Homöopathische Therapie bei Allergien: Anspruch auf Heilung?

3
homöopathie W. Glück 1 Der von dem Wiener Kinderarzt Freiherr Clemens von Pirquet 1906 geprägte Be- griff Allergie und die seit damals entstan- denen Krankheitsbilder waren zu Leb- zeiten Samuel Hahnemanns (1755 – 1843) weitgehend unbekannt. Heute zählen Al- lergien zu den häufigen Krankheiten und erfassen Kleinkinder bis zum Erwachse- nen. Es spricht für sich, dass Allergologie zu einem eigenen Spezialfach wurde. Hier wird bewusst auf die schulmedizini- sche Klassifizierung sowie die Darstel- lung der pathophysiologischen Mecha- nismen verzichtet, da diese für die homöopathische erapie kaum hilf- reich sind. Die Schwierigkeit der Homöotherapie von Allergien liegt in der Komplexität des Krankheitsbildes einerseits sowie dem mühsamen Case-Management mit oft un- zureichender Compliance andererseits. Viele Patienten sind schon hoch zufrie- den, wenn ihre lästigen Beschwerden gelin- dert werden. Und für ebenso viele ist es da- bei sekundär, mit welcher Methode oder welchen Mitteln – Hauptsache, es geht bes- ser. Moderne Antiallergika haben kaum Ne- benwirkungen, sodass nur relativ wenige Patienten den mühsamen Weg einer ho- möopathischen erapie auf sich nehmen. Mit letzterer besteht allerdings die Chance auf eine komplette Heilung des Leidens, was mit dem chemischen Weg kaum machbar ist. In den meisten Fällen muss man sich mit einer jahre- oder lebenslangen Behandlung der Symptome abfinden. Klassische homöopathische Ansätze bei einer modernen Krankheit? Allergien treten oft wandelbar, wie die Far- ben eines Chamäleons, auf: Selten sind die Beschwerden von Jahr zu Jahr gleich, es gibt den Etagenwechsel und auch neue Allergene. Im Laufe der letzten Jahre wur- den Allergien insgesamt nicht nur häufi- ger, auch die Intensität des Leidens hat sich in vielen Fällen verstärkt und erfor- dert stärkere Medikamente oder höhere Dosierungen. Den klassischen Ansatz der Einzelmit- telhomöopathie bei einem komplexen Krankheitsbild wie die Allergie anwenden zu wollen, ist eine Herausforderung. Sel- ten begegnet einem der Lehrbuchpatient, der mit einem einzigen Simile geheilt wird. In den meisten Fällen muss im Sinn der Hering´schen Regel konsequent über Jahre eine solide, durch Repertorisation abgesicherte Verschreibung vorgenom- men werden. Ein weiteres Problem sind mehr oder weniger große Heilungshindernisse im Sinne Hahnemanns. Zu den „histori- schen“ kommen die modernen Stolper- steine unserer zivilisierten Welt dazu: Eine Vielzahl von Belastungen durch Chemikalien, ungesunde Ernährung, schlechte Lebensgewohnheiten. Antikon- zeptiva wie „Pille“ oder Spirale, unge- sunde Füllungsmaterialien bei Zähnen. Letztere können aber auch durchaus hochwertig sein (Goldinlays). Umweltme- diziner vermuten, dass auch edle Materia- lien im Laufe der Jahre zu Allergieauslö- sern mutieren können. Auch Impfungen werden mitunter als Allergie auslösend beobachtet, obwohl dies merkwürdiger- weise in keiner Statistik auffindbar ist. Dazu kommt bei vielen Allergikern eine laufende chemische erapie, die als Symptomunterdrückung das Aufspüren homöopathisch verwertbarer Symptome erschwert oder unmöglich macht. Im ext- remen Fall bedeutet das, den Patienten eine Zeit leiden zu lassen, um verwertbare Symptome zu erhalten. Das halten in der Regel nur wenige Patienten durch. Der nachfolgend dargestellte Langzeit- verlauf mit völliger Ausheilung der Allergie begann mit der vorteilhaften Situation, dass der Patient chemische Mittel aufgrund ihrer Wirkungslosigkeit kaum mehr einsetzte. Casuistik H. S., männlich, geb. 1957 Diagnose: Neurodermitis, Allergisches Asthma bronchiale, allergische Urtikaria. Der seit seiner Kindheit an Neuroder- mitis leidende Patient hat schon alles ver- sucht, leider mit wenig Erfolg. Da Medika- mente ihm mehr Nebenwirkungen als Hilfe einbringen, verzichtet er weitgehend darauf. Seine Hautausschläge, die vor al- lem im Gesicht, an den Ellenbeugen und auch an Stellen auftreten, wo er schwitzt, behandelt er mit Cortison- oder anderen Salben, wenn er es nicht mehr aushält. Bei Bedarf nimmt er Triludan oder ähnliche Medikamente ein. Asthmatische Be- schwerden und Hautauschläge wechseln ab dem 30. Lebensjahr in unregelmäßigen Phasen ab. Ordination am 6. 10. 1997: Seit etwa einem halben Jahr ist der 40-jährige Pati- ent in homöopathischer Behandlung bei einem Kollegen, leider ohne jeden Erfolg. Sein Problem ist Neurodermitis seit Kind- heit. Auslöser für die Krankheit war eine Impfung gegen Pocken. Danach began- nen juckende Hautausschläge an Ellbeu- gen, Kniekehlen, Hals, Augen und Gesicht, diese wurden mit Salben behandelt und damit immer wieder zum Abklingen ge- bracht. Schlechter wird die Haut bei feuch- tem Wetter, Anstrengung, Wärme und durch Staub. Die Augen schwellen bei ver- schiedenen Lebensmitteln zu und fühlen 1 Arzt für Allgemeinmedizin, Wien Homöopathische Therapie bei Allergien: Anspruch auf Heilung? Anhand eines Patientenfalls wird gezeigt, dass homöopathische Behandlung zur völligen Beschwerdefreiheit führen kann. Foto: Buenos Dias / photos.com Abb. 1: Bei Allergikern bestehen oft Heilungshin- dernisse im Sinne Samuel Hahnemanns (Bild). Zu den „historischen“ kommen die modernen Stolpersteine unserer zivilisierten Welt dazu. 2/2009 promed komplementär 8 © Springer-Verlag

