INKARNATION - Grenzen werden gesprengt€¦ · Das Geheimnis, das Geschenk von Weihnachten sprengt...

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Januar 2016 Nr. 93 INKARNATION - Grenzen werden gesprengt

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Januar 2016 Nr. 93

INKARNATION -

Grenzen werden gesprengt

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Aus dem Inhalt

Zum ThemaGrenzenVon Dr. Josef Bordat 4Gewalt –Um Gottes willenVon Prof. Dr. Thomas Elssner 7

AktuellAußerordentliches Jubiläum der Barmherzigkeit 13

Katharina KasperKatharina Kasper und das Jahr der BarmherzigkeitVon Sr. M. Gottfriedis Amend ADJC 14

WiderhakenWas ist der MenschVon P. Elmar Busse ISCH 21

ADJC nationalSeligsprechungsverfahren fürAloysia Löwenfels ADJC eröffnetVon Friderike Lanz 22Kirche unter freiem Himmel – Familienwallfahrt 2015Aus der Kirchenzeitung „Der Sonntag“ 24Enthüllung der Gedenktafel `Lichtstein´Von sms 27Verabschiedung des Konventes von DilbornVon Sr. M. Simone Weber ADJC 28

Große Frauen der ADJCHeute: Sr. M. Herluka Bierbaum ADJCVon Sr. M. Theresia Winkelhöfer ADJC 30

Bücher bauen BrückenDie leise Sprache GottesVon Sr. M. Theresia Winkelhöfer ADJC 33

In Memoriam 34

“Das Phänomen der Begrenztheit gehört zu den menschlichen Grunderfahrungen. Sieht man von den glücklichen Jahren einer unbeschwerten Kindheit ab, in denen das Empfinden einer Unend-lichkeit in zeitlicher und räumlicher Dimension noch zum Alltag gehört, weiß der Mensch schon bald um seine Grenzen. Alles hat ein Ende, alles hat Grenzen. Grenzen sind universell.” (S. 4)

3

Editorial

EditorialLiebe Schwestern,liebe Freunde unserer Gemeinschaft!

Wahrscheinlich geht es Ihnen ebenso: Steht ein Jahreswechsel an, sind wir in diesen Tagen mit der Vergangenheit und mit der Zukunft beschäftigt. Und sowohl bei dem, was hinter uns liegt, als auch bei dem, was vor uns liegt, begegnen wir Grenzen – Grenzerfahrungen im persönlichen Leben, was Krankheit und Alter betrifft, Grenzerfahrun-gen in der Gemeinschaft oder Familie, Grenzerfahrungen im Beruf, in der Gesellschaft, in der Kirche. Immer und überall werden wir mit Grenzen konfrontiert.

Das Geheimnis, das Geschenk von Weihnachten sprengt alle Gren-zen. Reinhold Schneider drückt es so aus: „… in Wahrheit hatte sich in dieser Nacht alles verändert. Mitten im Laufe war der Weg der Welt gewendet worden. Eine Macht ohnegleichen war gekommen …“ („Das Heilige Kind“ in „Das Gottesreich in der Zeit – Sonette und Aufsätze von Reinhold Schneider“, S. 146).

Grenzen, Begrenztheit gehört zum Menschsein. Diese Erfahrung werden wir auch in diesem neuen Jahr immer wieder machen – die eine häufiger, der andere weniger bedrängend. Doch bei allen Grenz-erfahrungen wünschen wir Ihnen einen starken Glauben an das Geheimnis der Inkarnation und damit die unerschütterliche Gewiss-heit: Auch meine Grenzen sind gesprengt. Eine Macht ohnegleichen ist gekommen – und diese Macht begleitet Sie und uns auf den noch unbekannten Wegen durch das Jahr 2016. In diesem Sinne wünschen wir – das Redaktions-Team der „Brücke der Hoffnung“ – Ihnen und Ihren Lieben ein von Gott gesegnetes Neues Jahr.

Sicher ahnen Sie es schon: Das Thema der „Brücke“, das uns in diesem Jahr begleiten wird, lautet „GRENZEN“. Wie bei so vielen Themen, die wir uns schon vorgenommen haben, ist auch dieses Thema „ein weites Feld“, um mit Fontanes altem Briest zu sprechen. Wieder müssen wir auswählen; und wir hoffen, dass wir bei dieser Auswahl und bei der Gestaltung der einzelnen Themen auch Ihr Interesse wecken und treffen. Am Beginn steht eine existenzphiloso-phische Betrachtung der Grenzen, für die wir zu unserer großen Freude wieder Dr. Josef Bordat gewinnen konnten. Dass uns das Thema im Alten Testament auf Schritt und Tritt begegnet, das macht Prof. Dr. Thomas Elßner deutlich. Ja, und Sie können sich auf eine neue Rubrik freuen. Unser Spiritual Pater Elmar Busse setzt sich mit „Widerhaken“ auseinander. Auch die können zu Grenzerfahrungen führen.

Haben wir Sie neugierig gemacht? Das neue Jahr mit der „Brücke der Hoffnung“ wird spannend werden. Und wir freuen uns, dass Sie uns die Treue halten und mit dabei sind. Von Herzen danken wir Ihnen dafür.

Ihre Sr. M. Theresia Winkelhöfer ADJCund „Brücke“-Team

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Aus dem Inhalt

Zum ThemaGrenzenVon Dr. Josef Bordat 4Gewalt –Um Gottes willenVon Prof. Dr. Thomas Elssner 7

AktuellAußerordentliches Jubiläum der Barmherzigkeit 13

Katharina KasperKatharina Kasper und das Jahr der BarmherzigkeitVon Sr. M. Gottfriedis Amend ADJC 14

WiderhakenWas ist der MenschVon P. Elmar Busse ISCH 21

ADJC nationalSeligsprechungsverfahren fürAloysia Löwenfels ADJC eröffnetVon Friderike Lanz 22Kirche unter freiem Himmel – Familienwallfahrt 2015Aus der Kirchenzeitung „Der Sonntag“ 24Enthüllung der Gedenktafel `Lichtstein´Von sms 27Verabschiedung des Konventes von DilbornVon Sr. M. Simone Weber ADJC 28

Große Frauen der ADJCHeute: Sr. M. Herluka Bierbaum ADJCVon Sr. M. Theresia Winkelhöfer ADJC 30

Bücher bauen BrückenDie leise Sprache GottesVon Sr. M. Theresia Winkelhöfer ADJC 33

In Memoriam 34

“Das Phänomen der Begrenztheit gehört zu den menschlichen Grunderfahrungen. Sieht man von den glücklichen Jahren einer unbeschwerten Kindheit ab, in denen das Empfinden einer Unend-lichkeit in zeitlicher und räumlicher Dimension noch zum Alltag gehört, weiß der Mensch schon bald um seine Grenzen. Alles hat ein Ende, alles hat Grenzen. Grenzen sind universell.” (S. 4)

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Editorial

EditorialLiebe Schwestern,liebe Freunde unserer Gemeinschaft!

Wahrscheinlich geht es Ihnen ebenso: Steht ein Jahreswechsel an, sind wir in diesen Tagen mit der Vergangenheit und mit der Zukunft beschäftigt. Und sowohl bei dem, was hinter uns liegt, als auch bei dem, was vor uns liegt, begegnen wir Grenzen – Grenzerfahrungen im persönlichen Leben, was Krankheit und Alter betrifft, Grenzerfahrun-gen in der Gemeinschaft oder Familie, Grenzerfahrungen im Beruf, in der Gesellschaft, in der Kirche. Immer und überall werden wir mit Grenzen konfrontiert.

Das Geheimnis, das Geschenk von Weihnachten sprengt alle Gren-zen. Reinhold Schneider drückt es so aus: „… in Wahrheit hatte sich in dieser Nacht alles verändert. Mitten im Laufe war der Weg der Welt gewendet worden. Eine Macht ohnegleichen war gekommen …“ („Das Heilige Kind“ in „Das Gottesreich in der Zeit – Sonette und Aufsätze von Reinhold Schneider“, S. 146).

Grenzen, Begrenztheit gehört zum Menschsein. Diese Erfahrung werden wir auch in diesem neuen Jahr immer wieder machen – die eine häufiger, der andere weniger bedrängend. Doch bei allen Grenz-erfahrungen wünschen wir Ihnen einen starken Glauben an das Geheimnis der Inkarnation und damit die unerschütterliche Gewiss-heit: Auch meine Grenzen sind gesprengt. Eine Macht ohnegleichen ist gekommen – und diese Macht begleitet Sie und uns auf den noch unbekannten Wegen durch das Jahr 2016. In diesem Sinne wünschen wir – das Redaktions-Team der „Brücke der Hoffnung“ – Ihnen und Ihren Lieben ein von Gott gesegnetes Neues Jahr.

Sicher ahnen Sie es schon: Das Thema der „Brücke“, das uns in diesem Jahr begleiten wird, lautet „GRENZEN“. Wie bei so vielen Themen, die wir uns schon vorgenommen haben, ist auch dieses Thema „ein weites Feld“, um mit Fontanes altem Briest zu sprechen. Wieder müssen wir auswählen; und wir hoffen, dass wir bei dieser Auswahl und bei der Gestaltung der einzelnen Themen auch Ihr Interesse wecken und treffen. Am Beginn steht eine existenzphiloso-phische Betrachtung der Grenzen, für die wir zu unserer großen Freude wieder Dr. Josef Bordat gewinnen konnten. Dass uns das Thema im Alten Testament auf Schritt und Tritt begegnet, das macht Prof. Dr. Thomas Elßner deutlich. Ja, und Sie können sich auf eine neue Rubrik freuen. Unser Spiritual Pater Elmar Busse setzt sich mit „Widerhaken“ auseinander. Auch die können zu Grenzerfahrungen führen.

Haben wir Sie neugierig gemacht? Das neue Jahr mit der „Brücke der Hoffnung“ wird spannend werden. Und wir freuen uns, dass Sie uns die Treue halten und mit dabei sind. Von Herzen danken wir Ihnen dafür.

Ihre Sr. M. Theresia Winkelhöfer ADJCund „Brücke“-Team

GrenzenVon Dr. Josef Bordat

4Zum Thema

Noch bevor die Grenze zum Urbegriff der Zivilisation werden konnte, weil sie Privateigentum und Staatlichkeit ermöglicht, ist sie ins Bewusstsein der menschlichen Natur gelangt: Mein und Dein, Unser und Euer, Wir und die Anderen, Leben und Tod. Das Bewusstsein der räumlichen und zeitli-chen Begrenztheit führte zu Kulturtechniken des Umgangs mit Grenzen. Zugleich entsteht mit dem Menschsein die Religion, auch als Reaktion auf die Grenze. Dem Transzendenzbezug liegt Entgren-zungssehnsucht zugrunde. Sie prägt die Kulturgeschichte ebenso stark wie der Versuch, zwischen der Realität menschlicher Begrenztheit und dem Wunsch nach Entgrenzung zu vermitteln. Immer wieder neu. Auch heute.

Begrenztheit

Das Phänomen der Begrenztheit gehört zu den menschlichen Grunderfahrungen. Sieht man von den glücklichen Jahren einer unbeschwerten Kindheit ab, in denen das Empfinden einer Unend-lichkeit in zeitlicher und räumlicher Dimension noch zum Alltag gehört, weiß der Mensch schon bald um seine Grenzen. Alles hat ein Ende, alles hat Gren-zen. Grenzen sind universell. Es lohnt sich also, darüber nachzudenken. Grenzen des Lebens (Wo fängt es an? Wo hört es auf? Und: Wie sollte es zuende gehen?), Grenzen von Menschen und Menschengruppen, Grenzen zwischen Völkern.

Der Mensch in seiner Begrenztheit ist aufgerufen, Zeit und Raum aktiv zu gestalten. Er versucht seit jeher, die Grenzen immer weiter hinauszuschieben. Die Entdeckungsreisen der frühneuzeitlichen Seefahrer und die elektrifizierte 24-Stunden-Gesellschaft der Moderne sind zwei Seiten der einen Medaille: Grenzüberschreitung. Der Wille, Grenzen zu überschreiten, im Bewusstsein der menschlichen Begrenztheit, brachte Computer, Internet und Mobiltelefone hervor – Grenzenlosig-keit im Alltag.

Dabei wissen wir: Die Grenzen bleiben doch. Mehr noch: Der Mensch grenzt ganz bewusst ab (und aus) durch Definition, definiert sich über Grenzen, denkt in Grenzen. Sprachen bestimmen die Zugehörigkeit (Fachleute in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen erfinden sonderbare Wörter, um nicht von jedem auf Anhieb verstanden zu werden), Flüsse und Bergketten bestimmen die Siedlungsge-biete derer, die dazugehören. Das ist seit 5000 Jahren so. Erst mit der Raumfahrt, die uns eine Globalperspektive des Planeten Erde ermöglicht hat, erst mit der bitteren Erfahrung von gewaltsamer Grenzüberschreitung in den Weltkriegen fangen wir an, grundsätzlicher zu fragen: Muss das so sein?

Wer Grenzen zieht, sichert sich ab. Bis hierhin und nicht weiter. Er schließt aus. Es gibt Grenzen, die unüberwindlich waren (die Berliner Mauer etwa) und Grenzen, die es nach wie vor sind, beispielsweise die zwischen Nord- und Südkorea. Es gibt willkürli-che künstliche Grenzen (die Landesgrenzen in Nordafrika), es gibt natürliche Grenzen (die meisten Landesgrenzen in Europa). Andere Grenzen verschwimmen: Mensch und Tier – wissen wir noch um den Unterschied? Mensch und Maschine – kennen wir noch die Differenz? Mann und Frau – war da was? Oder ist alles nur Konstrukt, soziales? Alles nur ideologisch bösartige Abgren-zung zum Zweck der Unterdrückung?

Wie dem auch sei: Es sind die „Grenzerfahrungen“ (Jaspers), die uns die fragilen Bedingungen unserer Existenz am deutlichsten vor Augen führen und damit den Menschen im weitesten Sinne religiös sein lassen. Hier ist der Mensch ganz auf sich zurückge-worfen – und findet nur noch Halt im Glauben an etwas, das die Existenz übersteigt: an einen Sinn der Geschichte, an einen ordnenden Weltgeist, an Gott.

Entgrenzung

Wie gehen wir mit Grenzen und mit Grenzüber-schreitungen um? In Zeiten, in denen über Gender-ideologie, Sterbehilfe und Flüchtlinge diskutiert wird, ist das keine akademische Frage. Die Antwort berührt den Alltag von Menschen, ganz konkret. So verschieden die Grenzen sind – die natürlichen, die künstlichen –, so klar ist, dass es immer um unser Selbstbild geht, das es zu schützen gilt: als Mann, als Mensch, als Deutscher (in meinem Fall). Gren-zen braucht vor allem der Verunsicherte, der nicht mehr recht weiß, wer er ist. Und heute, in einer Epoche der umwerfenden Veränderungen, sind wir alle verunsichert – mehr oder weniger.

Als Christ muss ich zunächst eine Frage beantwor-ten: Wie geht Jesus mit Grenzen um? Ganz klar: Er überschreitet sie! Jesus geht auf die Menschen zu, die jenseits der sozialen Grenzlinie stehen, sei es die Priesterschaft im Tempel, die sich auch räumlich abgrenzte, seien es die ausgegrenzten Gruppen, die Frauen, die Kinder, die Zöllner. Er überwindet die begrenzenden Mauern, die Menschen zwischen sich und Gott errichtet haben, oft genug im falschen Glauben daran, es handle sich um eine Brücke. Wir kennen die Effekte: Aus Samaritern werden dankba-re und barmherzige Menschen. Aus Handwerkern und Fischern werden Prediger und Propheten. Aus verunsicherten Mädchen selbstbewusste Frauen wie Maria von Magdala, aus stolzen Pharisäern nachdenkliche Zweifler wie Nikodemus. Aus Tod entsteht Leben.

Gott entgrenzt. Gottes Liebe kennt gerade keine definierten raumzeitlichen Gegebenheiten, keine Grenzen, kein Bis hierhin und nicht weiter. Gott geht immer einen Schritt weiter, als es unsere begrenzte menschliche Vernunft erfassen könnte. Einschlägig ist hier die Stelle, an der die Pharisäer Jesus fragen, wer denn das sei: der Nächste, den sie lieben sollen (vgl. Lk 10, 29). Sie möchten von Jesus eine Definiti-on hören, sie möchten hören: Der Nächste ist der, der diese und jene Eigenschaften hat. Und wer diese Eigenschaften nicht hat, ist nicht der Liebe wert. Jesus zerschlägt den (menschlich verständlichen) Wunsch nach Übersichtlichkeit und Ordnung. Er erzählt den grenzverliebten Gesetzeslehrern eine Liebesgeschichte voller Grenzüberschreitungen in Sachen Gewalt, Barmherzigkeit, Fürsorge (vgl. Lk 10, 30-37), an deren Ende es heißt, dass die Sorge des barmherzigen Samariters um den verletzten Nächsten so weit geht, dass er bereit ist, für ihn zu geben, was immer dieser braucht – über Budget-grenzen hinweg: „quodcumque supererogaveris“.

(vgl. Lk 10, 35)

5

Grenzen des Lebens, Grenzen des Eingriffs: Marsch für das Leben (2013) als Demonstration gegen Grenzüberschreitungen.

Begrenzung der Entgrenzung

Und doch zieht auch Jesus Grenzen: Er zieht damit Menschen vor (die, zu denen er gesandt ist, das Volk Israel) und schottet sich manchmal regelrecht ab, zieht sich zurück, geht in die Berge, die ihm räumli-che Abgrenzung ermöglichen. Wir brauchen Gren-zen – als Einzelne, als Gruppe, als Volk. Grenzen haben etwas Tröstliches, wie auch die Endlichkeit des Lebens uns Schmerz und Leid ertragen lässt. Wir brauchen Ordnung und eine Struktur mit Zuge-hörigkeit und Fremdheit.

Das wiederum darf jedoch nicht dazu führen, die Grenzziehungen als ewig gültige zu verstehen, sich hinter Stacheldraht zu verschanzen, weder tatsäch-lich noch emotional, sondern die Grenzen immer durchlässig zu halten, um für den Einzelfall, für die grenzüberschreitende Ausnahme gewappnet zu sein bzw. überhaupt ein Gespür für die Notwendig-keit von Grenzüberschreitungen entwickeln zu können. Wie Jesus. Er überschreitet Grenzen im Exempel. Das muss – wo es möglich ist – unsere Grenzpolitik bestimmen, im Umgang mit dem Ande-ren, auf welcher Ebene auch immer.

Religion hilft, gerade im Hinblick auf die Entgren-zungseigenschaft des Transzendenzbezugs, die Begrenztheit des irdischen Daseins zu akzeptieren, einschließlich der Leistungs- und Wachstumsgren-zen. Religion hilft daher nicht nur, Grenzen im Blick auf das Jenseits zu überschreiten, sondern auch im Diesseits die Entgrenzung zu begrenzen. Auch das ist wichtig. Denn: Wir brauchen Grenzen. Und: Grenzen sind da, werden immer da sein. Auch, wenn Wissenschaft und Technik uns immer mehr ermögli-chen, wenn die Evolution weiter voranschreitet, wenn Menschen in Zukunft zum Mars fliegen und die

GrenzenVon Dr. Josef Bordat

4Zum Thema

Noch bevor die Grenze zum Urbegriff der Zivilisation werden konnte, weil sie Privateigentum und Staatlichkeit ermöglicht, ist sie ins Bewusstsein der menschlichen Natur gelangt: Mein und Dein, Unser und Euer, Wir und die Anderen, Leben und Tod. Das Bewusstsein der räumlichen und zeitli-chen Begrenztheit führte zu Kulturtechniken des Umgangs mit Grenzen. Zugleich entsteht mit dem Menschsein die Religion, auch als Reaktion auf die Grenze. Dem Transzendenzbezug liegt Entgren-zungssehnsucht zugrunde. Sie prägt die Kulturgeschichte ebenso stark wie der Versuch, zwischen der Realität menschlicher Begrenztheit und dem Wunsch nach Entgrenzung zu vermitteln. Immer wieder neu. Auch heute.

Begrenztheit

Das Phänomen der Begrenztheit gehört zu den menschlichen Grunderfahrungen. Sieht man von den glücklichen Jahren einer unbeschwerten Kindheit ab, in denen das Empfinden einer Unend-lichkeit in zeitlicher und räumlicher Dimension noch zum Alltag gehört, weiß der Mensch schon bald um seine Grenzen. Alles hat ein Ende, alles hat Gren-zen. Grenzen sind universell. Es lohnt sich also, darüber nachzudenken. Grenzen des Lebens (Wo fängt es an? Wo hört es auf? Und: Wie sollte es zuende gehen?), Grenzen von Menschen und Menschengruppen, Grenzen zwischen Völkern.

Der Mensch in seiner Begrenztheit ist aufgerufen, Zeit und Raum aktiv zu gestalten. Er versucht seit jeher, die Grenzen immer weiter hinauszuschieben. Die Entdeckungsreisen der frühneuzeitlichen Seefahrer und die elektrifizierte 24-Stunden-Gesellschaft der Moderne sind zwei Seiten der einen Medaille: Grenzüberschreitung. Der Wille, Grenzen zu überschreiten, im Bewusstsein der menschlichen Begrenztheit, brachte Computer, Internet und Mobiltelefone hervor – Grenzenlosig-keit im Alltag.

Dabei wissen wir: Die Grenzen bleiben doch. Mehr noch: Der Mensch grenzt ganz bewusst ab (und aus) durch Definition, definiert sich über Grenzen, denkt in Grenzen. Sprachen bestimmen die Zugehörigkeit (Fachleute in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen erfinden sonderbare Wörter, um nicht von jedem auf Anhieb verstanden zu werden), Flüsse und Bergketten bestimmen die Siedlungsge-biete derer, die dazugehören. Das ist seit 5000 Jahren so. Erst mit der Raumfahrt, die uns eine Globalperspektive des Planeten Erde ermöglicht hat, erst mit der bitteren Erfahrung von gewaltsamer Grenzüberschreitung in den Weltkriegen fangen wir an, grundsätzlicher zu fragen: Muss das so sein?

Wer Grenzen zieht, sichert sich ab. Bis hierhin und nicht weiter. Er schließt aus. Es gibt Grenzen, die unüberwindlich waren (die Berliner Mauer etwa) und Grenzen, die es nach wie vor sind, beispielsweise die zwischen Nord- und Südkorea. Es gibt willkürli-che künstliche Grenzen (die Landesgrenzen in Nordafrika), es gibt natürliche Grenzen (die meisten Landesgrenzen in Europa). Andere Grenzen verschwimmen: Mensch und Tier – wissen wir noch um den Unterschied? Mensch und Maschine – kennen wir noch die Differenz? Mann und Frau – war da was? Oder ist alles nur Konstrukt, soziales? Alles nur ideologisch bösartige Abgren-zung zum Zweck der Unterdrückung?

Wie dem auch sei: Es sind die „Grenzerfahrungen“ (Jaspers), die uns die fragilen Bedingungen unserer Existenz am deutlichsten vor Augen führen und damit den Menschen im weitesten Sinne religiös sein lassen. Hier ist der Mensch ganz auf sich zurückge-worfen – und findet nur noch Halt im Glauben an etwas, das die Existenz übersteigt: an einen Sinn der Geschichte, an einen ordnenden Weltgeist, an Gott.

Entgrenzung

Wie gehen wir mit Grenzen und mit Grenzüber-schreitungen um? In Zeiten, in denen über Gender-ideologie, Sterbehilfe und Flüchtlinge diskutiert wird, ist das keine akademische Frage. Die Antwort berührt den Alltag von Menschen, ganz konkret. So verschieden die Grenzen sind – die natürlichen, die künstlichen –, so klar ist, dass es immer um unser Selbstbild geht, das es zu schützen gilt: als Mann, als Mensch, als Deutscher (in meinem Fall). Gren-zen braucht vor allem der Verunsicherte, der nicht mehr recht weiß, wer er ist. Und heute, in einer Epoche der umwerfenden Veränderungen, sind wir alle verunsichert – mehr oder weniger.

Als Christ muss ich zunächst eine Frage beantwor-ten: Wie geht Jesus mit Grenzen um? Ganz klar: Er überschreitet sie! Jesus geht auf die Menschen zu, die jenseits der sozialen Grenzlinie stehen, sei es die Priesterschaft im Tempel, die sich auch räumlich abgrenzte, seien es die ausgegrenzten Gruppen, die Frauen, die Kinder, die Zöllner. Er überwindet die begrenzenden Mauern, die Menschen zwischen sich und Gott errichtet haben, oft genug im falschen Glauben daran, es handle sich um eine Brücke. Wir kennen die Effekte: Aus Samaritern werden dankba-re und barmherzige Menschen. Aus Handwerkern und Fischern werden Prediger und Propheten. Aus verunsicherten Mädchen selbstbewusste Frauen wie Maria von Magdala, aus stolzen Pharisäern nachdenkliche Zweifler wie Nikodemus. Aus Tod entsteht Leben.

