosaminen andere Organe, etwa der Ösophagus, be-troffen sind. Es sind auch Nitrosamine bekannt, die vor al-lem in der Blase und in der Nasenhöhle Tumoren auslö-sen. Einige Nitrosamine sind sehr potente Kanzerogene.Extrapoliert man von den Dosierungen, die in Experimen-ten mit Ratten noch keine Tumoren auslösen (no effect

Abbildung 4: Vertreter von Substanzklassen, die durch die Nahrungszu-bereitung entstehen.

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level, NOEL), auf die menschliche Situation, so ergebensich für die stärksten Nitrosamine Werte von £ 1 µg/Per-son/Tag (Unsicherheitsfaktor 1000). Die tatsächlichenBelastungswerte liegen in Mitteleuropa im Bereich von 1bis 33, bei Rauchern von 5 bis 41 µg/Person/Tag. Eine Rei-he von Untersuchungen deutet darauf hin, daß Nitrosami-ne auch beim Menschen krebsauslösend wirken, bei-spielsweise nimmt in China die Inzidenz von Nasenkrebsvon Norden nach Süden hin stark zu (Nordchina 2–3 Fäl-le/100.000, Südchina mit Maximalwerten bei Guangdokund Guanxi von 25–40 Fällen/100.000), und es ergabensich deutliche Hinweise darauf, daß der Konsum vonnitrosaminhaltigen Trockenfischen für dieses Phänomenverantwortlich ist. Auch die erhöhten Ösophaguskrebs-raten in Gebieten mit stark nitratbelastetem Trinkwasserwurden mit Nitrosaminen in Zusammenhang gebracht.Bei der Auslösung von Krebserkrankungen durch Tabak-konsum könnten Nitrosamine eine wichtige Rolle spielen.Allerdings enthält Zigarettenrauch mehr als 1000 ver-schiedene Substanzen, u. a. auch PAK’s (s. u.), die eben-falls an der Krebsauslösung beteiligt sein können. HäufigerAlkoholkonsum „multipliziert” das Krebsrisiko von Rau-chern. Eine plausible Erklärung für diesen Synergismus istin der Tatsache zu finden, daß ein Enzym, das an der Akti-vierung der Nitrosamine beteiligt ist (Cytochrom 2E1),durch Alkohol induziert wird [45].

8.2 Heterozyklische aromatische Amine (HAA)Diese Substanzen wurden in den siebziger Jahren von

dem Japaner Sugimura und seinen Mitarbeitern entdeckt[46]. Sie entstehen durch thermische Zersetzung voneiweißreicher Nahrung (Fisch und Fleisch). An der Bildungs-reaktion sind neben Aminosäuren auch Kreatinin (liegt imMuskel als Kreatininphoshat vor) und Zucker beteiligt.Derzeit sind mehr als 20 Substanzen bekannt. Den chemi-schen Strukturen nach unterscheidet man zwischenPyrido-Imidazolen (Trp-P-1, Glu-P-1), Quinolinen (IQ, MeIQ),Quinoxalinen (MeIQx) und Pyridinen (PhIP). Die meistenSubstanzen sind in Fleisch- und Fischwaren in ng/g-Men-gen enthalten, besonders häufig ist PhIP in Fleischwarenzu finden (mehr als 90 % der Gesamt-HAA-Menge). DieKonzentrationen hängen stark von der Zubereitungsartbzw. von der Temperatur und Erhitzungsdauer ab und stei-gen in der Reihenfolge Kochen/Dämpfen – Braten/Backen– Grillen. HAA unterliegen im Säugetier komplexenAktivierungs- und Detoxifizierungsreaktionen. Eine zen-trale Rolle spielt die Hydroxylierung am exozyklischen N-Atom, die durch Cytochrom 1A2 vor allem in der Leberkatalysiert wird, sowie O-Acetylierung. Die letztere Reak-tion läuft insbesondere in Dickdarmzellen ab. HAA wei-sen in Bakterientests eine sehr hohe Mutagenität auf undwurden daher ursprünglich als besonders gefährlich be-trachtet. Die gentoxischen Effekte in Säugerzellen oder inVersuchstieren sind wesentlich geringer. In Kanzerisie-rungsstudien mit Labornagern lösen HAA, insbesondereim Dickdarm, Tumorbildung aus, weiters aber auch in derLeber, der Zymbal- und Klitorisdrüse, in Blutgefäßen undim Vormagen. Die TD50-Werte (die täglichen Aufnahme-mengen, die bei 50 % der Versuchstiere zu Tumoren füh-ren) liegen bei der Ratte für die meisten Substanzen zwi-schen 0,5 und 34 mg/kg, bei Mäusen zwischen 5 und 41 mg/kg [35, 47]. Die durchschnittlichen täglichen Aufnahme-mengen wurden beim Menschen mit westlicher Ernährungauf 3,5 µg/Tag geschätzt, eine Menge, die um einen Faktor10.000 niedriger ist, als jene, die im Tierversuch erforder-lich ist, um Tumore zu induzieren [47]. Es ist jedoch be-kannt, daß die Inzidenz des Dickdarmkarzinoms in Indu-strieländern allmählich ansteigt, nicht jedoch in Entwick-