Transcript of Homöopathische Therapie bei Allergien: Anspruch auf Heilung?

Page 1: Homöopathische Therapie bei Allergien: Anspruch auf Heilung?

homöopathie

W. Glück1

Der von dem Wiener Kinderarzt Freiherr Clemens von Pirquet 1906 geprägte Be­griff Allergie und die seit damals entstan­denen Krankheitsbilder waren zu Leb­zeiten Samuel Hahnemanns (1755 – 1843) weitgehend unbekannt. Heute zählen Al­lergien zu den häufigen Krankheiten und erfassen Kleinkinder bis zum Erwachse­nen. Es spricht für sich, dass Allergologie zu einem eigenen Spezialfach wurde. Hier wird bewusst auf die schulmedizini­sche Klassifizierung sowie die Darstel­lung der pathophysiologischen Mecha­nismen verzichtet, da diese für die homöopathische Therapie kaum hilf­reich sind.

Die Schwierigkeit der Homöotherapie von Allergien liegt in der Komplexität des Krankheitsbildes einerseits sowie dem mühsamen Case-Management mit oft un-zureichender Compliance andererseits.

Viele Patienten sind schon hoch zufrie-den, wenn ihre lästigen Beschwerden gelin-dert werden. Und für ebenso viele ist es da-bei sekundär, mit welcher Methode oder welchen Mitteln – Hauptsache, es geht bes-ser. Moderne Antiallergika haben kaum Ne-benwirkungen, sodass nur relativ wenige Patienten den mühsamen Weg einer ho-möopathischen Therapie auf sich nehmen. Mit letzterer besteht allerdings die Chance auf eine komplette Heilung des Leidens, was mit dem chemischen Weg kaum machbar ist. In den meisten Fällen muss man sich mit einer jahre- oder lebenslangen Behandlung der Symptome abfinden.

klassische homöopathische ansätze bei einer modernen krankheit?

Allergien treten oft wandelbar, wie die Far-ben eines Chamäleons, auf: Selten sind die Beschwerden von Jahr zu Jahr gleich, es gibt den Etagenwechsel und auch neue Allergene. Im Laufe der letzten Jahre wur-den Allergien insgesamt nicht nur häufi-

ger, auch die Intensität des Leidens hat sich in vielen Fällen verstärkt und erfor-dert stärkere Medikamente oder höhere Dosierungen.

