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Forschungsberichte aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln Nr. 71 Christina Anger / Christiane Konegen-Grenier / Sebastian Lotz / Axel Plünnecke Bildungsgerechtigkeit in Deutschland Gerechtigkeitskonzepte, empirische Fakten und politische Handlungsempfehlungen

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Forschungsberichteaus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln Nr. 71

ISBN 978-3-602-14878-3

Christina Anger / Christiane Konegen-Grenier / Sebastian Lotz / Axel Plünnecke

Bildungsgerechtigkeit in DeutschlandGerechtigkeitskonzepte, empirische Fakten und politische Handlungsempfehlungen

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Forschungsberichteaus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Bildungsgerechtigkeit in Deutschland

Christina Anger / Christiane Konegen-Grenier /Sebastian Lotz / Axel Plünnecke

Gerechtigkeitskonzepte, empirische Faktenund politische Handlungsempfehlungen

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-602-14878-3 (Druckausgabe)ISBN 978-3-602-45493-8 (E-Book|PDF)

Herausgegeben vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Grafik: Dorothe Harren

© 2011 Institut der deutschen Wirtschaft Köln Medien GmbHPostfach 10 18 63, 50458 Köln Konrad-Adenauer-Ufer 21, 50668 KölnTelefon: 0221 4981-452Fax: 0221 [email protected] www.iwmedien.de

Druck: Hundt Druck GmbH, Köln

Diese Studie wurde gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

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Inhalt

1 Einleitung 4

2 Gerechtigkeit: Chancen, Leistungen und Verteilung 62.1 Zum Begriff der Gerechtigkeit 62.2 Gerechtigkeit als Thema in der Ökonomik 72.3 Abgrenzung verschiedener Gerechtigkeitskonzepte 92.4 Gerechtigkeitspsychologie: Wie urteilen Menschen über Gerechtigkeit? 152.5 Durch Bildung zu besserer Verteilung und mehr Effizienz 17

3 Bildung und Verteilungseffizienz 223.1 Bildung und Verteilung im internationalen Vergleich 223.2 Bildung und Verteilung in Deutschland 243.3 Perspektiven von Migranten und Alleinerziehenden 273.4 Bildung, Aufstiegs- und Abstiegsmobilität 293.5 Perspektiven von Mittelqualifizierten 313.6 Perspektiven von Akademikern 353.7 Handlungsempfehlungen 40

4 Zugang zu mittleren Qualifikationen 424.1 Sozioökonomischer Hintergrund 424.2 Migrationshintergrund 454.3 Frühkindliche Bildung 474.4 Privatschulen und Übergang auf die Sekundarstufe I 514.5 Berufliche Bildung 574.6 Handlungsempfehlungen 59

5 Zugang zu akademischen Qualifikationen 625.1 Sozioökonomischer Hintergrund 635.2 Gestufte Studiengänge, Studienaufnahme und Mobilität 665.3 Gestufte Studiengänge und Beschäftigungschancen 705.4 Private Hochschulen und Durchlässigkeit 745.5 Verteilungseffekte von Studiengebühren 775.6 Handlungsempfehlungen 82

6 Zusammenfassung 85

Literatur 91

Kurzdarstellung / Abstract 103

Die Autoren 104

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1 Einleitung

Dem Thema „Bildungsgerechtigkeit“ wird in der öffentlichen Wahrneh-mung viel Platz eingeräumt. Dabei werden Aspekte sowohl der Chancen-gerechtigkeit oder -gleichheit als auch der Verteilungsgerechtigkeit diskutiert. Eine vielbeachtete Studie zur Polarisierung von Einkommen kommt zu dem Ergebnis, dass die Mittelschicht in Deutschland schrumpft (Goebel et al., 2010). Hieraus könnten Ängste vor einem Statusverlust („Statuspanik“) die Folge sein. Die Ergebnisse der Studie sind jedoch nicht unumstritten (Enste et al., 2010), da über einen längeren Zeitraum keine Abnahme der Mittel-schicht beobachtbar ist. Ferner beziehen sich die Ergebnisse der Studie nicht auf den Bildungsstand oder andere sozioökonomische Aspekte. Dadurch bleibt offen, ob beispielsweise in Haushalten mit einem mittleren Bildungs-niveau der Zugang zur Mittelschicht schwieriger oder das Abstiegsrisiko größer geworden ist. Gerade Unterschiede beim Zugang zu Bildung sind jedoch mit Verteilungsfragen eng verknüpft (Nickell, 2004).

Unterschiede beim Zugang zum Bildungssystem werden bereits durch die Heterogenität der Ausgangsbedingungen – vor allem soziale Herkunft, Migrationshintergrund, Geschlecht und Bundesland – geprägt. Zudem wird eine hohe Selektivität des deutschen Bildungssystems an den Übergängen innerhalb des Bildungssystems beobachtet. Öffentliche Bildungsinvestitionen werden systematisch suboptimal verteilt. Sie konzentrieren sich zu stark auf die späten Abschnitte der Bildungskarrieren und ihre Zuweisungen beruhen kaum auf Erfolgskontrollen (Aktionsrat Bildung, 2007).

Das Bildungsniveau der Eltern hat einen starken Einfluss auf die Bildung der Kinder und ist wichtiger als institutionelle oder schulische Faktoren (Coneus/Sprietsma, 2009). Unterschiede in den Fähigkeiten zwischen Kindern von Eltern mit geringem Bildungsniveau und Eltern mit hohem Bildungs-niveau offenbaren sich bereits, noch bevor das Schulalter erreicht ist. Hiermit sind sogenannte primäre Effekte verbunden, die soziale Disparitäten erklären und sich auf die schulischen Leistungen auswirken. Die Kompetenzen der Schüler unterscheiden sich darum schon bei der Einschulung (Trautwein/Maaz, 2010).

Chancenungleichheiten bei der Entwicklung kognitiver und sozialer Fähigkeiten außerhalb der Familie bestehen nach Ansicht einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung (Becker/Hauser, 2004) aufgrund gebührenfinanzierter

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Krippen-, Kindergarten- und Hortplätze sowie begrenzter Betreuungskapa-zitäten. Als Befund halten die Autoren fest, dass die soziale Herkunft bei der Entscheidung für ein Studium wichtiger geworden sei, anders als beim Ent-schluss für den Besuch eines Gymnasiums. Sogenannte sekundäre Effekte bewirken eine soziale Disparität, die durch unterschiedliche Wahlentschei-dungen im Bildungssystem entsteht, selbst wenn die Kompetenzen der Kinder sich nicht unterscheiden (Trautwein/Maaz, 2010).

Nach Ansicht der Heinrich-Böll-Stiftung (2008) hat die Bildungspolitik auf die in der PISA-Untersuchung des Jahres 2000 empirisch belegten Un-gleichheiten reagiert. Die Maßnahmen seien aber bisher in den Bundesländern nicht konsequent umgesetzt worden. Dies betrifft vor allem die Lern- und Lebenschancen von Kindern aus bildungsfernen Schichten. Es mangele daher weiter an einer Förderung von Bildungsgerechtigkeit.

Ziel der vorliegenden Analyse ist es, zu überprüfen, ob in den letzten Jahren eine Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit erreicht werden konnte. Unter-sucht wird, ob eine geringe Streuung beim Bildungsstand in einer Volkswirt-schaft mit einer geringen Einkommensstreuung einhergeht. Außerdem wird betrachtet, wie sich die Einkommensperspektiven der Personen mit mittlerer oder höherer Qualifikation sowie deren Aufstiegs- und Abstiegsmobilität entwickelt haben und weiter entwickeln dürften. Darüber hinaus ist zu klären, ob sich die Chancen beim Zugang zu Bildung verbessert haben und an welchen Stellen des Bildungssystems Probleme beim Zugang bestehen. Der Begriff der Bildungsgerechtigkeit ist dabei noch zu definieren: Ist eine durch das Bildungssystem bewirkte absolut gleiche Zunahme an Fähigkeiten und Wissen gerecht oder eher eine proportional gleiche Zunahme oder ein gleich hoher Einsatz an Ressourcen für jedes Kind? Oder sind Veränderungen, welche die Bildungsergebnisse am unteren Ende der Kompetenzverteilung verbessern, ohne am oberen Ende zu Verschlechterungen zu führen, als Maßstab der Bildungsgerechtigkeit geeignet?

Um diese Kernfragen zu beantworten, wird in Kapitel 2 der Gerechtig-keitsbegriff zunächst definiert und als ökonomisches Thema eingeführt. Danach folgt eine Abgrenzung verschiedener Gerechtigkeitskonzepte. Auf der einen Seite wird das Konzept der Verteilungsgerechtigkeit betrachtet, das sich wiederum in verschiedene Prinzipien wie Gleichheit oder Leistungs-gerechtigkeit unterteilen lässt. Auf der anderen Seite stehen die eher input-orientierten Konzepte der Chancen- oder prozeduralen Gerechtigkeit. Im Anschluss wird auf die Gerechtigkeitspsychologie eingegangen, die erklären kann, warum Experten und Laien beim Thema „Gerechtigkeit“ zu unter-

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schiedlichen Bewertungen kommen. Abschließend wird in Kapitel 2 abge leitet, welche Veränderungen der Bildungschancen im Rahmen der vorliegenden Analyse als gerecht bezeichnet werden sollen.

Kapitel 3 stellt den Bezug zwischen Bildung und Verteilungsgerechtigkeit her. Dabei stehen vor allem die Perspektiven von Mittelqualifizierten, Aka-demikern, Alleinerziehenden und Migranten im Mittelpunkt. Wenn Unter-schiede bei Bildungsabschlüssen eng mit Unterschieden bei den Einkommens-perspektiven verbunden sind, verschiebt sich die Gerechtigkeitsfrage auf den Zugang zu Bildung. Hier ist es von zentraler Bedeutung, ob Chancengerech-tigkeit besteht, also ob die institutionellen Regelungen allen Menschen gleiche Chancen auf den Zugang zu Bildung ermöglichen. Kapitel 4 untersucht den Zugang zu mittleren Qualifikationen, Kapitel 5 den Zugang zu akademischen Qualifikationen. Am Ende jedes dieser Kapitel wird überprüft, inwieweit die Politik bereits zur Verbesserung der Gerechtigkeitsziele beiträgt und welche weiteren Reformen umgesetzt werden sollten. Die Analyse schließt in Kapitel 6 mit einer Zusammenfassung.

Gerechtigkeit: Chancen, Leistungen und Verteilung

2.1 Zum Begriff der GerechtigkeitGerechtigkeit bezeichnet einen Idealzustand der sozialen Interaktion. In

diesem Zustand gibt es einen angemessenen, unparteilichen und einforder-baren Ausgleich der Interessen und der Verteilung von Gütern und Chancen zwischen Individuen eines Kollektivs oder zwischen Kollektiven. Gerechtig-keit gilt als ein zentraler Aspekt des menschlichen Zusammenlebens. In nahezu allen sozialen Systemen, von der Familie über die Unternehmen bis hin zu Staaten, spielt Gerechtigkeit jeden Tag eine große Rolle. Dieses breite Inte-resse der Menschen an gerechtigkeitsrelevanten Themen findet sich in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wieder. Philosophen, Psychologen, Soziologen, Anthropologen und Ökonomen widmen einen erheblichen Teil ihrer Arbeit der Erforschung von Aspekten der Gerechtigkeit.

Seit Aristoteles und seiner Nikomachischen Ethik beschäftigen sich die Menschen mit Fragen der Moral und Gerechtigkeit in systematischer Form. Evolutionäre Anthropologen und Psychologen erforschen darüber hinaus,

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wie fest Gerechtigkeit in der Natur des Menschen begründet liegt. Viel mehr als diese Punkte interessiert die Menschen jedoch seit jeher, was objektiv als gerecht tituliert werden kann und was nicht. In diesem Bestreben gelangen Ethiker von der Antike bis zur Neuzeit, von Aristoteles über David Hume und Immanuel Kant bis hin zu John Rawls zu Gerechtigkeitsprinzipien, die dem Standard der Objektivität genügen sollen.

2.2 Gerechtigkeit als Thema in der ÖkonomikDas Thema „Gerechtigkeit“ stand in der traditionellen Ökonomik lange

Zeit nicht im Mittelpunkt. Während die Gründerväter der Ökonomik noch zugleich Philosophen waren und zur Gerechtigkeit ausführlich Stellung nahmen – zum Beispiel Adam Smith (1759) –, begnügten sich Ökonomen danach meist mit einem einfachen, aber konsequenten Menschenbild. Der Mensch handelt demnach als Homo oeconomicus streng rational und ist ausschließlich motiviert durch den Eigennutz, den er maximiert. Dieses Menschenbild war ziemlich praktisch, da durch diese einfachen Annahmen die Wissenschaft mathematisierbar war. Die Folge waren klare Handlungs-anweisungen an die Politik und quantifizierbare Effekte einzelner Maß-nahmen. Das erklärt zum Teil den Erfolg, mit dem sich Ökonomen als Ratgeber für Politikmaßnahmen anbieten konnten. Im ökonomischen Modell der Politik (Rational Choice) waren zudem auch die Politiker rational. Sie orientierten sich mit dem Ziel des Machterhalts am rationalen Wähler.

In der Ökonomik fand jedoch in den vergangenen Jahrzehnten ein Para-digmenwechsel hin zur verhaltenswissenschaftlich fundierten Forschung statt. Hier finden Moral und Gerechtigkeit wieder mehr Platz. Während zunächst die Rationalitätsannahme infrage gestellt und durch ein Konzept begrenzter Rationalität ersetzt wurde (zum Beispiel Simon, 1959), gelang später auch eine Kritik in Bezug auf das Eigennutzaxiom (Bolton/Ockenfels, 2000; Fehr/Schmidt, 1999; Charness/Rabin, 2002). Der Spieltheoretiker Herbert Simon wurde bereits mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Auch die Fairnessforschung gilt inzwischen als wichtiges Feld der Ökonomik. Man kann daher den Schluss ziehen, dass Themen wie Gerechtigkeit und Fairness in der Ökonomik ihre Renaissance feiern.

Den (Verhaltens-)Ökonomen ist gemein, dass sie ihre Erkenntnisse in erster Linie aus spieltheoretisch abgeleiteten Situationen ziehen, die sie experimen-tell oder empirisch testen. Die experimentelle Wirtschaftsforschung gewinnt stetig an Relevanz (Ockenfels/Sadrieh, 2010). Gemeinsam mit Psychologen wird erforscht, welche Situationen und welche Persönlichkeitsvariablen be-

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sonders häufig irrationales oder faires Verhalten zur Folge haben. Es wird untersucht, wann sich Menschen rational verhalten und wann nicht, wann sie egoistisch sind und wann sie sich altruistisch verhalten. Um diese neue Methodik der Wirtschaftswissenschaft anschaulich zu beschreiben, werden die berühmtesten experimentellen Spiele im Folgenden kurz erläutert.

Im Ultimatumspiel treffen zwei Personen aufeinander. Person A erhält einen Betrag, zum Beispiel 10 Euro, und hat die Aufgabe, diesen Betrag auf sich und Person B aufzuteilen. Im Anschluss daran kann Person B der Ver-teilung zustimmen oder diese ablehnen. Stimmt Person B zu, wird die vorge-schlagene Verteilung real ausbezahlt. Lehnt sie ab, gehen beide leer aus. Es zeigt sich häufig, dass Person B unfaire Beträge (kleiner als 50 Prozent) nicht annimmt. Sie verzichtet lieber auf Geld, statt einer offensichtlichen Unge-rechtigkeit zuzustimmen. Eine der zentralen Annahmen der Ökonomik über das Verhalten von Menschen scheint dadurch widerlegt. Als monetärer Eigen-nutzmaximierer gibt es für Person B keinen Grund, einen geringen Betrag abzulehnen, solange dieser größer als null ist. Moralische Empörung und empfundene Ungerechtigkeit provozieren Person B jedoch, allzu geringe Angebote zu sanktionieren (Güth et al., 1982).

Im Diktatorspiel ist dies anders. Hier hat Person B keine Möglichkeit des Annehmens oder des Ablehnens des Betrags. Ohne eine Entscheidung von Person B kann Person A die Auszahlung frei bestimmen. In diesem Fall wird deutlich, dass eine strategische Abwägung nicht der Grund für Fairness sein kann. Das oft beobachtbare Ergebnis des Übersendens von 50 Prozent – im Beispiel 5 Euro – ist also primär das Resultat von Präferenzen für Fairness. Das ist eins der zentralen Ergebnisse der experimentellen Wirtschafts-forschung.

Diese einfachen Experimente lassen sich in ihrer Komplexität beliebig erhöhen. Immer mehr Ökonomen nutzen sie, um mehr über das Verhalten von Menschen in Märkten zu lernen. Neben der Anwendung in Arbeits-märkten, Auktionsmärkten und Finanzmärkten lassen sich viele Erkenntnisse auch auf Probleme in der Bildungspolitik übertragen. Das Thema „Bildungs-gerechtigkeit“ kann somit auch ökonomisch behandelt werden, und zwar in Form einer Analyse, wie Menschen (in diesem Fall Bildungssubjekte, also Schüler, Studierende und Auszubildende) auf Zustände reagieren, die als mehr oder weniger gerecht wahrgenommen werden. Für ein weiteres Ver-ständnis von Gerechtigkeit in der Bildung ist es zunächst wichtig, verschiedene Gerechtigkeitskonzepte zu diskutieren und diese dann inhaltlich auf die Thematik zu übertragen.

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2.3 Abgrenzung verschiedener GerechtigkeitskonzepteGrundsätzlich können verschiedene Prinzipien des Konzepts der Vertei-

lungsgerechtigkeit dem Konzept der prozeduralen Gerechtigkeit sowie dem Konzept der Chancengerechtigkeit gegenübergestellt werden (Abbildung 1). Im Folgenden wird abgeleitet, was unter den verschiedenen Konzepten als gerecht eingeschätzt wird.

Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit Gerechtigkeit unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit thematisiert

die Aufteilung von Gütern und Lasten. Bei der Entscheidung, nach welchen Kriterien eine Verteilung als gerecht anzusehen ist, werden häufig mehrere Prinzipien genannt: das Bedürfnisprinzip, das Leistungsprinzip, das Gleich-heitsprinzip und das Anrechtsprinzip (Fetchenhauer, 2010; Liebig, 2010).

Bedürfnisprinzip. Laut Bedürfnisprinzip gilt eine Verteilung von Gütern und Lasten als gerecht, wenn jedes Individuum eines Kollektivs genau das erhält, was es braucht. Entscheidend für das Gerechtigkeitsurteil ist somit das individuelle Bedürfnis.

Leistungsprinzip. Nach dem Leistungsprinzip wird es als gerecht angesehen, wenn jedes Individuum eines Kollektivs genau das erhält, was es zur Entste-hung des Guts oder der Last beigetragen hat. Maßgeblich sind also der indi-viduell geleistete Input und die Relation zum Output.

Gleichheitsprinzip. Wird das Gleichheitsprinzip zum Maßstab erhoben, gilt eine Verteilung von Gütern und Lasten als gerecht, wenn jedes Indivi duum eines Kollektivs genau den gleichen Anteil erhält. Es geht also um die abso-lute Gleichheit der Verteilung von Gütern und Lasten.

Anrechtsprinzip. Beim Anrechtsprinzip wird eine Verteilung von Gütern und Lasten als gerecht betrachtet, wenn sich diese aus a priori definierten und zugeschriebenen oder in der Vergangenheit erworbenen Anrechten oder

Eigene Darstellung

Gerechtigkeit

Verteilungsansatz Entstehungsansatz

Verteilungsgerechtigkeit Prozedurale Gerechtigkeit

ChancengerechtigkeitBedürfnisgerechtigkeit Leistungsgerechtigkeit

Gleichheit Anrechtsgerechtigkeit

Gerechtigkeitskonzepte Abbildung 1

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Pflichten ableitet. Relevant für das Gerechtigkeitsurteil sind demnach Status- und Positionsmerkmale.

Bei der Betrachtung der Gerechtigkeitsprinzipien stehen Forscher vor einem Dilemma. Für sich betrachtet scheint jedes Prinzip inhaltlich konsistent und sinnhaft. Bei näherer Betrachtung besteht jedoch eine gewisse Un schärfe (Liebig, 2010). In Bezug auf das Bedürfnisprinzip scheint zunächst unklar, welche Bedürfnisse angemessen sind und welche nicht. Die objektive Bedürf-tigkeit ist daher in vielen Fällen unklar. Wiederkehrende Debatten zum Thema „Sozialschmarotzer“ reflektieren dieses Problem im Gerechtigkeits-urteil. Analog gilt diese Argumentation für Status- und Positionsmerkmale beim Anrechtsprinzip (Liebig, 2010). Ein Beispiel aus dem Bereich der Bildung soll dies verdeutlichen: Für zwei angehende Medizinstudierende ist nur ein Platz an einer bestimmten Universität verfügbar. Ist nun diejenige Person, die finanziell von einem Studium abhängt, bedürftiger als die andere Person, die hinreichend vermögend ist, auch ohne Studium durchs Leben zu gelangen? Bei der Verteilung von Lasten, beispielsweise im Fall betriebsbedingter Kündigungen, mag eine Ableitung objektiver Bedürftigkeitskriterien noch schwieriger sein. Ist etwa ein Familienvater im fortgeschrittenen Alter bedürf-tiger als ein junger Absolvent, der noch keine Vorsorge leisten konnte? Die Kernschwierigkeit des Bedürftigkeitsprinzips ist es, gültige und akzeptierte Kriterien der Bedürftigkeit abzuleiten.

Beim Leistungsprinzip muss entschieden werden, wie Inputs gemessen werden, beispielsweise bei der Erstellung einer Dienstleistung oder eines Produkts. So zählen Geschäftsidee, investiertes Geld, investierte Zeit und Geschäftskontakte als Inputvariablen in Relation zum Output – dem Gewinn der Unternehmung. Es ist jedoch schwierig, die Inputs zu vergleichen. Ist die Geschäftsidee höher zu bewerten als die erfolgreiche Umsetzung? In aller Regel ist eine Geschäftsidee wenig wert ohne eine Umsetzung, eine Umsetzung bedingt jedoch im Umkehrschluss zunächst eine Idee. Die Inputs sind also interdependent. Das erhöht die Komplexität und erschwert die Bewertung. Auch hier kann für den Bereich der Bildung der Zugang zu Universitäten als Beispiel dienen. Bei einem Numerus clausus zählen bisher gezeigte Leistungen (Abiturnote) als Kriterium für die Zuteilung des Guts Studienplatz. Dieses Kriterium erscheint theoretisch sehr sinnvoll. Es ergibt sich jedoch das Pro-blem, dass Abiturnoten nicht über alle Schulen hinweg vergleichbar sind. Zwar wird durch Institutionen wie das Zentralabitur das Problem abgeschwächt. Doch selbst dann bleibt die Tatsache, dass die Leistungen der Lehrer nicht vergleichbar sind und somit die Leistungen im Zentralabitur verzerren. Es

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wird deutlich, dass sich im Gerechtigkeitsurteil die Inputvariablen beliebig komplex herleiten lassen, was ein Urteil erschwert. Analog gilt dies für die Bewertung von Outputs. Ein zunächst attraktives Gerechtigkeitskriterium – hier die Leistungsgerechtigkeit – ist also nicht immer einfach anwendbar.

Für das Gleichheitsprinzip gilt Ähnliches wie für das Leistungsprinzip: Wenn konsequent gleich verteilt werden soll, weil ein Gerechtigkeitsurteil dies bedingt, muss im Anschluss stets konkret bestimmt werden, was verteilt wird. In Betracht kämen Güter, Inputs, Chancen oder auch Rechte. Zwar herrscht in der westlichen Welt weitgehend Konsens über die gleichmäßige Aufteilung von Chancen und Rechten. Jedoch zeigt vor allem die Debatte um Chancen-gerechtigkeit in der Bildung, dass gleiche Chancen von nur sehr schwer ver-änderbaren Variablen abhängen, zum Beispiel von der Familie, vom sozialen Umfeld oder von angeborenen Begabungen und Neigungen.

Weil es unterschiedliche Verteilungsprinzipien und Unschärfen innerhalb der Prinzipien gibt, drängt sich die Frage auf, welches Prinzip in welcher Situation gerechterweise zur Anwendung kommen sollte. Die Wissenschaft hat dabei als wichtiges Kriterium die soziale Beziehung zwischen den ein-zelnen Individuen eines Kollektivs identifiziert (Fiske, 1993; Liebig, 2010). Soziale Beziehungen lassen sich demnach in vier Typen einteilen. Je nachdem, in welcher sozialen Beziehung die Individuen eines Kollektivs stehen, lässt sich ein akzeptiertes Gerechtigkeitsurteil ableiten.

Familien und Gruppen, die eine gemeinsame Herkunft haben und daher eine Solidargemeinschaft bilden, teilen häufig auch eine Identität. In diesem Fall findet das Bedürfnisprinzip besonders häufig Anwendung. Herrschafts-beziehungen wie beispielsweise Organisationen verwenden häufig das An-rechtsprinzip. Dieser Typ ist charakterisiert durch hierarchische Beziehungen. Aus dem Status leiten sich die Rechte ab und für den übertragenen Status wird zeitgleich eine statuskongruente Verantwortung übernommen. Peer-groups, gekennzeichnet durch langfristige soziale Austauschbeziehungen, berufen sich häufig auf das Gleichheitsprinzip. In Peergroups gibt es tenden-ziell weniger oder keine Statusunterschiede. Die Mitglieder betrachten sich als gleich, wonach sich der individuelle Anteil der Privilegien ableitet. Der Markt, gekennzeichnet durch kurzfristige, ökonomische Austauschbezie-hungen, wendet häufig das Leistungsprinzip an. Die Interaktion läuft häufig zwischen Fremden ab.

Oft wird implizit angenommen, dass Güter einfach existieren. Die Frage der Verteilung wird so stark zentralisiert, dass die Entstehung dieser Güter in den Hintergrund rückt. Die Verteilungsgerechtigkeitsprinzipien haben

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jedoch allesamt einen Einfluss auf die Entstehung von Gütern. Beim Bedürf-nisprinzip, Gleichheitsprinzip und Anrechtsprinzip besteht das Problem möglicher Fehlanreize bei der Gütererstellung. Bei diesen Prinzipien verhält sich der geleistete Input nämlich nicht proportional zum erhaltenen Output. Die politische Debatte thematisiert diesen Fehlanreiz häufig mit der Forde-rung, wonach sich Leistung lohnen muss.

Ist bereits jeder Anspruch auf ein Gut abgegolten, führt beispielsweise nach dem Bedürfnisprinzip ein zusätzlich geleisteter Input zu keinem weiteren persönlichen Anspruch auf eine Einheit Output. Es besteht somit kein Anreiz, eine weitere Einheit zu produzieren. Nach dem Gleichheitsprinzip spiegelt der Output pro geleisteten Input die Anzahl der in der Gesellschaft lebenden Individuen wider. Mit steigender Anzahl an Individuen wird der persönliche Anteil am Output pro Einheit Input immer geringer.

Forscher konnten im Labor zeigen, dass Menschen ungern Beiträge leisten, wenn sie unterproportional am Output verdienen (Fehr/Gächter, 2000). Ein hohes Ausmaß an Kooperation – in diesem Fall bei der Bereitstellung eines öffentlichen Guts – wird verstärkt ermöglicht, wenn angemessene Anreiz-systeme existieren. Im Fall des Experiments von Fehr/Gächter war dies ein Sanktionsmechanismus, mit dem diejenigen bestraft werden konnten, welche unterproportionale Inputs zum öffentlichen Gut leisteten (Abbildung 2). Nur unter einem anreizkompatiblen System entstehen also Güter. So bedeutet dies: Wenn aufgrund der Fehlanreize eines Verteilungsprinzips Güter gar

Quelle: Fehr/Gächter, 2000

Mit Sanktionsmöglichkeit Ohne Sanktionsmöglichkeit

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Beiträge zu einem öffentlichen Gut Abbildung 2

Individuelle Inputs bei Öffentliches-Gut-Experimenten mit und ohne Sanktionsmöglichkeit, in fiktiven Geldeinheiten

Spielrunde im Experiment

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nicht erst produziert werden, löst sich damit auch das Verteilungsproblem. Wo nichts entsteht, kann nichts verteilt werden.

In der praktischen Wirtschafts- und Sozialpolitik wird daher häufig auf Mischformen zurückgegriffen, die sowohl elementaren Gerechtigkeitsprinzipien folgen als auch garantieren, dass die Fehlanreize nicht zu groß werden. So richtet sich eine Grundabsicherung in Form des Arbeitslosengelds (ALG) II einerseits nach den errechneten Bedürfnissen (Bedürfnisprinzip) eines Indi-viduums. Andererseits orientiert sich die Arbeitslosenversicherung bezie-hungsweise das ALG I an den geleisteten Inputs (Leistungsprinzip), das heißt an den Beiträgen aus dem zuvor erzielten Einkommen. Die gesetzliche Kranken versicherung wiederum stellt eine Mischform aus Leistungs- und Gleichheitsprinzip dar. Während die Beiträge aus dem individuellen Ein-kommen abgeleitet werden (Leistungsprinzip), gilt in der Inanspruch nahme von Leistungen das Gleichheitsprinzip, da jeder gesetzlich Ver sicherte im Krankheitsfall identische Leistungen erhält – und zwar unabhängig von den individuell geleisteten Beiträgen (Fetchenhauer, 2010).

Nur in sehr selektiven Ausnahmen gelingt es, dass allen Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit Rechnung getragen werden kann und obendrein entsprechende Anreize bestehen, ein Gut überhaupt zu produzieren. Sehr häufig ist dies der Fall, wenn Gruppen klein sind, wenn Inputs und Outputs sehr klar gemessen werden können und idealerweise gleich sind. Da Gesell-schaften tendenziell jedoch aus großen Gruppen bestehen und teilweise er-hebliche Unsicherheiten in der Messung von Bedürfnissen, Inputs, Outputs oder Ansprüchen existieren, wird auf andere Gerechtigkeitskonzepte zurück-gegriffen. Diese setzen eine objektive Gerechtigkeit weniger an der Verteilung an, sondern eher an den Prozessen oder Chancen der Teilnahme an der Güter-produktion.

Gerechtigkeit jenseits von VerteilungsprinzipienGerechtigkeitskonzepte, die nicht auf Verteilungsgerechtigkeit abstellen,

orientieren sich nicht an der Verteilung, sondern daran, wie diese erreicht wird. Besonders von Bedeutung sind dabei sich am Verfahren ausrichtende Prinzipien (prozedurale Gerechtigkeit) und sich an den individuellen Mög-lichkeiten ausrichtende Prinzipien (Chancengerechtigkeit). Die grundlegende Idee der beiden Konzepte ist, dass Fragen der Verteilung in den Hintergrund rücken, wenn die Art und Weise, wie diese Verteilung zustande kam, bereits Prinzipien der Gerechtigkeit gefolgt ist (Startchancen- versus Ergebnis-gerechtigkeit). Demnach kann eine vermeintlich ungerechte Verteilung gerecht

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sein, wenn sie durch gerechte Verfahren und/oder aufgrund gerechter Chancen verteilung erreicht wurde. Die Anwendung dieser Verfahren ist be-sonders vielversprechend, wenn Prozesse oder Chancen kontrolliert werden können, dies bei Verteilungen jedoch unmöglich ist. Bei der Bildung ist dies beispielsweise gegeben: Im Bildungssystem geht es primär darum, Chancen und Prozesse zu gestalten und diese zu evaluieren.