Gott entgrenzt. Gottes Liebe kennt gerade keine definierten raumzeitlichen Gegebenheiten, keine Grenzen, kein Bis hierhin und nicht weiter. Gott geht immer einen Schritt weiter, als es unsere begrenzte menschliche Vernunft erfassen könnte. Einschlägig ist hier die Stelle, an der die Pharisäer Jesus fragen, wer denn das sei: der Nächste, den sie lieben sollen (vgl. Lk 10, 29). Sie möchten von Jesus eine Definiti-on hören, sie möchten hören: Der Nächste ist der, der diese und jene Eigenschaften hat. Und wer diese Eigenschaften nicht hat, ist nicht der Liebe wert. Jesus zerschlägt den (menschlich verständlichen) Wunsch nach Übersichtlichkeit und Ordnung. Er erzählt den grenzverliebten Gesetzeslehrern eine Liebesgeschichte voller Grenzüberschreitungen in Sachen Gewalt, Barmherzigkeit, Fürsorge (vgl. Lk 10, 30-37), an deren Ende es heißt, dass die Sorge des barmherzigen Samariters um den verletzten Nächsten so weit geht, dass er bereit ist, für ihn zu geben, was immer dieser braucht – über Budget-grenzen hinweg: „quodcumque supererogaveris“.

(vgl. Lk 10, 35)

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Grenzen des Lebens, Grenzen des Eingriffs: Marsch für das Leben (2013) als Demonstration gegen Grenzüberschreitungen.

Begrenzung der Entgrenzung

Und doch zieht auch Jesus Grenzen: Er zieht damit Menschen vor (die, zu denen er gesandt ist, das Volk Israel) und schottet sich manchmal regelrecht ab, zieht sich zurück, geht in die Berge, die ihm räumli-che Abgrenzung ermöglichen. Wir brauchen Gren-zen – als Einzelne, als Gruppe, als Volk. Grenzen haben etwas Tröstliches, wie auch die Endlichkeit des Lebens uns Schmerz und Leid ertragen lässt. Wir brauchen Ordnung und eine Struktur mit Zuge-hörigkeit und Fremdheit.

Das wiederum darf jedoch nicht dazu führen, die Grenzziehungen als ewig gültige zu verstehen, sich hinter Stacheldraht zu verschanzen, weder tatsäch-lich noch emotional, sondern die Grenzen immer durchlässig zu halten, um für den Einzelfall, für die grenzüberschreitende Ausnahme gewappnet zu sein bzw. überhaupt ein Gespür für die Notwendig-keit von Grenzüberschreitungen entwickeln zu können. Wie Jesus. Er überschreitet Grenzen im Exempel. Das muss – wo es möglich ist – unsere Grenzpolitik bestimmen, im Umgang mit dem Ande-ren, auf welcher Ebene auch immer.

Religion hilft, gerade im Hinblick auf die Entgren-zungseigenschaft des Transzendenzbezugs, die Begrenztheit des irdischen Daseins zu akzeptieren, einschließlich der Leistungs- und Wachstumsgren-zen. Religion hilft daher nicht nur, Grenzen im Blick auf das Jenseits zu überschreiten, sondern auch im Diesseits die Entgrenzung zu begrenzen. Auch das ist wichtig. Denn: Wir brauchen Grenzen. Und: Grenzen sind da, werden immer da sein. Auch, wenn Wissenschaft und Technik uns immer mehr ermögli-chen, wenn die Evolution weiter voranschreitet, wenn Menschen in Zukunft zum Mars fliegen und die

100 Meter unter neun Sekunden laufen werden – es gibt Grenzen und es wird sie immer geben. Wir müssen lernen, unsere Grenzen zu akzeptieren, die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit, die Grenzen des Wachstums. Mangelnde Anerkennung unserer prinzipiellen Begrenztheit hat Folgen: Wir landen beim Doping und bei der Zerstörung unserer natürli-chen Umwelt. Das Wortfeld „Grenze“ kommt in Papst Franziskus' Enzyklika Laudato Si auffällig oft vor.

Schließlich: Auch Moral lebt von Grenzen. Es geht um Abgrenzung: gut und böse, erlaubt und verboten, richtig und falsch. Grenzen in der Moral zu verwi-schen, macht Begriffe unscharf und relativiert Grundeinsichten des Menschen. Es irritierte unsere Intuition von Sittlichkeit, wenn es plötzlich hieße, die Grenzen zwischen moralischem und amoralischem Handeln seien obsolet. Sie mögen in der Praxis fließend sein, doch umso wichtiger ist eine scharfe Grenzziehung in der Moraltheorie, in der Ethik.Wir müssen daher einerseits die Grenzziehungen begrenzen, aber auch die Grenzüberschreitungen. Migration etwa ist kein Spiel ohne Grenzen. Auch wenn es keinen Sinn hat, Mauern zu errichten und Grenzen gewaltsam zu schützen. Doch ist die Rede von Grenzenlosigkeit ein trügerisches Versprechen, wenn es zur politischen Utopie wird. Grenzenlose Freiheit, schrankenlose Freizügigkeit ist eine schwärmerische, von daher besonders gefährliche Illusion des Anarchismus. Wir müssen uns beschränken, unsere Freiheit begrenzen. Es kann nur darum gehen, die richtige, weil vernünftige, sinnvolle, die Würde des Menschen achtende und schützende Begrenzung von Freiheit vorzunehmen. Aber Begrenzungen braucht es. Gerechtfertigte Grenzen.

6

Unendlichkeit ist nur als religiöses Konzept sinnvoll. Im Glauben hat Grenzenlosigkeit einen legitimen Platz. Als Christen dürfen wir glauben, dass einst alle Grenzen von Raum und Zeit fallen, jede Schranke, jeder Schlagbaum, jede Trennung, jedes Ende. Zuvor gilt es, sinnvolle Grenzen zu ziehen und die Grenzüberschreitung nicht zur ungehemmten Entgrenzung geraten zu lassen.

Josef Bordat: Hochschulab-schluss als Wirtschaftsinge-nieur (Dipl.-Ing.); studierte Soziologie und Philosophie in Berlin und Arequipa/Peru (M.A.); 2006 Promotion am Institut für Philosophie, Wissenschaftstheorie, Wis-senschafts- und Technikge-schichte der TU Berlin zum Dr. phil.; arbeitet als freier Autor und nimmt mit seinem Web-blog „Jobo72“ aktiv am Austausch innerhalb der Blogozese teil. Er lebt mit seiner Frau im Süden Berlins.

Gewalt – Um Gottes willen. Bibeltheologisch-exegetische Anmerkungen

„Ist es nicht sonderbar, dass die Menschen gern für die Religion fechten und so ungern nach ihren Vorschriften leben?“ (Georg Christoph Lichtenberg, 1742-1799)

Von Prof. Dr. Thomas Elßner

1.Hinführung

Seit dem sprichwörtlich gewordenen 11. September 2001 ist das Thema Religion und Gewalt nicht mehr verstummt. War es bis dato in Deutschland unter theologischem Aspekt, näherhin im Bereich der Alttestamentlichen Wissenschaft, eher ein Rand- bzw. ein Spartenthema, so ist es jetzt nahezu überall präsent und außerdem erneut in das Bewusstsein auch derer getreten, die sich im Sinne Max Webers als „religiös unmusikalisch“ verstehen. Wobei man vielleicht ebenso sagen kann, dass die allem Religiösen gegenüber auf Distanz Achtenden über Zeiten hinweg nicht selten ihre Religionskritik auch unter dem Vorzeichen der in der Geschichte zu verzeichnenden religiös motivierten Gewalttaten vorbrachten und vorbringen – und das zu Recht.

Ist in Deutschland bis zum 11. September 2001 vor allen und nahezu ausschließlich das Christentum mit Gewalt in Verbindung gebracht worden – es mag an dieser Stelle pars pro toto das gemeinpopuläre klassische dunkle Dreigestirn „Kreuzzüge, In-quisition und Hexenverfolgung“ genannt werden, so ist es jetzt der sogenannte Islam, der dem Generalverdacht, genuin gewalttätig und gewalt-generierend zu sein, ausgesetzt ist. Wenn ein Gotthold Ephraim Lessing heute seinen „Nathan der Weise“ schriebe, wiese er dann einem Muslim – man denke an Saladin – im Trialog zwischen Judentum, Christentum und Islam die Rolle des weisen, besonnenen und vor allem toleranten Religions-vertreters zu?

An dieser Stelle darf daran erinnert werden, dass vor wenigen Jahren der Heidelberger und nunmehr emeritierte Ägyptologe Jan Assmann mit seiner These der sogenannten „Mosaischen Unterschei-dung“ besonders in der Theologie für nicht unerhebliche Publizität gesorgt hat. Kurz gesagt, lautet seine These im Kern, dass monotheistische Religionen von der Unterscheidung „wahr und falsch“ bestimmt seien und somit zwischen „wahrer und falscher Religion“ klar differenzierten. Von daher seien sie im Ansatz insofern strukturell gewaltförmig,

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Zum Thema

als sie nur einen wahren Gott postulieren, so dass demzufolge der, der diesen Gott nicht anerkennt, sich ipso facto aus der Gemeinschaft der wahrhaft Gläubigen ausschließt und daher bestenfalls missioniert oder schlimmstenfalls bekämpft werden müsse. Zur Illustration möge vielleicht der Hinweis auf das sogenannte erste Dekaloggebot im Wortlaut der Einheitsübersetzung genügen: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben“ (Ex 20,3 / Dtn 5,7).

Jedoch ist mit Bezug auf diese durchaus prima facie scheinbar einleuchtende These, die Jan Assmann selbst als „eine regulative Idee“ bezeichnet, darauf aufmerksam zu machen, dass sogenannte polytheistische Religionen – man denke z.B. an die Götterwelt Griechenlands und Roms sowie Alt-Ägyptens – oder an eine a-theistische Religion wie die des Buddhismus´ nicht per se friedfertiger oder gar gewaltärmer sind. Da jedoch Religionen allgemein zur Kontingenzbewältigung des Men-schen beitragen, vor allem in seinen ihn betreffenden existenziellen Bereichen wie Tod und Vergänglichkeit, kommen sie ebenso um den Themabereich „Gewalt“ nicht umhin. Somit ist es nicht die Frage, ob Religionen sich dem Thema Gewalt widmen, sondern wie sie sich damit auseinandersetzen.

100 Meter unter neun Sekunden laufen werden – es gibt Grenzen und es wird sie immer geben. Wir müssen lernen, unsere Grenzen zu akzeptieren, die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit, die Grenzen des Wachstums. Mangelnde Anerkennung unserer prinzipiellen Begrenztheit hat Folgen: Wir landen beim Doping und bei der Zerstörung unserer natürli-chen Umwelt. Das Wortfeld „Grenze“ kommt in Papst Franziskus' Enzyklika Laudato Si auffällig oft vor.

Schließlich: Auch Moral lebt von Grenzen. Es geht um Abgrenzung: gut und böse, erlaubt und verboten, richtig und falsch. Grenzen in der Moral zu verwi-schen, macht Begriffe unscharf und relativiert Grundeinsichten des Menschen. Es irritierte unsere Intuition von Sittlichkeit, wenn es plötzlich hieße, die Grenzen zwischen moralischem und amoralischem Handeln seien obsolet. Sie mögen in der Praxis fließend sein, doch umso wichtiger ist eine scharfe Grenzziehung in der Moraltheorie, in der Ethik.Wir müssen daher einerseits die Grenzziehungen begrenzen, aber auch die Grenzüberschreitungen. Migration etwa ist kein Spiel ohne Grenzen. Auch wenn es keinen Sinn hat, Mauern zu errichten und Grenzen gewaltsam zu schützen. Doch ist die Rede von Grenzenlosigkeit ein trügerisches Versprechen, wenn es zur politischen Utopie wird. Grenzenlose Freiheit, schrankenlose Freizügigkeit ist eine schwärmerische, von daher besonders gefährliche Illusion des Anarchismus. Wir müssen uns beschränken, unsere Freiheit begrenzen. Es kann nur darum gehen, die richtige, weil vernünftige, sinnvolle, die Würde des Menschen achtende und schützende Begrenzung von Freiheit vorzunehmen. Aber Begrenzungen braucht es. Gerechtfertigte Grenzen.

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Unendlichkeit ist nur als religiöses Konzept sinnvoll. Im Glauben hat Grenzenlosigkeit einen legitimen Platz. Als Christen dürfen wir glauben, dass einst alle Grenzen von Raum und Zeit fallen, jede Schranke, jeder Schlagbaum, jede Trennung, jedes Ende. Zuvor gilt es, sinnvolle Grenzen zu ziehen und die Grenzüberschreitung nicht zur ungehemmten Entgrenzung geraten zu lassen.

Josef Bordat: Hochschulab-schluss als Wirtschaftsinge-nieur (Dipl.-Ing.); studierte Soziologie und Philosophie in Berlin und Arequipa/Peru (M.A.); 2006 Promotion am Institut für Philosophie, Wissenschaftstheorie, Wis-senschafts- und Technikge-schichte der TU Berlin zum Dr. phil.; arbeitet als freier Autor und nimmt mit seinem Web-blog „Jobo72“ aktiv am Austausch innerhalb der Blogozese teil. Er lebt mit seiner Frau im Süden Berlins.

Gewalt – Um Gottes willen. Bibeltheologisch-exegetische Anmerkungen

„Ist es nicht sonderbar, dass die Menschen gern für die Religion fechten und so ungern nach ihren Vorschriften leben?“ (Georg Christoph Lichtenberg, 1742-1799)

Von Prof. Dr. Thomas Elßner

1.Hinführung

Seit dem sprichwörtlich gewordenen 11. September 2001 ist das Thema Religion und Gewalt nicht mehr verstummt. War es bis dato in Deutschland unter theologischem Aspekt, näherhin im Bereich der Alttestamentlichen Wissenschaft, eher ein Rand- bzw. ein Spartenthema, so ist es jetzt nahezu überall präsent und außerdem erneut in das Bewusstsein auch derer getreten, die sich im Sinne Max Webers als „religiös unmusikalisch“ verstehen. Wobei man vielleicht ebenso sagen kann, dass die allem Religiösen gegenüber auf Distanz Achtenden über Zeiten hinweg nicht selten ihre Religionskritik auch unter dem Vorzeichen der in der Geschichte zu verzeichnenden religiös motivierten Gewalttaten vorbrachten und vorbringen – und das zu Recht.

Ist in Deutschland bis zum 11. September 2001 vor allen und nahezu ausschließlich das Christentum mit Gewalt in Verbindung gebracht worden – es mag an dieser Stelle pars pro toto das gemeinpopuläre klassische dunkle Dreigestirn „Kreuzzüge, In-quisition und Hexenverfolgung“ genannt werden, so ist es jetzt der sogenannte Islam, der dem Generalverdacht, genuin gewalttätig und gewalt-generierend zu sein, ausgesetzt ist. Wenn ein Gotthold Ephraim Lessing heute seinen „Nathan der Weise“ schriebe, wiese er dann einem Muslim – man denke an Saladin – im Trialog zwischen Judentum, Christentum und Islam die Rolle des weisen, besonnenen und vor allem toleranten Religions-vertreters zu?

An dieser Stelle darf daran erinnert werden, dass vor wenigen Jahren der Heidelberger und nunmehr emeritierte Ägyptologe Jan Assmann mit seiner These der sogenannten „Mosaischen Unterschei-dung“ besonders in der Theologie für nicht unerhebliche Publizität gesorgt hat. Kurz gesagt, lautet seine These im Kern, dass monotheistische Religionen von der Unterscheidung „wahr und falsch“ bestimmt seien und somit zwischen „wahrer und falscher Religion“ klar differenzierten. Von daher seien sie im Ansatz insofern strukturell gewaltförmig,

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Zum Thema

als sie nur einen wahren Gott postulieren, so dass demzufolge der, der diesen Gott nicht anerkennt, sich ipso facto aus der Gemeinschaft der wahrhaft Gläubigen ausschließt und daher bestenfalls missioniert oder schlimmstenfalls bekämpft werden müsse. Zur Illustration möge vielleicht der Hinweis auf das sogenannte erste Dekaloggebot im Wortlaut der Einheitsübersetzung genügen: „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben“ (Ex 20,3 / Dtn 5,7).

Jedoch ist mit Bezug auf diese durchaus prima facie scheinbar einleuchtende These, die Jan Assmann selbst als „eine regulative Idee“ bezeichnet, darauf aufmerksam zu machen, dass sogenannte polytheistische Religionen – man denke z.B. an die Götterwelt Griechenlands und Roms sowie Alt-Ägyptens – oder an eine a-theistische Religion wie die des Buddhismus´ nicht per se friedfertiger oder gar gewaltärmer sind. Da jedoch Religionen allgemein zur Kontingenzbewältigung des Men-schen beitragen, vor allem in seinen ihn betreffenden existenziellen Bereichen wie Tod und Vergänglichkeit, kommen sie ebenso um den Themabereich „Gewalt“ nicht umhin. Somit ist es nicht die Frage, ob Religionen sich dem Thema Gewalt widmen, sondern wie sie sich damit auseinandersetzen.

2. Spuren der Gewalt in den beiden Schöpfungs-erzählungen?

Bereits der erste sogenannte Schöpfungsbericht in Genesis 1,1-2,4b, in welchem Gott den Kosmos in sechs Tagen erschuf und am siebenten Tag ruhte, enthält einen indirekten Hinweis in Bezug auf das Verhältnis von Mensch und Gewalt. Dieser Schöp-fungsbericht ist weit jünger als der zweite, in dem volkstümlich gesprochen von Adam und Eva die Rede ist, und wird der priesterschriftlichen Überlieferung zugeordnet, so dass er um ca. 520 v. Chr. entstanden sein dürfte. Unmittelbar nachdem nun von der Erschaffung des Menschen in seiner männlichen und seiner weiblichen Erschei-nungsform als Abbild Gottes die Rede war (vgl. Gen 1,26-28), heißt es: „Dann sprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samen-haltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen“ (Gen 1,29). Das heißt, Tiere stehen dem Menschen als Nahrung nicht zur Verfügung; er hat kein Mandat, Tiere (bezüglich seiner Ernährung) zu töten. Dies gilt es insofern zu beachten, als Gott nach der Sintflut dem Menschen ausdrücklich auch Tiere zu seiner Ernährung gestattet (vgl. Gen 9,2f), wenngleich mit der Auflage, dass Gott vom Menschen für jedes Lebewesen Rechenschaft einfordern wird (vgl. Gen 9,2.5ab). Das Töten aber von Menschen bleibt bzw. ist strafbewehrt. Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut, d.h. dessen Leben, wird selbst gefordert werden, und zwar mit der wirkmächtigsten Begründung, welche die Bibel kennt: Der Mensch ist als Abbild Gottes geschaffen. Wer den Menschen angreift, greift eo ipso das Abbild Gottes und somit letztlich Gott an. Dass der Garten Eden, wie ihn die zweite Schöpfungserzählung nennt, nicht die reinste Idylle

oder gar ungefährlich ist, beweist der Umstand, dass in ihm die Schlange, welche im Hebräischen und im Griechischen männlichen Geschlechts ist, den Menschen zu einem Tabubruch wort- und trickreich zu überreden vermag, als dessen Konsequenz schließlich die vielzitierte Vertreibung aus dem Paradies steht (vgl. Gen 2,4b-3). Diese Vertreibung erfolgt mit gewaltförmigen Mitteln. JHWH Elohim selbst vertreibt den Menschen (haAdam) aus dem Garten Eden, und er lässt beim Garten die Kerubim aufstellen sowie nahezu in einer Personifizierung „die Flamme des zuckenden Schwertes“, damit sie dem Zugang zum Baum des Lebens bewachen.

3. Brudermord Kurz nach der Vertreibung aus dem Garten Eden – das Wort „Paradies“ findet sich erst in der griechischen Übersetzung, der Septuaginta – kommt es zu einem weiteren folgenschweren Vorfall: Der erstgeborene Sohn von Adam und Eva, Kain, ermordet seinen jüngeren Bruder Abel. Diese Erzählung beschreibt ohne moralische Entrüstung recht nüchtern das Gewaltverbrechen eines Brudermordes. Der Plot ist kurz gesagt der: Kain und Abel bringen Gaben für JHWH dar, aber nur auf die Gabe von Abel achtet JHWH. Daraufhin erschlägt Kain wenig später ohne Vorwarnung seinen Bruder Abel. In diese eher knappe Schilderung wird ein Dialog, der sich zwischen JHWH und Kain unerwartet entspinnt, im Stil eines Verhörs wie zwischen Richter und Angeklagtem hinein verwoben: „Wo ist Abel, dein Bruder?“ (Gen 4,9).

Das Irritierende und schonungslos Offene zugleich an dieser Dialog-Erzählung ist, dass keine Gründe dafür expressis verbis angegeben werden, warum JHWH wohlwollend auf die Opfergabe Abels schaut, aber nicht auf die von Kain. Ein ungutes Gefühl über

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Dieter Schütz/pixelio.de

scheinbar oder anscheinende göttliche Willkür schwillt im Leser/Hörer dieser Geschichte un-merklich merklich an. Ist es nicht so, dass manche Menschen mit Talenten und Fähigkeiten oder auch vom Glück bevorzugt zu sein scheinen, andere hingegen nicht? Dies verursacht nicht selten Neidgefühle und erzeugt bzw. verstärkt mitunter Minderwertigkeitskomplexe. Wenn der mit Fähigkeiten überhäufte Mitmensch zudem noch zum Konkurrenten wird, sei es in der Arbeitswelt oder gar in einer Liebesbeziehung, so ist alsbald der Gedanke nicht mehr weit, den Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.

Ein Indiz dafür, dass JHWH auf die Opfergabe des Zweitgeborenen schaut, nicht aber auf die des Kain, lässt sich vielleicht indirekt dem Text entnehmen. Zwar bringen beide von der ihnen zugeschriebenen Arbeit eine Opfergabe für JHWH dar, Kain ist Ackerbauer, Abel Hirt, aber nur bei Abel heißt es ausdrücklich, dass es sich hierbei hier um Erstlingsgaben handelt, und zwar von seiner Herde

und ihrem Fett. Daraus kann geschlossen werden, dass Abel der Anordnung gemäß rite et recte opfert (vgl. Ex 13,2; Neh 10,37), hingegen Kain vermutlich nicht (vgl. Ex 23,16; 34,22; Num 18,13). Das könnte als ein ernstzunehmendes Indiz dafür gelten, weshalb JHWH auf die Gabe von Kain demzufolge nicht achtet. Der Terminus Erstlingsgabe macht hier die Differenz. Die Bedeutung der Erstlingsgabe wird auch für eine Interpretation in Bezug auf die

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Landnahme Josuas eine Rolle spielen, dazu aber später. Obzwar Abel ordnungsgemäß opfert, schützt ihn dies dennoch letztlich nicht vor einem ihm heimtückisch widerfahrenden Mord durch seinen eigenen Bruder Kain. Dieser wird, nachdem er seine Bluttat eingestanden und seine Schuld anerkannt hat (vgl. Gen 4,13f), von JHWH selbst mit einem Zeichen versehen, dem später vielzitierten und sprichwörtlich gewordenen Kainsmal. Es ist dieses Zeichen, das Kain nicht nur vor Vergeltung schützt, sondern mit welchem der Teufelskreis der Blutrache durchbrochen wird. Vor diesem Hintergrund ist es letztlich unverständlich, weshalb das Kainsmal landläufig pejorativ besetzt ist. Kurzum, aus eingestandener Schuld kann Rettung nicht nur für einen selbst, sondern ebenso für andere erwachsen und ein (Teufels-)Kreislauf von Gewalt durchbrochen werden. Dennoch bleibt es zur Kenntnis zu nehmen, dass ein solcher Weg nicht ohne Opfer beschritten wird. Das Opfer ist Abel.

4. Sintflut – Gottes Kapitulation?

Eine weitere gewaltträchtige Erzählung ist die von der Sintflut. Sie zählt vermutlich immer noch zum kulturellen bzw. kanonischen Wissensbestand Gebildeter. Sie wird ebenso zur sogenannten biblischen Urgeschichte gezählt und findet sich in Buch Genesis in den Kapiteln 6,5 bis 9.

2. Spuren der Gewalt in den beiden Schöpfungs-erzählungen?

Bereits der erste sogenannte Schöpfungsbericht in Genesis 1,1-2,4b, in welchem Gott den Kosmos in sechs Tagen erschuf und am siebenten Tag ruhte, enthält einen indirekten Hinweis in Bezug auf das Verhältnis von Mensch und Gewalt. Dieser Schöp-fungsbericht ist weit jünger als der zweite, in dem volkstümlich gesprochen von Adam und Eva die Rede ist, und wird der priesterschriftlichen Überlieferung zugeordnet, so dass er um ca. 520 v. Chr. entstanden sein dürfte. Unmittelbar nachdem nun von der Erschaffung des Menschen in seiner männlichen und seiner weiblichen Erschei-nungsform als Abbild Gottes die Rede war (vgl. Gen 1,26-28), heißt es: „Dann sprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samen-haltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen“ (Gen 1,29). Das heißt, Tiere stehen dem Menschen als Nahrung nicht zur Verfügung; er hat kein Mandat, Tiere (bezüglich seiner Ernährung) zu töten. Dies gilt es insofern zu beachten, als Gott nach der Sintflut dem Menschen ausdrücklich auch Tiere zu seiner Ernährung gestattet (vgl. Gen 9,2f), wenngleich mit der Auflage, dass Gott vom Menschen für jedes Lebewesen Rechenschaft einfordern wird (vgl. Gen 9,2.5ab). Das Töten aber von Menschen bleibt bzw. ist strafbewehrt. Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut, d.h. dessen Leben, wird selbst gefordert werden, und zwar mit der wirkmächtigsten Begründung, welche die Bibel kennt: Der Mensch ist als Abbild Gottes geschaffen. Wer den Menschen angreift, greift eo ipso das Abbild Gottes und somit letztlich Gott an. Dass der Garten Eden, wie ihn die zweite Schöpfungserzählung nennt, nicht die reinste Idylle

oder gar ungefährlich ist, beweist der Umstand, dass in ihm die Schlange, welche im Hebräischen und im Griechischen männlichen Geschlechts ist, den Menschen zu einem Tabubruch wort- und trickreich zu überreden vermag, als dessen Konsequenz schließlich die vielzitierte Vertreibung aus dem Paradies steht (vgl. Gen 2,4b-3). Diese Vertreibung erfolgt mit gewaltförmigen Mitteln. JHWH Elohim selbst vertreibt den Menschen (haAdam) aus dem Garten Eden, und er lässt beim Garten die Kerubim aufstellen sowie nahezu in einer Personifizierung „die Flamme des zuckenden Schwertes“, damit sie dem Zugang zum Baum des Lebens bewachen.