Den klassischen Ansatz der Einzelmit-telhomöopathie bei einem komplexen Krankheitsbild wie die Allergie anwenden zu wollen, ist eine Herausforderung. Sel-ten begegnet einem der Lehrbuchpatient, der mit einem einzigen Simile geheilt wird. In den meisten Fällen muss im Sinn der Hering´schen Regel konsequent über Jahre eine solide, durch Repertorisation abgesicherte Verschreibung vorgenom-men werden.

Ein weiteres Problem sind mehr oder weniger große Heilungshindernisse im Sinne Hahnemanns. Zu den „histori-schen“ kommen die modernen Stolper-steine unserer zivilisierten Welt dazu:

Eine Vielzahl von Belastungen durch Chemikalien, ungesunde Ernährung, schlechte Lebensgewohnheiten. Antikon-zeptiva wie „Pille“ oder Spirale, unge-sunde Füllungsmaterialien bei Zähnen. Letztere können aber auch durchaus hochwertig sein (Goldinlays). Umweltme-diziner vermuten, dass auch edle Materia-lien im Laufe der Jahre zu Allergieauslö-sern mutieren können. Auch Impfungen werden mitunter als Allergie auslösend beobachtet, obwohl dies merkwürdiger-

weise in keiner Statistik auffindbar ist. Dazu kommt bei vielen Allergikern eine laufende chemische Therapie, die als Symp tomunterdrückung das Aufspüren homöopathisch verwertbarer Symptome erschwert oder unmöglich macht. Im ext-remen Fall bedeutet das, den Patienten eine Zeit leiden zu lassen, um verwertbare Symptome zu erhalten. Das halten in der Regel nur wenige Patienten durch.

Der nachfolgend dargestellte Langzeit-verlauf mit völliger Ausheilung der Allergie begann mit der vorteilhaften Situation, dass der Patient chemische Mittel aufgrund ihrer Wirkungslosigkeit kaum mehr einsetzte.

Casuistik H. s., männlich, geb. 1957

Diagnose: Neurodermitis, Allergisches Asthma bronchiale, allergische Urtikaria.

Der seit seiner Kindheit an Neuroder-mitis leidende Patient hat schon alles ver-sucht, leider mit wenig Erfolg. Da Medika-mente ihm mehr Nebenwirkungen als Hilfe einbringen, verzichtet er weitgehend darauf. Seine Hautausschläge, die vor al-lem im Gesicht, an den Ellenbeugen und auch an Stellen auftreten, wo er schwitzt, behandelt er mit Cortison- oder anderen Salben, wenn er es nicht mehr aushält. Bei Bedarf nimmt er Triludan oder ähnliche Medikamente ein. Asthmatische Be-schwerden und Hautauschläge wechseln ab dem 30. Lebensjahr in unregelmäßigen Phasen ab.

Ordination am 6. 10. 1997: Seit etwa einem halben Jahr ist der 40-jährige Pati-ent in homöopathischer Behandlung bei einem Kollegen, leider ohne jeden Erfolg. Sein Problem ist Neurodermitis seit Kind-heit. Auslöser für die Krankheit war eine Impfung gegen Pocken. Danach began-nen juckende Hautausschläge an Ellbeu-gen, Kniekehlen, Hals, Augen und Gesicht, diese wurden mit Salben behandelt und damit immer wieder zum Abklingen ge-bracht. Schlechter wird die Haut bei feuch-tem Wetter, Anstrengung, Wärme und durch Staub. Die Augen schwellen bei ver-schiedenen Lebensmitteln zu und fühlen 1 Arzt für Allgemeinmedizin, Wien

Homöopathische therapie bei allergien:anspruch auf Heilung?Anhand eines Patientenfalls wird gezeigt, dass homöopathische Behandlung zur völligen Beschwerdefreiheit führen kann.

Foto

: Bue

nos

Dia

s /

phot

os.c

om

abb. 1: Bei Allergikern bestehen oft Heilungshin-dernisse im Sinne Samuel Hahnemanns (Bild). Zu den „historischen“ kommen die modernen Stolpersteine unserer zivilisierten Welt dazu.

