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Fachwissen Entwicklung Um eine angenehm zu tragende, optimal sitzende und gut funktionierende Otoplastik herzustellen ist es unbedingt erforderlich, dass ein möglichst genaues Abbild des äußeren Gehörganges und der Ohrmuschel vorliegt. Mit Hilfe dieser Vorlage kann dann entweder mittels PNP-Methode (Positiv-Negativ-Positiv) oder den moderneren CAD-basier- ten Methoden (generative Verfahren, Rapid Prototyping) eine individuell maßgeschneiderte Otoplastik hergestellt werden (Ulrich & Hoffmann 2007). Um eine solche Vorlage zu erhalten wurde in der Vergangenheit Gips, Alginat oder warmes Wachs in den Gehörgang eingeführt und nach erfolgter Erstarrung wieder entnommen. Da diese Abformtechniken jedoch erhebliche Nachteile hatten, wurde nach besseren Materialien gesucht. Diese wurden Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts mit den kon- densations-vernetzenden Silikonen (C-Silikone) auch gefunden. Silikon-Knetmassen Silikon-Knetmassen sind aus 2 Komponenten bestehende Formulierungen, wobei durch Mischung der Komponenten eine Reaktion in Gang gesetzt wird, die zum Aufbau eines elastischen aber dennoch formstabilen Materials führt (Voogdt 2005-1). Darüber hinaus zeichnen sich diese gum- mielastischen Silikonnetzwerke durch eine hohe elastische Rückstellung aus. Das bedeutet, sie lassen sich einfach ver- formen, was die Entnahme sehr erleichtert, gehen danach aber wieder in die ursprüngliche Form zurück. Damit waren die Nachteile der früheren Abformmethoden beseitigt. Im Zuge der Entwicklung wurden die kondensations-vernet- zenden durch additions-vernetzende Silikone (A-Silikone) ergänzt, die zum Einen einen wesentlich niedrigeren Schrumpf bei der Härtung aufweisen (linearer Schrumpf kondensations-vernetzend < 1 %, additions-vernetzend <0,1 %) und zum Anderen eine verbesserte Biokompatibilität besitzen (Voogdt 2005). Die verhältnismäßig große Volumenreduktion bei den kondensations-vernetzenden Silikonen ist darauf zurückzuführen, dass bei der Vernetzungsreaktion Alkoholmoleküle abgespalten werden, die aufgrund der hohen Flüchtigkeit aus dem Werkstoff ent- weichen, wodurch das Volumen reduziert wird. Bei der Härtungsreaktion von additions-vernetzenden Silikonen hingegen werden keine niedermolekularen Fragmente erzeugt. Damit ändert sich das Volumen bei der Härtung nur unwesentlich und ermöglicht präzisere Abformungen. Weiterhin ist dadurch eine längere Formstabilität der additi- ons-vernetzenden Silikone gegeben und sie können zu Dokumentationszwecken aufbewahrt werden. Mögliche Fehlerquellen Beiden Silikontypen ist gemeinsam, dass sie aus zwei Komponenten bestehen, die homogen miteinander ver- mischt werden müssen, damit die Reaktion startet. Dazu werden die entsprechenden Mengen der Komponenten manuell dosiert und durch Kneten mit den Fingern oder Die Abformung – Knetmasse oder Kartuschenmaterial? Innovationen sind eine treibende Kraft des globalen Wirtschaftssystems und finden in immer schnelleren Zyklen statt. Dies gilt auch für die Hörgeräteindustrie, welche in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in allen Bereichen vorweisen kann. Ein Quantensprung dieser Entwicklung wurde durch die Digitalisierung und die damit verbundene Miniaturisierung der Hörgeräte möglich. Ähnlich starke Veränderungen haben sich auch auf dem Gebiet der Abformung ereignet, werden dort aber nicht in gleichem Maße wahrgenommen. Dies ist umso erstaunlicher als es sich bei der Abformung um den wichtigsten Schritt handelt, der über die Qualität der Passgenauigkeit und des Tragekomforts entscheidet. Für die Ohrabformung stellt die Innovation von Kartuschenmaterialien einen entscheidenden Schritt dar und den Akustiker vor die Qual der Wahl. Im Folgenden sollen praxisrelevante Aspekte der verschiedenen Abformmaterialien beleuchtet werden. Dr. rer. nat. Martin Kunz, DETAX GmbH & Co. KG Hörakustik 10/2010