lungsländern. Insbesondere hoher Fleischkonsum ist fürdie Ernährung in „reichen” Ländern typisch. Wie erwähntsind Cytochrom 1A2 und Acetyltransferasen an der Akti-vierung der HAA beteiligt, wobei es beim Menschen„schnelle” und „langsame” Acetylierer gibt. LangsameAcetylierer weisen in einem der Gene, die für N-Acetyl-transferase (NAT2) kodieren, Mutationen auf, die zu Funk-tionsstörungen führen. Humanstudien haben gezeigt, daßbei Personen, die schnelle Acetylierer sind und zusätzlicheine hohe 1A2-Aktivitäten besitzen, das Dickdarmkrebs-risiko hochsignifikant (ca. 10fach) erhöht ist, wenn sie ei-nen hohen Fleischkonsum haben [48, 49]. Diese Befundedeuten darauf hin, daß HAA an der Ätiologie des Dick-darmkarzinoms beim Menschen beteiligt sind.

8.3 Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe(PAK)

Anfang der dreißiger Jahre wurde die erste aromatischeKohlenwasserstoffverbindung (Dibenz(a,h)anthracen) ausSteinkohlenteer isoliert. Nachfolgend entdeckte man zahl-reiche weitere Substanzen, die aus mehreren (2–6) kon-densierten aromatischen Ringen bestehen. PAK werdenbei der unvollständigen Verbrennung organischer Substan-zen gebildet, es sind ubiquitäre Umweltschadstoffe, dievor allem in Abgasen enthalten sind. An Staubteilchen ge-bunden, gelangen sie in die Luft, und können so Gemüseund Obst kontaminieren. Sie entstehen aber auch bei derNahrungszubereitung, beim Braten und Grillen von Fleischüber offener Flamme. Wenn Fetttröpfchen im Feuer ver-brennen, so setzten sich PAK auf der äußeren Kruste desGrillgutes ab [50]. Die metabolische Aktivierung dieserVerbindungen wurde vom amerikanischen Forscherehe-paar Miller geklärt: Der primäre Metabolit, ein Epoxid,wird durch Epoxidhydrolasen zu einem Diol abgebaut,welches durch eine Epoxidierung in Diolepoxide umge-wandelt wird. Verbindungen, die eine Epoxidgruppe imBereich einer „Bucht” besitzen (bay-region epoxide) sindbesonders DNA-reaktiv. Stark kanzerogen wirken einigeder 4-Ringverbindungen (7,12-Dimethylbenzanthrazen(DMBA), sowie Methylchrysen), zu den Kanzerogenen mit5 Ringen zählen Benzo(a)pyren (B(a)P) und Dibenzo-(a,h)pyren. Diese Verbindungen wurden über viele Jahrehinweg in der Krebsforschung als Modellsubstanzen ver-wendet, um die Entstehung von Lungen-, Brust- oder Vor-magenkrebs zu studieren. Unter den Substanzen mit 6 Rin-gen sind die meisten krebsauslösend. Sie spielen jedoch inder Umwelt eine untergeordnete Rolle, da sie nur in gerin-gen Mengen gebildet werden. PAK lösen bei Pinselver-suchen mit Mäusen Hauttumore aus, ihre Gefährlich-keitsabschätzung basiert vor allem auf diesen Experimen-ten. Die Extrapolation der Ergebnisse derartiger Untersu-chungen auf den Menschen ist jedoch problematisch, dagroße Speziesunterschiede bestehen und die Aufnahme-wege für den Menschen (primär über Atemluft und Nah-rung) verschieden von den im Tierexperiment angewende-ten (Haut) sind. Beim Menschen werden nur 10 % der PAKaus dem Darm aufgenommen, bei Nagetieren wesentlichmehr (ca. 50 %). Die B(a)P-Exposition in den Niederlan-den liegt im Mittel bei 0,08 µg/Person/Tag. Auf der Basisvon Tierversuchen und linearer Extrapolation ergibt diesein Zusatzrisiko von 0,06–0,4 Fälle/106 Personen. DerWert für die Gesamt-PAK-Belastung beträgt das 20–25fa-che [51]. Die entsprechenden nahrungsbedingten B(a)P-Belastungen sind in Österreich 3–4fach höher, da hierstark geräucherte Selch- und Speckwaren konsumiert wer-den [52]. Vor allem in „Ab Hof”-Produkten wurden wie-derholt PAK-Konzentrationen nachgewiesen, die die zuge-lassenen Grenzwerte überschreiten.

