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Medizinisches Versorgungszentrum der UMG Bereich Humangenetik Heinrich-Düker-Weg 12 37073 Göttingen Informationsblatt: Hereditäre Spatische Paraplegie (HSP; SPG), allgemein Stand: 01.09.2014 Seite 1 von 3 Version: 1.1-0914 Die HSP wird klinisch in eine reine Form und in eine komplizierte Form eingeteilt: Bei der reinen Form beschränkt sich die Symptomatik auf die unteren Extremitäten, mit spastischer Tonuserhöhung der Muskulatur, gesteigerten Muskeleigenreflexen, einem positiven Babinski-Zeichen und Muskelschwäche. Eine verminderte Pallästhesie, eine Urge-Inkontinenz sowie eine Hyperreflexie der oberen Extremitäten können hinzukommen. Als Diagnosekriterien für die unkomplizierte HSP gelten: 1. Spastische Tonuserhöhung der unteren Extremitäten 2. Parese der unteren Extremitäten, in der Regel weniger ausgeprägt als die Spastik 3. Hyperreflexie der unteren Extremitäten 4. Positive Familienanamnese 5. Positives Babinski-Zeichen 6. Blasenentleerungsstörung 7. Leichte Sensibilitätsstörung (reduziertes Vibrations- und Gelenklageempfinden) 8. Hyperreflexie und Schwäche der oberen Extremitäten 9. Ausschluss sonstiger Erkrankungen Sind die Kriterien 1-4 und 9 erfüllt, so besteht eine klinisch gesicherte unkomplizierte autosomal domi- nante HSP. Sind diese Kriterien mit Ausnahme der positiven Familienanamnese erfüllt, kann auch eine unkomplizierte autosomal rezessive oder X-chromosomale HSP vorliegen. Bei der komplizierten Form treten zusätzliche neurologische Symptome auf wie Opticusatrophie, Re- tinopathie, extrapyramidalmotorische Störungen, Demenz, Ataxie, Epilepsie, mentale Retardierung sowie Taubheit und Ichthyosis. Die phänotypische Variabilität innerhalb und zwischen den Familien ist erheblich. Die Patienten fallen in der Regel mit einer progredienten spastischen Gangstörung auf. Differentialdiagnostisch müssen andere Ursachen einer Paraparese wie Autoimmunerkrankungen (z.B. Multiple Sklerose), neurodegenerative Erkrankungen (z.B. spinocerebelläre Ataxien, ALS), meta- bolische Störungen (z.B. Vitamin B12-Mangel, Vitamin E-Mangel, Abetalipoproteinämien, Leukodys- trophien), strukturelle Anomalien (z.B. Arnold-Chiari-Malformation, Spondylosis, Syringomyelie, Ge- fäßfehlbildungen, Tumoren) sowie Infektionkrankheiten (z.B. Neurolues, AIDS, tropische spastische Paraparese) ausgeschlossen werden. Nach dem Erbgang erfolgt eine Einteilung in die meist vorliegenden autosomal dominant vererbten Formen (70-80 %): (SPG3A, ATL: 14q11; SPG4, SPAST: 2p21; SPG6, NIPA1: 15q11; SPG8, KIAA0196: 8q24; SPG10, KIF5A: 12q13; SPG12, RTN2: 19q13; SPG13, HSPD1: 2q33; SPG17, BSCL2: 11q12; SPG31, REEP1: 2p11; SPG33, ZFYVE27: 10q24; SPG42, SLC33A1: 3q25), seltene- re autosomal rezessive Formen (~20 %): (SPG5, CYP7B1: 8p12; SPG7, SPG7: 16q24; SPG11, KIAA1840: 15q13; SPG15, ZFYVE26: 14q24; SPG18, ERLIN2: 8p12; SPG20, SPG20: 13q13; SPG21, SPG21: 15q22; SPG26, B4GALNT1: 12p11; SPG28, DDHD1: 14q22; SPG30, KIF1A: 2q37; SPG35, FA2H: 16q23; SPG39, PNPLA6: 19q13; SPG43, C19orf12: 19p13; SPG44, GJA12: 1q41; SPG46, GBA2: 9p13; SPG47, AP4B1: 1p13; SPG48, KIAA0415: 7p22; SPG49, TECPR2: 14q32; SPG50, AP4M1: 7q22; SPG51, AP4E1: 15q21; SPG52, AP4S1: 14q12; SPG53, VPS37A:

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Medizinisches Versorgungszentrum der UMG Bereich Humangenetik Heinrich-Düker-Weg 12 37073 Göttingen

Informationsblatt: Hereditäre Spatische Paraplegie (HSP; SPG), allgemein Stand: 01.09.2014

Seite 1 von 3 Version: 1.1-0914

Die HSP wird klinisch in eine reine Form und in eine komplizierte Form eingeteilt:

Bei der reinen Form beschränkt sich die Symptomatik auf die unteren Extremitäten, mit spastischer Tonuserhöhung der Muskulatur, gesteigerten Muskeleigenreflexen, einem positiven Babinski-Zeichen und Muskelschwäche. Eine verminderte Pallästhesie, eine Urge-Inkontinenz sowie eine Hyperreflexie der oberen Extremitäten können hinzukommen.

Als Diagnosekriterien für die unkomplizierte HSP gelten:

1. Spastische Tonuserhöhung der unteren Extremitäten

2. Parese der unteren Extremitäten, in der Regel weniger ausgeprägt als die Spastik

3. Hyperreflexie der unteren Extremitäten

4. Positive Familienanamnese

5. Positives Babinski-Zeichen

6. Blasenentleerungsstörung

7. Leichte Sensibilitätsstörung (reduziertes Vibrations- und Gelenklageempfinden)

8. Hyperreflexie und Schwäche der oberen Extremitäten

9. Ausschluss sonstiger Erkrankungen

Sind die Kriterien 1-4 und 9 erfüllt, so besteht eine klinisch gesicherte unkomplizierte autosomal domi-nante HSP. Sind diese Kriterien mit Ausnahme der positiven Familienanamnese erfüllt, kann auch eine unkomplizierte autosomal rezessive oder X-chromosomale HSP vorliegen.

Bei der komplizierten Form treten zusätzliche neurologische Symptome auf wie Opticusatrophie, Re-tinopathie, extrapyramidalmotorische Störungen, Demenz, Ataxie, Epilepsie, mentale Retardierung sowie Taubheit und Ichthyosis.

Die phänotypische Variabilität innerhalb und zwischen den Familien ist erheblich. Die Patienten fallen in der Regel mit einer progredienten spastischen Gangstörung auf.

Differentialdiagnostisch müssen andere Ursachen einer Paraparese wie Autoimmunerkrankungen (z.B. Multiple Sklerose), neurodegenerative Erkrankungen (z.B. spinocerebelläre Ataxien, ALS), meta-bolische Störungen (z.B. Vitamin B12-Mangel, Vitamin E-Mangel, Abetalipoproteinämien, Leukodys-trophien), strukturelle Anomalien (z.B. Arnold-Chiari-Malformation, Spondylosis, Syringomyelie, Ge-fäßfehlbildungen, Tumoren) sowie Infektionkrankheiten (z.B. Neurolues, AIDS, tropische spastische Paraparese) ausgeschlossen werden.

