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INVET – Informal Vocational Education of Travellers INVET-Handbuch

Nachhaltigkeit und Verbreitung der Projektergebnisse

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Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen

Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt

dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kom-

mission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin

enthaltenen Angaben.

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EINFÜHRUNGLernen – egal wo. Es kommt auf die Ergebnisse an, nicht dar-auf, wie und wo die Kompetenzen erworben wurden. Ob in der Schule, im Beruf, im Alltag. Und das, was man kann, wird an-erkannt ebenso wie ein „normaler“ Abschluss. Das klingt erst einmal überzeugend und eigentlich überzeugend einfach. Und wie maßgeschneidert für die besonderen Bedürfnisse von jugendlichen Schaustellern, die schon von Kindesbei-nen an im elterlichen Betrieb mitreisen, helfen und arbeiten.

Denn: Wer immer auf Reisen ist, dessen berufliche Ausbil-dung ist schwierig – junge Schausteller können davon ein Lied singen. Ihre berufliche Ausbildung ist traditionell ge-prägt vom Prinzip „Learning by Doing“ im Familienbetrieb. Wichtige Bildungsprozesse durchlaufen sie im alltäglichen Leben und sammeln zahlreiche Kompetenzen in der Be-rufswelt ihrer Eltern, so erwerben Kinder aus Schaustel-lerfamilien auf der Kirmes beispielsweise den wirtschaftli-chen Umgang mit einem Fahrgeschäft. Ihre Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sind unbestritten, werden al-lerdings nicht als berufliche Qualifikation anerkannt.

Hier setzte das EU-Projekt INVET an. Zum einen wurden hierfür ein modulares Berufsbildungskonzept sowie ein ausführliches Berufsprofil erarbeitet, das die vielfältigen Aufgabenbereiche eines Schaustellers berücksichtigt und den Teilqualifikationen bereits bestehender Ausbildungs-berufe zuordnet. Entwickelt wurde zum anderen ein auf

der niederländischen EVC-Methode basierendes Kom-petenzfeststellungsverfahren, mit dem herausgefunden werden soll, welche Fertigkeiten und Kenntnisse junge Schausteller in bestimmten Bereichen wie Elektronik oder kaufmännischem Grundwissen haben, unabhängig davon, wo diese Fähigkeiten erworben wurden. Vor allem ging es dabei um das Fachwissen, das sie außerhalb der Schule, also normalerweise im Alltagsgeschäft, im Betrieb, unter-wegs oder auf der Kirmes, erworben haben.

Dieses Handbuch will die Projektergebnisse komprimiert auf-arbeiten, um sie auch für andere Projekte, Regionen und Ziel-gruppen, nutzbar zu machen. Welche Schlüsse sind aus den Projektergebnissen zu ziehen und wie kann das INVET-Ver-fahren weiterentwickelt und nachhaltig genutzt werden?

Lernen auf dem Rummelplatz – Cranger Kirmes, Herne 2015

Kompetenzen feststellen – INVET-Pilotmaßnahmen auf der Cranger Kirmes in Herne 2015

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INVET-ERGEBNISSEDer nordrhein-westfälische Regierungsbezirk Arnsberg engagiert sich seit langem für speziell auf die Schaustel-ler zugeschnittene Berufsbildungsangebote; in den Nie-derlanden gibt es ein anerkanntes Verfahren zur Validie-rung informell erworbener fachlicher Kompetenzen, die EVC-Methode, wenngleich sie bisher nicht für die berufli-che Bildung jugendlicher Schausteller angewendet wird. Im INVET-Projekt1 konnten sich die beiden Regionen in den Niederlanden und in Deutschland also ideal ergänzen.

Im Rahmen von INVET wurde das EVC-Konzept angepasst und mit jugendlichen Schaustellern aus Deutschland und den Niederlanden erprobt. Damit wurde sowohl in den Nie-derlanden wie in Deutschland die EVC-Methode erstmalig für die Verbesserung der beruflichen Chancen von Schau-stellern eingesetzt. Dies ist für Deutschland wegweisend, da hier die Validierung fachlicher informeller Kompetenzen als Baustein der individuellen Bildungshistorie kaum eine Rolle spielt. Die Niederlande andererseits profitieren von Erfahrungen und Know-how der Berufskollegs in Herne (NRW) im Hinblick auf die berufliche Bildung für jugend-liche Schausteller.

INVET-Ergebnisse

• Konzept für die modulare berufliche Bildung von Schaustellern

• Berufsbild „Schausteller“• Entwicklung des Kompetenzfeststellungsverfah-

rens „Schausteller“ (für die Anforderungen des Schaustellergewerbes angepasste EVC-Methode)— Pilot-Erprobung des EVC-Feststellungsverfah-

rens „Schausteller“— EVC-Erfahrungszertifikat für Schausteller mit

Hinweisen für die individuelle berufliche Wei-terbildung der Probanden

• Handbuch zur nachhaltigen Verbreitung und An-wendung durch andere europäische Bildungsein-richtungen

Im Rahmen von INVET wurden wichtige Erfolge erzielt, aber auch verschiedene Her ausforderungen offenbar, die nach der Übersicht zu den Zielen des Projekts dargestellt und kritisch gewürdigt werden sollen.

INVET-ZIELE

INVET stellt den ersten Schritt dar, um die in den Famili-enbetrieben erlernten Kompetenzen jugendlicher Schau-steller anzuerkennen. INVET sollte es jugendlichen Schau-

stellern ermöglichen, eine vollständige oder teilweise berufliche Qualifikation nachzuweisen oder zukünftig zu ergänzen bzw. zu erwerben, um die persönlichen und be-trieblichen Zukunftschancen zu verbessern und ihren Be-rufsstand zukunftsfähig zu gestalten.Die Ziele des Projekts führt der folgende Kasten auf.

INVET-Ziele

• Jugendliche Schausteller können ihre außerhalb des formalen Bildungssystems in den Familien-betrieben erworbenen beruflichen Kompetenzen mit Hilfe der niederländischen EVC-Methode fest-stellen, anerkennen und zertifizieren lassen und sich entsprechend weiterbilden.

Weitere Ziele sind:• Förderung des Zugangs reisender Jugendlicher

zu beruflicher Bildung.• Förderung der Chancengleichheit und Beschäfti-

gungsfähigkeit jugendlicher Schausteller.• Förderung der Motivation in der Zielgruppe zur

Teilnahme an berufsbildenden Maßnahmen.• Berücksichtigung der informell im Familienbe-

trieb erworbenen Kompetenzen junger Schau-steller in der schulischen Berufsbildung und da-mit auch Aufwertung des Schaustellerberufs.