3. Brudermord Kurz nach der Vertreibung aus dem Garten Eden – das Wort „Paradies“ findet sich erst in der griechischen Übersetzung, der Septuaginta – kommt es zu einem weiteren folgenschweren Vorfall: Der erstgeborene Sohn von Adam und Eva, Kain, ermordet seinen jüngeren Bruder Abel. Diese Erzählung beschreibt ohne moralische Entrüstung recht nüchtern das Gewaltverbrechen eines Brudermordes. Der Plot ist kurz gesagt der: Kain und Abel bringen Gaben für JHWH dar, aber nur auf die Gabe von Abel achtet JHWH. Daraufhin erschlägt Kain wenig später ohne Vorwarnung seinen Bruder Abel. In diese eher knappe Schilderung wird ein Dialog, der sich zwischen JHWH und Kain unerwartet entspinnt, im Stil eines Verhörs wie zwischen Richter und Angeklagtem hinein verwoben: „Wo ist Abel, dein Bruder?“ (Gen 4,9).

Das Irritierende und schonungslos Offene zugleich an dieser Dialog-Erzählung ist, dass keine Gründe dafür expressis verbis angegeben werden, warum JHWH wohlwollend auf die Opfergabe Abels schaut, aber nicht auf die von Kain. Ein ungutes Gefühl über

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Dieter Schütz/pixelio.de

scheinbar oder anscheinende göttliche Willkür schwillt im Leser/Hörer dieser Geschichte un-merklich merklich an. Ist es nicht so, dass manche Menschen mit Talenten und Fähigkeiten oder auch vom Glück bevorzugt zu sein scheinen, andere hingegen nicht? Dies verursacht nicht selten Neidgefühle und erzeugt bzw. verstärkt mitunter Minderwertigkeitskomplexe. Wenn der mit Fähigkeiten überhäufte Mitmensch zudem noch zum Konkurrenten wird, sei es in der Arbeitswelt oder gar in einer Liebesbeziehung, so ist alsbald der Gedanke nicht mehr weit, den Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.

Ein Indiz dafür, dass JHWH auf die Opfergabe des Zweitgeborenen schaut, nicht aber auf die des Kain, lässt sich vielleicht indirekt dem Text entnehmen. Zwar bringen beide von der ihnen zugeschriebenen Arbeit eine Opfergabe für JHWH dar, Kain ist Ackerbauer, Abel Hirt, aber nur bei Abel heißt es ausdrücklich, dass es sich hierbei hier um Erstlingsgaben handelt, und zwar von seiner Herde

und ihrem Fett. Daraus kann geschlossen werden, dass Abel der Anordnung gemäß rite et recte opfert (vgl. Ex 13,2; Neh 10,37), hingegen Kain vermutlich nicht (vgl. Ex 23,16; 34,22; Num 18,13). Das könnte als ein ernstzunehmendes Indiz dafür gelten, weshalb JHWH auf die Gabe von Kain demzufolge nicht achtet. Der Terminus Erstlingsgabe macht hier die Differenz. Die Bedeutung der Erstlingsgabe wird auch für eine Interpretation in Bezug auf die

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Landnahme Josuas eine Rolle spielen, dazu aber später. Obzwar Abel ordnungsgemäß opfert, schützt ihn dies dennoch letztlich nicht vor einem ihm heimtückisch widerfahrenden Mord durch seinen eigenen Bruder Kain. Dieser wird, nachdem er seine Bluttat eingestanden und seine Schuld anerkannt hat (vgl. Gen 4,13f), von JHWH selbst mit einem Zeichen versehen, dem später vielzitierten und sprichwörtlich gewordenen Kainsmal. Es ist dieses Zeichen, das Kain nicht nur vor Vergeltung schützt, sondern mit welchem der Teufelskreis der Blutrache durchbrochen wird. Vor diesem Hintergrund ist es letztlich unverständlich, weshalb das Kainsmal landläufig pejorativ besetzt ist. Kurzum, aus eingestandener Schuld kann Rettung nicht nur für einen selbst, sondern ebenso für andere erwachsen und ein (Teufels-)Kreislauf von Gewalt durchbrochen werden. Dennoch bleibt es zur Kenntnis zu nehmen, dass ein solcher Weg nicht ohne Opfer beschritten wird. Das Opfer ist Abel.

4. Sintflut – Gottes Kapitulation?

Eine weitere gewaltträchtige Erzählung ist die von der Sintflut. Sie zählt vermutlich immer noch zum kulturellen bzw. kanonischen Wissensbestand Gebildeter. Sie wird ebenso zur sogenannten biblischen Urgeschichte gezählt und findet sich in Buch Genesis in den Kapiteln 6,5 bis 9.

In dieser Erzählung muss JHWH zur Kenntnis nehmen, dass die Bosheit des Menschen nicht nur groß ist, sondern dass das Trachten des Menschen Herz jeden Tag uneingeschränkt böse ist (vgl. Gen 6,5). So reut es JHWH, den Menschen geschaffen zu haben. In nahezu einmaliger anthropomorpher Redeweise wird außerdem noch hinzugefügt, dass ob dieses Umstandes jetzt das Herz JHWHs tief bekümmert war bzw. schmerzte (vgl. Gen 6,6). Anders als in der griechisch-römischen Tradition gilt d a s H e r z i m s e m i t i s c h - h e b r ä i s c h e n Verstehenshorizont als geistig-seelisches Zentrum und somit auch als Sitz von Entscheidungen, rationaler wie emotionaler. Dies gilt es zu bedenken, wenn JHWH mit den Worten zitiert wird: „Ich will den Menschen vertilgen, den ich erschaffen, von der Fläche des Erdbodens“ (Gen 6,7; 7,4). JHWH handelt aus Schmerz und Enttäuschung und ist somit, wenn man diese Linie weiterauszieht, in seiner Entscheidung nicht objektiv, rational, sondern emotional besetzt.

Der Einzige jedoch, der vor JHWHs Augen besteht und daher die Austilgung übersteht, ist Noah. Im biblischen Erzählablauf, und zwar noch vor der sogenannten Sintflut, ist Noah der erste Mensch, der als ein vollkommen gerechter Mann vor Gott bezeichnet wird. Alle anderen werden der Vernichtung preisgegeben; denn „die Erde war voll Gewalttat“ (Gen 6,11b). Zur Inkongruenz der Erzählung gehört, dass am Ende dann doch die Familie Noahs und von allen Tieren je ein Pärchen am Leben bleiben dürfen (vgl. Gen 6,18-20; 7,1a.2-3.7-9). Letztlich kommen alle anderen um, so wie es Gott angekündigt hatte (vgl. Gen 7,23a).

Der Ausgang der Sintflutgeschichte hat aber einen irritierenden Schluss. Nachdem die Flut vorüber war und Noah Brandopfer für JHWH dargebracht hatte, spricht JHWH in seinem Herzen (zu Herz vgl. Gen 6,6), dass er „nicht fortsetzen will zu verfluchen weiterhin die Erde wegen des Menschen, weil das Streben des Menschenherzens (vgl. Gen 6,5) böse ist von Jugend an“ (Gen 8,21a). Kapituliert also Gott vor der Schlechtigkeit des Menschen? War damit aus der Perspektive der Sintflutgeschichte die ganze Vertilgung des sogenannten bösen Menschengeschlechts schließlich eine vergebliche göttliche Aktion? Wusste dies alles Gott nicht schon vorher? Hatte er sich derart fundamental im Menschen, seinem Werk, getäuscht? Vor diesem Hintergrund lässt sich nunmehr vielleicht erahnen, weshalb Gott in diesem narrativen Kontext dem Mensch erlaubt, Tiere zu essen, das heißt, Tiere töten zu dürfen. Diese Erlaubnis kann als eine

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Einhegung der Bosheit und der Gewaltfähigkeit des Menschen durch Gott gedeutet werden.

Als Zeichen dafür, dass nie wieder mit einer Flut alle lebendigen Wesen ausgerottet werden, schließt Gott mit Noah und seinen Nachkommen einen ewigen Bund (Gen 9,9.11.16). Übrigens, das Wort für Zeichen ist im Hebräischen das gleiche wie das für das Zeichen an Kain (vgl. Gen 9,12.13.17). Bei der konkreten Gestalt dieses Zeichens handelt es sich um einen Bogen, den JHWH in die Wolken setzt (vgl. Gen 9,13). Dieser Bogen in den Wolken ist anscheinend der Regenbogen. Lässt sich vielleicht der Regenbogen als ein globales Kains-Zeichen zum Schutz des Menschengeschlechts vor Gott verstehen, und zwar von Gott selbst zu seiner eigenen Erinnerung angeordnet?

Punai/pixelio.de

5. Die Landnahme durch Josua

Wenn es um Gewalt in der Bibel geht, zudem noch um göttlich legitimierte Gewalt, so wird alsbald auch auf das Buch Josua verwiesen, besonders auf seinen ersten Teil (vgl. Jos 1-12). In ihm wird von der Landnahme des den Kindern Israel von Gott verheißenen Landes unter Josua erzählt (vgl. Dtn

31,23; 34,9). Die Brisanz hierbei ist, dass das Land keine menschenleere Brache, sondern besiedelt ist (vgl. Gen 12,6b; Dtn 7,1b). Ungeachtet dessen ist JHWH nicht nur willens, dieses Land den Kindern Israel zu geben (Landgabe; vgl. Gen 12,7a, Dtn 7,1a), sondern er erteilt ihnen sogar den Befehl, die Bewohner des Landes der Vernichtung zu weihen, an ihnen die sogenannte Vernichtungsweihe zu vollstrecken (vgl. Dtn 7,2bá). Von daher ist klar, dass mit den im Land Wohnenden kein Vertrag bzw. Bündnis geschlossen und ihnen gegenüber auch keine Gnade erwiesen werden darf (vgl. Dtn 7,2bâ). Ein hierfür gemeinhin bekanntes Beispiel ist die Einnahme Jerichos (vgl. Jos 6).

Nachdem auf Anordnung JHWHs die Stadt an sechs Tagen je einmal und am siebten Tag siebenmal unter „Posaunenschall“ umrundet worden ist (vgl. Jos 6,2-5), stürzt die Stadtmauer unter Schofarklang und Kriegsgeschrei zusammen. Das ganze Volk der Israeliten stürmt daraufhin in die Stadt, jeder dort, wo er sich gerade befindet (vgl. Jos 6,20). Alles, was sich in der Stadt befindet, wird mit der Schärfe des Schwertes der Vernichtung geweiht. Ausdrücklich wird hinzugefügt: „Vom Mann und bis zur Frau; vom Knaben und bis hin zum Greis sowie vom Ochs bis Schaf und Esel“ (Jos 6,21). Die Stadt selbst wird niedergebrannt (vgl. Jos 6,24a). Aus heutiger Sicht handelt es sich hierbei zweifelsfrei um ein Kriegsverbrechen, welches zudem ausschließlich religiös motiviert ist (vgl. Jos 6,16b.17a). Aber sehen wir genauer hin. Im Text selbst werden bereits vereinzelte Ausnahmen gemacht. Die Dirne Rahab und ihre Familienangehörigen sollen und werden von der Vernichtungsweihe verschont bleiben, weil sie die Boten/ Kundschafter in ihrem Haus versteckt hielt, die Josua zur Vorerkundung heimlich nach Jericho geschickt hatte (vgl. Jos 2; 6,17b.22f.25). Theologisch stehen bei dieser Erzählung zwei

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Aspekte im Hintergrund. Zum einen war den Autoren und Redaktoren des Buches Josua, das seine Letztgestalt in frühnachexilischer Zeit erfahren haben dürfte, zu offenkundig, dass in den Königtümern Israel und Juda bis zum Babylonischen Exil immer auch andere Ethnien lebten. Das heißt, Kanaan war niemals vollständig von den Israeliten erobert gewesen, so wie es Dtn 7,1f oder Jos 1,2-7 nahezulegen vermögen – ganz unabhängig davon, dass es in der wissenschaftlichen Forschung heute Konsens ist, dass es eine militärische Eroberung Kanaans durch ein „Zwölfstämmevolk Israel mit der Vernichtung aller Landesbewohner“ nicht gegeben hat, und zwar im Sinne des sogenannten Invasionsmodells.

Zum anderen ist der Einzug in das verheißene Land durch den Jordan (vgl. Jos 3) und die Einnahme der Stadt Jericho als eine liturgische Prozession gestaltet. Ein militärisches Eindringen in ein Land und das Erobern von Städten erfolgt, auch unter antiken Gesichtspunkten, weitgehend anders. Diese liturgische Prozession ist so gestaltet, dass der Einzug der Israeliten in das verheißene Land „zu einem Einzug JHWHs selbst in das Land transformiert“ wird. Vor diesem Verständnishorizont wird es plausibel, die Eroberung Jerichos und die daran sich anschließende Vernichtungsweihe als ein Darbringen der Erstlingsfrucht zu deuten (Ex 13,2; Neh 10,37), da Jericho die erste Stadt ist, welche die Israeliten unter Josua und der Führung JHWHs einnehmen (vgl. Jos 6,27). Freilich, die brutale Darstellungsweise der Einnahme Jerichos selbst und damit die Sprache der Gewalt irritiert. Anleihen für eine solche Erzählweise wurden anscheinend bei der assyrischen Kriegstheologie gemacht, zumal Israel/Juda schlimme Erfahrungen mit den Assyrern gemacht hat, so dass beispielsweise eine Erzählung wie die Einnahme Jerichos angesichts der Schwäche Israels/Judas als eine Art „`Gegengeschichte´ gegen die aktuellen feindlichen Bedrohungen“ gelesen werden kann.

Dass ungeachtet dessen das Vorgehen des (literarischen) Josuas dennoch als problematisch empfunden worden ist, zeigt die jüdische Rezeptionsgeschichte. Diese lässt Josua drei Sendschreiben an die Bewohner des Landes schicken, bevor es eingenommen wird. Das erste gewährt freien Aus- bzw. Abzug der Bewohner vor dem Beginn der Einnahme; das zweite bietet einen asymmetrischen Friedensschluss mit den Bewohnern des Landes an und das dritte kündigt Krieg für die an, die sich den beiden ersten Schreiben verweigern. Diese Entlastungsstrategie für Josua, die ihren biblischen Haftpunkt im

Bernd Kasper/ pixelio.de

In dieser Erzählung muss JHWH zur Kenntnis nehmen, dass die Bosheit des Menschen nicht nur groß ist, sondern dass das Trachten des Menschen Herz jeden Tag uneingeschränkt böse ist (vgl. Gen 6,5). So reut es JHWH, den Menschen geschaffen zu haben. In nahezu einmaliger anthropomorpher Redeweise wird außerdem noch hinzugefügt, dass ob dieses Umstandes jetzt das Herz JHWHs tief bekümmert war bzw. schmerzte (vgl. Gen 6,6). Anders als in der griechisch-römischen Tradition gilt d a s H e r z i m s e m i t i s c h - h e b r ä i s c h e n Verstehenshorizont als geistig-seelisches Zentrum und somit auch als Sitz von Entscheidungen, rationaler wie emotionaler. Dies gilt es zu bedenken, wenn JHWH mit den Worten zitiert wird: „Ich will den Menschen vertilgen, den ich erschaffen, von der Fläche des Erdbodens“ (Gen 6,7; 7,4). JHWH handelt aus Schmerz und Enttäuschung und ist somit, wenn man diese Linie weiterauszieht, in seiner Entscheidung nicht objektiv, rational, sondern emotional besetzt.

Der Einzige jedoch, der vor JHWHs Augen besteht und daher die Austilgung übersteht, ist Noah. Im biblischen Erzählablauf, und zwar noch vor der sogenannten Sintflut, ist Noah der erste Mensch, der als ein vollkommen gerechter Mann vor Gott bezeichnet wird. Alle anderen werden der Vernichtung preisgegeben; denn „die Erde war voll Gewalttat“ (Gen 6,11b). Zur Inkongruenz der Erzählung gehört, dass am Ende dann doch die Familie Noahs und von allen Tieren je ein Pärchen am Leben bleiben dürfen (vgl. Gen 6,18-20; 7,1a.2-3.7-9). Letztlich kommen alle anderen um, so wie es Gott angekündigt hatte (vgl. Gen 7,23a).

Der Ausgang der Sintflutgeschichte hat aber einen irritierenden Schluss. Nachdem die Flut vorüber war und Noah Brandopfer für JHWH dargebracht hatte, spricht JHWH in seinem Herzen (zu Herz vgl. Gen 6,6), dass er „nicht fortsetzen will zu verfluchen weiterhin die Erde wegen des Menschen, weil das Streben des Menschenherzens (vgl. Gen 6,5) böse ist von Jugend an“ (Gen 8,21a). Kapituliert also Gott vor der Schlechtigkeit des Menschen? War damit aus der Perspektive der Sintflutgeschichte die ganze Vertilgung des sogenannten bösen Menschengeschlechts schließlich eine vergebliche göttliche Aktion? Wusste dies alles Gott nicht schon vorher? Hatte er sich derart fundamental im Menschen, seinem Werk, getäuscht? Vor diesem Hintergrund lässt sich nunmehr vielleicht erahnen, weshalb Gott in diesem narrativen Kontext dem Mensch erlaubt, Tiere zu essen, das heißt, Tiere töten zu dürfen. Diese Erlaubnis kann als eine

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Einhegung der Bosheit und der Gewaltfähigkeit des Menschen durch Gott gedeutet werden.

Als Zeichen dafür, dass nie wieder mit einer Flut alle lebendigen Wesen ausgerottet werden, schließt Gott mit Noah und seinen Nachkommen einen ewigen Bund (Gen 9,9.11.16). Übrigens, das Wort für Zeichen ist im Hebräischen das gleiche wie das für das Zeichen an Kain (vgl. Gen 9,12.13.17). Bei der konkreten Gestalt dieses Zeichens handelt es sich um einen Bogen, den JHWH in die Wolken setzt (vgl. Gen 9,13). Dieser Bogen in den Wolken ist anscheinend der Regenbogen. Lässt sich vielleicht der Regenbogen als ein globales Kains-Zeichen zum Schutz des Menschengeschlechts vor Gott verstehen, und zwar von Gott selbst zu seiner eigenen Erinnerung angeordnet?

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5. Die Landnahme durch Josua

Wenn es um Gewalt in der Bibel geht, zudem noch um göttlich legitimierte Gewalt, so wird alsbald auch auf das Buch Josua verwiesen, besonders auf seinen ersten Teil (vgl. Jos 1-12). In ihm wird von der Landnahme des den Kindern Israel von Gott verheißenen Landes unter Josua erzählt (vgl. Dtn

31,23; 34,9). Die Brisanz hierbei ist, dass das Land keine menschenleere Brache, sondern besiedelt ist (vgl. Gen 12,6b; Dtn 7,1b). Ungeachtet dessen ist JHWH nicht nur willens, dieses Land den Kindern Israel zu geben (Landgabe; vgl. Gen 12,7a, Dtn 7,1a), sondern er erteilt ihnen sogar den Befehl, die Bewohner des Landes der Vernichtung zu weihen, an ihnen die sogenannte Vernichtungsweihe zu vollstrecken (vgl. Dtn 7,2bá). Von daher ist klar, dass mit den im Land Wohnenden kein Vertrag bzw. Bündnis geschlossen und ihnen gegenüber auch keine Gnade erwiesen werden darf (vgl. Dtn 7,2bâ). Ein hierfür gemeinhin bekanntes Beispiel ist die Einnahme Jerichos (vgl. Jos 6).

Nachdem auf Anordnung JHWHs die Stadt an sechs Tagen je einmal und am siebten Tag siebenmal unter „Posaunenschall“ umrundet worden ist (vgl. Jos 6,2-5), stürzt die Stadtmauer unter Schofarklang und Kriegsgeschrei zusammen. Das ganze Volk der Israeliten stürmt daraufhin in die Stadt, jeder dort, wo er sich gerade befindet (vgl. Jos 6,20). Alles, was sich in der Stadt befindet, wird mit der Schärfe des Schwertes der Vernichtung geweiht. Ausdrücklich wird hinzugefügt: „Vom Mann und bis zur Frau; vom Knaben und bis hin zum Greis sowie vom Ochs bis Schaf und Esel“ (Jos 6,21). Die Stadt selbst wird niedergebrannt (vgl. Jos 6,24a). Aus heutiger Sicht handelt es sich hierbei zweifelsfrei um ein Kriegsverbrechen, welches zudem ausschließlich religiös motiviert ist (vgl. Jos 6,16b.17a). Aber sehen wir genauer hin. Im Text selbst werden bereits vereinzelte Ausnahmen gemacht. Die Dirne Rahab und ihre Familienangehörigen sollen und werden von der Vernichtungsweihe verschont bleiben, weil sie die Boten/ Kundschafter in ihrem Haus versteckt hielt, die Josua zur Vorerkundung heimlich nach Jericho geschickt hatte (vgl. Jos 2; 6,17b.22f.25). Theologisch stehen bei dieser Erzählung zwei

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Aspekte im Hintergrund. Zum einen war den Autoren und Redaktoren des Buches Josua, das seine Letztgestalt in frühnachexilischer Zeit erfahren haben dürfte, zu offenkundig, dass in den Königtümern Israel und Juda bis zum Babylonischen Exil immer auch andere Ethnien lebten. Das heißt, Kanaan war niemals vollständig von den Israeliten erobert gewesen, so wie es Dtn 7,1f oder Jos 1,2-7 nahezulegen vermögen – ganz unabhängig davon, dass es in der wissenschaftlichen Forschung heute Konsens ist, dass es eine militärische Eroberung Kanaans durch ein „Zwölfstämmevolk Israel mit der Vernichtung aller Landesbewohner“ nicht gegeben hat, und zwar im Sinne des sogenannten Invasionsmodells.

Zum anderen ist der Einzug in das verheißene Land durch den Jordan (vgl. Jos 3) und die Einnahme der Stadt Jericho als eine liturgische Prozession gestaltet. Ein militärisches Eindringen in ein Land und das Erobern von Städten erfolgt, auch unter antiken Gesichtspunkten, weitgehend anders. Diese liturgische Prozession ist so gestaltet, dass der Einzug der Israeliten in das verheißene Land „zu einem Einzug JHWHs selbst in das Land transformiert“ wird. Vor diesem Verständnishorizont wird es plausibel, die Eroberung Jerichos und die daran sich anschließende Vernichtungsweihe als ein Darbringen der Erstlingsfrucht zu deuten (Ex 13,2; Neh 10,37), da Jericho die erste Stadt ist, welche die Israeliten unter Josua und der Führung JHWHs einnehmen (vgl. Jos 6,27). Freilich, die brutale Darstellungsweise der Einnahme Jerichos selbst und damit die Sprache der Gewalt irritiert. Anleihen für eine solche Erzählweise wurden anscheinend bei der assyrischen Kriegstheologie gemacht, zumal Israel/Juda schlimme Erfahrungen mit den Assyrern gemacht hat, so dass beispielsweise eine Erzählung wie die Einnahme Jerichos angesichts der Schwäche Israels/Judas als eine Art „`Gegengeschichte´ gegen die aktuellen feindlichen Bedrohungen“ gelesen werden kann.

Dass ungeachtet dessen das Vorgehen des (literarischen) Josuas dennoch als problematisch empfunden worden ist, zeigt die jüdische Rezeptionsgeschichte. Diese lässt Josua drei Sendschreiben an die Bewohner des Landes schicken, bevor es eingenommen wird. Das erste gewährt freien Aus- bzw. Abzug der Bewohner vor dem Beginn der Einnahme; das zweite bietet einen asymmetrischen Friedensschluss mit den Bewohnern des Landes an und das dritte kündigt Krieg für die an, die sich den beiden ersten Schreiben verweigern. Diese Entlastungsstrategie für Josua, die ihren biblischen Haftpunkt im

Bernd Kasper/ pixelio.de

Kriegsgesetz des Buches Deuteronomium findet (vgl. Dtn 20,10f), hat zum Ziel, jenen als tadellosen, gerechten sowie die normativ geltenden Gebote Gottes achtenden Feldherrn im Toramantel darzustellen.

6. Fazit

Im ersten Teil der zweigeteilten einen Bibel, der in christlicher Tradition Altes Testament genannt wird, wird Gewalt in unterschiedlicher Ausprägung beschrieben und ist zugleich Gegenstand theologischer Reflexion. Es wird zur Kenntnis genommen, dass menschliche Geschichte von Beginn an von Gewalt, aber auch durch Einhegung derselben geprägt ist. Dies wird als ein andauernder Prozess beschrieben. Die in diesem Aufsatz behandelten biblischen Erzählungen, die bis zur Kanonwerdung eine mehrfache Überarbeitung erfahren haben, sind letztlich nicht von religiöser Überhitzung oder gar Gewaltverherrlichung bestimmt, sondern sie nehmen Gewalt meist nüchtern zur Kenntnis. Zugleich bieten diese Erzählungen ebenso auch keinen Anhaltspunkt für Fatalismus oder Resignation. Vielmehr lassen sie auf vorwissenschaftlicher Stufe erkennen, dass es stets darauf ankommt, Gewalt einzuhegen.Hinsichtlich der „Sprache der Gewalt“, die sich an einigen biblischen Stellen offenbart, lässt sich mit Jan Assmann allgemein festhalten: „Das seman-tische Dynamit, das in den heiligen Texten der monotheistischen Religionen steckt, zündet in den Händen nicht der Gläubigen, sondern der Fundamentalisten, denen es um politische Macht geht und die sich der religiösen Gewaltmotive bedienen, um die Massen hinter sich zu bringen. Die

Sprache der Gewalt wird als eine Ressource im politischen Machtkampf missbraucht, um Feind-bilder aufzubauen und Angst und Bedrohungs-bewusstsein zu schüren. Daher kommt es darauf an, diese Motive zu historisieren, indem man sie auf ihre Ursprungssituation zurückführt. Es gilt, ihre Genese aufzudecken, um sie in ihrer Geltung einzu-schränken“ (Jan Assmann, Monotheismus und die Sprache der Gewalt, Wien, 4. Auflage, 2007, S. 57).

