Interview mit axel barten zu

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Zur Person Axel Barten, Jahrgang 1949, studierte Ma- schinenbau mit Spezialisierung in Regelungs- technik, Fertigungstechnik und Betriebs- wissenschaften an der Eidgeno ¨ssischen Technischen Hochschule (ETH) Zu ¨rich. Nach dem Diplom 1976 trat er bei der Achenbach Buschhu ¨tten GmbH in Siegen ein, einem auf 550 Jahre Tradition zuru ¨ckblickenden Famili- enunternehmen mit ca. 300 Mitabeitern, das seit 1888 Walzwerke baut, wobei jede Gene- ration ihre eigenen Spitzenleistungen hervor- brachte. Bis 1980 arbeitete Barten parallel an einer Dissertation am Institut fu ¨r Materialwis- senschaften der ETH Zu ¨rich und u ¨bernahm dann die Gescha ¨ftsfu ¨hrung der Achenbach Buschhu ¨tten. Heute ist das Unternehmen einer der weltweit bedeutendsten Hersteller von Walzwerken fu ¨r Metalle wie Aluminium, Kup- fer, Zink und deren Legierungen sowie den zugeho ¨rigen Nebenanlagen und Umwelt- schutzgera ¨ten; als Spezialist fu ¨r Feinband- und Folienwalzwerke ist Achenbach Welt- marktfu ¨hrer. WI: Bitte skizzieren Sie zuna ¨ chst das be- sondere Profil Ihrer Produkte! Barten: Unsere Daseinsberechtigung als mittelsta ¨ndisches Unternehmen am Markt fu ¨ r Industrieanlagen sehen wir darin, dass wir Marktfu ¨ hrer in einer Nische sein mu ¨ s- sen. Seit 50 Jahren konzentrieren wir uns auf die Entwicklung, Konzeption, Konst- ruktion und Herstellung von Walzwerken fu ¨r Nichteisenmetalle. Dabei handelt es sich zu etwa 80% um Walzwerke fu ¨ r Alu- minium, die restlichen 20 % sind fu ¨ r Kup- fer, Messing und Zink. Das Material, das alle kennen, ist die Aluminiumfolie, die gro ¨ ßtenteils in den Verpackungsmarkt geht, dort aber in verschiedenen Verwen- dungen gebraucht wird. Die dickeren Ap- plikationen sehen Sie in Form von Joghurt- deckeln, die du ¨ nneren finden Sie in Tetrapacks wieder, bei denen die Alumini- umfolie eine Schicht bildet, die das ver- packte Gut gegen Licht und gegen Feuch- tigkeit abschirmt. Diese Folie ist, wenn sie das Walzwerk verla ¨sst, nur sechs Tausends- tel Millimeter stark. Wenn man sie anfasst, reißt sie leicht. Unsere Kunden walzen die Folie heutzutage auf unseren Walzwerken mit u ¨ber zwei Metern Breite mit Walz- geschwindigkeiten von u ¨ ber 2.000 Meter pro Minute, das sind etwas mehr als 120 Kilometer pro Stunde. WI: Wo liegen Ihre Absatzma ¨ rkte? Barten: Unsere Kunden sind in 55 La ¨ndern der Erde und wir bedienen regelma ¨ßig alle Erdteile. Der Anteil unseres Umsatzes im Ausland betra ¨gt zwischen 85 und 95 %. In unserer engen Marktnische hilft es uns, in andere Kontinente ausweichen zu ko ¨ nnen, denn es passiert relativ selten, dass ein Land in einem Kontinent die gleiche Konjunktur WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 3, S. 349 353 Gescha ¨ftsfu ¨hrender Gesellschafter, Achenbach Buschhu ¨tten GmbH, Siegener Straße 152, 57223 Kreuztal, E-Mail: [email protected] Interviewt von Armin Heinzl und Wolfgang Ko ¨nig Prof. Dr. Armin Heinzl, Universita ¨t Mannheim, Lehrstuhl fu ¨r Wirtschaftsinformatik I, Schloss, S 220, 68131 Mannheim, E-Mail: [email protected]; Prof. Dr. Wolfgang Ko ¨nig, Universita ¨t Frankfurt, Institut fu ¨r Wirtschaftsinformatik, Mertonstr. 17, 60054 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected] Dipl.-Ing. Axel Barten Interview mit Axel Barten zu „Bedeutung der Informations- technologie als Wettbewerbsfaktor in einem mittelsta ¨ndischen Anlagenbauunternehmen“ WI – Interview