• Förderung der grenzüberschreitenden Anerken-nung von Ausbildungsmaßnahmen.

• Ergänzung des bestehenden modularen Ausbil-dungskonzepts für Schausteller in Deutschland.

MODULARES BERUFS- BILDUNGSKONZEPT

Bislang gibt es kaum Möglichkeiten der Aus- und Weiter-bildung für junge Schausteller, die das elterliche Unter-nehmens zukunftsfähig gestalten wollen oder sich für eine berufliche Zukunft außerhalb des Familienbetriebs ent-scheiden. Das im Rahmen des Projekts entworfene modulare Berufs-bildungskonzept geht davon aus, dass für Jugendliche, die ihre Zukunft im Schaustellergewerbe sehen, unter den der-zeitigen Rahmenbedingungen – und auch im europäischen Kontext – ein flexibles modulares berufliches Ausbildungs-system mit Blended-Learning-Elementen die vielverspre-chendste Ausbildungsoption zu sein scheint.

Eine modulare Konzeption der beruflichen Bildung er-scheint ideal für die Zielgruppe der jungen Schausteller,

1) INVET steht für „Informal Vocational Education of Travellers“

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die in der Regel als Reisende und angehende Unternehmer stark in den Betrieb eingebunden sind. Daher könnte die berufliche Aus- und Weiterbildung in zeitlich kürzeren und gestreckten Konzepten eher mit der Arbeit im Familienun-ternehmen vereinbar sein.

BERUFSBILD „SCHAUSTELLER“

Die Formulierung eines Berufsbilds „Schausteller“ ist Voraussetzung für die Ausarbeitung des Berufsbildungs-konzepts und für die Wahl des Standards, auf den die Feststellung der informell erworbenen Kompetenzen der Schausteller beruht.Bei den jungen Schaustellern führt die frühe Einbindung in den Familienbetrieb dazu, dass sie häufig schon früh auf sich selbst gestellt sind. Sie haben im jungen Alter einen di-rekten Zugang zu Technik und Elektronik und erleben, wie hochtechnisierte „fliegende Bauten“ auf- und abgebaut werden und Besucher anlocken. Sie helfen verantwortlich im Betrieb mit, führen die Kasse oder haben eine Füh-rungsrolle gegenüber den Angestellten, als deren Vorge-setzte sie häufig schon als Kinder auftreten. Sie erwerben im Familiengeschäft die vielfältigsten Qualifikationen, von kaufmännischen und handwerklichen Fähigkeiten bis zu Organisation, Personalführung oder der selbstständigen Leitung des eigenen Betriebs.

„Wollte man eine Berufsausbildung für Schausteller schaffen, dann müsste sie Elemente aus den folgen-den Bereichen enthalten: Berufskraftfahrer (für über-lange und überschwere Lastzüge), Kfz-Mechaniker, Schlosser, Tischler, Sicherheitsingenieur, Elektriker, Elektroniker, Hydrauliker, Werbefachmann, Rekom-mandeur (Anpreiser), Maler, Dekorateur, Steuerbera-ter, Einkäufer, Einzelhandelskaufmann, Marktforscher, Buchhalter, Manager, Ausbilder usw.“ 2

Das im Rahmen von INVET entwickelte Berufsbild des Schaustellers mit sechs Kernaufgabenbereichen vermittelt die Vielfältigkeit und die keineswegs trivialen Anforderun-gen an die Geschäftstätigkeit „auf dem Rummelplatz“, die Kompetenzen über mehrere anerkannte deutsche Ausbil-dungsberufe hinweg erfordert, so Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel, Elektroniker/in für Gebäudetechnik oder Ver-anstaltungstechniker/in (siehe Abbildungen auf Seite 6).3

Die Herausforderung, in all diesen Bereichen „up to date“ zu werden und zu bleiben, ist hoch. Das Berufsprofil trägt

daher zur gesellschaftlichen Anerkennung und Wertschät-zung des Schaustellerberufs und „Kirmesgeschäfts“ auch über den Schaustellerkreis hinaus bei. Zudem ist es ein erster Schritt für die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung für Schausteller, ob in alternativer modularisierter Form oder als reguläre Berufsausbildung.

DAS INVET-KOMPETENZ-FESTSTELLUNGSVERFAHREN „SCHAUSTELLER“

Das INVET-Kompetenzfeststellungsverfahren „Schau-steller“ basiert auf der in den Niederlanden entwickel-ten EVC-Methodik und nutzt als Standard die Ziele der kompe-tenz- und handlungsorientiert beschriebenen BI-BB-Jobstarter-Ausbildungsbausteine, bei denen eine Teil-zertifizierung durch die IHK/HWK möglich sind.

Als Bewertungsstandards im Hinblick auf das IN-VET-EVC-Verfahren für Schausteller gelten die Ausbil-dungsberufe: • der Kauffrau/des Kaufmanns im Einzelhandel und • des Elektronikers bzw. der Elektronikerin für Energie-

und Gebäudetechnik.

Als weitere relevante Bewertungsstandards gelten die Ausbildungsberufe des/der Ver-anstaltungstechniker/-in und der Fachkraft im Gastgewerbe, die jedoch bisher noch nicht durch das BIBB in Ausbildungsbausteinen beschrie-ben worden sind.

Die folgende Übersicht gibt einen Überblick der Über-schneidungen der vier Bewer-tungsstandards mit den Kompetenzen des Schaustellers4. Die zweite Abbildung stellt die Überschneidung zwischen den Kompetenzen eines Schaustellers und dem/der Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel dar.

2) Auszüge aus: Käter, 2003, S. 66.3) Das Berufsprofil steht wie alle anderen Ergebnisse des INVET-Projekts auf der Projektwebsite unter www.bra.nrw.de/2941834 frei zur Verfügung.4) Die Berufe des KFZ-Mechatronikers, Maler/Lackierers, Industriemechanikers, Elektronikers für Betriebstechnik und des Bauten/Objektbeschich-

ters, für die sich ebenfalls Überschneidungen mit den Tätigkeiten des Schaustellers ergeben, wurden zunächst im Rahmen von INVET nicht diesbez. analysiert.