Nicht historisieren lässt sich hingegen die conditio humana. Diese ist gebrochen, aber nicht zerbrochen. Einen Grund für schrankenlosen Optimismus gibt es aber ebenso wenig. Der Mensch ist sowohl fähig zur grenzenlosen Gewalt als auch friedensfähig. Religion bleibt in diesem Kontext ambivalent bzw. besitzt ein Janusgesicht. Es kommt somit stets darauf an, darauf zu achten, welche Seite des Janusgesichtes sich in den Vordergrund drängt, die gewalttätige oder die friedfertige. Von daher ist es die Aufgabe, die friedensfähige Seite des Menschen zu stärken, und zwar nicht nur individuell, sondern vor allem strukturell und nicht zuletzt ebenfalls institutionell.

Leicht für diese Ausgabe veränderter Nachdruck. Zuerst erschienen in: Thomas R. Elßner, Gewalt - um Gottes willen. Bibeltheologisch-exegetische Anmerkungen, in: Humanitäres Völkerrecht. Informationsschriften. Journal of International Law of Peace and Armed Conflict, Nr. 28, 3/2015, 111-115.

12

Thomas R. Elßner, 1992 Dipl.-Theol.; anschließend Gemeindepraktika;1997 Promotion im Fachbereich Altes Testament sowie Beginn der Arbeit in der Katholischen Militärseelsorge in Schwerin. Von 2000 bis 2005 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg/Barsbüttel. Von 2002 bis 2005 Lehrauftrag an der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr in Hamburg. Seit 2005 Pastoralreferent in der Katholi-schen Militärseelsorge und Dozent für Ethik am Zentrum Innere Führung in Koblenz. 2008 Habilitation an der Universität Erfurt im Fachbereich Altes Testa-ment; seit 2009 Professor und Lehrstuhlinhaber für Theologie und Exegese des Alten Testaments an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallen-dar.

Logo und Motto fassen auf geglückte Weise zusammen, um was es bei diesem Jubiläum geht. Das aus dem Lukasevangelium stammende Wort Barmherzig wie der Vater (6,36) lädt ein, diese Barmherzigkeit nach dem Vorbild des Vaters zu leben. Dieser ruft dazu auf, nicht zu urteilen oder gar zu verdammen, sondern zu vergeben und in geradezu maßloser Weise Liebe und Verzeihung zu schenken (vgl. Lk 6,37-38).

Das Logo – ein Werk des Jesuiten Marko I. Rupnik – präsentiert sich als eine kleine Summa Theologiae zum Thema der Barmherzigkeit. Es zeigt in der Tat den Sohn, der sich den verlorenen Menschen auf die Schultern lädt. Hier wird ein Bild aufgegriffen, das schon die frühe Kirche sehr geschätzt hat, weil es die Liebe Christi zeigt, der das Geheimnis seiner Menschwerdung im Werk der Erlösung zur Vollendung führt. Das Bild ist so gestaltet, dass deutlich wird, wie der gute Hirte in direkten Kontakt mit dem Fleisch des Menschen kommt. Er tut dies mit einer Liebe, die in der Lage ist, Leben zu verändern. Ein Detail des Bildes darf uns nicht entgehen: Der gute Hirte trägt die Menschheit mit außerordentlicher Barmherzigkeit auf den Schultern und seine Augen verbinden sich mit denen des Menschen. Christus sieht mit dem Auge Adams, und dieser mit dem Auge Christi. Jeder Mensch entdeckt also in Christus, dem neuen Adam, die eigene Menschlichkeit und, indem er in Christi Blick die Liebe des Vaters wahrnimmt, die Zukunft, die ihn erwartet.

Die Szene ist von einer sogenannten Mandorla, einer mandelförmigen Figur, eingefasst. Diese in der antiken und mittelalterlichen Ikonographie beliebte Form deutet die gleichzeitige Präsenz der göttlichen und der menschlichen Natur in Christus an. Die drei konzentrischen Ovale mit ihrem progressiven, nach außen immer heller werdenden Farbverlauf symbolisieren die Bewegung Christi, der den Menschen aus der Nacht der Sünde und des Totes zum Licht bringt. Auf der anderen Seite steht die tiefdunkle Farbe im Zentrum auch für die Undurchdringlichkeit der Liebe des Vaters, der alles verzeiht.

(www.iubilaeumbarmherzigkeit.va)

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Aktuell

Außerordentliches Jubiläum

der Barmherzigkeit

Kriegsgesetz des Buches Deuteronomium findet (vgl. Dtn 20,10f), hat zum Ziel, jenen als tadellosen, gerechten sowie die normativ geltenden Gebote Gottes achtenden Feldherrn im Toramantel darzustellen.

6. Fazit

Im ersten Teil der zweigeteilten einen Bibel, der in christlicher Tradition Altes Testament genannt wird, wird Gewalt in unterschiedlicher Ausprägung beschrieben und ist zugleich Gegenstand theologischer Reflexion. Es wird zur Kenntnis genommen, dass menschliche Geschichte von Beginn an von Gewalt, aber auch durch Einhegung derselben geprägt ist. Dies wird als ein andauernder Prozess beschrieben. Die in diesem Aufsatz behandelten biblischen Erzählungen, die bis zur Kanonwerdung eine mehrfache Überarbeitung erfahren haben, sind letztlich nicht von religiöser Überhitzung oder gar Gewaltverherrlichung bestimmt, sondern sie nehmen Gewalt meist nüchtern zur Kenntnis. Zugleich bieten diese Erzählungen ebenso auch keinen Anhaltspunkt für Fatalismus oder Resignation. Vielmehr lassen sie auf vorwissenschaftlicher Stufe erkennen, dass es stets darauf ankommt, Gewalt einzuhegen.Hinsichtlich der „Sprache der Gewalt“, die sich an einigen biblischen Stellen offenbart, lässt sich mit Jan Assmann allgemein festhalten: „Das seman-tische Dynamit, das in den heiligen Texten der monotheistischen Religionen steckt, zündet in den Händen nicht der Gläubigen, sondern der Fundamentalisten, denen es um politische Macht geht und die sich der religiösen Gewaltmotive bedienen, um die Massen hinter sich zu bringen. Die

Sprache der Gewalt wird als eine Ressource im politischen Machtkampf missbraucht, um Feind-bilder aufzubauen und Angst und Bedrohungs-bewusstsein zu schüren. Daher kommt es darauf an, diese Motive zu historisieren, indem man sie auf ihre Ursprungssituation zurückführt. Es gilt, ihre Genese aufzudecken, um sie in ihrer Geltung einzu-schränken“ (Jan Assmann, Monotheismus und die Sprache der Gewalt, Wien, 4. Auflage, 2007, S. 57).

Nicht historisieren lässt sich hingegen die conditio humana. Diese ist gebrochen, aber nicht zerbrochen. Einen Grund für schrankenlosen Optimismus gibt es aber ebenso wenig. Der Mensch ist sowohl fähig zur grenzenlosen Gewalt als auch friedensfähig. Religion bleibt in diesem Kontext ambivalent bzw. besitzt ein Janusgesicht. Es kommt somit stets darauf an, darauf zu achten, welche Seite des Janusgesichtes sich in den Vordergrund drängt, die gewalttätige oder die friedfertige. Von daher ist es die Aufgabe, die friedensfähige Seite des Menschen zu stärken, und zwar nicht nur individuell, sondern vor allem strukturell und nicht zuletzt ebenfalls institutionell.

Leicht für diese Ausgabe veränderter Nachdruck. Zuerst erschienen in: Thomas R. Elßner, Gewalt - um Gottes willen. Bibeltheologisch-exegetische Anmerkungen, in: Humanitäres Völkerrecht. Informationsschriften. Journal of International Law of Peace and Armed Conflict, Nr. 28, 3/2015, 111-115.

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Thomas R. Elßner, 1992 Dipl.-Theol.; anschließend Gemeindepraktika;1997 Promotion im Fachbereich Altes Testament sowie Beginn der Arbeit in der Katholischen Militärseelsorge in Schwerin. Von 2000 bis 2005 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg/Barsbüttel. Von 2002 bis 2005 Lehrauftrag an der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr in Hamburg. Seit 2005 Pastoralreferent in der Katholi-schen Militärseelsorge und Dozent für Ethik am Zentrum Innere Führung in Koblenz. 2008 Habilitation an der Universität Erfurt im Fachbereich Altes Testa-ment; seit 2009 Professor und Lehrstuhlinhaber für Theologie und Exegese des Alten Testaments an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallen-dar.

Logo und Motto fassen auf geglückte Weise zusammen, um was es bei diesem Jubiläum geht. Das aus dem Lukasevangelium stammende Wort Barmherzig wie der Vater (6,36) lädt ein, diese Barmherzigkeit nach dem Vorbild des Vaters zu leben. Dieser ruft dazu auf, nicht zu urteilen oder gar zu verdammen, sondern zu vergeben und in geradezu maßloser Weise Liebe und Verzeihung zu schenken (vgl. Lk 6,37-38).

Das Logo – ein Werk des Jesuiten Marko I. Rupnik – präsentiert sich als eine kleine Summa Theologiae zum Thema der Barmherzigkeit. Es zeigt in der Tat den Sohn, der sich den verlorenen Menschen auf die Schultern lädt. Hier wird ein Bild aufgegriffen, das schon die frühe Kirche sehr geschätzt hat, weil es die Liebe Christi zeigt, der das Geheimnis seiner Menschwerdung im Werk der Erlösung zur Vollendung führt. Das Bild ist so gestaltet, dass deutlich wird, wie der gute Hirte in direkten Kontakt mit dem Fleisch des Menschen kommt. Er tut dies mit einer Liebe, die in der Lage ist, Leben zu verändern. Ein Detail des Bildes darf uns nicht entgehen: Der gute Hirte trägt die Menschheit mit außerordentlicher Barmherzigkeit auf den Schultern und seine Augen verbinden sich mit denen des Menschen. Christus sieht mit dem Auge Adams, und dieser mit dem Auge Christi. Jeder Mensch entdeckt also in Christus, dem neuen Adam, die eigene Menschlichkeit und, indem er in Christi Blick die Liebe des Vaters wahrnimmt, die Zukunft, die ihn erwartet.

Die Szene ist von einer sogenannten Mandorla, einer mandelförmigen Figur, eingefasst. Diese in der antiken und mittelalterlichen Ikonographie beliebte Form deutet die gleichzeitige Präsenz der göttlichen und der menschlichen Natur in Christus an. Die drei konzentrischen Ovale mit ihrem progressiven, nach außen immer heller werdenden Farbverlauf symbolisieren die Bewegung Christi, der den Menschen aus der Nacht der Sünde und des Totes zum Licht bringt. Auf der anderen Seite steht die tiefdunkle Farbe im Zentrum auch für die Undurchdringlichkeit der Liebe des Vaters, der alles verzeiht.

(www.iubilaeumbarmherzigkeit.va)

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Aktuell

Außerordentliches Jubiläum

der Barmherzigkeit

Katharina Kasper und das „Jahr der Barmherzigkeit“

Von Sr. M. Gottfriedis Amend ADJC

Fünfzig Jahre nach Abschluss des II. Vatikanischen Ökumenischen Konzils, am 8. Dezember 2015, öffnete und durchschritt Papst Franziskus die Heilige Pforte. Mit diesem symbolischen Akt begann nach dem Willen des Papstes das von ihm ausgerufene Heilige Jahr, das er zum Jahr der Barmherzigkeit erklärt hatte.

Ein Problem unserer Zeit sind einerseits die Ströme von Flüchtlingen, die in Deutschland und anderen europäischen Ländern Aufnahme erhoffen, und andererseits die Zurückweisung dieser Menschen, und zwar auch im „Jahr der Barmherzigkeit“.

Zu Katharinas Zeiten kamen keine Fremden eine Heimat suchend nach hier, sondern Deutsche mit wirtschaftlich sehr ungünstigen Bedingungen verließen das Land in der Hoffnung, beispielsweise in Übersee, einen Lebensraum und Verdienstmög-lichkeiten zu finden. In einer Beschreibung der wirtschaftlichen Situation der Menschen im Wester-wald wird ausgeführt, dass „Der kleinen Schicht der Besitzenden … ein riesiges Heer Armer gegenüber stand.” Die Massenarmut, der Pauperismus, blieb bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts bestimmend

14

Katharina Kasper

und erreichte während der 30er und 40erJahre seinen Höhepunkt, mitbewirkt durch die Tatsache, dass seit 1816 wirtschaftliche Krisen zur Dauerer-scheinung wurden.(1) Das zwang viele Menschen dazu, auszuwandern. In der Zeit zwischen 1860 und 1869 suchten beispielsweise 782.000 Personen aus dem Gebiet, das nach 1871 das Deutsche Reich bildete, in der Fremde eine neue Heimat.(2)

Das stellte die Länder, in denen die Auswanderer Fuß zu fassen suchten, vor Probleme. 1857 wird zum Beispiel in den USA im Staate Indiana die Diözese Fort Wayne gegründet, und zwar vorwie-gend für Immigranten. Ihr erster Bischof ist John Henry Luers, dessen Eltern aus Münster in Westfa-len stammten. 1860 ist ein Drittel der Diözesanen deutschstämmig. Für ihre Betreuung braucht der Bischof Schwestern. Über einen in seiner Diözese wirkenden deutschen Priester kommt Bischof Luers in Kontakt mit Bischof Peter Joseph Blum, der es erreicht, dass Katharina Kasper 1868 acht Schwes-tern in die USA schickt.

1. Es ist Pflicht für uns, jedem zu helfen und zu raten, wo wir nur können. (Band I, Brief 2)

Bischof Dr. Peter Joseph Blum spielte zeitlebens eine besondere Rolle im Leben Katharina Kaspers. Er war es, der sie zur Gründung der Kongregation ermutigt hatte. Er persönlich nahm am 15. August 1851 in der Pfarrkirche zu Wirges die Gelübdeable-gung Katharinas und ihrer ersten vier Mitschwestern entgegen. Zeit seines Lebens fühlte er sich daher für die Gemeinschaft mitverantwortlich.

1852 berichtet Katharina in einem Brief an Bischof Blum diesem über mehrere junge Frauen, die um die Aufnahme in die Kongregation gebeten haben. Eine von ihnen, Barbara Breuer, hatte zuvor den Bischof aufgesucht. Von ihr gewinnt Katharina nach kurzer Zeit den Eindruck, dass sie „keinen echten Beruf“ habe. Das teilt Katharina dem Bischof mit und äußert

__________________________________________1) vgl. Konrad Fuchs, Soziales Denken und soziales Handeln der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert, unveröffentlichter Aufsatz, S. 12) Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1800 - 1866

in diesem Zusammenhang: „Weil es aber Pflicht für uns ist, jedem zu helfen und zu raten, wo wir nur können, so fühlte ich doch ein großes Mitleid mit ihr:“ (Band I, Brief 2)

Dieser kurze Satz erhält seine Bedeutsamkeit zunächst durch die Tatsache, dass Katharina ihn mit großer Selbstverständlichkeit in einem Brief an den Bischof äußert. Ihm gegenüber, der ihr Tun und Lassen – soweit es die Führung der Gemeinschaft betrifft – im Blick hat und jederzeit ein entsprechen-des Handeln anmahnen könnte, erklärt sie es als ihre „Pflicht“, „zu helfen und zu raten“.

Übernommene Pflichten binden; sie fordern verant-wortungsvolles Handeln und sind von daher gewich-tig. Gewissenhaftigkeit ist Katharina Kasper gewis-sermaßen angeboren, ist ihr ganz natürlich. Sie, die in einem Rundbrief an ihre Gemeinschaft schreiben kann: „Sie wissen ja, meine lieben Schwestern, daß ich nicht gern viele Worte mache und viel Geräusch“. (Band I, Brief 81) steht zu dem, was sie sagt.

In einem 1882 zum Beginn des neuen Jahres entstandenen Rundbrief äußert sie den Wunsch: „Möge der liebe Gott … mir im neuen Jahre geben eine vollkommenere Liebe zu Ihm, die nichts sucht und nichts ausschlägt, jene Liebe, die Gott allein sucht, die Ihn allein ehrt, liebt und von Herzen dient, alle Geschöpfe liebt und ihnen dient wegen Gott.“ (Band I, Brief 67)

Katharina schaut „aufrichtig auf den Bruder und die Schwester“(3) Mit diesem „Blick“ erkennt sie die Bedürfnisse des Mitmenschen und fühlt sich zum Helfen gedrängt. Um ihrer inneren Stimme folgen zu können, erhofft sie für sich die Gnade einer „voll-kommenen Liebe“, die sie befähigt, unterschiedslos „alle Geschöpfe“ zu lieben und ihnen zu dienen, und zwar „wegen Gott“. Papst Franziskus führt ein solches Denken auf die „Barmherzigkeit“ zurück. Das geht aus der Verkündi-gungsbulle Misericordia vultus hervor, mit der er die Zeit vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016, dem Christkönigssonntag, zum „außerordent-lichen Jubiläum“ erklärt, zum „Jahr der Barmherzig-keit.“(4) In dieser Schrift führt er aus: „Barmherzigkeit ist das grundlegende Gesetz, das im Herzen jedes Menschen ruht und den Blick be-______________________________________3) Misericordia vultus von Papst Franziskus, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles Nr. 200 S. 64) Vgl. a.a.O. S. 6 bzw. 95) a.a.O. S. 6

stimmt, wenn er aufrichtig auf den Bruder und die Schwester schaut, die ihm auf dem Weg des Lebens begegnen.“ (5)

Katharina Kasper forderte lange vor der Lebenszeit von Papst Franziskus ihre Schwestern in einem Rundbrief auf:„Beten wir besonders, … daß die Werke der Barm-herzigkeit gut geübt werden an den Kranken und Notleidenden, Armen“. (Band I, Brief 101)

2. Die Werke der Barmherzigkeit

Katharinas lässt die Schwestern darum beten, „daß die Werke der Barmherzigkeit gut geübt werden“, und das „in der ganzen Genossenschaft“.

Um die „Werke der Barmherzigkeit“ geht es auch Papst Franziskus. In der bereits genannten Verkün-digungsbulle schreibt er: „Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass die Christen während des Jubiläums über die leiblichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit nachdenken. Das wird eine Form sein, unser Gewissen, das gegenüber dem Drama der Armut oft eingeschlafen ist, wachzurütteln und immer mehr in die Herzmitte des Evangeliums vorzustoßen.“(6)

Das Wort „Barmherzigkeit“ ist für Teile der Bevölke-rung, insbesondere für viele Kinder und Jugendliche, zum Fremdwort geworden. Als Erklärung der Bedeu-tung des Wortes gibt der Duden an: „mitfühlend, mildtätig gegenüber Notleidenden;

Sandsteinrelief in der Kapelle des Bildungshauses Nothgottes/ Rhein-gau, 1991, geschaffen von Renate Gollan, Frankfurt. Die Künstlerin hat die Tätigkeiten der Schwestern dargestellt.Foto: Ursula Edelmann, Ffm

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Katharina Kasper und das „Jahr der Barmherzigkeit“

Von Sr. M. Gottfriedis Amend ADJC

Fünfzig Jahre nach Abschluss des II. Vatikanischen Ökumenischen Konzils, am 8. Dezember 2015, öffnete und durchschritt Papst Franziskus die Heilige Pforte. Mit diesem symbolischen Akt begann nach dem Willen des Papstes das von ihm ausgerufene Heilige Jahr, das er zum Jahr der Barmherzigkeit erklärt hatte.

Ein Problem unserer Zeit sind einerseits die Ströme von Flüchtlingen, die in Deutschland und anderen europäischen Ländern Aufnahme erhoffen, und andererseits die Zurückweisung dieser Menschen, und zwar auch im „Jahr der Barmherzigkeit“.

Zu Katharinas Zeiten kamen keine Fremden eine Heimat suchend nach hier, sondern Deutsche mit wirtschaftlich sehr ungünstigen Bedingungen verließen das Land in der Hoffnung, beispielsweise in Übersee, einen Lebensraum und Verdienstmög-lichkeiten zu finden. In einer Beschreibung der wirtschaftlichen Situation der Menschen im Wester-wald wird ausgeführt, dass „Der kleinen Schicht der Besitzenden … ein riesiges Heer Armer gegenüber stand.” Die Massenarmut, der Pauperismus, blieb bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts bestimmend

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Katharina Kasper

und erreichte während der 30er und 40erJahre seinen Höhepunkt, mitbewirkt durch die Tatsache, dass seit 1816 wirtschaftliche Krisen zur Dauerer-scheinung wurden.(1) Das zwang viele Menschen dazu, auszuwandern. In der Zeit zwischen 1860 und 1869 suchten beispielsweise 782.000 Personen aus dem Gebiet, das nach 1871 das Deutsche Reich bildete, in der Fremde eine neue Heimat.(2)

Das stellte die Länder, in denen die Auswanderer Fuß zu fassen suchten, vor Probleme. 1857 wird zum Beispiel in den USA im Staate Indiana die Diözese Fort Wayne gegründet, und zwar vorwie-gend für Immigranten. Ihr erster Bischof ist John Henry Luers, dessen Eltern aus Münster in Westfa-len stammten. 1860 ist ein Drittel der Diözesanen deutschstämmig. Für ihre Betreuung braucht der Bischof Schwestern. Über einen in seiner Diözese wirkenden deutschen Priester kommt Bischof Luers in Kontakt mit Bischof Peter Joseph Blum, der es erreicht, dass Katharina Kasper 1868 acht Schwes-tern in die USA schickt.

1. Es ist Pflicht für uns, jedem zu helfen und zu raten, wo wir nur können. (Band I, Brief 2)

Bischof Dr. Peter Joseph Blum spielte zeitlebens eine besondere Rolle im Leben Katharina Kaspers. Er war es, der sie zur Gründung der Kongregation ermutigt hatte. Er persönlich nahm am 15. August 1851 in der Pfarrkirche zu Wirges die Gelübdeable-gung Katharinas und ihrer ersten vier Mitschwestern entgegen. Zeit seines Lebens fühlte er sich daher für die Gemeinschaft mitverantwortlich.

1852 berichtet Katharina in einem Brief an Bischof Blum diesem über mehrere junge Frauen, die um die Aufnahme in die Kongregation gebeten haben. Eine von ihnen, Barbara Breuer, hatte zuvor den Bischof aufgesucht. Von ihr gewinnt Katharina nach kurzer Zeit den Eindruck, dass sie „keinen echten Beruf“ habe. Das teilt Katharina dem Bischof mit und äußert

__________________________________________1) vgl. Konrad Fuchs, Soziales Denken und soziales Handeln der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert, unveröffentlichter Aufsatz, S. 12) Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1800 - 1866

in diesem Zusammenhang: „Weil es aber Pflicht für uns ist, jedem zu helfen und zu raten, wo wir nur können, so fühlte ich doch ein großes Mitleid mit ihr:“ (Band I, Brief 2)

Dieser kurze Satz erhält seine Bedeutsamkeit zunächst durch die Tatsache, dass Katharina ihn mit großer Selbstverständlichkeit in einem Brief an den Bischof äußert. Ihm gegenüber, der ihr Tun und Lassen – soweit es die Führung der Gemeinschaft betrifft – im Blick hat und jederzeit ein entsprechen-des Handeln anmahnen könnte, erklärt sie es als ihre „Pflicht“, „zu helfen und zu raten“.

Übernommene Pflichten binden; sie fordern verant-wortungsvolles Handeln und sind von daher gewich-tig. Gewissenhaftigkeit ist Katharina Kasper gewis-sermaßen angeboren, ist ihr ganz natürlich. Sie, die in einem Rundbrief an ihre Gemeinschaft schreiben kann: „Sie wissen ja, meine lieben Schwestern, daß ich nicht gern viele Worte mache und viel Geräusch“. (Band I, Brief 81) steht zu dem, was sie sagt.