2/2009 promed komplementär8 © Springer-Verlag

Page 2: Homöopathische Therapie bei Allergien: Anspruch auf Heilung?

homöopathie

sich an, als wäre Sand in ihnen. Den Heu-schnupfen gibt es etwa ab dem dreißigsten Lebensjahr. Dieser wird schlechter durch Pollen, aber auch durch Katzen. Bei An-strengung und Schwitzen juckt die Haut, was für ihn sehr belastend ist. Bis auf seine Allergie fühlt er sich gesund. Er ist „leider hitzig“ und verträgt Hitze und Sonne schlecht, am Meer ist alles besser. Sauna, heißes Bad, feuchtwarmes oder feuchtkal-tes Klima verträgt er schlecht. Er kann es-sen, so viel er will, und nimmt nicht zu, Fasten verträgt er nicht. Er genießt alles, was gut ist, auch seine Pfeife und Alkohol, wie dies bei Musikern nicht selten vor-kommt. Lediglich saure Speisen, Kiwi und Zitrusfrüchte sowie blähende Speisen ver-trägt er schlecht. Milch mag er nicht und verträgt sie auch nicht. Er isst gern ge-würzt, scharf, salzig und Exotisches. Er be-kommt immer wieder Wadenkrämpfe in der Nacht. Er schläft gut und ist berufsbe-dingt, aber auch von Natur aus ein Nacht-mensch. Bei und nach Sport und Anstren-gung fühlt er sich wohl. Die lokalen Beschwerden: Die Haut ist flächig gerötet wie bei einer Neurodermitis, juckt bei Wärme und beim Schwitzen, oft auch wanderndes Jucken und Hitzegefühl der Haut. Im Extremfall schmerzt die Haut, er ist dadurch allgemein sehr beeinträchtigt. Manchmal sind seine Augen morgens ver-

klebt, wenn die Haut schlechter ist. Die Atembeschwerden sind im Moment er-träglich. Dabei ist es oft so, dass sein Hus-ten durch Sprechen ausgelöst wird.

Auf Nachfragen: Er kann nachtragend sein, verträgt Mitgefühl und Trost nur von gewissen Menschen und nicht immer, kann auch gut allein sein. Bei einer großen Verzweiflung über eine unglückliche Liebe mit Trennung wollte er am liebsten allein sein und konnte gar nicht weinen. Er macht einen sympathischen, etwas reser-vierten Eindruck. Als Berufsmusiker ist er oft auf Reisen.

Bei Föhn bekommt er Kopfschmerzen, meistens linksseitig und hinter den Augen, wobei Druck bessert. Dabei gibt es auch Muskelzuckungen an den Augenlidern.

Bei der Untersuchung fallen Warzen an den Fingern auf.

Auswertung: Schon beim groben Über-blick der Krankengeschichte denkt man an Natriumverbindungen, Mercurius, Lycopodium oder Carcinosin.

Repertorisation: (Abb. 1)Therapie am 6. 10. 1997: Rhus tox. C 200

für die Hautbeschwerden, als Reserve ge-gen Kopfschmerzen Natrium fluor. 200, äußerlich Aloe vera Salbe. Ausschlagge-bend für die Mittelwahl sind die lokalen Symptome gemeinsam mit den wichtig-sten Konstitutionsmerkmalen.

Verlauf: Nach einer Japanreise meldet sich der Patient, nachdem die Haut zu-nächst besser und ab dem 12. 11. 1997 wieder schlechter wurde – Rhus tox. wird wiederholt.

Bis zum März 1998 geht es dem Patien-ten mit Rhus tox. besser, ein Ende Februar 1998 auftretendes Kopfweh kann er erfolg-reich mit Natrium fluor. C 200 abfangen.

2. 4. 1998: Akute Hautverschlechterung, dabei Risse an den Lippen, am Philtrum, an den Ohren und an den inneren Augenwin-keln. Verordnung: Natrium mur. C 200. Da dieses nur mäßig bessert, empfehle ich Na-trium fluorat. C 12, das bessert wirkt.

4. 2. 1999: Ein vor etwa 20 Jahren aufge-tretenes Erythrasma an den Leistenbeu-gen und dem Perineum kommt wieder, was im Sinn der Hering´schen Regel posi-tiv gewertet werden kann. Verordnung: Rhus glab. C 200 (Abb. 2)

In den folgenden Jahren kommt es im-mer wieder zu leichteren Rückfällen und abwechselnden Beschwerden, die meist mit Natriumsalzen (Natrium caust.), Co-balt und Cinnabaris gebessert werden können. Eine Amalgamsanierung mit Ent-giftung durch DMPS wird Ende Oktober abgeschlossen. Ab 2002 waren keine che-mischen Medikamente mehr erforderlich und nur fallweise homöopathische Mittel gegen leichte Rückfälle sowie eine Ischi-algie links (Thuja).