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Ausbildungs- beruf

Standard? • ja • möglich relevant (+/–)

„Bausteinen“/ Fertigkeiten & Kenntnisse der Berufsausbil-dung

Überschneidungen mit Kompetenzen des Schaustellers *

Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel

JA8 von 15 Bausteinen

1, 2, 3, 4 4, (5.3) 5.7 4, 5.5 5.8

Elektroniker/-in für Energie und Gebäudetechnik

JA4 von 6 Bausteinen

1, 2, (3), (4)

1, 2, (3), (4)

Veranstaltungs- techniker/-in JA

10 von 16 Fertig- keiten/Kennt- nissen

9 8, 10 12, 13 7 3, 4, 6 15

Fachkraft im Gastgewerbe JA

9 von 13 Fertig- keiten/Kennt- nissen

5, 6, 8, 9 10 3 4, 7 12

Kraftfahrzeug- mechatroniker/-in

+/–

Maler/-in und Lackierer/-in

+/–

Fachverkäufer/-in im Lebensmittel- handwerk

+/–

Industriemecha- niker/in

+/–

Elektroniker/-in für Betriebstechnik

+/–

Bauten- und Objekt-beschichter/-in

+/–

Kompetenzen des Schaustellers

1. Auf- und Abbau des Fahr-geschäftes bzw. Verkaufsbe-triebes

2. Wartung und Reparatur des Fahrgeschäftes bzw. Verkaufs-betriebes

3. Kauf-män-nisch und Gastge-werbe

4. Betriebsführung und Personalwesen

5. Kontrol-le und Sicher-heit

6. Unternehmeri-sches Handeln

Beladen, Trans-port und Entladen

Monta-gearbei-ten an mecha-nischen und Metall-teilen

Auf- und Abbau elekt-rischer Anlagen

Wartung und Repara-tur von mecha-nischen und Metall-teilen

Wartung und Re-paratur elekt-rischer Anlagen

Deko-ratives Malen

Tätigkei-ten im Bereich des Kauf-männi-schen und Gastge-werbes

Betriebs-führung inklusive Buchhal-tung

Perso-nalwe-sen, Arbeits-schutz

Kont-rolle, Sicher-heit, Hygiene und Qua-litätssi-cherung

Marke-ting/Akquise

Inves- tieren

Ausbildungs- beruf

Überschneidungen mit Kompetenzen des Schaustellers *

Kaufmann/Kauffrau im Einzelhandel

1

2

3.1

3.2

3.3

3.4

4 4 4

5.3 5.7 5.5 5.8

Kompetenzen des Schaustellers

1. Auf- und Abbau des Fahr-geschäftes bzw. Verkaufsbe-triebes

2. Wartung und Reparatur des Fahrgeschäftes bzw. Verkaufs-betriebes

3. Kauf-män-nisch und Gastge-werbe

4. Betriebsführung und Personalwesen

5. Kontrol-le und Sicher-heit

6. Unternehmeri-sches Handeln

Beladen, Trans-port und Entladen

Monta-gearbei-ten an mecha-nischen und Metall-teilen

Auf- und Abbau elekt-rischer Anlagen

Wartung und Repara-tur von mecha-nischen und Metall-teilen

Wartung und Re-paratur elekt-rischer Anlagen

Deko-ratives Malen

Tätigkei-ten im Bereich des Kauf-männi-schen und Gastge-werbes

Betriebs-führung inklusive Buchhal-tung

Perso-nalwe-sen, Arbeits-schutz

Kont-rolle, Sicher-heit, Hygiene und Qua-litätssi-cherung

Marke-ting/Akquise

Inves- tieren

Quelle: EVC „Schausteller“ November 2015

* = Nummer der Bausteine oder Fertigkeiten/Kenntnisse (siehe Anlage), () = möglich relevant

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Quelle: EVC „Schausteller“ November 2015

EVC

Die EVC-Methode (Erkenning Verworven Competenties, dt.: Anerkennung der erworbenen Kompetenzen, engl.: Recognition of Prior Learning (RPL)) ist ein in den Nieder-landen anerkanntes Kompetenzfeststellungsverfahren mit

verschiedenen Instrumenten, so dem Selbst-Assessment des Probanden, dem Fach- oder Feststellungsgespräch so-wie der Auswertung von Belegen wie z. B. Zeugnissen, die in eine sogenanntes Erfahrungszertifikat münden.5

ZIELE DER JOBSTARTER-AUSBILDUNGSBAUSTEINE

Basis und Standard des INVET-Verfahrens „Schausteller“ sind die kompetenzbasierten Ziele der Jobstarter-Ausbil-dungsbausteine des BIBB, da sie anerkannt sind und als Teilqualifikationen auf Berufsausbildungen anrechenbar sind. Die Absolvierung aller Bausteine und die erfolgreiche Einzelprüfung berechtigt zur Teilnahme an der entspre-chenden Abschlussprüfung der Kammern. Sie gelten da-her als wichtiger Schritt bei der Öffnung des auf die duale Berufsausbildung festgelegten deutschen Ausbildungs-systems hin zu einem europaweit vergleichbaren Regulie-rungsrahmen, der durch den europäischen Qualifikations-rahmen (EQF, EQR) geschaffen werden soll.

Jungen Schaustellern, die meist im Betrieb bereits stark eingespannte, ihn oft verantwortlich leitende Juniorchefs sind, bieten die Ausbildungsbausteine als Teil einer modu-lar konzipierten Ausbildung Chancen, denn sie haben da-mit die Möglichkeit, die für ihren Betrieb sinnvoll erschei-nenden Ausbildungsbausteine aus verschiedenen Berufen auszuwählen. Die Möglichkeit, eine reguläre Berufsaus-bildung durch die Anerkennung von Teilqualifikationen zu verkürzen, spielt dagegen bei jugendlichen Schaustellern eine untergeordnete Rolle.

Schritten Instrumenten Aktoren

A Eingangsgespräch• Pre-Assessement und Vorauswahl

• Begleiter + Kandidat + Assessor (Beobachter)

B Portfolio• Portfolio • Begleiter + Kandidat +

Assessor (Beobachter)

CVervollständigung des Portfolios und

Feststellungsgespräch

• Portfolio-Vervollständigung• Registrierung des Feststellungsgesprächs

• Assessor + Begleiter• Begleiter + Kandidat + Assessor (Beobachter)

DÜberprüfung

der Kompetenzen• Überprüfung der er- worbenen Kompetenzen

• Assessoren (2)

E Erfahrungszertifikat • Erfahrungszertifikat • Assessoren (2)

F Beratungsgespräch • EVC-Begleiter + Kandidat

GMaßgeschneiderte

Qualifizierung• Private oder staatliche Schulungsanbieter

5) Die vollständige Fassung des EVC-Verfahrens „Schausteller“ ist auf der Projektwebsite www.bra.nrw.de/2941834 frei verfügbar. Zur EVC-Methodik bzw. EVC-Prinzip s. u. a. Schuur/Rutishauser, 2009; Busse/Eggert, 2005.