In einem 1882 zum Beginn des neuen Jahres entstandenen Rundbrief äußert sie den Wunsch: „Möge der liebe Gott … mir im neuen Jahre geben eine vollkommenere Liebe zu Ihm, die nichts sucht und nichts ausschlägt, jene Liebe, die Gott allein sucht, die Ihn allein ehrt, liebt und von Herzen dient, alle Geschöpfe liebt und ihnen dient wegen Gott.“ (Band I, Brief 67)

Katharina schaut „aufrichtig auf den Bruder und die Schwester“(3) Mit diesem „Blick“ erkennt sie die Bedürfnisse des Mitmenschen und fühlt sich zum Helfen gedrängt. Um ihrer inneren Stimme folgen zu können, erhofft sie für sich die Gnade einer „voll-kommenen Liebe“, die sie befähigt, unterschiedslos „alle Geschöpfe“ zu lieben und ihnen zu dienen, und zwar „wegen Gott“. Papst Franziskus führt ein solches Denken auf die „Barmherzigkeit“ zurück. Das geht aus der Verkündi-gungsbulle Misericordia vultus hervor, mit der er die Zeit vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016, dem Christkönigssonntag, zum „außerordent-lichen Jubiläum“ erklärt, zum „Jahr der Barmherzig-keit.“(4) In dieser Schrift führt er aus: „Barmherzigkeit ist das grundlegende Gesetz, das im Herzen jedes Menschen ruht und den Blick be-______________________________________3) Misericordia vultus von Papst Franziskus, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles Nr. 200 S. 64) Vgl. a.a.O. S. 6 bzw. 95) a.a.O. S. 6

stimmt, wenn er aufrichtig auf den Bruder und die Schwester schaut, die ihm auf dem Weg des Lebens begegnen.“ (5)

Katharina Kasper forderte lange vor der Lebenszeit von Papst Franziskus ihre Schwestern in einem Rundbrief auf:„Beten wir besonders, … daß die Werke der Barm-herzigkeit gut geübt werden an den Kranken und Notleidenden, Armen“. (Band I, Brief 101)

2. Die Werke der Barmherzigkeit

Katharinas lässt die Schwestern darum beten, „daß die Werke der Barmherzigkeit gut geübt werden“, und das „in der ganzen Genossenschaft“.

Um die „Werke der Barmherzigkeit“ geht es auch Papst Franziskus. In der bereits genannten Verkün-digungsbulle schreibt er: „Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass die Christen während des Jubiläums über die leiblichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit nachdenken. Das wird eine Form sein, unser Gewissen, das gegenüber dem Drama der Armut oft eingeschlafen ist, wachzurütteln und immer mehr in die Herzmitte des Evangeliums vorzustoßen.“(6)

Das Wort „Barmherzigkeit“ ist für Teile der Bevölke-rung, insbesondere für viele Kinder und Jugendliche, zum Fremdwort geworden. Als Erklärung der Bedeu-tung des Wortes gibt der Duden an: „mitfühlend, mildtätig gegenüber Notleidenden;

Sandsteinrelief in der Kapelle des Bildungshauses Nothgottes/ Rhein-gau, 1991, geschaffen von Renate Gollan, Frankfurt. Die Künstlerin hat die Tätigkeiten der Schwestern dargestellt.Foto: Ursula Edelmann, Ffm

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Verständnis für die Not anderer zeigend.“ (7)

Die lateinische Form des Wortes „misericordia, verdeutlicht die Beteiligung des Herzens (lat. cor) bei einem barmherzigen Verhalten und ist daher aussagekräftig.

Seit 1966 besitzt die sog. „Hauskapelle“ im Mutter-haus in Dernbach hellleuchtende Fenster, die in einfacher, aber sehr konkreter Form Darstellungen der „Werke der Barmherzigkeit“ zeigen: Hungernde speisen, Dürstende tränken, Nackte bekleiden und so weiter.In der Ausübung solcher Dienste sah Katharina schon vor der Gründung ihrer Gemeinschaft eine Möglichkeit, Gottes Menschenfreundlichkeit erfahr-bar zu machen. Über diesen Weg suchte Katharina die Herzen der Menschen für Gott zu öffnen und „ihren Seelen nützlich zu werden.“ (8) Von Anfang an genügte es der späteren Ordens-gründerin nämlich nicht, nur den leiblichen Hunger und Durst der Menschen zu stillen, sondern – geführt von Gottes Geist - ging es ihr stets darum, dem Nächsten ganzheitlich zu helfen.

Auch Papst Franziskus ruft im „Jahr der Barmherzig-keit“ nicht nur dazu auf, sich für die Überwindung der leiblichen Nöte der Leidenden und Notleidenden einzusetzen. Er mahnt darüber hinaus: „Vergessen wir auch nicht die geistigen Werke der Barmherzigkeit: den Zweifelnden recht raten, die Unwissenden lehren, die Sünder zurechtzuweisen, die Betrübten trösten, Beleidigungen verzeihen, die Lästigen geduldig ertragen und für die Lebenden und Verstorbenen zu beten.” (9)

Nach dieser Aufzählung stellt er seinen Lesern vor Augen: „Wir können uns nicht den Worten des Herrn entziehen, auf deren Grundlage wir einst gerichtet werden.“ (10)Ins Einzelne gehend fragt er dann: „Waren wir fähig, die Unwissenheit zu besiegen, in der Millionen Menschen leben, besonders die Kinder, denen es an der notwendigen Hilfe fehlt, um der Armut entrissen zu werden?“ (11)_______________________6) a.a.O. S.21 7) Duden online 8) Johann Jakob Wittayers, Einleitung in die von ihm geführte Chronik 9) Misericordia vultus von Papst Franziskus, S.21

Ein Schwerpunkt des Dienstes war in Katharina

Kaspers Gemeinschaft immer die Sorge für Kinder.

Schon 1848 nahm sie eine Witwe „mit ihren beiden

Kindern Maria und Matthias und einem Pflegekind“

in ihr „kleines Häuschen“ auf. Das berichtet Kathari-

na selbst und gibt etwas später, bezogen auf das

Jahr 1850, an: „Im selben Jahre nahmen wir auch

acht Waisenkinder auf, teils aus Dernbach und teils

aus den umliegenden Gemeinden.“ (12)

Bereits 1861 entstand im Mutterhaus in Dernbach eine Elementarschule. Bis zum staatlichen Verbot der Unterrichtstätigkeit von Ordensleuten 1875 unterrichteten Schwestern der Gemeinschaft Katharina Kaspers in 38 solcher Schulen.

Zudem schickte die Ordensgründerin ihre Schwes-tern in viele Waisenhäuser, in denen stets mit der Sorge für Leib und Leben der Kinder das Bemühen verbunden war, auch ihre geistige Entwicklung durch den Schulbesuch zu fördern. Die Gemeinschaft gründete außerdem viele „Bewahrschulen“, die sich später zu „Kindergärten“ entwickelten.

Heute kümmern sich Schwestern der Kongregation in verschiedenen Kontinenten weiterhin um die

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schulische Aus- und Weiterbildung von Kindern, aber auch um wohnsitzlose Kinder, um Straßenkin-der. In Nigeria beispielsweise gelang es Schwestern der Kongregation, in einem Gefängnis unterge-brachte, unterernährte und unterentwickelte Kinder aus der ihnen zu Unrecht zugeordneten äußerst ungünstigen Lage zu befreien und ihnen Bedingun-gen zu verschaffen, in denen sich Seele und Leib der Kinder entfalten können. Aus all dem ergibt sich, wie Katharina die Frage beantwortet hätte, wäre sie ihr gestellt worden.

Auch auf die weiteren Fragen, mit denen Papst Franziskus das Verantwortungsbewusstsein der Christen zu wecken versucht, antwortet Katharina Kaspers Handeln mit einem eindeutigen „Ja“. Das sei an einigen Beispielen - stellvertretend für alle – gezeigt.

Auch die Frage des Papstes: „Haben wir denen vergeben, die uns beleidigt haben, und jede Art von Groll und Hass abgewehrt, die zur Gewalt führen?“ (13) kann – wenn man sie als an Katharina Kasper gerichtet liest - mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. Zu dieser Ansicht kommt man, wenn man die Reaktion der Generaloberin auf die Anschuldigungen betrachtet, die Geistlicher Rat Münzenberger als Dompfarrer von Frankfurt gegen sie vorbringt. Diese wurden an anderer Stelle

ausführlich dargestellt, sodass es hier genügt, daran zu erinnern. Obwohl der Bischof fordert „daß der so schwer verdächtigten Genossenschaft die gebührende Genugtuung werde“,erwartet er von Katharina, auf diese „Genugtuung“ und jede Richtigstellung des Sachverhaltes zu verzichten und stattdessen „zu verzeihen und zu vergessen.“ (14)____________________10) a.a.O. S. 2111) a.a.O. S. 21 12) Einführung in die von einer Sekretärin geführten Mutterhau-schronik13) Misericordia vultus von Papst Franziskus, S.2114) Dokumente und Briefe aus den ersten Jahrzehnten der Kongregation II, Archiv des Generalates in Dernbach

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Fenster in der Hauska-pelle des Mutterhau-ses: Durstige tränken

Fenster in der Hauskapelle des Mutterhauses: Fremde beherbergen

(Fortsetzung auf Seite 20)

Verständnis für die Not anderer zeigend.“ (7)

Die lateinische Form des Wortes „misericordia, verdeutlicht die Beteiligung des Herzens (lat. cor) bei einem barmherzigen Verhalten und ist daher aussagekräftig.

Seit 1966 besitzt die sog. „Hauskapelle“ im Mutter-haus in Dernbach hellleuchtende Fenster, die in einfacher, aber sehr konkreter Form Darstellungen der „Werke der Barmherzigkeit“ zeigen: Hungernde speisen, Dürstende tränken, Nackte bekleiden und so weiter.In der Ausübung solcher Dienste sah Katharina schon vor der Gründung ihrer Gemeinschaft eine Möglichkeit, Gottes Menschenfreundlichkeit erfahr-bar zu machen. Über diesen Weg suchte Katharina die Herzen der Menschen für Gott zu öffnen und „ihren Seelen nützlich zu werden.“ (8) Von Anfang an genügte es der späteren Ordens-gründerin nämlich nicht, nur den leiblichen Hunger und Durst der Menschen zu stillen, sondern – geführt von Gottes Geist - ging es ihr stets darum, dem Nächsten ganzheitlich zu helfen.

Auch Papst Franziskus ruft im „Jahr der Barmherzig-keit“ nicht nur dazu auf, sich für die Überwindung der leiblichen Nöte der Leidenden und Notleidenden einzusetzen. Er mahnt darüber hinaus: „Vergessen wir auch nicht die geistigen Werke der Barmherzigkeit: den Zweifelnden recht raten, die Unwissenden lehren, die Sünder zurechtzuweisen, die Betrübten trösten, Beleidigungen verzeihen, die Lästigen geduldig ertragen und für die Lebenden und Verstorbenen zu beten.” (9)

Nach dieser Aufzählung stellt er seinen Lesern vor Augen: „Wir können uns nicht den Worten des Herrn entziehen, auf deren Grundlage wir einst gerichtet werden.“ (10)Ins Einzelne gehend fragt er dann: „Waren wir fähig, die Unwissenheit zu besiegen, in der Millionen Menschen leben, besonders die Kinder, denen es an der notwendigen Hilfe fehlt, um der Armut entrissen zu werden?“ (11)_______________________6) a.a.O. S.21 7) Duden online 8) Johann Jakob Wittayers, Einleitung in die von ihm geführte Chronik 9) Misericordia vultus von Papst Franziskus, S.21

Ein Schwerpunkt des Dienstes war in Katharina

Kaspers Gemeinschaft immer die Sorge für Kinder.

Schon 1848 nahm sie eine Witwe „mit ihren beiden

Kindern Maria und Matthias und einem Pflegekind“

in ihr „kleines Häuschen“ auf. Das berichtet Kathari-

na selbst und gibt etwas später, bezogen auf das

Jahr 1850, an: „Im selben Jahre nahmen wir auch

acht Waisenkinder auf, teils aus Dernbach und teils

aus den umliegenden Gemeinden.“ (12)

Bereits 1861 entstand im Mutterhaus in Dernbach eine Elementarschule. Bis zum staatlichen Verbot der Unterrichtstätigkeit von Ordensleuten 1875 unterrichteten Schwestern der Gemeinschaft Katharina Kaspers in 38 solcher Schulen.

Zudem schickte die Ordensgründerin ihre Schwes-tern in viele Waisenhäuser, in denen stets mit der Sorge für Leib und Leben der Kinder das Bemühen verbunden war, auch ihre geistige Entwicklung durch den Schulbesuch zu fördern. Die Gemeinschaft gründete außerdem viele „Bewahrschulen“, die sich später zu „Kindergärten“ entwickelten.

Heute kümmern sich Schwestern der Kongregation in verschiedenen Kontinenten weiterhin um die

16

schulische Aus- und Weiterbildung von Kindern, aber auch um wohnsitzlose Kinder, um Straßenkin-der. In Nigeria beispielsweise gelang es Schwestern der Kongregation, in einem Gefängnis unterge-brachte, unterernährte und unterentwickelte Kinder aus der ihnen zu Unrecht zugeordneten äußerst ungünstigen Lage zu befreien und ihnen Bedingun-gen zu verschaffen, in denen sich Seele und Leib der Kinder entfalten können. Aus all dem ergibt sich, wie Katharina die Frage beantwortet hätte, wäre sie ihr gestellt worden.

Auch auf die weiteren Fragen, mit denen Papst Franziskus das Verantwortungsbewusstsein der Christen zu wecken versucht, antwortet Katharina Kaspers Handeln mit einem eindeutigen „Ja“. Das sei an einigen Beispielen - stellvertretend für alle – gezeigt.

Auch die Frage des Papstes: „Haben wir denen vergeben, die uns beleidigt haben, und jede Art von Groll und Hass abgewehrt, die zur Gewalt führen?“ (13) kann – wenn man sie als an Katharina Kasper gerichtet liest - mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. Zu dieser Ansicht kommt man, wenn man die Reaktion der Generaloberin auf die Anschuldigungen betrachtet, die Geistlicher Rat Münzenberger als Dompfarrer von Frankfurt gegen sie vorbringt. Diese wurden an anderer Stelle

ausführlich dargestellt, sodass es hier genügt, daran zu erinnern. Obwohl der Bischof fordert „daß der so schwer verdächtigten Genossenschaft die gebührende Genugtuung werde“,erwartet er von Katharina, auf diese „Genugtuung“ und jede Richtigstellung des Sachverhaltes zu verzichten und stattdessen „zu verzeihen und zu vergessen.“ (14)____________________10) a.a.O. S. 2111) a.a.O. S. 21 12) Einführung in die von einer Sekretärin geführten Mutterhau-schronik13) Misericordia vultus von Papst Franziskus, S.2114) Dokumente und Briefe aus den ersten Jahrzehnten der Kongregation II, Archiv des Generalates in Dernbach

17

Fenster in der Hauska-pelle des Mutterhau-ses: Durstige tränken

Fenster in der Hauskapelle des Mutterhauses: Fremde beherbergen

(Fortsetzung auf Seite 20)

Meine engen Grenzen,

meine kurze Sicht,

bringe ich vor Dich.

Wandle sie in Weite;

Herr, erbarme Dich.

Meine engen Grenzen,

meine kurze Sicht,

bringe ich vor Dich.

Wandle sie in Weite;

Herr, erbarme Dich.

Meine engen Grenzen,

meine kurze Sicht,

bringe ich vor Dich.

Wandle sie in Weite;

Herr, erbarme Dich.

Katharina Kasper und das „Jahr der Barmherzigkeit“

Fortsetzung von Seite 17

Katharina folgt seinem als Bitte vorgetragenen Appell, obwohl es um die Ehre ihrer Gemeinschaft geht und sie nicht davon überzeugt ist, dass ihr Nachgeben den Frieden zwischen dem Vertreter der Dompfarrei und der Gemeinschaft der ADJC sichert. Dazu ist sie in der Lage, weil für sie immer und überall die Erfüllung der göttlichen Gebote an erster Stelle steht, sodass sie sich der Aufforderung, die Feindesliebe zu üben, nicht verschließen kann.

Auch auf die Frage des Papstes Franziskus: „Hatten wir Geduld nach dem Beispiel Gottes, der selbst so geduldig mit uns ist?“antwortet das Denken, Reden und Handeln Kathari-nas viele Male positiv, beispielsweise, indem sie schreibt:„Für seine eigene Person muß man alles hinneh-men, ertragen; die am meisten sich in der Geduld üben, haben es am besten. Alles aus Liebe zu Gott, mit Gott und für Gott.“ (Band I, Brief 108)

20

Aus Katharina Kaspers Schriften ließen sich mit Leichtigkeit ihre zustimmenden Antworten auf alle Fragen des Papstes überzeugend ableiten. Darauf soll hier verzichtet werden, weil die angeführten Beispiele exemplarisch sind.

Aufgrund der gezeigten Übereinstimmungen zwischen den Forderungen des Papstes und dem Handeln der Seligen des Westerwaldes lässt sich sagen, dass es hilfreich sein könnte für eine effektive Nutzung des „Jahres der Barmherzigkeit“, sich eingehend mit dem Leben, Denken und Wirken Katharina Kasper zu befassen.

Eine Auseinandersetzung mit der Spiritualität Katharina Kaspers zeigt nämlich, dass für sie – wie für Papst Franziskus - „Das Geheimnis der Barmher-zigkeit … Quelle der Freude, der Gelassenheit und des Friedens …und die „Bedingung unseres Heils.“ (15) ist. ________________________________________

15) Misericordia vultus S.21

Unsere Schwestern in

Nigeria

21

Von P. Elmar Busse

Was ist der Mensch?Die Wahrheit, von der Jesus als König (vgl. Joh 18,33-37) Zeugnis ablegt, ist die Wahrheit auch über den Menschen. Wir leben nicht erst seit gestern in einem Zeitalter der anthropologischen Häresien: Die Nazis entwickelten ihre scheinwissenschaftliche Lehre von der Überlegenheit der arischen Rasse. Neurobiologen wollen uns die Freiheit absprechen, Genforscher behaupten, der Mann sei nicht zur Monogamie geschaffen. Gender-Ideologen verschließen ihre Augen vor der Biologie und halten das Geschlecht eines Menschen für beliebig formbar.

Wollen wir dem König der Wahrheit folgen, dann eröffnet sich uns heute ein riesiges Apostolatsfeld: die Vermittlung des christlichen Menschenbildes. Hier noch mal komprimiert die fünf Kernaussagen des christlichen Menschenbildes:

1. meine Würde, mein Reich-tumAls Christ weiß ich mich als „Ebenbild Gottes (Gen 1,26; 5,3; 9,6) und als „Krone der Schöp-fung“ (Ps 8).Ich erfahre mich der körperli-chen, triebhaften, personal-menschlichen und der göttlichen Ebene verbunden.Meine Würde und meine Achtung vor mir selber sind nicht zuerst in meiner Arbeit oder Leistung begründet, sondern in meiner Gottebenbildlichkeit.

Deshalb ist mein Verhalten zum Nächsten bestimmt durchACHTUNG UND EHRFRUCHT.

2. meine GrenzenAls Mensch erfahre ich meine Grenzen: Die Zeit, in der ich lebe, meine Heimat, meine Eltern sind mir vorgegeben. Meine körperli-chen und geistigen Fähigkeiten sind begrenzt. Ich kann nur einen Teil meiner Veranlagungen entfalten. Ich bin angewiesen auf die Ergänzung durch Andere.

Deshalb ist mein Verhalten zum Nächsten bestimmt durchLIEBE UND HILFSBEREIT-SCHAFT.

3. meine ZwiespältigkeitIch erlebe mich oft zwiespältig. Ich rede anders als ich denke. Ich handle anders als ich möchte. Ich lebe mit mir selbst und den Anderen oft in Unfrieden (Röm 7,14ff)

Deshalb ist mein Verhalten zum Nächsten bestimmt durchVERGEBUNG

4. meine FreiheitTrotz aller Vorgegebenheiten (siehe 2) habe ich doch einen großen Raum der Freiheit, d.h. der persönlichen Entscheidung und der damit verbundenen Konsequenzen.

Deshalb ist mein Verhalten zum Nächsten bestimmt durchTOLERANZ UND VERANT-WORTUNG.

5. mein WegAls Mensch bin ich nie „fertig“, sondern immer ein „Suchender“. Ich bin lebenslänglich unterwegs, um in der unmittelbaren Begegnung mit Gott und der mittelbaren Begegnung mit IHM und seinem Willen durch die Begegnung mit Menschen, Aufgaben und Verhältnissen mein Menschsein zu verwirklichen. Dabei ist die Versuchung durch Trägheit, Abgestumpftheit und Resignation sehr groß.

Deshalb ist mein Verhalten zum Nächsten bestimmt durch ERMUTIGUNG.

Widerhaken

Katharina Kasper und das „Jahr der Barmherzigkeit“

Fortsetzung von Seite 17

Katharina folgt seinem als Bitte vorgetragenen Appell, obwohl es um die Ehre ihrer Gemeinschaft geht und sie nicht davon überzeugt ist, dass ihr Nachgeben den Frieden zwischen dem Vertreter der Dompfarrei und der Gemeinschaft der ADJC sichert. Dazu ist sie in der Lage, weil für sie immer und überall die Erfüllung der göttlichen Gebote an erster Stelle steht, sodass sie sich der Aufforderung, die Feindesliebe zu üben, nicht verschließen kann.

Auch auf die Frage des Papstes Franziskus: „Hatten wir Geduld nach dem Beispiel Gottes, der selbst so geduldig mit uns ist?“antwortet das Denken, Reden und Handeln Kathari-nas viele Male positiv, beispielsweise, indem sie schreibt:„Für seine eigene Person muß man alles hinneh-men, ertragen; die am meisten sich in der Geduld üben, haben es am besten. Alles aus Liebe zu Gott, mit Gott und für Gott.“ (Band I, Brief 108)

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Aus Katharina Kaspers Schriften ließen sich mit Leichtigkeit ihre zustimmenden Antworten auf alle Fragen des Papstes überzeugend ableiten. Darauf soll hier verzichtet werden, weil die angeführten Beispiele exemplarisch sind.

Aufgrund der gezeigten Übereinstimmungen zwischen den Forderungen des Papstes und dem Handeln der Seligen des Westerwaldes lässt sich sagen, dass es hilfreich sein könnte für eine effektive Nutzung des „Jahres der Barmherzigkeit“, sich eingehend mit dem Leben, Denken und Wirken Katharina Kasper zu befassen.

Eine Auseinandersetzung mit der Spiritualität Katharina Kaspers zeigt nämlich, dass für sie – wie für Papst Franziskus - „Das Geheimnis der Barmher-zigkeit … Quelle der Freude, der Gelassenheit und des Friedens …und die „Bedingung unseres Heils.“ (15) ist. ________________________________________

15) Misericordia vultus S.21

Unsere Schwestern in

Nigeria

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Von P. Elmar Busse

Was ist der Mensch?Die Wahrheit, von der Jesus als König (vgl. Joh 18,33-37) Zeugnis ablegt, ist die Wahrheit auch über den Menschen. Wir leben nicht erst seit gestern in einem Zeitalter der anthropologischen Häresien: Die Nazis entwickelten ihre scheinwissenschaftliche Lehre von der Überlegenheit der arischen Rasse. Neurobiologen wollen uns die Freiheit absprechen, Genforscher behaupten, der Mann sei nicht zur Monogamie geschaffen. Gender-Ideologen verschließen ihre Augen vor der Biologie und halten das Geschlecht eines Menschen für beliebig formbar.

Wollen wir dem König der Wahrheit folgen, dann eröffnet sich uns heute ein riesiges Apostolatsfeld: die Vermittlung des christlichen Menschenbildes. Hier noch mal komprimiert die fünf Kernaussagen des christlichen Menschenbildes:

1. meine Würde, mein Reich-tumAls Christ weiß ich mich als „Ebenbild Gottes (Gen 1,26; 5,3; 9,6) und als „Krone der Schöp-fung“ (Ps 8).Ich erfahre mich der körperli-chen, triebhaften, personal-menschlichen und der göttlichen Ebene verbunden.Meine Würde und meine Achtung vor mir selber sind nicht zuerst in meiner Arbeit oder Leistung begründet, sondern in meiner Gottebenbildlichkeit.

Deshalb ist mein Verhalten zum Nächsten bestimmt durchACHTUNG UND EHRFRUCHT.

2. meine GrenzenAls Mensch erfahre ich meine Grenzen: Die Zeit, in der ich lebe, meine Heimat, meine Eltern sind mir vorgegeben. Meine körperli-chen und geistigen Fähigkeiten sind begrenzt. Ich kann nur einen Teil meiner Veranlagungen entfalten. Ich bin angewiesen auf die Ergänzung durch Andere.

Deshalb ist mein Verhalten zum Nächsten bestimmt durchLIEBE UND HILFSBEREIT-SCHAFT.

3. meine ZwiespältigkeitIch erlebe mich oft zwiespältig. Ich rede anders als ich denke. Ich handle anders als ich möchte. Ich lebe mit mir selbst und den Anderen oft in Unfrieden (Röm 7,14ff)

Deshalb ist mein Verhalten zum Nächsten bestimmt durchVERGEBUNG

4. meine FreiheitTrotz aller Vorgegebenheiten (siehe 2) habe ich doch einen großen Raum der Freiheit, d.h. der persönlichen Entscheidung und der damit verbundenen Konsequenzen.

Deshalb ist mein Verhalten zum Nächsten bestimmt durchTOLERANZ UND VERANT-WORTUNG.

5. mein WegAls Mensch bin ich nie „fertig“, sondern immer ein „Suchender“. Ich bin lebenslänglich unterwegs, um in der unmittelbaren Begegnung mit Gott und der mittelbaren Begegnung mit IHM und seinem Willen durch die Begegnung mit Menschen, Aufgaben und Verhältnissen mein Menschsein zu verwirklichen. Dabei ist die Versuchung durch Trägheit, Abgestumpftheit und Resignation sehr groß.

Deshalb ist mein Verhalten zum Nächsten bestimmt durch ERMUTIGUNG.

Widerhaken

22

Seligsprechungsverfahren für Aloysia Luise Löwenfels eröffnet

Dernbacher Schwester 1942 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet

LIMBURG/DERNBACH. Der Apostolische Adminis-trator des Bistums Limburg Weihbischof Manfred Grothe hat das Seligsprechungsverfahren für Schwester Maria Aloysia Luise Löwenfels (1915-1942) von den Dernbacher Schwestern eröffnet. Für diese - laut Weihbischof Grothe - „schöne und ehrenvolle Aufgabe“ hat er ein so genanntes Selig-sprechungstribunal aus Theologen und Historikern eingesetzt. Dieses Gremium wird sich nun ein Bild machen über das Leben, das Martyrium und die Wundertätigkeit der katholischen Ordensfrau mit jüdischen Wurzeln, die im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde. Aloysia Löwenfels konvertierte 1935 im Alter von 20 Jahren zum katholischen Glauben und trat zwei Jahre später in den Orden der Dernbacher Schwestern, der „Armen Dienstmägde Jesu Christi“, ein. 1942 wurde sie in einer niederländischen Niederlassung des Ordens verhaftet und im Alter von 27 Jahren deportiert und ermordet.

Angestoßen hat das Seligsprechungsverfahren der Orden der Dernbacher Schwestern, allen voran die niederländischen Mitschwestern und in Deutschland Schwester Christiane Humpert. Sie beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit der Biographie und dem Glaubenszeugnis ihrer Mitschwester. Sie hat als Postulatorin des Verfahrens die Aufgabe, den Lebensweg, die Schriften von Schwester Aloysia und schriftliche und mündliche Aussagen von Zeitzeugen zusammenzutragen. Für Schwester Christiane und ihre Ordensgemeinschaft gibt es mehrere Gründe für die Seligsprechung ihrer Mitschwester. Vor allem seien ihr Glaubenszeugnis und ihr Martyrium von großer Bedeutung. „Wir verehren sie als eine Frau, die – ungeachtet ihres noch jungen Alters – entschieden dem Weg gefolgt ist, den Gott sie geführt hat“, erklärt Schwester Christiane Humpert. „Sie hat als Märtyrerin Zeugnis für ihren Glauben abgelegt“.

Zu der feierlichen Einsetzung des Seligsprechungs-tribunals im Limburger Bischofshaus kam auch eine Mitschwester aus den Niederlanden, wo Schwester Aloysia Löwenfels zuletzt lebte. Die niederländische Mitschwester Arnolda de Haas ist als Vize-Postulatorin ernannt worden. Zu den Vertretern des Ordens der Dernbacher Schwestern sagte Grothe:

ADJC national

„Sie sind auf dem besten Wege, eine Gemeinschaft von Seligen und Heiligen zu werden.” Damit spielte er darauf an, dass zurzeit auch ein Heiligspre-chungsverfahren für die Ordensgründerin, die Selige Katharina Kasper, läuft.

23

Pater Dr. Georg Schmidt ist als Bischöflicher Delegat hauptverantwortlich für das Prüfverfahren. Für ihn ist Schwester Aloysia Löwenfels ein Vorbild im Glau-ben. Ihren Lebensweg und ihren Eintritt in den Orden versteht er als Hingabe. „Allerdings müssen wir jetzt klarer herausarbeiten, was sie für ein Mensch war und welche Spiritualität sie hatte.“ Mit Hilfe theologi-scher und historischer Gutachter wird er eine Stel-lungnahme verfassen, ob eine Seligsprechung empfohlen wird oder nicht. Dafür wird der Jesuit auch 40 bis 50 Zeugen hören. „Insgesamt kann das bischöfliche Verfahren, bis wir die Stellungnahme erarbeitet haben, ein Jahr dauern“, erklärt Pater Schmidt. Dann geht die Stellungnahme, die Positio, zur Prüfung nach Rom zur Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen. Die Seligsprechung selbst erfolgt dann bei positivem Urteil durch den Papst.

Mitglieder des Seligsprechungstribunals

Zum Seligsprechungstribunal gehören als Bischöfli-cher Delegat Pater Dr. Georg Schmidt SJ (Diözese Limburg), als Kirchenanwalt Monsignore Prof. Dr. Stefaan van Calster (Diözese Roermond/ Niederlan-de), als Notare Prof. Dr. Peter Platen und Anke Schäfer (beide Diözese Limburg), als theologische Gutachter Prof. Pater Dr. Rainer Berndt SJ (Philoso-phisch-Theologische Hochschule St. Georgen Frankfurt) und Monsignore Dr. M.G.M. Ben Jans-sens (Diözese Roermond/ Niederlande), als histori-sche Gutachter Monsignore Dr. Paul W.F.M. Hamans (Diözese Roermond/ Niederlande), Dom-kapitular Dr. Norbert Jung (Erzdiözese Bamberg) und Dr. Barbara Wieland (Universität Frankfurt) und als Übersetzer Dennis Sutherland.

(Friederike Lanz)

Opferseelen,

im Feuer der Liebe geläutert,

auf dornigen Pfaden geleitet,

Füße und Leib verwundet.

Die Seele gequält und voller Sturm,

um endlich sich wieder

aus allen Widerwärtigkeiten

aufzurichten

und Gott in heiliger Liebe

zu gehören -

von Menschen gelöst - allein mit Gott ...

Sr. M. Aloysia ADJC

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Seligsprechungsverfahren für Aloysia Luise Löwenfels eröffnet

Dernbacher Schwester 1942 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet

LIMBURG/DERNBACH. Der Apostolische Adminis-trator des Bistums Limburg Weihbischof Manfred Grothe hat das Seligsprechungsverfahren für Schwester Maria Aloysia Luise Löwenfels (1915-1942) von den Dernbacher Schwestern eröffnet. Für diese - laut Weihbischof Grothe - „schöne und ehrenvolle Aufgabe“ hat er ein so genanntes Selig-sprechungstribunal aus Theologen und Historikern eingesetzt. Dieses Gremium wird sich nun ein Bild machen über das Leben, das Martyrium und die Wundertätigkeit der katholischen Ordensfrau mit jüdischen Wurzeln, die im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde. Aloysia Löwenfels konvertierte 1935 im Alter von 20 Jahren zum katholischen Glauben und trat zwei Jahre später in den Orden der Dernbacher Schwestern, der „Armen Dienstmägde Jesu Christi“, ein. 1942 wurde sie in einer niederländischen Niederlassung des Ordens verhaftet und im Alter von 27 Jahren deportiert und ermordet.

Angestoßen hat das Seligsprechungsverfahren der Orden der Dernbacher Schwestern, allen voran die niederländischen Mitschwestern und in Deutschland Schwester Christiane Humpert. Sie beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit der Biographie und dem Glaubenszeugnis ihrer Mitschwester. Sie hat als Postulatorin des Verfahrens die Aufgabe, den Lebensweg, die Schriften von Schwester Aloysia und schriftliche und mündliche Aussagen von Zeitzeugen zusammenzutragen. Für Schwester Christiane und ihre Ordensgemeinschaft gibt es mehrere Gründe für die Seligsprechung ihrer Mitschwester. Vor allem seien ihr Glaubenszeugnis und ihr Martyrium von großer Bedeutung. „Wir verehren sie als eine Frau, die – ungeachtet ihres noch jungen Alters – entschieden dem Weg gefolgt ist, den Gott sie geführt hat“, erklärt Schwester Christiane Humpert. „Sie hat als Märtyrerin Zeugnis für ihren Glauben abgelegt“.

Zu der feierlichen Einsetzung des Seligsprechungs-tribunals im Limburger Bischofshaus kam auch eine Mitschwester aus den Niederlanden, wo Schwester Aloysia Löwenfels zuletzt lebte. Die niederländische Mitschwester Arnolda de Haas ist als Vize-Postulatorin ernannt worden. Zu den Vertretern des Ordens der Dernbacher Schwestern sagte Grothe:

ADJC national

„Sie sind auf dem besten Wege, eine Gemeinschaft von Seligen und Heiligen zu werden.” Damit spielte er darauf an, dass zurzeit auch ein Heiligspre-chungsverfahren für die Ordensgründerin, die Selige Katharina Kasper, läuft.

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Pater Dr. Georg Schmidt ist als Bischöflicher Delegat hauptverantwortlich für das Prüfverfahren. Für ihn ist Schwester Aloysia Löwenfels ein Vorbild im Glau-ben. Ihren Lebensweg und ihren Eintritt in den Orden versteht er als Hingabe. „Allerdings müssen wir jetzt klarer herausarbeiten, was sie für ein Mensch war und welche Spiritualität sie hatte.“ Mit Hilfe theologi-scher und historischer Gutachter wird er eine Stel-lungnahme verfassen, ob eine Seligsprechung empfohlen wird oder nicht. Dafür wird der Jesuit auch 40 bis 50 Zeugen hören. „Insgesamt kann das bischöfliche Verfahren, bis wir die Stellungnahme erarbeitet haben, ein Jahr dauern“, erklärt Pater Schmidt. Dann geht die Stellungnahme, die Positio, zur Prüfung nach Rom zur Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen. Die Seligsprechung selbst erfolgt dann bei positivem Urteil durch den Papst.

Mitglieder des Seligsprechungstribunals

Zum Seligsprechungstribunal gehören als Bischöfli-cher Delegat Pater Dr. Georg Schmidt SJ (Diözese Limburg), als Kirchenanwalt Monsignore Prof. Dr. Stefaan van Calster (Diözese Roermond/ Niederlan-de), als Notare Prof. Dr. Peter Platen und Anke Schäfer (beide Diözese Limburg), als theologische Gutachter Prof. Pater Dr. Rainer Berndt SJ (Philoso-phisch-Theologische Hochschule St. Georgen Frankfurt) und Monsignore Dr. M.G.M. Ben Jans-sens (Diözese Roermond/ Niederlande), als histori-sche Gutachter Monsignore Dr. Paul W.F.M. Hamans (Diözese Roermond/ Niederlande), Dom-kapitular Dr. Norbert Jung (Erzdiözese Bamberg) und Dr. Barbara Wieland (Universität Frankfurt) und als Übersetzer Dennis Sutherland.

(Friederike Lanz)

Opferseelen,

im Feuer der Liebe geläutert,

auf dornigen Pfaden geleitet,

Füße und Leib verwundet.

Die Seele gequält und voller Sturm,

um endlich sich wieder

aus allen Widerwärtigkeiten

aufzurichten

und Gott in heiliger Liebe

zu gehören -

von Menschen gelöst - allein mit Gott ...

Sr. M. Aloysia ADJC

Kirche unter freiem HimmelVier Bistümer – eine Familienwallfahrt: 1300 Pilger in Dernbach

„Wann hatte Dernbach das zuletzt?“ Schwester Iniga von den Dernbacher Schwestern ist glück-lich und zufrieden. Etwa 1300 Pilger aus den Bistümern Trier, Aachen, Limburg und dem Erzbistum Köln sind zur gemeinsamen Familien-wallfahrt in den Westerwald gekommen.

„Toller Tag, tolles Wetter, tolle Organisation. Ich bin wirklich beeindruckt“, sagt Silke Wendland aus dem Bistum Limburg. „Mit Gott on Tour - Katharina auf der Spur“ lautete das Motto. ln diesem Jahr wurde die gemeinsame Wallfahrt erstmals vom Bistum Lim-burg organisiert.

Den Auftakt bildete eine Sternwallfahrt. Von zwölf Startpunkten aus wanderten Familien in den kleinen Westerwaldort Dembach zum Kloster Maria Hilf. Die kürzeste Strecke war 2,3, die längste 9,8 Kilometer lang. Marc Wege aus dem Erzbistum Köln hat mit seiner Familie sechs Kilometer zurückgelegt. Bereits zum dritten Mal ist er mit befreundeten Familien aus seiner Pfarrgemeinde bei der Wallfahrt dabei. „Es gibt hier eine gute Dreiteilung: Wandern, Workshops, Messe“, sagte Wege. Er nehme gerne an der Famil-lenwallfahrt teil. „Kirche unter freiem Himmel. Hier kann man das erleben.“ Dafür hat Wege auch eine Anfahrt von eineinhalb Stunden in Kauf genommen.

Wanderstöcke schnitzen, Musikinstrumente basteln, töpfern mit Westerwälder Ton, auf einem Gummi-band balancieren oder mit verbundenen Augen Fußball spielen, eine Krimi-Tour - das waren nur einige der rund 40 Möglichkeiten, bei denen Kinder und Erwachsene mitmachen durften.

Im Mittelpunkt stand bei einigen Workshops auch das Leben der Seligen Katharina Kasper (1820-1898). „Nicht nur Katharina lebte damals in Armut, sondern alle im Westerwald waren arm“, erklärt Schwester Clarentia. „Katharina war ein Kind ihrer Zeit“, sagt die 77-Jährige, die durch die Begeg-nungsstätte des Klosters führt. Die Räume vermit-teln einen Eindruck von den Lebensumständen der damaligen Zeit, geben Einblick in das Denken und Glaubensleben von Katharina und werfen einen Blick auf die Entwicklung der Schwesterngemein-schaft. Es sei bewundernswert, sagt Schwester Clarentia, was diese Frau - „natürlich nicht ohne den Chef oben“ - geschaffen habe.

Höhepunkt der Familienwallfahrt war der Festgot-tesdienst. Weihbischof Thomas Löhr ermutigte dazu, immer wieder neu Familie zu leben: „Unser ganzer Einsatz sollte der Familie gelten, ihrer Stärkung in unserer Gesellschaft und ihrer Rolle in den Gemeinden. Familie ist Hauskirche“, sagte Löhr.

Zugleich forderte er dazu auf, barmherziger mit den Mitmenschen umzugehen. Doch: „Es braucht Barmherzigkeit auch im Blick auf eigenes Versa-gen“, meinte er im Blick auf das von Papst Franzis-kus ausgerufene Heilige Jahr.

Der Weihbischof bat darum, den Blick nicht nur auf die eigene Familie zu richten. Löhr erinnerte an in Not geratene FlüchtlingsfamiIien: „Was ein Elend der Flüchtlinge und ihrer Familien! Da sind so viele Familien mit sorgenvollen Gesichtern der Eltern, den leeren Augen so vieler Kinder. Zerrissene Familien, deren Glieder nichts voneinander wissen“, sagte

ADJC national24

Löhr. Zugleich erinnerte er auch an die Probleme älterer und sterbender Menschen.

Für sie, die sich allein gelassen fühlen, sei Familie eine große Sehnsucht, die sich nie erfüllen würde. „Die selige Maria Katharina kann uns ein Vorbild der Barmherzigkeit sein“, so Löhr.

Für das Bistum Limburg sei Dernbach ein besonde-rer Ort, sagte Dr. Beate Gilles, Leiterin des Dezerna-tes Kinder, Jugend und Familie. „Von hier aus sind viele Frauen in die Welt gegangen, um ihren Glau-ben zu verkünden; vor allem aber auch, um Men-schen zu helfen.“

Die Gründerin der Dernbacher Schwestern, Kathari-na Kasper, sei ein Beispiel dafür, „was ein Mensch

Geht doch!

Ökumenischer Pilgerweg für Klimagerechtigkeit

13. September bis 28. November 2015

Geht doch! Unter diesem Motto lud das ökumeni-sche Bündnis aus Landeskirchen, Diözesen, christli-chen Entwicklungsdiensten, Missionswerken und (Jugend-) Verbänden, Einzelpersonen, Gruppen und Jugendgruppen zum Mitpilgern auf den Pilger-weg für Klimagerechtigkeit ein.

Der internationale Pilgerweg verlief von Flensburg über Trier nach Paris und wurde ergänzt durch einen südlichen Zulauf von Ludwigshafen nach Metz. Durch Workshops und politische Aktionen entlang

des Wegs wurde Bewusstsein geschaffen für die Klimagerechtigkeit auf dem Planeten Erde. Bei der ökumenischen Abschluss-Veranstaltung während der Klimakonferenz in Paris, trafen sich Pilger und Aktivisten aus der ganzen Welt. Auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 sollte ein neues internationales Klimaabkommen beschlossen werden. Der ökumenische Pilgerweg machte im Vorfeld auf die globale Dimension des Klimawandels aufmerksam.

Die 1.470 Kilometer verliefen zwischen der dänisch-deutschen über die deutsch-französische Grenze bis nach Paris und folgten traditionellen Pilgerwe-gen. Positive Beispiele für Klimagerechtigkeit, z.B. ein Gemeindehaus im Passivhaus-Standard und Schmerzpunkte, die sichtbar machen, wo weiter intensive Bemühungen zum Klimaschutz nötig sind, wurden aufgesucht. Täglich wurden spirituelle Momente von den Pilgerinnen und Pilgern und den Menschen vor Ort gemeinsam gestaltet.

Der Pilgerweg nach Paris verband spirituelle Besin-nung mit politischem Engagement. Willkommen waren alle, die sich für die Klimagerechtigkeit engagieren möchten. Entlang der Strecke standen Pilgerquartiere in öffentlichen Einrichtungen sowie bei Gastfamilien der Gemeinden zur Verfügung.

Auf ihrem Weg machten die Pilger auch Halt in Andernach. Hier gab es eine Begegnung mit Schwestern der Armen Dienstmägde Jesu Christ, die diese Tagesstrecke betend begleitet hatten.

25

bewegen kann, wenn er mit Gott auf Tour ist.“ (ids)

(Quelle: „Der Sonntag“, Kirchenzeitung des Bistums Limburg, Nummer 40, 04. Oktober 2015)

ADJC national

Kirche unter freiem HimmelVier Bistümer – eine Familienwallfahrt: 1300 Pilger in Dernbach

„Wann hatte Dernbach das zuletzt?“ Schwester Iniga von den Dernbacher Schwestern ist glück-lich und zufrieden. Etwa 1300 Pilger aus den Bistümern Trier, Aachen, Limburg und dem Erzbistum Köln sind zur gemeinsamen Familien-wallfahrt in den Westerwald gekommen.

„Toller Tag, tolles Wetter, tolle Organisation. Ich bin wirklich beeindruckt“, sagt Silke Wendland aus dem Bistum Limburg. „Mit Gott on Tour - Katharina auf der Spur“ lautete das Motto. ln diesem Jahr wurde die gemeinsame Wallfahrt erstmals vom Bistum Lim-burg organisiert.

Den Auftakt bildete eine Sternwallfahrt. Von zwölf Startpunkten aus wanderten Familien in den kleinen Westerwaldort Dembach zum Kloster Maria Hilf. Die kürzeste Strecke war 2,3, die längste 9,8 Kilometer lang. Marc Wege aus dem Erzbistum Köln hat mit seiner Familie sechs Kilometer zurückgelegt. Bereits zum dritten Mal ist er mit befreundeten Familien aus seiner Pfarrgemeinde bei der Wallfahrt dabei. „Es gibt hier eine gute Dreiteilung: Wandern, Workshops, Messe“, sagte Wege. Er nehme gerne an der Famil-lenwallfahrt teil. „Kirche unter freiem Himmel. Hier kann man das erleben.“ Dafür hat Wege auch eine Anfahrt von eineinhalb Stunden in Kauf genommen.

Wanderstöcke schnitzen, Musikinstrumente basteln, töpfern mit Westerwälder Ton, auf einem Gummi-band balancieren oder mit verbundenen Augen Fußball spielen, eine Krimi-Tour - das waren nur einige der rund 40 Möglichkeiten, bei denen Kinder und Erwachsene mitmachen durften.

Im Mittelpunkt stand bei einigen Workshops auch das Leben der Seligen Katharina Kasper (1820-1898). „Nicht nur Katharina lebte damals in Armut, sondern alle im Westerwald waren arm“, erklärt Schwester Clarentia. „Katharina war ein Kind ihrer Zeit“, sagt die 77-Jährige, die durch die Begeg-nungsstätte des Klosters führt. Die Räume vermit-teln einen Eindruck von den Lebensumständen der damaligen Zeit, geben Einblick in das Denken und Glaubensleben von Katharina und werfen einen Blick auf die Entwicklung der Schwesterngemein-schaft. Es sei bewundernswert, sagt Schwester Clarentia, was diese Frau - „natürlich nicht ohne den Chef oben“ - geschaffen habe.

Höhepunkt der Familienwallfahrt war der Festgot-tesdienst. Weihbischof Thomas Löhr ermutigte dazu, immer wieder neu Familie zu leben: „Unser ganzer Einsatz sollte der Familie gelten, ihrer Stärkung in unserer Gesellschaft und ihrer Rolle in den Gemeinden. Familie ist Hauskirche“, sagte Löhr.

Zugleich forderte er dazu auf, barmherziger mit den Mitmenschen umzugehen. Doch: „Es braucht Barmherzigkeit auch im Blick auf eigenes Versa-gen“, meinte er im Blick auf das von Papst Franzis-kus ausgerufene Heilige Jahr.

Der Weihbischof bat darum, den Blick nicht nur auf die eigene Familie zu richten. Löhr erinnerte an in Not geratene FlüchtlingsfamiIien: „Was ein Elend der Flüchtlinge und ihrer Familien! Da sind so viele Familien mit sorgenvollen Gesichtern der Eltern, den leeren Augen so vieler Kinder. Zerrissene Familien, deren Glieder nichts voneinander wissen“, sagte

ADJC national24

Löhr. Zugleich erinnerte er auch an die Probleme älterer und sterbender Menschen.

Für sie, die sich allein gelassen fühlen, sei Familie eine große Sehnsucht, die sich nie erfüllen würde. „Die selige Maria Katharina kann uns ein Vorbild der Barmherzigkeit sein“, so Löhr.

Für das Bistum Limburg sei Dernbach ein besonde-rer Ort, sagte Dr. Beate Gilles, Leiterin des Dezerna-tes Kinder, Jugend und Familie. „Von hier aus sind viele Frauen in die Welt gegangen, um ihren Glau-ben zu verkünden; vor allem aber auch, um Men-schen zu helfen.“

Die Gründerin der Dernbacher Schwestern, Kathari-na Kasper, sei ein Beispiel dafür, „was ein Mensch

Geht doch!

Ökumenischer Pilgerweg für Klimagerechtigkeit

13. September bis 28. November 2015

Geht doch! Unter diesem Motto lud das ökumeni-sche Bündnis aus Landeskirchen, Diözesen, christli-chen Entwicklungsdiensten, Missionswerken und (Jugend-) Verbänden, Einzelpersonen, Gruppen und Jugendgruppen zum Mitpilgern auf den Pilger-weg für Klimagerechtigkeit ein.

Der internationale Pilgerweg verlief von Flensburg über Trier nach Paris und wurde ergänzt durch einen südlichen Zulauf von Ludwigshafen nach Metz. Durch Workshops und politische Aktionen entlang

des Wegs wurde Bewusstsein geschaffen für die Klimagerechtigkeit auf dem Planeten Erde. Bei der ökumenischen Abschluss-Veranstaltung während der Klimakonferenz in Paris, trafen sich Pilger und Aktivisten aus der ganzen Welt. Auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 sollte ein neues internationales Klimaabkommen beschlossen werden. Der ökumenische Pilgerweg machte im Vorfeld auf die globale Dimension des Klimawandels aufmerksam.

Die 1.470 Kilometer verliefen zwischen der dänisch-deutschen über die deutsch-französische Grenze bis nach Paris und folgten traditionellen Pilgerwe-gen. Positive Beispiele für Klimagerechtigkeit, z.B. ein Gemeindehaus im Passivhaus-Standard und Schmerzpunkte, die sichtbar machen, wo weiter intensive Bemühungen zum Klimaschutz nötig sind, wurden aufgesucht. Täglich wurden spirituelle Momente von den Pilgerinnen und Pilgern und den Menschen vor Ort gemeinsam gestaltet.

Der Pilgerweg nach Paris verband spirituelle Besin-nung mit politischem Engagement. Willkommen waren alle, die sich für die Klimagerechtigkeit engagieren möchten. Entlang der Strecke standen Pilgerquartiere in öffentlichen Einrichtungen sowie bei Gastfamilien der Gemeinden zur Verfügung.

Auf ihrem Weg machten die Pilger auch Halt in Andernach. Hier gab es eine Begegnung mit Schwestern der Armen Dienstmägde Jesu Christ, die diese Tagesstrecke betend begleitet hatten.

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bewegen kann, wenn er mit Gott auf Tour ist.“ (ids)

(Quelle: „Der Sonntag“, Kirchenzeitung des Bistums Limburg, Nummer 40, 04. Oktober 2015)

ADJC national

Provinzoberin Schwester M. Simone Weber ADJC hieß die Pilger im ökumenischen Gottesdienst willkommen und erzählte ihnen von Katharina Kasper, die dazu aufgefordert hatte, sich nicht unnötige Sorgen zu machen, sondern den eigenen Weg in Ruhe mit Gott zu gehen, denn dann gehe es gut.Nach dem Gottesdienst überreichten die Schwes-tern den Pilgern eine Birne mit einer Karte, auf der auch dieses Wort zu lesen war.(STH)

26

Neuer “Brücken”-Bauer

Dr. Hans-Jürgen Blanke (Jhrg. 1956) ist seit 25 Jahren Lehrer an der Marienschule in Limburg. Er unterrichtet die Fächer Deutsch, Latein und Geschichte.

Dr. Blanke ist ein Mann des Wortes. So können wir - das Redaktions-team der “Brücke der Hoffnung” und Sie, liebe Schwestern und Freun-de unserer Gemeinschaft - uns freuen auf neue Ideen und interessante Impulse.

Er interessiert sich für alle schönen Künste einschließlich des Fußballs.

In eigener Sache27

ADJC national

Enthüllung der Gedenktafel ‚Lichtstein’

Am 02.11.2015 wurde in Gangelt ein Lichtstein enthüllt, den unsere Mitarbeiter dort eingelassen haben – in die Mauern des Altbaus, des Hauses, das die Ereignisse ‚sah', für die der Lichtstein enthüllt wurde zum immerwährenden Gedenken. Die Gedenktafel wird vom Boden aus angestrahlt. Allen, die dazu beigetragen haben, dass dies gelingen konnte, danken wir herzlich.

Nach der Begrüßung der Gruppe, die sich auf der Straße vor dem Haus versammelt hat – Bewohner der Gangelter Einrichtungen, Mitarbeitende der Via Nobis, Mitglieder der Initiativgruppe Stolperstein, Ordensmitglieder, - durch den Geschäftsführer der Via Nobis, richtet Herr Diakon Hoff, der Ordensvertreter in der Via Nobis, ein Wort an die Anwesenden, das das Anliegen dieses Treffens deutlich macht.Danach sprach Provinzoberin Sr. M. Simone Weber ADJC, Dernbach, und enthüllte den Lichtstein, der die Aufschrift trägt:

Nach einem Segensgebet wurden die Anwesenden eingeladen zu einem Trauergottesdienst in die Kapel le der Einr ichtung und zu e inem Friedhofsgang. Für die beteiligten Anwesenden war dies ein emo-tional bewegendes Geschehen.Der Tag für die Enthüllung des Steins konnte nicht besser gewählt werden: Die katholische Kirche feiert

am 02.11. den Allerseelentag zum Gedenken an alle Toten.

„Wir stehen hier vor dem sogenannten Altbau unserer Einrichtungen, auf der Bruchstraße, in unmittelbarer Nähe des Haupteingangs“, so Diakon Thomas Hoff. „Wenn ich die Zeiträume geringfügig runden darf, dann spreche ich in Bezug auf diesen Ort von rund 140 Jahren, also von 2x 70 Jahren. Schon in den ersten 70 Jahren haben die Schwestern hier die Aufgaben wahrgenommen, die sich ihnen nach dem Ruf durch die Gangelter Bevölkerung gestellt haben. Sie haben mit den Mitteln, die ihnen in der damaligen Zeit gegeben waren, dieses Haus zu einem Ort gemacht, an dem Menschen Hilfe und ein Zuhause fanden. Viele Menschen sind in dieser Zeit durch diesen Eingang gegangen - in dieses Haus hinein und aus ihm heraus, ganz alltäglich.

Dann benutzten Menschen mit lautem Schritt und

Getrampel diesen Eingang, sie brachten Angst und Schrecken mit sich. Und für andere Menschen hieß das, dass sie dieses Haus durch diesen Eingang verlassen mussten. Ob sie ahnten, was wir heute wissen, können wir nicht beurteilen: Sie wurden von hier weg in den Tod getrieben.

Heute stehen wir, wiederum rund 70 Jahre später, an

Provinzoberin Schwester M. Simone Weber ADJC hieß die Pilger im ökumenischen Gottesdienst willkommen und erzählte ihnen von Katharina Kasper, die dazu aufgefordert hatte, sich nicht unnötige Sorgen zu machen, sondern den eigenen Weg in Ruhe mit Gott zu gehen, denn dann gehe es gut.Nach dem Gottesdienst überreichten die Schwes-tern den Pilgern eine Birne mit einer Karte, auf der auch dieses Wort zu lesen war.(STH)

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Neuer “Brücken”-Bauer

Dr. Hans-Jürgen Blanke (Jhrg. 1956) ist seit 25 Jahren Lehrer an der Marienschule in Limburg. Er unterrichtet die Fächer Deutsch, Latein und Geschichte.

Dr. Blanke ist ein Mann des Wortes. So können wir - das Redaktions-team der “Brücke der Hoffnung” und Sie, liebe Schwestern und Freun-de unserer Gemeinschaft - uns freuen auf neue Ideen und interessante Impulse.

Er interessiert sich für alle schönen Künste einschließlich des Fußballs.

In eigener Sache27

ADJC national

Enthüllung der Gedenktafel ‚Lichtstein’

Am 02.11.2015 wurde in Gangelt ein Lichtstein enthüllt, den unsere Mitarbeiter dort eingelassen haben – in die Mauern des Altbaus, des Hauses, das die Ereignisse ‚sah', für die der Lichtstein enthüllt wurde zum immerwährenden Gedenken. Die Gedenktafel wird vom Boden aus angestrahlt. Allen, die dazu beigetragen haben, dass dies gelingen konnte, danken wir herzlich.

Nach der Begrüßung der Gruppe, die sich auf der Straße vor dem Haus versammelt hat – Bewohner der Gangelter Einrichtungen, Mitarbeitende der Via Nobis, Mitglieder der Initiativgruppe Stolperstein, Ordensmitglieder, - durch den Geschäftsführer der Via Nobis, richtet Herr Diakon Hoff, der Ordensvertreter in der Via Nobis, ein Wort an die Anwesenden, das das Anliegen dieses Treffens deutlich macht.Danach sprach Provinzoberin Sr. M. Simone Weber ADJC, Dernbach, und enthüllte den Lichtstein, der die Aufschrift trägt:

Nach einem Segensgebet wurden die Anwesenden eingeladen zu einem Trauergottesdienst in die Kapel le der Einr ichtung und zu e inem Friedhofsgang. Für die beteiligten Anwesenden war dies ein emo-tional bewegendes Geschehen.Der Tag für die Enthüllung des Steins konnte nicht besser gewählt werden: Die katholische Kirche feiert

am 02.11. den Allerseelentag zum Gedenken an alle Toten.

„Wir stehen hier vor dem sogenannten Altbau unserer Einrichtungen, auf der Bruchstraße, in unmittelbarer Nähe des Haupteingangs“, so Diakon Thomas Hoff. „Wenn ich die Zeiträume geringfügig runden darf, dann spreche ich in Bezug auf diesen Ort von rund 140 Jahren, also von 2x 70 Jahren. Schon in den ersten 70 Jahren haben die Schwestern hier die Aufgaben wahrgenommen, die sich ihnen nach dem Ruf durch die Gangelter Bevölkerung gestellt haben. Sie haben mit den Mitteln, die ihnen in der damaligen Zeit gegeben waren, dieses Haus zu einem Ort gemacht, an dem Menschen Hilfe und ein Zuhause fanden. Viele Menschen sind in dieser Zeit durch diesen Eingang gegangen - in dieses Haus hinein und aus ihm heraus, ganz alltäglich.

Dann benutzten Menschen mit lautem Schritt und

Getrampel diesen Eingang, sie brachten Angst und Schrecken mit sich. Und für andere Menschen hieß das, dass sie dieses Haus durch diesen Eingang verlassen mussten. Ob sie ahnten, was wir heute wissen, können wir nicht beurteilen: Sie wurden von hier weg in den Tod getrieben.

Heute stehen wir, wiederum rund 70 Jahre später, an

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demselben Ort. In unserer Zeit kennzeichnen Wert-schätzung, Nächstenliebe, Toleranz und das Bestreben um Inklusion und Barrierefreiheit dieses Haus und all seine Niederlassungen in unserer Region und darüber hinaus. Und so führen wir gemeinsam mit den ADJC und als deren verlängerte Arme das Werk fort, das sie begründet haben.

Wir danken heute dafür, dass wir in Mitteleuropa in der längsten Friedensperiode der Geschichte leben dürfen. Wie jeder Stolperstein in Gangelt, so sollen auch der Lichtstein und die Gedenktafel, die wir jetzt enthüllen, mahnen und erinnern. Damit das, was war, niemals in Vergessenheit gerate und niemals gleichgültig werde.“(sms)

Verabschiedung des Konventes von Schloss Dilborn - Brüggen

Heute – am 22. November - verlassen unsere Schwestern die Filiale Dilborn. Dies ist traurig. Gerne haben sie mit den Kindern gespielt, gelacht, gearbeitet, sie erzogen und vor allem mit ihnen gelebt! Sie waren ihnen Familie, oft Vater und Mutter zugleich. Eine außerordentliche Anforderung. Die meisten der Kinder brachten nicht ganz einfache Kinderschicksale mit. Aufgenommen wurde bei jeder Tages- und Nachtzeit – oft bis an und zuweilen bis über die Grenzen – an Zahl und Belastbarkeit.Was wir immer erfuhren: Die Schwestern liebten ihre Kinder …

Die Kinder, die sie betreuten, kamen aus verschiedenen individuellen Gründen. Doch sie teilten eine Eigenschaft: Heim(at)losigkeit. Im Vordergrund steht das Wort ‚Heim'. Und damit steht auch sein Sinn im Vordergrund: Heimat geben, Familie geben, Zuhause ermöglichen, soweit das möglich ist. Heime entstehen nicht grundlos. Sie sind Antworten auf individuelle Nöte der Kinder, der Eltern oder beider. Sie entstehen aus der Notwendigkeit der Hilfe, dem Wunsch, fürsorglich für andere da zu sein; sie entstehen auch im christlichen Auftrag: “Wer eins von diesen Kleinen aufnimmt, nimmt mich auf ,” sagt Jesu.

Unsere Gründerin Katharina Kasper hatte ein hohes Erziehungsideal. Sie sagte: Sind wir froh, dass wir den Kindern DIENEN dürfen (Brief 99, 1885). Erziehen Sie die Kinder gut, dass es ihnen für ihr späteres Leben nützlich ist. (Brief 136, 1887). Lieben wir die ... verwaisten Kinder, die keine Eltern mehr haben und deren Stelle wir vertreten sollen. (Brief 155, 2.1.1889) Sind wir ehrerbietig … gegen Kinder.. (Brief 164, 1889) – Wir würden heute sagen: Stehen wir in Respekt vor der Würde des Kindes.Im Lauf der vielen Jahre waren es viele Kinder, die den Schwestern anvertraut wurden. Ich bin sicher, dass sie ihr Bestes gaben, mit den Einschrän-

(Mk 9,37)

kungen, die jede/jeder hat … persönliche, institutionelle, gesellschaftliche. [...]

Erlauben Sie mir, einen Blick auf die Historie:1904 übernahmen die Schwestern das bestehende Heim in Mönchengladbach mit ca 140 Kindern. Also vor 111 Jahren. Bis zum Ende des I. Weltkrieges wuchs die Zahl an bis ca 300 Kinder. Wirtschaftlich war es eine schwere Zeit, die aber dank großzügiger Spenden – wie es in der Chronik heißt - gemeistert werden konnte. Am Beginn des II. Weltkrieges mussten plötzlich 64 alte Menschen aufgenommen werden, obwohl nur 14 Betten zur Verfügung standen. Wie die Schwestern das geschafft haben ---- wir wissen es nicht. Aber es muss so gut gelungen sein, dass die alten Menschen, als sie 1940 weiterziehen mussten, trauerten. Die Seniorenstation wurde aufgelöst. Der Raum wurde Kriegslazarett. Als sich 1943 der Luftkrieg ausweitete, musste innerhalb von 48 Stunden ein Umzug mit über 200

ADJC national29

Kindern bewältigt werden - nach Schloss Krickenbeck, ein heruntergekommenes, lange unbewohntes Schloss, in dem Kinder und Schwestern sich nach der Eingewöhnungsphase wohl fühlten – sie hatten einen Wald und einen See. Darüber wird in der Chronik viel berichtet.1944: Zitat „Es war am 15. August, dem Hochfest unserer Genossenschaft. Die warme Augustsonne und die Festfreude hatten unsere Kindergruppen zu einem frohen Morgenspaziergang hinausgelockt. Noch waren nicht alle Kinder zurück, als – gegen ½ 12 Uhr – ein furchtbarer Luftangriff, der 1. Tagesangriff… einsetzte … Mit Gottes Hilfe war es unseren Kindern gelungen, auf dem Leibe kriechend, betend, auf Gottes Schutz vertrauend, trotz Bomben- und Splitterregens heil das Schloß zu erreichen.“ Es erfolgte ein Umzug – unter großer Gefährdung mit unvorstellbaren Schwierigkeiten nach Olpe, wo Kinder und Schwestern in einer Schule unterkamen. Aus dem zerbombten Gelsenkirchen kamen zwei weitere Schwestern mit 25 Kindern und suchen ebenfalls Obdach in Olpe. 1945 Als die gefürchtete und doch erhoffte Besatzung kam, waren die Schwestern überrascht. Sie unterstützt das Heim großzügig. Die Schule in Olpe wollte ihre Räume zurück. Das Kinderheim musste weichen. [...]

Schloss Dilborn bot sich an. Doch es war in schrecklichem Zustand, diente Westwallarbeitern als Lager und wurde hernach militärisch genutzt. Bis Herbst 1945 konnten die meisten Kinder einziehen – also vor 70 Jahren. [...]

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Blick auf

die Zahl der Schwestern werfen, die hier ihre

Lebensaufgabe fanden und sich hier für Kinder und

Mitarbeitende einsetzten: etwa 179 Schwestern

wirkten hier, 25 Schwestern verstarben vor Ort;

stellvertretend für die verstorbenen Schwestern, die

hier lebten, erinnere ich und danke heute:Sr. M. Agnete Henkes - sie kam 1962 nach Dilborn und lebte in den Gruppen bis zu ihrer schweren Erkrankung 2011. Sie war für viele Kinder das Zuhause. Im Mai 2012 brauchte sie pflegende Hilfe und wurde nach Dernbach versetzt, wo sie im Sept. des gleichen Jahres starb. [...]

Fast ein Jahr wirkte Sr. Arasi hier. Im Oktober dieses Jahres wurde sie nach Wesseling versetzt. Sr. M. Gerhardina Ritterbecks war die Leiterin der Großküche, solange die Gruppen noch nicht selbst kochten. Sie - die ‚Leckerschwester'- kam 1955 hier hin und blieb bis 2014. Sie ist heute hier mit uns und wird heute 95 Jahre alt. Wir gratulieren ihr.Sr. M. Veronia Fischer - kam 1969 und ist heute NOCH hier. Die Kinder haben sie jung gehalten, sodass sie nach ihrem verantwort l ichen Leitungsdienst weiter in einer Gruppe half – die gute, beliebte, kluge und humorvolle ‚Oma'. Sr. M. Margret Falkenbach kam 1994 nach Dilborn als die Konventsleiterin. Sie pflegt rege Kontakte sowohl innerhalb der Jugendhilfe und des Schlosses wie auch nach außen. Für Dilborn ist es ein großes Geschenk, lebendig eingebunden zu sein in das Leben der Stadt und der Pfarrei. [...]

Allen Menschen im Schloss Dilborn, in der Pfarrei, in der Gemeinde und der weiteren Umgebung danke ich für das Vertrauen, dass Sie unseren Schwestern entgegenbrachten und für alle Unterstützung. [...](Sr. M. Simone Weber ADJC, gekürzte Rede)

(v.l.n.r.:) Sr. M. Gerhardina, Sr. M. Margaret, Sr. M. Simone, Sr. M. Arasi, Sr. M. Veronia

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demselben Ort. In unserer Zeit kennzeichnen Wert-schätzung, Nächstenliebe, Toleranz und das Bestreben um Inklusion und Barrierefreiheit dieses Haus und all seine Niederlassungen in unserer Region und darüber hinaus. Und so führen wir gemeinsam mit den ADJC und als deren verlängerte Arme das Werk fort, das sie begründet haben.

Wir danken heute dafür, dass wir in Mitteleuropa in der längsten Friedensperiode der Geschichte leben dürfen. Wie jeder Stolperstein in Gangelt, so sollen auch der Lichtstein und die Gedenktafel, die wir jetzt enthüllen, mahnen und erinnern. Damit das, was war, niemals in Vergessenheit gerate und niemals gleichgültig werde.“(sms)

Verabschiedung des Konventes von Schloss Dilborn - Brüggen

Heute – am 22. November - verlassen unsere Schwestern die Filiale Dilborn. Dies ist traurig. Gerne haben sie mit den Kindern gespielt, gelacht, gearbeitet, sie erzogen und vor allem mit ihnen gelebt! Sie waren ihnen Familie, oft Vater und Mutter zugleich. Eine außerordentliche Anforderung. Die meisten der Kinder brachten nicht ganz einfache Kinderschicksale mit. Aufgenommen wurde bei jeder Tages- und Nachtzeit – oft bis an und zuweilen bis über die Grenzen – an Zahl und Belastbarkeit.Was wir immer erfuhren: Die Schwestern liebten ihre Kinder …

Die Kinder, die sie betreuten, kamen aus verschiedenen individuellen Gründen. Doch sie teilten eine Eigenschaft: Heim(at)losigkeit. Im Vordergrund steht das Wort ‚Heim'. Und damit steht auch sein Sinn im Vordergrund: Heimat geben, Familie geben, Zuhause ermöglichen, soweit das möglich ist. Heime entstehen nicht grundlos. Sie sind Antworten auf individuelle Nöte der Kinder, der Eltern oder beider. Sie entstehen aus der Notwendigkeit der Hilfe, dem Wunsch, fürsorglich für andere da zu sein; sie entstehen auch im christlichen Auftrag: “Wer eins von diesen Kleinen aufnimmt, nimmt mich auf ,” sagt Jesu.

Unsere Gründerin Katharina Kasper hatte ein hohes Erziehungsideal. Sie sagte: Sind wir froh, dass wir den Kindern DIENEN dürfen (Brief 99, 1885). Erziehen Sie die Kinder gut, dass es ihnen für ihr späteres Leben nützlich ist. (Brief 136, 1887). Lieben wir die ... verwaisten Kinder, die keine Eltern mehr haben und deren Stelle wir vertreten sollen. (Brief 155, 2.1.1889) Sind wir ehrerbietig … gegen Kinder.. (Brief 164, 1889) – Wir würden heute sagen: Stehen wir in Respekt vor der Würde des Kindes.Im Lauf der vielen Jahre waren es viele Kinder, die den Schwestern anvertraut wurden. Ich bin sicher, dass sie ihr Bestes gaben, mit den Einschrän-

(Mk 9,37)

kungen, die jede/jeder hat … persönliche, institutionelle, gesellschaftliche. [...]

Erlauben Sie mir, einen Blick auf die Historie:1904 übernahmen die Schwestern das bestehende Heim in Mönchengladbach mit ca 140 Kindern. Also vor 111 Jahren. Bis zum Ende des I. Weltkrieges wuchs die Zahl an bis ca 300 Kinder. Wirtschaftlich war es eine schwere Zeit, die aber dank großzügiger Spenden – wie es in der Chronik heißt - gemeistert werden konnte. Am Beginn des II. Weltkrieges mussten plötzlich 64 alte Menschen aufgenommen werden, obwohl nur 14 Betten zur Verfügung standen. Wie die Schwestern das geschafft haben ---- wir wissen es nicht. Aber es muss so gut gelungen sein, dass die alten Menschen, als sie 1940 weiterziehen mussten, trauerten. Die Seniorenstation wurde aufgelöst. Der Raum wurde Kriegslazarett. Als sich 1943 der Luftkrieg ausweitete, musste innerhalb von 48 Stunden ein Umzug mit über 200

ADJC national29

Kindern bewältigt werden - nach Schloss Krickenbeck, ein heruntergekommenes, lange unbewohntes Schloss, in dem Kinder und Schwestern sich nach der Eingewöhnungsphase wohl fühlten – sie hatten einen Wald und einen See. Darüber wird in der Chronik viel berichtet.1944: Zitat „Es war am 15. August, dem Hochfest unserer Genossenschaft. Die warme Augustsonne und die Festfreude hatten unsere Kindergruppen zu einem frohen Morgenspaziergang hinausgelockt. Noch waren nicht alle Kinder zurück, als – gegen ½ 12 Uhr – ein furchtbarer Luftangriff, der 1. Tagesangriff… einsetzte … Mit Gottes Hilfe war es unseren Kindern gelungen, auf dem Leibe kriechend, betend, auf Gottes Schutz vertrauend, trotz Bomben- und Splitterregens heil das Schloß zu erreichen.“ Es erfolgte ein Umzug – unter großer Gefährdung mit unvorstellbaren Schwierigkeiten nach Olpe, wo Kinder und Schwestern in einer Schule unterkamen. Aus dem zerbombten Gelsenkirchen kamen zwei weitere Schwestern mit 25 Kindern und suchen ebenfalls Obdach in Olpe. 1945 Als die gefürchtete und doch erhoffte Besatzung kam, waren die Schwestern überrascht. Sie unterstützt das Heim großzügig. Die Schule in Olpe wollte ihre Räume zurück. Das Kinderheim musste weichen. [...]

Schloss Dilborn bot sich an. Doch es war in schrecklichem Zustand, diente Westwallarbeitern als Lager und wurde hernach militärisch genutzt. Bis Herbst 1945 konnten die meisten Kinder einziehen – also vor 70 Jahren. [...]

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Blick auf

die Zahl der Schwestern werfen, die hier ihre

Lebensaufgabe fanden und sich hier für Kinder und

Mitarbeitende einsetzten: etwa 179 Schwestern

wirkten hier, 25 Schwestern verstarben vor Ort;

stellvertretend für die verstorbenen Schwestern, die

hier lebten, erinnere ich und danke heute:Sr. M. Agnete Henkes - sie kam 1962 nach Dilborn und lebte in den Gruppen bis zu ihrer schweren Erkrankung 2011. Sie war für viele Kinder das Zuhause. Im Mai 2012 brauchte sie pflegende Hilfe und wurde nach Dernbach versetzt, wo sie im Sept. des gleichen Jahres starb. [...]

Fast ein Jahr wirkte Sr. Arasi hier. Im Oktober dieses Jahres wurde sie nach Wesseling versetzt. Sr. M. Gerhardina Ritterbecks war die Leiterin der Großküche, solange die Gruppen noch nicht selbst kochten. Sie - die ‚Leckerschwester'- kam 1955 hier hin und blieb bis 2014. Sie ist heute hier mit uns und wird heute 95 Jahre alt. Wir gratulieren ihr.Sr. M. Veronia Fischer - kam 1969 und ist heute NOCH hier. Die Kinder haben sie jung gehalten, sodass sie nach ihrem verantwort l ichen Leitungsdienst weiter in einer Gruppe half – die gute, beliebte, kluge und humorvolle ‚Oma'. Sr. M. Margret Falkenbach kam 1994 nach Dilborn als die Konventsleiterin. Sie pflegt rege Kontakte sowohl innerhalb der Jugendhilfe und des Schlosses wie auch nach außen. Für Dilborn ist es ein großes Geschenk, lebendig eingebunden zu sein in das Leben der Stadt und der Pfarrei. [...]

Allen Menschen im Schloss Dilborn, in der Pfarrei, in der Gemeinde und der weiteren Umgebung danke ich für das Vertrauen, dass Sie unseren Schwestern entgegenbrachten und für alle Unterstützung. [...](Sr. M. Simone Weber ADJC, gekürzte Rede)

(v.l.n.r.:) Sr. M. Gerhardina, Sr. M. Margaret, Sr. M. Simone, Sr. M. Arasi, Sr. M. Veronia

Große Frauen der ADJCSr. M. Herluka Bierbaum ADJC

Darüber besteht kein Zweifel: Schwester M. Herluka gehört zu den ganz Großen in unserer Kongregati-on. Alle Schwestern kennen sie – entweder persön-lich oder vom Hörensagen. Und bei allem, was man von ihr erzählt, wird deutlich: Sie war Mensch und blieb Mensch, was im Blick auf ihre verantwortungs-vollen Aufgaben in der Gemeinschaft nicht selbst-verständlich ist. Die Schwestern kamen wieder gerne ins Mutterhaus, weil die Atmosphäre offen und frei geworden war. Und in verschiedener Hinsicht ist Schwester Herluka von großer Bedeu-tung für die Gemeinschaft.

Schwester Herluka wurde am 14.9.1902 in Steine-roth als Tochter eines Landwirtes geboren, trat im

Frühjahr 1924 in Dernbach ein, wurde im selben Jahr eingekleidet und legte 1926 die ersten Gelübde ab. Als junge Schwester wurde sie in der Kranken-pflege ausgebildet. Von 1926 bis 1952 war sie im Krankenhaus in Horchheim tätig, davon sechs Jahre (1946-52) als Oberin. Während des 2. Weltkrieges galt dieses Krankenhaus als Infektionsabteilung der Klinik Kemperhof in Koblenz. Im August 1945 erkrankte sie an einer tuberkulösen Meningitis, was einem Todesurteil gleichkam. Und so hatten die Ärzte auch Schwester Herluka bereits aufgegeben. Die Schwestern begannen eine Novene zur Stifterin, im festen Vertrauen darauf, dass Mutter Maria Katharina helfen würde. Und sie tat es: Schwester Herluka wurde gesund. Diese unerklärliche Heilung wurde von der Kirche als Wunder anerkannt und bekam beim Seligsprechungsprozess Katharina Kaspers eine entscheidende Bedeutung.

Es folgten sechs Jahre als Oberin im Herz-Jesu-Krankenhaus in Dembach, bevor sie 1958 zur Provinzoberin in Tiefenthal gewählt wurde. Diese Zeit in Tiefenthal währte nur zwei Jahre, da sie das Generalkapitel als Nachfolgerin von Mutter Mechtil-dis 1960 zur Generaloberin wählte. In der Zeit des Umbruchs und Neubeginns in der Kirche und in den Ordensgemeinschaften während des Zweiten Vatikanischen Konzils und in den darauffolgenden Jahren, leitete Mutter Herluka, wie sie jetzt genannt wurde, die Gemeinschaft und führte sie mutig zu neuen Aufbrüchen.

30

Papst Paul VI. mit Sr. M. Herlu-ka ADJC bei der Audienz nach der Seligspre-chung von Maria K a t h a r i n a Kasper.

Große Frauen der ADJC

Als Generaloberin legte sie das Fundament für die heutige indi-sche Provinz der ADJC. Ein indischer Priester, der bei einem Besuch in Holland die ADJC kennengelernt hatte, bat um Ausbil-dungsmöglichkeiten für indische Kandidatinnen in Deutschland. So trafen 1963 die ersten jungen Inderinnen in Dernbach ein, die in einem caritativ tätigen Orden Gott dienen wollten und sich für die ADJC entschieden hatten. 1969 reiste Mutter Herluka in Beglei-tung eines Missionsexperten nach Indien. In Dhani (Madhya Pradesh Zentralindien) suchten Schwestern eines Säkularinstitu-tes aus der Schweiz nach indischen Schwestern mit deutschen Sprachkenntnissen, die die Missionsstation weiterführen konnten. Hier entstand die erste Niederlassung der ADJC in Indien.

1966 wurde sie in ihrem Amt bestätigt. In ihrer Amtszeit wurde das baufällig gewordene Mutterhaus in Dernbach neu errichtet. Der Rückgang in der Zahl der einsatzfähigen Schwestern machte viele Auflösungen notwendig. Ob Schönes oder Schweres zu bewältigen war, der Glaube an Gottes Führung leitete sie.

Als ihre Amtszeit 1972 zu Ende ging, trat Schwester Herluka bescheiden zurück in die Reihe der Schwestern. Sie kam in den Konvent des Herz-Jesu-Krankenhauses, wo sie die Sakristeidien-ste besorgte, bis sie selbst pflegebedürftig wurde. Nach langer, schwerer Krankheit starb Schwester Herluka am 19. Mai 1989 im Herz-Jesu-Heim in Dernbach.

(Sr. M. Theresia Winkelhöfer ADJC)

31

Es kann die Ehre dieser Welt

dir keine Ehre geben.

Was dich in Wahrheit hebt und hält,

muss in dir selber leben.

Das flüchtge Lob, des Tages Ruhm

magst du dem Eitlen gönnen;

das aber sei dein Heiligtum:

vor dir bestehen können.

(Theodor Fontane)

Große Frauen der ADJCSr. M. Herluka Bierbaum ADJC

Darüber besteht kein Zweifel: Schwester M. Herluka gehört zu den ganz Großen in unserer Kongregati-on. Alle Schwestern kennen sie – entweder persön-lich oder vom Hörensagen. Und bei allem, was man von ihr erzählt, wird deutlich: Sie war Mensch und blieb Mensch, was im Blick auf ihre verantwortungs-vollen Aufgaben in der Gemeinschaft nicht selbst-verständlich ist. Die Schwestern kamen wieder gerne ins Mutterhaus, weil die Atmosphäre offen und frei geworden war. Und in verschiedener Hinsicht ist Schwester Herluka von großer Bedeu-tung für die Gemeinschaft.

Schwester Herluka wurde am 14.9.1902 in Steine-roth als Tochter eines Landwirtes geboren, trat im

Frühjahr 1924 in Dernbach ein, wurde im selben Jahr eingekleidet und legte 1926 die ersten Gelübde ab. Als junge Schwester wurde sie in der Kranken-pflege ausgebildet. Von 1926 bis 1952 war sie im Krankenhaus in Horchheim tätig, davon sechs Jahre (1946-52) als Oberin. Während des 2. Weltkrieges galt dieses Krankenhaus als Infektionsabteilung der Klinik Kemperhof in Koblenz. Im August 1945 erkrankte sie an einer tuberkulösen Meningitis, was einem Todesurteil gleichkam. Und so hatten die Ärzte auch Schwester Herluka bereits aufgegeben. Die Schwestern begannen eine Novene zur Stifterin, im festen Vertrauen darauf, dass Mutter Maria Katharina helfen würde. Und sie tat es: Schwester Herluka wurde gesund. Diese unerklärliche Heilung wurde von der Kirche als Wunder anerkannt und bekam beim Seligsprechungsprozess Katharina Kaspers eine entscheidende Bedeutung.

Es folgten sechs Jahre als Oberin im Herz-Jesu-Krankenhaus in Dembach, bevor sie 1958 zur Provinzoberin in Tiefenthal gewählt wurde. Diese Zeit in Tiefenthal währte nur zwei Jahre, da sie das Generalkapitel als Nachfolgerin von Mutter Mechtil-dis 1960 zur Generaloberin wählte. In der Zeit des Umbruchs und Neubeginns in der Kirche und in den Ordensgemeinschaften während des Zweiten Vatikanischen Konzils und in den darauffolgenden Jahren, leitete Mutter Herluka, wie sie jetzt genannt wurde, die Gemeinschaft und führte sie mutig zu neuen Aufbrüchen.

30

Papst Paul VI. mit Sr. M. Herlu-ka ADJC bei der Audienz nach der Seligspre-chung von Maria K a t h a r i n a Kasper.

Große Frauen der ADJC

Als Generaloberin legte sie das Fundament für die heutige indi-sche Provinz der ADJC. Ein indischer Priester, der bei einem Besuch in Holland die ADJC kennengelernt hatte, bat um Ausbil-dungsmöglichkeiten für indische Kandidatinnen in Deutschland. So trafen 1963 die ersten jungen Inderinnen in Dernbach ein, die in einem caritativ tätigen Orden Gott dienen wollten und sich für die ADJC entschieden hatten. 1969 reiste Mutter Herluka in Beglei-tung eines Missionsexperten nach Indien. In Dhani (Madhya Pradesh Zentralindien) suchten Schwestern eines Säkularinstitu-tes aus der Schweiz nach indischen Schwestern mit deutschen Sprachkenntnissen, die die Missionsstation weiterführen konnten. Hier entstand die erste Niederlassung der ADJC in Indien.

1966 wurde sie in ihrem Amt bestätigt. In ihrer Amtszeit wurde das baufällig gewordene Mutterhaus in Dernbach neu errichtet. Der Rückgang in der Zahl der einsatzfähigen Schwestern machte viele Auflösungen notwendig. Ob Schönes oder Schweres zu bewältigen war, der Glaube an Gottes Führung leitete sie.

Als ihre Amtszeit 1972 zu Ende ging, trat Schwester Herluka bescheiden zurück in die Reihe der Schwestern. Sie kam in den Konvent des Herz-Jesu-Krankenhauses, wo sie die Sakristeidien-ste besorgte, bis sie selbst pflegebedürftig wurde. Nach langer, schwerer Krankheit starb Schwester Herluka am 19. Mai 1989 im Herz-Jesu-Heim in Dernbach.

(Sr. M. Theresia Winkelhöfer ADJC)

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Es kann die Ehre dieser Welt

dir keine Ehre geben.

Was dich in Wahrheit hebt und hält,

muss in dir selber leben.

Das flüchtge Lob, des Tages Ruhm

magst du dem Eitlen gönnen;

das aber sei dein Heiligtum:

vor dir bestehen können.

(Theodor Fontane)

Herzliche Einladung zu

Kino im KlosterFilm und anschließendes Gespräch

KiK-Termine 2016:

20. Januar17. Februar16. März20. April18. Mai15. Juni

17. August21. September19. Oktober16. November21. Dezember (vielleicht)

KiK

32 33

Die leise Sprache GottesErinnern Sie sich an die beiden großen Werke „Auf dem Weg in die Nachfolge Christ“ und „Wege der Freund-schaft mit Gott“? Mit seinem neuen Buch „Die leise Sprache Gottes“ legt Peter Dyckhoff das dritte in dieser Reihe vor. Nach Thomas von Kempen und Franz von Sales heißt es nun „Geistlich leben nach Johannes von Avila“.

Wie bei den beiden Vorgängern gelingt es Dyckhoff auch diesmal, die alte Sprache des von Papst Benedikt XVI. zum Kirchenlehrer ernannten Heiligen Johannes von Avila auf einfühlsame Weise in unsere Zeit zu übertra-gen. „Audi, filia“ (Höre Tochter) heißt das Hauptwerk des Johannes von Avila, das er seiner geistlichen Tochter Dona Sancha Camillo widmete. In der Übertragung erhält das Buch den Namen „Die leise Sprache Gottes“. Damit wird die große Bedeutung der Sprache unterstrichen, mit der Glaube und die Glaubenserfahrung weitergegeben werden. Und ganz folgerichtig beginnt das Werk damit, die Sprache Gottes von der Sprache der Welt, in der Gott nicht vorkommt, zu unterscheiden.

Das Werk umfasst 113 Kapitel. Man erkennt durchaus eine thematische Gliederung; leider hat Johannes diese nicht visuell sichtbar gemacht. Johannes – und damit auch Dyckhoff – geht es darum, dem Leser den Geist der heiligen Geheimnisse näher zu bringen und ihn zu lichtvollen Erfahrungen zu bringen. Wenn es gelingt, sich einzulassen, erfährt man eine große Freude am Glauben und eine tiefe Sehnsucht, diesen Glauben zu vertiefen. Und dabei gibt der Autor selbst Hilfestellung, indem er Hinweise gibt, wie man den religiösen Text in die Praxis, in das eigene Leben umsetzen kann. Dabei beeindruckend ist seine große Bibelkenntnis und die oft überraschende und interessante Interpretation der Bibelstellen.

Mit „Die leise Sprache Gottes“ legt Peter Dyckhoff einen geistlichen Begleiter vor, der tiefe Ebenen des Glaubens erfahrbar macht und auf die Sehnsucht des Lesers nach Heil und bleibender Liebe antwortet.(Sr. M. Theresia Winkelhöfer ADJC)

Peter DyckhoffDie leise Sprache Gottes - Geistlich leben nach Johannes von AvilaHerder-Verlag 2015ISBN 978-3-451-34794-8€ 22,-

Bücher bauen Brücken

Herzliche Einladung zu

Kino im KlosterFilm und anschließendes Gespräch

KiK-Termine 2016:

20. Januar17. Februar16. März20. April18. Mai15. Juni

17. August21. September19. Oktober16. November21. Dezember (vielleicht)

KiK

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Die leise Sprache GottesErinnern Sie sich an die beiden großen Werke „Auf dem Weg in die Nachfolge Christ“ und „Wege der Freund-schaft mit Gott“? Mit seinem neuen Buch „Die leise Sprache Gottes“ legt Peter Dyckhoff das dritte in dieser Reihe vor. Nach Thomas von Kempen und Franz von Sales heißt es nun „Geistlich leben nach Johannes von Avila“.

Wie bei den beiden Vorgängern gelingt es Dyckhoff auch diesmal, die alte Sprache des von Papst Benedikt XVI. zum Kirchenlehrer ernannten Heiligen Johannes von Avila auf einfühlsame Weise in unsere Zeit zu übertra-gen. „Audi, filia“ (Höre Tochter) heißt das Hauptwerk des Johannes von Avila, das er seiner geistlichen Tochter Dona Sancha Camillo widmete. In der Übertragung erhält das Buch den Namen „Die leise Sprache Gottes“. Damit wird die große Bedeutung der Sprache unterstrichen, mit der Glaube und die Glaubenserfahrung weitergegeben werden. Und ganz folgerichtig beginnt das Werk damit, die Sprache Gottes von der Sprache der Welt, in der Gott nicht vorkommt, zu unterscheiden.

Das Werk umfasst 113 Kapitel. Man erkennt durchaus eine thematische Gliederung; leider hat Johannes diese nicht visuell sichtbar gemacht. Johannes – und damit auch Dyckhoff – geht es darum, dem Leser den Geist der heiligen Geheimnisse näher zu bringen und ihn zu lichtvollen Erfahrungen zu bringen. Wenn es gelingt, sich einzulassen, erfährt man eine große Freude am Glauben und eine tiefe Sehnsucht, diesen Glauben zu vertiefen. Und dabei gibt der Autor selbst Hilfestellung, indem er Hinweise gibt, wie man den religiösen Text in die Praxis, in das eigene Leben umsetzen kann. Dabei beeindruckend ist seine große Bibelkenntnis und die oft überraschende und interessante Interpretation der Bibelstellen.

Mit „Die leise Sprache Gottes“ legt Peter Dyckhoff einen geistlichen Begleiter vor, der tiefe Ebenen des Glaubens erfahrbar macht und auf die Sehnsucht des Lesers nach Heil und bleibender Liebe antwortet.(Sr. M. Theresia Winkelhöfer ADJC)

Peter DyckhoffDie leise Sprache Gottes - Geistlich leben nach Johannes von AvilaHerder-Verlag 2015ISBN 978-3-451-34794-8€ 22,-

Bücher bauen Brücken

In Memoriam Sr. M. Leonardina ADJC (Magdalena Gellissen)

Sr. M. Leonardina, Maria Magdalena Gellissen, wurde am 14.01. 1916 in Tüschenbroich/Erkelenz geboren. Ihr Vater Leonhard war Leinen-weber. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete Magdalena als Spulerin in einer Weberei. 1945 erlitt sie einen schweren Unfall. Im Krankenhaus Rheindahlen wurde sie monatelang behandelt und lernte unsere Schwestern kennen. Später erzählte sie, dass der Vater sie während ihres langen Krankenhausaufenthaltes täglich besuchte. Er kam mit dem Fahrrad. Nach ihrer Genesung blieb Magdalena als Stationshilfe dort. Dadurch lebte in ihr der frühere Wunsch, Ordensschwester zu werden, wieder auf. Sie bat um die Aufnahme in unsere Gemeinschaft.Im Juli 1949 begann Magdalena das Postulat. Am 23.03.1950 wurde sie ins Noviziat aufgenommen und erhielt in Anlehnung an den Namen des Vaters den Namen Sr. Leonardina. Am 25.03.1952 legte sie ihre ersten Gelübde ab.Sr. M. Leonardina wurde nach der Profess nach Wesseling versetzt, wo sie die Krankenpflegeschule besuchte und ihr Examen ablegte.Außer einer 8-wöchigen Vertretung in Opladen war Sr. M. Leonardina nur in Bergheim und Wesseling als Leiterin der Kinderstation tätig, in Bergheim von 1952 b is 1979, danach b is 1996 im Dreifaltigkeitskrankenhaus in Wesseling. Nach Schließung der Kinderstation wirkte sie in der Stationsküche. In einem Brief von 1996, als sie ins Altenheim nach Koblenz-Horchheim versetzt wurde, heißt es: "Dass Ihre Anwesenheit den Kranken gut getan hat, wissen Sie bestimmt. Aber dass eine Schwester Liebe, Güte, Fürsorge und Gottesfurcht ausstrahlt, habe ich noch nicht erlebt. … ich weiß jetzt schon, dass Sie überall das Gute im Menschen finden und deshalb auch, egal wo Sie sind, Freunde haben werden."2005 wurde Sr. M. Leonardina ins Herz-Jesu-Heim, Dernbach, versetzt und zog im Sommer 2014 mit um ins Agneshaus.Sr. M. Leonardina war bis ins hohe Alter sehr rüstig, obwohl sie schon als junge Schwester meinte, früh sterben zu müssen. Die letzten Jahre war Sr. M. Leonardina pflegebedürftig – immer wartend auf den Herrn. Der Herr hat sie kurz vor ihrem 100. Geburtstag zu sich genommen. Wir gedenken Sr. M. Leonardina in Liebe und Dankbarkeit.(Sr. M. Simone WeberADJC)

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In Memoriam

Impressum

"Brücke der Hoffnung" erscheint viermal jährlich.Herausgeber:Provinzialat der ADJC, DernbachAnschrift der Redaktion:Katharina-Kasper-Str.1056428 Dernbach/Ww;Tel.: 02602/6830; Fax: 02602/683194;Email: [email protected]:Sr.Theresia Winkelhöfer (verantwortlich), Hans-Jürgen Blanke,

Herbert Bruns, Winfried Gramich, Claudia Keßler, Sr. Clarentia Kurz, Ingrid und Franz-Josef Ludwig.Druck:Druckerei Corzillius, SeltersAuflagenhöhe: 500 ExemplareJahresbeitrag:Konvente auf SpendenbasisMitarbeiter und Freunde der Gemeinschaft Euro 20,-IBAN:DE19510500150788008333BIC: NASSDE55XXX

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 30. November 2015

Internet: www.dernbacher.de

Der Adler – Sinnbild für Freiheit

Mit ihrem Roman führt Nicole Winkelhöfer – Schwester M. Theresia ADJC – den Leser ins Jahr 1932 nach Berlin.

Die junge Julia Wagner, mit jüdischen Vorfahren, folgt als erste aus ihrer Familie der Einladung ihrer Tante Lucie, die in Amerika lebt, um den Verfolgun-gen durch das Nazi-Regime zu entfliehen. Dort begegnet sie Fiona O´Leary, ihrem Idol aus der Schauspieler- und Theaterwelt. Beide Frauen fühlen sich zueinander hingezogen, und es entwickelt sich eine tiefe und innige Freundschaft.

Ihre gemeinsame Leidenschaft ist das Theater. Fiona erkennt die Fähigkeiten in der jungen Frau, und sie ermutigt und unterstützt Julia in ihrem Wunsch, Schauspielerin zu werden. So begleitet Fiona den harten und kometenhaften Aufstieg Julias in die Theaterwelt und spornt sie immer wieder an, ihre „Flügel zu nutzen“, um Neues zu wagen und sich in das Vertrauen auf die Kraft Gottes einzulassen.

Beide Frauen verbindet und fasziniert der Adler, als ihr Sinnbild für Freiheit. Aufgrund Fionas Lebens- und Glaubenserfahrung ist sie für Julia eine aufrichti-ge und treue Wegbegleiterin, die sie durch die verschiedensten Lebenskrisen führt. Dadurch reift und wächst Julias Selbstvertrauen, und sie gewinnt tieferen Zugang zum christlichen Glauben.

Ein Roman – spannungsgeladen, unterhaltsam und tiefsinnig.(Sophie Gantner)

Nicole Winkelhöfer (Sr. Theresia)Der Ruf des AdlersBernardus-Verlag 2015ISBN: 978-3-8107-0236-4562 Seiten, € 19,80

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In Memoriam Sr. M. Leonardina ADJC (Magdalena Gellissen)

Sr. M. Leonardina, Maria Magdalena Gellissen, wurde am 14.01. 1916 in Tüschenbroich/Erkelenz geboren. Ihr Vater Leonhard war Leinen-weber. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete Magdalena als Spulerin in einer Weberei. 1945 erlitt sie einen schweren Unfall. Im Krankenhaus Rheindahlen wurde sie monatelang behandelt und lernte unsere Schwestern kennen. Später erzählte sie, dass der Vater sie während ihres langen Krankenhausaufenthaltes täglich besuchte. Er kam mit dem Fahrrad. Nach ihrer Genesung blieb Magdalena als Stationshilfe dort. Dadurch lebte in ihr der frühere Wunsch, Ordensschwester zu werden, wieder auf. Sie bat um die Aufnahme in unsere Gemeinschaft.Im Juli 1949 begann Magdalena das Postulat. Am 23.03.1950 wurde sie ins Noviziat aufgenommen und erhielt in Anlehnung an den Namen des Vaters den Namen Sr. Leonardina. Am 25.03.1952 legte sie ihre ersten Gelübde ab.Sr. M. Leonardina wurde nach der Profess nach Wesseling versetzt, wo sie die Krankenpflegeschule besuchte und ihr Examen ablegte.Außer einer 8-wöchigen Vertretung in Opladen war Sr. M. Leonardina nur in Bergheim und Wesseling als Leiterin der Kinderstation tätig, in Bergheim von 1952 b is 1979, danach b is 1996 im Dreifaltigkeitskrankenhaus in Wesseling. Nach Schließung der Kinderstation wirkte sie in der Stationsküche. In einem Brief von 1996, als sie ins Altenheim nach Koblenz-Horchheim versetzt wurde, heißt es: "Dass Ihre Anwesenheit den Kranken gut getan hat, wissen Sie bestimmt. Aber dass eine Schwester Liebe, Güte, Fürsorge und Gottesfurcht ausstrahlt, habe ich noch nicht erlebt. … ich weiß jetzt schon, dass Sie überall das Gute im Menschen finden und deshalb auch, egal wo Sie sind, Freunde haben werden."2005 wurde Sr. M. Leonardina ins Herz-Jesu-Heim, Dernbach, versetzt und zog im Sommer 2014 mit um ins Agneshaus.Sr. M. Leonardina war bis ins hohe Alter sehr rüstig, obwohl sie schon als junge Schwester meinte, früh sterben zu müssen. Die letzten Jahre war Sr. M. Leonardina pflegebedürftig – immer wartend auf den Herrn. Der Herr hat sie kurz vor ihrem 100. Geburtstag zu sich genommen. Wir gedenken Sr. M. Leonardina in Liebe und Dankbarkeit.(Sr. M. Simone WeberADJC)

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In Memoriam

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"Brücke der Hoffnung" erscheint viermal jährlich.Herausgeber:Provinzialat der ADJC, DernbachAnschrift der Redaktion:Katharina-Kasper-Str.1056428 Dernbach/Ww;Tel.: 02602/6830; Fax: 02602/683194;Email: [email protected]:Sr.Theresia Winkelhöfer (verantwortlich), Hans-Jürgen Blanke,

Herbert Bruns, Winfried Gramich, Claudia Keßler, Sr. Clarentia Kurz, Ingrid und Franz-Josef Ludwig.Druck:Druckerei Corzillius, SeltersAuflagenhöhe: 500 ExemplareJahresbeitrag:Konvente auf SpendenbasisMitarbeiter und Freunde der Gemeinschaft Euro 20,-IBAN:DE19510500150788008333BIC: NASSDE55XXX

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 30. November 2015

Internet: www.dernbacher.de

Der Adler – Sinnbild für Freiheit

Mit ihrem Roman führt Nicole Winkelhöfer – Schwester M. Theresia ADJC – den Leser ins Jahr 1932 nach Berlin.

Die junge Julia Wagner, mit jüdischen Vorfahren, folgt als erste aus ihrer Familie der Einladung ihrer Tante Lucie, die in Amerika lebt, um den Verfolgun-gen durch das Nazi-Regime zu entfliehen. Dort begegnet sie Fiona O´Leary, ihrem Idol aus der Schauspieler- und Theaterwelt. Beide Frauen fühlen sich zueinander hingezogen, und es entwickelt sich eine tiefe und innige Freundschaft.

Ihre gemeinsame Leidenschaft ist das Theater. Fiona erkennt die Fähigkeiten in der jungen Frau, und sie ermutigt und unterstützt Julia in ihrem Wunsch, Schauspielerin zu werden. So begleitet Fiona den harten und kometenhaften Aufstieg Julias in die Theaterwelt und spornt sie immer wieder an, ihre „Flügel zu nutzen“, um Neues zu wagen und sich in das Vertrauen auf die Kraft Gottes einzulassen.

Beide Frauen verbindet und fasziniert der Adler, als ihr Sinnbild für Freiheit. Aufgrund Fionas Lebens- und Glaubenserfahrung ist sie für Julia eine aufrichti-ge und treue Wegbegleiterin, die sie durch die verschiedensten Lebenskrisen führt. Dadurch reift und wächst Julias Selbstvertrauen, und sie gewinnt tieferen Zugang zum christlichen Glauben.

Ein Roman – spannungsgeladen, unterhaltsam und tiefsinnig.(Sophie Gantner)

Nicole Winkelhöfer (Sr. Theresia)Der Ruf des AdlersBernardus-Verlag 2015ISBN: 978-3-8107-0236-4562 Seiten, € 19,80

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Die Christnachtfrau

Sie waren gegangen das Dorf entlang Vorbei am letzten Haus,Da ward Mariens Seele bang: Das letzte Licht ging aus.

Von all den hellen Fensterlein ,Da sie hineingeschaut,Lud keins die müden Wanderer ein: Sankt Josef und die Braut.

O Herr und Vater, sieh die Not! Du weißt, wie das geschah.Wer gibt uns Armen Dach und Brot? Die heilige Nacht ist da.

Da draußen blaute der Himmel weit Und stand im Sternenglanz,Und trug ein leuchtend reines Kleid Und einen Nebelkranz.

Da ward Mariens Seele weit, Weit wie des Himmels Ferne,Sie trank an Gottes Herrlichkeit, Am treuen Licht der Sterne.

Es sang im im düstern Tann der Wind Ein heimliches Frohlocken,Und aus den Gründen fern und lind Klang es wie Weihnachtsglocken.

Da kniet Maria gottgeweihtUnd hebt die weißen HändeUnd betet: Herr, ich bin bereit, Den Heiland gnädig sende!

Im tiefen fernen HeidegrundEin Hirt hielt treue Wacht,Er führet die Schalmei zu Mund, Verkündet Mitternacht.

Zwei schöne Sternlein Maria sah Vom weiten Himmel fallen,Als käm der ganze Himmel nach Und Gottes Wohlgefallen.

Zwei Sternlein leuchten in ihrem Schoß Des Christkinds Augensterne.Da ward Mariens Seele groß: Die Magd war Mutter des Herrn!

Da sank vom Himmel der Nebelkranz Durch die leuchtende Sternenau, Und Engel in goldig-weißem Glanz Traten zur Christnachtfrau.

Und sangen die selige Weihnacht ein Und es sang im Tann der Wind,Und es sang in Gründen fern und fein Und es sang von Mutter u. Kind.

Da ward Mariens Seele warm, Und glühte in Liebe verloren,Sie nahm das Kind auf den Mutterarm Nun war das Heil geboren.

O du vielsüße Christnachtfrau, Die uns das Heil gebracht,Dir Leib u. Seel´ ich anvertrau In der heiligen Weihenacht.(Dr. Martin Kreuser)

Redaktionsschluss dernächsten Ausgabe der“Brücke der Hoffnung”:29. Februar 2015

(Sr. M. Aloysia Löwenfels trug diesen Text bis in ihre Zeit in den Niederlanden bei sich. Das erlaubt den Rückschluss,

dass dieser Text ihrer Spiritualität entsprach und sie sich und ihre eigene Lebenssituation in dem Gedicht wiederfand.)