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Zur Person

Axel Barten, Jahrgang 1949, studierte Ma-schinenbau mit Spezialisierung in Regelungs-technik, Fertigungstechnik und Betriebs-wissenschaften an der EidgenossischenTechnischen Hochschule (ETH) Zurich. Nachdem Diplom 1976 trat er bei der AchenbachBuschhutten GmbH in Siegen ein, einem auf550 Jahre Tradition zuruckblickenden Famili-enunternehmen mit ca. 300 Mitabeitern, dasseit 1888 Walzwerke baut, wobei jede Gene-ration ihre eigenen Spitzenleistungen hervor-brachte. Bis 1980 arbeitete Barten parallel aneiner Dissertation am Institut fur Materialwis-senschaften der ETH Zurich und ubernahmdann die Geschaftsfuhrung der AchenbachBuschhutten. Heute ist das Unternehmen einerder weltweit bedeutendsten Hersteller vonWalzwerken fur Metalle wie Aluminium, Kup-fer, Zink und deren Legierungen sowie denzugehorigen Nebenanlagen und Umwelt-schutzgeraten; als Spezialist fur Feinband-und Folienwalzwerke ist Achenbach Welt-marktfuhrer.

WI: Bitte skizzieren Sie zunachst das be-sondere Profil Ihrer Produkte!

Barten: Unsere Daseinsberechtigung alsmittelstandisches Unternehmen am Marktfur Industrieanlagen sehen wir darin, dasswir Marktfuhrer in einer Nische sein mus-sen. Seit 50 Jahren konzentrieren wir unsauf die Entwicklung, Konzeption, Konst-ruktion und Herstellung von Walzwerkenfur Nichteisenmetalle. Dabei handelt essich zu etwa 80% um Walzwerke fur Alu-minium, die restlichen 20% sind fur Kup-fer, Messing und Zink. Das Material, dasalle kennen, ist die Aluminiumfolie, diegroßtenteils in den Verpackungsmarktgeht, dort aber in verschiedenen Verwen-dungen gebraucht wird. Die dickeren Ap-plikationen sehen Sie in Form von Joghurt-deckeln, die dunneren finden Sie inTetrapacks wieder, bei denen die Alumini-umfolie eine Schicht bildet, die das ver-packte Gut gegen Licht und gegen Feuch-tigkeit abschirmt. Diese Folie ist, wenn siedas Walzwerk verlasst, nur sechs Tausends-tel Millimeter stark. Wenn man sie anfasst,reißt sie leicht. Unsere Kunden walzen dieFolie heutzutage auf unseren Walzwerkenmit uber zwei Metern Breite mit Walz-geschwindigkeiten von uber 2.000 Meterpro Minute, das sind etwas mehr als 120Kilometer pro Stunde.

WI: Wo liegen Ihre Absatzmarkte?

Barten: Unsere Kunden sind in 55 Landernder Erde und wir bedienen regelmaßig alleErdteile. Der Anteil unseres Umsatzes imAusland betragt zwischen 85 und 95%. Inunserer engen Marktnische hilft es uns, inandere Kontinente ausweichen zu konnen,denn es passiert relativ selten, dass ein Landin einem Kontinent die gleiche Konjunktur

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Geschaftsfuhrender Gesellschafter,Achenbach Buschhutten GmbH,Siegener Straße 152, 57223 Kreuztal,E-Mail: [email protected]

Interviewt von

Armin Heinzlund Wolfgang Konig

Prof. Dr. Armin Heinzl,Universitat Mannheim,Lehrstuhl fur Wirtschaftsinformatik I,Schloss, S 220, 68131 Mannheim,E-Mail: [email protected];Prof. Dr. Wolfgang Konig,Universitat Frankfurt,Institut fur Wirtschaftsinformatik,Mertonstr. 17,60054 Frankfurt am Main,E-Mail: [email protected]

Dipl.-Ing. Axel Barten

Interview mit Axel Barten zu„Bedeutung der Informations-technologie als Wettbewerbsfaktorin einem mittelstandischenAnlagenbauunternehmen“

WI – Interview

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hat wie ein anderes Land in einem anderenKontinent. Zurzeit erhalt der Ferne Ostenmit China den großten Anteil unserer Lie-ferungen. Beispielsweise haben wir jungsteine dreigerustige Folienwalzlinie nach Xia-men in Sudchina geliefert, wo mit mo-dernster Technologie 20.000 Tonnen dunns-te Folie pro Jahr hergestellt werden sollen.

WI: Welche Rolle spielt in Ihrem GeschaftInnovation?

Barten: Wir mussen immer durch tech-nische Entwicklungen unsere Nase vornehaben. Neue Dinge entstehen aber nicht inder Form, dass man ganze Walzwerke neuerfindet. Stattdessen werden laufend dieEinzelkomponenten mit neuen Ideen aus-gestattet und dadurch immer besser undproduktiver. Qualitat und Produktivitatsind die beiden Dinge, die zahlen. So be-trachten wir uns heutzutage als einen tech-nologischen Champion und sehen damitunsere Daseinsberechtigung auf den Welt-markten nicht nur heute, sondern auch inder Zukunft.Weiterhin haben wir umfangreiche Ent-

wicklungen im Wirkumfeld unserer Ma-schinen betrieben, wie beispielsweise beiden Walzolanlagen. Das Walzen von Alu-minium geschieht mit einem kerosinahnli-chen Walzol, das sehr fein gefiltert werdenmuss. Hierfur haben wir Feinstfiltrations-anlagen entwickelt, die das Walzol im Um-lauf permanent filtern, und zwar mit einerFilterfeinheit von weniger als 0,5 mm Teil-chengroße. Weitere Anlagen betreffen dieAbluftreinigung. Das Walzol verdunstetrelativ leicht; fruher hat man es einfach ab-gesaugt und in die Umwelt geblasen. Hierhaben wir ein Nasswasch- und Absorpti-onsverfahren entwickelt, um dieses Walzolwieder zuruckzugewinnen. Die neuesteEntwicklung – wobei man „neu“ vor demHintergrund unserer jahrhundertelangenTradition betrachten sollte, denn wir ma-chen dies auch schon seit 15 Jahren – istunsere gesamte Steuerungs- und Rege-lungstechnik. Das Fach habe ich ja aucheinmal studiert. In diesem Bereich habenwir eine eigene Abteilung aufgebaut, diedie gesamte Steuerungs-, Mess- und Regel-technik fur unsere Walzwerke hier imHause selbst produziert. Wir benutzen siefur alle Neuanlagen und verkaufen sie auchals Modernisierungskomponenten fur exis-tierende Anlagen.

WI: Wo liegen Ihre Vorteile gegenuberMitbewerbern?

Barten: Unser Vorteil ist die Konzentrationauf wenige Dinge, die wir aber sehr gut

machen. Als Konkurrenten haben wir nurGlobalanbieter, die eine sehr breite Palettevom Stahlwalzwerk uber das Alumini-umwalzwerk bis zum Schwermetallwalz-werk anbieten. Das ist sicherlich forderlichfur das breite Wissen, aber es sind danndoch nicht so viele Leute in der Spezialisie-rung tatig. Was unseren Schwerpunkt imBereich der Nichteisenmetallwalzwerkebetrifft, sind wir diejenigen, welche diestarksten Ingenieurkapazitaten in dieserMarktnische haben. Die Herausforderungist, der Marktfuhrer zu bleiben.

WI: Welche Rolle spielen die Mitarbeiterund das Siegerland als Standort?

Barten: Ein Vorteil im Siegerland sind ohneZweifel unsere gut ausgebildeten Ingenieu-re und Spezialisten, die sehr bodenstandigsind, sehr treu im Unternehmen bleibenund unsere Internationalitat mitmachen.Das ist nicht ganz einfach. Wir konstruie-ren und bauen die Anlagen hier im Sieger-land, vormontieren sie und testen sie. Aberdann ist es notwendig, sie zu ihrem Ein-satzort zu bringen. Sie werden so weit de-montiert, wie es fur den Transport notwen-dig ist, und mussen dann vor Ortfertigmontiert und in Betrieb genommenwerden. Das dauert, die Montage betref-fend, zwischen drei und funf Monate undfur die Inbetriebnahme ist ungefahr diegleiche Zeit zu veranschlagen. Wahrenddieser Zeit muss man bereit sein, nach Chi-na, nach Indien, nach Afrika, nach Sud-amerika zu gehen und erst wiederzukom-men, wenn die Anlage zur Zufriedenheitdes Kunden funktioniert. Fur alle exportie-renden Unternehmen ist es ein Problem,qualifizierte Mitarbeiter zu finden, die der-art flexibel einsatzfahig sind. Vielleicht ha-ben wir hier einen Vorteil.

WI: Welcher Anteil Ihrer Belegschaft sindIngenieure?

Barten: Etwa ein Drittel unserer Mitarbei-ter sind Ingenieure, wobei sich das Unter-nehmen immer mehr in Richtung Inge-nieurwesen entwickelt hat. Man kann fastsagen, dass wir ein Engineering-Unterneh-men mit angeschlossener Fertigung sind.Diese Entwicklung hat sich ergeben, weilwir Teile der Fertigung aus Rentabilitats-grunden immer mehr nach außen verlagerthaben. Wir beziehen sehr viele Maschinen-teile aus nahe gelegenen Ostlandern, wieTschechien, Polen, Slowenien usw. Wirmontieren allerdings die meisten Walzwer-ke noch hier vor Ort. Das ist ja das Spezi-fische am Anlagenbau. Maschinenbau be-deutet, komplette Maschinen herzustellen

und die Einrichtungen vorzuhalten, dieman braucht, um die einzelnen Maschinen-teile zu fertigen. Der Anlagenbau umfasstdas Zusammensetzen einerseits von Ma-schinen und Maschinenkomponenten, an-dererseits aber auch einer ganzen Reihevon Zusatzanlagen. Im Endeffekt wird dieLeistung als Gesamtspektrum erbracht.Eine Walzwerksanlage, wie man sie rich-

tigerweise bezeichnen sollte, besteht aus ei-nem Walzwerk als Zentralkomponente, ausBundtransporten fur die An- und Abdie-nung des Materials, aus Walzenwechselvor-richtungen, aus �lumlauf- und Filtrations-technik, aus Abluftreinigungstechnik, ausSteuer- und Regelungstechnik und teilwei-se auch aus Schneidmaschinen, die alsnachster Verfahrensschritt dazu kommen.

WI: Welche Rolle spielt die Informations-technologie in Ihrem Unternehmen?

Barten: Sie spielt eine große Rolle. Es istwichtiger denn je, dass die Flut von Infor-mationen, die ein Unternehmen heute zuverarbeiten hat, kanalisiert wird, auf ver-nunftigen Wegen lauft und nicht zu Fußherumgetragen werden muss. Der �ber-gang in die moderne Informationstech-nologie ist insofern nicht einfach, als dassman die Menschen mitnehmen muss. Mei-ne Erfahrung in dieser Richtung zeigt, dassdie technische Entwicklung in der Infor-mationstechnologie viel zu schnell ist, umalle Leute mitnehmen zu konnen. Als wirvor ca. 15 Jahren CAD hier eingefuhrt ha-ben, gab es sehr viel Resistenz dagegen. Ichhabe damals behauptet: „In 10 Jahren gibtes kein Zeichenbrett mehr und jeder, derdas Zeichenbrett noch meint benutzen zumussen, muss nach Hause gehen“. Es warnicht ganz richtig. Wir haben heute nochzwei altere Konstrukteure, die an Zeichen-brettern arbeiten. Der Rest arbeitet mitzweidimensionalen und dreidimensionalenCAD-Geraten.Wahrend dieser Jahre haben wir aber

auch fast zehn Generationen von CAD-Programmen durchlebt. Mit jedem Re-lease-Wechsel waren die Leute einer neuenUmlernphase ausgesetzt und das ist wirk-lich unangenehm. Eine Zeitlang haben wirmit Tableaus gearbeitet, dann wieder nurmit der Maus. Das braucht ein intensivesTrainingsprogramm und die Leute mussensich immer wieder auf neue Verfahrenswei-sen einstellen.

�ber das Intranet, in welches auch dasProduktdatenmanagement-(PDM-)Systemintegriert ist, ist jeder mit der heutigenInformationstechnologie verbunden. Die

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Werkzeugmaschinen sind CNC-gesteuertund werden zentral programmiert. Auchdort muss man also mit moderner Informa-tionstechnik arbeiten.

WI: Seit wann haben Sie sich intensiv mitdem Einsatz von IT beschaftigt?

Barten: Bereits 1971 wurde eine interneEDV-Abteilung mit einer NCR-Bu-chungsmaschine mit Lochkarten gegrun-det. In der Folge entwickelten sich die Sys-teme rasant in vielen Systemgenerationen.Aber immer wieder gab es Insellosungen,etwa beim CAD auf einzelnen PCs. Dochauch bei den einfachen Endbenutzersyste-men gibt es laufend verschiedene Releasesund man erhalt im Gesamtunternehmenein riesiges Durcheinander. Wenn nicht alleMitarbeiter jeden Entwicklungsschritt mit-machen, ist der Wirkungsgrad der Infor-mationsverarbeitung sofort gewaltig einge-schrankt.Jetzt kommt unser PDM-Anwendungs-

system dazu, das die Vernetzung desGanzen beinhaltet. Das Leben mit der Ver-netzung ist Gegenstand eines Trainingspro-gramms, das vom Einzelnen sehr viel Dis-ziplin verlangt. Disziplin einerseits in deroptimalen Nutzung, indem man bei einerauftretenden Frage – etwa: wie schnellkonnen wir ein Ersatzteil fur eine 15 Jahrealte Anlage beschaffen? – sinnvoll suchengeht, aber auch vorher, wahrend der Phaseder Informationsgenerierung uber eine An-lage, die Disziplin der richtigen Abspeiche-rung. Da sind viele Sunden geschehen, ob-wohl geeignete Konzepte verfugbar waren.Aber wenn sich ein Mitarbeiter nicht daranhalt, gehen Unterlagen verloren und diespatere Suche greift ins Leere. Dann ist dasGeschrei groß und die Schuld wird auf denComputer geschoben. Diese Reaktion istsehr menschlich, aber sie beinhaltet dieForderung nach Optimierung in sich. So-lange es nicht alle richtig machen, ist derNutzeffekt klein.

WI: Lassen Sie uns an dieser Stelle nocheinmal ein Stuck zurucktreten. Sie habenals Anlagenbauer Ingenieurleistungen zuerbringen, bei denen Disziplin notwendigist. Sie haben Innovationsnotwendigkeiten.Warum tun sich eigentlich Ihre Mitarbeiterso schwer mit der Informations- und Kom-munikationstechnologie? Warum klapptdas, was im Umfeld der Ingenieursdisziplinhervorragend geht, im IT-Bereich nicht?

Barten: Weil jeder Mitarbeiter hier in einerSache trainiert werden muss, die den Ge-samtuberblick uber ein komplexes Unter-stutzungssystem beinhaltet. Wir haben im

Ingenieurwesen heute einen hohen Spezia-lisierungsgrad und Schwierigkeiten, diesenGesamtuberblick beim Bau unserer Anla-gen zu behalten. Nehmen Sie einen Kons-truktionsingenieur, der in der Lage ist, her-vorragende Konstruktionen zu entwerfenund mit Finite-Elemente-Methoden (FEM)zu berechnen. Sie haben daneben einenSteuerungstechniker, der Ablaufabhangig-keiten realisiert. Sie haben den Hydrauli-ker, der die ganze Sache mit Bewegungausstattet, den Elektriker und den Mecha-niker usw. Insgesamt ist eine sehr breitePalette von Spezialisten vorhanden, die we-gen der Breite ihres Wissens gebrauchtwerden. Auf der anderen Seite mussen Sieaber den Elektroniker dahin bringen, dasser den Mechaniker versteht, um sich uberdas gemeinsame System miteinander sinn-voll verstandigen zu konnen. Vieles, wasnormalerweise in einem Ingenieurburo alsGanzes kreiert wird, geht erst den beruhm-ten detaillierenden Weg – separat gestalt-bare Komponenten stehen uber definierteSchnittstellen in Beziehung. Spater werdensie als Teile zusammengebracht und erge-ben dann im Idealfall eine sauber aufgebau-te, ganze Maschine. Stimmen die Schnitt-stellen nicht exakt braucht man aber immerwieder einen Vorgesetzten, der den Ge-samtuberblick hat und sozusagen den Leit-plan verkorpert, um die Breite zusammen-zubringen. Im IT-Bereich muss man denElektronikingenieur und den Konstrukti-onsingenieur in eine genau gleiche Infor-mationsverarbeitungsstruktur hineinbrin-gen, die er jeweils als Vorteil und nicht alsLast empfindet, damit die ganze Sachetransparent wird.

WI: Sie haben den Begriff Produktdaten-management mehrfach erwahnt. Bitte fuh-ren Sie aus, warum dies fur Ihr Haus sowichtig ist?

Barten: Die besondere Bedeutung bestehtdarin, dass wir ungeheuer viel Datenmate-rial verarbeiten. Zum Bau einer Walzwerk-anlage braucht man ca. 3.500 Zeichnungenund ein Vielfaches davon an einzelnenStucklistenpositionen. Die Anlage lebt vie-le Jahrzehnte – wir mussen also Archivevorhalten, um zu wissen, welche Teile inwelcher Version ursprunglich in der Anla-ge Verwendung fanden und vielleicht spa-ter bei Reparaturen schon durch Nachfol-gesysteme ersetzt wurden. Unsere altestebetreute Anlage stammt aus den 20er Jah-ren des letzten Jahrhunderts. Bedenken Siehierbei auch die damalige Qualitat der Da-ten sowie die Probleme der Datentrager, et-wa Zeichnungen auf Transparent.

Fur uns ist das Produktdatenmanage-ment so wichtig, weil wir uber die gewach-senen Strukturen zu viele Fehler gemachthaben. Fehler sind menschlich, konnenaber zu hohen Kosten fuhren, wenn sie biszum Ende der Wertschopfungskette durch-schlagen. Einer der Hauptfehler ist es, ir-gendetwas zu vergessen. Wenn eine Ma-schine montiert wird und es fehlt ein Teil,dann kann man mit der ganzen Maschinenichts mehr anfangen. Der zweite Fehlerist, dass es Konstruktions- oder Teilefehlergibt, die bei der Montage entdeckt werden,aber bei denen der Ruckmeldungsprozessnicht uber die Medienbruche hinweg-kommt. Vielleicht wird dann im akutenFall das Problem auf dem „kleinen Dienst-weg“ gelost und das Teil geandert, aberniemand außer den direkt Beteiligten er-fahrt das. Was passiert beim nachsten Mal?Wir wollen ja das Rad nicht jedes Mal neuerfinden, sondern die Erfahrungen derVergangenheit fur jedes neue Projekt ver-wenden, sonst wurde ja alles viel zu langedauern. Und wenn dann die Fehler-Ruck-kopplung nicht verfugbar ist, taucht dersel-be Fehler wieder auf. Das fuhrt einerseitszu weiteren Kosten, andererseits zu Frustbei denen, die weiter hinten in der Kettestehen. Diese Probleme wollen wir mit derbesseren Vernetzung und der kontinuierli-chen Informationsverarbeitung vermeiden.

WI: Welche Vorteile haben Kunden durchden Einsatz eines PDM-Systems?

Barten: Der Kunde schaut auf Zeit undKosten und erwartet von uns, dass wir bei-spielsweise uber benotigte Ersatzteileschnell und richtig Auskunft geben kon-nen. Sehr wichtig ist, dass die Ruckkopp-lung von �nderungen wirklich in dieZeichnungen oder in die Stucklisten einge-gangen ist, denn sonst macht man Fehler.Ein Kunde aus China braucht Ersatzteile.Wir erstellen auf Basis unserer Unterlagenaufwendig die Teile, liefern sie aus und derKunde beschwert sich, weil diese nicht pas-sen. Bis zur Problemlosung sprechen wirdann uber eine Operation von einem hal-ben Jahr Durchlaufzeit mit Hin- und Her-senden von Teilen, vielleicht auch noch miteinem Technikereinsatz vor Ort, mit Repa-ratur und allem was dazu gehort. DasProblem war letztendlich ein Dokumenta-tionsfehler in den Zeichnungen. Das wol-len wir mit dem PDM-System in Zukunftvermeiden.

WI: Sie arbeiten bereits seit zwei Jahren andem Thema PDM. Welche Nutzeffekte ha-ben sich ergeben?

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Barten: Das Projekt ist erst seit kurzemwirklich komplettiert worden. Die mittler-weile als Diplomarbeit eines Studenten desFachbereiches Wirtschaftsinformatik derUniversitat Siegen durchgefuhrte Wirt-schaftlichkeitsanalyse kommt zu dem Er-gebnis, dass ein Nutzenpotenzial fur dieFirma Achenbach Buschhutten von ca.78% durch das PDM-System existiert.Ausgeschopft werden bis zum heutigenZeitpunkt jedoch lediglich 40% davon. Esbleibt also noch eine deutlicher Spielraumfur Verbesserungen in der Zukunft.

WI: Glauben Sie, dass Ihnen die beschrie-bene Informatisierung gegenuber Wett-bewerbern Vorteile auf den Markten ver-schafft?

Barten: Es bringt uns keine Vorteile imHinblick auf die reine Information, son-dern fur uns ist das Wichtige der FaktorZeit, und Zeit ist Geld. Wir mussen schnel-ler sein als andere und wenn wir Informati-onsbeschaffung und -verarbeitung mit ho-herer Geschwindigkeit machen konnen,kostet uns das entsprechend geringerenPersonaleinsatz, d. h., wir konnen mit we-niger Leuten mehr erzielen. Exakt diesenRationalisierungserfolg mussen wir haben,denn bekanntermaßen sind unsere Leute jagut, aber auch teuer. Das ist im Vergleichzum Ausland die permanente Herausfor-derung, der wir begegnen mussen.

WI: Durfen wir noch einmal nachhaken:Konnen Sie aus Ihrer Erfahrung bestatigen,dass die Amerikaner im Bereich der Infor-mationssysteme schneller und tiefgreifenderInnovationen durchfuhren? Und fuhrt dieszu Vorteilen gegenuber Ihrem Unterneh-men oder wirkt sich das nicht aus?

Barten: Informationstechnologisch sind dieAmerikaner zwar gut, aber technisch imHinblick auf unsere Anlagen gibt es inAmerika keinen einzigen Konkurrentenmehr, weil sich alle wegen nichtvorhande-ner technologischer Entwicklung abgemel-det haben. Insofern haben wir da keinenVergleich und ich glaube, dass man immerbeides miteinander verbinden muss. Gera-de im Engineering-Buro geht es ja nichtum Information als reines Gut, sondernum deren Applikationen auf gewisse tech-nische Losungen, die dann in Hardwareumgesetzt werden. Ich glaube, dass wir dadoch wesentlich besser sind als die Ame-rikaner.

WI: Sie lagern Teile Ihrer Wertschopfungaus. Warum erfolgt dies nicht im Bereichder IT?

Barten: Wir mussen eine Menge Intelligenzanwenden, um die Entscheidung zu treffen,ob wir Arbeitsgange selber machen odergewisse Prozesse automatisieren, Program-me selber schreiben und uber Dienstleisterbeziehen. Wenn die Wiederholungsrate „1“ist, dann macht es keinen Sinn, sie in Pro-gramme zu zwangen. Dann muss manMenschen die Entscheidungen treffen las-sen.

Im Konstruktionsbereich beschaftigen wirexterne Konstruktionsburos, um Kapazi-tatsausgleiche zu erzielen. Das ist immerdamit verbunden, dass man zwar Arbeitenverteilen kann, sie aber auf der anderen Sei-te wieder kontrollieren muss. Man mussabwagen, wo sich das zeitlich lohnt oderwo es sich nicht lohnt, weil man zu vielManpower in die Kontrolle stecken muss.Wir nutzen sicherlich auch Service-Pro-vider im Softwarebereich, aber nicht imUmfang von kompletten Softwaredienst-leistungen, um den Gesamtuberblick zubehalten.

WI: Was sind fur Ihr Unternehmen diegroßen Informatikthemen von morgen?

Barten: Wir werden bei der Informations-verarbeitung den eingeschlagen Weg sicherweitergehen und weiter perfektionieren.Außerdem mussen wir sowohl eigene Pro-zessinnovationen wie auch Produktinnova-tionen vorantreiben. Bei der Weiterent-wicklung unserer Regelungstechnik, diemit immer neuer Sensorik ausgestattetwird, bewegen wir uns zunehmend an dieGrenzen der Physik. Die Messgenauigkei-ten unserer Banddicken-Regelsysteme ar-beiten mit 1 mm oder teilweise 0,5 mm Auf-losung und regeln diese Maschinen mit biszu 800 oder 1.000 Tonnen Gewicht in Mi-krosekunden dahin, wo sie stehen sollen.Hier gibt es einige Komponenten, die wei-terentwickelt werden, nicht nur die Rech-ner selbst, sondern auch die Messtechnikund die Software.

WI: Maschinenkomponenten werden zu-nehmend eigene Prozessoren und Sensorenhaben und sich damit selbst steuern kon-nen. Ist dieses Thema eine Herausforde-rung fur Sie?

Barten: Ja. In der modernen Konzeptioneiner Anlage ist diese dezentrale Intelli-genz implizit mit dabei. Eine Hydraulik-station wird etwa nicht nur mit Ventilen,sondern auch mit einem dezentralen Rech-ner ausgerustet und das Ganze uber einBuskabel miteinander verbunden. In denWalzwerken besteht eine besondere He-

rausforderung durch die extremen Um-weltbedingungen. Die Maschinen werdenmit Walzol gefahren, dessen Temperaturzwischen 40 und 70 Grad Celsius liegt.An gewissen Stellen wird es bis zu 100Grad warm. Das Walzol besteht aus Mine-ralol mit saurehaltigen Zusatzen und zer-setzt alles, von der Schuhsohle bis hinzum Kabel. Hier herrschen also feindlicheUmweltbedingungen und damit bestehenimmer auch spezifische Herausforderun-gen fur die Sensorik. Wie kann man dasbetriebssicher, d. h. auch hochsten Anfor-derungen genugend, einbauen? Ein digita-les Langenmesssystem gehort beispielswei-se zum Stand der Technik. Appliziert manes auf diese Umweltbedingungen fangt esan, ein Kunstwerk zu werden. Da wir kei-ne großen Stuckzahlen brauchen, interes-siert es den Messgeratehersteller nicht undwir mussen selbst die Kapselung im eige-nen Hause erfinden.

WI: Spielen Informationstechnik und In-formationssysteme bei dem Bemuhen umStandardisierung – zum Zweck der Pro-duktionskostensenkung – eine wichtigeRolle?

Barten: Ja, in einem gewissen Ausmaß. Wirversuchen etwa, aus der Datenverarbeitungdes Stucklistenwesens zu extrahieren, dassein Bolzen in funf verschiedenen Haupt-baugruppen enthalten ist, die wiederumparallel in verschiedene Maschinen einge-baut sind. Auf diesem Weg fassen wirKomponenten zusammen mit dem Ziel zustandardisieren. Das sind Entwicklungen,die intensiv betrieben werden, aber leiderdes ofteren im Tagesgeschaft untergehen.Aber es ist ein sehr interessantes Gebietund mit Sicherheit kostenreduzierend.

WI: Welche Rolle nehmen bei den vonIhnen beschriebenen Prozess- und Pro-duktinnovationen die Universitaten ein,insbesondere das Fachgebiet der Wirt-schaftsinformatik?

Barten: Wir suchen Expertenwissen im Be-reich PDM in der Zusammenarbeit mit derUniversitat und ich kann sehr positiv uberunsere Zusammenarbeit in Siegen berich-ten. Dabei ist es wichtig, dass man mit demExpertenwissen eine Losung fur die realeAnforderung findet, die moglichst schnellpraktikabel ist. Man muss Entscheidungenfallen, die nicht jahrelange Entwicklungs-zeiten brauchen, sondern Expertenwissenund Praxis schnell zusammenfuhren undLosungen entwickeln, die wirklich funk-tionieren und uns in der Weiterentwick-lung voranbringen.

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Die Entscheidung, ein PDM-System zuinstallieren, war fur uns eine langfristigeEntscheidung fur die nachsten Jahrzehnte.Man kann es zwar graduell verbessern,sollte es aber nicht von der Struktur her an-dern. Wenn man an solchen Stellen nichtuber den strukturellen und theoretischenHintergrund einer universitaren Institutionverfugt, fuhlt man sich viel zu unsicher, dierichtigen Entscheidungen zu fallen. Dannist der Erfolg nicht gewahrleistet, in mini-maler Zeit ein herausragendes Ergebnis zubekommen. Die Zusammenarbeit mit derUniversitat hilft uns, sehr gute Ergebnissein kurzester Zeit zu erreichen und es hilftder Universitat meiner Ansicht nach sehrstark, bei ihrer strukturellen Untersuchungauch praktische Komponenten mit ein-zubringen. Dabei stellt man etwa fest, dasses theoretisch ein gutes Losungskonzeptgibt, aber praktisch z. B. aufgrund der Be-nutzerunfreundlichkeit dieser Weg nichtmachbar ist; also muss man gemeinsam an-

dere Losungen finden. Dieses gegenseitigeBefruchten finde ich sehr gut. In diesemSinne werden wir eine gemeinsame Prasen-tation der Ergebnisse einer Wirtschaftlich-keitsanalyse des PDM-Systems in unseremHause auf der Wirtschaftsinformatik-Ta-gung 2003 in Dresden vorstellen.Eine solche Zusammenarbeit ist natur-

lich am einfachsten, wenn man relativ nahezusammen ist und solche Projekte auf kur-zen Wegen bewaltigen kann. Wir kooperie-ren in der Wirtschaftsinformatik mit HerrnProf. Grauer und im Bereich CAD mitdem Fachbereich Maschinentechnik. In derSteuer- und Regelungstechnik kooperierenwir mit dem Fachbereich Elektrotechnikund vergeben Arbeiten an Studenten oderDoktoranden.

WI: Das war ja eine sehr positive Beschrei-bung. Haben Sie gleichwohl Wunsche andie Hochschulen? Was sollte aus Ihrer Er-fahrung wie geandert werden?

Barten: Das ist ein sehr weites Feld. Bisherhaben wir uns vor dem Hintergrund unse-res Projektes uber die Beziehung der Fa.Achenbach Buschhutten zur UniversitatSiegen unterhalten, uber die ich sehr zu-frieden bin, weil man mit den verschiede-nen Fachbereichen klar absprechen kann,was die einzelnen Arbeitsgruppen machenund wie wir versuchen, Neues im gegensei-tigen Verstandnis moglichst optimal zurealisieren. In Zukunft mussen wir die Zu-sammenarbeit jedoch noch wesentlich in-terdisziplinarer gestalten, um komplexeProblemstellungen zu losen. Hier wird esnotwendig werden, im eigenen Haus dieFachabteilungen und im Kontakt mit derUniversitat Siegen oder verschiedenenUniversitaten unterschiedliche Fachberei-che naher zusammenzubringen.

WI: Herzlichen Dank fur das Interview.

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