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PILOTMASSNAHMEN

Im Zentrum des INVET-Projekts standen die Pilotmaßnah-men zur Erprobung der erarbeiteten Konzepte des Kompe-tenzfeststellungsverfahrens. Es bestand im Wesentlichen aus einem Pre-Assessment zur grundsätzlichen Einschät-zung der Schwerpunkte des Probanden, aus dem eigent-lichen Assessment mit Selbsteinschätzung, Fachgespräch und Sammlung von Belegen sowie dem abschließenden INVET-Erfahrungszertifikat.

Die Inhalte der Pilotmaßnahmen bildeten die Ausbildungs-bausteine zum Kauffrau/Kaufmann im Einzelhandel und zum Elektroniker/in für Energie- und Gebäudetechnik, die sich mit dem Berufsprofil des Schaustellers überschnitten. Im Verfahren mit Schwerpunkt Elektronik waren zudem die Inhalte der Schulung zur „Elektrotechnisch unterwiesenen Person“ (EuP) integriert, die zu einfachen Wartungsarbei-ten an elektrischen Anlagen berechtigt6, denn es wurde vermutet, dass die jungen Schausteller bereits große Teile oder sogar den gesamten Stoff inhaltlich und praktisch be-herrschen, so dass sie zusätzlich zum INVET-Erfahrungs-zertifikat, mit dem die Kompetenzfeststellung abschließt, das EuP-Zertifikat ohne oder mit verkürzter Schulung er-halten würden. Die Integration der EuP-Inhalte wurde von allen Beteiligten positiv bewertet, da sie zugleich die Opti-on eines nicht nur anerkannten, sondern im Arbeitsalltag der Schausteller nützlichen TÜV-Zertifikats in Aussicht stellte und die Motivation der Schausteller verstärkte.

Die Erprobung des INVET-Verfahrens fand in drei Phasen statt, so dass die Möglichkeit genutzt werden konnte, das Verfahren aufgrund der Erfahrungen anzupassen und zu verbessern. Die ersten Praxistests zeigten, dass eine Schwierigkeit in der Belegsammlung besteht, denn Zeugnisse oder sons-tige Nachweise zu beruflichen Erfahrungen bilden eine Grundlage für die Kompetenzfeststellung. Da die berufli-chen Fähigkeiten der Schausteller aber in der Regel fast ausschließlich in den Familienbetrieben erworben werden, verfügen sie kaum über Belege. Daher wurde durch die Mitarbeiter des ebk-Berufskollegs Herne für die letzten Pi-

lotmaßnahmen ein einfach durch Ankreuzen ausfüllbarer Fragebogen entwickelt, der den Eltern die Dokumentation der dortigen Arbeits- und Lernprozesse erleichtern soll.

Die ersten Pilotmaßnahmen wurden auf der Cranger Kir-mes durchgeführt, also in der Nähe des Arbeitsplatzes der Jugendlichen, um die Hemmschwelle möglichst gering zu halten. Da dort aber eine dem Feststellungsverfahren angemessene Atmosphäre nicht zu gewährleisten war, wurden die weiteren Maßnahmen in den Berufskollegs in Wanne-Eickel bzw. Herne organisiert, wo die Rahmenbe-dingungen besser und die Schüler nicht durch das Tages-geschäft abgelenkt waren. Die Pilotverfahren der dritten Phase erfolgten zudem im Rahmen der Bekosch-Kurse7, was als zielführender emp-funden wurde.

Insgesamt nahmen bei den Erprobungen ein niederländi-scher und acht deutsche jugendliche Schausteller im Alter zwischen 16 und 22 Jahren teil. Die Pilotmaßnahmen zeig-ten, dass die Instrumente des EVC-Verfahrens erfolgreich und effektiv sind, da in kurzer Zeit zweckdienliche, struk-turierte Informationen zum Kenntnisstand der Teilnehmer ermittelt werden konnten. Bei sechs Jugendlichen stellten die Assessoren ausreichende Kompetenzen fest, um ein INVET-Erfahrungszertifikat auszustellen. Die drei Teilneh-mer im Rahmen der Bekosch-Kurse 2016 erhielten nach einer Nachschulung das EuP-Zertifikat und streben zu-künftig Schulungen am Berufskolleg zur externen Prüfung der „Elektrofachkraft für festgelegte Tätigkeiten“ an.8

Über die bereits erwähnten Erfahrungen hinaus wurde durch die Erprobung weiteres Verbesserungspotenzial deutlich. Dieses betrifft zum einen das Verfahren selbst: Eine Anpassung des EVC-Verfahrens könnte den Adap-tions- und Durchführungsaufwand und damit auch die Vorbehalte bei den Teilnehmern vermindern. Die Jobstar-ter-Ausbildungsbausteine (EQR-Stufe 4) als Standard für ein Kompetenzfeststellungs-Verfahren eröffnen die Mög-lichkeit der Anrechnung auf eine duale Ausbildung, sind

6) Elektrotechnisch unterwiesene Personen (EuP) sind Nichtelektriker, welche durch eine theoretische und praktische Unterweisung in einer EuP-Schu-lung Kenntnisse erhalten, um begrenzte Eingriffe an elektrischen Anlagen vor-nehmen zu dürfen (DIN VDE 0105-100). Sie dürfen einfache Wartungs-maßnahmen oder Prüfungen vornehmen, jedoch keine Instandsetzungen oder Installationen. Erlaubt sind z. B. das Herausnehmen und Einsetzen von Siche-rungseinsätzen, Sichtkontrollen und Fehlersuche an Schaltschränken oder das Einsetzen und Herausnehmen von Leuchtmitteln (nur unter Leitung und Aufsicht einer Elektrofachkraft). Die Schulung zur EuP, in der man in Theo-rie und Praxis zu bestimmten elektrotechnischen Aufga-ben, den damit verbundenen Gefahren und den notwendigen Schutzeinrichtungen und Verhaltensmaßnahmen belehrt wird, dauert etwa zwei Tage, in der Berufsschule werden dafür 40 Schulstunden bzw. zwei Wochen veranschlagt.