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8.4 Humanrelevanz kanzerogener NahrungsinhaltsstoffeTabelle 3 gibt eine Übersicht über die derzeitige Ein-

schätzung der menschlichen Gefährdung durch Nahrungs-inhaltsstoffe.

9. Antimutagene und antikanzerogenePflanzeninhaltsstoffe

Bereits in den fünfziger Jahren begann man mit der Su-che nach Antimutagenen, die den Menschen vor den Kon-sequenzen von DNA-Schäden schützen sollen. Die erstenVerbindungen, die entdeckt wurden, waren strahlen-protektive Agentien, die Mutationsauslösung durch ionisie-rende Strahlung inhibierten [53]. Insbesondere von japani-schen Arbeitsgruppen wurden zahlreiche Pflanzenartenmittels In-vitro-Experimenten auf antimutagene Inhaltsstoffehin geprüft, und es wurde tatsächlich eine Reihe von Sub-stanzen identifiziert, welche die Auslösung von Mutationendurch Chemikalien inhibieren [54]. Einige davon erwiesensich auch im lebenden Säugetier als schützend. Der Ameri-kaner Lee Wattenberg (University of Minnesota) führte mitseinen Mitarbeitern großangelegte Studien mit Gemüse-inhaltsstoffen durch, in denen er Schutzeffekte gegenüberModellkanzerogenen wie B(a)P und DMBA untersuchte[55]. Er entdeckte eine Reihe von Substanzen, die insbeson-dere durch Induktion von Schutzenzymen protektiv wirk-ten. In den letzten Jahren versucht man zunehmend durchmoderne Biomonitoring-Verfahren festzustellen, ob durchbestimmte Ernährungsweisen des Menschen eine Redukti-on von DNA-Schäden bewirkt wird. Diese experimentellen

Untersuchungen werden durch epidemiologische Untersu-chungen ergänzt, die mittlerweile deutlich gezeigt haben,daß die Inzidenz der Krebserkrankungen bei erhöhtemGemüsekonsum deutlich erniedrigt ist (siehe Schluß-betrachtung). Eine detaillierte Beschreibung der Wirkungs-weisen der antimutagenen/antikanzerogenen Nahrungs-stoffe ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht möglich.Es werden jedoch die wichtigsten Schutzmechanismen be-sprochen und durch entsprechende Beispiele illustriert. Ta-belle 4 zeigt vereinfacht eine Typologie der nahrungs-relevanten Antimutagene und Antikanzerogene [56].