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Fachwissen

Entwicklung

Um eine angenehm zu tragende, optimal sitzende und gutfunktionierende Otoplastik herzustellen ist es unbedingterforderlich, dass ein möglichst genaues Abbild des äußerenGehörganges und der Ohrmuschel vorliegt. Mit Hilfe dieserVorlage kann dann entweder mittels PNP-Methode(Positiv-Negativ-Positiv) oder den moderneren CAD-basier-ten Methoden (generative Verfahren, Rapid Prototyping)eine individuell maßgeschneiderte Otoplastik hergestelltwerden (Ulrich & Hoffmann 2007). Um eine solcheVorlage zu erhalten wurde in der Vergangenheit Gips,Alginat oder warmes Wachs in den Gehörgang eingeführtund nach erfolgter Erstarrung wieder entnommen. Da dieseAbformtechniken jedoch erhebliche Nachteile hatten,wurde nach besseren Materialien gesucht. Diese wurdenEnde der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts mit den kon-densations-vernetzenden Silikonen (C-Silikone) auchgefunden.

Silikon-Knetmassen

Silikon-Knetmassen sind aus 2 Komponenten bestehendeFormulierungen, wobei durch Mischung der Komponenteneine Reaktion in Gang gesetzt wird, die zum Aufbau eineselastischen aber dennoch formstabilen Materials führt(Voogdt 2005-1). Darüber hinaus zeichnen sich diese gum-mielastischen Silikonnetzwerke durch eine hohe elastischeRückstellung aus. Das bedeutet, sie lassen sich einfach ver-formen, was die Entnahme sehr erleichtert, gehen danachaber wieder in die ursprüngliche Form zurück. Damit warendie Nachteile der früheren Abformmethoden beseitigt. ImZuge der Entwicklung wurden die kondensations-vernet-zenden durch additions-vernetzende Silikone (A-Silikone)

ergänzt, die zum Einen einen wesentlich niedrigerenSchrumpf bei der Härtung aufweisen (linearer Schrumpfkondensations-vernetzend < 1 %, additions-vernetzend <0,1%) und zum Anderen eine verbesserte Biokompatibilitätbesitzen (Voogdt 2005). Die verhältnismäßig großeVolumenreduktion bei den kondensations-vernetzendenSilikonen ist darauf zurückzuführen, dass bei derVernetzungsreaktion Alkoholmoleküle abgespalten werden,die aufgrund der hohen Flüchtigkeit aus dem Werkstoff ent-weichen, wodurch das Volumen reduziert wird. Bei derHärtungsreaktion von additions-vernetzenden Silikonenhingegen werden keine niedermolekularen Fragmenteerzeugt. Damit ändert sich das Volumen bei der Härtungnur unwesentlich und ermöglicht präzisere Abformungen.Weiterhin ist dadurch eine längere Formstabilität der additi-ons-vernetzenden Silikone gegeben und sie können zuDokumentationszwecken aufbewahrt werden.

Mögliche Fehlerquellen

Beiden Silikontypen ist gemeinsam, dass sie aus zweiKomponenten bestehen, die homogen miteinander ver-mischt werden müssen, damit die Reaktion startet. Dazuwerden die entsprechenden Mengen der Komponentenmanuell dosiert und durch Kneten mit den Fingern oder

Die Abformung –

Knetmasse oder Kartuschenmaterial?