7) Bekosch (Berufliche Kompetenzen für Schausteller) soll es Schaustellern ermöglichen, eine Berufsgrundbildung zu erlangen und die Berufsschul-pflicht zu erfüllen. Die Bekosch-Kurse mit Präsenzangeboten im Winter und Fernler-nen in den Reisemonaten im Sommer bildeten den Ausgangs-punkt des INVET-Projekts und gelten in den Nieder-landen als vorbildlich (Lehrer der niederländischen Rijdende School nahmen daher an INVET- Treffen teil und 2016 auch – wie einer ihrer Schüler – an den Bekosch-Winter-Kursen in Herne). Ähnliche Angebote gibt es auch in Bielefeld. Neu-münster (Schleswig-Holstein) und in Nidda (Hessen).

8) Mit der erfolgreichen Zertifikatsprüfung zur Elektrofachkraft IHK für festgelegte Tätigkeiten nach BGV A3 (Gebäudetechnik, Veranstaltungstechnik) (EFK EffT) wird das entsprech. IHK-Zertifikat erworben. Die EFK darf elektrische Arbeiten in einem festgelegten Bereich übernehmen, im Unterschied zur EuP beispielsweise selbststän-dige Prüfungen oder auch Montage- und Wartungsarbeiten.

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daher aber auch auf einem hohen Niveau. Für jugendli-che Schausteller, die in Zukunft keine duale Ausbildung anstreben und die als Allrounder weiterhin im Schaustel-lergeschäft tätig sein wollen, wäre zu überdenken, ob das INVET-Verfahren nicht auch auf EQR-Stufe 3 angeboten werden kann. Zudem können die Anstrengungen ver-stärkt werden, Interesse und Akzeptanz bei der Zielgrup-pe zu wecken.

Im Projekt wurde außerdem klar, dass das Alter wie bei je-der Kompetenzfeststellung eine große Rolle spielt: Je älter die Zielgruppe ist, desto mehr berufliche, fachliche Kom-petenzen haben die Teilnehmer, desto mehr können sie mittels Belegen nachweisen und desto mehr können auch mittels des Verfahrens festgestellt werden.

Wie in den meisten internationalen Projekten stellten auch bei INVET die verschiedenen Bildungskulturen eine Her-ausforderung dar, insbesondere wurde dies beim grund-

sätzlichen Verständnis von Kompetenzfeststellungs-Ver-fahren deutlich.

EVC ist in den Niederlanden ein Prinzip, kein fixiertes Verfahren. Es geht dabei um die berufliche und persön-liche Entwicklung und um das Aufzeigen von Potenzialen in einer prinzipiell flexibel und modular gedachten Bil-dungsstruktur. Die für INVET entwickelte EVC-Methodik beruht wie erwähnt auf Selbsteinschätzungen, Belegen und einem Überprüfungsgespräch mit der abschließen-den Bewertung der Kompetenzen durch die Assessoren. Nur sehr selten kommen eine Arbeitsplatzbeobachtung oder Tests hinzu.

Nicht nur in Deutschland haben Prüfungen und Zeugnisse des fixierten formalen Ausbildungssystems aber eine über-ragende Bedeutung. Dies war einer der Gründe dafür, dass die Mehrzahl der deutschen INVET-Projektmitarbeiter, die Lehrer der Berufskollegs und Vertreter der IHK, langfristig befürworten würden, dass im Rahmen des Verfahrens fach-liche und praktische Tests und Prüfungen stattfinden, die die Fachkompetenz analog zur formalen Ausbildung „nach-weisen“. Die eher in der Art eines Personalentwicklungs-gesprächs innerhalb des EVC-Verfahrens durchgeführte Feststellung wurde als zu „weich“ empfunden. Eine solche Anpassung erscheint auch sinnvoll, weil die jugendliche Zielgruppe kaum formale Belege hat und berufliche Kom-petenzen fast ausschließlich „on the job“ erwirbt.

Jugendliche Schausteller sind bereits früh verantwortlich im Geschäftsbetrieb ihrer Eltern tätig. Das INVET-Projekt entwickelte für sie ein Verfahren, das ihre Kompetenzen feststellt und anerkennt. Das INVET-Erfahrungszertifikat, das die Ergebnisse dieses Verfahrens zusammenfasst, ba-siert auf anerkannten BIBB-Ausbildungsbausteinen und führt beruflichfachliche Kompetenzen auf, die der junge Schausteller erworben hat – unabhängig davon, wo sie erworben wurden, ob formal im offiziellen Bildungssystem in der Schule oder informell im Alltag und im Familienbe-trieb. Zudem weist es auf Weiterbildungsoptionen hin und erleichtert den Teilnehmern die Möglichkeit, eine Ausbil-dung zu absolvieren und anerkannte Zertifikate wie das zur „Elektrotechnisch unterwiesenen Person“ (EuP) zu erwerben.

Wie das bei INVET erarbeitete Berufsbild für den Schau-stellerberuf dessen große Vielfalt und hohe Anforderungen herausstellt, trägt das gesamte EVC-Verfahren „Schaustel-

ler“ zur gesellschaftlichen Wertschätzung der Tätigkeit der Schausteller bei und stärkt innerhalb der Zielgruppe die Motivation sich beruflich aus- und weiterzubilden. Als sehr förderlich hat sich dabei erwiesen, dass die Inhalte einer kurzen, überschaubaren und dennoch anerkannten und nützlichen Ausbildung wie der Schulung zur „Elektrisch un-terwiesenen Person“ (EuP) in das INVET-Feststellungsver-fahren aufgenommen wurde.

Des Weiteren hat sich herausgestellt, dass das EVC-Kon-zept auch bei einer jungen Zielgruppe angewendet werden kann, denn die Zielgruppe des INVET-Projekts ist mit einem Alter von ca. 16 bis 18 Jahren deutlich jünger als diejenigen Teilnehmer, die im Regelfall die EVC-Prozedur durchlaufen. Dennoch zeigte sich, dass EVC für diese junge Zielgruppe genutzt werden kann, zum Beispiel um den Kurs zur Erlan-gung des EuP-Zertifikats zu planen und gegebenenfalls die Lernzeit zu verkürzen. In Zukunft kann das INVET-Verfahren auch bei Schaustellern ab einem Alter von etwa 25 Jahren

FAZIT UND AUSBLICK

INVET-Pilotmaßnahme im ebk-Berufskolleg 2016

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angewendet werden, denn dies kann helfen, die Arbeits-markt-Chancen für diese Zielgruppe zu verbessern und zu erweitern, zum Beispiel indem sie Belege für ihre informell erworbenen Kompetenzen erhalten.