Nach dem Erbgang erfolgt eine Einteilung in die meist vorliegenden autosomal dominant vererbten Formen (70-80 %): (SPG3A, ATL: 14q11; SPG4, SPAST: 2p21; SPG6, NIPA1: 15q11; SPG8, KIAA0196: 8q24; SPG10, KIF5A: 12q13; SPG12, RTN2: 19q13; SPG13, HSPD1: 2q33; SPG17, BSCL2: 11q12; SPG31, REEP1: 2p11; SPG33, ZFYVE27: 10q24; SPG42, SLC33A1: 3q25), seltene-re autosomal rezessive Formen (~20 %): (SPG5, CYP7B1: 8p12; SPG7, SPG7: 16q24; SPG11, KIAA1840: 15q13; SPG15, ZFYVE26: 14q24; SPG18, ERLIN2: 8p12; SPG20, SPG20: 13q13; SPG21, SPG21: 15q22; SPG26, B4GALNT1: 12p11; SPG28, DDHD1: 14q22; SPG30, KIF1A: 2q37; SPG35, FA2H: 16q23; SPG39, PNPLA6: 19q13; SPG43, C19orf12: 19p13; SPG44, GJA12: 1q41; SPG46, GBA2: 9p13; SPG47, AP4B1: 1p13; SPG48, KIAA0415: 7p22; SPG49, TECPR2: 14q32; SPG50, AP4M1: 7q22; SPG51, AP4E1: 15q21; SPG52, AP4S1: 14q12; SPG53, VPS37A:

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Medizinisches Versorgungszentrum der UMG Bereich Humangenetik Heinrich-Düker-Weg 12 37073 Göttingen Informationsblatt: Hereditäre Spastische Paraplegie (HSP; SPG), allgemein Stand: 03.08.2015

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8p22; SPG54, DDHD2: 8p11; SPG55, C12orf65 : 12q24; SPG56, CYP2U1: 4q25; SPG57, TFG: 3q12; SPG58, KIF1C: 17p13; SPG59, USP8: 15q21; SPG60, WDR48: 3p22; SPG61, ARL6IP1: 16p12; SPG62, ERLIN1: 10q24; SPG63, AMPD2: 1p13; SPG64, ENTPD1: 10q24; SPG65, NT5C2: 10q24; SPG66, ARSI: 5q32; SPG67, PGAP1: 2q33; SPG68, FLRT1: 11q13; SPG69, RAB3GAP2: 1q41; SPG70, MARS: 12q13; SPG71, ZFR: 5p13;) und die nur in Einzelfäl-len auftretenden X-chromosomal rezessiven Formen (SPG1, L1CAM: Xq28; SPG2, PLP: Xq22; SPG22, SLC16A2: Xq13).

SPG4 ist die häufigste Form der autosomal dominanten HSP und beruht auf Mutationen im SPAST-Gen (Spastin; OMIM 604277). Es wurde im Jahre 1999 identifiziert. Mutationen im SPAST-Gen wer-den bei circa 40% - 50% der Familien mit autosomal dominantem Erbgang der HSP gefunden.. Es umfasst 17 Exons und ist auf Chromosom 2p22 lokalisiert. Bei dem Genprodukt (67 kD, 616 Amino-säuren) handelt es sich um eine im menschlichen Körper ubiquitär vorkommende ATPase, die zur Familie der AAA-Proteine gehört und als Chaperon wirkt. Sie soll beim Mikrotubuli-Severing eine Rolle spielen. Bisher wurden 472 Mutationen im SPAST-Gen beschrieben (Human Gene Mutation Data-base; HGMD® Professional 2014.2 - Stand: 01. September, 2014).

SPG3A ist eine weitere Form der autosomal-dominat vererbten HSP. Das hierfür beschriebene ATL-Gen setzt sich aus 14 Exons zusammen und kodiert für das Protein Atlastin GTPase 1 (63,5 kD, 558 Aminosäuren), das Homologien zu verschiedenen GTPasen aufweist. Mutationen im ATL-Gen (Alastin GTPase 1; OMIM 606439) sind für circa 10% der Mutationen in Familien mit autosomal dominanter HSP verantwortlich. Bisher wurden 56 verschiedene Mutationen im ATL-Gen beschrieben (Human Gene Mutation Database; HGMD® Professional 2014.2 - Stand: 01. September, 2014). Patienten mit ATL-Mutation zeigen die ersten Symptome der Erkrankung häufig schon während der Kindheit.