Prozedurale Gerechtigkeit. Im Gegensatz zur Verteilungsgerechtigkeit, welche die materielle Gerechtigkeit am Ergebnis beurteilt, geht es bei der prozeduralen Gerechtigkeit (auch Verfahrensgerechtigkeit) darum, gerechte Ergebnisse mittels gerechter Verfahren zu erzeugen. Als Beispiel kann die Finanzverwaltung dienen. Sie versucht idealerweise, gleiche Verfahren für alle Steuerpflichtigen anzuwenden. Als prozedural ungerecht würde beispielsweise die Willkür des Finanzbeamten gelten. Darum folgen viele Aspekte – etwa die Anerkennung von Ausgaben ohne Belege – klaren und a priori definierten Regeln. Als tendenziell ungerecht wird ein Zustand wahrgenommen, wenn die anerkannten Beträge sich in zwei Städten erheblich unterscheiden – also wenn erhebliche Unterschiede in den Regeln zwischen regionalen Finanzbehörden bestehen. Im Bereich der Bildung ist die Relevanz der Grundschullehrer-empfehlung für die weiterführenden Schulen ein Element prozeduraler Ge-rechtigkeit. So werden Unterschiede dieser Empfehlungspraxis zwischen Bundesländern von aufmerksamen Personen – Eltern und Kindern im Grenz-gebiet der Bundesländer – als ungerecht empfunden. Als Beispiel kann die Grenze zwischen zwei Bundesländern dienen, bei welcher der Unterschied zwischen Elternentscheidung und verbindlicher Grundschullehrerempfehlung besonders offensichtlich ist. Andere Beispiele sind Empfehlungen der Lehrer, die sich nicht an Leistungen wie messbaren Kompetenzen orientieren, sondern von Aspekten der sozialen Herkunft überlagert werden. Ebenso kann das Fehlen von länderübergreifenden Abschlus sprüfungen dazu führen, dass gleiche Noten in Abiturprüfungen mit unterschiedlichen Kompetenzen ver-bunden sind, was wiederum die Zugangsgerechtigkeit zu Hochschulen in Numerus-clausus-Fächern beeinträchtigt.

Chancengerechtigkeit. Weniger an den Prozessen als vielmehr an den Aus-gangspunkten orientiert sich das Konzept der Chancengerechtigkeit. Nach diesem Konzept gilt es sicherzustellen, dass alle Individuen eines Kollektivs gleiche Chancen auf Beteiligung an der Verteilung haben. So soll es allen identisch möglich sein, Chancen wahrzunehmen. In der Bildungspolitik gilt Chancengerechtigkeit als vorherrschendes Prinzip. Beispielsweise können Plätze für ein Medizinstudium nicht gleich verteilt werden. Es muss aber prin-

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zipiell für jeden möglich sein, Medizin zu studieren, wenn er die Vorausset-zungen erfüllt. Es ist zwischen absoluter Chancengleichheit und Chancen-gerechtigkeit zu unterscheiden. Absolut identische Chancen stehen hier der Chance auf optimale Förderung (jedem das Angemessene) gegenüber. Während grundsätzlich allen ein Zugang zu generellen Aspekten der Bildung zukommen sollte, müssen Ansprüche in gewisser Form auch individualisiert werden. Es erscheint daher zum Beispiel als gerecht, wenn lediglich begabte Nachwuchs-musiker ein Recht auf die Aufnahme an einer Elitemusikschule haben.

2.4 Gerechtigkeitspsychologie: Wie urteilen Menschen über Gerechtigkeit?

Neben der Frage, was objektiv gerecht oder ungerecht ist, spielt auch die Frage eine Rolle, wie Menschen über Gerechtigkeit urteilen. Gerade die empirischen Wissenschaften und allen voran die Psychologie liefern erhebliche Beiträge zum Verständnis, wann etwas von Menschen als gerecht oder unge-recht empfunden wird (Schmitt et al., 2009). Besonders hervorzuheben ist dabei die Tatsache, dass sich die Urteile von Menschen im Allgemeinen und von wissenschaftlichen Experten häufig fundamental unterscheiden. Typi-scherweise gelangen Menschen – häufig auch unbewusst – zu moralischen Urteilen, indem sie kognitiven Heuristiken folgen. Solche Heuristiken sind mentale Abkürzungen und haben den Nutzen, die Ressourcen des Hirns möglichst effizient einzusetzen. Während Heuristiken häufig zu sehr guten Ergebnissen führen, gibt es daneben systematische Verzerrungen, in denen Menschen durch heuristisches Urteilen zu anderen Urteilen gelangen, als dies nach ausführlicher Reflexion der Fall wäre.

Generell zeigt sich, dass Menschen ihre moralischen Urteile (Gerechtig-keitsurteile) im Wesentlichen intuitiv treffen (Haidt, 2007). Im Gegensatz zu früherer Forschung (Piaget, 1965; Kohlberg, 1969) wird inzwischen argumen-tiert, dass moralische Emotionen moralische Urteile vermitteln und somit affektiv zustande kommen. Haidt (2007) belegt dies durch Szenario-Studien, in denen offenbart wird, dass moralische Kognitionen nicht Auslöser der moralischen Urteile sind, sondern im Nachhinein (post hoc) gebildet werden, um die moralische Intuition zu plausibilisieren. Sorgfältig überlegte und reflektierte Gedanken sind also nicht die kausale Ursache moralischer Urteile, sondern vielmehr schnelle Intuitionen.

Bezogen auf eine Bildungspolitik, welche nach Gerechtigkeit strebt, sind nicht moralphilosophisch reflektierte Urteile für die Akzeptanz der Politik relevant, sondern moralische Intuitionen, die automatisch bei den Bürgern

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entstehen, wenn diese ein Bestreben der Politik beurteilen. So erweckt das Wort „Privathochschule“ in aller Regel die Assoziation „Eliteförderung“ – und daher scheint eine staatliche Förderung von Privathochschulen ungerecht. Erst bei genauerer Analyse jenseits moralischer Intuitionen wird deutlich, dass das Gros der Privathochschulen ein Mittel darstellt, auf dem zweiten Bildungsweg erfolgreich zu sein. Dies belegt die strategische Ausrichtung privater Fachhochschulen (siehe Abschnitt 5.3).

Trotz moralischer Intuition, die chaotisch und nicht planbar erscheint, gibt es Möglichkeiten, die wahrgenommene Moralität oder Gerechtigkeit im Bildungsbereich zu prognostizieren. Moralische Urteile von Menschen folgen nämlich gewissen vorhersehbaren Prinzipien oder Regeln, den sogenannten Heuristiken. Empirische Untersuchungen ergeben, dass Menschen ein starkes Bedürfnis nach Fairness haben (Tyler, 1994) und sich auch selbst gern als fairen und ethischen Menschen sehen (Fetchenhauer/Dunning, 2006). Einige der systematischen Urteilsheuristiken werden im Folgenden beschrieben.

Fixed-Pie-Bias. Menschen gehen bei der Gerechtigkeitsbewertung poli-tischer Maßnahmen implizit davon aus, dass die zu verteilende Summe konstant ist (Thompson/DeHarpport, 1994). Dies ist beispielsweise bei den Ansichten über die Menge an Arbeit und damit die Zahl der Arbeitsplätze der Fall, gilt aber auch für Kapital oder den Zugang zur Bildung. Im Zentrum der Beurteilung steht deshalb die gerechte Verteilung des zur Verfügung stehenden und konstant großen Kuchens. Keine Rolle spielen bei dieser Sichtweise hingegen die Fragen, ob und wie bessere Verteilungen durch ein Anwachsen des Kuchens möglich sind. Eine Kompensation der Verlierer durch die Gewinner wird genauso wenig in Betracht gezogen (Haferkamp et al., 2009). Aus dieser Logik folgt, dass Wohlfahrtszuwächse einer Gruppe nicht ohne Wohlfahrtsverluste anderer möglich sind (Nullsummenspiel).

Parochialismus. Unter Berücksichtigung mehrerer Gruppen wird ein Ge-rechtigkeitsurteil zunehmend komplexer. Sind Gerechtigkeitsurteile derart komplex, findet der Parochialismus (Kemp, 2007) oder schlicht der Anti-Foreign-Bias (Caplan, 2007) Anwendung. Hierbei übergewichten die zur eigenen Gruppe gehörenden Personen (Mitglieder der Ingroup) ihre eigenen Ansprüche und untergewichten die von Außenstehenden (Mitglieder der Outgroup). Das Gerechtigkeitsurteil wird folglich zugunsten der Ingroup verzerrt. So erklären sich Debatten über eine Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland durch eine Wechselwirkung von Parochialismus und der fälschlichen Annahme des Fixed-Pie-Bias. Aus diesem Grund können selbst Menschen, die durchaus die Vorteile von Spezialisierung, Arbeitsteilung

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und Handel auf nationaler Ebene sehen, große Vorbehalte gegenüber derartigen Maßnahmen haben (Baron/Kemp, 2004; Caplan, 2007; Enste et al., 2009).

Do-no-harm-Heuristik. Diese Heuristik beschreibt die intuitive Abneigung von Menschen, anderen Personen Schaden zuzufügen (Baron, 1995). Small/Loewenstein (2005) diskutieren den damit verbundenen Identifiable-Victim-Effekt. Identifikation verringert demnach die soziale Distanz zum Opfer, eine besondere Identifikation erhöht die Wirkung der Heuristik. In Fällen mit enormem Identifikationspotenzial – etwa bei Bagatellkündigungen – laufen Gerechtigkeitsurteile Gefahr, stark verzerrt auszufallen.

Status-quo-Bias. Eng mit diesen Verzerrungen verbunden ist der Status-quo-Bias (Samuelson/Zeckhauser, 1988). Menschen neigen zu einer Präferenz des Ist-Zustands und sind folglich Veränderungen gegenüber skeptisch. Kahneman et al. (1986) argumentieren, dass der Ist-Zustand als gerecht wahrgenommen wird und einer normativen Kraft des Faktischen folgt (Haferkamp et al., 2009). Was sich etabliert hat, wird gerecht sein, so die Annahme. In der Praxis zeigt sich diese Verzerrung zum Beispiel bei der Beurteilung des Renteneintritts-alters. Haferkamp/Fetchenhauer (2006) fanden in diesem Zusammenhang heraus, dass nicht nur eine Erhöhung, sondern auch eine Senkung des Renten-eintrittsalters abgelehnt wird. Auch die Abneigung vieler Menschen gegenüber dem Strukturwandel kann im Status-quo-Bias eine Begründung finden.

Die neuere Forschung (Enste et al., 2009; Haferkamp et al., 2009) belegt, dass es Unterschiede in der Beurteilung der Gerechtigkeit von politischen Maßnahmen zwischen (ökonomischen) Experten und der Bevölkerung gibt. Es fällt nicht nur auf, dass zwischen Experten und Laien erhebliche Diver-genzen herrschen. Vielmehr gelangen Experten auch anders zu ihren Urteilen. Während diese ihr Urteil über die Qualität einer politischen Maßnahme in erster Linie über die zu erwartende Effizienz fällen, urteilt die Bevölkerung vor allem auf Basis der subjektiv wahrgenommenen Gerechtigkeit. Dieses Gerechtigkeitsurteil leitet sich durch die vorgestellten Heuristiken ab und baut auf den einzelnen Gerechtigkeitsprinzipien auf. Somit sind Unterschiede in der Beurteilung zwischen Experten und der Bevölkerung direkt zurückzu-führen auf die unterschiedlichen Prozesse der Evaluation von politischen Maßnahmen. Die Bildungspolitik stellt diesbezüglich keine Ausnahme dar.

2.5 Durch Bildung zu besserer Verteilung und mehr EffizienzIm Folgenden soll eine Bildungspolitik skizziert werden, die sowohl den

Gerechtigkeitsprinzipien genügt als auch grundlegende Mechanismen der Urteilsbildung im Bereich Gerechtigkeit berücksichtigt. Während die Ge-

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rechtigkeit von Bildungspolitik bislang nur in Einzelfallbetrachtungen dar-gestellt wurde, werden nun allgemeingültige Prinzipien abgeleitet, denen eine gute und gerechte Bildungspolitik folgen muss (Übersicht 1). Vor allem die Wechsel wirkungen zwischen divergenten Prinzipien werden thematisiert.

Eine völlige Gleichheit im Bildungserfolg kann es nicht geben, genauso wenig wie in anderen Bereichen des Lebens. Einflussgrößen wie Intelligenz, individuelle Förderung durch die Eltern und Investitionsbereitschaft in Bildung sind derart vielschichtig, dass eine Ergebnisgleichheit kaum möglich erscheint. Bildungsexperten sind daher der Meinung, dass gute und gerechte Bildungs-politik sich in erster Linie an den Chancen orientiert (Liebig, 2010). Der Begriff „Chancengerechtigkeit“ wird in diesem Zusammenhang häufig als zentrales Gerechtigkeitskriterium genannt. Im Grunde verlagert sich dadurch jedoch die Debatte über Verteilungsgerechtigkeit. Chancen lassen sich, ähnlich wie sonstige Güter, aufgrund divergierender Prinzipien verteilen. So kommen Prinzipien wie Bedürfnis, Leistung, Gleichheit oder Anspruch erneut infrage.

Grundsätzlich kann man einen erhöhten politischen und gesellschaftlichen Konsens erwarten, was die Prinzipien „Bedürftigkeit“ und „Anspruch“ betrifft. Die Tatsache, dass Bildung dem Anspruch genügen sollte, grund-legende Bedürfnisse zu befriedigen, steht außer Frage und ist durch eine gewisse Pflicht zur Bildung (Schulpflicht) bereits gesetzlich verankert. Darüber hinaus kann beispielsweise das Ziel der Ausbildungsreife als be-dürfnisdeckendes Minimalziel gesetzt und evaluiert werden. Als eine messbare Variable für das Ausbildungsniveau könnte ein PISA-Kompetenzniveau von mindestens Stufe 2 verwendet werden.

Was ist gute und gerechte Bildungspolitik? Übersicht 1

Die Bewertung der Bildungsgerechtigkeit benötigt einen Maßstab. In der vorliegenden Analyse gilt als gute und gerechte Bildungspolitik, wenn durch deren Maßnahmen drei Ziele erreicht werden:• Der Anteil der Schüler ohne grundlegende Kenntnisse sinkt und ein allgemeines Niveau an Bildung wird für alle realisiert.• Die sozioökonomisch bedingte Streuung der Schülerleistungen nimmt ab. Die im Bildungsniveau gefundenen Unterschiede hängen dann mehr vom Potenzial der Kinder ab und weniger von Einflüssen, für die die Kinder nicht verantwortlich sind (zum Beispiel sozioökonomischer Status oder Migrationshintergrund der Eltern).• Das gesamte Leistungsniveau nimmt zu. Sofern alle Kinder besser gefördert werden, steigt die Kompetenz insgesamt, was positiv für den Wohlstand der Gesellschaft ist.Das Bildungssystem folgt ferner einheitlichen, klaren und verständlichen Prozessen, auf welche die Bildungssubjekte (Schüler, Studierende, Auszubildende) reagieren können.

Eigene Zusammenstellung

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Ebenso herrscht ein Konsens darüber, dass sich ein Recht auf Bildung nicht aus dem sozioökonomischen Status ableiten darf (Anspruchsprinzip). Die Tatsache, dass beispielsweise ein Vater Mediziner ist, hat keine Rolle zu spielen bei der Zuteilung eines Medizinstudienplatzes für den Nachwuchs. So bleiben als weitere Prinzipien der Verteilung von Chancen eine schlichte Gleichheit der Chancen oder eine leistungsgerechte Verteilung von Chancen. Die Anwendung dieser Prinzipien gestaltet sich jedoch als ausgesprochen schwierig. Denn was genau bedeutet es, gleiche oder leistungsgerechte Chancen auf Schüler, Studierende oder Auszubildende zu verteilen? Sollte jeder die gleiche Stundenanzahl Bildung erhalten (Chancen orientieren sich am Input)? Sollte jeder um X Prozent besser werden (Chancen orientieren sich am Output und am ursprünglichen Niveau)? Oder sollten alle so viel Input wie nötig bekommen, damit ein definierter Output erreicht wird (bei-spielsweise die mittlere Reife oder Abitur)?

Diese Fragen sind nicht schlüssig zu beantworten. Für verschiedene Posi-tionen gibt es sowohl gute Gründe als auch valide Gegenargumente. Eine gute Bildungspolitik könnte sich daher an einer Methodik des Second-best orientieren. Statt zu prüfen, ob das Bildungssystem absolut gerecht ist, sollte demnach untersucht werden, inwiefern einzelne Maßnahmen elementare Gerechtigkeitsprinzipien einhalten oder verletzen. Für diese relative Sicht-weise und damit gegen die Betrachtung absoluter Gerechtigkeit spricht auch die Tatsache, dass der Input – gemessen in Steuermitteln – nicht unendlich sein kann. Das Motto kann darum nicht sein: Koste es, was es wolle. Ein Beispiel für eine relative Abwägung: Sollte die Bildungspolitik ihre begrenzten Budgets eher dazu verwenden, kostenlose Studienplätze zur Verfügung zu stellen oder sollte stattdessen der Zugang zu frühkindlicher Bildung kosten-los sein? Wie wirken sich diese Alternativen auf Chancengerechtigkeit, Ver-teilungsgerechtigkeit oder gesamtgesellschaftliche Effizienz aus?

Bei einer Fokussierung auf derartige Fragen könnte man, empirisch ab-gesichert, Kriterien für die Bildungspolitik ableiten und deren Leistung evaluieren. Wenn man empirisch nachweisen kann, dass beispielsweise ein niedriger sozioökonomischer Status negativ mit einer Beteiligung an früh-kindlicher Bildung zusammenhängt, könnte eine kluge Bildungspolitik gezielt frühkindliche Bildung fördern, um den negativen Bildungseffekt der exogenen Variable „sozioökonomischer Status“ abzufedern. Die Forschung leistet hierzu bereits ihren Beitrag. So zeigen Studien (zum Beispiel Heckman/ Masterov, 2004), dass Investitionen in frühkindliche Bildung besonders lohnend sind – sowohl für die Individuen als auch für die Gesellschaft.

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Restuccia/Urrutia (2004) belegen, dass eine staatliche Finanzierung früher Bildungsphasen stärker den gesamten Bildungsstand in der Gesellschaft erhöht als eine staatliche Finanzierung der tertiären Bildung. Daraus lässt sich ein Argument für Studiengebühren ableiten, sofern durch diese Maß-nahme im Gegenzug Mittel für frühkindliche Bildung frei würden.

Durch eine frühkindliche Bildung werden für Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status Chancen geschaffen, die später nur noch durch erhöhte Mittel erreicht werden, beispielsweise durch zeit- und kostenintensive zweite Bildungswege. Ein Argument gegen Studiengebühren, das auf der Bewahrung der Chancengerechtigkeit beruht, hat daher nur begrenzte Vali-dität, da eine Allokation von Steuergeldern zum Ersatz von Studiengebühren bei begrenztem Budget geringere Mittel für die frühkindliche Bildung bedeu-tet. Durch eine Allokation der Ressourcen hin zur frühkindlichen Bildung werden Chancen für Menschen erst ermöglicht, die ohne entsprechende Mittel niemals den Zugang zu Hochschulen erhalten würden.

Zwar mag eine Studiengebühr für sich betrachtet und bezogen auf die Subgruppe der Gesellschaft „Personen mit Hochschulzugangsberechtigung“ einigen Gerechtigkeitsprinzipien widersprechen (vgl. Ingroup-Outgroup-Betrachtung). Doch ist dies als Second-best eine gute Lösung, wenn dadurch allen Menschen eine Chance auf eine erfolgreiche Bildungskarriere gegeben wird. Komplementiert durch Möglichkeiten einer sozialverträglichen Studien-finanzierung erreichte man so eine gerechtere Lösung für die Gesamtgruppe an Bildungssubjekten. Analog hierzu wären verschiedene Maßnahmen zu vergleichen und deren Wirkung auf exogene Variablen wie zum Beispiel Alleinerziehung oder Migrationshintergrund zu prüfen. Auch Reformen im Bildungssystem, die sich an der prozeduralen Gerechtigkeit ausrichten, können zu Verbesserungen führen. So gibt es empirische Befunde, dass be-stimmte Vornamen aufgrund von Stereotypen und Vorurteilen sich negativ auf den Bildungserfolg auswirken (Kaiser, 2010).

Eine gerechte Bildungspolitik berücksichtigt neben elementaren Gerech-tigkeitsprinzipien auch die Ergebnisse der empirischen Gerechtigkeits-forschung. Eine Maßnahme ist infolgedessen dann als gut einzuschätzen, wenn Kinder aus bildungsfernen Schichten einen verbesserten Zugang zur Bildung erhalten. Diese Kinder bekommen dadurch bessere Chancen, ohne dass die Bildungschancen der anderen Kinder sinken (Do-no-harm-Prinzip). Eine Kongruenz aus normativen Prinzipien und aus empirischer Akzeptanz-forschung scheint möglich. Je nach institutioneller Gestaltung einer Reform ist eine Divergenz zwischen Gerechtigkeitsurteilen von Experten und der

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Gesamtbevölkerung also nicht zwangsläufig gegeben, sondern kann durch entsprechende Politik verhindert werden. So steigt durch ein Anheben der Bildungschancen von Kindern aus bildungsfernen Schichten das gesellschaft-liche Bildungsniveau, ohne dass es zur Verletzung eines der Gerechtigkeits-prinzipien kommt. Diese Argumentation gilt analog für sehr viele Bereiche der Bildungspolitik, beispielsweise für den Zugang beruflich Qualifizierter zur Hochschulbildung. Diese Maßnahmen führen nicht nur zu mehr Gerech-tigkeit, sondern auch zu größerer Verteilungseffizienz (Anger et al., 2010b). In anderen Fällen scheint eine gerechte Bildungspolitik schwieriger. So ist beispielsweise der Status quo bei Debatten um die Dreigliedrigkeit des Schul-systems ein sehr starker Einflussfaktor.

Die vorliegende Analyse konzentriert sich auf die Chancengerechtigkeit und definiert als eine Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit, wenn die Leistungen am unteren Ende der Verteilung zulegen, ohne dass es am oberen Ende zu einer Verringerung der Leistungen kommt. Untersucht wird nicht, ob das Bildungssystem in der Weise gerecht ist, dass es jeden Einzelnen zu maximaler Leistung führt. Dies könnte Effekte auf die Verteilung haben. Ein Bildungssystem würde sogar durch eine Qualitätssteigerung der Lehrer zu einer höheren Streuung führen, und zwar dann, wenn hierdurch die genetisch bedingten Unterschiede des maximalen Lernpotenzials voll erreicht werden (Spitzer, 2010). Neue Studien (Taylor et al., 2010) zeigen, dass ein förderliches Umfeld, also ein gutes Bildungssystem, prädispositionale Unterschiede nicht abschwächt, sondern massiv erhöht. Davon ist das deutsche Bildungssystem allerdings noch weit entfernt. Die empirisch gefundenen Leistungsstreuungen sind heute nur zu einem Teil auf das abstrakte Leistungspotenzial (genetische Prädisposition oder „Nature“) zurückzuführen. Ein großer Teil der Unter-schiede bei den Leistungen resultiert aus dem Einfluss des situationalen Umfelds („Nurture“). Gerade diese Unterschiede dürften mit der sozioöko-nomischen Herkunft stark korrelieren.

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Bildung und Verteilungseffizienz

Fragen der Untersuchung in Kapitel 3• Hat die Streuung der Bildung in einer Volkswirtschaft großen Einfluss in der Einkommensstreuung

oder sind andere Faktoren deutlich wichtiger (Abschnitt 3.1)?• Haben Personen mit mittlerem Bildungsabschluss weiterhin Zugang zur Einkommensmittelschicht

oder erodiert die Mittelschicht (Abschnitt 3.2)?• Können Migranten und Alleinerziehende aus bestehenden Qualifikationen gleich hohe Einkom-

men erzielen wie andere Bevölkerungsgruppen oder wird ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert (Abschnitt 3.3)?

• Ist ein mittlerer oder höherer Bildungsabschluss mit einer Aufstiegs- oder Abstiegsmobilität verbunden oder wirkt sich ein höherer Bildungsabschluss nicht positiv auf die Einkommens-mobilität aus (Abschnitt 3.4)?

• Werden sich in den kommenden Jahren die Einkommensperspektiven von mittelqualifizierten Personen verbessern oder verschlechtern (Abschnitt 3.5)?

• Bleiben die Einkommensperspektiven für Hochqualifizierte gut oder wird die Zunahme an Akademikern die Einkommensperspektiven verschlechtern (Abschnitt 3.6)?

3.1 Bildung und Verteilung im internationalen VergleichFür die Einkommensunterschiede innerhalb von Volkswirtschaften können

verschiedene Gründe ausschlaggebend sein. Zu nennen sind zum Beispiel Mindestlohnregelungen und Umverteilungsmaßnahmen des Staates. Ferner spielen aber auch Unterschiede bei den Kompetenzen der erwachsenen Be-völkerung eine große Rolle (Nickell, 2004). Aus diesem Grund wird im Fol-genden für eine Auswahl an Ländern, die am IALS (International Adult Literacy Survey) teilgenommen haben, die Streuung der Einkommen der Streuung der Bildungsleistungen und anderen Variablen gegenübergestellt.

Der Korrelationskoeffizient zwischen der Einkommensstreuung und der Kompetenzstreuung innerhalb der erwachsenen Bevölkerung weist ein hohes Niveau auf (Tabelle 1). Es besteht somit ein statistischer Zusammenhang zwischen beiden Variablen. Der Zusammenhang ist in den letzten zehn Jah-ren der Gleiche geblieben, da sich die Unterschiede bei den Einkommens-streuungen zwischen den Ländern nur leicht verändert haben.

Mindestlohnregelungen haben hingegen kaum einen Effekt auf die Ein-kommensstreuung in den betrachteten Ländern. Deutschland, Italien, die Schweiz, die skandinavischen Länder und Ungarn hatten im Jahr 2006 keine gesetzlichen Mindestlohnregelungen und wiesen eine vergleichsweise geringe Einkommensstreuung auf. Reduziert man das Sample nur auf die Länder, die Mindestlöhne eingeführt haben, so zeigt sich hier eine deutlich schwächere

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Korrelation als bei der Bildungsvariablen. Auch das Ausmaß an Umvertei-lungsmaßnahmen des Staates korreliert nur schwach mit der Streuung der Einkommen.

Geringere Unterschiede beim Bildungsniveau innerhalb eines Landes gehen demnach mit einer relativ ausgeglichenen Einkommensverteilung einher. Zur Vermeidung von Armutsgefährdungen ist es darum wichtig, den Anteil geringqualifizierter Personen möglichst klein zu halten. Gemäß dem Bedürfnisprinzip kann postuliert werden, dass ein Mindestniveau an Kom-petenzen gesichert werden sollte, um beispielsweise die Ausbildungsreife zu

Streuung von Einkommen und Bildung und Tabelle 1 sozialpolitische Maßnahmen

Einkommen, Relation P9/P1

Kompetenzen, Relation P9/P1

Mindestlohn, in Prozent des Medianeinkommens

Netto - umverteilung, in Prozent des BIP

2005 1994–1998 2006 2005USA 5,9 1,9 30,7 21,1Polen 5,6 2,1 42,2 24,2Irland 4,4 1,7 48,0 24,2Italien 4,3 2,1 0 30,3Neuseeland 4,3 1,7 56,0 24,2Vereinigtes Kgr. 4,2 1,8 45,1 25,5Kanada 4,1 1,8 40,3 22,3Australien 4,0 1,7 53,8 23,6Deutschland 4,0 1,5 0 33,4Belgien 3,4 1,7 51,7 31,5Ungarn 3,4 1,6 0 k. A.Schweiz 3,3 1,7 0 k. A.Finnland 3,2 1,5 0 25,6Niederlande 3,2 1,5 44,2 23,8Tschechien 3,2 1,5 39,8 26,7Norwegen 2,8 1,4 0 23,0Schweden 2,8 1,5 0 31,9Dänemark 2,7 1,4 0 28,8Korrelation zu Spalte „Einkommen“

– 0,8 0,4 (–0,5)

–0,4

P9/P1: 90. Perzentil im Vergleich zum 10. Perzentil; Kompetenzen: nach IALS; Mindestlohn: Korrelation in Klammern – nur Länder mit Mindestlohn; BIP: Bruttoinlandsprodukt. Die Angaben aus dem IALS basieren auf dem IALS-Mikrodatensatz von Statistics Canada, der anonymisierte Daten der Jahre 1994 bis 1998 enthält. Die Berechnungen mit diesen Mikrodaten wurden vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln vorgenommen. Die Verantwortung für die Nutzung und die Interpretation dieser Daten liegt ausschließlich bei den Autoren.Quellen: OECD, 2009; eigene Berechnungen auf Basis von IALS

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erreichen und dadurch entsprechende Einkommensperspektiven und Teil-habemöglichkeiten zu erzielen. Da ein höheres Bildungsniveau zu mehr Wirtschaftswachstum und zur Vermeidung von Wertschöpfungsverlusten führt (Hanushek/Wößmann, 2008; Koppel/Plünnecke, 2009), stellt eine Bil-dungspolitik, die primär die Kompetenzen am unteren Rand der Bildungs-verteilung erhöht, ohne am oberen Rand die Kompetenzen zu reduzieren, einen überlegenen Politikpfad zu mehr Wachstum und Verteilungseffizienz dar. Mindestlohnregelungen können hingegen den Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren, während ein zusätzliches Ausmaß an Umverteilung die Wachs-tumschancen reduziert.