9.1 Inhibition der endogenen Bildung von NitrosaminenDie Inhibition der Nitrosaminbildung durch pflanzli-

che Phenole und Vitamine (C u. E) ist durch zahlreicheExperimente dokumentiert [57]. Durch Reduktion desnitrosierenden Agens wird die Umsetzung des Amins un-terbunden. Als besonders effektiv erwiesen sich Phenole,die in para-Stellung substituiert sind. Beispiele für pflanzli-che Inhaltsstoffe, welche die Nitrosaminbildung inhibieren,sind Pflanzensäuren, wie Gerb-, Zimt- oder Chlorogen-säure, sowie phenol- und vitaminreiche Getränke, wieTee, Kaffee und Gemüsesäfte. In Tiermodellen konnte ge-zeigt werden, daß bei Fütterung der Substanzen oder vonGemüsen, die diese Inhaltsstoffe besitzen, die durch Ni-trosamine induzierten, gentoxischen, kanzerogenen undzytotoxischen Effekte reduziert werden. Chemisch-analyti-sche Untersuchungen beim Menschen zeigten, daß dieKonzentration von endogen gebildetem Nitrosoprolindurch Supplementierung der Nahrung mit Vitamin C dra-stisch gesenkt werden kann.

9.2 Direkte Inaktivierung von gentoxischen KanzerogenenDer Japaner Hayatsu und seine Mitarbeiter wiesen nach,

daß HAA und PAK durch Tetrapyrrolverbindungen (Chloro-phylle, Häminverbindungen) inaktiviert werden [58]. Diesführt zu einer drastischen Reduktion der Gentoxizität dieserSubstanzen. In Tierversuchen konnte gezeigt werden, daß

Tabelle 3: Humanrelevanz von kanzerogenen Nahrungsinhaltsstoffen

Substanzgruppe Vorkommen/ RelevanzExposition

Mykotoxine Aflatoxine: vor allem hohe Leberkrebs-in Entwicklungsländern inzidenz

Ochratoxine Blasen/Harntrakt-tumore in Balkan-ländern

Fusarientoxine Effekte unklar

PAHs Aufnahme von B(a)P geringe Gefähr-via Nahrung dung150–360 ng/P/T(Österreich)

Hetero- geschätzte Ge- auf der Basis derzyklische samtaufnahme in TV-Daten gering,aromatische Europa 3–4 µg/P/T insgesamtAmine unklar

Nitrosamine Aufnahme/Bildung lokale Relevanzvor allem durch bei einseitigerFleischwaren/ Ernährung oderTrinkwasser durch nitrat-NOEL Ratte: belastetesNDMA 10 µg/kg BW, TrinkwasserNPYR 290 µg/kg BW

geschätzte Belastungdurch NahrungsmittelNDMA: 1,1 µg/P/TNPYR: 0,1–0,15 µg/P/T

Lebensmittel- gentoxische Kanzerogene gering, wahr-zusatzstoffe wurden verboten, nicht scheinlich

gentoxische Kanzerogene vernachlässigbarin der Anwendungstark eingeschränkt

Pflanzen- zahlreiche gentoxische unklarinhaltsstoffe Kanzerogene in TV

identifiziert

Tabelle 4: Typologie von Antimutagenen und Antikanzerogenen (inAnlehnung an DeFlora und Ramel 1988)

Mechanismus Beispiel

Verhinderung der Entstehung Verhinderung der endogenenvon Mutagenen und Nitrosaminbildung durchKanzerogenen Phenole und Vitamine

Direkte chemisch/physika- Inaktivierung von PAK undlische Inaktivierung HAA durch Ballaststoffe und

Chlorophylle,Inaktivierung von DNA-reaktiven Sauerstoffradikalendurch Antioxidantien

Inhibition der Aktivierung Inhibition der a-C-Hydroxy-von Promutagenen und lierung von NitrosaminenProkanzerogenen durch Isothiocyanate

Induktion von Schutzenzymen Erhöhung von Glutathion-S-transferase Aktivitäten durchInhaltsstoffe von Kohlgemüsen