Beurteilung: Hier handelt es sich um den idealen Fall, wo

das chronische (konstitutionelle) ■■

Mittel leicht auffindbar wardas chronische Mittel oft mit dem ■■

akuten ident wargute Reaktionsfähigkeit und gute ■■

Compliance des Patienten vorhanden waren

Hinweis für die Praxis: Ist bei der Reperto-risation ein Mittel wie Natr. mur. sehr pro-minent, muss auch an andere Natriumver-bindungen gedacht werden. So hat bei durch Hitze oder Föhn ausgelösten Kopf-schmerzen Natrium fluorat. ausgezeich-net gewirkt. Natriumfluorid hat die Ver-schlechterung durch Fasten, Muskelzucken der Augenlider und Linksseitigkeit der Be-schwerden.

Natrium causticum ist wenig bekannt und geprüft, hat sich aber bei zwei Verord-nungen als wirksam erwiesen.

Die vollkommene Beschwerdefreiheit seit mehr als fünf Jahren genießt der Pati-ent sehr. Dieser Casus ist ein Beispiel da-für, dass die klassische Homöopathie auch bei massiven Allergien wirksam sein kann.

abb. 2: Neben Natrium mur. sind hier fast alle Polychreste vertreten.

abb. 3: Rhus glab. ist im Repertorium unterrepräsentiert, aber verwandt mit Rhus tox.

Gra

fiken

: Dr.

Wal

ter

Glü

ck

2/2009promed komplementär 9© Springer-Verlag

Page 3: Homöopathische Therapie bei Allergien: Anspruch auf Heilung?

homöopathie

das übliche kreuz der allergiebehandlung

Bilderbuchfälle wie der soeben beschrie-bene sind selten. In den meisten Fällen ist der Weg zur Verbesserung des Immunsys-tems nach der Hering´schen Regel mühsa-mer. Hier hat es sich bewährt, dem Patienten frühzeitig seine Situation vor Augen zu füh-ren. Dies ist laiengerecht in meinem Buch „Sanfte Medizin für Ihr Kind“ als „Immun-treppe“ dargestellt und verständlich erklärt.

Bei chronischen Allergiefällen hat sich folgende Vorgangsweise bewährt:

Komplette Fallaufnahme, Trennung a. von chronischen und akuten Beschwer-den. Biographische Anamnese und Auswertung. Medikamentenhistorie und Feststellung des Ist-Zustandes.Nachholung von fehlenden Befunden, b. ev. Erstellung eines CRT (Computer-Regulationsthermogramm nach ROST), Mikrobiologische Untersu-chung der Darmflora (Mykosen kön-nen ein Heilungshindernis sein), Zahn-status, Festlegung eines Therapie- und Zeitplanes. Aufklärung über das Verhalten in Akut-c. situationen. Da Asthmapatienten ver-ständlicherweise große Angst vor Atemnot haben, aber auch eine Urtika-ria bedrohliche Ausmaße annehmen kann, ist die Aufklärung über das Ver-halten in Akutsituation unerlässlich. Dazu gehört die Erklärung, was im Akutfall beobachtet werden sollte ebenso wie die Klärung der persönli-chen Erreichbarkeit. „Fortgeschritte“ Patienten können nach Einschulung ihre Akutsituationen gut homöopa-thisch meistern.Kontrollen und die Beurteilung von d. Symptomen im Sinne der Hering’schen Regel. Oft werden von unseren Patien-ten Akutfälle wie Fieber oder Ausschei-dungsvorgänge als eigenständige Krankheit gesehen. Im Zusammen-hang betrachtet, handelt es sich aber um Heilungsverläufe im Sinn der Hering’schen Regel, bei denen eine korrekte Versorgung mit dem Akut-Si-mile wichtig ist. Auch das muss dem Patienten zeitnah und vorbeugend ver-mittelt werden, um mühsame Umwege zu vermeiden.

komplementärmedizinische strategien bei allergien, je nach ausgangslage

Allergische Akutsituation aus voller 1. Gesundheit:

Similefindung nach Symptomen, a. je nach Schweregrad schulmedizi-nische Medikation als stand byBesondere Berücksichtigung der b. Causa bei der Similefindung.