3.2 Bildung und Verteilung in DeutschlandDer Zusammenhang von Bildungsstand einer Person und ihrer Position

innerhalb der Einkommensverteilung wird in Deutschland viel diskutiert. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Mittelschicht gewidmet. Die Mittel schicht wird durch die Haushalte gebildet, deren Einkommen zwischen 70 und 150 Prozent1 des Medianeinkommens (mittleres Einkommen aller Haushalte) betragen. In der vorliegenden Analyse wird daneben die durch-schnittliche Entwicklung des äquivalenzgewichteten Monatseinkommens für die niedrigen Einkommen und die hohen Einkommen zwischen den Jahren 1993 und 2009 dargestellt.2

Der Anteil der Mittelschicht ist in den Jahren von 1993 bis 2000 gestiegen und von 2000 bis 2009 gesunken. Die Werte schwanken zwischen 60,9 und 66,6 Prozent. Die Mittelschicht hatte im Jahr 2009 in etwa die gleiche Größe wie im Jahr 1993. Die untere Einkommensschicht zeigte leichte Veränderun-gen um einen Wert von 18 Prozent der Bevölkerung. Auch die obere Ein-

1 Diese Grenzwerte sind eine willkürliche Festsetzung. Statt einer Mittelschicht zwischen 70 und 150 Prozent des Medianeinkommens wäre es genauso denkbar, als Grenzen 75 und 125 Prozent zu wählen (Brandolini, 2010, 4). Eine relativ weite Definition der Mittelschicht würde dagegen alle diejenigen umfassen, die weder armutsgefährdet (unter 60 Prozent des Medianeinkommens) noch reich (über 200 Prozent des Medianein-kommens) sind. Um sicherzustellen, dass die Auswahl der Grenzwerte die Ergebnisse nicht stark beeinträch-tigt, wurden für einige Jahre die Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) unter Anwendung der Grenzwerte von 60 und 200 Prozent wiederholt. Dies führte jedoch nicht zu deutlich abweichenden Ergebnissen.2 Das Haushaltsnettoeinkommen ist für sich genommen kein geeigneter Indikator für die relative Einkom-mensposition. Erforderlich ist eine Gewichtung mit der Haushaltsgröße. Dies erfolgt üblicherweise durch die Anwendung einer Äquivalenzskala. Gegenüber der einfachen Gewichtung mit der Anzahl der Haushaltsmit-glieder hat diese Methode den Vorteil, dass haushaltsinterne Skalenerträge – zum Beispiel bei der Wohnungs-größe oder langlebigen Konsumgütern – berücksichtigt werden können (Schäfer/Schmidt, 2009, 139 f.). Den dargestellten Berechnungen liegt die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung (OECD) vorgeschlagene Skala zugrunde. Demnach erhält der Haushaltsvorstand ein Gewicht von 1, weitere erwachsene Personen haben jeweils ein Gewicht von 0,5 und Kinder unter 14 Jahren von 0,3 (Goebel et al., 2010, 4). Daneben existieren noch andere Äquivalenzskalen, sodass berücksichtigt werden muss, dass die Ergebnisse auch von der Wahl der Skala bestimmt werden können.

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kommens schicht verzeichnete lediglich leichte Schwankungen, sie betrug im gesamten Zeitraum stets zwischen 16 und 19 Prozent. Die These von Goe-bel et al. (2010), derzufolge die Mittelschicht in den letzten 20 Jahren ge-schrumpft ist, lässt sich also nicht mit den Daten belegen (siehe auch Enste et al., 2010).

Das reale Durchschnittseinkommen der Haushalte ist in dem betrachteten Zeitraum in allen drei Gruppen angestiegen (Goebel et al., 2010). Um be-werten zu können, ob sich die Einkommensschere zwischen den Gruppen geöffnet hat, müssen auch die Einkommensrelationen zwischen den Gruppen berücksichtigt werden. Niedrige Einkommen wichen im Betrachtungszeitraum zwischen 46,1 und 48,5 Prozent vom durchschnittlichen Einkommen der Mittelschicht ab. Die Schwankungen fielen also relativ gering aus. Eine etwas größere Volatilität ergab sich bei der Einkommensentwicklung der Bezieher hoher Einkommen. Diese verdienten zwischen 91,3 und 109,2 Prozent mehr als die Mittelschicht (Goebel et al., 2010). Die Abweichungen vom Einkom-men der Mittelschicht sind dabei jedoch nicht stetig gestiegen (Enste et al., 2010). Zwischen den Jahren 2000 und 2009 waren die Ab weichungen der höheren Einkommen von den mittleren jedoch größer als im Durchschnitt der 1990er Jahre.

Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland bei dem Anteilswert der Mittelschicht im Mittelfeld. Während im Jahr 2004 – gemessen mit anderen Einkommensgrenzen, nämlich von 75 bis 125 Prozent des Medianein kommens – vor allem die USA (29,9 Prozent), das Vereinigte Königreich (32,9 Prozent) und Italien (33 Prozent) durch eine relativ kleine Mittelschicht gekenn zeichnet waren, lag Deutschland mit einer Mittelschicht von 42,8 Prozent im Mittel-feld. Vor allem die skandinavischen Länder hatten eine noch breitere Mittel-schicht (Brandolini, 2010, 17).

Die Mittelschicht in Deutschland wird gut durch Personen mit einem mitt leren Bildungsabschluss charakterisiert (Tabelle 2). Dabei hat sich zwischen den Jahren 1993 und 2009 der Zusammenhang zwischen geringem Bildungsniveau und geringem Einkommensniveau sowie zwischen hohem Bildungsniveau und hohem Einkommensniveau verstärkt. Zählten1993 noch gut 28 Prozent der Geringqualifizierten (ohne Sekundarstufe-II-Abschluss, das heißt ohne Abitur oder abgeschlossene Berufsausbildung) zur Gruppe mit niedrigen Einkommen, so hat sich dieser Anteil im Jahr 2009 auf nahezu 42 Prozent erhöht. Von den Personen mit mittlerem Bildungsabschluss (mit Sekundarstufe-II-Abschluss) gehörten im Jahr 1993 62 Prozent zur Gruppe mit mittleren Einkommen, im Jahr 2009 waren es fast 67 Prozent. Die

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Personen mit Hochschulabschluss sind zunehmend der Gruppe mit hohen Einkommen zuzuordnen. Ihr Anteil in dieser Einkommensgruppe stieg von rund 37 Prozent im Jahr 1993 auf mehr als 43 Prozent im Jahr 2009.

Bildung ist also ein wichtiger und immer bedeutenderer Einflussfaktor für die Einkommenspositionierung. Auch wenn über einen längeren Zeitraum der Anteil der Mittelschicht nahezu konstant geblieben ist, so bleibt festzu-halten, dass der Einkommensabstand zwischen der Einkommensgruppe mit höheren und der mit mittleren Einkommen leicht gestiegen ist. Die Nachfrage nach höheren Qualifikationen hat nämlich stärker zugenommen als das An-gebot. Die Berechnungen in Tabelle 2 geben Hinweise darauf, dass die Bildungs expansion auf der Angebotsseite geringer ist, als es von der Nachfrage-seite erforderlich wäre. So ist der Anteil der Personen mit hohen Einkommen unter den Hochqualifizierten stark gewachsen. Des Weiteren belegen Anger/Plünnecke (2010), dass seit dem Jahr 1998 die relativen Einkommensvorteile von Akademikern gegenüber anderen Gruppen gestiegen sind und gleich zeitig ihre relative Arbeitslosigkeit gesunken ist. Letztlich bewirkte die zu geringe Bildungsexpansion, dass die Bildungsrenditen seit dem Jahr 1998 wieder deutlich zugenommen haben (Anger et al., 2010b). Eine stärkere Bildungs-expansion würde unter sonst gleichen Bedingungen dazu führen, dass die Einkommensunterschiede nicht weiter steigen würden. Sie hätte damit sowohl positive Wachstumsimpulse als auch effiziente Verteilungswirkungen.

Ein weiterer Grund für den stärkeren Effekt des Bildungsabschlusses einer Person auf die Einkommensposition des Haushalts ist die Partnerwahl.

Einkommensgruppen nach Bildungsstand Tabelle 2

Anteile der Personen, in Prozent

Einkommen Ohne Mit Meister-/Techniker-abschluss

Hochschul-abschluss

InsgesamtSek-II-Abschluss

1993 Niedrig 28,1 17,8 13,3 7,7 18,7Mittel 61,8 62,0 59,3 55,3 60,9Hoch 10,1 20,2 27,4 37,0 20,4

2000 Niedrig 30,0 14,2 9,4 6,7 16,0Mittel 64,1 70,9 72,0 52,2 66,6Hoch 6,0 15,0 18,7 41,1 17,4

2009 Niedrig 41,6 18,8 14,8 7,4 20,2Mittel 53,2 66,8 65,9 49,2 60,9Hoch 5,2 14,3 19,2 43,4 18,9

Sek: Sekundarstufe; Rundungsdifferenzen.Eigene Berechnungen auf Basis von SOEP, 2010

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Schröder (2011) zeigt, dass durch zunehmend homogame Partnerschaften, die sich durch ähnliche Ausbildung, Erwerbsneigung und Einkommen aus-zeichnen, die Ungleichheit innerhalb der Haushalte ab- und die zwischen den Haushalten zunimmt. Das veränderte Partnerwahlverhalten ist dafür mit-verantwortlich, dass Personen mit einem niedrigen Bildungsabschluss heute häufiger als früher in Haushalten mit geringen Einkommen und Akade miker häufiger in Haushalten mit hohen Einkommen leben. Bei den Mittelquali-fizierten wirkt sich der Effekt der Partnerwahl weniger stark aus.

3.3 Perspektiven von Migranten und Alleinerziehenden Die Einkommensposition einer Person wird nicht nur von der Bildung,

sondern noch von weiteren Merkmalen beeinflusst, zum Beispiel vom Migra-tionshintergrund oder vom Erziehungsstatus. Aus Tabelle 3 wird deutlich, dass Personen mit Migrationshintergrund geringere Einkommensperspek tiven haben als Personen ohne Migrationshintergrund. Während bei den Nicht-migranten der Anteil der Personen in der Einkommensmittelschicht im Jahr 2009 höher liegt als im Jahr 1993, ist die Mittelschichtzugehörigkeit bei den Migranten gesunken. Da in Deutschland der Anteil der Migranten zunimmt und diese nicht so häufig zur Mittelschicht zählen, wird auch im Durchschnitt die Mittelschichtzugehörigkeit durch diesen Effekt gedämpft.

Zu einem guten Teil kann die Einkommensposition von Migranten durch deren durchschnittlich geringeren Bildungsstand erklärt werden. Bei gleicher

Einkommensgruppen nach Migrationshintergrund Tabelle 3 und ErziehungsstatusAnteile der Personen, in Prozent

Einkommen Nichtmigranten Migranten Nicht Alleinerziehende

Alleinerziehende

1993 Niedrig 18,2 27,0 18,5 31,7Mittel 60,8 62,0 58,5 54,3Hoch 20,9 11,0 23,0 14,0

2000 Niedrig 14,8 31,0 18,6 33,6Mittel 67,0 60,7 62,9 57,8Hoch 18,2 8,4 18,5 8,7

2009 Niedrig 19,0 38,9 23,1 40,5Mittel 61,4 52,6 57,3 52,7Hoch 19,6 8,6 19,6 6,9

Nichtmigranten: geboren in Deutschland oder Immigration bis 1948; Migranten: Immigration nach 1948; Rundungsdifferenzen.Eigene Berechnungen auf Basis von SOEP, 2010

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Erwerbsbiografie, Erwerbsform und Qualifikation haben Migranten keine Nachteile bei der Entlohnung. Geringere Einkommen treten aber auf, wenn die Bildungsabschlüsse im Ausland erworben wurden (Anger et al., 2010a). Wenn sie ihren Abschluss nicht in Deutschland gemacht haben, sind die Lohnprämien von Migranten am deutschen Arbeitsmarkt niedriger als die von Nichtmigranten. So beträgt die Lohnprämie eines Akademikers ohne Migrationshintergrund gegenüber einem geringqualifizierten Erwerbstätigen (ohne abgeschlossene Berufsausbildung) rund 72 Prozent (Tabelle 4). Bei einem Migranten, der Bildungsabschlüsse im Ausland erworben hat, liegt diese Lohnprämie lediglich bei 38 Prozent. Werden die Hochschulabschlüsse in Deutschland erworben, so beträgt die Lohnprämie des Migranten hingegen gut 71 Prozent. Ähnliche Lohnmerkmale sind auch für mittlere Qualifika-tionen zu beobachten. Insgesamt zeigt sich damit, dass für die Entlohnung nicht der Migrationsstatus, sondern das Land der Ausbildung entscheidend ist. Der Grund dafür kann in Kompetenzunterschieden zu deutschen Ab-schlüssen oder in der fehlenden Anerkennung ausländischer Abschlüsse am deutschen Arbeitsmarkt liegen.

Geringere Einkommensperspektiven können auch bei Alleinerziehenden festgestellt werden. Unter den Alleinerziehenden zählten im Jahr 2009 gut

Lohnprämie für formale Qualifikationen Tabelle 4

nach MigrationshintergrundSchätzung anhand der Mincer-Funktion für das Jahr 2009

Nichtmigranten MigrantenAlle Abschlüsse aus Deutschland

Nicht alle Abschlüsse aus Deutschland

Sek-II-Abschluss (Referenz: kein Sek-II-Abschluss)

0,246*** (7,51)

0,229*** (3,48)

0,161*** (2,94)

Hochschulabschluss (Referenz: kein Sek-II-Abschluss)

0,719*** (20,87)

0,714*** (7,56)

0,380*** (4,93)

Berufserfahrung 0,026*** (6,69)

0,028 (1,32)

0,023 (1,24)

Berufserfahrung2 –0,0004*** (–5,61)

–0,0004 (–1,05)

–0,0003 (–1,00)

Konstante 1,954*** (34,52)

1,936*** (6,94)

1,923*** (6,97)

R2 0,1274 0,1792 0,0596N 8.003 273 505Sek: Sekundarstufe; abhängige Variable: logarithmierter Bruttostundenlohn; Schätzung von robusten linearen Regressionsmodellen; *** signifikant auf 1-Prozent-Niveau; in Klammern sind die t-Werte angegeben.Eigene Berechnungen auf Basis von SOEP, 2010

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40 Prozent zur niedrigen Einkommensgruppe (vgl. Tabelle 3). Dieser Anteil ist seit dem Jahr 1993 deutlich gestiegen. Ebenso ist unter den Alleinerzie-henden der Anteil gesunken, der zur oberen Einkommensgruppe gezählt werden kann. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Anteil der Allein-erziehenden an allen Haushalten gestiegen ist. Ferner hat seit dem Jahr 1993 die durchschnittliche Erwerbsintensität der Haushalte insgesamt deutlich zugenommen. So hat sich die Frauenerwerbstätigkeit seit dem Jahr 2000 von 58 Prozent auf 66 Prozent im Jahr 2009 erhöht (Eurostat, 2011). Auch die Erwerbstätigkeit von Männern hat im selben Zeitraum zugelegt. Familien stehen somit häufiger zwei Einkommen zur Verfügung. Damit fallen Allein-erziehende relativ zu Familien mit zwei Einkommen zurück.

Ähnliche Ergebnisse erbrachten auch Untersuchungen von Hülskamp/Schröder (2009). Die Einkommensposition von Alleinerziehenden hat sich demnach im Vergleich zu anderen Haushaltstypen verschlechtert. Ein Grund besteht darin, dass sich die Erwerbsintensität in den anderen Haushaltstypen deutlich erhöht hat. Die Erwerbsintensität eines Haushalts wiederum ist von zentraler Bedeutung für die Einkommensposition. Alleinerziehende sind zu einem großen Teil nicht erwerbstätig (Hülskamp/Schröder, 2009, 193). Ihre geringen Einkommensperspektiven hängen folglich mit der Arbeitsmarkt-partizipation zusammen. Bei Alleinerziehenden erschwert vor allem ein zu geringes Angebot an Betreuungsplätzen für Kinder den Zugang zum Arbeits-markt. Erschwerend kommt hinzu, dass längere Erwerbsunterbrechungen und die Wahl eines Teilzeitarbeitsplatzes die Einkommensperspektiven einer gegebenen Qualifikation verringern (Schmidt et al., 2009). Damit sind selbst dann bei Alleinerziehenden die Einkommensperspektiven gering, wenn sie nach einer längeren Erwerbsunterbrechung eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Längere Erwerbsunterbrechungen sollten daher besser gar nicht erst ent-stehen. Hierzu wäre ein entsprechendes Angebot an Ganztagsbe treuung und Ganztagsschulen nötig.

3.4 Bildung, Aufstiegs- und AbstiegsmobilitätWie gezeigt, besteht ein enger Zusammenhang zwischen Bildung und

Einkommen und kann die Einkommensmittelschicht auch als Bildungsmit-telschicht charakterisiert werden. Daher ist es wahrscheinlich, dass das Bil-dungssystem auch Auswirkungen auf die Aufstiegs- und Abstiegsmobilität von Personen oder Haushalten hat. Im Folgenden wird die sogenannte Ein-kommensmobilität untersucht. Sie bezeichnet die Veränderung der relativen Einkommensposition eines Individuums im Zeitverlauf und ist eine wesent-

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liche Determinante für die Chancengerechtigkeit in einem Wirtschaftssystem. Einkommensunterschiede werden nämlich grundsätzlich eher akzeptiert, wenn für alle eine Chance besteht, in der Einkommenshierarchie aufzusteigen.

Basierend auf den Angaben des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) werden bei der Untersuchung der Einkommensmobilität die Haushalte nach dem äquivalenzgewichteten Haushaltsnettoeinkommen in fünf Einkommens-gruppen aufgeteilt. Die Quintile zwei bis vier werden als Mittelschicht defi-niert. Um einkommensbezogene Mobilitätsprozesse zu skizzieren, werden die Quintilzugehörigkeiten der Personen in einem Ausgangs- und einem Endzeitpunkt kreuztabelliert. Daraus lassen sich drei Kennzahlen bilden. Die Aufstiegsquote aus dem 1. Quintil gibt an, wie viel Prozent der Personen, die im Ausgangsjahr im 1. Quintil waren, den Aufstieg in höhere Quintile geschafft haben. Diese Quote misst die Chance von armutsgefährdeten und anderen Personen mit geringem Einkommen, in der Einkommenshierarchie aufzu-steigen. Die Abstiegsquote aus der Mittelschicht bezeichnet den Anteil der Personen aus dem 2. bis 4. Quintil, der im jeweiligen Zeitraum in das 1. Quintil abgestiegen ist. Die Aufstiegsquote aus der Mittelschicht misst den Anteil der Personen aus dem 2. bis 4. Quintil, dem der Aufstieg in das 5. Quintil gelungen ist.

Den Berechnungen von Schäfer/Schmidt (2009, 145) zufolge sind die Auf-stiegsmobilität aus dem 1. Quintil und die Aufstiegsquote aus der Mittelschicht für Geringqualifizierte in den dort untersuchten Zeiträumen deutlich niedriger als für Personen mit einer Berufs- oder Hochschulausbildung. So betrug beispielsweise die Aufstiegsquote aus der Mittelschicht zwischen den Jahren 1995 und 2007 bei geringqualifizierten Personen 9 Prozent, während sie bei den mittel- oder hochqualifizierten Personen 19 Prozent erreichte. Gleich zeitig fiel die Abstiegsquote aus der Mittelschicht bei Personen ohne Berufsausbil-dung höher aus als bei Personen mit Berufs- oder Hochschulausbildung. Aus diesen Resultaten ergeben sich somit Hinweise darauf, dass ein mindestens mittlerer Bildungsabschluss – neben weiteren Faktoren – vor einem Abstieg bewahren und einen Aufstieg fördern kann.

Diese deskriptiven Befunde lassen sich multivariat absichern. Mithilfe von logistischen Regressionsschätzungen wird untersucht, welche Faktoren die Wahrscheinlichkeit für die Aufstiegsmobilität erhöhen beziehungsweise die Wahrscheinlichkeit für eine Abstiegsmobilität senken. Zu diesen Faktoren gehört auch der Bildungsabschluss. In Tabelle 5 ist dargestellt, welchen Ein-fluss verschiedene Bildungsabschlüsse auf die Aufstiegs- und Abstiegsmobi-lität haben. Die Wahrscheinlichkeit eines Aufstiegs aus dem 1. Einkommens-

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quintil nimmt mit höherem Bildungsabschluss deutlich zu. So steigert beispielsweise ein Universitätsabschluss diese Wahrscheinlichkeit um fast 200 Prozent. Statistisch signifikant sind diese Ergebnisse für die Fachhoch-schul- und die Universitätsabsolventen.

Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung und einem Meister- oder Technikerabschluss sind jedoch ebenso wie Hochschulabsolventen signi fikant besser vor einem Abstieg aus der Mittelschicht geschützt. Kon-trolliert um andere Effekte sinkt die Wahrscheinlichkeit eines Abstiegs aus der Mittelschicht gegenüber einer Person ohne abgeschlossene Berufsausbil-dung um 72 Prozent, wenn ein Universitätsabschluss besteht, um 63 Prozent bei einem Fachhochschulabschluss, um 60 Prozent bei Meister- oder Techniker-abschluss und um 51 Prozent bei einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Höhere Bildungsabschlüsse sind ebenfalls hilfreich, um aus der Mittelschicht aufzusteigen. Je höher der Bildungsabschluss ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, das höchste Quintil zu erreichen. Signifikant sind diese Ergebnisse für die Absolventen von Fachhochschulen und Universitäten.

3.5 Perspektiven von MittelqualifiziertenIn Abschnitt 2.5 wurde aufgezeigt, dass eine Verminderung der Bildungs-

armut mit dem Ziel der Verteilungsgerechtigkeit nach dem Bedürfnisprinzip zu rechtfertigen ist. Nun bleibt zu untersuchen, ob eine solche Höherquali-fizierung zu einer Verringerung der Einkommensperspektiven der Mittel-qualifizierten führen würde. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn zu viele Mittelqualifizierte ausgebildet würden, also das Angebot an Fachkräften die Nachfrage bei gegebenem Lohnniveau deutlich übertreffen würde. Wird

Aufstiegs- und Abstiegsmobilität nach Bildungsstand Tabelle 5

von 2003 bis 2007, in Prozent

Zunahme der Wahrscheinlichkeit eines Aufstiegs aus dem 1. Quintil

Verringerung der Wahrscheinlichkeit eines Abstiegs aus der Mittelschicht

Zunahme der Wahrscheinlichkeit eines Aufstiegs aus der Mittelschicht

Gegenüber Personen ohne abgeschlossene BerufsausbildungAbgeschlossene Berufsausbildung 34 51*** 28Meister/Techniker 70 60*** 84Fachhochschule 146* 63*** 205***Universität 194** 72*** 395****** signifikant auf 1-Prozent-Niveau; ** signifikant auf 5-Prozent-Niveau; * signifikant auf 10-Prozent-Niveau.Eigene Berechnungen auf Basis von Schäfer/Schmidt, 2009, 154 ff.

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hingegen die Nachfrage nach mittleren Qualifikationen in den kommenden Jahren ebenfalls zunehmen, wird weiterhin der Großteil der Personen mit mittleren Qualifikationen zur Mittelschicht zählen können.

Die Perspektiven der Personen mit einem mittleren Bildungsabschluss werden wesentlich vom demografischen Wandel beeinflusst. In der Vergan-genheit ergaben sich auf dem Ausbildungsstellenmarkt konjunkturelle Muster. So überstieg um das Jahr 1990 das Angebot an Ausbildungsstellen deutlich die Nachfrage, während es in den wirtschaftlich schwierigen Jahren zwischen 2002 und 2006 mehr Stellensuchende als Ausbildungsstellen gab. 2009 zeigte sich dann erstmals, dass das konjunkturelle Muster durch die strukturell demografischen Effekte dominiert wurde: Aufgrund sinkender Schülerzahlen ging die Zahl der Bewerber deutlich zurück, sodass trotz der stärksten Re-zession in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mehr unbesetzte Ausbildungsstellen als unversorgte Bewerber verblieben.

In den kommenden Jahren wird die demografische Entwicklung für den Ausbildungsstellenmarkt noch wichtiger werden. Die Bevölkerung in Deutsch-land befindet sich in einem Prozess der Alterung und Schrumpfung. Leben in Deutschland gegenwärtig noch 82 Millionen Menschen, so werden es auf der Grundlage der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts (2009a) je nach verwendeter Variante im Jahr 2060 zwischen 65 und 70 Millionen sein. Gleichzeitig werden die Menschen dank des medizinischen Fortschritts und gesünderer Lebensumstände immer älter. Während das mittlere Alter der Bevölkerung im Augenblick 43 Jahre beträgt, wird es im Jahr 2045 um neun Jahre höher liegen. Mehr als die Hälfte der Einwohner Deutschlands wird dann zwischen den Jahren 2045 und 2060 älter als 52 Jahre sein. Der demografische Wandel führt auch zu einer Ver-knappung und Alterung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Fielen im Jahr 2008 ungefähr 50 Millionen Personen in die Altersgruppe zwischen 20 und 65 Jahren, so werden es im Jahr 2060 nur noch zwischen 33 und 36 Mil-lionen Personen sein. Wird die zu jenem Zeitpunkt gültige, spätere Regel-altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung von 67 Jahren berücksich-tigt, so beträgt die Altersgruppe im erwerbsfähigen Alter 34 bis 38 Millionen Personen. Damit sinkt auch in diesem Fall das Potenzial an Erwerbspersonen gegenüber heute um mehr als zehn Millionen. Gleichzeitig werden die Er-werbspersonen im Durchschnitt älter. Zukünftig wird ein erheblicher Teil von ihnen älter als 50 Jahre sein (Statistisches Bundesamt, 2009a).

Aufgrund der demografischen Entwicklung wird es schwierig werden, die aus dem Erwerbsleben ausscheidenden älteren Mittel- und Hochqualifizierten

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1 Wert verdoppelt, um fiktive Zehnjahreskohorte zu bilden. Eigene Berechnungen auf Basis von Statistisches Bundesamt, 2009c, 131; 2010h, 44

0–41 5–14 15–24 25–34 35–44 45–54 55–64

Lücke Hochschule Lehre/Fachschule Ohne Berufsabschluss Kinder unter 15 Jahren

0

2

4

6

8

10

12

14

16

Bevölkerung nach Qualifikation und Alter Abbildung 3

im Jahr 2008, in Millionen

zahlenmäßig durch jüngere zu ersetzen. Abbildung 3 stellt die Verteilung der Bevölkerung auf verschiedene Qualifikations- und Altersgruppen für das Jahr 2008 dar. Sie zeigt, dass 7,8 Millionen Personen aus der Kohorte der 5- bis 14-Jährigen etwa 12,3 Millionen Personen aus der Ko horte der 45- bis 54-Jährigen ersetzen müssen. Zwischen 2020 und 2030 werden 8,4 Millionen Personen mit einer Berufsausbildung (Lehre/Fachschule) das erwerbsfähige Alter hinter sich lassen. Selbst wenn alle nachrückenden Jugend lichen eine Ausbildung erhielten (also auch kein Jugendlicher studieren würde), könnten nicht alle ausscheidenden Fachkräfte ersetzt werden.

Im Folgenden wird berechnet, wie groß der demografiebedingte Ersatz-bedarf für die Personen mit Lehr- oder Fachschulabschluss ist (sogenannte beruflich Qualifizierte oder Facharbeiter). Der Ersatzbedarf gibt an, wie viele dieser erwerbstätigen beruflich Qualifizierten in den kommenden Jahren – typischerweise altersbedingt – aus dem Erwerbsleben ausscheiden werden. Gelänge es, diese Personen durch neue erwerbstätige Facharbeiter zu ersetzen, so bliebe die Zahl der erwerbstätigen beruflich Qualifizierten konstant. An-dernfalls sänke oder stiege sie. Als Grundlage der Berechnung des demogra-fiebedingten Ersatzbedarfs dienen die in Tabelle 6 dargestellte Altersstruktur der Facharbeiter in Deutschland und die kohortenspezifischen Erwerbstätigen-quoten der aktuellen Population der beruflich Qualifizierten (Koppel, 2010). Wird von arbeitsmarktorientierter Zuwanderung abstrahiert, so werden die innerhalb einer bestimmten Kohorte heute erwerbstätigen Facharbeiter auch

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bei freiwilliger Erwerbstätigkeit während der Rentenphase in der Modellrech-nung spätestens bis zum Alter von 70 Jahren aus dem Erwerbsleben ausschei-den. Da jedoch nicht alle beruflich Qualifizierten im selben Alter die Erwerbs-tätigkeit aufgeben, muss der innerhalb eines konkreten Zeitraums wirksame demografiebedingte Ersatzbedarf anhand der Veränderung der Erwerbstätigen-quoten berechnet werden. Hierbei wird angenommen, dass die altersspezi-fischen Erwerbstätigenquoten über den Zeitablauf konstant bleiben und erwerbstätige Facharbeiter mit 70 Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden.

Mit dem Übergang von Kohorte 7 zu Kohorte 8 geht die Erwerbstätigen-quote deutlich zurück. Beim Übergang vom Jahr 2008 auf das Jahr 2009 kommt es – bei unterstellter Gleichverteilung innerhalb der Kohorten – zu folgenden Effekten: Ein Fünftel der Kohorte 7 wechselt infolge des gestiegenen Alters in Kohorte 8. Mit diesem Schritt reduziert sich die durchschnittliche Erwerbstätigenquote der gut 870.000 Betroffenen von 85,1 auf 80,2 Prozent. Folglich geht an dieser Schwelle die Zahl der erwerbstätigen beruflich Qua-lifizierten um über 40.000 zurück. Beim Übergang der knapp 770.000 Fach-arbeiter aus Kohorte 8 in Kohorte 9 reduziert sich deren Erwerbstätigen quote um 10,7 Prozentpunkte, sodass die Zahl erwerbstätiger Personen mit Lehr-oder Fachschulabschluss um weitere gut 80.000 abnimmt. Besonders stark schrumpft die Erwerbstätigenquote beim Übergang von Kohorte 9 zu Kohorte 10. Sie sinkt um fast 36 Prozentpunkte und ist mit einem Rückgang

Demografischer Ersatzbedarf bei Facharbeitern Tabelle 6 Personen mit Lehr- oder Fachschulabschluss im Jahr 2008

Kohorte Alter, in Jahren Erwerbstätigenquote von Facharbeitern, in Prozent

Facharbeiter insgesamt

Aus dem Erwerbs-leben ausscheidende Facharbeiter

1 bis 19 77,1 118.000 –2 20 bis 24 82,3 1.981.600 –3 25 bis 29 81,8 2.843.300 –4 30 bis 34 82,3 2.785.300 –5 35 bis 39 85,0 3.714.500 –6 40 bis 44 86,0 4.831.800 –7 45 bis 49 85,1 4.364.200 42.4008 50 bis 54 80,2 3.822.500 81.7009 55 bis 59 69,5 3.503.700 250.50010 60 bis 64 33,8 2.750.900 146.60011 65 bis 69 7,1 3.346.900 47.600Eigene Berechnungen auf Basis von Forschungsdatenzentren (FDZ) der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder; Mikrozensus, 2008

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der Erwerbs tätigkeit um gut 250.000 Personen verbunden. Durch den Über-gang von Kohorte 10 auf Kohorte 11 verringert sich die Zahl der Fach kräfte noch einmal um fast 150.000 und beim Übergang von Kohorte 11 in den Ruhestand um gut 50.000. Summiert über alle Kohorten scheiden beim Übergang vom Jahr 2008 auf das Jahr 2009 etwa 570.000 Personen mit Lehr- oder Fachschulabschluss aus dem Erwerbsleben aus.