Inaktivierung von DNA- Detoxifizierung von B(a)P-Diol-reaktiven Stoffwechsel- Epoxiden durch Flavonoideprodukten und bestimmte pflanzliche

Säuren

Antimutagene Effekte durch „Bioantimutagene” Substanzen,Interaktion mit DNA- wie GemüseinhaltsstoffeReparatur/Replikation (Coumarin, Vanillin, Zimtaldehyd)

Substanzen, die Phytoöstrogene und Protease-Promotionsprozesse inhibitoren in Getreiden undverhindern Sojapflanzen

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auch die kanzerogenen Effekte dieser Nahrungsmutagenereduziert werden. Auch für Ballaststoffe wurde eine direkteInaktivierung von HAA nachgewiesen.

Einen Sonderfall stellt die Inaktivierung reaktiver Sauer-stoffspezies durch Radikalfänger dar. Radikalbelastungenentstehen sowohl durch endogene Bildung (beispielsweisedurch Atmungsprozesse und Makrophagentätigkeit) alsauch durch exogene Einflüsse (u. a. durch Medikamente,Tabakrauch und ionisierende Strahlung). Es ist bekannt, daßRadikale auf direktem Weg, vor allem durch Oxidation derBasen, DNA-Schäden auslösen. Durch Lipidperoxidations-prozesse entstehen darüber hinaus Produkte, die ebenfallsmutagene und kanzerogene Eigenschaften besitzen. Sowohlbestimmte Vitamine (A, C, E), Karotinoide sowie Poly-phenole, Flavonoide und Allylverbindungen schützen vorDNA-Schädigung durch Radikale und wirken im Tierver-such antikanzerogen [59]. Die in die Antioxidantien gesetz-ten Hoffnungen des Krebsschutzes wurden jedoch durchdie Ergebnisse einer großen finnischen Studie erschüttert, inder ca. 29.000 Raucher über 6 Jahre hindurch täglich 50 mgVitamin E oder 25 mg b-Karotin erhielten. Es wurde keineReduktion der Lungenkrebsinzidenz beobachtet, in der b-Karotin-Gruppe trat sogar ein Anstieg auf. In der Vitamin E-Gruppe waren jedoch die Inzidenzen von Prostata- undDickdarmkrebs etwas reduziert [60].

9.3 Inhibition der Aktivierung von Promutagenen undProkarzinogenen

Ein typisches Beispiel für diesen Wirkungsmechanismusist die Inhibition der Aktivierung von Nitrosaminen durchIsothiocyanate (ITCs). Diese Substanzen entstehen ausglykosidischen Inhaltsstoffen von Kohlgemüsen (Glukosino-laten). Eine Zusammenfassung der bisher vorliegenden Da-ten findet sich in der Arbeit von Hecht et al. [61]: Vorbe-handlung der Ratten mit Glukosinolaten oder ITCs (etwaBenzyl-ITC oder Phenethyl-ITC) bewirkte eine Inhibitionder Auslösung von Tumoren durch bestimmte Nitrosamine.Auch in Gentoxizitätsexperimenten wurde eine Inhibitionder DNA-Schädigung beobachtet. Ob diese Effekte auch fürden Menschen relevant sind, ist zweifelhaft. In den Tierver-suchen wurden durchwegs sehr hohe Kanzerogendosen fürdie Tumorauslösung verwendet und nur über einen kurzenZeitraum verabreicht. Ob es sinnvoll ist, bei der für denMenschen relevanten Langzeitexposition Enzyme kontinu-ierlich zu inhibieren, von denen wichtige Stoffwechsel-schritte katalysiert werden, ist fraglich.