Beispiele: Wespenstich – Glottisödem – Apis; Atemnot durch Schimmelpilze in feuchtem Zimmer – Chloralum; Haut-ausschlag infolge kaltem Bad – Ant-c., Calc-p., thuj.Akute Exazerbation eines chronischen 2. Prozesses:

Symptome ähnlich dem chroni-a. schen Bild, nur akut und stärker, eventuell durch einen anderen Aus-löser: Chronisches (konstitutionel-les) Mittel einsetzen (C 200)Symptome ähnlich dem chroni-b. schen Bild, hervorgerufen durch eine andere Causa – Mittelfindung unter Einbeziehung des neuen Aus-lösersSymptome verändert, neues Bild – c. neue Mittelfindung je nach aktuel-len Symptomen (C 200)

Beispiel: Akute Atemnot, durch Schim-melpilz ausgelöst, bei bekannter Aller-gie – Chloralum C 200Chronische Krankheit:3.

Gabe des spezifischen Simile, das a. die chronischen Beschwerden am besten abdeckt (Da – Wo – Prin-zip), in tiefen oder auch hohen Po-tenzen je nach Einzelfall. Relative Kontraindikation: Vorangegan-gene oder laufende suppressive Therapie, Gefahr von heftigen Re-aktionen!Unspezifische Immuntherapie b. (Phytotherapie mit Eleutherococ-cus senticosus, Ayurveda – Phyto-therapie, ABM = Agaricus blazei murril, Ozontherapie, Magnetreso-nanztherapie, potenzierte Eigen-blut oder -harntherapie, Darm-sanierung.Abbau chemischer Medikamente c. nur langsam, gleichzeitig zunächst

unspezif ische Reiztherapien. Beim Auftreten von Akutsituatio-nen Versuch der Similefindung und Gabe eines homöopathischen Einzelmittels.

Chronische Krankheit mit Wechsel der 4. KrankheitsschauplätzeKlassische Beispiele: Neurodermitis – Asthma, Colitis – Urtikaria, Rheuma – Hautsymptome, Psoriasis mit Wechsel von Hauterscheinungen und Gelenks-beschwerden.Hier sind die jeweiligen Repertoriums-rubriken hilfreich, obwohl diese sicher nicht vollständig sind. Die mit über 400 Mitteln versehene Allgemeinrubrik „al-ternating states“ ist wenig hilfreich, so-dass möglichst präzise Detailrubriken verwendet werden sollten: Beispiel: Respiration, difficult, alterna-ting with urticaria: Calad.Eine sehr brauchbare Rubrik bei Atem-wegsproblemen, die mit Hauterschei-nungen alternieren:Respiration; ASTHMATIC; Alterna-ting with; eruptions (21) : apisDock, calad., calc.Knr, carc.Geuk, caust.Brk, croto-t.Mada, cupr.Smits, dulc.BngC, graph.BngC, Hep., Kalm., lach., med.Hersc, mez., mut.Pat, phenob.JulB, Psor.JulB, rat.Dock, rhus-t., Sulph., syph.AlnP (Quelle: Mac Repertory). Hier wäre nat.m. einwertig nachzu-tragen.

grundsätze für die kombination von akuten mit chronischen symptomen

Prinzipiell sollte zusätzlich zu einer Basis-therapie, welcher Art auch immer, bei akut auftretenden neuen Beschwerden das möglichst passende Akutmittel verab-reicht werden (C 12 – C 30, höher mit dem Risiko von Erstreaktionen!).

Leitlinie der ganzheitlichen Allergie-behandlung sollte die Einsparung von chemischen Medikamenten bei best-möglicher Lebensqualität sein. Ein ed-les und grundsätzlich mögliches, aber nicht immer erreichbares Ziel ist auch bei Allergien die vollständige Heilung des Patienten. n

Korrespondenz: Dr. Walter K. Glück, Arzt für Allgemeinmedizin, Kurarzt, Ö. Ä. K. Diplome für Akupunktur, Chirotherapie, Homöopathie, klinischer Prüfarzt, Arbeitsmedizin, Qualitätsverifikator. Leiter des Ärztelehrganges „Naturheilverfahren“ an der Donau-Universität Krems.E-mail: [email protected] Internet: www.walterglueck.at

Fazit für die praxisAllergien waren zu Lebzeiten Samuel Hahnemanns (1755 bis 1843) weitgehend unbekannt. Daher ist kritisch zu hinterfragen, wieweit die klassische Homöopathie bei diesen Krankheitsbildern verlässlich einsetz-bar ist. Anhand eines Fallbeispieles und dem Case-Management für Allergiker werden Lösungsansätze aufgezeigt.

2/2009 promed komplementär10 © Springer-Verlag