Dieser Wert entspricht dem jährlichen demografischen Ersatzbedarf der Jahre 2009 bis 2013 (da in Tabelle 6 eine Kohorte fünf Altersjahrgänge be-inhaltet). Mit Ablauf dieser Zeitspanne sind sämtliche Altersjahrgänge um eine Kohortennummer aufgestiegen. Exemplarisch wird die Bevölkerung mit Lehr- oder Fachschulabschluss in der neuen Kohorte 8 nun von denjenigen 4,36 Millionen beruflich Qualifizierten gebildet, die im Jahr 2008 noch die Kohorte 7 repräsentierten. Nach dem gleichen Verfahren ergibt sich ein jährlicher demografischer Ersatzbedarf in Höhe von knapp 640.000 Personen mit Lehr- oder Fachschulabschluss für die Jahre 2014 bis 2018 und von 705.000 Personen für die Jahre 2019 bis 2023. Das jährliche Angebot an Personen mit einer solchen Berufsausbildung dürfte jedoch zwischen den Jahren 2010 und 2030 von etwa 420.000 auf 360.000 sinken (Plünnecke, 2010). Die Knappheit auf dem Arbeitsmarkt an Personen mit einem mittleren Bildungsabschluss dürfte also deutlich steigen. Eine Höherqualifizierung von Geringqualifi-zierten wird daher voraussichtlich nicht zu geringeren Einkommensperspek-tiven der Mittelschicht führen. Da eine Höherqualifizierung das Wirtschafts-wachstum und die Finanzierungsperspektiven der sozialen Sicherungssysteme stärkt, würden die bisher Mittelqualifizierten alles in allem auch nicht da-runter leiden, dass sich ihre relative Position in der Bildungsverteilung ändert.

3.6 Perspektiven von AkademikernIn den letzten Jahren wurde in der Öffentlichkeit immer wieder über die

sogenannte Generation Praktikum diskutiert. Regelmäßig wurde der Vorwurf erhoben, dass viele Hochschulabsolventen nach ihrem Abschluss lange Zeit als Praktikant und damit in einem prekären Beschäftigungsverhältnis arbeiten müssten, da dies für die Unternehmen billiger sei, als ihnen eine feste Anstel-lung zu geben. Diese Berichte basieren jedoch häufig auf eigenen Erfahrungen oder denen von Freunden und Bekannten (beispielsweise Stolz, 2005). Die empirische Grundlage für die These von der „Generation Praktikum“ ist somit unzureichend.

Um diese Debatte empirisch besser zu fundieren, legte die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) im April 2007 einen Bericht vor, der auf

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Daten des Absolventenjahrgangs 2005 basiert (Briedis/Minks, 2007). Befragt wurde eine repräsentative Stichprobe von Hochschulabsolventen aller Fach-richtungen. Praktika im Anschluss an das Studium sind demnach kein Massen phänomen. Lediglich jeder achte Fachhochschulabsolvent und jeder siebte Absolvent einer Universität hat nach dem Studium noch ein Praktikum oder mehrere Praktika absolviert. Dabei lassen sich deutliche Unterschiede zwischen den Fachrichtungen feststellen. So kommt ein Praktikum nach dem Studium in den meisten technischen und naturwissenschaftlichen Fächern sehr selten vor, während die Praktikumsquote beispielsweise bei den Sprach- und Kulturwissenschaftlern höher ausfällt. Die Praktikumshäufigkeit unter-scheidet sich ebenfalls nach den Wirtschaftszweigen. Branchen, die häufiger Praktikanten beschäftigen, sind beispielsweise Presse, Rundfunk und Fern-sehen sowie Kunst und Kultur, während im Gesundheitswesen, an Schulen und Hochschulen nur sehr selten Praktikanten mit Hochschulabschluss be-schäftigt werden. Außerdem kommt es nur in Ausnahmefällen vor, dass Absolventen zwei oder mehr Praktika durchlaufen haben. Von den Personen mit Praktikumserfahrung im Anschluss an das Studium hat jede zehnte (Fachhochschule) beziehungsweise jede fünfte (Universität) mehr als zwei Praktika absolviert. Die Dauer der Praktika ist eher kurz. Die Hälfte der Praktikanten absolvierte ein Praktikum mit einer Dauer zwischen einem Monat und drei Monaten; nur 1 Prozent der Praktika dauerte länger als ein Jahr. Mit diesen Zahlen lassen sich Praktikumskarrieren nicht belegen. Da-rüber hinaus wurden das Niveau der Praktika, die Betreuungsqualität und die Akzeptanz bei den Kollegen überwiegend positiv eingeschätzt. Sehr he-terogen fiel die Bewertung der Praktikumsvergütung aus, während der Nutzen des Praktikums meist als positiv eingestuft wurde. Ungefähr zwei Drittel der Praktikanten waren der Meinung, dass ihr Praktikum hilfreich für die beruf-liche Zukunft sei und nur 19 Prozent (Universität) beziehungsweise 21 Prozent (Fachhochschule) fühlten sich während des Praktikums vom Unternehmen ausgenutzt. Allerdings führte das Praktikum häufig nicht zu einer Festan-stellung. Die meisten Praktikanten wechselten dennoch bald nach dem ersten Praktikum in eine reguläre Erwerbstätigkeit. Insgesamt kann somit festgestellt werden: Eine Generation Praktikum existiert nicht (Briedis/Minks, 2007; Briedis, 2007, 116).

Diese Schlussfolgerung wird auch in einer Studie des International Centre for Higher Education Research (INCHER) gezogen (Schomburg, 2009, 61). Die Angaben basieren auf einer Absolventenbefragung aus dem Jahr 2007, an der sich 52 Universitäten beteiligten. Unmittelbar nach dem Studien-

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abschluss waren von den erwerbstätigen Absolventen nur 4 Prozent als Praktikanten beschäftigt, 2 Prozent als Volontäre und nur 1 Prozent als Auszubildende. Anderthalb Jahre nach Studienende waren noch 1 Prozent als Praktikanten und 1 Prozent als Volontäre und Auszubildende tätig. Somit arbeitet auch nach diesen Angaben nur eine kleine Minderheit der Hoch-schulabsolventen zunächst in einem Praktikantenverhältnis.

Wie gut der Übergang von der Hochschule auf den Arbeitsmarkt gelingt, hängt aber von der jeweiligen konjunkturellen Lage ab. So zeigen beispiels-weise die Ergebnisse der HIS-Absolventenbefragung 2005, dass dieser Jahr-gang mehr Probleme beim Eintritt in den Arbeitsmarkt hatte als der Jahrgang 2001. Dies wird unter anderem damit begründet, dass der Jahrgang 2001 eine gute Konjunkturlage vorgefunden hat, während der Jahrgang 2005 in einer konjunkturell schwierigen Situation die Arbeitssuche aufnehmen musste (Briedis, 2007, 103). Allerdings kann ein aufgrund der konjunkturellen Lage etwas schwieriger Berufsstart für Hochschulabsolventen in den Folgejahren häufig nachträglich sehr schnell kompensiert werden. Schramm/Kerst (2009, 65) stellen fest, dass sich die Erwerbsquoten der Absolventen in MINT- Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) der Jahr-gänge 1993 und 2001 fünf Jahre nach dem Studium sehr ähnlich sind, obwohl die konjunkturellen Startbedingungen im Jahr 1993 weniger gut waren.

Dem konjunkturellen Effekt beim Übergang von Hochschulabsolventen in den Arbeitsmarkt kann der strukturelle Effekt gegenübergestellt werden. Die strukturelle Situation für die Hochschulabsolventen ergibt ein sehr güns-tiges Bild – entscheidend sind dafür der demografische Ersatzbedarf und der Expansionsbedarf der Wirtschaft. Unter dem Expansionsbedarf versteht man einen sich aus strukturellen Entwicklungen ergebenden Mehrbedarf an Arbeitskräften. Solche strukturellen Veränderungen können beispielsweise aus dem langfristigen Wachstum der Volkswirtschaft oder auch aus Nach-frageverschiebungen resultieren. Anders als beim demografischen Ersatz-bedarf, der sich relativ genau mithilfe der Altersstruktur der Beschäftigten bestimmen lässt, sind für die Quantifizierung des künftigen Expansionsbedarfs komplizierte Schätzungen notwendig (Bonin et al., 2007, 30).

Nach Berechnungen auf Basis von Schätzungen des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) entstehen zwischen den Jahren 2010 und 2019 aufgrund des Höherqualifizierungstrends und des Wachstums der Volkswirt-schaft in Deutschland knapp 1,2 Millionen zusätzliche Akademikerstellen, die mit Absolventen der entsprechenden Qualifikationen zu besetzen sind (eigene Berechnung auf Basis von Bonin et al., 2007, 191). Der Schätzwert

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des Expansionsbedarfs von knapp 1,2 Millionen Akademikern für einen Zehnjahreszeitraum ist realistisch. Das zeigt ein Blick auf die Vergangenheit: Innerhalb der Jahre von 1998 bis 2008 ist die Akademikerbeschäftigung in Deutschland insgesamt um mehr als 1,1 Millionen Personen angestiegen (Tabelle 7).

Der Anstieg des Angebots an Akademikern hat deren Arbeitsmarktper-spektiven allerdings nicht beeinträchtigt. Zwischen 1998 und 2008 hat der Lohnvorteil der Akademiker zugenommen und ihr Erwerbslosigkeitsrisiko ist gegenüber anderen Berufsgruppen gesunken. Die Faktorentlohnung für Hochqualifizierte stieg gegenüber Mittel- und Geringqualifizierten folglich an. Dies impliziert, dass der Expansionsbedarf bei Akademikern trotz der Zunahme der Akademikererwerbstätigkeit von gut 1,1 Millionen Personen nicht in vollem Umfang befriedigt werden konnte.

Geht man von einem Expansionsbedarf in Höhe von 1,2 Millionen Hoch-qualifizierten in einem Zehnjahreszeitraum aus, werden in Anlehnung an Berechnungen von Erdmann et al. (2009) im Zeitraum 2009 bis 2013 rund 605.000 und im Zeitraum 2014 bis 2018 rund 597.000 zusätzliche Akademi-ker benötigt, damit die Volkswirtschaft hierzulande mit jährlich 1,5 Prozent wachsen kann (siehe Tabelle 9). Für den Fünfjahreszeitraum von 2019 bis 2023 besteht bei einer Zunahme des Gesamtbedarfs an Erwerbstätigen und einem weiter bestehenden Höherqualifizierungstrend, der zu einer Zunahme des Akademikeranteils um etwa 1 Prozentpunkt führt, ein Expansionsbedarf von weiteren 519.000 Hochqualifizierten.

Neben diesem Expansionsbedarf gibt es einen demografischen Ersatzbe-darf, der auf der Basis des Mikrozensus 2008 ermittelt werden kann. Die

Akademikerbeschäftigung Tabelle 7

1998 2008Zahl der erwerbstätigen Akademiker, in Millionen 5,39 6,52Erwerbslosenquote von Akademikern, in Prozent 5,7 3,3Relatives Erwerbslosigkeitsrisiko eines Akademikers im Vergleich zu einer Person ohne abgeschlossene Berufsausbildung 0,36 0,25Relatives Erwerbslosigkeitsrisiko eines Akademikers im Vergleich zu einer Person mit abgeschlossener Berufsausbildung 0,53 0,49Lohnprämie1 eines Akademikers gegenüber einer Person ohne abgeschlossene Berufsausbildung, in Prozent2

61,3 / 62,5

77,7 / 66,2

Lohnprämie1 eines Akademikers gegenüber einer Person mit abgeschlossener Berufsausbildung, in Prozent2

40,2 / 33,2

52,8 / 46,3

1 Lohnprämie: prozentualer Stundenlohnzuwachs durch eine höhere Qualifikation. 2 West-/Ostdeutschland.Eigene Berechnungen auf Basis von SOEP, 2010; Statistisches Bundesamt, 1999; 2009d

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Berechnungsmethode ist die gleiche, die in Abschnitt 3.5 bei der Ermittlung des demografischen Ersatzbedarfs von beruflich Qualifizierten verwendet wurde. Ausgangspunkt der Berechnungen ist Tabelle 8.

Es wird wiederum angenommen, dass die Akademiker spätestens mit 70 Jahren aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Nach dieser Berech-nungsmethode ergibt sich für den Fünfjahreszeitraum von 2009 bis 2013 ein Ersatzbedarf von 640.000, für die Jahre 2014 bis 2018 von 765.000 und für die Jahre 2019 bis 2023 von 875.000 Akademikern. Die Nachfrage nach Akademikern wird in Zukunft also immer stärker vom demografisch be-dingten Ersatzbedarf bestimmt. Der Ersatzbedarf dürfte am zu erwartenden Gesamtbedarf einen Anteil in Höhe von gut 51 Prozent im Zeitraum 2009 bis 2013 und gut 56 Prozent im Zeitraum 2014 bis 2018 aufweisen. Für den Zeitraum zwischen 2019 und 2023 dürfte der Anteil auf knapp 63 Prozent steigen. Der Gesamtbedarf würde damit in den Jahren bis 2023 deutlich über dem Angebot liegen. Es muss aber berück-sichtigt werden, dass sich der Bedarf an

Demografischer Ersatzbedarf bei Akademikern Tabelle 8 Personen mit Hochschulabschluss im Jahr 2008

Kohorte Alter, in Jahren Erwerbstätigenquote von Akademikern, in Prozent

Akademiker insgesamt

1 bis 29 84,2 816.8292 30 bis 34 87,8 948.0993 35 bis 39 89,1 1.057.4054 40 bis 44 91,6 1.188.7685 45 bis 49 92,2 1.020.8136 50 bis 54 90,5 940.3217 55 bis 59 84,4 830.8748 60 bis 64 54,9 618.8619 65 bis 69 14,9 597.850Eigene Berechnungen auf Basis von Forschungsdatenzentren (FDZ) der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder; Mikrozensus, 2008

Angebot und Nachfrage Tabelle 9 bei AkademikernPersonen mit Hochschulabschluss

2009–2013 2014–2018 2019–2023Ersatzbedarf 640.000 765.000 875.000Expansionsbedarf 605.000 597.000 519.000Gesamtbedarf 1.245.000 1.362.000 1.394.000Angebot an Absolventen 1.218.000 1.353.000 1.327.000Annahme: Erwerbstätigenquote der Hochschulabsolventen von 91,8 Prozent.Eigene Berechnungen auf Basis von Forschungsdatenzentren (FDZ) der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder; Mikrozensus, 2008; Erdmann et al., 2009; KMK, 2009; Statistisches Bundesamt, 2010a

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Akademikern nach Fachrichtungen unterscheidet. Besonders in den Ingenieur-wissenschaften wird in den kommenden Jahren der demografische Ersatz-bedarf deutlich wachsen (Erdmann/Koppel, 2010).

Die sehr guten Chancen, die Hochschulabsolventen bereits heute haben, werden sich also durch die demografisch zu erwartenden Trends in den kom-menden Jahren und vor allem nach dem Jahr 2020 deutlich verbessern. Eine Höherqualifizierung in Richtung akademischer Abschlüsse würde zum einen dazu beitragen, bestehende oder zusätzlich entstehende Fachkräfteengpässe zu reduzieren und damit die Wachstumsaussichten der deutschen Volkswirt-schaft zu stärken. Zum anderen würden die Bildungsrenditen höherer Ab-schlüsse gegenüber dem heutigen Niveau nicht sinken, wenn das Angebot mit dem Bedarf zunimmt. Gelingt es jedoch nicht, das Angebot an Hoch-qualifizierten zu erhöhen, dürfte die Einkommensstreuung zunehmen.

3.7 HandlungsempfehlungenEin erfolgversprechender Weg zu mehr Wachstum und Verteilungseffizienz

besteht im Ausbau des Zugangs zu Bildung. Durch eine Zunahme des Quali-fikationsniveaus wird das Humankapital in Deutschland erhöht, sodass das Wirtschaftswachstum gesteigert werden kann (Koppel/Plünnecke, 2009). Daneben führt eine Zunahme des Angebots an höheren Qualifikationen dazu, dass die größere Nachfrage am Arbeitsmarkt nach diesen Qualifikationen gedeckt werden kann. Dies wirkt der qualifikationsbedingten Lohnspreizung entgegen und verbessert auf effiziente Weise die Realisierung politischer Verteilungsziele.

Um dies umzusetzen, ist erstens das Angebot an Studienplätzen auszu-bauen und der Anteil der Hochschulabsolventen an einem Altersjahrgang zu erhöhen. Die Studienabsolventenquote sagt aus, welcher Anteil der Bevölke-rung der entsprechenden Altersgruppe ein Hochschulstudium absolviert hat. Die Studienabsolventenquote in Deutschland ist seit dem Jahr 2000 um mehr als 12 Prozentpunkte von knapp 17 Prozent auf gut 29 Prozent gestiegen (Statistisches Bundesamt, 2011).

Zweitens sollte die Verwertung im Ausland erworbener Abschlüsse ver-bessert werden. Der Zugang zum Arbeitsmarkt wird für Migranten mit eigener Migrationserfahrung erschwert, weil im Ausland erworbene Ab schlüsse häufig nicht anerkannt werden. So haben etwa 2,9 Millionen Migranten in Deutschland ihre beruflichen Abschlüsse im Ausland erworben. Unter den zugewanderten ALG-II-Beziehern wurde nur einem Drittel ihr im Ausland erworbener Abschluss anerkannt. Formale Anerkennungen spielen zudem

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bei der Erteilung der Arbeitserlaubnis eine Rolle. Transparente Anerken-nungsverfahren sind daher wichtig, um die Einkommensperspektiven von Migranten zu verbessern. Nach Ergebnissen einer Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen erhöht eine formale Anerkennung des ausländischen Abschlusses zudem die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Arbeitsmarkteinstiegs aus der Arbeitslosigkeit um 50 Prozent (Brussig et al., 2009). Neben transparenten Verfahren zur Aner-kennung von Abschlüssen sollten auch Weiterbildungsangebote geschaffen werden, damit eventuell fehlende Kompetenzen nachgeholt werden können.

Die Bundesregierung hat ein „Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen“ auf den Weg gebracht. Dieses Gesetz soll allen Zuwanderern mit ausländischen Abschlüssen unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status und ihrer Staatsangehörigkeit einen Zugang zu Anerkennungsverfahren ermöglichen (Bundesregierung, 2009). Zudem sollen bei festgestellten wesentlichen Un-terschieden zwischen dem deutschen Referenzberuf und einer ausländischen Qualifikation Weiterbildungsangebote zur Verfügung gestellt werden können.

Drittens ist es entscheidend, den Zugang von Alleinerziehenden zum Ar-beitsmarkt zu verbessern. Die Betreuungsinfrastruktur für Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren ist in Deutschland sehr gut ausgebaut. Durch den Rückgang der Kinderzahl dürften ohne finanzielle Mehrausgaben die Betreuungsmöglichkeiten im Jahr 2020 noch einmal deutlich besser ausfallen als heute. Ausbaube-darf besteht bei der Betreuung der Kinder im Alter unter drei Jahren, auch wenn in den vergangenen Jah-ren Fortschritte er-zielt werden konnten (Tabelle 10).

Betreuung von Kindern Tabelle 10 unter drei JahrenBetreuungsquote, in Prozent

2006 2007 2008 2009Westdeutschland ohne Berlin 8,0 9,9 12,0 14,4Ostdeutschland ohne Berlin 39,7 41,0 42,4 45,9Deutschland 13,6 15,5 18,7 20,2Quelle: Statistisches Bundesamt, verschiedene Jahrgänge

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Zugang zu mittleren Qualifikationen

Fragen der Untersuchung in Kapitel 4• Haben sich die Bildungschancen von Kindern aus bildungsfernen Schichten in den letzten Jahren

verbessert oder fallen diese Kinder weiter zurück (Abschnitt 4.1)?• Haben sich die Chancen von Migranten auf den Zugang zu Bildung verbessert oder ver schlechtert

(Abschnitt 4.2)?• Verringert die Teilnahme an frühkindlicher Bildung Unterschiede beim Zugang zu Bildung oder

verstärkt sie bestehende Differenzen (Abschnitt 4.3)?• Wirken sich institutionelle Regelungen im Bereich der schulischen Bildung wie Privatschulen

oder die frühe Trennung der Schüler positiv oder negativ auf die Chancengerechtigkeit aus (Abschnitt 4.4)?

• Reduziert die berufliche Bildung Unterschiede beim Zugang zu Bildung oder verstärkt die be-rufliche Bildung bestehende Unterschiede (Abschnitt 4.5)?

4.1 Sozioökonomischer Hintergrund Für mehr Bildungsgerechtigkeit ist es wichtig, dass der Zugang zu mitt leren

und höheren Qualifikationen verbessert wird. Als Kriterium für Bildungsge-rechtigkeit wurde festgehalten, dass diese steigt, wenn der Einfluss des sozio-ökonomischen Hintergrunds auf die Bildungsergebnisse sinkt und die Leistungen am unteren Ende der Verteilung sich verbessern, ohne dass am oberen Ende Verschlechterungen beim Zugang zu Bildung eintreten.

Seit dem PISA-Schock im Jahr 2000 hat sich das Kompetenzniveau der Schüler in Deutschland zwar signifikant verbessert (OECD, 2010a). Viele Studien zeigen aber, dass in Deutschland ein relativ enger Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Hintergrund der Kinder und deren Bil-dungserfolg besteht. Die Datenbasis für diese Analysen wurde vor allem durch die Schulleistungsstudien PISA (Programme for International Student Assessment), TIMSS (Trends in International Mathematics and Science Study) und IGLU (Internationale Grundschulleseuntersuchung) bereitgestellt.

Zum Beispiel führen Analysen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) auf Basis der PISA-Daten (Anger et al., 2006; 2007) zu dem Ergebnis, dass die Kompetenzen der Schüler in Deutschland vor allem vom familiären Hintergrund der Eltern beeinflusst werden. Kinder, deren Eltern einen hohen Bildungsstand haben oder in deren Haushalten die deutsche Sprache gespro-chen wird, weisen deutlich höhere Kompetenzen auf als Kinder, auf welche die genannten Merkmale nicht zutreffen. Auch die Anzahl der vorhandenen Bücher im Elternhaus wirkt signifikant positiv auf die Lernergebnisse der

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Schüler. Je mehr Bücher im Haushalt vorhanden sind und je bildungsnäher das Elternhaus damit annahmegemäß ist, desto höher sind die Kompetenzen der Kinder. Im Vergleich zu anderen Ländern fällt auf, dass der Einfluss des familiären Hintergrunds auf die Lernergebnisse der Kinder in Deutschland besonders groß ist. Der Einfluss eines ungünstigeren sozioökonomischen Umfelds wirkt sich in Deutschland beispielsweise stärker auf die Zahl der PISA-Punkte aus als im Nachbarland Niederlande (Anger et al., 2007). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Schütz/Wößmann (2005) auf Basis der TIMSS-Daten. Nach ihren Untersuchungen weist zum Beispiel Kanada wesentlich ausgeglichenere Bildungschancen für Kinder unterschiedlicher familiärer Herkunft auf, als dies in Deutschland und im Vereinigten König-reich der Fall ist.

Im Folgenden wird untersucht, wie sich dieser Zusammenhang in Deutsch-land im Zeitverlauf entwickelt hat. Als Datenbasis bietet sich die PISA-Untersuchung an, da inzwischen die Ergebnisse von vier Studien vorliegen (2000, 2003, 2006, 2009). Zwar ist dieser Zeitraum relativ kurz, um zeitliche Entwicklungen zu analysieren, aber es mangelt an einer besseren Datengrund-lage. In den PISA-Studien wird der Zusammenhang zwischen dem sozio-ökonomischen Hintergrund und den Kompetenzwerten in Lesen mithilfe eines Index des ökonomischen, sozialen und kulturellen Status (ESCS) ge-messen. Dabei wird der Zusammenhang zwischen dem ESCS und den Kom-petenzwerten untersucht, das heißt, es wird berechnet, wie viele Kompetenz-punkte eine Person mehr aufweist, wenn der ESCS um eine Einheit steigt. Des Weiteren wird ausgewiesen, welcher prozentuale Anteil an der Varianz der Bildungsleistungen auf den ESCS zurückgeführt werden kann. Die Er-gebnisse stellt Tabelle 11 am Beispiel der Lesekompetenz dar. Es werden dabei nur die Länder berücksichtigt, für die in allen vier Jahren entsprechende Werte vorliegen.

Die Gegenüberstellung der vier Werte zeigt, dass sich der Zusammenhang zwischen dem ESCS und den Kompetenzen der Schüler in Deutschland verbessert, das heißt gelockert hat. Während eine Steigerung des ESCS um eine Einheit im Jahr 2000 noch zu einer Zunahme der Lesekompetenzen um 59 Punkte führte, betrugen die entsprechenden Werte in den Jahren 2003 und 2006 bereits 48 beziehungsweise 47 Punkte und im Jahr 2009 nur noch 44 Punkte. Zwar konnten sich innerhalb dieses Zeitraums auch andere Länder verbessern. Dennoch ist Deutschland von einem der letzten Plätze ins Mit-telfeld vorgerückt. Als Grund für die Abnahme des Zusammenhangs zwischen sozioökonomischer Herkunft und Lesekompetenzen lässt sich anführen, dass

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vor allem Schülerinnen und Schüler aus schwächeren Leistungsgruppen ihre Kompetenzen von PISA-Erhebung zu PISA-Erhebung verbessern konnten (Klieme et al., 2010, 240).

Einen ähnlichen Befund ergibt die Varianzaufklärung, bei der man den Anteil der Unterschiede in den Schülerleistungen betrachtet, der auf den sozioökonomischen Hintergrund zurückgeführt werden kann (OECD, 2007, 131; 2010a, 167). Hier ist für Deutschland im Betrachtungszeitraum ebenfalls eine Verbesserung festzustellen. Im Jahr 2000 betrug der Anteil noch 23,6 Prozent und im Jahr 2009 bereits 17,9 Prozent. Allerdings lag der Wert im Jahr 2006 mit 15,9 Prozent noch niedriger.

Sozioökonomischer Hintergrund Tabelle 11 und Lesekompetenzenim internationalen Vergleich, Index des ökonomischen, sozialen und kulturellen Status (ESCS), Steigung des Gradienten

Land 2000 Land 2003 Land 2006 Land 2009Südkorea 24 Island 24 Island 24 Mexiko 25Island 27 Portugal 26 Spanien 27 Island 27Finnland 28 Finnland 30 Mexiko 28 Spanien 29Italien 30 Mexiko 32 Südkorea 28 Portugal 30Griechenland 32 Spanien 32 Finnland 29 Finnland 31Spanien 32 Südkorea 32 Italien 30 Italien 32Mexiko 33 Kanada 34 Dänemark 32 Südkorea 32Irland 34 Griechenland 34 Portugal 33 Kanada 32Kanada 37 Italien 37 Griechenland 34 Griechenland 34Schweden 37 Irland 39 Kanada 36 Dänemark 36Portugal 38 Dänemark 41 Schweden 36 Norwegen 36Norwegen 41 Schweden 41 Irland 38 Irland 39Dänemark 43 Australien 44 Norwegen 38 Polen 39Frankreich 43 Norwegen 44 Schweiz 39 Schweiz 40Österreich 44 Tschechien 44 Australien 41 Schweden 43Polen 44 Frankreich 45 Polen 42 Deutschland 44Neuseeland 46 Neuseeland 46 Ungarn 45 Australien 46Australien 50 Polen 46 Österreich 46 Tschechien 46Belgien 50 Schweiz 47 Deutschland 47 Belgien 47Schweiz 51 Deutschland 48 Belgien 48 Österreich 48Ungarn 57 Ungarn 48 Frankreich 48 Ungarn 48Deutschland 59 Belgien 54 Neuseeland 49 Frankreich 51Tschechien 60 Österreich 54 Tschechien 51 Neuseeland 52Quellen: OECD, 2007, 131; 2010a, 167

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Die Größe der PISA-Risikogruppe (Anteil der Jugendlichen, die nicht mindestens die Kompetenzstufe 2 erreichen) hat sich in Deutschland seit der ersten PISA-Studie verringert (OECD, 2010a). Im Jahr 2009 betrug Anteil der Risikogruppe in der Lesekompetenz 18,5 Prozent, in der Mathematik 18,6 Prozent und in den Naturwissenschaften 14,8 Prozent. In den vorherigen PISA-Untersuchungen war die Risikogruppe in allen drei Bereichen größer. Inzwischen schneidet Deutschland in Mathematik und den Naturwissen-schaften besser ab als der Länderdurchschnitt der Organisation für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Im Jahr 2009 lag der Anteil der Risikogruppe im OECD-Durchschnitt bei 18,8 Prozent (Lesen), 22 Prozent (Mathematik) und 18 Prozent (Naturwissenschaften).

Insgesamt besteht in Deutschland verglichen mit anderen Ländern zwar ein starker Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Herkunft und Bildungserfolg. Es gibt aber zumindest Hinweise darauf, dass die Stärke dieses Zusammenhangs in den letzten Jahren etwas abgenommen hat (Klieme et al., 2010, 241). Unterm Strich hat sich damit die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland zumindest seit dem Jahr 2000 verbessert. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Klein et al. (2010). Auf der Grundlage mehrerer repräsen-tativer Bevölkerungsumfragen und Mikrozensuserhebungen untersuchten die Autoren den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem Besuch des Gymnasiums für die Geburtsjahrgänge 1910 bis 1984. Sie stellten fest, dass Kinder mit einem schlechteren sozioökonomischen Hintergrund hin-sichtlich des Besuchs des Gymnasiums ihren Abstand zu Kindern mit einem besseren sozioökonomischen Hintergrund im Zeitverlauf vermindern konnten. Auch in jüngster Zeit war eine solche Reduktion der Unterschiede erkennbar.

4.2 MigrationshintergrundEin starker Zusammenhang lässt sich in Deutschland zwischen Bildungs-

erfolg und Migrationshintergrund feststellen. Zurzeit leben hierzulande rund 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. In der Altersgruppe von 25 bis 64 Jahren verfügen knapp vier von zehn Migranten über keine abge-schlossene Berufsausbildung. Die Bildungsarmut ist damit bei Migranten etwa viermal so hoch wie bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (Statistisches Bundesamt, 2009b; eigene Berechnungen). Die ungünstige Qualifikationsstruktur der Migrantenbevölkerung spiegelt sich auch am Arbeitsmarkt wider. Ihre Erwerbslosenquote war im Jahr 2009 mit 13 Prozent etwa doppelt so hoch wie die der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund

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(Statistisches Bundesamt, 2010b, 256). Auch wenn die Arbeitslosenquoten von Migranten und Nichtmigranten mit gleicher formaler Qualifikation ver-glichen werden, ergeben sich Unterschiede. Ein wesentlicher Grund für die höhere Arbeitslosigkeit der Migranten besteht in Sprachdefiziten. Bei gleichem Alter, Geschlecht und Qualifikationsniveau steigt das Arbeitslosigkeitsrisiko gegenüber anderen Migranten um 60 Prozent, wenn im Haushalt nicht Deutsch gesprochen wird (Anger et al., 2010a, 18).