Innovationen sind eine treibende Kraft des globalen Wirtschaftssystems und finden in immerschnelleren Zyklen statt. Dies gilt auch für die Hörgeräteindustrie, welche in den letztenJahren erhebliche Fortschritte in allen Bereichen vorweisen kann. Ein Quantensprung dieserEntwicklung wurde durch die Digitalisierung und die damit verbundeneMiniaturisierung der Hörgeräte möglich. Ähnlich starke Veränderungen haben sichauch auf dem Gebiet der Abformung ereignet, werden dort aber nicht in gleichemMaße wahrgenommen. Dies ist umso erstaunlicher als es sich bei der Abformung umden wichtigsten Schritt handelt, der über die Qualität der Passgenauigkeit und desTragekomforts entscheidet. Für die Ohrabformung stellt die Innovation vonKartuschenmaterialien einen entscheidenden Schritt dar und den Akustiker vor die Qualder Wahl. Im Folgenden sollen praxisrelevante Aspekte der verschiedenenAbformmaterialien beleuchtet werden.

Dr. rer. nat. Martin Kunz, DETAX GmbH & Co. KG

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einem Spatel solange gemischt, bis eine homogene Masseentstanden ist. Diese homogenisierte Masse wird in eineAbformspritze überführt und anschließend in denGehörgang appliziert. Da die Reaktion schon zu Beginn desMischprozesses startet, bleibt in der Regel wenig Zeit, um zuMischen, die Spritze zu füllen und das Abformsilikon in denGehörgang zu applizieren. Beim Kneten mit der Hand wirddie Masse durch die Körperwärme erwärmt, was denAbbindeprozess zusätzlich beschleunigt und dieReproduzierbarkeit beeinträchtigt. Erfolgt die Applikationzu spät, ist die Vernetzungsreaktion bereits weit fortgeschrit-ten, das Material ist nicht mehr fließfähig genug und eskommt zu Fehlern in der Abformung. Die hohe Viskositätder Knetmassen kann bei der Applikation mit derAbdruckspritze zu einem Druckaufbau im Gehörgang füh-ren, mit der Folge, dass das weiche, knorpelige Ohrgewebedeformiert und diese Deformation durch das Vulkanisierendes Abformmaterials fixiert wird. Anhand solcherAbformungen hergestellte Ohrstücke sind zu groß, könnenunangenehm zu Tragen sein und zu einer fortlaufendenWeitung des Gehörganges führen, weil sich das Gewebe denneuen Gegebenheiten anpasst und ausweicht (Voogdt 2005-2). Auch der versehentliche Eintrag einer der Komponentenin die Andere (Kreuzkontamination) stellt eine Gefahr dar,weil es zur Aushärtung der kontaminierten Komponenteführt und das Material unbrauchbar wird. Die additions-vernetzenden Silikone sind außerdem relativ empfindlichgegenüber verschiedenen Substanzen, die dieAbbindereaktion inhibieren und eine völlige Aushärtungverhindern. Zu diesen „Katalysatorgiften“ gehörenSchwefel-, Zinn- und Stickstoffverbindungen, wie sie bei-spielsweise in Latexhandschuhen oder Handcremes häufigzum Einsatz kommen.

Der Einfluss der Dosierung

Da die Dosierung der beiden Komponenten manuellerfolgt, kann es zu Fehlern bei der Dosierung kommen, wasim Extremfall zu großen Unterschieden in der Abbindezeitund den mechanischen Eigenschaften führen kann. Dies wirdim Folgenden am Beispiel einer Knetmasse demonstriert,deren Komponenten im Verhältnis 1:1 gemischt werden.Eine der Komponenten enthält den Katalysator und wird des-halb auch als Katalysatorkomponente bezeichnet. Die andereKomponente enthält den Vernetzer, der bei der Reaktion fürden Aufbau eines dreidimensionalen Netzwerkes ausSilikonketten verantwortlich ist. Diese Komponente wird imAllgemeinen als Base bezeichnet. Sobald die beiden reaktivenKomponenten miteinander in Kontakt kommen, startet dieReaktion, deren Verlauf man durch die Aufzeichnung derViskositätsänderung verfolgen kann. Abbildung 1 zeigt typi-sche Abbindekurven für eine Knetmasse, die man erhält,wenn man die gemessene Viskosität gegen die Zeit aufträgt.

Die Viskosität beschreibt das Fließverhalten einer Masse,niedrige Werte bedeuten dabei eine dünnflüssige und fließfä-hige Masse, hohe Werte stehen für zähflüssige bzw. festeMaterialien. Mit zunehmender Zeit steigt die Viskosität zuerstlangsam, dann immer schneller an und erreicht schließlich einPlateau wonach sich die Viskosität praktisch nicht mehrändert. Mit Erreichen des Plateaus ist die Reaktion abge-schlossen und das Material ist abgebunden. Die Zeit zumErreichen des Plateaus kennzeichnet die Abbindezeit und dieHöhe des Plateaus korreliert mit der Härte des Materials. Jehöher das Plateau, desto höher ist die Härte.

Die Kurven in Abbildung 1 wurden mit einerKnetmasse erhalten, wobei die beiden Komponentenunterschiedlich dosiert wurden. Neben dem Idealfall der1:1 Mischung wurde in einem Fall die Basenkomponente10% (Base:Katalysator = 1,1:1), im anderen Fall dieKatalysatorkomponente 10% (Base:Katalysator = 1:1,1)überdosiert. Aus Abbildung 1 wird ersichtlich, daß imFalle der Überdosierung der Base die Reaktion gegenüberder 1:1 Mischung schneller verläuft. Die Knetmasse istalso früher abgebunden und die Vorvernetzung setztnoch früher ein. Dosiert man dagegen dieKatalysatorkomponente höher, beobachtet man dasgegenteilige Verhalten: die Reaktion wird langsamer.Eigentlich würde man erwarten, dass in diesem Fall dieReaktion noch viel schneller verlaufen sollte, da ja mehrKatalysator vorhanden ist. Da der Katalysator jedoch nurin sehr geringen Mengen von einigen ppm (parts per mil-lion) eingesetzt wird, bestimmt die Konzentration derVernetzermoleküle die Reaktionsgeschwindigkeit. Da derVernetzeranteil bei dieser Dosierung reduziert ist, findetdie Reaktion folglich langsamer statt. Wie aus denBeispielen ersichtlich wird, haben schon geringeDosierfehler spürbare Auswirkungen. Eine möglichstexakte Dosierung ist sehr wichtig, um reproduzierbareErgebnisse zu erzielen.

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Abbildung 1: Abbindekurven für unterschiedlicheDosierungen der beiden Komponenten.

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Kartuschenmaterialien

Ein entscheidender Innovationsschritt erfolgte mit derErfindung der Doppelkartusche in Verbindung mit einemstatischen Mischer (Keller & Chen 1988). Hier werdendie beiden Komponenten in zwei getrennten Kammerneiner Kartusche gelagert, mit einem Austraggerät durcheinen statischen Mischer gedrückt, automatisch gemischtund direkt in den Gehörgang appliziert. Die Einführung der Doppelkartusche stellte die Herstellerzunächst vor ein Problem: Es sollten zwar Massen mit sehrhoher Fließfähigkeit (niedriger Viskosität) erzeugt wer-den, aber sie durften nach der Anwendung nicht aus demOhr fließen. Die Anforderung, diese widersprüchlichenEigenschaften in einer Formulierung zu vereinigen, initi-ierte einen weiteren Innovationsschritt: DemAbformmaterial wurde durch entsprechende Zusatzstoffethixotrope Eigenschaften verliehen. Einfach dargestelltbedeutet Thixotropie, dass die Fließfähigkeit hoch ist,wenn die Masse bewegt (beispielsweise wenn sie durchden statischen Mischer gedrückt wird) und niedrig, wennsie nicht bewegt wird. Kommt die Bewegung zumStillstand, ist die Fließfähigkeit niedrig und die Massebleibt stehen, läuft nicht aus dem Ohr. ModerneAbformmassen (beispielsweise addition supra oder additi-on spectra) besitzen diese thixotropen Eigenschaften undsind aufgrund ihrer niedrigen Viskosität besonders fürenge Gehörgänge (z.B. bei Kindern) und „im Ohr“ bzw.CIC (Completely in the Chanel) Anpassungen geeignet.

Vorteile von KartuschenmaterialienIn Kombination mit den dünnfließenden Massen bietetdie Applikationsform in Kartuschen signifikanteVerbesserungen:

Die Dosierung erfolgt automatisch und im richtigenVerhältnis. Demzufolge sind Dosierungsfehler ausge-schlossen. Die für den Abdruck nötige Menge kann denErfordernissen genau angepasst werden, es ist nie zuwenig oder zu viel Material angemischt. Zu wenigMaterial ist gleichbedeutend mit einem unvollständi-gen Abdruck, zu viel Material resultiert in hohenAbfallmengen.Eine Kreuzkontamination ist praktisch unmöglich, dadie Komponenten in getrennten Kammern vorliegenund erst im statischen Mischer in Kontakt gebrachtwerden. Die Mischung im statischen Mischer erfolgt sehrschnell und reproduzierbar. Da das gemischte Material direkt in den Gehörgangappliziert wird, entfällt das manuelle Mischen undFüllen der Abformspritze, was eine deutlicheZeitersparnis mit sich bringt. Zusätzlich wird das

Reinigen und Desinfizieren der Abdruckspritze über-flüssig. Das Abformmaterial kommt nicht in Kontakt mitHänden oder Handschuhen. Somit wird die Gefahr derInhibierung durch Handschuhe, Handcremes und ähn-lichem eliminiert. Dadurch, dass das Mischen nicht mehr manuell erfol-gen muss, können Abformmassen eine viel höhereFließfähigkeit besitzen und erlauben eine „drucklose“Abformung (ohne Deformation des weichenOhrgewebes) mit höchstmöglicher Abformgenauigkeit(Voogdt 2005-3). Beim Eintrag der Abformmasse ins Ohr hat noch keinenennenswerte Vorvernetzung stattgefunden, die Massekann sich optimal an die vorgegebene Form desGehörganges anpassen.

Die beiden letzten Punkte sind für eine hoheAbformgenauigkeit besonders wichtig und dies wird imFolgenden illustriert.

Der Einfluss der Viskosität

Dass eine niedrigere Viskosität, bzw. höhereFließfähigkeit, eine genauere Abformung erlaubt, ist ein-leuchtend. Hält man sich vor Augen, dass eine niedrigvis-kose Flüssigkeit, wie etwa Wasser, eine vorgegebene Formvöllig und sehr genau ausfüllt. Versucht man dagegen einehochviskose Flüssigkeit, wie beispielsweise Honig in diegleiche Form zu füllen, stellt man fest, dass es zur Bildungvon Hohlräumen und Lufteinschlüssen kommt. Bei denAbformmassen verhält es sich sehr ähnlich. DieViskositäten beim Eintrag in den Gehörgang sind beiKnetmassen um ein Vielfaches höher als bei

Kartuschenmaterialien. Dabei genügt es nicht, dieViskositäten der Massen vor dem Mischen zu vergleichen,denn sofort nach dem Mischen beginnt die

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Abbildung 2: Viskositätsverlauf von Knetmassen undKartuschenmaterial bei 23°C.

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Vernetzungsreaktion und erhöht die Viskosität fortlau-fend. Zur Veranschaulichung wurde der Viskositätsverlaufeines typischen Kartuschenmaterials und eines typischenKnetmaterials gemessen und verglichen. Dazu wurden dieMessungen im Falle des Kartuschenmaterials direkt nachdem Austritt aus dem statischen Mischer gestartet. DasKnetmaterial wurde 30 Sekunden gemischt, in eineAbdruckspritze gefüllt und 1:30 Minuten bzw. 2 Minutennach dem Mischbeginn aus der Spritze ausgetragen unddie Messung gestartet. Auf diese Art und Weise wurde inallen Fällen die Situation zu Beginn des Eintragens derMasse ins Ohr reproduziert.