Denn dass viele Schausteller keine formale Berufsaus-bildung haben, bedeutet nicht, dass sie nicht ausgebildet werden. Im INVET-Projekt zeigte sich, dass jugendliche Schausteller über große praktische Erfahrung verfügen, jedoch Lücken hinsichtlich der theoretischen Basis haben. Die Schausteller-Ausbildung ist fast ausschließlich eine Anleitung zum praktischen Handeln, eine lebensnahe Aus-bildung auf dem Festplatz, mündlich oder in praktischer Demonstration erklärt und vermittelt. Dies bedeutet auch, dass nur wenig abstraktes, theoretisches und schulisches Wissen und auch nicht die spezifische Fachsprache eines Berufs erworben werden. Wenn es um Fachwissen im Be-ruf geht, kann aber grundlegendes, abstraktes, systemati-sches und theoretisches Wissen nicht übergangen werden. Nicht nur im Fall der Elektronik werden die Grenzen dieses tradierten Learning-by-Doing deutlich – zum Beispiel hin-sichtlich der Beachtung von Sicherheitsregeln.

Der Erwerb von systematischem Grundlagenwissen wie auch die Möglichkeit, informell erworbene Kompetenzen zu belegen, bilden also weitere Ansätze für zukünftige mögliche Fortentwicklungen des INVET-Projekts: In Nord-rhein-Westfalen bildet die „Berufskolleganrechnungs- und -zulassungsverordnung“ (BKAZVO) die formale Vorausset-zung, bestimmte Teile einer Berufsausbildung anzuerken-nen. Die durch die EVC-Prozedur festgestellten Lücken im Grundlagenwissen können über zielgruppenspezifische passgenaue Weiterbildungsmodule geschlossen werden. Zusätzlich könnte die Ausbildung im Familienbetrieb sys-tematischer und nachvollziehbarer betrieben werden, so dass dort dokumentiert wird, was die Kinder und Jugend-lichen im Arbeitsalltag erlernen. Eine solche Ausbildungs-dokumentation kann durch die Jugendlichen nicht nur für den Zugang zum externen Arbeitsmarkt benutzt werden, sondern würde auch die Zulassung zur Externenprüfung bei den Kammern erleichtern, bei der im Vorfeld die prakti-sche Erfahrungen belegt werden müssen.

Zusammenfassend trägt das INVET-Projekt zu einer Pro-fessionalisierung im Schaustellergewerbe bei: Mit den erarbeiteten Konzepten zur Kompetenzfeststellung hat INVET einen weiteren Schritt zur Systematisierung der bislang informellen Ausbildung im Schaustellergewerbe geliefert, die die Zielgruppe zur Verbesserung ihrer beruf-lichen Kompetenzen motivieren und die Betriebe anregen möchte, darüber zu reflektieren, was und wie sie ihre Kinder

ausbilden und wie sie dies verbessern könnten. Wie die Bei-spiele der „Elektrisch unterwiesenen Person“ (EuP) oder der „Fachkraft für festgelegte Tätigkeiten“ zeigen, können passgenaue Zertifikate, die das behandeln, was die jungen Schausteller bei ihren Tätigkeiten brauchen, als Teil der INVET-Kompetenzfeststellung ergänzend genutzt oder zu-künftig entwickelt werden.

Darüber hinaus eröffnen sich durch INVET vielfältige Op-tionen zur Nutzung des EVC-Verfahrens. Beispielsweise können benachteiligte Jugendliche ohne Schul- und Be-rufsabschluss mit Hilfe des EVC-Konzepts ein Portfolio für den Arbeitsmarkt, für Arbeitsvermittler oder potenzielle Arbeitgeber erstellen. Anders als in den Niederlanden gibt es in Deutschland bislang auch keinen Weg für die „klassi-sche“ Zielgruppe des EVC-Kompetenzfeststellungs-Verfah-rens: Ältere Arbeitnehmer erhalten hierdurch die Chance, ihre langjährigen beruflichen Erfahrungen anzuerkennen und damit wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen oder sich beruflich weiterzuentwickeln.

Denn EVC ist ein prinzipiell wertschätzendes Verfahren, das sich eben darauf konzentriert, was der Teilnehmer kann, nicht darauf, was er nicht kann. Es nicht einfach eine Prü-fung, sondern enthält einen starken Beratungsfokus und kann ein Wegweiser auf dem oder den beruflichen Lebens-wegen sein.

Dies wird auch bei einer weiteren möglichen Zielgruppe deutlich: Flüchtlinge haben oft einen hohen informellen Kenntnisstand, können jedoch keine in Deutschland aner-kannten Belege vorweisen. Im EVC-Verfahren nehmen sie aber nicht als Bittsteller mit Sonderstatus teil, für die man bestenfalls einen Sonderweg sucht, der letztlich nur in eine Hilfsarbeit münden kann. Die Leitenden des EVC-Verfah-rens begegnen dem Teilnehmer „auf Augenhöhe“; der Men-tor im EVC-Verfahren unterstützt sie im gesamten Prozess, der eben weit über die Kompetenzfeststellung hinausweist, denn EVC versteht sich als Teil des Gesamtprozesses der beruflichen Bildung. Wie für andere Zielgruppen kann das Kompetenzfeststellungs-Verfahren für Flüchtlinge so die Brücke von ihren informellen Kenntnissen zum formalen, anerkannten Ausbildungssystem werden.

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ANHANG

LEITFADEN

Die folgenden Empfehlungen in Form einer stichpunktar-tigen Checkliste sollen denjenigen Hilfestellung geben, die über die Konzeption eines Projekts zur Entwicklung eines Kompetenzfeststellungsverfahrens nachdenken:

Bedarf• Gibt es Interesse bei der Zielgruppe? • Ist die Zielgruppe wirklich geeignet? Das Alter stellt einen kritischen Faktor bei einem Kompe-

tenzfeststellungs-Verfahren dar: Je älter, desto mehr fest-stellbare Kompetenzen. Je jünger, desto weniger fachliche Kompetenzen. Je mehr Learning by Doing, desto weniger schulische oder theoretisch-systematische Kenntnisse.

• Hat das Projekt Potenzial? Eignet sich das Projekt für die nachhaltige Installation und für andere Zielgruppen?