Langfristig ist es deshalb entscheidend, möglichst viele junge Migranten während der Schulzeit besser zu fördern, damit diese die Ausbildungsreife erlangen. Die Probleme der Migranten beginnen nicht beim Übergang in die berufliche Bildung oder den Arbeitsmarkt, sondern bereits im Kindergarten und in der Schule. In den letzten Jahren haben sich erste kleine Erfolge in diesem Bereich eingestellt (OECD, 2010e, 164): So haben die Schüler mit ausländischen Wurzeln beim PISA-Test des Jahres 2009 deutlich aufholen können. Bei den Lesekompetenzen konnten sie sich seit dem Jahr 2000 um 32 Punkte verbessern. Bei der PISA-Untersuchung des Jahres 2000, in der die Lesekompetenzen wie 2009 im Mittelpunkt standen, lagen die Migranten-kinder in Deutschland mit 423 Punkten im Lesen noch weit unter der durch-schnittlichen Leistung von jungen Migranten in der OECD (460 Punkte). Im Jahr 2009 erreichten sie mit 455 Punkten praktisch den OECD-Durchschnitt von 458 Punkten.

Damit konnten junge Migranten in Deutschland den Abstand zu ihren einheimischen Mitschülern langsam verringern. Noch im Jahr 2000 lagen 84 Punkte zwischen den beiden Gruppen – ein Leistungsunterschied von mehreren Schuljahren. Heute ist die Leistungsdifferenz um 28 Punkte geringer. Die Leistungssteigerung ist damit als signifikant anzusehen (Klieme et al., 2010, 211). Nur in Belgien und der Schweiz sind die Verbesserungen noch dynamischer. Das Leistungsniveau der zugewanderten Schüler befindet sich jedoch in beiden Ländern auf einem niedrigeren Niveau als bei den Migranten-kindern in Deutschland.

Unverändert wichtig ist die von den Jugendlichen zu Hause gesprochene Sprache. Nach wie vor werden die Schulleistungen deutlich negativ beeinflusst, wenn in der Familie eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird. Aller-dings konnten auch hier zwischen den Jahren 2000 und 2009 Verbesserungen erzielt werden. Während die Differenz der Lesekompetenzen zwischen den Schülern, die zu Hause Deutsch sprechen, und denen, die zu Hause nicht Deutsch sprechen, im Jahr 2000 noch 114 Punkte betrug, reduzierte sich dieser Wert bis zum Jahr 2009 auf 58 Punkte (OECD, 2010e, 165).

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Auch bei einer multivariaten Analyse des Einflusses des Migrationshinter-grunds zeigen sich Verbesserungen. Das ergibt eine Regressionsrechnung auf Basis der PISA-Daten 2003 und 2009 mit Kontrollvariablen. Besonders bei den Lesekompetenzen der Schüler hat sich der Effekt des Migrationshinter-grunds ge messen an der im Haushalt gesprochenen Sprache deutlich abge-schwächt und mehr als halbiert (Tabelle 12). Auch bei den mathematischen Kompetenzen ist der Effekt des Migrationshintergrunds deutlich geringer als im Jahr 2003. Insgesamt haben sich damit die Bildungsergebnisse der Migranten seit dem Jahr 2000 signifikant verbessert. Ihr Abstand gegenüber den Nicht migranten ist gesunken, ohne dass Nichtmigranten sich verschlech-tert haben. Damit sind Fortschritte beim Ziel der Bildungsgerechtigkeit erreicht worden.

4.3 Frühkindliche BildungEs besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die frühkindliche Bildung

eine herausragende Bedeutung für spätere Bildungsperspektiven hat. Nicht zuletzt die Arbeiten von James Heckman (zum Beispiel Cunha/Heckman, 2007) belegen diesen Einfluss eindrucksvoll. Gerade bei Kindern aus bildungs-fernen Schichten hat frühkindliche Bildung erhebliche positive Effekte auf den Bildungsstand. Sie kann deshalb einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit leisten. In dem Modell von Cunha/Heckman können zwar auch Investitionen in spätere Nachqualifikationen zu positiven Effekten führen. Im Vergleich zu einer frühkindlichen Förderung sind hier jedoch etwa 35 Prozent höhere Kosten zu verzeichnen, wenn ähnliche Ergebnisse erzielt werden sollen. Diese höheren Kosten resultieren aus der dynamischen Komplementarität von

Entwicklung der Kompetenzen von jungen Migranten1 Tabelle 12

Einfluss von Migrationshintergrund und Kindergartenbesuch bei 15-Jährigen, in PISA-Punkten

Mathematik Naturwissen-schaften

Lesen

2003 2009 2003 2009 2003 2009Effekt des MigrationshintergrundsZu Hause wird Deutsch nicht gesprochen –32,5 –21,3 –47,5 –41,7 –51,9 –21,1Effekt des KindergartenbesuchsDer Kindergarten wurde länger als ein Jahr besucht 29,2 28,1 27,2 28,6 19,7 20,31 Nach Kontrolle des Effekts des Bildungshintergrunds der Eltern, des Migrationshintergrunds und weiterer Faktoren. Eigene Berechnungen auf Basis von PISA-Daten 2003 und 2009

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frühen Investitionen. Kenntnisse, die in einer Periode erzielt wurden, bleiben in späteren Perioden bestehen; das Wissen kumuliert also. Dynamische Komplementaritäten führen dazu, dass Wissen, das in einer Periode erworben wurde, die Produktivität von Bildungsinvestitionen in späteren Perioden erhöht. Bei der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Deutschland ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es sich in den US-amerikanischen Untersuchungen um Maßnahmen handelt, die speziell auf Kinder aus schwierigem Umfeld zugeschnitten sind und vor dem Kindergartenalter ansetzen. US-Studien, die Wirkungen auf Kinder im Kindergartenalter untersuchen, zeigen ebenso Effekte bei Kindern aus sozioökonomisch schwachen Schichten (Fitzpatrick, 2008; Gormley et al., 2008). Restuccia/Urrutia (2004) kommen zu dem Er-gebnis, dass ein stärkeres staatliches Engagement im frühkindlichen Bereich das Kompetenzniveau und die formale Bildung gerade von Kindern aus bildungsfernen Haushalten erhöht. Ein Grund dafür ist, dass diese sozial schwachen Haushalte Budgetrestriktionen haben, die es ihnen nicht ermög-lichen, genügend Ressourcen in die Bildung der Kinder zu inves tieren. Die Autoren befinden ebenfalls, dass es lohnender ist, zusätzliche Ressourcen in die frühe Bildung zu investieren statt in spätere Bildungsgänge (Restuccia/Urrutia, 2004, 1365 ff.). All diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder abhängig von ihrem Elternhaus unterschiedliche Startchancen für ihre Bil-dungskarriere erhalten.

Eine Studie von Fritschi/Oesch (2008) hat die langfristigen Bildungseffekte bei Krippenkindern in Deutschland untersucht. Hierbei wurde der zusätzliche Nutzen eines Krippenbesuchs ermittelt, indem analysiert wurde, welchen Einfluss der Besuch einer Krippe auf die später besuchte Schulform in der Sekundarstufe I hat. Zu diesem Zweck haben die Autoren anhand von Daten des SOEP die Bildungswege von in Deutschland geborenen Kindern der Geburtsjahrgänge 1990 bis 1995 betrachtet. Für Kinder mit Migrations-hintergrund und Kinder, deren Eltern lediglich einen Hauptschulabschluss haben, erhöht sich demnach durch einen Krippenplatz die Wahrscheinlichkeit eines Gymnasiumbesuchs um knapp 10 Prozentpunkte auf 26,8 Prozent (Migranten) und 20,4 Prozent (Eltern mit Hauptschulabschluss). Betrachtet man die relative Verbesserung, die sich aus einem Krippenbesuch ergibt, profi tieren besonders Kinder aus benachteiligten Familien von einer Teil-nahme an frühkindlicher Bildung. Einschränkend ist hinzuzufügen, dass nicht beob achtbare Unterschiede der Eltern einen Teil des Effekts erklären könnten. So ist es möglich, dass bei gleicher formaler Qualifikation beste-hende Unterschiede der Bildungsorientierung der Eltern (Self Selection) zu

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einer unterschiedlichen Wahrscheinlichkeit des Besuchs einer Kindertages-stätte für unter Dreijährige führt.

Die Langzeiteffekte eines Kindergartenbesuchs haben Spieß et al. (2003) untersucht. Sie analysierten anhand von SOEP-Daten den Zusammenhang zwischen dem Besuch eines Kindergartens und der Schulform in der 7. Klas-se unter Schülern in Westdeutschland. Demnach sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind mit Migrationshintergrund auf eine Hauptschule geht, von 71,7 auf 45,8 Prozent, wenn es einen Kindergarten besucht hat. Bei deutschen Kindern sinkt dieser Wert um 13,4 Prozentpunkte. Spieß et al. (2003) führen die Ergebnisse auf Folgendes zurück: Die Krippe bilde ebenso wie auch der Kindergarten für viele ausländische Kinder den ersten Berührungspunkt mit der deutschen Kultur. Entscheidend sei die Aneignung der deutschen Sprache, die als Grundlage kultureller und gesellschaftlicher Integration dient. Da in vielen Migrantenhaushalten die Muttersprache anstelle der deutschen Sprache gesprochen wird, ergebe sich ein wichtiger Beitrag der frühkindlichen Bildungs einrichtungen zur Eingliederung in die deutsche Gesellschaft.

Schütz/Wößmann (2005) zeigen, dass der Effekt des familiären Hinter-grunds auf die Kompetenzen der Kinder durch den Besuch einer frühkind-lichen Bildungseinrichtung reduziert wird, wenn mehr als 60 Prozent der Kinder eines Jahrgangs eine solche Einrichtung besuchen. Ist die Quote ge-ringer, vergrößert sich hingegen der Effekt des familiären Hintergrunds. Dann werden nämlich vor allem Kinder aus bildungsnahen Haushalten frühkind-lich gefördert, wodurch deren Vorsprung gegenüber anderen Kindern steigt. Wird die Besuchsquote von 60 Prozent auf 100 Prozent erhöht, reduziert sich der Effekt des familiären Hintergrunds um ein Fünftel.

Der positive Effekt der frühkindlichen Bildung hängt wiederum stark von der Qualität der Einrichtung ab. Die Qualität lässt sich daran messen, wie stark der Koeffizient des Besuchs einer frühkindlichen Einrichtung – das heißt der positive Einfluss auf die Bildungskarriere – ist. Im internationalen Vergleich bestehen bedeutsame Unterschiede (Schlotter/Wößmann, 2010). Um die Entwicklung der Qualität zu überprüfen, wird in Tabelle 12 (vgl. Abschnitt 4.2) betrachtet, wie sich der Koeffizient der frühkindlichen Bildung in Deutschland entwickelt hat. Hierzu wird auf die PISA-Daten aus den Jahren 2003 und 2009 zurückgegriffen, denn in diesen beiden Erhebungen wurde der Besuch eines Kindergartens ermittelt. Der Effekt eines längeren Kindergartenbesuchs auf die Schülerkompetenzen hatte im Jahr 2003 und 2009 in etwa dieselbe Stärke – das spricht für eine gleich gebliebene Qualität der Betreuungseinrichtungen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die PISA-

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Kinder des Jahres 2009 ungefähr von 1997 bis 2000 den Kindergarten besucht hatten. In diesem Zeitraum wurde zwar die Kindergartenbetreuung quan-titativ ausgebaut. Die qualitativen Reformen, die zu einer Erhöhung des Effekts beitragen könnten, wurden aber erst später – nach dem ersten PISA-Schock – initiiert. So sind in den letzten Jahren in den Bundesländern Sprach-standserhebungen und Sprachförderprogramme konzipiert und eingeführt worden. Ferner wurden Bildungspläne entwickelt. Daher ist zu erwarten, dass der positive Effekt eines Kindergartenbesuchs in den kommenden Jahren zunehmen dürfte.

Obwohl also viele Studien belegen, dass eine frühkindliche Förderung vor allem Kindern aus sozial schwachen Familien zugutekommt, gehen in Deutschland gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten seltener in einen Kindergarten als andere. Sie profitieren folglich weniger vom Nutzen des Kindergartenbesuchs. So haben von den befragten Schülern des PISA-Tests 2009 rund 10,8 Prozent der Schüler, deren Mütter über keinen Bildungsab-schluss verfügen, nicht den Kindergarten besucht (Tabelle 13). Bei den Kindern, deren Mütter einen tertiären Bildungsabschluss haben, waren es dagegen nur 3,2 Prozent. Zwischen den Jahren 2003 und 2009 lässt sich aber

Kindergartenbesuch nach Bildungsabschluss Tabelle 13 der Mutter und Migrationshintergrundin Prozent

Jahr Kindergartenbesuchkeiner höchstens ein Jahr länger als ein Jahr

Höchster Bildungsabschluss der MutterKein Abschluss 2003 12,4 23,2 64,4

2009 10,8 21,5 67,7Haupt- oder Realschulabschluss 2003 6,8 17,2 76,1

2009 6,2 13,6 80,2Beruflicher Abschluss oder Abitur 2003 2,7 9,9 87,5

2009 3,6 8,8 87,7Hochschul- oder Meister-/Technikerabschluss

2003 3,1 10,5 86,42009 3,2 11,1 88,9

MigrationshintergrundZu Hause wird nicht Deutsch gesprochen

2003 17,2 23,8 59,02009 12,8 16,4 70,8

Zu Hause wird Deutsch gesprochen 2003 3,2 11,6 85,32009 3,5 9,2 87,3

Eigene Berechnungen auf Basis von PISA-Daten 2003 und 2009

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eine leichte Tendenz dahingehend feststellen, dass Kinder, deren Mütter einen geringen Bildungsstand aufweisen, den Kindergarten nun länger besuchen. So ist der Anteil der Kinder, die den Kindergarten mehr als ein Jahr besucht haben und deren Mütter über keinen Abschluss verfügen, von 64,4 auf 67,7 Prozent gestiegen. Bei den Kindern, deren Mütter einen Haupt- oder Realschulabschluss haben, hat der Anteil derjenigen, die länger als ein Jahr im Kindergarten waren, von 76,1 auf 80,2 Prozent zugenommen.

Noch deutlicher sind die Verbesserungen, wenn der Kindergartenbesuch in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund betrachtet wird. Während von den befragten Kindern, die zu Hause nicht Deutsch sprechen, im Jahr 2003 noch 17,2 Prozent angaben, nicht im Kindergarten gewesen zu sein, waren es im Jahr 2009 lediglich 12,8 Prozent. Gleichzeitig ist der Anteil der Kinder aus dieser Gruppe, die den Kindergarten länger als ein Jahr lang besucht haben, um mehr als 10 Prozentpunkte gestiegen.

4.4 Privatschulen und Übergang auf die Sekundarstufe IWird über die Gerechtigkeit des Bildungssystems debattiert, stehen Rege-

lungen im Bereich der schulischen Bildung häufig im Mittelpunkt der Dis-kussion. Im Folgenden wird die Rolle untersucht, die Privatschulen und die Schulstruktur auf die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland haben.

PrivatschulenLaut amtlicher Schulstatistik waren im Jahr 2009 mehr als 700.000 Schüle-

r innen und Schüler an einer allgemeinbildenden Schule in freier Trägerschaft angemeldet. Sowohl die Zahl der Privatschulen, die Zahl der Klassen an Privatschulen als auch die entsprechenden Schülerzahlen haben im Zeitverlauf deutlich zugenommen. Die Schülerzahlen an staatlichen Schulen entwickeln sich dagegen seit dem Jahr 2000 rückläufig. Trotzdem ist der Anteil der pri-vaten Schulen in Deutschland im internationalen Vergleich immer noch gering (Tabelle 14).

Haben die Privatschulen im Hinblick auf die Bildungsgerechtigkeit positive Auswirkungen oder drohen eher negative Folgen, weil sie möglicherweise zu einer stärkeren sozialen Selektion beitragen? Der erste qualitative Vergleich der Schülerleistungen an staatlichen und privaten (katholischen und evange-lischen) Schulen in Nordrhein-Westfalen (Dronkers/Hemsing, 1999) ergab, dass bei Kontrolle verschiedener Variablen Schüler an konfessionellen Schulen besser abschneiden als an staatlichen. Dronkers et al. (1999; 2002) gelangen zwar zu dem Ergebnis, dass bei unterschiedlichem familiären Hintergrund

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die Leistungsunterschiede in Mathematik und Naturwissenschaften von 13- und 14-jährigen Schülern beider Schulformen nicht signifikant sind. Allerdings fällt die Leistungsstreuung an Privatschulen geringer aus, wenn auch nicht signifikant. Statistisch signifikant sind aber bessere Leistungen im Fach Englisch von Privatschülern sowie die gemessenen Unterschiede bei der verbalen und figuralen Intelligenz. Privatschulen sind – so interpretieren es die Autoren – erfolgreicher darin, eine Lernumgebung zu schaffen, welche

Privatschulbesuch im internationalen Vergleich Tabelle 14

Schüler im Jahr 2008, in Prozent

Primarstufe Sekundarstufe I Sekundarstufe II Schulstufen insgesamtBelgien 54,1 60,1 56,6 56,3Spanien 31,4 32,1 22,2 29,9Australien 30,3 33,8 23,1 29,3Frankreich 15,0 21,8 31,3 21,5Vereinigtes Kgr. 5,0 16,0 43,8 20,4Südkorea 1,4 18,5 46,5 17,3Neuseeland 12,4 17,0 23,8 17,2Portugal 11,2 17,6 22,5 16,0Dänemark 13,3 25,5 2,3 13,4Luxemburg 7,8 19,6 15,8 13,0Ungarn 7,9 8,7 19,3 12,6Mexiko 8,2 13,6 19,2 11,4Japan 1,1 7,1 30,8 10,2Schweden 7,3 9,5 12,9 9,7USA 9,7 8,9 8,6 9,2Slowakei 5,5 6,3 12,8 8,4Österreich 5,5 8,5 10,6 8,3Deutschland 3,6 8,5 8,9 7,2Finnland 1,4 4,3 13,9 6,9Griechenland 7,1 5,6 5,0 6,1Tschechien 1,3 2,4 13,9 6,1Italien 6,9 4,0 6,1 5,9Schweiz 4,2 7,7 6,8 5,9Kanada 5,8 5,8 5,8 5,8Polen 2,3 3,4 11,2 5,5Island 1,8 0,9 12,2 5,4Norwegen 2,2 3,1 9,4 4,4Irland 0,6 0,0 1,6 0,6Eigene Berechnungen auf Basis von OECD, 2011

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die kognitive Entwicklung der Schüler fördert und schlechte Lernleistungen vermeiden hilft. Dies wird als Hinweis auf eine höhere Effektivität von Privat-schulen gewertet (Klein, 2007, 56). Weiß (2011) zieht hingegen den Schluss, dass in Deutschland Privatschulen bei Kontrolle der Zusammensetzung der Schülerschaft nicht zu besseren Ergebnissen kommen, sondern von Peer-Effekten profitieren. Solche Effekte liegen vor, wenn die Lernfortschritte eines Schülers von dessen Mitschülern abhängen. Gute Mitschüler zu haben, führt demnach zu besseren Lernergebnissen.

Die internationale Bildungsforschung geht seit der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie der Frage nach, in welchem Zusammenhang schulinsti-tutionelle Regelungen – zu denen auch die Schulträgerschaft zählt – mit den Schülerleistungen stehen. Nach bisherigen Ergebnissen schneiden die Schüler von Privatschulen im Durchschnitt besser ab (OECD, 2010d, 224 f.). Bei der PISA-Studie 2009 lagen die Privatschulen bei der Lesekompetenz im OECD-Durchschnitt um 30 Punkte vor den staatlichen Schulen. In Deutschland fiel der Abstand jedoch geringer aus, er betrug 18 Punkte.

Bei der Interpretation dieser Zahlen muss berücksichtigt werden, dass bereits die Schulwahl von vielen Faktoren beeinflusst wird und sich damit die Schüler in wesentlichen, die Leistung erklärenden Faktoren unterscheiden. Dennoch haben Privatschulen Wößmann (2007) zufolge positive Effekte auf die Qualität des Unterrichts. Wößmann (2008) zeigt überdies, dass Privat-schulen über eine Zunahme des Wettbewerbs die Qualität besonders dann stark positiv beeinflussen, wenn die Schulen zu einem hohen Anteil staatlich finanziert werden. In diesem Fall können private Schulträger eine Verbesserung der Ziele Qualität und Gerechtigkeit erreichen. Weiß (2011) betont hingegen, dass in Deutschland Privatschulen zu einer sozialen Segregation führen.

Stimmt man der Segregationsthese zu, so wäre die Ursache der Segrega-tion jedoch darin zu suchen, dass bei der aktuellen staatlichen Finanzierungs-praxis in Deutschland die Bundesländer die freien Träger mit geringeren öffentlichen Mitteln ausstatten als die öffentlichen Schulen und damit den Privatschulen ein betriebswirtschaftliches Kalkül aufbürden, dem die staat-lichen Schulen nicht unterworfen sind. Als Beispiel sei hier auf die Regelungen des Landes Hessen eingegangen. Die Privatschulen in Hessen, die bis zum Jahr 2002 im Sinne des Ersatzschulfördergesetzes bestätigt wurden, erhalten von der Landesregierung einen schulformspezifischen Regelsatz nebst Zu-satzbeihilfe. Die staatlichen Zuwendungen liegen nach Berechnungen von Klein/Plünnecke (2010) auf Basis von Eisinger et al. (2004) jedoch um jähr-lich 1.789 Euro pro Kopf unter den Ausgaben, die das Land für einen Schüler

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an einer staatlichen Schule tätigt. Privatschulen, die nach dem 1. Januar 2002 anerkannt worden sind, müssen eine noch größere Deckungslücke schließen – nämlich 2.579 Euro je Schüler und Jahr.

Die geringere öffentliche Mittelausstattung der freien Schulträger führt dazu, dass diese – um kostendeckend und erfolgreich arbeiten zu können – auf Schulgeld der Eltern zurückgreifen müssen. Ein solches Schulgeld kollidiert zumindest teilweise mit dem verfassungsrechtlich garantierten Sonderungsverbot (Klein/Plünnecke, 2010). Damit bewirkt nicht die Privat-schule an sich eine Segregation, sondern deren häufig geringere Ausstattung mit öffentlichen Mitteln. Das bestätigt die oben dargestellten Ergebnisse von Wößmann (2008): Privatschulen haben dann positive Effekte, wenn sie zu einem hohen Anteil öffentlich und nicht privat finanziert werden.

Weitere Effekte für mehr Gerechtigkeit entstehen durch Autonomie der Schulen und Transparenz der Bildungsergebnisse. Verbindet man die Schul-autonomie mit einer Überprüfung der Lernergebnisse in Form von zentralen Abschlussprüfungen oder standardisierten Tests an staatlichen Schulen, so entsteht eine gewisse Transparenz über die Ergebnisse der Entscheidungen der Schulverantwortlichen und Lehrer. Eine regelmäßige und nachvollzieh-bare Rechenschaftslegung (interne und externe Evaluation) jeder Schule gegenüber der Öffentlichkeit, ob und inwieweit die vorgegebenen Bildungs-standards realisiert wurden, ist komplementär zur Autonomie und erhöht die Kompetenzen der Schüler (Wößmann, 2004, 6 f.; 2005, 14; Anger et al., 2006). Auch ziel- und leistungsorientierte Vergütungssysteme für Lehrer haben positive Effekte auf die Lernergebnisse von Schülern (Cooper/Cohn, 1997; Ladd, 1999). Zur Qualitätssteigerung ist folglich eine Kombination von Schulautonomie und Vergleichsarbeiten erforderlich. Der Effekt von stan-dardisierten Vergleichsarbeiten und Schulautonomie ist von der OECD auf Basis des PISA-Datensatzes ermittelt worden. Werden Vergleichsarbeiten und Schulautonomie gemeinsam verankert, so können erhebliche Kompetenz-zuwächse bei den Schülern erzielt werden.

SchulstrukturIn einer international vergleichenden Studie zeigen Hanushek/Wößmann

(2006) anhand von IGLU- und PISA-Daten, dass in Ländern, die Schüler in der Sekundarstufe I auf verschiedene Schulformen aufteilen, die Streuung der schulischen Leistungen zwischen Primarstufe und Sekundarstufe I zu-nimmt. In Deutschland ist dieser Effekt dabei stärker als in allen anderen Ländern der Studie. Im Gegensatz dazu reduziert sich die Streuung, also die

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Ungleichheit zwischen den Kompetenzen der Schüler, in den Ländern, die keine oder eine sehr späte Trennung der Schüler vornehmen. Dies könnte darauf hindeuten, dass das sogenannte Tracking – die Aufteilung von Schülern in der Sekundarstufe I nach ihren Leistungen oder Fähigkeiten – Ungleich-heiten schulischer Leistungen verstärkt. Ökonometrische Berechnungen bestätigen diese Hypothese.

In Deutschland werden Schüler deutlich früher auf verschiedene Schul-formen aufgeteilt als in anderen Ländern. Im Allgemeinen findet diese Trennung im Alter von zehn Jahren statt (Wößmann, 2009). Dass besonders Schüler aus ungünstigen sozioökonomischen Elternhäusern, zu denen in vielen Fällen auch Schüler mit Migrationshintergrund zählen, von einer späteren Einteilung auf verschiedene Schulformen profitieren, belegen Wößmann et al. (2009) in einer Studie über 27 Länder. Durch späteres Tracking nehmen die erzielten PISA-Punkte der Schüler mit niedrigem sozioökono-mischen Status zu. Sie erreichen eine um 21,7 Punkte höhere Kompetenz. Bei Schülern mit höherem sozioökonomischen Hintergrund bewirkt das spätere Tracking hingegen keinen signifikanten Unterschied (Schütz et al., 2008).

Die genannten Studien (siehe auch Brunello/Checchi, 2007) weisen nach, dass eine spätere Aufteilung der Schüler auf verschiedene Schulformen sinn-voll sein kann, weil dies die Chancengleichheit erhöht und die Streuung der schulischen Leistungen verringert. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass Eltern mit geringer Bildung ihre Kinder vorzugsweise auf die Schulformen schicken, die nur niedrige Bildungsabschlüsse ermöglichen (Dustmann, 2004). Eine Untersuchung von Weber (2006) belegt zudem, dass eine spätere Auf-teilung auf Schulformen einen positiven Einfluss auf die Lesekompetenz der Schüler mit Migrationshintergrund hat.

Ein Problem der frühen Trennung entsteht durch den Stichtag der Einschu-lung. Im Frühjahr geborene Kinder haben signifikant schlechtere Chancen, auf ein Gymnasium zu gehen (Schneider/Jürges, 2006). Dieser Startnachteilseffekt wirkt sich nicht nur beim Geburtsdatum aus, sondern bei Migranten auch unabhängig vom Geburtsdatum, besonders wenn diese sprachlich bedingte Startnachteile in der Schule haben, die bei früher Trennung die Wahrschein-lichkeit senken, ein Gymnasium oder eine Realschule zu besuchen. Problema-tisch bei früher Trennung sind die Übergangsempfehlungen der Lehrer. Studien über die IGLU-Daten haben festgestellt, dass bei gleichen Kompetenzen Schüler aus bildungsfernen Haushalten seltener eine Empfehlung zum Gymnasium erhalten als andere. Damit werden an dieser Stelle die prozedurale Gerechtig-keit und die Chancengerechtigkeit verletzt (Aktionsrat Bildung, 2007).

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Neben den Unterschieden beim Zeitpunkt der Aufteilung der Schüler weisen die Bundesländer auch unterschiedlich viele Schulformen auf. Die Chancengleichheit ist aber umso höher, je weniger Schulformen es gibt (Wößmann, 2007). Für Schüler aus benachteiligten Verhältnissen bedeutet ein System mit nur wenigen Schulformen eine signifikante Erhöhung der Bildungschancen. Die Einführung von Gesamtschulen führt laut Wößmann (2007) jedoch nicht zu einer signifikanten Verbesserung der Bildungschancen und hat keinen signifikant positiven Effekt auf die Bildungsergebnisse.

Die bisherigen Erfahrungen in Deutschland mit Gesamtschulsystemen sprechen nicht für eine Überlegenheit von Gesamtschulen. Das belegt die BIJU-Studie (Bildungsprozesse und psychosoziale Entwicklung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter), die einen Entwicklungszeitraum von vier Jahren in den Blick nahm und Lernzuwächse ermittelte. Die stärksten Leistungszuwächse werden demnach auf dem Gymnasium erreicht, gefolgt von der Realschule, der Gesamtschule und schließlich der Hauptschule (Baumert/Köller, 1998). Gesamtschulen führen damit im Rahmen des in dieser Studie formulierten Gerechtigkeitskonzepts nicht zu überlegenen Ergebnissen.

Untersuchungen zum Übergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen in Deutschland (Maaz et al., 2010) differenzieren zwischen primären und sekundären Herkunftseffekten. Primäre Effekte beziehen sich auf die Kompetenzentwicklung der Schüler und beschreiben den Einfluss der sozialen Herkunft auf die Leistung der Schüler. Sekundäre Effekte wirken sich unab-hängig von der Leistung auf die Benotung, Übergangsempfehlung und den tatsächlichen Übergang aus und verletzen damit das Kriterium der Leistungs-gerechtigkeit. Maaz/Nagy (2010) belegen, dass die soziale Herkunft einen großen Einfluss auf die Bewertung, Empfehlung und den Übergang hat. Bei der Leistungsbewertung eines Schülers dominiert der primäre Effekt, bei der Empfehlung sind beide Effekte etwa gleich groß, beim Übergang überwiegt der sekundäre Effekt. Der sekundäre Effekt entsteht zur Hälfte durch die Übergangsentscheidung der Eltern. Weitere Einflüsse resultieren aus sozial-schichtabhängigen Lehrerurteilen. Bei der Schulformwahl der Eltern spielen finanzielle Erwägungen der Eltern eine geringe Rolle (Jonkmann et al., 2010). Entscheidend sind Unterschiede der Eltern in den Erwartungen, Werten und Überzeugungen. Die Erwartungen der Eltern bezüglich des Erfolgs des Kindes und die Wertschätzung einer Gymnasialbildung haben eine große Bedeutung für die Schulwahl und korrelieren ihrerseits mit dem sozioökonomischen Hintergrund. Zur Reduzierung der sekundären Effekte schlagen Maaz/Nagy

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(2010) vor, den Einfluss des sozioökonomischen Hintergrunds auf die Lehrer-urteile zu verringern, das Entscheidungskalkül der Eltern zu beeinflussen und den Einfluss der Eltern im Übergangsprozess zu vermindern.