Bei ca. 6-8% der Patienten mit klinischem Verdacht auf eine autosomal-dominante HSP und ohne detektierbare Mutationen in den Genen ATL und SPAST werden Mutationen im REEP1-Gen (SPG31, OMIM 609139) identifiziert. Somit stellen Mutationen im REEP1-Gen die dritthäufigste Form der auto-somal dominanten HSP dar (Goizet C et al. 2011, Hum. Mutat. 32: 1118-1127, Lo Giudice T et al. 2014. Exp. Neurol. 261C: 518-539). Das REEP1-Gen ist auf Chromosom 2p11.2 lokalisiert und er-streckt sich über 7 Exons. Innerhalb des 3'-UTR-Bereichs des REEP1-Gens befinden sich ebenfalls Bindungstellen verschiedener Micro-RNAs (miRNAs). Die MicroRNAs erfüllen eine wichtige Aufgabe bei der Steuerung der Genaktivität. Bislang sind 45 verschiedene krankheitsverursachende Mutatio-nen im REEP1-Gen bzw. im 3'-UTR-Bereich beschrieben worden (Human Gene Mutation Database; HGMD® Professional 2014.2 – Stand: 01. September, 2014). HSP-Patienten mit Mutationen im REEP1-Gen weisen in der Regel eine unkomplizierte Form der Erkrankung auf.

Eine autosomal rezessive Form der spastischen Paraplegie kann durch Mutationen im SPG7-Gen verursacht werden. Das SPG7- Gen (OMIM 602783) setzt sich aus 17 Exons zusammen und ist auf Chromosom 16 (16q24.3) lokalisiert. Das Gen spannt sich über eine Region von ca. 52 kb und kodiert für ein Protein mit 795 Aminosäuren. Bisher wurden 90 verschiedene Mutationen im SPG7-Gen be-schrieben (Human Gene Mutation Database; HGMD® Professional 2014.2 - Stand: 01. September, 2014).

Eine weitere Form der autosomal-rezessiven spastischen Paraplegie wird mit Mutationen im SPG11-Gen (OMIM 610844) in Zusammenhang gebracht. Ein fast immer vorhandenes Merkmal der SPG11 ist das dünne Corpus Callosum im cMRT (thinning of the corpus callosum (TCC), 41-77%). Das Gen ist auf Chromosom 15 lokalisiert (15q13-15) und umfasst 40 Exone. Es kodiert für das Protein Spatacsin mit einer Länge von 2443 Aminosäuren. 156 Mutationen sind in der Human Gene Mutation Datenbank (HGMD® Professional 2014.2 - Stand: 01. September, 2014) eingetragen. Das Spektrum

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Medizinisches Versorgungszentrum der UMG Bereich Humangenetik Heinrich-Düker-Weg 12 37073 Göttingen Informationsblatt: Hereditäre Spastische Paraplegie (HSP; SPG), allgemein Stand: 03.08.2015

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der Mutationen betrifft sowohl die Regionen der kodierenden Exone als auch konservierte Spleißstel-len des SPG11-Gens.

Eine parallele Analyse aller Gene, die in Zusammenhang mit HSP beschrieben wurden, bieten wir Ihnen im Rahmen einer Multi-Gen Panel Diagnostik an (siehe auch unser Informationsblatt: Panel-Diagnostik HSP).

Für Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung:

- bei medizinischen Fragen: Dr. med. Eva Schwaibold Tel.: 0551 / 39-9016 E-Mail: [email protected]

- bei technischen Fragen: Dr. rer. nat. Arne Zibat Tel.: 0551 / 39-7592

E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. rer. nat. Peter Burfeind Tel.: 0551 / 39-7995

E-Mail: [email protected]