9.4 Induktion von detoxifizierenden EnzymenZahlreiche Kanzerogene und DNA-reaktive Substanzen

werden in Säugetieren und auch im Menschen durch PhaseII-Enzyme detoxifiziert. Dabei werden reaktive Metabolitemit Sulfat, Acetylgruppen, Glucuronsäure oder Glutathionkonjugiert. Eines der wichtigsten Schutzenzymsysteme sinddie Glutathion-S-Transferasen (GSTs), welche die Bindungdes Tripeptids Glutathion an elektrophile Substanzenkatalysieren [62]. Es ist seit vielen Jahren bekannt, daß In-haltsstoffe pflanzlicher Nahrungsmittel GSTs induzieren. Ty-pische Beispiele sind Allylsulfide in Knoblauch und Zwie-beln, die Abbauprodukte der bereits erwähnten Glukosino-late in Kohlgemüsen, phenolische Substanzen, wie BHAund BHT, sowie Kahweol- und Cafestolpalmitat, die in Kaf-fee und anderen Getränken enthalten sind oder das Terpend-Limonen in Orangenöl. In Tierversuchen inhibierten GST-Induktoren die Auslösung von Krebserkrankungen durchPAK und durch viele andere Kanzerogene. Jüngere Untersu-chungen haben gezeigt, daß Kohlgemüsediäten auch beimMenschen eine Induktion von GSTs verursachen und daß

parallel dazu eine Abnahme genetischer Schäden zu beob-achten ist. Man hat daher mit der Entwicklung von Screen-ingmethoden begonnen, durch die es möglich sein sollte,besonders wirksame Induktoren zu identifizieren. Auch epi-demiologische Studien deuten darauf hin, daß durch Kon-sum von Kohlgemüsen die Inzidenz bestimmter Krebser-krankungen (vor allem im Verdauungstrakt) reduziert wird.

9.5 Antimutagene, die DNA-Reparaturprozesse beein-flussen

DNA-Schäden werden nicht nur durch Umweltchemi-kalien ausgelöst, sondern auch durch DNA-Replikations-prozesse und durch endogen gebildete Substanzen (etwaRadikale). Daher sind im Verlauf der Evolution komplizier-te DNA-Reparatursysteme entstanden, durch welche dieSchäden beseitigt werden. Der Japaner Kada entdeckte aufder Suche nach Antimutagenen eine Reihe von Verbin-dungen, vor allem Inhaltsstoffe von Gewürzen, wie Vanil-lin, Zimtaldehyd und Coumarin, die in Bakterientests dieAuslösung von chemisch induzierten Mutationen verhin-derten [63]. Da diese Effekte nur mit Stämmen beobachtetwurden, die intakte DNA-Reparatur besaßen, nicht aber inreparaturdefizienten Stämmen, nahm er an, daß diese Ef-fekte durch Induktion von Reparaturenzymen ausgelöstwerden. Nachfolgende Untersuchungen, die mit Säuger-zellen in vitro sowie mit Labornagern durchgeführt wur-den, ergaben äußerst widersprüchliche Ergebnisse [64].Über mögliche Schutzeffekte derartiger Substanzen beimMenschen können derzeit keine Aussagen getroffen wer-den, dennoch stellt die Suche nach Substanzen, dieReparaturprozesse stimulieren, einen vielversprechendenAnsatz in der Antimutageneseforschung dar.

9.6 Die Rolle der BallaststoffeAls Ballaststoffe werden Nahrungsbestandteile bezeich-

net, die bei der Verdauung nicht abgebaut und in den Kör-per aufgenommen werden können. Eine detaillierte Be-schreibung der Schutzwirkung von Ballaststoffen findetsich im Buch von Watzl und Leitzmann [65]. Chemischgesehen handelt es sich um eine heterogene Gruppe vonSubstanzen, meist bestehen sie aus Kettenmolekülen vonZuckerbausteinen. Burkitt formulierte 1971 die Ballast-stoffhypothese, daß diese Substanzen vor Dickdarmkrebsschützen. Diese Annahme beruht auf Vergleichen der Krebs-inzidenzen und der Ernährungsweisen von Amerikanern undAfrikanern, wobei es plausibel schien, daß durch Verdün-nungseffekte und verkürzte Transitzeiten im Darm schädlicheNahrungsstoffe in geringerem Maß in den Körper aufgenom-men werden. Aus Tierversuchen ließen sich aufgrund wider-sprüchlicher Ergebnisse keine eindeutigen Beweise für dieSchutzeffekte der Ballaststoffe ableiten. Ausgedehnte epide-miologische Untersuchungen zeigten jedoch, daß eine er-höhte Aufnahme von Ballaststoffen mit einer Abnahme desDickdarmkarzinomrisikos korreliert. Man schätzte, daß beieiner Aufnahme von 25 g Ballaststoffen/Tag das relative Risi-ko für Dickdarmkrebserkrankungen etwa um 50 % niedrigerist, als jenes von Personen, die weniger als 12 g/Tag konsu-mieren. Neben den erwähnten Mechanismen konnte auchgezeigt werden, daß durch die Ballaststoffe die bakterielleUmsetzung primärer in sekundäre Gallensäuren stark redu-ziert ist, und es ist bekannt, daß sekundäre Gallensäuren beider Promotion von Dickdarmkrebs eine Rolle spielen. Weite-re Mechanismen, die möglicherweise an den Schutzeffektender Ballaststoffe beteiligt sind, stellen die Bildung von Butyratund die Hemmung der Aktivität von Enzymen (wie etwa vonGlukosidasen) dar, die zu einer Freisetzung von Kanzeroge-nen im Darm führen. Dies entspricht in Österreich mehrals 6000 Krebstoten pro Jahr.

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10. Antipromovierend wirkende Nahrungs-inhaltsstoffe

Sauerstoffradikale können auch an Promotionsprozes-sen beteiligt sein [66, 67], daher wirken Radikalfänger, diein pflanzlichen Nahrungsmitteln enthalten sind (s. o.), auchauf dieser Stufe der Krebsentstehung schützend.

Phytoöstrogene sind pflanzliche Inhaltsstoffe, die eineähnliche Wirkung auslösen, wie die in Tieren synthetisier-ten Östrogene [68]. Strukturell weisen diese Verbindungenkeine Ähnlichkeit zu den Steroidhormonen auf, der räum-liche Abstand zwischen den Hydroxylgruppen ist jedochnahezu identisch mit den C3- und C17-OH-Gruppen desÖstradiols (Abb. 5).

Isoflavonoide wie etwa Genistein findet man in tropi-schen Hülsenfrüchten (z. B. in Sojabohnen), Lignane (z. B.Secoisolaricireinol) sind in Getreiden enthalten, vor allemin Leinsamen. Endogene Östrogene üben ihre Wirkung überBindungen an Östrogenrezeptoren aus und stimulieren soZellteilungsprozesse. Phytoöstrogene besetzen diese Re-zeptoren, ihre Wirkung ist jedoch wesentlich schwächer alsdie der endogenen Hormone. Darüber hinaus greifen dieseSubstanzen in den Hormonstoffwechsel ein und verursa-chen die Synthese von schwächer wirkenden Östrogenenund induzieren die Bildung von Proteinen (Sexual HormonBinding Globulin), durch welche die endogenen Östrogeneinaktiviert werden. In Tierversuchen zeigte sich, daß dieVerfütterung von phytoöstrogenreichen Sojaprodukten dieAuslösung von chemisch induziertem Brustkrebs in Rattenvermindert. Für eine Wechselwirkung von Phytoöstrogenenmit endogenen Hormonen spricht auch, daß der Verzehrisoflavonoidhaltiger Sojaprodukte bei Frauen den Men-struationszyklus verlängert. Biochemisch-epidemiologischeStudien zeigten, daß bei Brustkrebspatientinnen nur sehrgeringe Konzentrationen an Abbauprodukten von Phyt-östrogenen im Harn nachweisbar sind, während bei Vegeta-rierinnen wesentlich höhere Konzentrationen gefundenwurden. Die niedrige Inzidenz bestimmter hormonab-hängiger Krebsarten in Japan hängt möglicherweise kausalmit dem höheren Konsum phytoöstrogenreicher Nahrungs-mittel zusammen.

Sojabohnen und diverse Getreidearten enthalten auchandere Inhaltsstoffe mit antipromovierenden/antinitiieren-den Eigenschaften, beispielsweise Proteaseinhibitoren,welche die Aktivität proteinspaltender Enzyme hemmen[65]. In Tierversuchen erwiesen sich diese Substanzen be-reits in sehr geringen Konzentrationen als protektiv. Diezugrundeliegenden Mechanismen sind nicht eindeutig ge-klärt. Es wurde angenommen, daß neben antioxidativen

Effekten auch die Reduktion der Verfügbarkeit von Ami-nosäuren und die Hemmung tumorspezifischer Proteasen anden Schutzwirkungen beteiligt sind. Ob Proteaseinhibitorenauch beim Menschen protektiv wirken, ist nicht geklärt.

SchlußbetrachtungIn den letzten drei Jahrzehnten sind viele tausend

Einzelstudien über gentoxische, kanzerogene und protek-tive Effekte von Nahrungsinhaltsstoffen veröffentlicht wor-den, alleine über heterozyklische Amine liegen derzeitetwa 1500 Publikationen vor. Die Ergebnisse dieser Unter-suchungen haben nicht nur zu grundlegenden Erkenntnis-sen über die Mechanismen der Krebsentstehung geführt,sondern es war auch möglich, auf ihrer Basis wissenschaft-liche Ernährungsrichtlinien zu erarbeiten. Nachfolgendsind die wichtigsten Erkenntnisse des US-National ResearchCouncil [69] wiedergegeben:

• Überernährung stellt ein größeres Risiko im Hinblickauf krebsauslösende Wirkungen dar als synthetischeoder natürliche Nahrungsinhaltsstoffe.

• Bisher wurden vor allem synthetische Chemikalien (Le-bensmittelzusatzstoffe, Pestizidrückstände) besonderseingehend auf ihre Gefährlichkeit untersucht. NeuereErkenntnisse deuten darauf hin, daß auch pflanzlicheNahrungsmittel kanzerogene Stoffe enthalten könnenund daß bei der Nahrungszubereitung ebenfalls Kanze-rogene gebildet werden.

• Es gibt deutliche Hinweise darauf, daß Alkoholkonsumzu einem erhöhten Krebsrisiko führt.

• Zahlreiche pflanzliche Nahrungsmittel enthalten Mikro-nährstoffe, die vor Krebserkrankungen schützen.

• Trotz intensiver Bemühungen gibt es noch einen erheb-lichen Forschungsbedarf, vor allem im Hinblick aufHumanstudien, welche die Frage klären sollten, in wel-chem Ausmaß das Krebsrisiko durch bestimmte Nah-rungsmittel reduziert werden kann.

Zahlreiche Studien belegen die protektive Wirkung vonObst- und Gemüsekonsum auf die Gesundheit des Men-schen. In einer großen Vegetarierstudie [70] wurde dieKrebsmortalität von Vegetariern mit jener der Gesamtbe-völkerung verglichen. Dabei zeigte sich, daß die Zahl derbösartigen Neubildungen bei vegetarischer Lebensweiseum 59 % reduziert war. Deutliche Schutzeffekte wurdenvor allem im Bereich der Verdauungsorgane festgestellt. Inanderen epidemiologischen Studien wurden ebenfalls ein-deutig protektive Effekte nachgewiesen, wobei neben ei-ner Abnahme der Erkrankungen des Gastrointestinaltraktsauch eine deutliche Beziehung zwischen Obst- und Ge-müseverzehr und epithelialen Krebsarten (Speiseröhre, Le-ber, Kehlkopf, Brust und Gallenblase) festgestellt wurde.Schätzungen von Baily und Williams (1993) zufolge könn-te durch Umstellung der Ernährung auf überwiegendpflanzliche Kost die Zahl der Krebserkrankungen um durch-schnittlich 35 % vermindert werden.

Die Erforschung der diversen Protektionsmechanismen,die in den letzten Kapiteln dieser Arbeit kurz beschriebenwurden, zählt zu den faszinierendsten Bereichen der mo-dernen Krebsforschung, von dem noch interessante undwichtige Erkenntnisse zu erwarten sind.

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Page 12: Homepage: ernaehrungsmedizin ... · Auf die Reduktion der Krebsinzidenzen bei Vegetariern wird in der Schlußfolgerung näher einge- ... Nitroaromaten, die durch Verbrennungs-prozesse

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