4.5 Berufliche BildungDie berufliche Bildung bietet wichtige Optionen beim Zugang zu mittleren

und höheren Qualifikationen. Bei der Betrachtung der Selektivität des deut-schen Bildungssystems und der damit verbundenen Effekte auf die Streuung der Kompetenzen wird häufig nur der Übergang vom Primar- zum Sekundar-bereich untersucht. Ein zweiter wesentlicher Effekt tritt jedoch gegen Ende des Sekundarbereichs I auf. Deutschland, Österreich und die Schweiz weisen im internationalen Vergleich mit dem dualen System die Besonderheit eines ausgebauten beruflichen Bildungssystems auf. Im Folgenden wird untersucht, ob Bildungsarmutsprobleme, welche die PISA-Studien diagnostiziert haben, in diesen Ländern besser als im internationalen Vergleich in den folgenden Bildungsphasen reduziert werden.

Im Vergleich zu der Risikogruppe in der 15-jährigen Bevölkerung gibt es in Deutschland, Österreich und der Schweiz unter der 25- bis 34-jährigen Bevölkerung eine relativ geringe Bildungsarmut, gemessen an den formalen Abschlüssen (Tabelle 15). Die sich an den Sekundarbereich I anschließenden Bildungsphasen verringern somit erfolgreich den Anteil der bildungsarmen Jugendlichen. Gleichzeitig gelingt es den jungen Menschen vergleichsweise

Bildungsarmut und Jugendarbeitslosigkeit Tabelle 15 im internationalen Vergleichin Prozent

Deutschland Österreich Schweiz OECD- Durchschnitt

Lesen: Anteil PISA-Schüler unter Kompetenzstufe 2 (Risikogruppe), 2009 18,5 27,5 16,9 18,8Anteil der 25- bis 34-Jährigen ohne Sek-II-Abschluss, 2008 15,0 19,0 13,0 29,0Jugendarbeitslosigkeit (Arbeitslosigkeit der 15- bis 24-Jährigen), 2009 11,0 10,0 8,2 16,4Arbeitslosigkeit der 25- bis 54-Jährigen, 2009 7,3 4,2 3,7 7,3Differenz Jugendarbeitslosigkeit und Arbeitslosigkeit der 25- bis 54-Jährigen, in Prozentpunkten 3,7 5,8 4,5 9,1Sek: Sekundarstufe.Quellen: OECD, 2010a, 194; 2010b, 38; 2010c, 274 ff.

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gut, sich in den Arbeitsmarkt einzufädeln. Die Jugendarbeitslosigkeit ist nur in geringem Maße höher als die Arbeitslosigkeit der 25- bis 54-Jährigen. Wäh-rend in der OECD im Jahr 2009 die durchschnittliche Jugendarbeits losenquote 16,4 Prozent betrug, lag die Jugendarbeitslosenquote in Deutschland bei 11 Prozent, in Österreich bei 10 Prozent und in der Schweiz bei 8,2 Prozent.

Anger/Plünnecke (2009) zeigen ferner, dass im Unterschied zu den Unter-suchungsergebnissen von Cascio et al. (2008) in Deutschland hohe Kompe-tenzzuwächse im Lebenslauf auch außerhalb des Hochschulbereichs entste-hen. Folglich ermöglicht dies die Berufsausbildung in Deutschland. Neben der Entwicklung hoher Kompetenzen weist das berufliche Bildungssystem auch durch formale Abschlüsse den Zugang zu bestimmten Berufen zu. Personen mit einer formal mittleren Qualifikation, also vorrangig die beruf-lich Qualifizierten, weisen hierzulande in großer Anzahl sehr hohe Kompe-tenzen auf. Das belegen Analysen auf Basis von Kompetenzerhebungen (Anger/Plünnecke, 2009). Daher ist es dieser Gruppe möglich, mit relativ geringem Aufwand auch einen akademischen Abschluss zu erwerben. Somit existiert ein großes Reservoir an potenziellen Studienanfängern für die Hoch-schulen in Deutschland (Anger/Plünnecke, 2009).

Im Sinne der Bildungsgerechtigkeit ist es wichtig, dass Personen mit einer beruflichen Ausbildung der Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen eröffnet wird. Das würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass diese Personen in die hohen Einkommensklassen aufsteigen. Die deutsche Bildungspolitik hat seit dem Jahr 2000 erhebliche Verbesserungen beim Ziel der Höherqualifizierung erreicht – vor allem aufgrund der Fortschritte an der Schnittstelle zwischen beruflicher und akademischer Bildung. Beispielsweise nahm das Angebot dualer Studiengänge merklich zu. Die Studienberechtigtenquote wächst. Besonders an beruflichen Schulen stieg die Zahl der Absolventen mit Studien-berechtigung an (Abbildung 4).

Sehr erfolgreich sind in diesem Zusammenhang die beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg. Diesen Einrichtungen gelingt es, Schüler mit weniger sozial begünstigtem Hintergrund zur Hochschulreife zu führen. Dies belegen Trautwein/Maaz (2010) anhand von Daten der TOSCA-Studien (Transfor-mation des Sekundarschulsystems und akademische Karrieren). Damit werden Benachteiligungen reduziert, die aus der unterschiedlich ausgeprägten Bildungsaspiration verschiedener Schichten entstehen (sogenannte sekundäre Effekte zur Erklärung sozialer Disparitäten). Die Autoren verdeutlichen ferner, dass gerade Migranten bei Kontrolle der Leistung bei beruflichen Gymnasien eine höhere Chance auf einen Übertritt zur gymnasialen Ober-

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Quellen: Statistisches Bundesamt, 2010f; 2010g

Allgemeinbildende Schulen Berufliche Schulen

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

Studienberechtigtenquote Abbildung 4

an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen, in Prozent

05

101520253035404550

stufe haben. Berufliche Gymnasien sind demnach sehr gut in der Lage, eventuell entstandene Übergangsprobleme zwischen Primarstufe und Sekun-darstufe I in späteren Bildungsphasen zu heilen.

4.6 HandlungsempfehlungenSeit dem Schock der ersten PISA-Erhebung aus dem Jahr 2000 haben sich

wichtige gerechtigkeitsrelevante Aspekte beim Zugang zu Bildung verbessert. Der Effekt des sozioökonomischen Hintergrunds der Familien auf die Kom-petenzen der Schüler ist von PISA 2000 bis PISA 2009 gesunken, die Risiko-gruppe an Schülern hat sich verringert und das Durchschnittsniveau an Kompetenzen ist signifikant gestiegen. Damit konnten die Schüler am unteren Ende der Kompetenzverteilung zulegen und ihren Abstand zum oberen Ende reduzieren, ohne dass dort die Leistungen zurückgegangen sind. Ähnliches ist auch bei den Migranten zu beobachten: Die Risikogruppe ist kleiner geworden, der Abstand zu den Nichtmigranten hat abgenommen, wobei letztere selbst auch höhere Kompetenzen erreichen konnten. Die Ergebnisse von PISA 2009 demonstrieren aber weiterhin Verbesserungsbedarf. Da der Höherqualifizierungstrend am Arbeitsmarkt anhalten dürfte, wird es aus ökonomischer Sicht immer wichtiger, die Bildungsarmut zu reduzieren. Daher sollte der seit dem PISA-2000-Schock beschrittene Reformweg konsequent fortgeführt und intensiviert werden. Dabei stellt der steigende Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund eine besondere Herausforderung dar.

Die frühkindliche Bildung hat gerade bei Kindern aus bildungsfernen Schichten stark positive Wirkungen auf die Entwicklung. Damit hat die frühkindliche Bildung das Potenzial, Schwächere zu fördern, den Abstand

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zu Stärkeren zu verringern und gleichzeitig auch die Stärkeren zu fördern. Der Bildungsgerechtigkeit kann damit auf effiziente Weise gedient werden. Daher ist es wichtig, dass möglichst viele Migrantenkinder einen Kindergar-ten besuchen. Empirisch zeigt sich in den letzten Jahren erfreulicherweise eine Verbesserung bei der Teilnahme von Migrantenkindern und Kindern aus bildungsfernen Schichten. Damit kann die frühkindliche Bildung besser als noch vor wenigen Jahren zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen. Diese Wirkung dürfte sich in den kommenden Jahren noch erhöhen, da qualitäts-bezogene Reformen – zum Beispiel Bildungspläne sowie Sprachstandserhe-bungen und Sprachförderung – erst in den letzten Jahren umgesetzt wurden.

Um alle Kinder schon vor der Schule besser zu fördern, sollten verbindliche und bundesweit geltende Standards für den Kindergartenbereich festgelegt werden. Diese machen Vorgaben über die Inhalte der Bildung im Kinder-garten und legen Kompetenzen fest, über die Kinder in einem bestimmten Alter verfügen sollten. Anhand einer Evaluation der Einrichtungen sollte sichergestellt werden, dass die vereinbarten Standards auch eingehalten werden. Dadurch würden eine Mindestqualität der Kindertageseinrichtungen gewährleistet und Qualitätsunterschiede zwischen den Einrichtungen redu-ziert. Der stärkere Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen und die individuellere Förderung der Kinder führen zu höheren Anforderungen an die Beschäftigten, die entsprechend zu qualifizieren sind. Im internationalen Vergleich weisen die Erzieherinnen und Erzieher in Deutschland bislang ein relativ geringes Qualifikationsniveau auf.

Ein besonderer Schwerpunkt sollte auf der frühzeitigen Sprachförderung liegen. Die Entwicklung basaler kognitiver Fähigkeiten für die Sprachaneig-nung und der Erwerb erster sprachlicher Strukturen finden im Wesentlichen bis zum Ende des dritten Lebensjahres statt. Darum empfiehlt sich eine Be-obachtung und Förderung der Sprachentwicklung bei allen Kindern in diesem Zeitfenster, um eine Herausbildung von Sprachdefiziten zu vermeiden. Pro-blematisch wird dies bei Familien ohne ausreichende Deutschkenntnisse, deren Kinder keine Kinderbetreuungseinrichtung besuchen. Im Alter von drei bis sechs Jahren können eventuelle sprachliche Defizite zwar noch ohne großen Lernaufwand für das Kind reduziert werden. Ab der Einschulung steigen die Anforderungen an die sprachlichen Fähigkeiten des Kindes aber rapide an (Erlernen der Schrift). Die bis dahin entstandenen Defizite beein-trächtigen direkt die weitere Schullaufbahn (Ehlich et al., 2007, 47). In vielen Bundesländern werden bereits sprachdiagnostische Verfahren im Verlauf der Kindergartenzeit beziehungsweise vor der Einschulung durchgeführt (Auto-

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rengruppe Bildungsberichterstattung, 2008, 57; Dietz/Lisker, 2008, 45). Die Sprachstandserhebungen dienen der Diagnose, ob die Kinder in ihrem Sprachniveau dem erwarteten Niveau ihres Alters entsprechen. Auf Basis dieser Diagnosen sollen zielgruppenspezifische Fördermaßnahmen ausgear-beitet und durchgeführt werden. Die Teilnahme an diesen Sprachstands-erhebungen ist in vielen Bundesländern mittlerweile Pflicht. Ganz im Sinne des Bildungsföderalismus liegen jedoch ganz unterschiedliche Konzeptionen und Instrumente für die Sprachstandsfeststellung und Sprachförderung vor (Dietz/Lisker, 2008, 45). Risikogruppen, die in der frühkindlichen Bildung durch Sprachstandserhebungen und andere diagnostische Methoden erkannt werden, sollten flächendeckend durch Maßnahmen unterstützt werden, die ihre Wirksamkeit empirisch nachgewiesen haben. Beispielsweise erzielt das Trainingsprogramm „Hören, lauschen, lernen“, das auf die Verbesserung einer wichtigen Vorläuferfähigkeit für den Schriftspracherwerb – die phono-logische Bewusstheit – im Vorschulalter abzielt, in Evaluationsstudien posi-tive Effekte (Schneider et al., 1999; 2000; Roth/Schneider, 2002). Die flächen-deckende Umsetzung sollte wiederum wissenschaftlich begleitet werden.

Privatschulen können die Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit des Bildungssystems verbessern, wenn sie zu einem möglichst hohen Anteil staatlich finanziert werden. Bei einer zu geringen öffentlichen Finanzierung können hingegen durch soziale Segregation negative Effekte auf die Bildungs-gerechtigkeit resultieren. Auch bei der Schulstruktur des öffentlichen Schul-systems kommt es auf die konkrete Ausgestaltung an. In Ländern mit späterer Aufteilung der Schüler auf weiterführende Schulformen als in Deutschland werden die Kinder am unteren Ende der Verteilung kompetenter, ohne dass damit am oberen Ende Kompetenzverluste verbunden sind. Ferner führen hierzulande Stichtagseffekte und nicht kompetenzbasierte Schulempfehlungen zu Problemen der prozeduralen Gerechtigkeit. Verschiedene Reformansatz-punkte sind geeignet, um die Probleme bei den Übergängen zu reduzieren. Das Entscheidungskalkül der Eltern sollte positiv beeinflusst und bildungs-fernen Schichten der Wert einer höheren Bildung sowie das Zutrauen zu den eigenen Kindern vermittelt werden. Wichtiger als Fragen der Schulstruktur sind Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung der Lehrer zur Verbesserung der Übergangsempfehlungen sowie die Rahmenbedingungen in Schulen.

Die Schulen sollten eigenständiger handeln können. Komplementär dazu sind die Output-Orientierung und die Evaluationskultur an Schulen zu stärken (Bildungsstandards, Vergleichsarbeiten, Zentralabitur). Die Lehrer sollten zielorientiert entlohnt werden. Solange Lehrkräfte keinen Anreiz haben, sich

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eher schwierigen Schülergruppen zuzuwenden, bleibt die gezielte Förderung von Migrantenschülern eine Ausnahme. Dabei kommt es auf die Lehrer an: Sie sollten in der Lage sein, bei ihren Schülern Motivation und Freude am Unterricht zu wecken – eine entscheidende Erklärungsvariable für den Erfolg von Schülern. Die spätere Erinnerungsleistung ist am höchsten, wenn ein positiver emotionaler Zustand beim Erlernen bestand (Spitzer, 2007). Schüler erreichen zudem signifikant bessere Schulergebnisse, wenn sie in ihrer Selbst-wirksamkeit gestärkt werden, das heißt, wenn sie wahrnehmen, dass sich Mühen lohnen und sich Fortschritte erreichen lassen. Die Schulen sollten die diesbezüglichen Unterrichtskompetenzen stärken. Hierzu ist an der Lehrer-ausbildung und Lehrerfortbildung anzusetzen. Ferner sind bei der Aus- und Fortbildung integrationsspezifische Inhalte stärker zu berücksichtigen. So zeigt eine Studie von Sprietsma (2009), dass ein Teil der Lehrer Migranten bei gleicher Leistung signifikant schlechter bewertet. Dies kann sich negativ auf die Selbstwirksamkeit und auf die Schullaufbahn auswirken.

Die berufliche Bildung hat in den letzten Jahren ihre kompensatorische Funktion ausbauen können. Dies ist gerade mit Blick auf die Bedeutung der Erwerbstätigkeit für die Einkommens- und Aufstiegschancen sehr wichtig. So nimmt der Anteil der Schüler, der an beruflichen Schulen eine Studien-berechti gung erwirbt, deutlich zu. Positiv ist auch die Rolle der beruflichen Gymnasien zu bewerten. Positive Evaluationsergebnisse zum beruflichen Bildungssystem in Baden-Württemberg können dabei Anregungen für andere Bundesländer geben.

Zugang zu akademischen Qualifikationen

Fragen der Untersuchung in Kapitel 5• Ist der Zugang für Kinder von Nichtakademikern zu Hochschulen einfacher oder schwieriger als

früher (Abschnitt 5.1)?• Verbessern oder verschlechtern gestufte Studiengänge den Zugang zu akademischer Bildung

(Abschnitt 5.2)?• Wie beeinflussen gestufte Studiengänge die Beschäftigungsperspektiven für Bachelorabsol-

venten im Anschluss an das Studium (Abschnitt 5.3)?• Erhöhen private Hochschulen die Durchlässigkeit des Bildungssystems (Abschnitt 5.4)?• Wie wirken sich sozialverträglich flankierte Studiengebühren auf die Chancen- und Verteilungs-

gerechtigkeit aus (Abschnitt 5.5)?

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5.1 Sozioökonomischer Hintergrund Häufig wird darauf hingewiesen, dass sich unter den Studierenden in

Deutschland verhältnismäßig viele Personen aus Akademikerhaushalten befinden und dass sich die Chancen von Kindern aus bildungsferneren Schichten, ein Hochschulstudium aufzunehmen, in den letzten Jahren nicht verbessert haben. Ein Ansatz, um diese Aussage zu überprüfen, ist die Be-trachtung der sozialen Herkunft der Studierenden. Die 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks stellte fest, dass der Anteil der Studierenden, von denen mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss besitzt, im Zeitverlauf angestiegen ist (BMBF, 2010). Gleichzeitig hat der Anteil der Studierenden abgenommen, bei deren Eltern der höchste Bildungsabschluss ein Lehr-, Facharbeiter-, Fachschul-, Meister- oder Technikerabschluss ist (Abbildung 5). Zwischen den Jahren 1991 und 2009 ist der Anteil der Stu-dierenden aus Akademikerhaushalten von 37 auf 51 Prozent gewachsen. Somit kommt inzwischen mehr als jeder zweite Studierende aus einem Eltern-haus, in dem Vater oder Mutter selbst einen Hochschulabschluss besitzen. Im selben Zeitraum ist der Anteil der Studierenden, die aus Nichtakademiker-haushalten stammen, entsprechend von 63 auf 49 Prozent gesunken.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommen eigene Berechnungen auf Basis des SOEP (2010), bei denen der Bildungshintergrund der Eltern von 25- bis 35-jährigen Personen mit und ohne Hochschulabschluss betrachtet wurde. Zu den Personen mit Hochschulabschluss wurden auch diejenigen gezählt,

Quelle: BMBF, 2010, 125

Keine Berufsausbildung Lehre/FacharbeiterabschlussMeister-/Technikerabschluss Hochschulabschluss

1991 1994 1997 2000 2003 2006 2009

Höchster beruflicher Abschluss der Eltern von Studierenden

Abbildung 5

in Prozent

0102030405060708090

100

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die zum Zeitpunkt der Untersuchung noch studierten. Zwischen den Jahren 1993 und 2009 ist demnach der Anteil der Personen mit Hochschulabschluss aus Nichtakademikerhaushalten von knapp 60 Prozent auf knapp 50 Prozent gesunken. Im Gegenzug hat der Anteil der Hochschulabsolventen aus Aka-demikerhaushalten von 40 Prozent auf über 50 Prozent zugenommen.

Ob sich damit die Chancen der jungen Menschen aus Nichtakademiker-haushalten, ein Studium aufzunehmen, tatsächlich verschlechtert haben, kann mit diesen Zahlen jedoch nicht beurteilt werden. Dazu reicht es nicht aus, die soziale Herkunft der Studierenden oder Hochschulabsolventen zu betrachten. Stattdessen muss analysiert werden, wie hoch der Anteil der jungen Menschen aus Nichtakademikerhaushalten ist, die ein Hochschulstudium zu beginnen, und wie sich dieser Anteilswert über die Zeit entwickelt hat. Im Rahmen der 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks wurden dazu Bildungs-beteiligungsquoten für verschiedene Gruppen berechnet. Unter anderem wurde analysiert, welche Chancen Kinder aus Nicht akademiker- oder Aka-demikerhaushalten haben, ein Hochschulstudium zu beginnen. Bei einem schematischen Vergleich zwischen 100 Kindern von Akademikern (Vater hat einen Hochschulabschluss) und 100 Kindern von Nichtakademikern (Vater hat keinen Hochschulabschluss) kamen die Autoren für das Jahr 2007 zu dem Ergebnis, dass 71 Kinder von Akademikern und nur 24 Kinder von Nicht-akademikern ein Hochschulstudium aufnahmen (BMBF, 2010, 103 ff.). Zwischen den Jahren 2003 und 2007 ist der Anteil der Kinder aus Akade-mikerhaushalten, die eine Hochschule besuchten, von 83 auf 71 Prozent gesunken. Die Beteiligung der Kinder aus Nicht akademikerhaushalten hat zwischen 2003 und 2005 abgenommen, ist aber danach leicht angestiegen. Insgesamt ist dieser Zeitraum zu kurz, um abschließend beurteilen zu können, wie sich die Studierchancen der Kinder von Nichtakademikern entwickelt haben.

Daher werden diese Ergebnisse um eigene Analysen auf der Basis des SOEP erweitert. Die jüngeren Personen (zwischen 25 und 35 Jahren) werden danach unterschieden, ob sie aus einem Nichtakademikerhaushalt (beide Eltern keine Akademiker) oder aus einem Akademikerhaushalt (mindestens ein Elternteil Akademiker) stammen und ob sie einen Hochschulabschluss erlangt haben beziehungsweise anstreben oder nicht. Zwischen den Jahren 1993 und 2009 war der Anteil der jungen Menschen aus Nichtakademiker-haushalten, die einen Hochschulabschluss erreicht haben beziehungsweise diesen noch erreichen werden, zwar starken Schwankungen ausgesetzt. Es lässt sich aber eine steigende Tendenz feststellen (Abbildung 6). Im Zeitraum

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1993–1997 besuchten 15,5 Prozent des Nachwuchses von Nichtakademiker-haushalten eine Hochschule oder hatten einen Hochschulabschluss – im Zeitraum 2006–2009 waren es schon fast 20 Prozent.

Somit ist der Anteil der Personen aus Nichtakademikerhaushalten mit einem Hochschulabschluss an allen jungen Hochschulabsolventen zwar ge-sunken. Gleichzeitig ist jedoch der Anteil der jungen Menschen aus Nicht-akademikerhaushalten, die einen Hochschulabschluss erreicht oder angestrebt haben, in den letzten Jahren angestiegen. Daher kann die oftmals vertretene These, dass es für junge Menschen mit Eltern ohne einen akademischen Abschluss schwieriger geworden ist, ein Studium aufzunehmen und zu been-den, nicht bestätigt werden.

Mit einer Analyse der Studiengänge, die von Personen aus Nichtakade-mikerhaushalten gewählt werden, lässt sich untersuchen, ob es typische Aufsteigerstudiengänge gibt. Um die Datenbasis zu vergrößern, wurden dazu nicht nur die 25- bis 35-jährigen Akademiker, sondern alle Akademiker be-trachtet und nach ihrem Beruf, der häufig Rückschlüsse über die Studienwahl zulässt, und dem Bildungshintergrund der Eltern differenziert. In den Rechts-berufen oder auch im Gesundheitswesen arbeiten demnach relativ viele akademisch gebildete Personen, von denen mindestens ein Elternteil ebenfalls einen akademischen Abschluss hat. Von den Akademikern, die in einem Rechtsberuf arbeiten, kommt mehr als jeder zweite aus einem Akademiker-haushalt (Tabelle 16). Da hier berücksichtigt werden muss, dass sich in der Untersuchung auch ältere Personen befinden, die eine geringere Wahrschein-lichkeit haben, aus einem Akademikerhaushalt zu kommen, da früher die

Eigene Berechnungen auf Basis von SOEP, 2010

Akademiker aus Nichtakademikerhaushalten Abbildung 6

Anteil der 25- bis 35-Jährigen auf Hochschulen oder mit Hochschulabschluss an allen 25- bis 35-Jährigen aus Nichtakademikerhaushalten, in Prozent

1993–1997 1998–2001 2002–2005 2006–2009

15,517,4 18,6 19,5

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Studierendenzahlen geringer waren, ist dies eine sehr hohe Quote. Unter den Personen, die in einem MINT-Beruf (Mathematik, Informatik, Naturwissen-schaften, Technik) arbeiten, kommen hingegen relativ viele aus einem Nicht-akademikerhaushalt. Der Anteil betrug im Jahr 2009 mehr als 71 Prozent und war damit in diesen Berufen am höchsten, gefolgt von Berufen in der Unternehmensleitung, -beratung und -prüfung sowie Betriebs- und Volks-wirten (fast 67 Prozent). Vor allem die MINT-Fächer scheinen somit typische Aufsteigerfächer zu sein, die häufig Personen ohne einen akademischen Hintergrund wählen. Für diese Absolventen ergeben sich gegenwärtig auf-grund der Fachkräfteengpässe im MINT-Bereich auch gute Einkommens- und Arbeitsmarktperspektiven.

5.2 Gestufte Studiengänge, Studienaufnahme und MobilitätOftmals werden negative Auswirkungen der Einführung von Bachelor- und

Masterstudiengängen auf die Entscheidung zur Studienaufnahme und auf die Mobilität der Studierenden befürchtet. Es ist somit zu prüfen, ob der Zugang zum Studium und die Möglichkeit, an mehreren Orten zu studieren, durch die gestuften Studiengänge beeinflusst werden.

StudienaufnahmeGerade bei risikoaversen Studenten kann das vermehrte Angebot kürzerer

Studiengänge, wie es mit der Umstellung von den Diplom- auf die Bachelor- und Masterstudiengänge erfolgt, dazu beitragen, dass ein Studium aufge-nommen und auch beendet wird. Aus theoretischer Sicht ergibt sich folgendes

Berufe von Hochschulabsolventen nach Tabelle 16 Bildungshintergrund der Elternim Jahr 2009, in Prozent

Mindestens ein Elternteil ist Akademiker

Kein Elternteil ist Akademiker

MINT-Berufe 28,8 71,2Berufe in der Unternehmensleitung, -beratung und -prüfung, Betriebs- und Volkswirte 33,4 66,6Administrativ entscheidende Berufe 38,2 61,8Lehrberufe 39,1 60,9Geistes- und sozialwissenschaftliche Berufe 47,3 52,7Ärzte, Apotheker 48,4 51,6Berufe im Rechtswesen 54,2 45,8Eigene Berechnungen auf Basis von SOEP, 2010

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Erklärungsmuster: Aufgrund des Strukturwandels verändert sich der Wert des spezifischen Humankapitals im Zeitablauf. Einige Qualifikationen werden vom Arbeitsmarkt stärker nachgefragt, andere wiederum spielen eine gerin-gere Rolle. Durch diese schwer zu prognostizierenden Effekte entsteht Unsicher heit für den in sein Humankapital Investierenden. Diese Unsicher-heit drückt sich in einem Risikoaufschlag bei der Investitionsbetrachtung aus. Im Bachelor-/Mastersystem erlangt der Studierende nach den ersten drei Jahren des Studiums Informationen, inwieweit sich die Lohnprämie und die Arbeitsmarktchancen seines fachspezifischen Humankapitals verändert ha-ben. Während im Diplomsystem lediglich eine große Investition in Höhe von fünf Jahren Studium (inklusive Opportunitätskosten) möglich ist, kann im Bachelor-/Mastersystem auch eine kleine Investition vorgenommen werden. Diese hat den Vorteil, dass der Investor neben der erwarteten Rendite aus dem Bachelorabschluss eine Realoption erhält, bei positiver Arbeitsmarkt-perspektive eine Zusatzinvestition bis zum Masterabschluss durchzuführen. Diese Möglichkeit führt dazu, dass bei Unsicherheit der Kapitalwert eines Bachelor-/Masterstudiums ceteris paribus über dem eines Diplomstudiums liegt (Plünnecke, 2003, 46 ff.).

Somit bieten aus bildungsökonomischer Sicht sogenannte konsekutive Studiengänge wie die Bachelor- und Masterstudiengänge die Möglichkeit, Folgeinvestitionen durchführen zu können. Studierende müssen sich also nicht schon zu Beginn des Studiums für eine lange Dauer festlegen. Möglicher-weise können mehr Menschen zu höheren Abschlüssen motiviert werden, wenn dadurch die Schwelle zur Aufnahme eines Studiums sinkt und Anreize für spätere Masterabschlüsse bestehen. Empirisch bestätigen sich die theo-retisch abgeleiteten Ergebnisse bislang nur zum Teil. Die Zeitdauer ist zwar eine relevante Größe für die Wahl eines Bachelorstudiums: Von den Bache-lorstudienanfängern des Wintersemesters 2006/2007 nannten 47 Prozent die kurze Studienzeit als einen Grund für die Wahl dieses Studiengangs (Leitner, 2008). Im Untersuchungszeitraum 1998 bis 2006 konnte aber in einer empi-rischen Studie auf Grundlage der amtlichen Studierendenstatistik für die Mehrzahl der Studiengänge noch kein Einfluss des neuen Bachelorstudien-angebots auf die Studienanfängerzahlen und auf die Abbruchquoten festge-stellt werden (Horstschräer/Sprietsma, 2010).

Während der Anteil von Studierenden mit nichtakademischem Familien-hintergrund in den Bachelorstudiengängen gegenüber den Diplomstudiengängen an Fachhochschulen erheblich geringer ausfällt, zeigt sich an den Universitäten ein leicht umgekehrter Effekt: Hier liegt der Anteil an Absolventen aus nicht-

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akademischen Elternhäusern in den Bachelorstudiengängen etwas höher als in den traditionellen Diplomstudiengängen. In einer anderen Untersuchung ergaben sich – auf der Grundlage des Konstanzer Studierendensurvey – keine statistisch signifikanten Unterschiede in der sozialen Zusammensetzung der Studierendenschaft in neuen und traditionellen Studien angeboten (Mühlenweg et al., 2010, 67). Die Autoren betonen, dass sich aus diesen Befunden noch keine abschließenden Urteile zu den Wirkungen des Bologna-Prozesses ins-gesamt ableiten lassen, in dessen Rahmen die gestuften Studiengänge in Deutschland Einzug hielten. Die Resultate gäben allenfalls Aufschluss über das Studienwahlverhalten während der Umstellungsphase der Studiengänge im Zuge des Bologna-Prozesses.

MobilitätUm die Mobilität der Studierenden zu untersuchen, ist innerdeutsche

Mobilität zwischen Hochschulen und Mobilität an ausländischen Hoch-schulen zu unterscheiden. Nach einer Studie der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) aus dem Jahr 2008 ist die innerdeutsche Mobilität vor allem in den Masterstudien-gängen höher als in den traditionellen Studiengängen. 24 Prozent der be-fragten Studierenden, die sich in einem Masterstudiengang befanden, gaben an, mindestens einmal die Hochschule gewechselt zu haben (HIS/HRK, 2008). Diese relativ hohen Mobilitätspotenziale werden damit begründet, dass das zweistufige Studium zu einer vermehrten Mobilität nach dem Bachelor-abschluss führt, dass Masterstudiengänge noch nicht flächendeckend zur Verfügung stehen und dass Hochschulwechsel von Masterstudenten ohne größere Komplikationen erfolgen. Sehr gering ist hingegen die innerdeutsche Mobilität der Studierenden in Bachelorstudiengängen. Nur 1 Prozent der Studierenden hat einen Hochschulwechsel vorgenommen, der nicht mit einem Studiengangwechsel verbunden war. Als Hindernis für einen Hochschul-wechsel nannten die Befragten häufig Probleme mit der Anerkennung von Leistungsnachweisen und einen möglichen Zeitverlust. Fast ein Fünftel der Bachelorstudenten plante jedoch einen Hochschulwechsel, viele von ihnen wahrscheinlich beim Übergang zum Masterstudium. Das Fazit der Untersu-chung lautete, dass vor allem die Mobilitätsmöglichkeiten der Bachelorstu-dierenden deutlich zu verbessern sind. Die Einführung der gestuften Studien-gänge schafft dennoch Potenzial, um die innerdeutsche Mobilität der Studie-renden zu verbessern, da vielfach zwischen Bachelor- und Masterstudium ein Hochschulwechsel vorgenommen wird.