Zielgruppe• Eignet sich die Zielgruppe?• Verfügt sie über auf dem Arbeitsmarkt gefragte Kompe-

tenzen?• Hat sie durch die Teilnahme am Kompetenzfeststel-

lungs-Verfahren Vorteile und Nutzen? Gibt es einen unmittelbaren Nutzen? Ein indirekter Nutzen kann evtl. nicht ausreichen: Wenn die Nachschulung zur Erlan-gung eines Zertifikats, Abschlusses o. Ä. zu aufwendig ist, wird sich das Feststellungsverfahren aus Sicht der Zielgruppe kaum lohnen.

• Ist Interesse vorhanden? Die Teilnahme an einem Kom-petenzfeststellungsverfahren soll auf Freiwilligkeit und Eigeninteresse beruhen.

• Wie kann Interesse bei der Zielgruppe geweckt werden?

Projektierung• Auswahl des Instruments:

– Achtung, es gibt verschiedene Lern-/Bildungs-/Ar-beits¬kulturen in Europa!

– Bei einer jugendlichen Zielgruppe sollte die meist nur auf Gespräch, Selbsteinschätzung und Belegsamm-lung basierende Methodik durch Tests, praxisbezogene Fertigkeitstests, Simulationen, praktische Arbeitspro-ben und v. a. Arbeitsplatzbeobachtungen ergänzt wer-den.

• Auswahl der Inhalte und Standards (BIBB-Ausbildungs-bausteine scheinen sich wegen der Option der Aner-kennung in Deutschland (Kammern) anzubieten, sind jedoch sehr umfangreich und haben mit EQR-Stufe 4 ein sehr hohes Niveau).

• Welche Ziele kann und will ich erreichen?

AufwandDie Durchführung eines Kompetenzfeststellungsverfah-rens bindet erhebliche Mittel an Personal, Geld, Zeit. Im Regelfall kann ein bestehendes Verfahren nicht einfach übernommen, sondern muss angepasst werden.

Rechtfertigt sich der Aufwand für• Auswahl und Anpassung des Kompetenzfeststellungs-

verfahrens • Schulung der Assessoren/Begleiter/Prüfer. Bei Verfah-

ren zur Feststellung fachlicher Kompetenzen muss mind. ein im entsprechenden Fachwissen und im EVC-Verfah-ren versierter Assessor die Feststellung leiten.

• Organisation• Durchführung

Anerkennung und WeiterqualifizierungEin Kompetenzfeststellungs-Verfahren im pädagogisch „luftleeren Raum“ nützt kaum jemandem – wie können die Ergebnisse verankert werden, gesellschaftlich, beruflich …

• Wie wird das Verfahren anerkannt?• Werden die zuständigen Stellen (IHK, Handwerkskam-

mern usw.) die Ergebnisse anerkennen?• Ist eine Weiterqualifizierung möglich?

Verfahrensdurchführung• Vorbereitung

– Wer führt das Verfahren durch? Schulung der Leiter berücksichtigen.

– Wie, wann und wo soll es durchgeführt werden?– Organisation (zeitlicher Umfang! Ist dies überhaupt zeit-

lich bei der Zielgruppe möglich? Ist sie in der Lage und willens, sich über Stunden zu konzentrieren und sich über Tage/Wochen mit dem Thema zu beschäftigen?)

• Teilnehmerakquise (verschiedene Kanäle nutzen, z. B. Info-Blatt, Facebook, Whats-app)

Aufwand bedenken: Im Regelfall wird eine persönliche Ansprache nötig sein.

• Vorab Informationen – zu Nutzen, Ablauf, Organisation– Betonung, dass es sich nicht um einen „klassischen“

Test handelt.– Checklisten erstellen (insbes. auch zu benötigten Bele-

gen; Proband sollte vorher Zeugnisse heraussuchen und mitbringen, sich Gedanken machen über seine in-for-melle Kenntnisse, Hobbies, berufliche Erfahrungen etc.)

=> ohne Information kein Interesse!

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• Pilot-Test: Den mehrphasigen praktischen Erprobungen sollte ein Hauptaugenmerk gelten, da erst sie die grund-legende Praxistauglichkeit der Konzepte testen. Der Aufwand ist nicht nur für die eigentliche Durchführung erheblich, denn im Regelfall schließen sich daran meh-rere Überarbeitungszyklen des Konzepts an.

• Evaluation

Verbreitung und Nachhaltigkeit• Wie können die Ergebnisse nachhaltig genutzt werden?• Welche Zielgruppen können noch von den Ergebnissen

profitieren?• Wie können die Ergebnisse bei der Zielgruppe und für

andere Gruppen verbreitet werden?

LEITFRAGEN

Die kritische Reflexion vor einer Projektierung zu einem Kompetenzfeststellungsverfahren sollte Folgendes be-rücksichtigen:

• Stimmt das Verhältnis von Aufwand zu Eigeninteresse/Nutzen?

• Der Anpassungsaufwand bereits vorhandener Feststel-lungsverfahren für das eigene Projekt ist – das zeigen auch andere Projekte – enorm.

• Alter -> Kompetenzen: Je älter, desto mehr feststellbare Kompetenzen.

• Korrelationen, die berücksichtigt werden sollten: Je jünger, desto weniger Sinn macht das Verfahren: Je geringer das Alter, desto weniger formale Abschlüsse

und Belege, desto geringer die Kompetenzen und desto geringer der Nutzen des Verfahrens.

Je stärker das Arbeitslernen und insbes. Learning by Doing ausgeprägt, desto weniger schulische und theo-retisch-systematische Kompetenzen.

Je mehr Skepsis der Zielgruppe gegenüber Bildung und theoretischen Kenntnissen, desto weniger formal aner-kennbare fachliche Kompetenzen.

• Die Jobstarter-Ausbildungsbausteine eignen sich nur bedingt als Standard für ein kompetenzorientiertes Kompetenzfeststellungs-Verfahren.

• Die Qualität des Verfahrens und der Verfahrensergeb-nisse ist abhängig von der Qualität der Assessoren (Schulung!).

• Verschiedene Bildungskulturen: Im Unterschied zu an-deren EU-Ländern ist Deutschland traditionell Bildungs-experimenten und flexiblen Strukturen abgeneigt, die Kompetenzfeststellungs-Verfahren voraussetzen. Dies erschwert auch innerhalb von Projekten Zugang und Verständnis zur jeweils anderen „Bildungswelt“ und zu deren Vorstellungen und Konzepten.

• Modulare Konzeption: Auch und gerade eine flexible Baustein-Ausbildung benötigt das Interesse und das Engagement der Zielgruppe.

• Kompetenzorientierung löst nicht alle Probleme von problembehafteten Bildungskarrieren!

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LITERATUR UND LINKS

Das gesamte Projektmaterial ist im Internet verfügbar: www.bra.nrw.de/2941834

Biffl, G. et al., 2012: Anerkennung ausländischer Qualifika-tionen und informeller Kompetenzen in Österreich.www.donau-uni.ac.at/imperia/md/content/department/ migrationglobalisierung/forschung/biffl-anerkennung- validierung-2012.pdf

Busse, G./Eggert, J., 2005: Kompetenzen sichtbar ma-chen. Methoden und Instrumente zur Erfassung und Be-wertung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten im Ver-gleich Deutschland / Niederlande. Nijmegen: KBAwww.uni-muenster.de/imperia/md/content/nieder-landenet/pdfs/kompetenzen_sichtbar_machen.pdf

migranet/IQ (Hrsg.), 2008: Praxishandreichung. Quali-tätsstandards und migrationsspezifische Instrumente. Autoren: IQ-Facharbeitskreis Kompetenzfeststellung und Profiling. Hrsg.: Koordinierungsstelle migranet, Zentral-stelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH).www.migranet.org/images/Publikationen/ 2008_Praxishandreichung.pdf

Käter, F.-J., 2003: Schulische Betreuung von Kindern be-ruflich Reisender unter besonderer Berücksichtigung der Kultur- und Bildungsidentität, Diss.,http://d-nb.info/969719280/34

Schuur, K../Rutishauser, R., 2009: Bildung Beratung Arbeitsmarkt Panorama: Das Modell der Niederlandenhttp://edudoc.ch/record/31549/files/27014da.pdf

Wiarda, J.-M., 2015: Bildungsökonom: Bildungsstand der Flüchtlinge niedriger als vermutetwww.jmwiarda.de/2015/11/19/bildungsökonom- bildungsstand-der-flüchtlinge-niedriger-als-vermutet

WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN

BIBB:www.bibb.de/dokumente/pdf/a1bud_auswahlbiblio-grafie-zertifizierung.pdfwww.bibb.de/de/1309.phpwww.good-practice.de/2925.php

CEDEFOP zu informellem/nonformalem Lernen, Country Report. Germany:http://libserver.cedefop.europa.eu/ vetelib/2011/77458.pdf

VERFAHREN UND METHODEN DER KOM- PETENZFESTSTELLUNG, GRUNDLAGEN

CEDEFOP Leitlinien:www.cedefop.europa.eu/en/Files/4054_DE.PDF

CEDEFOP, 2007: Recognition and validation of non-formal and informal learning for VET teachers and trainers in the EU Member States,www.cedefop.europa.eu/etv/Upload/Information_ resources/Bookshop/480/5174_en.pdf

Enggruber/Bleck: Modelle der Kompetenzfeststellung. www.equal-sachsen-sozialwirtschaft.de/ download/Modelle_gesamt.pdf Kritische Rezeption von Kompetenzfeststellungsmodellen, Kompetenzbereiche (Fach-, Methoden-Sozial-, Personale K., S. 10 ff.), Verfahren/Instrumente S. 19 ff. (Arbeitsproben, Tests (In-telligenz-, Persönlichkeits-, Leistungstests), Biografie-ori-entierte Methoden, Assessment-Center Verfahren):Verfahren in der Praxis, S. 41 ff.Grafik Kompetenzfeststellungsverfahren, S. 43Beispiel aus der Praxis, S. 49 ff.Klassifizierung der Methoden 67 ff.: Diskussion, Deklarati-ve Methoden, Interview, Beobachtung, Portfolio-Methode, Präsentation, Simulation und durch Arbeitssituationen ge-wonnene Nachweise, Tests und Prüfungen.

migranet/IQ (Hrsg.), 2008: Praxishandreichung. Quali-tätsstandards und migrationsspezifische Instrumente. Autoren: IQ-Facharbeitskreis Kompetenzfeststellung und Profiling. Hrsg.: Koordinierungsstelle migranet, Zentral-stelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH).www.migranet.org/images/Publikationen/ 2008_Praxishandreichung.pdfAusführliche praxisorientierte Beschreibung von Verfahren

EVC-VERFAHREN

Busse, G./Eggert, J., 2005: Kompetenzen sichtbar ma-chen. Methoden und Instrumente zur Erfassung und Be-wertung beruflicher Kenntnisse und Fertigkeiten im Ver-gleich Deutschland / Niederlande. Nijmegen: KBA, www.uni-muenster.de/imperia/md/content/nieder-landenet/pdfs/kompetenzen_sichtbar_machen.pdfÜbersicht EVC 36 ff.

BIBB:www.bibb.de/dokumente/pdf/Statement_Hoevels.pdf

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Schuur, K./ Rutishauser, R., 2009: Bildung Beratung Ar-beitsmarkt Panorama: Das Modell der Niederlanden, http://edudoc.ch/record/31549/files/27014da.pdf

Normierungskodex EVC:www.alice.ch/de/sveb/projekte/abgeschlosse-ne-projekte/professionalisierung/ibak/?tx_dam-downloadcenter_pi1%5Bfile%5D=2055&cHash=e-041af4ad84a11311cdd9cfdf40f2a3c

Frietman en Meijer (2005) Het FLEXIS project. Nijmegen, KBA.www.caometalektro.nl/romcao.nl/duurzame-inzet-baarheid/evc/evcwww.nationaal-kenniscentrum-evc.nlwww.ervaringscertificaat.nl

SCHAUSTELLER UND BERUFLICHE BILDUNG

Vorgängerprojekte Bekosch. evis, Käter, F.-J., 2003: Schu-lische Betreuung von Kindern beruflich Reisender unter besonderer Berücksichtigung der Kultur- und Bildungsi-dentität, Diss.,http://d-nb.info/969719280/34

Christian Gleser, 2011: Bildung für Kinder von Schaustel-lern, Circusangehörigen und fahrenden Händlern – Schul-karrieren auf Reisen

evis-Projekt,www.schule-unterwegs.de/downloads/broschuere.pdf

elvetwww.elvet.eu

Projekthandbuch auf Anfrage beim Mulvany-Berufs- kolleg, Herne: [email protected]

Ett-eduwww.ett-edu.eu

Zusammenfassung in adam Projektdatenbank. Deutsch. www.adam-europe.eu/adam/project/view.htm? prj=8368&projLang=de

Projektflyerwww.ett-edu.eu/images/stories/Projekt/Projekt-Flyer-DE-120514.pdf

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