Abbildung 2 zeigt den Viskositätsverlauf derAbformmassen bei Raumtemperatur in Abhängigkeit derZeit. Das Kartuschenmaterial erreicht das Niveau in kür-zerer Zeit, ist also schneller abgebunden. In Abbildung 2ist zu erkennen, dass bereits zu Beginn der Messung (ent-spricht dem Beginn des Eintrags ins Ohr) die Viskositätder Knetmasse gegenüber dem Kartuschenmaterial deut-lich höher ist. Beim Eintrag nach 1:30 Minuten ist dieViskosität ca. 6mal höher, nach 2 Minuten ca. 12malhöher. Diese Erhöhung der Viskosität bei der Knetmassewird dadurch verursacht, dass die Vernetzungsreaktionschon zu Beginn des Mischens startet und mit der Zeit

immer weiter fortschreitet. Dies ist auch aus dem kontinu-ierlichen Anstieg der beiden Knetmasse-Kurven zu entneh-men. Es bedeutet, dass die Qualität der Abformung mitKnetmaterialien sehr stark von der Zeit abhängig ist, dieverstreicht, bis die Masse ins Ohr appliziert wird. BeimKartuschenmaterial hingegen bleibt die Viskosität noch ca.1 Minute auf niedrigem Niveau, steigt dann jedoch vielschneller auf ein ähnliches Niveau wie die Knetmasse.Kartuschenmaterialien zeigen keine derartig starkeZeitabhängigkeit der Viskosität zum Zeitpunkt desEintrags ins Ohr.

Die Bedeutung der Vorvernetzung

Durch den Start der Vernetzungsreaktion beim Mischenfindet eine Vorvernetzung des Materials vor dem Eintrag inden Gehörgang statt. Damit ändert sich jedoch nicht nurdie Viskosität der Abformmasse, sondern es entsteht auchein polymeres Netzwerk, das mit zunehmender Größe

immer mehr die Eigenschaften eines elastischen Gummisannimmt. Das besondere Merkmal eines elastischenKörpers ist, dass er nach einer mechanischen Verformungwieder in seine ursprüngliche Form zurückkehrt: Lässt manein gedehntes Gummiband los, schnellt es in seineursprüngliche Form zurück. Für Abformmassen ist dieElastizität eine sehr wichtige Eigenschaft, denn sie gewähr-leistet eine einfache Entfernung der Abformung unterBeibehaltung der ursprünglichen Form. Aber eine zu hoheElastizität des Abformmaterials beim Eintrag in denGehörgang kann auch negative Folgen haben. Denn dieelastischen Bestandteile werden durch den Druck bei derApplikation mit der Spritze komprimiert und entspannendanach im Gehörgang wieder, was eine Rückstellung undVerformung zur Folge hat. Was wiederum eine Weitung derweichen Teile des Gehörganges verursachen kann. Eineexakte Wiedergabe der Gehörgangsform ist somiterschwert. Mittels entsprechender Meßmethoden lässt sichdie Änderung des elastischen Anteils eines Materialsbestimmen. Der sogenannte Speichermodul ist ein Maß fürden elastischen Anteil in einer Probe und kann mit entspre-chenden Messgeräten gleichzeitig mit der Viskositätbestimmt werden. In Abbildung 3 ist der Verlauf desSpeichermoduls für die in Abbildung 2 gemessenen Probenwiedergegeben.

Die Kurven des Speichermoduls zeigen einen ähnlichenVerlauf wie die Viskosität, jedoch ist der Unterschiedzwischen Kartuschenmaterial und Knetmasse deutlichhöher. Der Speichermodul des Knetmaterials bei Eintragnach 1:30 Minuten ist annähernd 9mal so hoch wie beimKartuschenmaterial, bei Eintrag nach 2 Minuten sogar24mal so hoch! Damit sind fließfähige Kartuschenmate-rialien den Knetmassen eindeutig überlegen, denn beider Applikation der Masse in den Gehörgang ist der elas-tische Anteil so gering, daß eine Veränderung der Formdes Gehörganges nicht erfolgt und man eine originalge-treue Abbildung des unverformten Gehörganges erhält.

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Abbildung 3: Verlauf des Speichermoduls

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Hohe Abdichtung

Für Fälle, in welchen eine hohe Abdichtung nötig ist,wäre es natürlich wünschenswert, wenn es einKartuschenmaterial gäbe, welches eine gezielte Weitungder weichen Bereiche im Gehörgang ermöglichen würde.Um mit einer originalgetreuen Abformung eine höhereAbdichtung zu erhalten, müsste diese gezielt an den richti-gen Stellen aufgewachst werden. Da es der Abformungaber nicht anzusehen ist, an welchen Stellen genau dieseFormänderung erfolgen sollte, sind solche Versuche zurnachträglichen Erhöhung der Abdichtung nur mit gerin-ger Wahrscheinlichkeit vom Erfolg gekrönt. Um dieseLücke zu schließen, wurden entsprechend hochviskoseKartuschenmaterialien entwickelt (z.B: addition Xtraferm), die einer Abformmasse mit hoher Viskosität alleVorteile der Kartuschenapplikation zu Gute kommen las-sen.

Zusammenfassung

Stellt man die Eigenschaften der beiden Materialieneinander gegenüber, werden die Vor- und Nachteile beson-ders deutlich(siehe Tabelle 1).

Zusammenfassend liefern niedrigviskoseKartuschenmaterialien eine drucklose, vorvernetzungsfreieund dadurch präzisere Abbildung des Gehörganges, sowieeine deutliche Zeitersparnis und erhöhen dieAnwendungssicherheit. Aus Sicht des Patienten hat die ver-besserte Applikationsform zudem den immensen Vorteil,dass die Abdrucknahme insgesamt hygienischer abläuft,weil die Abformmasse nicht mit anderen Personen inKontakt kommt. Diese lange Liste an Vorteilen hat ihrenPreis: Die Verpackung ist aufwendiger und der einmaligverwendbare statische Mischer ist verloren.

Im Laufe der Zeit haben die Abformmaterialien großeFortschritte gemacht, sowohl was die Handhabung betrifft,als auch die Abformgenauigkeit. Die Auswahl anAbformmaterialien, die heute in Kartuschen angebotenwerden, deckt sämtliche Anwendungsfelder ab. Es stehendünnflüssige Materialien für die drucklose Abformung undenge Gehörgänge zur Verfügung, aber auch hoch viskose,leicht druckaufbauende Materialien, die für eine hoheAbdichtung sorgen. Damit kann der Akustiker in allenFällen die zahlreichen Vorteile der Kartuschenmaterialienhinsichtlich Hygiene, Prozesssicherheit, Zeitersparnis undvereinfachter Handhabung nutzen.

Literatur

J. Ulrich; E. Hoffmann (2007); „Hörakustik Theorie und Praxis“,DOZ Verlag Heidelberg, 1166

U. Voogdt (2005-1); „Otoplastik,“ Median-Verlag von Killisch-HornGmbH, 97-98

U. Voogdt (2005-2); „Otoplastik,“ Median-Verlag von Killisch-HornGmbH, 150

W.A. Keller, S.J.Chen (1988); US 4767026 U. Voogdt (2005-3); „Otoplastik,“ Median-Verlag von Killisch-Horn

GmbH, 147A. Gebhardt (2008); “Generative Fertigungsverfahren Rapid

Prototyping- Rapid Tooling – Rapid Manufacturing“, Carl Hanser VerlagMünchen

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Tabelle 1: Vergleich von Kartuschen und Knetmaterial