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Ins Ausland wechseln weniger Bachelor- oder Masterstudenten als Stu-dierende in Diplomstudiengängen. Im Jahr 2009 lag der Anteil der Studie-renden mit einem Auslandsaufenthalt in den Diplomstudiengängen an Universitäten bei 35 Prozent, in den Diplomstudiengängen an Fachhoch-schulen bei 29 Prozent und in den Magisterstudiengängen sogar bei 49 Pro-zent (DAAD/BMBF, 2009). Von den Studierenden in Bachelor- oder Master-studiengängen wechselten dagegen nur 15 Prozent (Bachelorstudiengänge an Universitäten), 13 Prozent (Bachelorstudiengänge an Fachhochschulen) und 27 Prozent (Masterstudiengänge insgesamt) an eine ausländische Hoch schule. Bei diesen Vergleichen muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich in den Diplomstudiengängen von Jahr zu Jahr immer mehr Studierende höheren Semesters befinden, da in diesen Studiengängen immer weniger Studienan-fänger nachkommen – denn diese beginnen stattdessen ein Bachelorstudium. Da Auslandsaufenthalte selten zu Beginn des Studiums, sondern erst später stattfinden, steigt dadurch auch der Anteil der Studierenden in Diplomstu-diengängen mit Auslandserfahrung. Darüber hinaus können gerade über das Studienverhalten in Masterstudiengängen noch keine endgültigen Aussagen getroffen werden. Hierzu muss die Zahl der Studierenden in diesen Studien-gängen erst noch weiter wachsen. Dennoch wird in der Studie (DAAD/ BMBF, 2009) davor gewarnt, dass die kurze Studiendauer und die starke Strukturierung in Bachelorstudiengängen einen Auslandsaufenthalt er-schweren können und dass somit die Gefahr besteht, dass die deutschen Studierenden durch die Einführung der neuen Studiengänge immobiler werden. Im Nationalen Bildungsbericht wird jedoch darauf hingewiesen, dass die zitierte Studie die internationale Mobilität in den gestuften Studien-gängen etwas unterschätzt, da ein Teil der Bachelorabsolventen ein anschlie-ßendes Masterstudium im Ausland absolviert und bei Befragungen von Studierenden in Deutschland nicht antworten kann (Autorengruppe Bildungs-berichterstattung, 2010, 129).

Für eine Studie des International Centre for Higher Education Research (INCHER) über das Mobilitätsverhalten deutscher Studierender haben bei einer Absolventenbefragung rund 70.000 Absolventen teilgenommen, die in den Jahren 2007 und 2008 ein Studium abgeschlossen hatten (Schomburg, 2010). Der Anteil der Personen mit einem Bachelor- und Masterabschluss war zwar relativ gering. Unter dieser Einschränkung konnten jedoch positive Mobilitätseffekte der gestuften Studiengänge festgestellt werden. 16 Prozent der Bachelorabsolventen von Universitäten haben demnach mindestens ein Semester im Ausland studiert und 17 Prozent der Masterabsolventen waren

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zumindest zeitweise an ausländischen Hochschulen. Schätzungsweise ver-brachten insgesamt etwa 27 Prozent der Studierenden in den gestuften Studien gängen eine gewisse Zeit an Hochschulen im Ausland. Bei den Ab-solventen mit einem universitären Diplomabschluss betrug der Anteil der Auslandsstudenten dagegen nur 19 Prozent. Einen Teil der höheren Auslands-mobilität der Universitätsabsolventen führt der Autor darauf zurück, dass sich unter den Bachelor- und Masterabsolventen relativ viele Geistes- und Sozialwissenschaftler befinden, die schon vorher eine relativ hohe Mobilität aufwiesen. Auch unter Fachhochschulabsolventen ist mit den gestuften Studien gängen die Auslandsmobilität gestiegen, von 9 auf 14 Prozent. Neben einem Auslandsstudium haben viele Absolventen auch aus anderen Gründen (zum Beispiel Fremdsprachenkurse und Praktika) während ihres Studiums eine Zeit lang im Ausland gelebt. Wird dies zusätzlich berücksichtigt, dann haben 28 Prozent der Bachelorabsolventen von Universitäten und 27 Prozent der Bachelorabsolventen von Fachhochschulen Auslandserfahrungen gesam-melt. Schomburg (2010) folgert daraus, dass der Zielwert von 20 Prozent, der im Rahmen des Bologna-Prozesses bis zum Jahr 2020 angestrebt wird, in Deutschland schon erreicht ist.

5.3 Gestufte Studiengänge und BeschäftigungschancenDie gestuften Studiengänge haben keinen negativen Effekt auf den Zugang

zur akademischen Bildung. Es bleibt zu überprüfen, ob diese Aussage auch für die Beschäftigungsperspektiven gilt. Bieten sie dieselben Karriereaus-sichten wie Diplomstudiengänge? Dabei geraten vor allem Studienabsolventen mit Bachelorabschluss in den Blick, da es Restriktionen beim Zugang zum Masterstudiengang gibt.

Übergang ins BeschäftigungssystemDa der Bachelorabschluss neben der Erwerbstätigkeit weitere Optionen

eröffnet, wundert es nicht, dass erst ein kleiner Anteil der Absolventen an-derthalb Jahre nach dem Abschluss eine Erwerbstätigkeit ausübt (Schomburg, 2010). Entscheidend für die Beurteilung der Übergangschancen ist der geringe Anteil an Personen, der auf Beschäftigungssuche ist. Hier gibt es keine rele-vanten Unterschiede zwischen den Diplomstudiengängen auf der einen Seite und den gestuften Studiengängen auf der anderen Seite.

Zu den Motiven, nach dem Bachelorabschluss weiter zu studieren, finden sich Anhaltspunkte in der Absolventenbefragung der Prüfungsjahrgänge 2002 und 2003 (Minks/Briedis, 2005, 90). Das wichtigste Motiv für das

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Weiter studium ist die Erwartung, mit einem weiteren Abschluss die Berufs-chancen zu verbessern. Dies gaben 99 Prozent der Bachelorabsolventen aus Fachhochschulen und 93 Prozent aus Universitäten an. Nahezu ebenso wichtig ist die persönliche Weiterbildung, und zwar für 93 Prozent mit Fach-hochschulbachelorabschluss und 90 Prozent mit Universitätsbachelorab-schluss. Auf dem dritten Platz rangiert das fachliche Interesse (79 Prozent der Bachelorabsolventen von Fachhochschulen, 88 Prozent von Universi-täten). Für jeweils zwei Drittel der Befragten war außerdem das geringe Vertrauen in den Bachelorabschluss ein wichtiges Motiv, um weiterzustu-dieren. Für die weitere Entwicklung der Übergangsquoten ist es daher mit-entscheidend, wie sich die Beschäftigungs- und Karrierechancen der Bachelor-absolventen entwickeln und ob die Informationen darüber die entsprechenden Zielgruppen – Studienberechtigte, Studierende und Bachelorabsolventen – erreichen.

Suchdauer und BeschäftigungssituationDie Suchdauer von befragten Absolventen der Jahrgänge 2007 und 2008

war jeweils 1,5 Jahre nach Studienende mit knapp drei Monaten sehr kurz. 72 Prozent nahmen nach maximal drei Monaten eine Beschäftigung auf. Die Suchdauer der Bachelorabsolventen fällt dabei nicht länger aus als die der Absolventen mit traditionellen Studienabschlüssen (Schomburg, 2010, 22): Mit durchschnittlich 2,8 Monaten Suchdauer lagen die Bachelorabsolventen an den Fachhochschulen gleichauf mit den Absolventen des traditio nellen Fachhochschuldiploms. Die Bachelorabsolventen von Universitäten benö-tigten mit durchschnittlich drei Monaten nur unwesentlich länger als die Absolventen traditioneller universitärer Studiengänge. Zwischen den ver-schiedenen Fachrichtungsgruppen konnten keine großen Unterschiede fest-gestellt werden: So lag die Suchdauer bei den Kultur- und Sozialwissenschaft-lern durchschnittlich bei 3,4 Monaten, bei den Ingenieuren bei 2,4 Monaten.

In der Befragung der Absolventenjahrgänge 2007 und 2008 wurden bei den bereits regulär erwerbstätigen Absolventen insgesamt sechs Merkmale der beruflichen Situation untersucht. Kaum ein Unterschied zeigt sich hin-sichtlich der Vollzeitbeschäftigung (Tabelle 17). Dagegen werden bei der Befristung der Beschäftigung Unterschiede sichtbar. So waren die Bachelor-absolventen beider Hochschularten häufiger befristet beschäftigt als die Absolventen der traditionellen Studiengänge. Bei den Einkommen ergaben sich erwartbare Ergebnisse: Mit steigender Studiendauer nehmen die Ein-kommen zu. Master- und Diplomabsolventen erreichen höhere Einkommen

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als Bachelorabsolventen. Das heißt jedoch nicht, dass Bachelorabsolventen bei der Bildungsrendite schlechter abschneiden, da diese weniger Zeit inves-tieren und damit geringere Opportunitätskosten haben (Anger et al., 2010b). Bachelorabsolventen von Fachhochschulen können mit sehr großer Mehrheit ihre Qualifikationen am Arbeitsplatz verwenden. Im Vergleich mit den Diplom-absolventen gibt es kaum Unterschiede. Auch bei der allgemeinen Berufs-zufriedenheit sind die Unterschiede zwischen den Bachelorabsolventen und den Diplomabsolventen bei beiden Hochschularten nur gering ausgeprägt.

KarrierechancenZur generellen Akzeptanz der Bachelorabsolventen in den Unternehmen

der Privatwirtschaft, zu zentralen Themen des Berufseinstiegs und zu den Karrierechancen liegen mittlerweile eine Reihe von Unternehmensbefra-gungen vor. Von diesen weist allerdings nur eine Minderheit repräsentative, auf die Strukturen der Gesamtwirtschaft hochgerechnete Ergebnisse aus. Als Resultate lassen sich festhalten (DAAD, 2007; DGFP, 2009; Kimler, 2007; Pankow, 2008; Werner et al., 2008; Konegen-Grenier/Koppel, 2009):

• Der Bachelorabschluss wird von den Unternehmen grundsätzlich als akademischer Abschluss eingestuft.

Berufserfolg nach Hochschultyp und Abschlussart Tabelle 17

bei Berufsstart

Fachhochschule Universität InsgesamtBachelor Diplom1 Master Bachelor Diplom1 Master

Vollzeitbeschäftigung, in Prozent 90 92 91 85 85 91 89Unbefristete Beschäfti-gung, in Prozent 66 75 85 55 65 68 70Bruttojahreseinkommen (arithmetisches Mittel), in Euro 33.799 36.446 44.920 29.380 36.845 36.145 36.588Bruttojahreseinkommen (Median), in Euro 33.006 36.600 39.006 27.006 39.006 39.006 39.000Niveauadäquate Beschäf-tigung, in Prozent 81 86 85 75 82 78 83Hohe Qualifikations-verwendung, in Prozent 82 85 90 74 83 84 84Hohe Berufszufriedenheit, in Prozent 69 67 65 63 66 66 661 Inklusive sonstiger traditioneller Abschlüsse.Quelle: Schomburg, 2010

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• Bei der Gehaltsfindung spielen zusätzlich zum Hochschulabschluss weitere Qualifikationen eine Rolle.

• Entscheidend für die Karriereentwicklung ist nicht das Hochschulzerti-fikat, sondern die Bewährung in der Unternehmenspraxis.

In einer Unternehmensbefragung der IW-Personaltrends 2010 wurden die Unternehmen gebeten, die Relevanz verschiedener Auswahlkriterien für die Besetzung höherer Fach- und Führungspositionen zu bewerten (Konegen-Grenier et al., 2011). Es zeigte sich, dass die Leistungen der Akademiker in der betrieblichen Praxis und weiche Faktoren bei den Auswahlentscheidungen ein höheres Gewicht haben als formale Bildungsabschlüsse (Tabelle 18). Die Befragung ergab ferner, dass Akademiker mit Bachelorabschluss sehr häufig die Position eines Projektleiters erreichen. In gut 70 Prozent der befragten Unternehmen, die diese Karriereperspektive bieten, sind Bachelorabsolventen bereits Projektleiter geworden. Bachelorabsolventen konnten zum Teil auch schon Positionen besetzen, die in der Regel eine mehrjährige Berufserfahrung voraussetzen. In rund 40 Prozent der Unternehmen, in denen diese Karriere-möglichkeit grundsätzlich gegeben ist, haben es Bachelorabsolventen ge-schafft, Bereichs- oder Abteilungsleiter zu werden.

Absolventen gestufter Studiengänge haben gegenüber anderen Absolventen demnach in der Umstellungsphase keine Nachteile beim Arbeitsmarktzutritt

Auswahlkriterien für höhere Fach- und Tabelle 18 Führungspositionen1

in Prozent

Sehr wichtig

Eher wichtig

Eher unwichtig

Völlig unwichtig

Identifikation mit den Zielen des Unternehmens 83,2 16,3 0,3 0,3Leistungsmotivation 79,8 19,4 0,4 0,3Kommunikationsfähigkeit 74,5 24,6 0,8 0,2Bewährung im Unternehmen 64,6 32,0 3,0 0,4Fähigkeit, andere zu motivieren 64,3 33,0 2,3 0,5Führungsmotivation 56,9 37,6 4,9 0,6Weiterbildungsbereitschaft 49,5 46,3 3,8 0,3Universitäts- statt Fachhochschulabschluss 5,6 22,3 52,0 20,1Masterabschluss nach dem Bachelor 4,4 26,9 51,5 17,3Doktortitel 1,0 5,1 39,1 54,81 Unternehmen, die aktuell, in der Vergangenheit oder zukünftig Akademiker beschäftigen (N = 1.212). 96,8 Prozent der befragten Unternehmen haben höhere Fach- und Führungspositionen zu besetzen.Quelle: Briedis et al., 2011

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hinzunehmen. Bezüglich der Karrierechancen stehen ihnen die gleichen Möglichkeiten offen. Auch Bachelorabsolventen bieten sich verschiedene Karrieremöglichkeiten.

5.4 Private Hochschulen und Durchlässigkeit Die Opportunitätskosten der Aufnahme eines Studiums sind durch ge stufte

Studiengänge reduziert worden, da diese interessante Realoptionen bieten (vgl. Abschnitt 5.2). Eine weitere Stellschraube für den Zugang zu akade-mischen Abschlüssen stellt das Potenzial beruflich qualifizierter Personen dar. Bisher waren die Übergangszahlen von beruflich Qualifizierten ohne formale Hochschulzugangsberechtigung marginal. Dies ist die Konsequenz eines Dickichts an heterogenen und intransparenten Regelungen. Weniger als 1 Prozent der Studienanfänger nehmen als Berufspraktiker ein Hochschul-studium auf (BLK, 2005, 3). Einige Staaten weisen bei den Personen, die auf nicht klassischem Weg Zugang zu einem Studium erhalten haben, weit höhere Anteile auf – beispielsweise Schweden mit 36 Prozent oder England (mit Wales, ohne Schottland) mit 15 Prozent (Nickel/Leusing, 2009, 22 ff.).

Analysen basierend auf Kompetenzerhebungen zeigen, dass hierzulande viele Personen mit einer formal mittleren Qualifikation, also vorrangig die beruflich Qualifizierten, sehr hohe Kompetenzen aufweisen. Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass es dieser Gruppe möglich wäre, mit relativ geringem Aufwand auch einen akademischen Abschluss zu erwerben. Dies bedeutet, dass hierzulande ein großes Reservoir an potenziellen Studienan-fängern für die Hochschulen existiert (Anger/Plünnecke, 2009). Es heißt aber auch, dass die Hochschulen entsprechende Angebote für beruflich qualifizierte Personen schaffen müssen. Für diese Personengruppe ist es besonders wich-tig, dass die Weiterqualifizierung nicht mit zu hohen Opportunitätskosten verbunden ist. Es sollten daher an den Hochschulen vermehrt Anreize dafür geschaffen werden, berufsbegleitende Studienangebote einzurichten, die den Anforderungen und Bedürfnissen dieser Zielgruppe gerecht werden.

Die berufsbegleitenden Studiengänge werden gegenwärtig zwar ausgebaut, ihre Anzahl reicht aber noch nicht aus. Nach einer Erhebung des HIS exis-tieren gegenwärtig 257 berufsbegleitende Bachelorstudiengänge, von denen die meisten (216) von Fachhochschulen angeboten werden (Netz/Völk, 2010). An Universitäten sind berufsbegleitende Bachelorstudiengänge bislang kaum zu finden. Dafür bieten sie in ähnlichem Umfang wie die Fachhochschulen berufsbegleitende Masterstudiengänge an. Insgesamt gab es im Jahr 2009 rund 700 dieser Studiengänge. Gemessen an allen Bachelor- und Masterstudien-

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gängen können etwa 5 Prozent aller Bachelor- und rund 17 Prozent aller Masterstudiengänge berufsbegleitend studiert werden. Mehr als die Hälfte der berufsbegleitenden Bachelorstudiengänge werden von privaten Hochschulen angeboten, die sich häufig auf diese Angebote spezialisiert haben. Berufsbe-gleitende Masterstudiengänge werden dagegen häufiger von staatlichen Hochschulen angeboten. Das Angebot berufsbegleitender Studiengänge konzentriert sich sehr stark auf bestimmte Fächergruppen. Schwerpunkte stellen die Wirtschaftswissenschaften und die Ingenieurwissenschaften dar.

Wegen der demografischen Entwicklung könnte vermutet werden, dass die Hochschulen künftig stärker Angebote für die Gruppe der beruflich Quali-fizierten entwickeln werden, um neue Studentengruppen zu akquirieren. Ergebnisse der Hochschulvorausberechnung aus dem Nationalen Bildungs-bericht lassen jedoch den Schluss zu, dass dies in den nächsten Jahren noch nicht der Fall sein wird (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2010, 179 ff.). Es ist eher damit zu rechnen, dass die Nachfrage nach Studienplätzen in den nächsten Jahren auf einem sehr hohen Niveau bleibt. Vermutlich werden die Studienanfängerzahlen zunächst weiter ansteigen, sodass die Zahl der Stu-dierenden voraussichtlich noch bis zum Jahr 2020 über dem Niveau von heute liegt und erst danach sinken wird. Ebenso wie bei der Zahl der Studien-anfänger ist auch bei der Entwicklung der Zahl der Absolventen noch von einem Anstieg auszugehen. Die Hochschulen scheinen also in den nächsten Jahren den demografischen Wandel noch nicht unmittelbar zu spüren und werden voraussichtlich auch ohne neue Studierendengruppen noch ausgelas-tet sein. Allerdings ist der soeben beschriebene Trend nicht für alle Regionen gleich. In Ostdeutschland wird sich die demografische Entwicklung an den Hochschulen vermutlich eher bemerkbar machen als in Westdeutschland. Dort bestehen also eher Potenziale, sich für neue Gruppen von Studierenden zu öffnen, zum Beispiel für beruflich Qualifizierte. Diese Hochschulen könnten sich – wie der Nationale Bildungsbericht es umschreibt – stärker als Institu-tion des lebenslangen Lernens begreifen und vermehrt wissenschaftliche Weiterbildung anbieten.

Da die staatlichen Hochschulen diesen Bedarf an Höherqualifizierung und Durchlässigkeit nicht decken, verwundert es nicht, dass in Deutschland die Zahl der Studierenden an privaten Hochschulen besonders in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist (Abbildung 7). Dies liegt vor allem daran, dass in diesem Zeitraum viele private Hochschulen gegründet worden sind. Im Januar 2011 waren 94 private Hochschulen anerkannt. Im Jahr 2000 gab es erst 43 private Hochschulen.

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Die Zunahme der Zahl an Studierenden an privaten Hochschulen ist kein Zeichen einer abnehmenden Zugangsgerechtigkeit zur akademischen Bildung. Gegen diese These spricht, dass der Anteil der an privaten Hochschulen Studierenden weiterhin sehr niedrig ist und im Wintersemester 2009/2010 weniger als 5 Prozent betrug. Der Großteil der Studiengänge an privaten Hochschulen hat eine wirtschaftswissenschaftliche Ausrichtung, Studiengän-ge in MINT-Fächern und Gesundheit/Medizin sind hingegen unterrepräsen-tiert, was auf die höheren Kosten solcher Studiengänge zurückgeführt werden kann.

Private Hochschulen in Deutschland tragen sogar dazu bei, den Zugang zur akademischen Bildung für einen zusätzlichen Interessentenkreis zu er-schließen. Das dient dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit. Eine Studie des Stifterverbands (2010) verdeutlicht, dass private Hochschulen in Deutschland im Unterschied zu denen in angelsächsischen Staaten nicht der Elitenausbil-dung dienen, sondern vielmehr Angebote für Zielgruppen machen, die von staatlichen Hochschulen nicht ausreichend angesprochen werden. Vor allem leisten die privaten Anbieter einen wichtigen Beitrag, Berufsausbildung und akademische Bildung zu verzahnen und die Durchlässigkeit zu stärken. Lediglich 9 Prozent der privaten Hochschulen zielen auf eine Elitenausbildung und werden vom Stifterverband als „Spezialisten“ oder „Humboldtianer“ charakterisiert. 55 Prozent der privaten Hochschulen bieten hingegen über-wiegend Bachelorstudiengänge an. Sie betätigen sich als „Aufwerter“, die frühere Lehrberufe zu Studiengängen auf grundständigem akademischen Niveau weiterentwickeln, oder als „Flexible“, die duale Studiengänge an-

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2010d

Fachhochschule Universität Sonstige

2004/2005 2005/2006 2006/2007 2007/2008 2008/2009 2009/2010Wintersemester

Studierende an privaten Hochschulen Abbildung 7

010.00020.00030.00040.00050.00060.00070.00080.00090.000

100.000

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bieten. Rund 36 Prozent der privaten Hochschulen werden als „berufsorien-tiert“ eingestuft. Diese Hochschulen zeichnen sich durch effiziente und arbeitsmarktorientierte Studiengänge aus und kooperieren eng mit Unter-nehmen. Private Hochschulen nutzen also die Marktlücke berufsbegleitender Studien gänge für sich und öffnen zu einem guten Teil auch Studierenden aus Nichtakademikerhaushalten den Zugang zu akademischen Abschlüssen.

5.5 Verteilungseffekte von Studiengebühren

Studiengebühren und VerteilungsgerechtigkeitDie Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit von Studiengebühren lautet:

Zahlen die Absolventen einer ausschließlich öffentlich finanzierten Hoch-schulausbildung die Kosten dieser Hochschulausbildung durch höhere Steuerzahlungen wieder zurück oder erzielen sie durch das kostenfreie Stu-dium Einkommensvorteile gegenüber den nichtakademisch ausgebildeten Steuer zahlern? In der bildungsökonomischen Literatur gibt es dazu eine Folge von Studien und Gegenstudien – mit je nach Wahl der Berechnungs-parameter unterschiedlichen Ergebnissen (Deutscher Bundestag, 2006, 27). Hinweise für bestehende Verteilungswirkungen liefert eine Studie von Borgloh et al. (2007), die hier exemplarisch dargestellt werden soll:

Die Untersuchung auf Basis des SOEP analysierte die Verteilungseffekte der öffentlichen Finanzierung der Hochschulausbildung in einer Längsschnitt-betrachtung. Die Berechnungen bezogen sich modellhaft auf einen männ-lichen Hochschulabsolventen, der an einer deutschen Hochschule in der mittleren Studienzeit, die je nach Hochschulart und Fächergruppe differiert, erfolgreich ein Studium absolviert hat. Zugrunde gelegt wurden die je nach Hochschulart und Fächergruppe durchschnittlichen öffentlich finanzierten hochschulbezogenen Leistungen sowie das nach dem Studienabschluss er-wirtschaftete durchschnittliche Einkommen. Zu den hochschulbezogenen Leistungen zählen neben den staatlichen Ausgaben für die Hochschullehre Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), die Wohnraumförderung, das Kindergeld, die Ausbildungsfreibeträge und die Anrechnungszeiten auf die gesetzliche Rentenversicherung. Die insgesamt gezahlten Steuern wurden berechnet, indem für jeden Individualfall des SOEP-Panels für jedes Lebensjahr das durchschnittliche Bruttomonats- und Bruttojahreseinkommen sowie das Nettomonatseinkommen und die direkte Abgabenlast bestimmt wurden. Zusätzlich rechneten die Autoren aus Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe die indirekte Steuerlast indivi-

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duell zu, fassten für jedes Lebensjahr die durchschnittlichen direkten und indirekten Steuern zusammen und summierten diese zur Lebenssteuerlast auf. Die anteilsmäßig für die Hochschulausbildung anzurechnende Steuerlast wurde nach dem Proportionalansatz berechnet. Als Bezug diente dabei der prozentuale Anteil, der von den gesamten Ausgaben der deutschen Gebiets-körperschaften auf die Finanzierung der Hochschulausbildung entfällt.

Stellt man den öffentlichen Kosten des Studiums inklusive aller Leistungen die Summe derjenigen Steueranteile, die prozentual bei den öffentlichen Aus-gaben auf die Hochschulen entfallen, gegenüber, so haben im Vergleich mit Nichtakademikern die Universitätsabsolventen undiskontiert einen Netto-vorteil von rund 48.000 Euro und die Fachhochschulabsolventen von rund 17.000 Euro (Borgloh et al., 2007). Wollte man diesen Vorteil durch ent-sprechende Studiengebühren ausgleichen, so müssten an den Universitäten durchschnittlich 5.300 Euro und an den Fachhochschulen durchschnittlich 2.100 Euro pro Semester erhoben werden. In Anbetracht der methodischen Vereinfachungen, die sich aus den Durchschnittsannahmen und der Festlegung auf die Berechnung der Steuerrückflüsse nach dem Proportionalansatz erge-ben, sollten aus dieser Studie keine Forderungen nach Gebühren in dieser Höhe abgeleitet werden. Was sich damit jedoch begründen lässt, sind gegen-wärtige Studiengebühren in der moderaten Höhe von 500 Euro pro Semester.

Studiengebühren und ChancengerechtigkeitStudiengebühren könnten die Chancengerechtigkeit für Studierende aus

einkommensschwachen Haushalten beeinträchtigen. Darum ist zu prüfen, ob sich durch die Einführung von Studiengebühren in einigen Bundesländern seit dem Jahr 2006 Veränderungen in der Studienbeteiligung ergeben haben.

Studiengebühren und Studienanfänger Tabelle 19 Index: 2003 = 100

2003 2004 2005 2006 2007 2008Bundesländer mit Studiengebühren1

Studienberechtigte Schulabgänger 100 105 109 114 118 121Studienanfänger 100 96 97 94 97 109Bundesländer ohne StudiengebührenStudienberechtigte Schulabgänger 100 105 106 109 117 117Studienanfänger 100 95 92 90 100 1041 Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland. Inzwischen haben Hessen und das Saarland die Gebühren abgeschafft. Nordrhein-Westfalen hat die Abschaffung zum Wintersemester 2011/2012 beschlossen.Quelle: HIS, 2010

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Eine Analyse der Studienanfängerzahlen für den Zeitraum von 2003 bis 2008 kommt zu folgendem Ergebnis (HIS, 2010, 4): Ab dem Jahr 2003 ist die Zahl der Studienanfänger bei kontinuierlich steigenden Studienberechtigten-zahlen zunächst zurückgegangen, und zwar sowohl in der Gruppe der Länder ohne Studiengebühren als auch in der für den Untersuchungszeitraum maß-geblichen Gruppe der Länder mit Studiengebühren (Tabelle 19). Im Jahr 2006, in welchem erstmals Gebühren in Nordrhein-Westfalen und in Nieder-sachsen erhoben wurden, erreichten die Studienanfängerzahlen einen Tief-punkt. Seit dem Jahr 2007 ist eine Trendumkehr in beiden Ländergruppen festzustellen. Im Jahr 2008 fiel der Anstieg bei den Studiengebührenländern sogar stärker aus. Allerdings sind etwa 5 Prozent des ausgewiesenen Index-werts auf die Umwandlung der bisherigen Berufsakademien in die Duale Hochschule Baden-Württemberg zurückzuführen. Insgesamt betrachtet lassen sich aus der Analyse der Studienanfängerzahlen keine Hinweise auf eine abschreckende Wirkung der Studiengebühren ableiten.

Auch das Mobilitätsverhalten der Studierenden und Studienberechtigten lässt keine Rückschlüsse auf die Wirkungen von Studiengebühren zu. Ver-gleicht man die Wanderungssalden im Studienjahr 2008 mit denen des Jahres 2005, als noch keine allgemeinen Studiengebühren erhoben wurden, so ist kein systematischer Zusammenhang zwischen Studiengebühren und Mobi-lität der Studienanfängerinnen und -anfänger erkennbar. Während die Wan-derungssalden in Nordrhein-Westfalen und Bayern zwischen 2005 und 2008 sanken, nahmen sie in Niedersachsen sowie im Saarland geringfügig und in Hamburg sogar erheblich zu. Die Zunahme des Wanderungssaldos in Baden-Württemberg wurde maßgeblich von der erwähnten Umwandlung der Be-rufsakademien beeinflusst. Im Wintersemester 2008/2009 zeigte sich kein einheitliches Bild: Unter den Bundesländern, die allgemeine Studiengebühren für das Erststudium erhoben, verbuchten Bayern, Hamburg und Nordrhein-Westfalen Wanderungsgewinne an Studierenden, während in Baden-Württem-berg, Niedersachsen und im Saarland Wanderungsverluste zu beobachten waren (Statistisches Bundesamt, 2010c, 29 f.).

Eine weitere Quelle, die Hinweise auf Abschreckungseffekte ergeben könnte, sind die regelmäßig durchgeführten Befragungen der Studienberech-tigten. Für Nordrhein-Westfalen liegt eine Sonderauswertung der Befragung des Studienberechtigtenjahrgangs 2006 vor, welche die Wirkung der im Jahr 2006 in Nordrhein-Westfalen eingeführten (und später wieder abgeschafften) Studiengebühren analysiert (HIS, 2010). Demnach gaben 5 Prozent der be-fragten Studienberechtigten an, dass sie das ursprünglich gewünschte Studium

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nicht aufnehmen, da sie sich Studien gebühren nicht leisten könnten. Hinzu kamen 1,4 Prozent, die angaben, wegen der Studiengebühren unsicher zu sein, ob sie ein Studium aufnehmen sollten oder nicht. Von diesen insgesamt 6,4 Prozent schlossen 2,4 Prozentpunkte ein Studium wegen der Gebühren definitiv aus. Der Rest war sich noch nicht sicher, ob er ein Studium zu einem späteren Zeitpunkt beginnen würde. Es waren demnach zwischen 2,4 und 6,4 Prozent der Studienberechtigten in Nord rhein-Westfalen, auf die ein Studienverzicht aufgrund der Gebühren zutraf. Dabei reagierten Studienbe-rechtigte aus akademischen und nichtakademischen Haushalten fast ähnlich: Bei den akademischen Haushalten lag die Verzichtsquote bei 6 Prozent und in den nichtakademischen Haushalten bei 7 Prozent.

Betrachtet man allerdings alle von den nordrhein-westfälischen Studien-berechtigten genannten Gründe für einen Studienverzicht, so kommt den Studiengebühren als Motiv keine dominante Rolle zu. Die wichtigsten Gründe waren der Wunsch, möglichst bald selbst Geld zu verdienen (62 Prozent der Studienberechtigten, die auf ein Studium verzichten wollten), das Interesse an einer praktischen Tätigkeit (47 Prozent), ein festes Berufsziel, das kein Studium voraussetzt (36 Prozent) und die lange Dauer eines Studiums (31 Prozent). Studiengebühren wurden dagegen erst an fünfter Stelle genannt (27 Prozent). Bei den finanziell begründeten Motiven des Studienverzichts ließen sich für die nordrhein-westfälischen Studienberechtigten – abgesehen von dem Motiv, keine BAföG-Schulden machen zu wollen – keine Unter-schiede nach dem sozialen Hintergrund der Befragten feststellen.

Die Sonderauswertung (HIS, 2010) hat demnach keine sozial selektive Wirkung von Studiengebühren – bezogen auf die Entscheidung für oder gegen ein Studium – für Nordrhein-Westfalen ermittelt. Für eine sozialver-trägliche Flankierung der Studiengebühren ist die Ausgestaltung der Unter-stützung bei der Studienfinanzierung von entscheidender Bedeutung.

Studienfinanzierung und SozialverträglichkeitIn einem Plädoyer für Studiengebühren treffen Ökonomen der Universität

Bochum (Winter, 2010) die Feststellung, dass ein gebührenfreies Studium in Deutschland bislang nicht dazu beigetragen hat, die nur unterproportionale Studienbeteiligung von Kindern aus nichtakademischen Familien zu verhin-dern. Nicht die kostenlose Bereitstellung einer Dienstleistung für alle, sondern die gezielte individuelle Förderung von Studierfähigen aus einkommens-schwachen Elternhäusern sei der adäquate Weg zu einer größeren Chancen-gerechtigkeit bei der Aufnahme eines Hochschulstudiums.

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Das BAföG ist nur ein Element unter einer Vielzahl öffentlicher Transfers, die den Studierenden und ihren Familien zugutekommen. Weitere Transfers sind das Kindergeld beziehungsweise Steuerfreibeträge für die höheren Ein-kommensklassen, Ausbildungsfreibeträge, Kinderzuschläge im öffentlichen Dienst, Subventionen für die Krankenversicherung sowie Vergünstigungen für Wohnen und öffentliche Transporte. Insgesamt umfassen die vom HIS dokumentierten Fördermaßnahmen 28 Einzelposten, die zusammen einen Förderbetrag von rund 7 Milliarden Euro ergeben (Schwarzenberger, 2008, 69). Nimmt man alle öffentlichen Unterstützungsleistungen zusammen, so fällt auf, dass zwischen den verschiedenen sozialen Herkunftsklassen nur geringe Unterschiede im Fördervolumen pro Studierenden bestehen, obwohl der Bedarf bei den sozial schwächeren Klassen deutlich höher ist.

Die im derzeitigen System der Studienfinanzierung vorgenommenen Zah-lungen von Steuertransfers und Kindergeld an die Eltern der Studierenden führen zu einer ausgeprägten Elternabhängigkeit der Studierenden. Bei einem relativ schmalen Anteil von Bezügen aus dem BAföG sind vor allem Studie-rende aus den niedrigen sozialen Herkunftsgruppen, deren Eltern weniger finanzielle Unterstützung geben können, zu Nebenverdiensten während des Studiums gezwungen. So müssen in dieser Gruppe 30 Prozent des Budgets durch eigene Verdienste gedeckt werden, während der Zusatzverdienst bei Studierenden aus der höchsten sozialen Herkunftsgruppe nur 21 Prozent des Budgets ausmacht. Insgesamt bringen Studierende mit sozial schwächerem Hintergrund trotz BAföG-Zuschuss und -Darlehen 56 Prozent ihres Budgets durch Elternbeiträge und Eigenverdienst auf (BMBF, 2010, 212).

Studiengebühren und StudienqualitätBei immer begrenzteren öffentlichen Haushalten kann eine private Betei-

ligung einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Studienqualität leisten. In Anbetracht des persönlichen finanziellen Vorteils, der sich durch eine Hochschulausbildung erzielen lässt, sollte dieser private Anteil von den Stu-dierenden und nicht von Eltern im Bereich Schule und Vorschule erbracht werden. Im Jahr 2008 konnten die Hochschulen durch Studiengebühren insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro einnehmen (Statistisches Bundesamt, 2010e). Neben den Gebühren für das Erststudium waren in dieser Summe Studiengebühren für das Zweitstudium und für Langzeitstudierende sowie Prüfungs- und Rückmeldegebühren enthalten. Hochschulen aus Bundeslän-dern mit Studiengebühren für das Erststudium können zwischen 4 und 5 Prozent ihrer Ausgaben durch Gebühren decken.

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Auch wenn es sich bei den Gebühren nur um eine geringe Budgetergänzung für die Hochschulen handelt, werden bei der Studienqualität erste Verbesse-rungen spürbar. Das zeigt der Studienqualitätsmonitor, für den die Arbeits-gemeinschaft Hochschulforschung der Universität Konstanz und das HIS seit dem Jahr 2007 jährlich zwischen 20.000 und 30.000 Studierende befragen. In den Bundesländern mit Studiengebühren im Erststudium war im Jahr 2008 gut jeder Dritte der Meinung, dass sich die Ausstattung der Hochschulen verbessert hat (HIS, 2010) – eine Zunahme um 12 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. In den Bundesländern ohne Studiengebühren ist dagegen die Zufriedenheit mit der Ausstattung rückläufig. Deutliche Unterschiede erge-ben sich auch in der Beurteilung der Betreuung: Von den Studierenden, die Gebühren zahlen, stellte jeder fünfte eine Verbesserung fest, bei den Nicht-zahlern nur jeder achte. Positive Trends gibt es auch bei den Teilnehmerzah-len in Lehrveranstaltungen und bei Service und Beratung. Dass sich die Beurteilungen hinsichtlich der Teilnehmerzahlen nicht unterscheiden, liegt wahrscheinlich daran, dass alle neuen Bundesländer mit ihren traditionell besseren Betreuungsrelationen zur Gruppe der Länder ohne Gebühren im Erststudium gehören.

Für das Land Nordrhein-Westfalen lassen sich die positiven Effekte von Studiengebühren im Detail im Protokoll der Landtagsanhörung zur Änderung des Studiengebührengesetzes und in den Rechenschaftsberichten der ein zelnen Hochschulen nachlesen. So konnte beispielsweise an der Ruhr-Universität Bochum das Lehrangebot um 20 Prozent erhöht werden. Als besonders positiv verbucht man in Bochum, dass Professoren, Studierende und Verwal-tung bei der gemeinsamen Beratung über die Verwendung der Gebühren eine intensive Diskussion um die Qualität der Lehre begonnen haben und das Lehrangebot durch zusätzliche Dozenten verbessert wurde (Ruhr-Univer sität Bochum, 2010, 360 ff.). Neben den Verbesserungen der Betreuungsrelationen weist die Arbeitsgemeinschaft der Kanzler der nordrhein-westfälischen Fachhochschulen darauf hin, dass mit den Studiengebühren gerade die Beratungs angebote für Studierende aus Familien mit nichtakademischem Hintergrund verbessert werden konnten (Landtag Nordrhein-Westfalen, 2010, 11 ff.).

5.6 HandlungsempfehlungenDer Zugang zur akademischen Bildung hat in Deutschland in den letzten

Jahren deutlich an Breite gewonnen. Seit Anfang der 1990er Jahre steigt der Anteil der Nichtakademikerkinder, der einen Studienabschluss erreicht, an

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allen Nichtakademikerkindern, vor allem in den MINT-Fächern. Die aktu-ellen Änderungen der Rahmenbedingungen im Hochschulbereich dürften die Durchlässigkeit und den Zugang zu akademischen Abschlüssen weiter verbessern. Die gestuften Studiengänge senken das Risiko einer Investition in die akademische Bildung. Dies ist besonders für Studierende aus bildungs-fernen Schichten relevant. So verringern die Bachelorabschlüsse die Amorti-sationszeit des Studiums. Ferner hat der Studierende eine Realoption, seine Investition in die akademische Bildung durch einen Masterstudiengang zu vertiefen oder in der Ausrichtung anzupassen. Damit kann der Studierende flexibel auf neue Arbeitsmarktperspektiven reagieren. Die neuen Studien-gänge hatten bisher nur geringe Effekte auf die Studienaufnahme und Mobilität. Es ist damit zu rechnen, dass nach der Umstellungsphase der Studien gänge und der Abnahme der damit verbundenen Unsicherheiten die theoretisch ableitbaren Vorteile auch empirisch deutlich sichtbarer werden.

Die Zunahme der Studienplätze an Privathochschulen führt nicht zu Problemen beim Zugang zu akademischen Abschlüssen. Vielmehr sorgen die Privathochschulen für eine höhere Durchlässigkeit des Bildungssystems. Dieser überraschende Befund lässt sich dadurch erklären, dass die meisten Privathochschulen in Deutschland – anders als in den angelsächsischen Staaten – nicht als Eliteförderer mit sehr hohen Studiengebühren am Markt agieren. Sie etablieren sich stattdessen schwerpunktmäßig am Bildungsmarkt als Aufwerter der beruflichen Bildung mit berufsbegleitenden Bachelorstu-diengängen. Damit stoßen sie in eine Lücke des staatlichen Hochschulsystems, welches sich bisher nicht in ausreichendem Maße mit dem beruflichen Bil-dungssystem verzahnt hat.

Die Einführung von moderaten Studiengebühren, die durch Studienfinan-zierungsmodelle sozial flankiert werden sollten, kann die Bildungsgerechtig-keit erhöhen. Per Gebührenfinanzierung beteiligen sich Studierende an den zusätzlichen fiskalischen Kosten ihrer Hochschulausbildung, die ihnen wie-derum den Zugang zu höheren Einkommen ermöglicht. Die Studiengebühren führen außerdem zu besseren Studienbedingungen. Die Bausteine des gegen-wärtigen Studienfinanzierungssystems könnten allerdings vonseiten des Staates in einem bundesweiten System neu miteinander kombiniert werden. Entsprechende Vorschläge liegen vor, zum Beispiel von den Spitzenverbänden der Wirtschaft (BDA et al., 2008). Einige Änderungen bei der Studienfinan-zierung sind auf der politischen Ebene bereits beschlossen worden. So wurde im Rahmen des Gesetzes zur Änderung des BAföG der Kreis der Förde-rungsberechtigten erweitert und die Höhe der Unterstützungszahlungen

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angehoben. Studierende haben darüber hinaus die Möglichkeit, Studien-kredite zu erhalten. Zum Sommersemester 2011 startete ein Stipendienpro-gramm mit dem Namen „Deutschlandstipendium“, welches leistungsstarke Studierende mit 300 Euro monatlich fördert. Finanziert wird diese Förderung jeweils zur Hälfte vom Bund und von privaten Stiftern.

Der Zugang zu den Hochschulen hat sich auch dadurch ausgeweitet, dass es inzwischen Personen ohne Abitur, aber mit einer beruflichen Ausbildung möglich ist, ein Hochschulstudium aufzunehmen. Voraussetzung dafür ist, dass eine dreijährige Berufserfahrung vorliegt und der gewünschte Studien-gang einen Bezug zu dem erlernten Beruf aufweist. Die Förderinitiative des BMBF „Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge“ (ANKOM) hat dabei die Aufgabe, Verfahren zu entwickeln, wie beruflich erworbene Kompetenzen an den Hochschulen angerechnet werden können. Um die Durchlässigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung zu verbessern, hat das BMBF gemeinsam mit den Ländern im Jahr 2010 den Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen“ ins Leben ge-rufen. Mit insgesamt 250 Millionen Euro werden seitdem Hochschulen ge-fördert, die Maßnahmen ergreifen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Studium zu verbessern sowie die Möglichkeiten zu einer praxisorientierten akademischen Ausbildung zu schaffen.

Neben diesen bereits umgesetzten Maßnahmen sollte die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung weiter erhöht werden. Ent-scheidend hierfür ist, dass auch staatliche Hochschulen verstärkt Anreize erhalten, Konzepte zu entwickeln und Angebote zu erstellen, um beruflich qualifizierten Kräften Brücken in die akademische Ausbildung zu bauen. Aus ökonomischer Sicht könnte sich in diesem Fall eine nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung positiv auswirken. Es bestünden finanzielle Anreize, zusätzliche Studienplätze samt Brückenkursen für beruflich qualifizierte Personen mit hohen Kompetenzen anzubieten. Durch diese zusätzlichen Angebote würden staatliche Hochschulen die bisherigen positiven Entwick-lungen der Privathochschulen nachholen.

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Zusammenfassung

Bildungspolitische Maßnahmen sollten die Wachstumschancen erhöhen, zu mehr Wohlstand führen und zu einer größeren Gerechtigkeit beitragen. Gerechtigkeitsaspekte können dabei sowohl im Sinne von Chancen als auch von Verteilung der Ergebnisse analysiert werden. Eine Maßnahme ist als effizient und gerecht einzuschätzen, wenn Kinder aus bildungsfernen Schich-ten einen verbesserten Zugang zur Bildung erhalten, ohne dass die Bildungs-chancen der anderen Kinder sinken (Do-no-harm-Prinzip). Durch ein An-heben der Bildungschancen von Kindern aus bildungsfernen Schichten steigt das gesellschaftliche Bildungsniveau, ohne dass es zur Verletzung anderer Gerechtigkeitsprinzipien kommen muss. Eine Kongruenz aus normativen Prinzipien und aus empirischer Akzeptanzforschung scheint also möglich.

Bildung stärkt die Mittelschicht und schützt vor sozialem AbstiegDer internationale Vergleich von Einkommensstreuung und verschiedenen

Indikatoren hat gezeigt, dass geringe Unterschiede beim Bildungsniveau in einer Gesellschaft mit einer geringen Einkommensstreuung korrelieren. Ge-lingt es, die Bildungsarmut zu verringern, ohne im mittleren oder oberen Bereich der Bildungsverteilung Einbußen zu erzeugen, so können mehr Wachstum und mehr Verteilungseffizienz erreicht werden.

Die Vermeidung von Bildungsarmut führt bei der Einkommensverteilung innerhalb Deutschlands zu positiven Ergebnissen. Ein mittlerer Bildungsab-schluss in Deutschland ist mit mittleren Einkommensperspektiven verbunden. Dabei wird empirisch deutlich, dass für Mittelqualifizierte der Zugang zur Mittelschicht von 1993 bis 2000 deutlich breiter geworden und danach nur leicht gesunken ist. Gehörten unter den Mittelqualifizierten im Jahr 1993 noch 62 Prozent zur Einkommensmittelschicht, so ist dieser Anteil bis zum Jahr 2009 auf fast 67 Prozent gestiegen. Personen mit einer mittleren Quali-fikation konnten damit den Status „Mittelschicht“ festigen.

Vermehrt zur Gruppe der Haushalte mit geringeren Einkommen gehören Migranten und Alleinerziehende. Migranten haben dann niedrigere Bildungs-renditen, wenn sie ihre Bildungsabschlüsse im Ausland erworben haben. Die Einkommensperspektiven von Alleinerziehenden leiden darunter, dass diese Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Verantwortlich dafür sind fehlende Betreuungsangebote. Da sich die Anteile von Alleinerziehenden und

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Migranten in den letzten Jahren erhöht haben, ist es zur Festigung der Mit-telschicht wichtig, für diese Personen den Arbeitsmarktzugang zu verbessern.

Höhere Bildungsabschlüsse schützen in Deutschland vor dem sozialen Abstieg und sind mit einer höheren Aufstiegsmobilität verbunden. Seit den 1990er Jahren ist der Schutz vor einem Abstieg für Personen mit mindestens mittlerem Bildungsabschluss auf hohem Niveau konstant geblieben. Die guten Einkommensperspektiven der Mittel- und Hochqualifizierten dürften in den kommenden Jahren bestehen bleiben, selbst wenn es in Deutschland zu einer deutlichen Höherqualifizierung kommen sollte. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt in dem demografiebedingt zunehmenden Ersatzbedarf bei Fach- und Führungskräften. Eine Bildungsexpansion in Deutschland kann somit beiden Zielen dienen: mehr Wachstum und mehr Verteilungs-effizienz.

Fortschritte beim Zugang zu mittleren QualifikationenSeit dem Schock der ersten PISA-Erhebung haben sich wichtige gerech-

tigkeitsrelevante Aspekte beim Zugang zu Bildung verbessert. Seit dem Jahr 2000 ist es gelungen, den Effekt des sozioökonomischen Hintergrunds der Familien auf die Bildungserfolge der Kinder zu verringern und die Bildungs-armut zu reduzieren. Gleichzeitig ist das durchschnittliche Kompetenzniveau der Jugendlichen gestiegen. Die Schüler am unteren Ende der Kompetenz-verteilung konnten folglich zulegen und ihren Abstand zum oberen Ende verringern, ohne dass dort die Leistungen gesunken sind. Ähnliches ist auch für die Migranten zu beobachten: Die Risikogruppe unter ihnen ist kleiner geworden, der Abstand zu den Nichtmigranten hat abgenommen und gleich-zeitig konnten die Nichtmigranten sogar leicht zulegen. Aufgrund des Höher-qualifizierungstrends am Arbeitsmarkt und des steigenden Anteils an Mi-grantenkindern sind weitere Fortschritte bei der Reduzierung von Bildungs-armut dringend nötig.

Die Ausgestaltung der frühkindlichen und schulischen Bildung in Deutsch-land wirkt sich unterschiedlich auf den Zugang zu Bildung aus. Die früh-kindliche Bildung hat besonders bei Kindern aus bildungsfernen Schichten stark positive Wirkungen auf die Entwicklung. Damit hat die frühkindliche Bildung das Potenzial, Schwächere zu fördern, den Abstand zu Stärkeren zu verringern und gleichzeitig auch die Stärkeren voranzubringen. Der Bildungs-gerechtigkeit kann damit auf effiziente Weise gedient werden. Leider sinkt jedoch die Beteiligung an frühkindlicher Bildung mit dem sozioökonomischen Status. Seit dem PISA-Schock erhöht sich aber die Teilnahme von Migranten

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und Kindern aus bildungsfernen Schichten. Damit kann die frühkindliche Bildung besser als noch vor wenigen Jahren zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen.

Im Bereich der Schulen haben die Schulstruktur und die Schulträgerschaft auf die Bildungsgerechtigkeit nur geringe Effekte, die wiederum von der konkreten Ausgestaltung abhängen. In Ländern mit späterer Aufteilung der Schüler auf weiterführende Schulformen als in Deutschland schneiden die Kinder am unteren Ende der Kompetenzverteilung besser ab, ohne dass damit am oberen Ende Kompetenzverluste verbunden sind. Neben dem Zeitpunkt der Trennung bestehen weitere Verbesserungspotenziale beim Übergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen. Zu den Privat-schulen ist festzuhalten, dass diese die Chancengerechtigkeit und Leistungs-fähigkeit des Bildungssystems verbessern können, wenn sie zu einem hohen Teil öffentlich finanziert werden. Ist der öffentliche Finanzierungsanteil zu gering, dann bleibt der Zugang zu besonders gut fördernden Einrichtungen für Kinder aus einkommensschwächeren Haushalten unter Umständen verschlossen.

Die berufliche Bildung hat in den letzten Jahren ihre kompensatorische Funktion ausbauen können. Dadurch hat das berufliche Bildungssystem dazu beigetragen, dass mehr junge Menschen eine Studienberechtigung erreichen. Besonders positiv wirken sich in diesem Zusammenhang die beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg aus. Ferner gelingt es der dualen Ausbil-dung, dass in Deutschland trotz einer vergleichsweise großen PISA-Risiko-gruppe nur wenige junge Erwachsene ohne abgeschlossene Berufsausbildung verbleiben und die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland sehr niedrig ist. Eine fehlende Berufsausbildung ist in vielen Staaten auf dem Arbeitsmarkt eine zentrale Einstiegsbarriere.

Fortschritte beim Zugang zu akademischer BildungAuch beim Zugang zu akademischen Abschlüssen hat es in Deutschland

in den letzten Jahren Verbesserungen gegeben. Seit Anfang der 1990er Jahre ist der Anteil der Nichtakademikerkinder, der einen Studienabschluss erreicht oder anstrebt, an allen Nichtakademikerkindern von 15,5 Prozent im Zeit-raum 1993–1997 auf fast 20 Prozent im Zeitraum 2006–2009 angestiegen. Besonders häufig gelangen dabei Aufstiege in den MINT-Fächern.

Die Strukturreform im Hochschulbereich dürfte die Durchlässigkeit und den Zugang zu akademischen Abschlüssen weiter verbessern, da die ge stuften Studiengänge das Risiko einer Investition in die akademische Bildung senken.

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Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Einführung der Bachelorstudiengänge bisher keine großen Auswirkungen auf die Studienauf- nahme hatte. Insgesamt nimmt die Studienanfängerquote unabhängig von der Hochschulstruktur zu. Die häufig geäußerten Bedenken gegen die neuen Studiengänge laufen ins Leere: Die Mobilität der Studierenden steigt vor allem beim Übergang vom Bachelor- zum Masterstudiengang. Bei der Analyse der Berufs- und Karriereperspektiven ergibt sich, dass die gestuften Studien-gänge keinen Nachteil beim Zugang zum Arbeitsmarkt mit sich bringen. Bachelor absolventen haben grundsätzlich verschiedene Karriere optionen in Unternehmen.

Auch der zunehmende Anteil an Privathochschulen zeugt nicht von einer sinkenden Durchlässigkeit des Bildungssystems – im Gegenteil. Privathoch-schulen agieren in Deutschland nicht vorwiegend wie in den angelsächsischen Staaten als Eliteförderer mit sehr hohen Studiengebühren, sondern verzahnen als „Aufwerter“ die berufliche und akademische Bildung. Diese Aufgabe wurde in der Vergangenheit von den staatlichen Hochschulen nur unzurei-chend erfüllt.

Letztlich ist auch die Einführung von moderaten Studiengebühren gerecht, wenn sie durch Studienfinanzierungsmodelle sozial flankiert werden. Studie-rende beteiligen sich an den zusätzlichen fiskalischen Kosten, die ihr Hoch-schulbesuch verursacht, und erreichen durch ihr Studium einen besseren Zugang zu höheren Einkommen.

Aktuelle politische Maßnahmen für mehr BildungsgerechtigkeitDie Politik hat in den letzten Jahren eine Reihe an Maßnahmen umgesetzt,

die zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen können. Die Betreuungsinfrastruk-tur für Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren ist in Deutschland sehr gut ausgebaut. In den vergangenen Jahren wurden erhebliche Fortschritte beim Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für unter dreijährige Kinder erzielt. Hierdurch ist der Arbeitsmarktzugang für Allein erziehende verbessert wor-den. Ferner können dadurch Kinder aus bildungsfernen Haushalten besser gefördert werden. Von mehr Angeboten zur Sprachförderung profitieren vor allem Migrantenkinder. An den öffentlichen Schulen sind Maßnahmen wie die Einführung von Standards und Vergleichsarbeiten sowie erste Ansätze zu mehr Autonomie umgesetzt worden, die einen Ideenwettbewerb um bessere Qualität entfachen können. Insgesamt sollte es durch diese Maß nahmen gelingen, Fortschritte beim Zugang zu mittleren und höheren Qualifikationen zu erreichen.

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Um die im Ausland erworbenen Qualifikationen besser nutzen zu können, hat die Bundesregierung ein „Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen“ auf den Weg gebracht. Dieses Gesetz soll allen Zuwanderern mit ausländischen Abschlüssen unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status und ihrer Staatsangehörigkeit ein Anerkennungsverfahren ermöglichen. Zudem sollen bei festgestellten wesentlichen Unterschieden zwischen dem deutschen Re-ferenzberuf und einer ausländischen Qualifikation Weiterbildungsangebote zur Verfügung gestellt werden. Insgesamt verbessern sich damit die Einkom-mensperspektiven für Migranten.

Um den Zugang zu akademischen Abschlüssen zu erleichtern, wurde das Angebot an Studienplätzen ausgebaut. Daneben können auch Berufstätige ohne Abitur an deutschen Hochschulen studieren. Mit mindestens dreijäh-riger Berufserfahrung können sie Studiengänge aufnehmen, die zum erlernten Beruf passen. Um die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung zu erhöhen, gibt es Projekte zur Anrechnung beruflicher Kompe-tenzen auf das Hochschulstudium. Ferner werden vom BMBF in den kom-menden Jahren Hochschulen gefördert, die sich für beruflich qualifizierte Fachkräfte öffnen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Studienfinanzierung. Fortschritte bei der Studienfinanzierung wurden mit den jüngsten BAföG-Beschlüssen er-reicht. Ferner können Studienkredite aufgenommen werden. Als weitere Finanzierungssäule ist das neu eingeführte Stipendienprogramm zu nennen. Dieses fördert mit 300 Euro monatlich Studierende, die nach Leistungskri-terien ausgewählt werden. Die Finanzierung teilen sich der Bund und private Geldgeber.

Bestehender HandlungsbedarfAufgrund des Höherqualifizierungstrends am Arbeitsmarkt ist die Ver-

meidung von Bildungsarmut ein politisches Ziel, dessen Bedeutung zunimmt. Trotz der Fortschritte in der Bildungspolitik gibt es weiteren Handlungsbe-darf, um die Bildungsgerechtigkeit zu erhöhen. So könnten in der frühkind-lichen Bildung die Erzieherinnen und Erzieher auf akademischem Niveau ausgebildet werden. Die Trennung der Schulkinder auf verschiedene Schul-formen könnte später erfolgen als bisher und die Lehrkräfte bei den Über-gangsempfehlungen sollten mehr unterstützt sowie besser qualifiziert werden. Ebenso sind bei der Übergangsentscheidung bessere Informationen für die Eltern nötig. Des Weiteren wäre es wichtig, Privatschulen zu einem möglichst

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hohen Teil öffentlich zu finanzieren, um einen Qualitätswettbewerb um bessere Ideen zu entfachen und Segregationseffekte zu vermeiden. Ferner sollten die Auto nomie der Schulen noch mehr gestärkt und die Evaluierungskultur an Schulen weiterentwickelt werden.

Um die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung weiter zu erhöhen, sollten mehr staatliche Hochschulen als bisher entspre-chende Konzepte entwickeln und Angebote erstellen. Aus ökonomischer Sicht könnte sich in diesem Fall eine nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung positiv auswirken. Es bestünden finanzielle Anreize, zusätzliche Studien plätze samt Brückenkursen für beruflich qualifizierte Personen mit hohen Kompe-tenzen anzubieten und damit die positiven Entwicklungen der Privathoch-schulen an staatlichen Hochschulen zu wiederholen.

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KurzdarstellungIn den letzten Jahren ist die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland gestiegen.

Der Zusammenhang zwischen mittlerem Bildungsabschluss und mittleren Einkommensperspektiven wurde gefestigt – ein mindestens mittlerer Bildungs-abschluss schützt vor sozialem Abstieg. Der Zugang zu mittleren Qualifika-tionen wurde verbessert: Der Effekt des sozioökonomischen Hintergrunds der Familien auf die Bildungserfolge der Kinder nahm ab und Bildungsarmut wurde reduziert. Kinder von Nichtakademikern erreichen zu einem höheren Anteil als früher einen Hochschulabschluss – besonders in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Zur weiteren Verbesserung der Bildungsgerechtigkeit sollten der frühkindliche Bildungs-bereich gestärkt, die Übergänge zwischen den Bildungsstufen optimiert, Privatschulen zu einem möglichst großen Teil öffentlich finanziert, die Auto-nomie der Schulen noch mehr erhöht und die Evaluierungskultur an Schulen weiterentwickelt werden. Um die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung weiter zu steigern, sollten staatliche Hochschulen stärker als bisher Anrechnungskonzepte entwickeln und berufsbegleitende Angebote erstellen.

AbstractIn recent years the German education system has become more equitable.

The link between achieving a medium level of education and medium earning prospects has become firmly established, protecting those with at least a medium level of education from downward mobility. Access to medium-level qualifications has been improved: the influence of a family’s socioeconomic status on the educational success of its children has decreased and the number of the poorly educated has been reduced. A greater proportion of children whose parents have no tertiary education now obtain a university degree – particularly in the so-called MINT subjects (mathematics, IT, natural sciences and technology). To improve educational equity even further, pre-school education should be expanded, the transition between stages of education should be optimised, private schools should be funded as far as possible by the state, schools should be allowed even more autonomy and the culture of assessment in schools should continue to be developed. In order to further increase permeability between occupational training and tertiary education, state universities should do more to recognise and give credit for external qualifications and to provide courses for part-time study.

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Die AutorenDr. rer. pol. Christina Anger, geboren 1974 in Hildesheim; Studium der Volkswirtschaftslehre und Promotion in Trier; seit 2004 im Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Senior Economist im Arbeitsbereich „Beschäf-tigung und Qualifikation“.

Christiane Konegen-Grenier, geboren 1956 in Mülheim an der Ruhr; Studium der Geschichte, Germanistik, Pädagogik und Philosophie in Köln und Bordeaux; seit 1986 im Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Senior Researcher im Arbeitsbereich „Akademische Bildung“.

Dr. rer. pol. Sebastian Lotz, geboren 1983 in Köln; Studium der Volkswirt-schaftslehre in Köln und Lima und Promotion in Köln und New Haven (Connecticut); seit 2011 im Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Economist im Arbeitsbereich „Innovationsökonomik“.

Prof. Dr. rer. pol. Axel Plünnecke, geboren 1971 in Salzgitter; Studium der Volkswirtschaftslehre in Göttingen und Promotion in Braunschweig; seit 2003 im Institut der deutschen Wirtschaft Köln; seit 2005 stellvertretender Leiter des Wissenschaftsbereichs „Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik“; seit 2010 zudem Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken.