Irving David - Mord aus Staatsräson

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David Irving

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Churchill und Sikorski —eine tragische Allianz

Focal Point Publications

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P

Inhalt

ERSTER TEIL

Sikorski und die große Allianz

I. »Soldaten müssen sterben« ..............................................Q

II. Sechs Wochen zu früh.................................................... PU

ZWEITER TEIL

Die Katastrophe

III. Farce und Tragödie ........................................................ RM

IV. Bergung und Untersuchung .......................................... TP

V. Winston Churchill im Gebet versunken ...................... NNQ

VI. Postsäcke und Frachtbriefe ........................................... NNU

DRITTER TEIL

Fragen ohne Antwort

VII. Die Präzedenzfälle ........................................................ NQS

VIII. Post Mortem.................................................................. NTR

IX. Ergebnisse .....................................................................OMM

Anhang...........................................................................ONS

Anmerkungen und Quellenangaben ............................ONU

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Q

ERSTER TEIL

Sikorski und die große Allianz

I. »Soldaten müssen sterben«

Gibraltar, U.PM Uhr.

Schweigende Menschenmassen drängen sich auf den Bürgersteigen der

engen Straßen, die von der Kathedrale der Himmelskönigin Maria zu den

Marinedocks führen. Die Zuschauer, ob Briten oder Spanier, werden in

der aufsteigenden Hitze langsam unruhig und recken die Hälse, um einen

Blick über die Truppenspaliere werfen zu können. Die Sonne steigt über

dem Mittelmeer empor, und hoch oben in den unterirdischen Befestig-

ungen des Kalkfelsens von Gibraltar haben britische Wachtposten Stellung

bezogen. Aus der Ferne vernimmt man dumpfen Marschrhythmus und

das Klappern harter Absätze auf dem alten Kopfsteinpflaster.

In den Truppenkantinen der Briten sind alle verfügbaren Eisblöcke

aufgeboten worden, um den einfachen, von der polnischen Flagge bedeck-

ten Sarg aus Kiefernholz vor den Strahlen der Sonne zu schützen. Das Eis

hat sich in der Hitze an vielen Stellen gespalten, ist blasig geworden und

gibt schimmernde Prismen der polnischen Nationalfarben frei. Der Sarg

birgt den in eine Marinedecke gehüllten Körper von General Wladyslaw

Sikorski, Polens größtem Sohn. Ein Traktor mit sechs mächtigen Rädern

zieht die Lafette, auf der der Sarg ruht. Einmal pro Minute wird die Pro-

zession zu den Docks vom Salutschuß des Siebzehner-Geschützes oben im

Fort donnernd unterbrochen.

Die britische Regierung hat versprochen, die sterblichen Überreste des

polnischen Ministerpräsidenten in seine Heimat zu überführen, sobald der

Krieg gewonnen sei. Dieses Versprechen wird sie niemals einlösen.

Eine Kompanie des Leichten Infanterieregiments Somerset folgt dem

Sarg; an ihrer Spitze marschieren Offiziere der Alliierten, die fünf Tage

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R

zuvor erst den General in Gibraltar willkommen geheißen haben. Der

katholische Bischof, mit weißer Mitra und in vollem Begräbnisornat,

schreitet direkt hinter der Lafette. Im Leichenzug befinden sich außerdem

hundert polnische Soldaten in britischer Kampfuniform; die Zuschauer

können den grimmig-entschlossenen Ausdruck in ihren Gesichtern gut

erkennen. Vom Turm der Kathedrale klingt dumpfes Glockengeläute, und

auch die Besatzung des im Marinedock liegenden polnischen Kriegsschiffes

weiß nun, daß sich die Sterbeprozession in Bewegung gesetzt hatÁ.

Der Pilot, der als einziger den Absturz der Unglücksmaschine über-

lebte, befindet sich im nur eine Meile entfernten Militärhospital. Nach den

Berichten der Zeitungen hat er furchtbare Verletzungen erlitten und ist

noch nicht vernehmungsfähig. Die Prozession hat gerade Convent Square

hinter sich gelassen und passiert eine Straße, in der die Geschäfte geschlos-

sen, die Fensterläden zugeklappt sind; weißgetünchte Wände mit maur-

ischen Verzierungen bilden hier die Szenerie. Die Lafette mit dem Sarg

durchquert die Southport Gates und wird neben den polnischen Zerstörer

gefahren, der Sikorskis Leichnam mit sich nehmen soll. Kräftige Soldaten

heben den mit der polnischen Flagge drapierten Sarg ihres toten Ober-

befehlshabers auf die Schultern und tragen ihn über die Gangway auf

Deck. Der klagende Ton einer Maatspfeife ertönt, während auf dem Kai

eine britische Militärkapelle die polnische Nationalhymne intoniert. Vier

polnische Soldaten beziehen beim Sarg Wachestellung und die »Orkan«

sticht in See.

»Soldaten müssen sterben � durch ihren Tod jedoch verhelfen sie dem

Vaterland, das sie gebar, zum Leben.« So tröstete Winston Churchill die

polnische Nation in der Stunde ihres größten SchmerzesË. Ja, Sikorski ist

tot. Doch welches Schicksal mußte Polen nach seinem Tod erleiden!

1

General Sikorski war SO Jahre alt, als er starb. Nachdem er polnischer

Generalstabschef gewesen war, ernannte man ihn NVOO zum Minister-

präsidenten seines Landes; damals stand Polen schwerwiegenden außen-

politischen Problemen gegenüber. Sikorski bestimmte die Innen- und

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S

Außenpolitik und tat auch später, als Minister der polnischen Regierung,

viel für sein Land, bevor er sich im Jahre NVOR ins Privatleben zurückzog.

Nach Polens Niederlage und der Teilung zwischen Deutschland und der

Sowjetunion im Jahre NVPV entkam er nach Paris, wo man ihn bewog, eine

polnische Exilregierung zu bildenÈ.

Von allen damaligen Exilregierungs-Chefs war wohl keiner so ange-

sehen, keiner so realistisch in der Einschätzung der Lage wie Sikorski.

Hätte Stalin durch seine gegen den Westen gerichtete imperialistische

Expansionspolitik nicht schon lange Zeit vorher die polnische Tragödie

eingeleitet, wären die nun folgenden Darlegungen vielleicht ungeschrieben

geblieben. Die Russen hatten Sikorskis Persönlichkeit in ihren Plänen nicht

berücksichtigt. Auch im Exil bewahrte er den Zusammenhalt seiner

Landesregierung und erreichte es, vom weitaus größten Teil der im

okkupierten Polen zurückgebliebenen Bevölkerung respektiert und

anerkannt zu werden. Stolz hatte er oft bemerkt, daß die Deutschen in

ganz Polen nicht einen einzigen Mann von Bedeutung finden könnten, der

� wie Vidkun Quisling in Norwegen � zur Kollaboration bereit war.

Polnische Soldaten hatten in Frankreich und Norwegen tapfer wie nur

wenige gekämpft, polnische Luftwaffenangehörige hatten geholfen, den

Himmel über London zu verteidigen, und nahmen noch an der erbitterten

Schlacht der Royal Air Force um die Vorherrschaft über den deutschen

Luftraum teil. Die große, von Sikorski aufgebaute polnische Exilarmee

leistete im Krieg einen wichtigen Beitrag. Keiner der Alliierten hätte gern

auf die polnischen Truppen verzichtet.

Als im Sommer NVQN die Deutschen in Rußland einfielen, erkannte

General Sikorski als einer der ersten, wie wichtig es war, die Zwistigkeiten

der Vergangenheit zu vergessen. Er war der eigentliche Urheber jenes

»ehrenvollen« Abkommens, das im Juli NVQN von der polnischen Regierung

und der Sowjetunion unterzeichnet wurde. In einer der wichtigsten

Klauseln bekräftigten die Russen ausdrücklich, daß der deutsch-sowjet-

ische Vertrag aus dem Jahre NVPV null und nichtig sei. Nach Interpretation

der Regierung Sikorskis garantierten die Sowjets außerdem, mehr als eine

Million Polen freizugeben, die von ihnen deportiert worden waren. Auch

stimmten sie der Aufstellung einer polnischen Armee auf sowjetischem

Boden zu. Die beiden letzten Punkte sind von entscheidender Bedeutung.

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T

Im Dezember NVQN reiste General Sikorski nach Moskau, um mit

Generalissimus Stalin zu verhandeln. Der Staatschef der UdSSR erklärte

am Schluß des Besuches, auch er befürworte die Bildung eines starken und

freien Polen nach dem Kriege � ein Versprechen, das er nach dem Tod

Sikorskis im Jahre NVQP wiederholen sollte. Dem polnischen Minister-

präsidenten wurde allerdings schon im Frühjahr NVQO klar, daß die Sowjet-

union auch nach Kriegsende bestimmte Absichten mit Polen haben würde.

Dabei würde sie auch Forderungen stellen, denen er nach dem Willen

seines Volkes keineswegs nachgeben durfte.

Die diplomatische Offensive der Sowjets setzte ein, als die Rote Armee

ihren ersten großen Triumph feierte: die Deutschen waren vor Moskau

zurückgeschlagen worden. Gleichzeitig sank das Kriegsglück der Alliierten

auf einen Nullpunkt, und es erschien nicht opportun, über zukünftige

Grenzziehungen zu verhandeln. Am S. Januar NVQO ließen die Russen in

allen ausländischen Botschaften und Missionen Moskaus ein Memoran-

dum zirkulieren, in dem unter anderem von der polnischen Stadt Lemberg

als einer der »anderen Städte der Ukraine«Í die Rede war. Ein von den

Alliierten zu diesem Zeitpunkt vorgebrachter scharfer Protest hätte viel-

leicht positive Wirkungen gehabt � diese heikle Aufgabe überließ man

jedoch dem polnischen Botschafter in Moskau, Professor Kot. Er deutete

an, es habe wohl ein Mißverständnis gegebenÎ. Die Sowjets ignorierten den

Einspruch und protestierten ihrerseits gegen »beleidigende« Äußerungen

der polnischen Regierung, die von einer »Okkupation« der Westukraine

und des westlichen Weißrutheniens durch die Sowjets gesprochen hatte. In

der Tat hatten diese Gebiete vor NVPV zu Polen gehört � die UdSSR schien

aber offensichtlich nicht bereit zu sein, nach Kriegsende darauf zu

verzichten. Was Lemberg betraf, so teilte das sowjetische

Außenministerium mit, handle es sich hier um eine russische Stadt, und

die Polen seien gar nicht in der Lage, über historische und rechtliche

Begründungen des sowjetischen Anspruchs zu debattieren: gegebenenfalls

würde Molotow die Annahme aller Noten verweigern, in denen die Polen

ihren Standpunkt weiterhin verteidigtenÏ. Am OS. Januar wurde klar, wie

weit die Russen mit ihren territorialen Forderungen gehen würden.

Damals berichtete der bei der Sowjetregierung akkreditierte englische

Botschafter, Sir Stafford Cripps, General Sikorski über seine privaten

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U

Erkundigungen in Moskau. Stalin wolle das deutsche Ostpreußen dem

westlichen Polen angliedern, gleichzeitig aber Polens Ostgrenze beträcht-

lich zurückverlegen: selbst in nichtamtlichen russischen Kreisen wurde in

diesem Zusammenhang schon die Curzon-Linie* erwähnt.

»Mit einem Wort: Polen von Osten nach Westen drücken!« bemerkte

Sikorski und unterstrich gleichzeitig: »Das kann jedoch niemals ohne

polnische Zustimmung geschehenÌ.«

NVOM hatte General Sikorski diese polnischen Ostgebiete zurückerobert.

Wenn die westlichen Alliierten und die Sowjetunion sich irgendwie über

die territorialen Ansprüche Rußlands an Polen geeinigt hätten, hätte er mit

Sicherheit unerbittlich dagegen opponiert. Am OV. August NVNU hatten

Lenin und Karachan auf sowjetischer Seite ein Abkommen unterzeichnet,

in dem alle vorangegangenen Verträge über die polnischen Teilungen (in

den Jahren NTTO, NTVP und NTVR) annulliert wurden. NVNV besetzten

sowjetische Truppen Wilna, und im folgenden Jahr wurden die polnischen

Armeen bis kurz vor Warschau zurückgedrängt. Hier widerstand Sikorski

mit seiner R. Armee allen weiteren Angriffen und leistete dabei � Zeit-

genossen sprachen von einer der entscheidenden Schlachten der Welt-

geschichte � einen wesentlichen Beitrag zur Gegenoffensive Marschall

Pilsudskis, die zum polnischen Sieg führte. Im März NVON legte man im

Vertrag von Riga die neue russisch-polnische Grenze fest. Polen verzichtete

auf ungefähr RR Prozent seines ehemaligen Staatsgebietes und verpflichtete

sich in aller Form, auch in Zukunft keine diesbezüglichen Ansprüche mehr

zu stellen. Die Souveränität des restlichen polnischen Territoriums wurde

von den Sowjets jedoch garantiert. Bald darauf ernannte man den

Nationalhelden Sikorski zum Ministerpräsidenten.

Vielleicht wäre es der Sowjetunion nach Überwindung einiger Schwier-

igkeiten mit anderen polnischen Führern gelungen, eine Grenzrevision wie

* Über Geschichte und Bedeutung der Curzon-Linie s. Sir Llewellyn Woodward, BritishForeign Policy in the Second World War, London NVSO (HMSO), S. OMN, Fußnote. Im JuliNVOM hatten die Russen im polnisch-sowjetischen Krieg die Oberhand gewonnen. LordCurzon schlug damals vor, die polnischen Truppen sollten sich bis zu dieser fiktivenGrenze zurückziehen. Obgleich die Polen einverstanden waren, hatten sich die Russengeweigert und waren anschließend von den Polen ganz entscheidend zurückgeschlagenworden. Im Vertrag von Riga wurde acht Monate später die endgültige Grenze bestimmt:sie verlief bedeutend weiter östlich als die noch kurz zuvor von den Russen abgelehnteCurzon-Linie.

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V

die NVQO beabsichtigte zu vereinbaren. Sikorski aber beharrte auf seinem

Standpunkt, daß Polen keinesfalls allein mit territorialen Verlusten aus

dem Krieg hervorgehen dürfe. Ende Januar NVQO erörterte er mit Winston

Churchill die wachsende Bedrohung der polnischen Souveränität durch

die Sowjets. Scharfsichtig riet er dem britischen Premier, den

angekündigten Besuch bei Stalin bis zu einer neuen Niederlage der Roten

Armee zu verschieben; ein solcher Fall würde sicher bald eintreten.

Sikorski erklärte weiter, die Offensive der Deutschen werde im Mai oder

Juni beginnen und sich höchstwahrscheinlich nach Süden gegen den

Kaukasus richten. Dann würden die Angriffe gegen Moskau und

Leningrad zumindest teilweise eingestellt. Erst dann, wenn die Lage der

Russen ungünstig sei und sie eventuell zu Zugeständnissen bereit wären,

sei der richtige Zeitpunkt für eine diplomatische Mission in Moskau

gekommen. Über den Besuch, den Anthony Eden in der sowjetischen

Hauptstadt gemacht hatte und der ohne Erfolg blieb, machte Sikorski

seinem Ärger offen Luft. Churchill versprach dem polnischen

Ministerpräsidenten feierlich, daß »das Problem der zukünftigen Staats-

grenzen in Europa auf keinen Fall erörtert würde, bevor der Sieg nicht

errungen wäre«Ó. Während der folgenden Wochen verstärkten die von den

Sowjets kontrollierten Rundfunkstationen Propagandasendungen mit

Ansprüchen auf Polens Ostgebiete, und General Sikorski begann einzu-

sehen, daß die von Churchill mündlich vorgetragene Garantieerklärung

möglicherweise nicht ausreichend seiÔ.

Dem amerikanischen Präsidenten gegenüber äußerte sich Churchill in

der Tat bereits ganz anders. Am T. März schlug er Roosevelt vor: »Die

Grundsätze der Atlantik-Charta* sollten nicht dahingehend ausgelegt

werden, daß man Rußland die zu Beginn des deutschen Angriffs besetzten

Grenzen verweigert.« Wie man weiß, waren die sowjetischen Grenzen um

das Jahr NVQM vorgeschoben worden und umfaßten nicht nur die baltischen

Staaten, sondern auch jene Hälfte Polens, die Hitler in seinem Pakt mit

Stalin NVPV der Sowjetunion zugesprochen hatte. Am V. März sandte

* Laut der von Churchill und Roosevelt am NO. August NVQN unterzeichneten Atlantik-Charta wollten England und Amerika nicht nach territorialer oder anderer Expansionstreben; sie wünschten außerdem »keine territorialen Veränderungen, die nicht mit denfrei geäußerten Wünschen der betroffenen Völker in Einklang stehen«. Polen und auchdie Sowjetunion traten nacheinander der Charta bei.

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NM

Churchill an Stalin folgendes Telegramm: »Ich habe Präsident Roosevelt

eine Erklärung gesandt und ihn darin aufgefordert, unserer mit Ihnen

unterzeichneten Abmachung bezüglich der russischen Grenzziehung am

Ende des Krieges zuzustimmen.« Wider Erwarten verweigerte Roosevelt

seine Zustimmung jedoch und informierte die Russen, er werde keinem

Vertrag � sei es ein geheimer oder ein offener � über Grenzprobleme

beitreten, ehe der Krieg beendet sei. Bis zum Frühjahr NVQP blieb er seinem

Grundsatz treu.

Inzwischen waren Gerüchte über bevorstehende anglo-sowjetische

Vereinbarungen zur polnischen Regierung gedrungen. Im Laufe einer

Unterredung mit Churchill und Anthony Eden äußerte Sikorski seine

Befürchtungen; allerdings kannte er damals die erst kurz vorher zwischen

Churchill, Roosevelt und Stalin über dieses Problem ausgetauschten Noten

noch nicht. Er protestierte gegen die eindeutig feindselige Haltung der

Sowjetunion gegen Polen, eine Haltung, die sich trotz des großen Opfers,

das sein Land gebracht habe, als es im Juli NVQN den Vertrag mit der UdSSR

schloß, nicht geändert habe. Seinerzeit hätten die Polen den Mantel des

Schweigens über das Unrecht gebreitet, das sie durch die russische

Aggression, bei der die Russen noch mit Hitler gemeinsame Sache gemacht

hätten, erdulden mußten.

Sikorski erfuhr bald, daß England ein Abkommen mit der Sowjetunion

vorbereitete. Er betrachtete dieses Vorhaben als reinen Wahnsinn, solange

man die Russen nicht zu angemessenen Gegenleistungen bewegen konnte,

und wies darauf hin, daß er es nicht »auf sein Gewissen nehmen« könne,

die Folgen eines britischen Einverständnisses mit den sowjetischen

Territorialansprüchen zu akzeptieren. Diese Worte sollten keine Drohung

sein � klar war aber nun, daß man möglichst umgehend die gegenseitigen

Verpflichtungen festlegen mußte.

Winston Churchill hat später behauptet, seine persönliche Einschätz-

ung der Sowjetunion wäre nur in unbedeutenden Punkten von der

Meinung des Generals abgewichen. Er betonte allerdings, die Russen

hätten als einzige Nation erfolgreich gegen die Deutschen gekämpft: »Sie

hatten Millionen von deutschen Soldaten vernichtet, und zu dieser Zeit

schien uns nicht der Sieg, sondern Tod oder Überleben der mit uns

verbündeten Völker das wichtigste Kriegsziel. Hätte Rußland einen Vertrag

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NN

mit Deutschland geschlossen, wäre alles verloren gewesen. Bei einem Sieg

würde die Sowjetunion über ihre Grenzen entschieden haben, ohne

Großbritannien vorher zu konsultieren; bei einer Niederlage wäre das

Abkommen bedeutungslos geworden.«

General Sikorski ließ keinen Zweifel daran, daß er sich bei einer

tatsächlichen Verständigung der Engländer mit den Russen nicht länger in

der Lage sähe, bestimmte Informationen weiter zurückzuhalten. Dieses

Material sei bereits ausgearbeitet, auf seinen ausdrücklichen Befehl hin

aber noch nicht veröffentlicht worden. Es »würde der Weltmeinung das

wahre Gesicht der Russen und ihr brutales Machtstreben offenbaren«ÁÊ.

Churchill versprach nichts, wünschte Sikorski aber eine gute Reise � der

polnische Ministerpräsident wollte einige Tage später nach Washington

fliegen. Er drückte außerdem die Hoffnung aus, Sikorski möge mit seinen

Bemühungen um Unterstützung in der polnischen Grenzfrage bei

Roosevelt Erfolg haben. Wie sich in Washington zeigen sollte, bezog

Roosevelt in dieser Angelegenheit eine weit festere Position als Chur-

chill*ÁÁ: die Regierung der Vereinigten Staaten gab den Entschluß bekannt,

auf keinen Fall von ihrem Prinzip abzuweichen, vor Kriegsende irgend-

welche territorialen Fragen zu klären, während die britische Regierung

durchblicken ließ, sie wolle auch weiterhin mit der UdSSR über Nach-

kriegsgrenzen verhandeln (Anthony Eden hatte allerdings dementiert, daß

dies der eigentliche Sinn der Verhandlungen seiÁË).

Letzten Endes war es nur den zwingenden Einwänden Sikorskis zu

verdanken, wenn man im anglo-sowjetischen Abkommen den Russen

nicht noch größere territoriale Zugeständnisse machte. Der Vertrag wurde

am OS. Mai NVQO unterzeichnetÁÈ. Gegen Ende August litt dann die

Sowjetunion wieder einmal unter einer deutschen Offensive � wie von

Sikorski vorausgesagt, richtete sich der Angriff gegen den Kaukasus. Einige

Wochen lang hatte man in Moskau darauf verzichtet, die Ansprüche auf

polnisches Gebiet zu wiederholen, und bei einer zu dieser Zeit

stattfindenden Unterredung zwischen Sikorski und Churchill versprach

der britische Premier, auf der Friedenskonferenz nach Ende des Krieges

* In einer Unterredung mit Sikorski am PN. Januar NVQO hatte Winston Churchill u. a.geäußert, Großbritannien fürchte den Kommunismus nicht: wenn Europa denKommunismus akzeptiere, würde Großbritannien sich ihm auch nicht entgegenstellen.

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NO

den polnischen Standpunkt zu unterstützenÁÍ. Damit schien die erste

größere Krise um die polnischen Ostgrenzen zunächst einmal glücklich

überstanden.

2

Nun, da die Grenzstreitigkeiten allem Anschein nach abgeflaut waren,

wurde in den polnischen Exilkreisen Londons eine neue Sorge wach. Es

ging nicht mehr um das Staatsgebiet, sondern um die polnische

Bevölkerung selbst: nach der Besetzung Ostpolens durch die Rote Armee

im Jahre NVPV hatten die Russen mehr als eine Million Polen in das Innere

der Sowjetunion verschleppt; Zehntausende von Offizieren und Mann-

schaften der früheren polnischen Armee waren in verschiedenen

russischen Kriegsgefangenenlagern interniert worden. Mit Unterzeichnung

des polnisch-sowjetischen Vertrages hatte man den Polen NVQN

zugestanden, unter General Wladyslaw Anders auf sowjetischem Boden

eine kleine Armee aufzustellen, und Sikorski hatte vor, sie bis auf mehrere

Divisionen auszubauen. Weiterhin sollte den Polen gestattet werden, für

das Wohl ihrer deportierten Landsleute zu sorgen; der Aufenthaltsort war

nur bei ungefähr QMM.MMM von ihnen mit einiger Sicherheit festzustellen.

Im Laufe des Jahres NVQO gerieten die Polen in London immer stärker in

Sorge, und ihre dunklen Ahnungen schienen sich zu bestätigen. Im Januar

hatte der polnische Außenminister den bei seiner Regierung akkreditierten

russischen Botschafter, Alexander Bogomolow, informiert, nicht weniger

als NO Generäle, VQ Obersten, OSP Hauptleute und rund T.UMM weitere

Offiziere seien bis jetzt noch nicht freigelassen worden. Sie befanden sich

in den drei russischen Kriegsgefangenenlagern von Kozielsk, Starobielsk

und OstachkowÁÎ. Erst zwei Monate später antwortete Bogomolow, ent-

sprechend den Vereinbarungen von NVQN seien auch diese Gefangenen

freigelassen worden � die Polen müßten sich nun selbst bemühen, ihren

derzeitigen Aufenthaltsort ausfindig zu machenÁÏ. Man benötigte die

Offiziere dringend für die Aufstellung der polnischen Armee in der Sowjet-

union, doch jeder weitere Versuch der Polen, sich über die angebliche

Freilassung Gewißheit zu verschaffen, schlug fehl. Die Russen waren in

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NP

dieser Frage nicht zur Zusammenarbeit bereit.

Anfang April NVQM hatte man zuletzt Nachricht über die gefangenen

Offiziere erhalten: sowjetische Behörden begannen damals, die Gefangenen

aus den drei Lagern in Abständen von wenigen Tagen truppweise nach

unbekannten Zielorten im Gebiet von Smolensk zu deportieren NT. Danach

waren die bisher vereinzelt eingetroffenen Briefe dieser polnischen

Kriegsgefangenen ganz ausgeblieben, und man hatte nichts mehr von

ihnen gehört.

Wer die letzten Eintragungen im erhaltenen Tagebuch eines der

polnischen Internierten aufmerksam verfolgt, ahnt die Wahrheit über das

tragische Schicksal der Männer, die so tapfer gekämpft hatten, als ihre

Heimat von den Armeen Hitlers und Stalins überrannt worden war. Der

polnische Major Adam Solski beschreibt in seinem Tagebuch, was ihm

und seinen gefangenen Kameraden widerfuhr, nachdem der Trupp am T.

April NVQM das Lager Kozielsk verlassen hatte:

Sonntag, T. April NVQM: . . . Nachdem man uns um NQ.QR Uhrgesammelt hatte, verließen wir Mauern und Drahtverhaue desLagers Kozielsk (Gorki lebte einmal in diesem Ort). Um NS.RRUhr (nach polnischer Zeit NQ.RR Uhr) wurden wir auf einemNebengleis in Kozielsk in Gefangenenwaggons verfrachtet. Manbehauptet, in der Sowjetunion bestünden RM Prozent der Per-sonenzüge aus Gefangenenwaggons. Mit mir kommen JosefKutyba, Hauptmann Paul Szyfter, einige Majore, Oberstleut-nante und Hauptleute � im ganzen zwölf Mann. Der Platz reichthöchstens für sieben Personen.

U. April NVQM: Nachts um P Uhr Abfahrt vom Bahnhof Koz-ielsk, westwärts, um V.PM Eintreffen im Bahnhof Jelnia; seit NOUhr stehen wir auf einem Nebengleis in Smolensk.

V. April NVQM: Man weckt uns kurz vor R Uhr und trifft Vor-bereitungen für die Abfahrt. Wir sollen mit Lastwagen irgend-wohin transportiert werden. Was dann?

Seit der Morgendämmerung hat der Tag einen außerge-wöhnlichen Verlauf genommen. Abfahrt in zellenähnlichen Ab-teilen (fürchterlich) in Gefangenentransportwagen. Irgendwo ineinen Wald gefahren, zu einem landhausähnlichen Gebäude.Hier eine Sonderdurchsuchung. Ich wurde meine Uhr los, dieS.PM (U.PM) anzeigte, man fragte mich nach meinem Ehering.Rubel, Gürtel und Taschenmesser weggenommenÁÓ.

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NQ

Soweit der letzte Eintrag des polnischen Majors: bei dem von ihm

erwähnten »Wald« handelt es sich um den Wald von Katyn � die ganze

Welt weiß inzwischen, was sich dort zutrug.

Mehr als zwei Jahre waren seitdem vergangen. Im Winter NVQO erlitten

die Deutschen vor Stalingrad ihre erste große Niederlage; Ansehen und

Macht der Sowjetunion hatten einen Höhepunkt erreicht. Am NS. Januar

NVQP brach dann der wirkliche Sturm über Polen los, und dieses Mal

leugnete man nicht, daß die Initiative von Moskau ausging. Die sowjet-

ische Regierung nützte Churchills vorübergehende Abwesenheit von

England aus � er befand sich zu dieser Zeit in Nordafrika � und sandte an

die Polnische Botschaft eine Note mit der Ankündigung, daß man künftig

alle Bewohner des von der UdSSR NVPV annektierten Teils von Polen als

sowjetische Bürger betrachten werde, ob sie nun polnischer Herkunft seien

oder nichtÁÔ. Polnische Nachforschungen über das Schicksal der nach der

sowjetischen Invasion NVPV deportierten Polen � es waren ein bis zwei

Millionen � wurden mit der Bemerkung zurückgewiesen, die Regierung

eines fremden Staates habe nicht das Recht, sich über »sowjetische Bürger«

zu informieren. Dieser Trick funktionierte allerdings nur einmal: als man

kurz darauf auf russischem Boden die ersten Massengräber mit Tausenden

von polnischen Offizieren entdeckte, konnten die Sowjets unmöglich

behaupten, diese Offiziere seien posthum ebenfalls russische Bürger

geworden . . .

General Sikorski wies auch weiterhin sämtliche Territorialansprüche

der Sowjets mit Entschiedenheit zurück. In einer Rede vor dem Nationalen

Ministerrat erklärte er am Q. Februar in London: »Allein die Grundsätze

der Atlantik-Charta und der Vertrag von Riga sind bei der Festsetzung der

polnischen Ostgrenze gültig.« Vier Tage später veröffentlichte Dziennik

Polski, eine der in London erscheinenden polnischen Exilzeitungen, eine

neue Erklärung des Generals: »Wir sind der festen Überzeugung, daß sich

die Zusammenarbeit zwischen Polen und Rußland in Übereinstimmung

mit der sowohl von der UdSSR als auch von Polen unterzeichneten

Atlantik-Charta vollziehen wird. Nach meiner Unterhaltung mit Stalin war

ich überzeugt, auch er wünsche ein großes und starkes Polen. Mit mir

hofft die gesamte polnische Nation, daß sich diese Haltung Rußlands nicht

ändern möge.«

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NR

Im Februar NVQP schrieb der ehemalige westukrainische (also poln-

ische) Politiker Alexander Kornejtsdiuk jedoch einen Artikel im amtlichen

kommunistischen Parteiorgan Prawda, in dem zum erstenmal die russ-

ischen Ansprüche auf Ostpolen unverblümt konstatiert wurden. Als die

Sowjetische Botschaft in Washington den Artikel in Broschürenform ver-

breiten ließ, konnte die polnische Regierung in London diese Provokation

nicht länger ignorieren. Sie veröffentlichte einen offenen Bericht mit der

Erklärung, man betrachte allein die Grenzen vom N. September NVPV als

gültig; das entsprach auch den Grundsätzen der Atlantik-Charta. Am

folgenden Tag bekräftigte der polnische Nationalrat die Erklärung durch

eine weitere Deklaration: der Status quo könne in keiner Weise durch

»einseitiges und illegales Vorgehen einer der beteiligten Seiten« geändert

werden, ob es nun um polnisches Staatsgebiet oder um polnische Bürger

gehe. Außerdem dürfe es keine Rolle spielen, ob die polnischen Bürger sich

innerhalb oder außerhalb ihres souveränen Staatsgebiets befändenËÊ.

Abermals wurden sich die Polen bewußt, daß die Alliierten nun nicht

mehr zögern durften, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. In Washington

deutete der polnische Botschafter Präsident Roosevelt gegenüber an, auch

für die Vereinigten Staaten sei eine eindeutige Stellungnahme von lebens-

wichtigem Interesse. Ihre Regierung solle kein einseitiges Vorgehen irgend-

eines Staates gegen eine andere Nation in diesem Krieg anerkennen. In

London versuchte der polnische Außenminister Graf Raczynski, seinen

britischen Kollegen Anthony Eden zu einer ähnlichen Deklaration zu

veranlassen. Hatte jener nicht Sikorski im Juli NVQN persönlich versichert,

»die Regierung Ihrer Majestät erkennt keine von den seit August NVPV in

Polen vorgenommenen territorialen Veränderungen an«? Raczynski wies

Eden auf die große »Aufregung« hin, die sowohl unter den Polen in

Großbritannien als auch unter ihren Landsleuten im Nahen Osten über die

russischen Provokationen herrsche. Er erwähnte außerdem die betont

zurückhaltende Reaktion seiner eigenen Regierung � General Sikorski

plane, wohl wegen der dort herrschenden Unruhe, lediglich eine Inspek-

tionsreise zu den polnischen Truppen im Nahen OstenËÁ. Die polnischen

Vorschläge konnten jedoch weder Washington noch London zu

tatsächlichen Schritten veranlassen.

Am N. März NVQP erklärte die sowjetische Nachrichtenagentur TASS in

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NS

aller Breite, es müsse nun überall klar sein, daß die polnische Regierung in

London »historische Rechte« des ukrainischen und weißrussischen Volkes

auf Wiedervereinigung mit den russischen »Blutsbrüdern«ËË mißachte.

Nach dem weiteren Wortlaut der Erklärung hatte sogar der wohlbekannte

britische Minister Lord Curzon »trotz seiner Feindschaft gegen die

Sowjetunion« anerkannt, Polen habe kein Recht auf Beanspruchung der

früheren ukrainischen und weißrussischen Territorien*. Die polnische

Regierung bezeichnete die TASS-Erklärung rundweg als absurd. Immer

noch betonte sie ihre Bereitschaft, auf der Basis freundschaftlicher Bezie-

hungen gegenseitiges Einvernehmen zu erreichenËÈ. Die Russen reagierten

auf ihre Weise undernannteneinige Tage später den ukrainischen

Kommunisten Kornejtschuk zum stellvertretenden Volkskommissar für

auswärtige Angelegenheiten.

Noch einmal wurde der britische Außenminister zum Mann der

Stunde. Als er den Atlantik überquerte, um das polnische Problem mit

seinen amerikanischen Gesprächspartnern zu erörtern, konzentrierte sich

die Hoffnung aller Polen auf ihn. Sein Vorgehen schien jedoch voll-

kommen unerklärlich. Schon vor Beginn seiner Reise mußte er wissen, daß

am PM. Juli NVQN zwischen Polen und der Sowjetunion wieder diplomatische

Beziehungen aufgenommen worden waren; auch die Bedeutung der

polnischen Grenzfrage hätte ihm klar sein sollen. Er war instruiert worden,

dieses Problem nicht zu einem erdrückenden Gewicht auf Großbritanniens

Schultern anwachsen zu lassen, und hatte bei der Gelegenheit vor dem

Unterhaus versichert, in den zwischen ihm und General Sikorski

ausgetauschten Noten sei von Garantieerklärungen in der Grenzfrage nicht

die Rede gewesen.

Sicher jedoch � so hatte ein Unterhausmitglied der Labour Party

insistiert � seien die bereits vorher getroffenen Zusagen an Polen noch

gültig? »Es gibt, wie ich sagte, keinerlei Grenzgarantien« lautete die scharfe

Erwiderung EdensËÍ. Das ließ sich allerdings ebensowenig bestreiten: hatte

doch Iwan Maiski, russischer Botschafter in London, Eden noch einige

Tage vor dessen Abreise nachdrücklich darauf hingewiesen, die Sowjets

wünschten eine nur geringfügig modifizierte Curzon-Linie als Nachkriegs-

* Zu diesem Zeitpunkt hatten die Sowjets die Curzon-Linie abgelehnt (s. Fußnote S. U).

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NT

grenze mit Polen . . .

In Washington argumentierte Eden bezeichnenderweise, Polen sei ganz

und gar nicht die unterdrückte Nation, deretwegen Frankreich und

Großbritannien NVPV den Krieg erklärt hatten, sondern die eigentlich nach

Expansion strebende Macht in Mitteleuropa. So gelang es ihm, die

Amerikaner argwöhnisch zu machen. Mit sieben Millionen zugewanderter

Polen gehörten die USA zu den potentiell einflußreichsten Verbündeten

SikorskisËÎ. Weshalb Eden die polnischen Ziele derartig verfälscht dar-

stellte, wird wohl nicht mehr zu ergründen sein. Vielleicht glaubte er allen

Ernstes, die sowjetischen Gebietsansprüche an Polen seien unbedeutend

und könnten seitens der britischen Regierung durchaus anerkannt werden.

Die Aufzeichnungen der von Vertretern der polnischen Regierung und

höheren Beamten des britischen Außenministeriums geführten Gespräche

zeigen die steigende polnische Besorgnis über den Druck, den die Sowjets

auf Eden ausübten. Im Laufe dieser Unterredungen drangen die britischen

Vertreter bei den Polen darauf, wenigstens einen Teil der sowjetischen

Ansprüche zu akzeptieren � jedoch ohne ErfolgËÏ. Dabei erwähnten die

Engländer allerdings nicht, daß praktisch bereits eine definitive

Vereinbarung über die russische Forderung existierte und daß Anthony

Eden in Washington den Amerikanern geraten hatte, diese Ansprüche

ebenfalls zu unterstützen.

Eden wies Roosevelt � zu Recht oder zu Unrecht � auf die Behauptung

der Polen hin, sie allein würden in Mitteleuropa vom Krieg profitieren, da

bei Ende der Kampfhandlungen die Kräfte Deutschlands und auch der

UdSSR erlahmt sein würden. Er berichtete sogar von »territorialen

Bestrebungen« Polens und schilderte mit großer Ausführlichkeit, wie der

polnische Ministerpräsident einen Kreuzer � den ihm die Engländer

schenken wollten � unbedingt auf den Namen »Lwów« (Lemberg) hätte

taufen wollen. Da es sich um eine Stadt handle, die die Sowjets um jeden

Preis für sich beanspruchten, schien Sikorskis Handlungsweise für Eden

eine unnötige Provokation zu sein*. Die britische Regierung hatte sich

geweigert, dem Wunsch zu entsprechen. Eden teilte Roosevelt außerdem

mit, Polen wünsche die Annektion Ostpreußens; beide Regierungen

* General Sikorski hatte in Lemberg studiert. Die Stadt gehört heute zur Sowjetunion.

Page 18: Irving David - Mord aus Staatsräson

NU

kamen überein, ihnen dieses Gebiet zu überlassen. Der amerikanische

Präsident wurde von seinem Gesprächspartner auch vor den ständigen

Konspirationen Sikorskis mit den kleinen Balkanstaaten gewarnt: ange-

blich sollten diese Länder die polnischen Ambitionen unterstützen.

Den Sowjets war das Vorgehen Edens bekannt. Um es kurz zu sagen:

Der britische Außenminister hat der polnischen Sache mehr geschadet als

genütztËÌ.

Beim Verlassen Washingtons hatte Eden vom besorgten Roosevelt die

private Zusicherung erhalten, daß er nicht die Absicht habe, sich auf einer

eventuell stattfindenden Friedenskonferenz lange mit Polen und anderen

kleinen Staaten aufzuhalten. Roosevelt äußerte � ebenfalls privat � seine

Zustimmung zu sowjetischen Ansprüchen auf die Curzon-Linie und die

baltischen Staaten; er war der Meinung, Polen würde durch Entschädigung

in Form zusätzlicher Gebiete im Westen mehr gewinnen als verlieren.

Vielleicht keimte im amerikanischen Präsidenten jedoch schon der von

Eden gesäte Verdacht � Sikorski jedenfalls wußte nichts davon.

3

Anfang April NVQP näherten sich die polnisch-sowjetischen Beziehungen

dem kritischen Tiefpunkt. Am T. April verbreitete Radio Moskau einen

Artikel, den zwei amerikanische Professoren polnischer Abstammung

verfaßt hatten und in dem Sikorskis Regierung dringend ersucht wurde,

»alle nur möglichen Maßnahmen zur Beendigung der von reaktionären

polnischen Emigranten angezettelten antisowjetischen Intrigen zu

treffen«ËÓ. Der Artikel, der von der sowjetischen Rundfunkstation natür-

lich gutgeheißen wurde, fuhr fort: »Mehr als zwei Millionen Polen ver-

danken ihr Leben der Tatsache, daß sie sich unter den Schutz der

sowjetischen Justiz gestellt haben.«

Neutrale Beobachter in London berichteten über Anthony Edens

Rückkehr aus Nordamerika und seinen anschließenden Bericht vor dem

Parlament; sie hatten gesehen, wie er den polnischen Außenminister zu

sich rief. Zur gleichen Zeit erfuhr man, daß Roosevelt den polnischen

Botschafter in Washington ebenfalls um eine Unterredung ersucht hatte.

Page 19: Irving David - Mord aus Staatsräson

NV

In der Öffentlichkeit herrschte völlige Unklarheit über den zukünftigen

englischen Standpunkt in der Frage der polnischen Ostgrenze. Neutrale

Korrespondenten stießen in Whitehall auf eine »Mauer des Schweigens«ËÔ,

und daraus schloß man fälschlich, das Foreign Office plane, die Grenzfrage

bis zum Ende des Krieges offenzulassen. Solche diplomatischen Praktiken

waren zumindest anfechtbar � allen am Krieg nicht direkt Beteiligten war

inzwischen nämlich klargeworden, daß die territorialen Forderungen der

Russen von einem »zügellosen Imperialismus« diktiert waren,

Am NP. April NVQP schrieb Präsident Roosevelt einen Brief an General

Sikorski und bat ihn, über die weitere Entwicklung der Lage auf dem

laufenden gehalten zu werden; er betonte besonders seine Zufriedenheit

über die Absicht des polnischen Ministerpräsidenten, alles in seiner Macht

Stehende zu tun, um »jeglichen Bruch der polnischen Beziehungen zur

Sowjetunion« zu vermeidenÈÊ. Trotz Roosevelts vager Zusage, die Art

möglicher Hilfsmaßnahmen sorgfältig überdenken zu wollen, enttäuschte

der Brief den polnischen Politiker: er hatte von den Amerikanern in dem

Sachverhalt, der ihm selbst so klar schien, eine eindeutige Stellungnahme

erhofft.

Genau zu der Zeit, als die Besorgnis der Polen sich weiter steigerte,

leitete das Propagandaministerium des Dr. Joseph Goebbels die, wie sich

später zeigen sollte, erfolgreichste Kriegsoffensive der Deutschen ein.

Anfang Februar hatten die deutschen Behörden im Wald von Katyn

unweit von Smolensk seltsame Erdhügel entdeckt, auf denen junge Kiefern

gepflanzt waren. Man stellte darunter Massengräber fest und legte sie frei,

als die Frostperiode vorüber und der Boden wieder weicher war. Das erste

Grab wurde am OV. März geöffnet. Es enthielt die Leichen von ungefähr

SMM Offizieren der polnischen Armee. Bei einigen Toten, so bei Major

Adam Solski, fand man Tagebücher sowie Briefe, die niemals zur Post

gegeben waren. Die letzten Eintragungen stammten aus dem Zeitraum

vom S. bis zum OM. April NVQM: damals, mehr als ein Jahr vor der deutschen

Invasion, befand sich das Gebiet noch in russischer HandÈÁ. In den

folgenden Tagen wurden weitere Massengräber untersucht, und es war

offensichtlich, daß hier nicht Hunderte, sondern Tausende von den Russen

ermordeter polnischer Offiziere die letzte Ruhestätte gefunden hatten.

Am späten Abend des NP. April gab Radio Berlin der Welt den Fund

Page 20: Irving David - Mord aus Staatsräson

OM

bekannt: »Man fand eine riesige, OU Meter lange und NS Meter breite

Grube, die mit einer zwölf fachen Schicht von ungefähr P.MMM Leichen

polnischer Offiziere angefüllt war. Sie trugen noch die vollständige Militär-

uniform, vielen von ihnen waren die Hände gefesselt worden, alle aber

hatten im Nacken Wunden, die von Pistolenschüssen herrührten. Die

Identifizierung der Toten wird keine großen Schwierigkeiten bereiten, da

der Boden die Leichen gut konserviert hat und die Russen versäumten, die

Ausweisdokumente ihrer Opfer zu entfernen. Es ist bereits bestätigt wor-

den, daß sich ein General Smorawinski aus Lublin unter den Ermordeten

befindet.«

Nach Schätzungen der Deutschen würde die Gesamtzahl der Opfer

ungefähr NM.MMM betragen; die Massengräber waren bereits von neutralen

Pressekorrespondenten besichtigt wordenÈË.

Am NR. April NVQP, NN Uhr, erörterte General Sikorski mit Mitgliedern

seines Kabinetts die deutschen Berichte, die immer ausführlicher und mit

größerem Nachdruck verbreitet wurden. Man beschloß, von der Sowjet-

ischen Botschaft in London eine Erklärung zu fordern, einen vom Außen-

und Informationsminister ausgearbeiteten Bericht durch das polnische

Verteidigungsministerium zu veröffentlichen und mit der Bitte um

detaillierte Untersuchungen an das Komitee des Internationalen Roten

Kreuzes in Genf heranzutreten, das für Kriegsgefangenenprobleme zu-

ständig warÈÈ.

Die Sowjetunion bestritt die deutschen Angaben und ließ nun

ihrerseits mit vorgetäuschtem Entsetzen verlauten, über das tragische

Schicksal der ehemaligen polnischen Kriegsgefangenen, »die im Jahre NVQN

westlich von Smolensk mit Bauarbeiten beschäftigt waren« und die nach

dem sowjetischen Rückzug in jenem Sommer zusammen mit zahlreichen

Russen in die Hände der Deutschen gefallen wären, könne jetzt kein

Zweifel mehr bestehenÈÍ. Die polnischen Behörden schenkten der Mos-

kauer Behauptung wenig Glauben: Warum hatten die Russen alle diese

Details, welche ihnen doch lange bekannt gewesen sein mußten, nicht

Sikorski oder seinen Beauftragten mitgeteilt, als diese sich wiederholt nach

dein Schicksal der polnischen Offiziere erkundigt hattenÈÎ?

In einer solchen Situation hätte ein echter Diplomat seine wahren

Gefühle hinter Phrasen verborgen. Sikorski aber war kein Diplomat im

Page 21: Irving David - Mord aus Staatsräson

ON

eigentlichen Sinne, seine militärische Ausbildung sowie seine Recht-

schaffenheit als überzeugter Katholik veranlaßten ihn zu Äußerungen,

deren Direktheit in den folgenden Tagen sowohl die britische als auch die

amerikanische Regierung zur Verzweiflung triebÈÏ. Am NR. April kam der

polnische Ministerpräsident in Begleitung seines Außenministers und

Unterstaatssekretär Cadogans vom Foreign Office zum Lunch in die

Downing StreetÈÌ. Bei diesem Treffen händigte Sikorski Winston Churchill

eine Note aus, in der die deutschen Angaben über den Fund der Massen-

gräber von Katyn detailliert aufgeführt warenÈÓ. Nach den Aufzeichnungen

des Grafen Raczynski hatte Churchill damals zugegeben: »Leider Gottes

sind die Angaben der Deutschen höchstwahrscheinlich wahr. Die

Bolschewiken können sehr grausam sein.« Er hoffe jedoch, auch Sikorski

würde einsehen, daß es nach den Erfordernissen der hohen Politik für das

gemeinsame Ziel oft notwendig sei, solche delikaten Angelegenheiten

möglichst vorsichtig zu behandeln und auf keinen Fall zu weit zu gehenÈÔ.

Churchill sagte dem polnischen General: »Wenn sie wirklich tot sind,

können Sie sie durch keine Maßnahme wieder ins Leben zurückrufenÈÓ.«

Außerdem besprach man bei dieser Gelegenheit das Problem der

polnischen Ostgrenze. Die von Anthony Eden in Washington unter-

nommenen Schritte wurden den Polen weiter verheimlicht. Churchill

äußerte die Bereitschaft, in einem geeigneten Moment dem polnischen

Botschafter in Moskau helfen zu wollen, wenn das Problem der in der

Sowjetunion zurückgebliebenen Familien polnischer Armeeangehöriger

zur Sprache kommen sollte. Die Armee unter General Anders war

inzwischen zum großen Teil aus Rußland in den Nahen Osten verlegt

wordenÍÊ. Sikorski wies auf den wachsenden Unwillen der polnischen

Truppen über die Beharrlichkeit hin, mit der die Sowjets in ihrer Note

vom NS. Januar auf der Gültigkeit der zwischen Moskau und Ribbentrop

NVPV ausgehandelten Grenzziehung bestanden. Auch die russische Staats-

bürgerschaft aller Personen, die sich im November NVPV östlich dieser Linie

befunden hatten, war in der betreffenden Note abermals betont worden.

Wiederum zeigte der polnische Ministerpräsident die Bereitschaft,

teilweise nachzugeben, und sei es auch nur, um die Fiktion einer

Solidarität der Alliierten zu wahren. Natürlich hätte er vorgezogen, die

Sowjets zur Zurücknahme der gesamten infamen Note vom NS. Januar zu

Page 22: Irving David - Mord aus Staatsräson

OO

veranlassen, gab sich aber damit zufrieden, einen russischen Vorschlag

über die Evakuierung einer möglichst großen Zahl von Familienange-

hörigen polnischer Soldaten und Offiziere zu akzeptieren. In der

Grenzfrage blieb er allerdings weiter hart.

Bereits am nächsten Tag zeigte sich, daß Sikorski die britischen

Mahnungen zur Vorsicht und Zurückhaltung nicht befolgen wollte. Am

Abend des NS. April übergab das Nationale Polnische Verteidigungs-

ministerium den Nachrichtenagenturen ein ausführliches Kommuniqué,

über dessen Wortlaut sich die Polen am Tag zuvor geeinigt hattenÍÁ.

Moskau wurde in aller Offenheit aufgefordert, die Wahrheit über die

vermißten polnischen Offiziere preiszugeben, während man das Inter-

nationale Rote Kreuz ersuchte, eine offizielle und neutrale Untersuchung

des Massenmordes von Katyn einzuleiten. Die Polen hatten diesen

außerordentlichen Schritt ohne vorherige Konsultationen mit den Regier-

ungen in Washington und London unternommen � Briten und Ameri-

kaner konnten nur noch voll Schrecken zusehen, wie die Dinge ihren

unvermeidlichen Lauf nahmen. Drexel Biddle, der amerikanische Bot-

schafter bei der Sikorski-Regierung, sandte ein Telegramm an den

amerikanischen Außenminister Cordell Hull: »Sikorski behauptet, die bis

jetzt vorgebrachten Behauptungen der Deutschen über diese �grausige

Geschichte� bestätigten unglücklicherweise Informationen, die ihm durch

Kanäle des polnischen Geheimdienstes zugeleitet worden seienÍË.« England

sowie Amerika zeigten trotz allem nicht einmal vorübergehend die

Bereitschaft, das Verlangen der Polen zu unterstützen. Das hätte der

Exilregierung eine Warnung sein sollen: man hatte in ihrer Angelegenheit

bereits diplomatische Schritte unternommen, von denen sie selbst noch

nichts wußte.

Das Kommuniqué der Polen enthielt detailliertes Material, das die

Annahme, ihre Offiziere seien von den Sowjets umgebracht worden,

bekräftigte. Während der Invasion Polens im September NVPV hatten die

Russen mehr als NUM.MMM polnische Staatsangehörige gefangengenommen.

Darunter befanden sich NM.MMM Offiziere, die man in Lagern bei Smolensk,

Charkow und Kalinin internierte. Nach Unterzeichnung des polnisch-

sowjetischen Vertrages von NVQN war nur ein kleiner Teil der Offiziere �

weniger als QMM � aus einem weit entfernten Kriegsgefangenenlager zurück-

Page 23: Irving David - Mord aus Staatsräson

OP

gekommen. Das war alles. Aus den drei Hauptlagern wurden noch U.PMM

Offiziere vermißt, außerdem T.SMM Unteroffiziere, andere Dienstgrade

sowie Angehörige der polnischen Intelligenz. Man hatte diese Personen nie

mehr gesehen, und nun nannte die Entdeckung der Deutschen der ganzen

Welt den Grund. Mit Bitternis riefen die Polen der Öffentlichkeit ins

Gedächtnis, wie oft* sie schriftlich oder mündlich Erkundigungen über das

Schicksal ihrer Landsleute eingeholt hatten. General Sikorski informierte

in London akkreditierte Diplomaten nun privat, daß er schon während

seiner Unterredung mit Stalin im Dezember NVQN wegen der »deutlichen

Ausweichmanöver« des Sowjetführers den bestimmten Eindruck

gewonnen habe, die polnischen Offiziere hätten ein furchtbares Schicksal

erlittenÍÈ.

»Wir haben uns an die Lügen der deutschen Propaganda gewöhnt und

verstehen durchaus, warum sie ihre letzten Enthüllungen veröffentlicht

haben«, fuhr die polnische Verlautbarung fort. »Da die Informationen

über die Entdeckung von Tausenden ermordeter polnischer Offiziere bei

Smolensk jedoch äußerst reichhaltig und detailliert sind und man

kategorisch erklärt hat, sie seien im Frühjahr NVQM von den Sowjets

umgebracht worden, erhebt sich die Notwendigkeit, die entdeckten

Massengräber von einer dafür zuständigen internationalen Körperschaft

wie dem Roten Kreuz untersuchen und alle Behauptungen auf ihre

Richtigkeit prüfen zu lassen.« Die Regierung Sikorski hatte aus diesen

Gründen das Internationale Rote Kreuz aufgefordert, eine Delegation zur

Untersuchung des Massenmordes zu entsenden.

In Berlin erkannte Goebbels sofort, daß die ganze Angelegenheit damit

eine sensationelle Wende genommen hatte. Er setzte sich umgehend mit

Hitler in Verbindung, der seinem Plan zustimmte: die Deutschen sollten

das Internationale Rote Kreuz ebenfalls ersuchen, bei der Identifizierung

der Leichen mitzuarbeiten. »Damit ist meiner Ansicht nach eine

Angelegenheit ins Rollen gekommen, über deren Auswirkungen wir uns

vorläufig noch kein Bild machen können«, vertraute Goebbels in jener

Nacht seinem Tagebuch anÍÍ.

* Im Oktober, November und Dezember NVQN, im Januar, März und Mai NVQO und späterzu wiederholten Malen.

Page 24: Irving David - Mord aus Staatsräson

OQ

Am folgenden Tag trugen die Deutschen ihr Anliegen offiziell vorÍÎ.

Innerhalb der polnischen Regierung wurde man sofort unruhig und mußte

erkennen, offensichtlich in eine Falle der Deutschen getappt zu sein. Die

Polen beeilten sich, in London ein weiteres Kommuniqué zu

veröffentlichen. Hierin wurde den Deutschen das Recht abgesprochen, aus

der Angelegenheit Katyn irgendeinen Nutzen in eigener Sache zu ziehen.

Die Verlautbarung lenkte erneut die allgemeine Aufmerksamkeit auf die

deutschen Massenvernichtungen von Polen in den Lagern Maidanek und

Treblinka und fügte das pathetische Verbot hinzu, politisches Kapital aus

den großen Opfern der polnischen Nation zu schlagenÍÏ. Es war aber zu

spät: in der Prawda wurde die Integrität der Londoner Polen unter

Beschuß genommen, und man bezeichnete sie als »Hitlers politische

Alliierte«. Ein Leitartikel forderte alle »rechtschaffenen« Polen auf, sich

von »jenen« Polen abzuwenden, die so beflissen mit den Henkern ihrer

eigenen Landsleute kollaboriertenÍÌ. Um jeden noch bleibenden Zweifel

aus dem Weg zu räumen, meldete TASS am ON. April, daß der Prawda-

Leitartikel voll und ganz die Ansichten der Sowjetregierung wiedergäbeÍÓ.

Am gleichen Tag schrieb Generalissimus Stalin an Winston Churchill

sowie an Roosevelt und protestierte über die Art und Weise, mit der

Sikorski und dessen Nachrichtenorgane die »Verleumdungskampagne«

der Nationalsozialisten aufgegriffen und verbreitet hätten. Stalin fügte

hinzu: »Die Tatsache, daß in der deutschen und der polnischen Presse

diese Kampagne gegen die Sowjetunion zur gleichen Zeit aufgenommen

wurde und in einer ganz ähnlichen Richtung weitergeführt wird, läßt

keinen Zweifel mehr daran, daß zwischen Hitler, dem Feind der Alliierten,

und der Sikorski-Regierung Kontakte bestehen und sie die Kampagne in

betrügerischem Einvernehmen führenÍÔ.« Vergebens protestierte Sikorski:

die Deutschen hätten lediglich seine Initiative kopiert, als sie ein Ersuchen

an Genf richteten, und er könne daher nicht verantwortlich gemacht

werden. Das Drama näherte sich seinem Ende. Sowohl Churchill als auch

Roosevelt schienen bereit, aus Rücksicht auf die notwendige Solidarität der

West-Ost-Alliierten die polnische Regierung im Stich zu lassen.

Am OO. April traf in London die Nachricht aus Warschau ein, auch die

dortige Behörde des Roten Kreuzes habe das Internationale Rote Kreuz

angerufen, den Massenmord zu untersuchen. Im Warschauer Ersuchen

Page 25: Irving David - Mord aus Staatsräson

OR

hieß es: »Auf Grund der Untersuchung von ungefähr drei Prozent

exhumierten Leichen läßt sich feststellen, daß diese Offiziere durch

Genickschuß ermordet worden sind. Aus der typischen Gleichförmigkeit

der Wunden kann auf eine Hinrichtung durch fachlich geschulte Henker

geschlossen werden . . . Aus den bei den Leichen vorgefundenen Papieren

und Urkunden muß geschlossen werden, daß der Mord ungefähr in den

Monaten März bis April NVQM stattgefunden hat*ÎÊ.« Obgleich sich eine

Flut von Beweismaterial gegen die Sowjetunion richtete, hatte Churchill

nach Überbringung eines Stalinschen Telegramms durch den russischen

Botschafter Maiski am OP. April nichts anderes zu tun, als schon am

folgenden Tag dem sowjetischen Diktator zu versichern: »Wir werden uns

mit Bestimmtheit gegen jede �Untersuchung� wenden, die auf irgendeinem

unter deutscher Herrschaft befindlichen Territorium durch das Inter-

nationale Rote Kreuz oder andere Körperschaften vorgenommen werden

sollte. Derartige Untersuchungen wären Schwindel, da die Ergebnisse

durch Terrorakte bestimmt würden.« Er hoffe, die Sowjets würden ihre

Drohung, die diplomatischen Beziehungen mit den Polen »aufzuheben«,

noch einmal überdenkenÎÁ. Ober Sikorski sagte er in diesem Telegramm:

»Seine Position ist äußerst delikat. Er ist weit davon entfernt, prodeutsch

oder mit den Deutschen verbündet zu sein, es besteht aber die Gefahr, daß

er von denjenigen Landsleuten gestürzt wird, nach deren Meinung er nicht

standhaft genug gegen die Sowjets vorgegangen ist. Sollte er gehen, würden

wir nur jemanden bekommen, der schlimmer ist.«

Eden berichtete General Sikorski, die sowjetische Regierung drohe mit

dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Er übte jeden nur mög-

lichen Druck auf den polnischen Ministerpräsidenten aus, sein Ersuchen

an das Internationale Rote Kreuz zurückzuziehen, und forderte Sikorski

entsprechend der von Churchill erteilten Weisung auf, unter keinen

Umständen mit den Deutschen in Verbindung zu treten. Natürlich hatte

Sikorski niemals solche Absichten gehabt. Er gab Eden die Antwort, er sei

nicht in der Lage, die englischen Vorschläge hinsichtlich einer Annullier-

ung des Ersuchens an Genf zu befolgen. Churchill könne jedoch Stalin

* Berichte über den Massenmord von Katyn waren inzwischen in der britischen Pressenicht mehr erschienen.

Page 26: Irving David - Mord aus Staatsräson

OS

wissen lassen, die Polen seien bereit, sich in ihren Exilzeitungen über die

Frage der vermißten Offiziere »zu mäßigen«, wenn der sowjetische Staats-

chef es wünscheÎË.

In einem geheimen und persönlichen Telegramm konnte Churchill am

OR. April Stalin informieren, daß »Sikorski auf Edens eindringliche Vor-

stellung hin bereit sei, nicht noch stärker auf eine Untersuchung des Roten

Kreuzes zu drängen, und daß er die Repräsentanten des Roten Kreuzes in

Bern dahingehend unterrichten würde«. Er sagte, er sei Überzeugt, daß

zwischen General Sikorski und den Deutschen keinerlei Einvernehmen

geherrscht habe, und er versprach Stalin, er selbst würde Möglichkeiten

erwägen, wie man die polnischen Zeitungen in London � die im Moment

eine eindeutig antisowjetische Haltung eingenommen hatten � »zur Ruhe

bringen« könne*ÎÈ. In einem weiteren Telegramm an Stalin umschrieb er

diese Publikationen am PM. April als »erbärmliche Schundblätter, die

Sikorski hier angreifen«.

Alles in allem kann nicht behauptet werden, daß die Engländer in der

Angelegenheit Katyn eine sehr feine Rolle gespielt hätten. Die größten

Skeptiker Londons befanden sich ausgerechnet im Außenministerium.

Monatelang herrschte hier die Ansicht, die deutsche Propaganda hätte den

Massenmord von Katyn allein ausgebrütet. Das Foreign Office fuhr fort,

ausländische Botschafter in London darauf hinzuweisen, wie seltsam es sei,

daß die Deutschen erst jetzt die Massengräber entdeckt hätten � befanden

sie sich doch schon seit längerer Zeit (Juli NVQN) im Gebiet von Smolensk.

Ebenso befremdlich fand man, daß die Toten angeblich immer noch mit

Kennmarken und Papieren ausgerüstet seienÎÍ. Sir Archibald Clark Kerr,

britischer Botschafter in Moskau, hatte dagegen diese Illusionen längst

aufgegeben. Bereits jetzt ahnte er den hauptsächlichen Beweggrund der

Sowjets, ihre diplomatischen Beziehungen zu den polnischen

Repräsentanten in London zu unterbrechen � nämlich den Versuch, die

eigene Schuld zu bemäntelnÎÎ.

* Die Technik, die die britischen Behörden im Krieg zur Unterdrückung lästiger Zeit-ungen anwandten, bestand im Widerruf der vom Versorgungsministerium erteiltenLizenz. Das passierte z. B. dem gaullistischen Blatt La Marseillaise; auch das Informations-ministerium verweigerte die Erlaubnis einer weiteren Publikation dieses Organs. EineAnzahl polnischer Zeitungen in London wurde im Herbst NVQP, nach dem Tod Sikorskis,unterdrückt.

Page 27: Irving David - Mord aus Staatsräson

OT

Die Anschuldigung der Sowjets, General Sikorski habe im Einver-

nehmen mit den Deutschen gehandelt, war an Niedertracht kaum noch zu

überbieten. Sie verletzte den General um so mehr, als er ein Mann von

Prinzipien, ein echter Liberaler war und es niemals fertiggebracht hätte,

ähnliche Verleumdungen in die Welt zu setzen. Seine Ideale hatten ihn

früher schon einmal gezwungen, ins politische Exil zu gehen. Damals

konnte er sich nicht mit der seiner Ansicht nach antidemokratischen

polnischen Regierung abfinden, die nach dem Staatsstreich Marschall

Pilsudskis im Jahre NVOS an die Macht gekommen warÎÏ. Außerdem haßte

er die Nationalsozialisten, ob sie nun eine Uniform trugen oder nicht,

abgrundtief und gehörte auch zu den Befürwortern der RAF-Bomben-

angriffe auf die deutsche Zivilbevölkerung. »Mögen deutsche Frauen und

Kinder erleiden, was polnische Bürger in Warschau durchmachten«,

äußerte er einmal vor einem amerikanischen AuditoriumÎÌ.

Noch bevor die beiden Telegramme Churchills ihren Adressaten in

Moskau erreichten, hatte das Internationale Rote Kreuz schon mitgeteilt,

es wäre zu einer Untersuchung des Massenmordes von Katyn nur dann

bereit, wenn alle betroffenen Parteien einschließlich der Sowjets darum

ersuchen würden. Natürlich war auch in Genf klar, daß sich die Russen

niemals an einem solchen Gesuch beteiligen würdenÎÓ. Die Ankündigung

des Roten Kreuzes wurde in den Moskauer Zeitungen nicht erwähnt, und

die Sowjets machten keinerlei Anstalten, etwas zu unternehmen, obgleich

sie noch kurz vorher behauptet hatten, die Deutschen seien für die

Massaker verantwortlichÎÔ.

Das Internationale Rote Kreuz hatte eine elegante Lösung gefunden,

um sich der Verantwortung zu entziehen � Genf verfügte immerhin über

bessere Diplomaten als das Kabinett Sikorski. Die Untersuchung der

Morde von Katyn wurde vom Roten Kreuz niemals durchgeführtÏÊ.

In einem unveröffentlichten Abschnitt seiner Tagebücher schreibt

Goebbels: »Das Kernereignis der Ostertage ist natürlich der Konflikt

Moskau-Sikorski. Es ist im Augenblick noch nicht auszudenken, was

daraus früher oder später entstehen kann, Jedenfalls werden wir keine

Gelegenheit versäumen, einen Keil in das Lager der Feindmächte zu

treibenÏÁ.«

Winston Churchills spätere Stellungnahme zur Katyn-Affäre besteht in

Page 28: Irving David - Mord aus Staatsräson

OU

einer unglückseligen und spitzfindigen ApologieÏË. Ungefähr im Jahre NVRM

verfaßte er seine Memoiren und mußte spätestens damals eingesehen

haben, daß es ein großer Irrtum gewesen war, die Polen im Jahre NVQP

nicht unterstützt zu haben. Das gab er allerdings nicht zu, sondern wies auf

die sowjetische Untersuchung des Massenmordes hin, wo � natürlich � die

Schuld der Deutschen bewiesen worden war. Wie hätte er zugeben

können, daß er Stalin schon als den Lügner und Mörder, der er war,

durchschaut hatte, als er ihn noch als zuverlässigen Freund und Ver-

bündeten akzeptierte?

Dann rollte der letzte kurze Akt des Dramas ab. Am Montag, dem OS.

April NVQP, rief der sowjetische Außenminister kurz nach Mitternacht den

polnischen Botschafter in Moskau zu sich und verlas eine Note mit der

Ankündigung, die sowjetische Regierung wolle ihre diplomatischen

Beziehungen zur polnischen Regierung in London »unterbrechen«ÏÈ.

Neutrale Beobachter wußten sofort, daß nicht etwa Entrüstung über die

geplante Katyn-Untersuchung, sondern die unbeugsame Haltung Sikorskis

in der Frage der polnischen Ostgebiete die Sowjets zu dieser drastischen

Maßnahme bewogen hatte. Schweizer Zeitungen meldeten, daß � während

das britische Außenministerium den Schritt der Russen mit Schweigen

überging � inoffiziell eingestanden worden wäre, der Abbruch der

Beziehungen habe »ein Loch in die Einheitsfront der Vereinigten Nationen

geschlagen, das so schnell wie möglich verdeckt und ausgefüllt werden

müsse«ÏÍ. Die Hauptsorge Großbritanniens sah so aus: »Wer NVPV in den

Weltkrieg gezogen ist, um zu verhindern, daß Polen das Gebietsriemchen

�Korridor� verliere, muß sich wohl auch einige Mühe geben, um diesen

Schützling davor zu bewahren, daß ihm NVQP die ganze Haut über die

Ohren gezogen wird. Gibt man ihn preis, dann traut die

nichtangelsächsische Welt der Atlantik-Charta so viel oder so wenig wie

der �Europäischen Ordnung� der AchseÏÎ.«

Diese Meinung wurde in den Basler Nachrichten, einer Zeitung, der

man wirklich keine prodeutsche Einstellung nachsagen konnte, von einem

Leitartikel vertreten, der auf die wahren russischen Motive für die Ver-

schärfung der Kontroverse aufmerksam machte.

Page 29: Irving David - Mord aus Staatsräson

OV

4

Die polnische Untergrundarmee war sowohl antisowjetisch als auch anti-

deutsch. Ihren Angehörigen sagte man einen ganz spezifischen Humor,

eine bittere Ironie nach, wie sie nur ein tapferes, aber seit langer Zeit

unterdrücktes Volk hervorbringen konnte. Wenige Tage nach den

deutschen Bekanntmachungen über die Massengräber von Katyn hatte die

Untergrundarmee Tausende von Plakatanschlägen drucken und verbreiten

lassen, deren sprachliche und stilistische Aufmachung den im

Generalgouvernement Polen veröffentlichten Bekanntmachungen der

nationalsozialistischen Besatzer vollkommen glich. Der in polnischer und

deutscher Sprache abgefaßte Text lautet:

»Bekanntmachung Nr. 38 der Regierung des General-gouvernements, Hauptabteilung Propaganda.

Auf Anregung der Hauptabteilung Propaganda der Regierungdes Generalgouvernements hat sich am NN. April ein Ausschußder Repräsentanten der polnischen Bevölkerung nach Smolenskbegeben, um sich an Ort und Stelle von der Brutalität dersowjetischen Polenmörder zu überzeugen. Dadurch soll diepolnische Bevölkerung aufgeklärt werden, welches furchtbareLos ihrer harre, wenn es den Sowjets gelungen wäre, ins zeit-weise von Deutschen besetzte polnische Gebiet einzudringen.«

Bis hier ähnelte die Bekanntmachung haargenau einer typischen

Proklamation der Nationalsozialisten � dann jedoch tauchten neue,

originellere Töne auf: »In Zusammenhang damit wird auf Anordnung der

Regierung des Generalgouvernements in nächster Zeit ein analoger

Ausflug nach dem Konzentrationslager in Auschwitz für ein Komitee aller

im Generalgouvernement beheimateten Volksgruppen organisiert. Dieser

Ausflug soll beweisen, wie humanitär im Vergleich zu den bolsche-

wistischen Methoden die deutschen Einrichtungen sind, mit Hilfe derer

die Massenliquidation der polnischen Bevölkerung durchgeführt wird. Die

deutsche Wissenschaft hat hier Ungeheures für die europäische Kultur

geleistet, denn anstatt eines grausigen primitiven Massenmordes der

unbequemen Bevölkerung kann man in Auschwitz Gas- und Dampf-

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PM

kammern, elektrische Platten usw. sehen, mit deren Hilfe Tausende von

Polen in kürzester Zeit auf eine Weise, die der Ehre des großen deutschen

Volkes entspricht, vom Leben zum Tode befördert werden können. Es

genügt, darauf hinzuweisen, daß das Krematorium allein am Tage P.MMM

Leichen einäschern kann. In den Sommermonaten sind weitere Ausflüge

mit Sonderzügen nach den Konzentrationslagern in Mauthausen,

Oranienburg, Dachau, Ravensbrück und andere vorgesehenÏÏ.«

Eine Abteilung der deutschen Abwehr aus Krakau kabelte am OM. April

NVQP den Text dieses makabren Plakates nach Berlin. Admiral Canaris ließ

Abschriften, die als »streng geheim« klassifiziert waren, herumgehen; auf

keinen Fall durfte etwas davon an die Presse gelangen, da sonst der ganze

Propagandaeffekt der Angelegenheit Katyn ins Gegenteil hätte umschlagen

können.

Jetzt war der Triumph der deutschen Propaganda vollständig.

Goebbels hielt die Nachricht vom Abbruch der diplomatischen Bezie-

hungen zwischen Polen und der Sowjetunion einen Tag lang zurück, um

zu überlegen, wie man sie am besten auswerten könnte, und gab sie erst

am OU. April an die deutsche Presse weiter. »Man bewundert die

außerordentliche List und Geschicklichkeit, mit der wir es verstanden

haben, an dem Fall Katyn eine hochpolitische Frage aufzuhängen«,

vertraute er seinem Tagebuch anÏÌ. Es war den Deutschen gelungen, die

Sowjetunion in den Augen der Welt zu diskreditieren und für einen

Augenblick die gespenstische Erscheinung eines bolschewistischen Unge-

heuers zu beschwören, das über die westliche Zivilisation herfiel. Außer-

dem hatten sie General Sikorski wider dessen Willen zu einem Werkzeug

umfunktioniert, mit dessen Hilfe sie unter Umständen einen Keil in die

unheilige Allianz zwischen den westlichen Großmächten und der

Sowjetunion treiben konnten. Nun war der polnische Ministerpräsident

den Deutschen sein Gewicht in Gold wert � wenigstens solange er am

Leben blieb. Konnten sie ihm da noch etwas Schlechtes wünschen?

Am OO. April schrieb der Reichsführer-SS Heinrich Himmler dem

deutschen Außenminister Joachim Ribbentrop: »Zur Angelegenheit im

Walde von Katyn kommt mir der Gedanke, ob wir nicht die Polen in eine

scheußliche Lage versetzen würden, wenn wir Herrn Sikorski unter

Zusicherung freien Geleites über Spanien einladen würden, mit einer von

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PN

ihm zu wählenden Begleitung nach Katyn zu fliegen, um sich von den

Tatsachen selbst zu überzeugen. Es ist nur ein Gedanke von mir, der

vielleicht nicht durchführbar ist. Ich wollte ihn Dir aber doch mitteilenÏÓ.«

In Wirklichkeit stammte die Idee nicht von Himmler selbst, sondern

war eine Woche vorher von Reichsleiter Bohle, dem Leiter der

Auslandsorganisation der Partei, vorgetragen worden. Nach Bohles Pro-

phezeiung würden die feindlichen Regierungen Sikorski die Annahme

dieser Einladung zwar untersagen, der Propagandaeffekt des Angebots

wäre aber auf jeden Fall enorm, vor allem, da Sikor, ski auf alle seine

Bitten, über den Verbleib der vermißten polnischen Kriegsgefangenen

unterrichtet zu werden, vom Kreml nur schroffe Abfuhren erfahren

hatteÏÔ.

Ribbentrop verwarf den Plan, obgleich er auch für ihn verlockende

Aspekte bot. Er antwortete Himmler am OS. April: »Ich gebe zu, daß dieser

Gedanke unter propagandistischen Gesichtspunkten zunächst etwas

Verlockendes hat, jedoch sind die grundsätzlichen Gesichtspunkte für die

Behandlung der polnischen Frage, die jedweden Kontakt mit dein Chef der

polnischen Emigrantenregierung für uns zur Unmöglichkeit machen, doch

so wichtig, daß sie nicht zugunsten einer im Augenblick vielleicht ganz

verlockenden Propagandaaktion außer acht gelassen werden dürfenÌÊ.«

Auf die folgende Tatsache muß noch hingewiesen werden: in den

Akten Himmlers und der SS befinden sich weitere Korrespondenzen über

die Ergebnisse der Untersuchung, die von ausländischen und neutralen

Gerichtssachverständigen durchgeführt wurde. Auch das anschließend, im

Herbst NVQP, von den Deutschen veröffentlichte Weißbuch wird des

öfteren besprochen � in allen diesen Schriftstücken ist General Sikorski

aber mit keinem Wort mehr erwähntÌÁ.

»Einen Keil in das Lager der Feindmächte treiben« � diese Möglichkeit

schwebte den Deutschen immer noch vor Augen. Goebbels kam das

Gerücht zu Ohren, in Moskau würde eine kommunistische polnische

Regierung gebildet: »Damit würde den angelsächsischen Mächten ein

Faustschlag ins Gesicht versetzt«, schrieb er am PM. April. »Amüsant wirkt

es, wenn wir in den Verdacht kommen werden, wir wollten in dem

Augenblick, in dem die Sowjets eine sowjetisch-polnische Regierung

aufstellen, unsererseits in Warschau eine aufstellen. Damit hätten wir dann

Page 32: Irving David - Mord aus Staatsräson

PO

glücklich drei Regierungen, die nichts zu sagen haben . . .ÌË«

Goebbels jedoch erkannte, daß die Briten gern die Deutschen in die

ganze Querele hineingezogen hätten, und widerstand der Versuchung:

»Wir haben die Dinge so weit vorgetrieben, daß sie sich von selbst

weiterentwickeln werden.« Der Beweis für die Wirksamkeit ihrer Propa-

gandamaßnahmen erreichte die Deutschen Anfang Mai, als sich zwei

führende Vertreter der polnischen Emigrantengruppen in Frankreich �

einer davon war früher polnischer Finanzminister gewesen � mit folgen-

dem Angebot an die deutsche Botschaft in Paris wandten: sie wollten ein

Nationales Komitee bilden, das bei der Aufstellung einer neuen Regierung

in Polen mit den Deutschen kollaborieren sollte. So hatte Katyn dem

polnischen Volk endlich noch einen »Quisling« beschertÌÈ. Das deutsche

Außenministerium lehnte die Bildung eines polnischen Nationalkomitees

ab. Ober den Propagandaeffekt von Katyn konnten nun allerdings nicht

mehr die leisesten Zweifel bestehenÌÍ. Der schwedische Außenminister

teilte einem italienischen Diplomaten in einer privaten Unterredung mit,

die Entdeckung der Massengräber habe die öffentliche Meinung Amerikas

außerordentlich beeindruckt, was sicherlich ernste politische Konse-

quenzen nach sich ziehen würdeÌÎ. Natürlich übermittelte die deutsche

Abwehr auch diese Nachricht pflichtschuldig an Ribbentrops Büro in

Berlin.

5

Es ist kaum zu glauben, daß die Regierungen in Washington und London

die wahren politischen Ziele der Sowjets � bedingungsloses Einverständnis

mit den sowjetischen Gebietsforderungen in Polen und den baltischen

Ländern � immer noch nicht erkannten. Sie meinten nach wie vor, die

russischen Querelen mit General Sikorski seien im Grunde nur eine

vorübergehende Verstimmung wegen der Katyn-Affäre, und suchten Trost

darin, daß die Russen von »Aufhebung«, nicht aber von »Abbruch« der

Beziehungen zu Polen gesprochen hatten. Die wirklichen Absichten der

Sowjets konnten inzwischen nicht mehr bezweifelt werden. Hätte es sich

nur um eine momentane Verstimmung gehandelt, würden sie ihren bei

Page 33: Irving David - Mord aus Staatsräson

PP

der polnischen Regierung akkreditierten Botschafter abberufen haben,

anstatt die Beziehungen »aufzuheben«.

Die Neutralen erkannten die Sachlage besser. Wenn überhaupt eine

Passage in der russischen Note besonders signifikant sei, dann die

sowjetische Weigerung, mit »dieser« polnischen Regierung zusammenzu-

arbeitenÌÏ. Hatten die Sowjets die Bildung einer Alternativregierung in

Moskau vorbereitet? Der amerikanische Botschafter in der Sowjetunion

wies Washington eindringlich auf diese Gefahr hinÌÌ; zwei Wochen vorher

hatte er bereits gemeldet, es seien verläßliche Anzeichen vorhanden, daß

die Rote Armee ein N,R Millionen Mann starkes Spezialheer für die

Okkupation neuer Territorien ausrüsteÌÓ. Am PM. April unterrichtete

Churchill Stalin über den Goebbelsschen Verdacht, Moskau beabsichtige

die Bildung einer eigenen polnischen Marionettenregierung, und er gab

seinem russischen Partner warnend zu verstehen, Großbritannien sei auf

keinen Fall bereit, eine solche Institution anzuerkennenÌÔ.

Während der folgenden vier Wochen erwogen die Regierungen in

Washington und London Möglichkeiten zur Bildung einer gemäßigten,

fügsameren polnischen Exilregierung in London, die den Sowjets zu

weiterem Ärger keinen Anlaß mehr böte. Ihre höflichen Vorschläge stießen

jedoch auf den festen Widerstand Sikorskis. Insbesondere weigerte er sich,

Professor Kot, seinen Informationsminister, zu ersetzen; als früherer

Botschafter in Moskau gehörte Kot zu den größten Gegnern einer

Wiederannäherung an die RussenÓÊ.

Churchill, der immer noch nicht begriffen hatte, daß der eigentliche

Grund der Krise in den sowjetischen Territorialforderungen lag, teilte

Stalin mit, Sikorski sei »bei weitem der nützlichste Mann, den man zum

Nutzen der gemeinsamen Sache finden könne«ÓÊ. Am gleichen Tag tadelte

er den sowjetischen Botschafter Maiski persönlich wegen einer Bemerkung

über den »Emigrantencharakter« der Regierung Sikorski und unterstrich

dabei, diese Regierungsform dürfe »nicht ohne ursächlichen Zusammen-

hang« mit der deutschsowjetischen Okkupation Polens im Jahre NVPV

gesehen werden. Maiski wies schamlos darauf hin, daß Polen eine Nation

mit nur OM Millionen Einwohnern sei, die direkt an einen Staat mit OMM

Millionen Bewohnern angrenze � diese Bemerkung hätte jeden Staatsmann

erschauern lassen, der Drohungen gegenüber weniger empfänglich war als

Page 34: Irving David - Mord aus Staatsräson

PQ

ChurchillÓÁ.

In der englischen Presse begann eine Kampagne gegen General

Sikorski. Times, Daily Telegraph, News Chronicle, Daily Express und Daily

Mail veröffentlichten Artikel, in denen der polnische Ministerpräsident

mehr oder weniger unverblümt aufgefordert wurde, sein Kabinett ent-

sprechend den Forderungen Moskaus umzubilden. Sikorski ließ sich

dadurch nicht beeindrucken. Am PM. April insistierte Anthony Eden

persönlich, er möge sich dem Verlangen der Sowjets beugenÓË, und ging

dabei so weit, von Sikorski eine öffentliche Erklärung zu verlangen, in der

das Ersuchen seiner Regierung an das Rote Kreuz, die Morde von Katyn

offiziell zu untersuchen, zurückgezogen werden sollte. Gleichzeitig sollte

der polnische Politiker die Verantwortung für das schreckliche Geschehen

den Deutschen zuschieben. Sikorski antwortete, er würde so etwas niemals

tun. In einer Rundfunksendung, die drei Tage später, am polnischen

Nationalfeiertag, verbreitet wurde, sagte er düster: »Es gibt Grenzen der

Nachgiebigkeit, die kein Angehöriger der polnischen Nation überschreiten

wirdÓÈ.« Gleichzeitig erklärte er in einem Schreiben an Präsident Roosevelt,

er habe erkannt, daß sein Ersuchen an Genf in einigen Teilen der Welt auf

Kritik stoßen könne. Da jedoch zahlreiche, in England und im Nahen

Osten lebende Polen Familienmitglieder oder Kameraden hatten, die bei

dem Massaker den Tod gefunden hätten, sei es unmöglich für ihn gewesen,

die diesbezüglichen Nachrichten zu ignorierenÓÍ. Noch einmal bat er die

Amerikaner um Unterstützung Polens � Roosevelt unternahm nichts und

ließ mehr als einen Monat verstreichen, ehe er den Brief überhaupt

beantwortete.

Am Q. Mai berichtete Stalin Churchill: »In der Gefolgschaft der

polnischen Regierung befinden sich so zahlreiche Hitleranhänger und

Sikorski ist derart hilflos und eingeschüchtert, daß es unsicher geworden

ist, ob er der Sowjetunion gegenüber loyal bleiben kann, auch wenn er es

wollteÓÎ.« Die Alliierten machten das Spiel der Russen auch weiterhin mit.

Das Foreign Office und State Department wollten Sikorski allerdings nicht

zwingen, ein prosowjetisches Regierungsmitglied in sein Kabinett

aufzunehmen: der amerikanische Außenminister glaubte, dadurch würde

ein »unglücklicher Präzedenzfall« geschaffen. Es sei auch nicht ratsam, so

betonte der bei Sikorskis Regierung akkreditierte amerikanische Bot-

Page 35: Irving David - Mord aus Staatsräson

PR

schafter, sich im gegenwärtigen Stadium des Krieges auf irgendwelche

Verhandlungen über die zukünftigen Grenzen einzulassenÓÏ. Sowohl der

britische als auch der amerikanische Botschafter gingen mit ihren Regier-

ungen nicht konform. Sie betonten, es bestünden keinerlei Aussichten auf

dauernden Erfolg, bevor nicht die »fundamentalen Ursachen« für den

Abbruch der polnisch-sowjetischen Beziehungen, also die Grenzfrage und

die Zusammensetzung der polnischen Regierung, geklärt seienÓÌ. Nach

Ansicht ihrer Botschafter mußten die Alliierten vor allem versuchen, den

polnischen Ministerpräsidenten zur Entfernung der Kabinettsmitglieder zu

veranlassen, die jede Übereinkunft mit der Sowjetregierung unmöglich

machten. Zumindest die Briten mußten aber inzwischen eingesehen

haben, daß der General selbst das größte Hindernis eines polnisch-sow-

jetischen Einverständnisses war, solange die Ostgebiete Polens auf dem

Spiel standen.

Die Sowjetunion wurde in ihren Forderungen immer eindeutiger, und

mindestens einmal betonte sie ganz offen die Notwendigkeit, das gesamte

Kabinett Sikorski durch eine Regierung zu ersetzen, die gegen die Sowjet-

union freundlich gesinnt seiÓÓ. Auch Botschafter Maiski ließ Sikorski durch

einen Mittelsmann wissen, er sei der Meinung, Professor Kot und andere

antisowjetisch eingestellte Regierungsmitglieder müßten entfernt werden �

Sikorski erwiderte auf demselben Wege mit einem bei ihm ungewohnten

Anflug von Galgenhumor, wenn Molotow seinerseits durch einen weniger

antipolnischen Mann abgelöst würde, sei er bereit, auf Maiskis Wunsch

einzugehenÓÔ. Churchill telegrafierte an Stalin, daß er wie die Sowjets

meine, die polnische Regierung müsse verbessert werden, und er fügte

hinzu: »Ich glaube wie Sie, daß man Sikorski und einige andere auf jeden

Fall behalten sollteÔÊ.« Am gleichen Tag informierte Eden Botschafter

Maiski, der polnische Ministerpräsident habe die Absicht, in seiner

Eigenschaft als polnischer Oberbefehlshaber eine Inspektionsreise zu

seinen Truppen im Nahen Osten zu unternehmen; in diesem Augenblick

wolle die britische Regierung nicht eine Umbildung der polnischen

Regierung in London erzwingen. Er versicherte Maiski aber, daß man bald

Änderungen vornehmen würdeÔÁ.

Goebbels kommentierte: »Der sogenannte polnische Außenminister

Raczynski gibt eine Erklärung ab, in der er die in der Sowjetunion noch

Page 36: Irving David - Mord aus Staatsräson

PS

befindlichen Polen zurückverlangt. Sikorski ist etwas in den Hintergrund

zurückgetreten, offenbar um die Sowjets nicht allzusehr zu reizen. Aber an

der polnischen Politik hat sich im Grunde genommen nichts geändert.«

Am nächsten Tag fuhr er fort: »Die Polen mosern immer weiter gegen die

Sowjetunion. Man hat in keiner Weise den Eindruck, daß ein Ausgleich

hier in absehbarer Zeit in Sicht wäre. Die Sikorski und Genossen zeigen

keine Neigung, den Drohungen der Sowjets nachzugeben. Man wundert

sich, daß sie eine so harte Haltung einnehmen können, und legt sich die

Frage vor, wer sie denn eigentlich finanziert; denn die englische Regierung

hat sicherlich an diesem Konflikt kein besonderes InteresseÔË.«

Sikorski traf Vorbereitungen, London in der letzten Maiwoche zu

verlassen. Kurz vor der Abreise schrieb er Churchill, der soeben von einem

kurzen Amerikaaufenthalt zurückgekehrt war, einen letzten Brief. Er fügte

ein Dokument bei, das ihm aus dem okkupierten Polen zugeleitet worden

war und aus dem hervorging, daß man in der Heimat mit seiner Politik

vollkommen einverstanden sei. Der polnische Ministerpräsident äußerte

den Wunsch, polnische Truppen sollten sich an der eventuell bald statt-

findenden Invasion des Kontinents beteiligen. »Wie Sie wissen«, schloß er,

»reise ich in Kürze in den Nahen Osten, um die dort befindlichen

polnischen Truppen zu inspizieren. Ich habe aber das Gefühl, Ihnen noch

vor meiner Abreise von ganzem Herzen zu den Reden, die Sie in Amerika

gehalten haben, gratulieren zu müssen. Sicher wird Ihnen die Gewißheit

Freude bereiten, daß alle Polen, ob sie nun in der Heimat kämpfen und

leiden oder ob sie sich innerhalb der Grenzen des britischen Imperiums

befinden, ein geradezu mystisches Vertrauen in Großbritannien und Ihre

Führung setzenÔÈ.«

In diplomatischen Kreisen war man über die bevorstehende Abreise

des Generals erleichtert. Es ließ sich nicht leugnen, daß sich die inter-

nationalen diplomatischen Querelen wieder einmal um Polen drehten; im

Mittelpunkt dieser Streitigkeiten stand Sikorski, beharrlich und nicht

bereit, seine Position preiszugeben oder auch nur zu modifizieren. Auch

von optimistischen Staatsmännern der Alliierten war die sowjetische

Politik seit NVQN mit Mißtrauen beobachtet worden, und jetzt endlich traten

ihre Ziele deutlich zutage: die Sowjetunion wollte die baltischen Staaten,

die Polen seit jeher der eigenen Interessensphäre zugerechnet hatte, und sie

Page 37: Irving David - Mord aus Staatsräson

PT

wollte die Curzon-Linie. Kein Mitglied der polnischen Regierung, am

wenigsten aber General Sikorski, hätte diese Grenze akzeptiert. Katyn war

für die Russen nur ein Vorwand gewesen, um die Beziehungen zu den

Londoner Polen zu unterbrechen und den Weg für eine

Marionettenregierung in Nachkriegspolen vorzubereiten. Eine solche

Regierung würde zweifellos alle Forderungen der Sowjets erfüllen. Die

britische Regierung hatte bei den üblichen Beschwichtigungsmaßnahmen

Zuflucht gesucht, konnte den Ambitionen der Russen dadurch aber kaum

ernsthaft in den Weg treten: Appeasement-Politik, nicht mehr unverhüllt

und erniedrigend wie im Jahre NVPU, sondern Appeasement hinter

verschlossenen Türen. Und die am meisten Betroffenen, die Polen selbst,

kannten die Einzelheiten dieses Arrangements immer noch nicht!

Obgleich wir den unschätzbaren Vorteil haben, den Zeitraum von NVQN

bis zum Ende des Frühjahrs NVQP aus der Rückschau überprüfen zu

können, ist nicht leicht zu zeigen, zu welchem Zeitpunkt und auf welche

Art und Weise die britische Regierung anders hätte vorgehen können.

Sikorski hätte zu beweisen versucht, daß die Engländer den Sowjets in

einem Augenblick, als die britische Position im Krieg vergleichsweise

günstig war, unnötige Zugeständnisse gemacht hätten, ohne ausreichende

Gegenleistungen zu fordern. NVQP dagegen, als die Situation genau

umgekehrt war und das Kriegsglück sich der UdSSR zuzuwenden begann,

hätten die Briten naiverweise geglaubt, auf der gleichen freundschaftlichen

Basis weiterverhandeln zu können. Wahrscheinlich käme Sikorski damit

der Wahrheit ziemlich nahe.

Auch muß der Historiker einen gewissen Grad von Nachsicht walten

lassen: es wäre ungerecht, die britischen Minister, die an den geheimen

Verhandlungen beteiligt waren, nur deshalb als Schurken zu bezeichnen,

weil sie unter tragischen Umständen nicht in Übereinstimmung mit ihren

früheren Prinzipien handelten. Eines ist allerdings nicht zu leugnen: Die

tatsächlichen Aktionen der britischen Regierung ließen sich mit ihren

mündlichen Beteuerungen zugunsten der Polen nicht vereinbaren.

Page 38: Irving David - Mord aus Staatsräson

PU

II. Sechs Wochen zu früh

Wäre General Sikorski bereits im Mai oder Juni NVQP, auf dem Höhepunkt

der Kontroverse zwischen westlichen Alliierten und der Sowjetunion,

plötzlich gestorben � viele der scheinbar unlösbaren Probleme hätten sich

dann von selbst erledigt. Aber der polnische Politiker lebte noch, und

niemand konnte ihm die uneingeschränkte Führung der Exilregierung

streitig machen. Alle im westlichen Ausland lebenden Polen, ganz gleich,

was sie von seiner früheren liberalen Haltung der Sowjetunion gegenüber

halten mochten, hatten eingesehen, daß sein Schicksal untrennbar mit

dem Schicksal Polens verbunden war. Es gab keinen Politiker von ähn-

lichem internationalen Ansehen, der Sikorski hätte ersetzen können, und

einem eventuellen Nachfolger wäre es kaum möglich gewesen, Rechte und

Machtbefugnisse geltend zu machen, wie man sie Sikorski auf regulärem

und legalen Wege zugestanden hatte.

Die Alliierten hätten die Ernennung eines anderen Regierungsober-

haupts dazu benutzen können, die Polen unauffällig zu einer Umbildung

ihres Kabinetts zu zwingen und so die offensichtlich von den Russen

geforderten prosowjetischen Elemente einzuschleusen. Auf diese Weise

hätte man den Weg zu einem Ausgleich finden können, ohne das Gesicht

zu verlieren.

Aber General Sikorski war nicht tot, ganz im Gegenteil. Die offene

Bedrohung der polnischen Ostgebiete hatte ihm neue Kraft verliehen, als

er seine Inspektionsreise in den Nahen Osten antrat. Für die Engländer,

denen das polnische Problem am meisten auf der Seele lastete, bestand

keinerlei sichere Aussicht, daß irgendein freundlicher Attentäter � ähnlich

dem irregeleiteten Franzosen, der fünf Monate vorher Admiral Darlan

getötet hatte � das Ableben dieses äußerst rührigen Polen beschleunigte.

Die Deutschen brauchten ihn zur Fortführung ihres Propagandafeldzugs,

für die Sowjets war er der Vorwand, auch weiterhin die polnische Regier-

ung in London nicht anzuerkennen � zugleich aber waren beide, Deutsche

und Russen, Sikorskis einzige wirkliche Widersacher. Allein die Möglich-

keit, der polnische Politiker könne auf geheimnisvolle Weise plötzlich das

Opfer eines Sabotageanschlags werden und von der Bildfläche verschwin-

den, während die Augen der gesamten Weltöffentlichkeit auf ihm ruhten,

Page 39: Irving David - Mord aus Staatsräson

PV

muß die führenden Männer des Foreign Office damals unruhig gemacht

haben.

Zwei polnische Minister hatten versucht, General Sikorski von seinem

Reisevorhaben abzubringen, da sie fürchteten, er würde unter Umständen

nicht mehr lebend nach Großbritannien zurückkehren: sowohl den

polnischen als auch den britischen Behörden war gemeldet worden, die

polnische Armee unter General Anders sei geradezu ein Treibhaus von

Ressentiments gegen Sikorski, und zwar aufgrund seiner früheren, kom-

promißbereiten Haltung zur SowjetunionÔÍ. Es bestand also durchaus die

Gefahr, ein Fanatiker aus den Reihen der polnischen Truppen könne ihn

niederschießen. Andere Politiker dagegen waren der Ansicht, Sikorski

hätte weit mehr zu fürchten als seine Feinde unter den eigenen Lands-

leuten. Ein Offizier der Informationsabteilung des polnischen Verteidig-

ungsministeriums, Stanislaw Strumph-Wojtkiewicz, berichtet, daß kurz

vor der Abreise des polnischen Ministerpräsidenten ein Chiffrierbeamter

aus dem britischen War Office empfahl, Sikorski solle unter keinen

Umständen in den Nahen Osten reisenÔÎ. Der General ignorierte jedoch

alle düsteren Vorzeichen und trat am OQ. Mai NVQP seine Reise an.

Nach einer einstündigen Konferenz mit Anthony Eden im Foreign

Office sowie einem Essen im Dorchester mit seinem Stellvertreter, Stanis-

law Mikolajczyk, und vier Ministern seines Kabinetts � Kot, Kwapinski,

Seyda und Popiel � wurde General Sikorski von einer kleinen Gruppe

polnischer Politiker an den Bahnhof Paddington gebracht, wo er einen

Zug zum Flugplatz des Transportkommandos der RAF in Lyneham bei

Bristol nehmen sollte. Ursprünglich hatte man vor, vom Londoner Flug-

platz Hendon aus nach Lyneham zu fliegen, der Plan war jedoch wegen

ungünstiger Wetterbedingungen fallengelassen wordenÔÏ.

Der polnische Verteidigungsminister, General Kukiel, begleitete die

Gruppe. Kurz vor Abfahrt des Zuges klagte Sikorski über ein leichtes

Unwohlsein; sein Herzleiden machte ihm öfters zu schaffen. Kukiel nahm

die Tochter Sikorskis, Frau Zofia Lesniowska, beiseite und fragte, ob sie

wisse, was zu tun sei, wenn solche Unpäßlichkeiten wiederholt aufträten;

Frau Lesniowska erwiderte, sie sei gut vorbereitet � in ihrer Reiseapotheke

führte sie Medikamente und Injektionsmaterial mit sichÔÌ. Um NS.NO Uhr

verließ der Zug den Bahnhof Paddington, und die Reise, von der Sikorski

Page 40: Irving David - Mord aus Staatsräson

QM

niemals zurückkehren sollte, begann.

Man verließ Lyneham mit einem Bomber amerikanischer Herkunft,

einem »Liberator« der Consolidated Vultee Aircraft Corporation, San

Diego. Die Maschine hatte die Registriernummer AL ROP. Der Leser wird

im weiteren Verlauf des Berichts mit dieser Nummer vertraut werden, da

der polnische Ministerpräsident in derselben Maschine den Tod finden

sollteÔÓ. Pilot des Flugzeugs war Edward Maks Prchal, ein außerordentlich

erfahrener Fliegerhauptmann der tschechoslowakischen Luftwaffe.

Es war vollkommen dunkel, und der Regen fiel in Strömen, als das

Flugzeug zehn Minuten nach Mitternacht von der Piste abhob und

Richtung auf den Atlantik nahm, um die von den Deutschen besetzten

europäischen Küsten zu vermeidenÔÔ. Als sich der Liberator der britischen

Kronkolonie Gibraltar näherte, klarte das Wetter auf, und bei der Landung

auf dem kurzen Landestreifen hinter dein Felsen von Gibraltar, am OR. Mai

um V.PM Uhr, schien die Sonne.

Der Militärgouverneur der Kolonie, General Mason-Macfarlane, und

die höheren Offiziere der Festung erwarteten die Gäste auf dein Flughafen.

Sikorski und seine Begleiter wurden zum Regierungsgebäude von Gibral-

tar, dem man den Spitznamen »Convent« verliehen hatte, gebracht, um

dort ein Frühstück einzunehmen. Anschließend führte Sikorski Gespräche

mit Vertretern der polnischen MissionÁÊÊ; er teilte ihnen mit, daß er in

ungefähr sechs Wochen wieder Zwischenstation in Gibraltar machen und

ihnen dann neue Instruktionen erteilen werde. Die Hauptaufgabe der

polnischen Militärmission in Gibraltar bestand darin, die Evakuierung der

polnischen Flüchtlinge aus Spanien und Nordafrika zu organisierenÁÊÁ.

Sikorski und der britische Gouverneur waren alte Freunde. Am Abend

inspizierten sie eine Gruppe polnischer Offiziere und Mannschaften und

vereinbarten mit der RAF den Weiterflug nach Kairo, der am folgenden

Morgen stattfinden sollte.

Sikorskis Mitarbeiter in London erfuhren am OR. Mai um NU Uhr, daß

der General das erste Ziel seiner Reise wohlbehalten erreicht habe. Am

nächsten Tag dann ereignete sich ein Vorfall, den man zumindest als

düsteres Omen betrachten mußte. Sikorskis Minister hatten in ihren

Londoner Büros während des ganzen Vormittags mit ängstlicher

Spannung die Meldung von der sicheren Ankunft ihres Vorgesetzten in

Page 41: Irving David - Mord aus Staatsräson

QN

Kairo erwartet. Einer von ihnen, Minister Karol Popiel, befand sich in

seinen Räumen im polnischen Arbeitsministerium in der Clifton Street,

London W. N. Mikolajczyk hatte versprochen, ihn dort zu benachrichtigen,

sobald er Genaueres wüßte. Das Telefon läutete, und als Popiel den Hörer

abnahm, fragte ihn eine Stimme in gutem Polnisch: »Spreche ich mit

Herrn Popiel?« Popiel bejahte, und die Stimme fuhr rasch fort: »Haben Sie

schon die Neuigkeit gehört, Minister? Die Maschine General Sikorskis ist

in Gibraltar abgestürzt, und alle Passagiere sind dabei umgekommen.«

Zunächst nahm Popiel an, jemand wolle ihm einen dummen Streich

spielen, und fragte ärgerlich: »Was für einen Unsinn reden Sie da . . . und

wer sind Sie überhaupt?« Es kam jedoch keine Antwort mehr, der

unbekannte Anrufer hängte ein. Popiel war überzeugt, das Opfer eines

makabren Scherzes oder eines Einschüchterungsversuches gewesen zu sein,

rief aber trotzdem bei Mikolajczyk an, um sich zu vergewissern, ob

inzwischen die Nachricht von Sikorskis sicherer Ankunft in Kairo

eingetroffen sei. Mikolajczyk teilte ihm mit, er und auch General Modelski,

der stellvertretende Verteidigungsminister, hätten soeben ganz ähnliche

Telefonanrufe erhalten. Besorgt setzte sich der stellvertretende

Ministerpräsident mit den britischen Behörden in Verbindung; man

versicherte ihm, General Sikorski habe Gibraltar ordnungsgemäß verlassen

und befände sich zur Zeit auf dem Weiterflug nach AfrikaÁÊË. In der Tat �

dem Liberator war bis jetzt noch nichts zugestoßen. Erst sechs Wochen

später sollten Sikorski und alle seine Begleiter bei dem Flugzeugunglück in

Gibraltar ums Leben kommen.

1

Wer könnte in Gibraltar einen Sabotageanschlag auf ein Flugzeug der

Alliierten verüben? Zunächst würde man unwillkürlich die deutsche

Abwehr, den von Admiral Canaris geleiteten militärischen Nachricht-

endienst, verdächtigen. General Erwin Lahousen befehligte die O. Abteilung

der Abwehr, eine Sabotageorganisation, die fast überall Helfer und

Mittelsmänner hatte � ihre Saboteure wurden von U-Booten vor der

amerikanischen Küste abgesetzt, landeten mit Fallschirmen in England,

Page 42: Irving David - Mord aus Staatsräson

QO

während man die Briten durch Bornbardements nahe gelegener Städte

ablenkte, und wurden mit allen möglichen Mitteln und Tricks in feindliche

Gebiete eingeschleust, um dort Kriegseinrichtungen zerstören und

möglichst unentdeckt entkommen zu können.

Ein auf spanischem Boden befindliches Hauptquartier der Abwehr

organisierte die deutschen Sabotageaktionen in Gibraltar. Oberleutnant

Hummel leitete die Dienststelle, während Major Rudloff die verschiedenen

Operationen koordinierte. Gemeinsam mit ihren bezahlten Agenten

führten sie einen pausenlosen Kleinkrieg mit den britischen Behörden am

Felsen, verübten Anschläge auf das Kraftwerk, auf Treibstofflager,

stationierte Flugzeuge, Lebensmitteldepots und andere Ziele. Lediglich im

Juni NVQN beendete Berlin zeitweise die Kampagne, da man einen deutschen

Saboteur verhaftet und auf kriegsübliche Weise behandelt hatte. Dann

setzten die Sabotageaktionen jedoch wieder ein und erreichten im

Frühjahr NVQO ihren Höhepunkt; die Briten trafen Gegenmaßnahmen und

wiesen mehrere hundert als potentielle Agenten verdächtigte spanische

Arbeiter ausÁÊÈ. Die deutsche Abwehr bewerkstelligte es NVQO trotzdem

immer wieder, in doppelten Chassisböden von Motorfahrzeugen aus-

reichende Mengen von Explosivstoffen in die britische Kronkolonie

einzuschmuggeln. Ihre Agenten brachten zahlreiche Zeitbomben und

Haftminen an bzw. in Handels- und Kriegsschiffen an, und es gelang ihnen

auch, einige Schiffe zu versenkenÁÊÍ. Im September NVQO wurde Hummel

plötzlich nach Berlin beordert, wo Admiral Canaris ihn instruierte, daß

weitere Anschläge auf die britische Kolonie im Augenblick zu unterbleiben

hätten. Das geschah offensichtlich aus politischen MotivenÁÊÎ. Erst am N.

Juni NVQP, also eine Woche nach dem mysteriösen Anruf bei Minister

Popiel, hob das Hauptquartier der deutschen Abwehr die Einschränkung

der unmittelbar gegen Gibraltar gerichteten Sabotageaktionen wieder auf.

An jenem Tag erörterten Admiral Canaris und Raeders

Sonderbeauftragter, Admiral Weichold, in einer Sonderkonferenz über die

Arbeit der Abwehr in Island auch neue Möglichkeiten, die Sabotageakte in

Gibraltar wiederaufzunehmen. Weichold schlug Canaris vor, die

Operationen direkt gegen den inneren Hafen der Festung und die Bucht

von Gibraltar zu richten; auch der angrenzende, exterritoriale

Mittelmeerstreifen sollte nicht verschont bleiben. Aus politischen

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QP

Erwägungen sah man von der letzten Möglichkeit ab, während die ersten

beiden Vorschläge gutgeheißen wurdenÁÊÏ.

Eine Woche darauf wurde Hummel abermals aus Spanien nach Berlin

gerufen und informiert, Admiral Canaris wolle eine halbe Million Peseten

für Sabotageanschläge auf die unterirdischen Waffen- und Warendepots

im Hauptfelsenkomplex der Kronkolonie zur Verfügung stellenÁÊÌ. Hier

senkt sich der Vorhang über die weitere Aktivität der deutschen Abwehr

auf der Iberischen Halbinsel.

Das Leben General Sikorskis wurde zum Gegenstand wachsender

Sorge; in London äußerte man offen Angst um die Sicherheit des

polnischen Ministerpräsidenten. Zwei Minister seines Kabinetts hatten

ihm bereits gemeinsam einen Brief geschrieben und ihn darin dringend

aufgefordert, die Reise in den Nahen Osten nicht anzutreten, da er sich

dadurch ihrer Meinung nach einer unverhältnismäßig großen Gefahr

aussetzte: er sei unersetzlich für sein Land. Aus dem okkupierten Polen

trafen Warnungen ein, Sikorski möge sich vorsehenÁÊÓ. Freunden

gegenüber hatte Sikorski geäußert, er sei schon so oft gereist und habe

dabei »so viel Glück gehabt«, daß es vielleicht klüger wäre, kein weiteres

Risiko auf sich zu nehmenÁÊÔ. Sein einziges Kind, Zofia, hatte er mit-

genommen, da er in Notfällen jemanden brauchte, der erste ärztliche Hilfe

leisten konnteÁÁÊ. Außerdem war Zofia Lesniowska Leiterin des polnischen

Frauenhilfskorps und sollte polnische Fraueneinheiten im Nahen Osten

inspizieren. Ihr Mann befand sich in Kriegsgefangenschaft in einem

deutschen Lager. General Sikorski wußte, daß der Tod ihn überall auf

seiner Reise ereilen konnte; in London hatte er deshalb ein Dokument mit

politischen Direktiven vorbereitet, das im Falle seines Todes für die

polnische Regierung bestimmt war. Diese Tatsache war allgemein

bekanntÁÁÁ.

In der letzten Juniwoche hatte man die anstrengende Reise beinahe

beendet. Trotz einer einwöchigen Ruhepause in Beirut war General

Sikorski physisch völlig erschöpft � Hitze und dauernde Anspannung

hatten ihn zu sehr mitgenommen. Radio Moskau hatte inzwischen die

Kampagne gegen die polnischen Ostgebiete mit unverminderter Intensität

fortgesetzt: am OM. Juni wurde die Deklaration eines »Verbands polnischer

Patrioten« in der Sowjetunion gesendet, in der polnische Ansprüche auf

Page 44: Irving David - Mord aus Staatsräson

QQ

deutsche und tschechoslowakische Territorien angemeldet wurden. Dieser

»Verband« ließ weiter verlauten, Polen wünsche keinen Fußbreit Boden

der Ukraine, Weißrußlands oder LitauensÁÁË.

Der Londoner Dziennik Polski erwiderte, die polnische Regierung habe

ursprünglich keine derartigen Forderungen gestellt, sei aber auch nie

bereitgewesen, auf Lemberg und Wilna zu verzichten. Weiter hieß es: »Der

sogenannte Verband polnischer Patrioten in Moskau ist eine Fiktion,

deren Weiterbestehen ein Hindernis für die Aufnahme einer polnisch-

sowjetischen Zusammenarbeit bildet.«

Am OP. Juni berief General Sikorski eine Geheimkonferenz aller

polnischen Militärführer und Politiker im Nahen Osten ein und ver-

sicherte ihnen, die polnische Regierung sei im Besitz einer britischen

Garantieerklärung: Großbritannien werde niemals territorialen Veränder-

ungen in Polen zustimmen. Inzwischen hatte er aber von Roosevelt

Antwort auf den Brief erhalten, den er viele Wochen vorher an den

amerikanischen Präsidenten gerichtet hatte. Diese Antwort muß Sikorski

bitter enttäuscht haben. Der Präsident drückte in allgemein gehaltenen

Wendungen den Wunsch aus, Polen möge mit der Sowjetunion

zusammenarbeiten, und sprach von seinen Bemühungen um »Sieg und

einen dauernden, auf Gerechtigkeit und dem gemeinsamen guten Willen

basierenden Frieden«. Der Inhalt des Schreibens war vage, von einer

Garantie der polnischen Ostgrenze nach dem Kriege war überhaupt nicht

die RedeÁÁÈ. Sikorski konnte nicht wissen, daß Eden den amerikanischen

Präsidenten vor den territorialen »Ambitionen« Polens nach Kriegsende

gewarnt hatte. Selbst vor seinen näheren Freunden hielt er den Inhalt des

Briefes geheim.

Auf seiner Inspektionsreise zu den polnischen Truppen hielt der

Ministerpräsident zahlreiche Reden und sprach ganz offen von seiner

Sorge über das Schicksal Polens. Seinen in Palästina stationierten Lands-

leuten rief er die Forderung ins Gedächtnis, daß er als erster das Banner

Polens aufrechterhalten müsse: »Das ist wohl wahr. Es ist aber auch wahr,

daß bereits vor dem Fall Frankreichs vier polnische Truppenverbände

aufgestellt wurden, die in heroischen Schlachten dem Namen ihrer Heimat

alle Ehre machten. Das war der erste Meilenstein in unserem Kampf für

Polen. Der zweite war meine historische Begegnung mit Winston Chur-

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QR

chill nach der Niederlage Frankreichs, bei der ich ihm mitteilte, wir hätten

die feste Absicht, den Kampf fortzusetzen. Churchill ergriff impulsiv meine

Hand und sagte, damit hätten wir � auf Ehrenwort � ein Bündnis auf

Leben und Tod geschlossen.« Sikorski berichtete seinen Truppen, daß

Großbritannien daraufhin Schiffe für die Evakuierung der polnischen

Einheiten aus Frankreich zur Verfügung gestellt hatte. Der »dritte

Meilenstein« schließlich sei der von ihm unterzeichnete Vertrag mit der

Sowjetunion gewesen, ein Vertrag, den die Staatsräson verlangt habe. Der

General fügte hinzu: »Ich kann euch versichern, daß wir nichts getan

haben, was als Bruch dieses Vertrages ausgelegt werden könnte. Wir haben

es diesem Abkommen zu verdanken, daß ihr, Soldaten Polens, heute hier

seidÁÁÍ.«

Wieder in Kairo, kündigte Sikorski wenige Tage später an, eine voll-

ständig motorisierte polnische Armee werde »bald auf den Schlachtfeldern

Europas kämpfen«. Alle Wege nach Polen führten über diese Schlacht-

felder, fügte er hinzu und schloß: »Wir Polen befinden uns auf dem

Heimweg ins Vaterland.« Auf einer Pressekonferenz bestätigte er, daß die

polnische Regierung nach wie vor an einen losen osteuropäischen Staaten-

bund glaube: ein enges Bündnis mit der Tschechoslowakei und lockere

Bindungen an Jugoslawien sowie Griechenland � dieses System würde

helfen, Deutschland in seinen Schranken zu halten und die Zusammen-

arbeit mit der Sowjetunion zu verbessernÁÁÎ. »Polen wird nichts unter-

nehmen, was der Wiederaufnahme der Beziehungen zur Sowjetunion

abträglich wäre«, äußerte er. »Das Verhältnis beruht auf den Grundsätzen,

die im Vertrag vom Dezember NVQN niedergelegt wurden und den Stalin

und ich gemeinsam unterzeichnetenÁÁÏ.«

In Privatgesprächen mit Anders und anderen polnischen Offizieren in

Kairo gab Sikorski allerdings zu, er habe inzwischen erkannt, daß die

Sowjets nicht die Absicht hätten, ihre mit den Polen getroffenen Verein-

barungen einzuhalten, und daß die Fernziele von Generalissimus Stalin

den polnischen Interessen diametral zuwiderliefenÁÁÌ. Polen mußte also

auf die Hilfe Amerikas und Großbritanniens hoffen, wenn es seine

Unabhängigkeit bewahren wollte.

Wer General Sikorski in Kairo aus der Nähe erlebte, sah sofort, daß er

völliger physischer Erschöpfung nahe war. Frau Lesniowska, die Tochter

Page 46: Irving David - Mord aus Staatsräson

QS

des polnischen Ministerpräsidenten, hatte ebenso düstere Vorahnungen

wie ihr Vater. Sie vertraute Zazulinski ihre ernstliche Befürchtung an, sie

würde umgebracht werden und den Tod durch Ertrinken erleiden, und

ihre Leiche würde niemals aufgefunden, sondern von den Fischen des

Meeres vertilgt werden. Sikorski machte sich heftige Vorwürfe, seiner

Tochter die Teilnahme an der Reise erlaubt zu haben, und er fügte bewegt

hinzu, er trage ihrer Mutter gegenüber eine immense Verantwortung.

Welchen Wert man auch diesen Erinnerungen post facto beimessen mag,

eines stand für alle Beteiligten fest: Sikorski brauchte Ruhe und Erholung.

Zazulinski schlug ihm am OV. Juni vor, ein paar Tage zu verreisen und sich

dabei die wundervollen Ausgrabungen in Luxor und Assuan anzusehen.

Sikorski nahm die Anregung dankbar auf, doch als Reuter und weitere

Nachrichtenagenturen bereits gemeldet hatten, der polnische General

verschöbe seine Rückkehr nach England, trafen aus London Nachrichten

ein, die Sikorski bewogen, seinen Plan wiederum zu ändernÁÁÓ.

Bei einem Essen mit Lord Moyne am PM. Juni erreichte ihn ein

Telegramm Churchills:

»Bin erfreut, von Casey über den uneingeschränktenErfolg Ihrer Reise zu hören. Wäre froh, Sie daheimbegrüßen zu können.

Churchill.«

Die Polen zumindest faßten das Telegramm als »ungeduldigen«

Rückruf nach London aufÁÁÔ. Noch am selben Abend startete in Gibraltar

der Liberator AL ROP, der die polnische Gruppe bereits in den Nahen Osten

geflogen hatte. Der Pilot, Fliegerhauptmann J. E. F. Ware, nahm Kurs auf

Kairo, um den General und seine Mitarbeiter abzuholen. In Kairo befand

sich allerdings schon Hauptmann Prchal mit seiner dem Untergang

geweihten Besatzung: sie waren am OT. Juni aus Lyneham abgeflogen,

hatten die Nacht in Gibraltar verbracht und Kairo mit einem anderen

Liberator, der die Nummer AL SNS trug und gewöhnlich von Prchal

geflogen wurde, am späten Abend des OU. Juni erreichtÁËÊ. Somit hatten

sich alle Teilnehmer an General Sikorskis Reise in die Ewigkeit in dieser

Stadt versammelt und warteten, daß der polnische Politiker das Zeichen

zum Abflug gab.

Page 47: Irving David - Mord aus Staatsräson

QT

Während Churchill sich in London überschwenglicher Lobpreisungen

erfreuen konnte, war Sikorskis Stern im Sinken begriffen. Voll dunkler

Ahnungen war er im Nahen Osten von einer polnischen Einheit zur

anderen geeilt, hatte seine Truppen inspiziert und versucht, ihnen Dinge

zu erklären, die er selbst nicht begreifen konnte. Die englischen Zeitungen

erwähnten den Massenmord von Katyn mit keinem Wort mehr, schwiegen

über die polnische Grenzfrage und übergingen Sikorski. In den beiden auf

den OT. April folgenden Wochen erschien sein Name noch an sieben Tagen

in der englischen Presse � in der letzten Junihälfte wurde er nur noch

einmal erwähntÁËÁ.

Am PM. Juni, als Sikorski in Kairo das Telegramm Churchills las, wurde

der englische Premier durch jubelnde Menschenmengen in die von

Bomben heimgesuchte Londoner Innenstadt gefahren, wo man ihm in der

Guild Hall den Orden »Freedom of the City« verleihen wollte. Es waren

nicht nur Passanten, die die Straßen bevölkerten � Männer in Overalls,

Soldaten in Uniform, Zivilisten aus den befreundeten Ländern, alle waren

in die Hauptstadt des Empire geeilt, um ihr Oberhaupt zu sehenÁËË. Chur-

chill, lächelnd und die unvermeidliche Zigarre im Mund, war strahlender

Laune und wurde nach seiner Rede begeistert gefeiert. Er wußte bereits,

daß Truppen der Alliierten in wenigen Tagen auf feindlichem Gebiet � in

Sizilien � landen und eine neue Front gegen die Achsenmächte bilden

würden.

Was die auswärtigen Angelegenheiten betraf, so verdunkelte nur noch

die polnische Frage den Horizont. Moskau hatte inzwischen die Bildung

einer polnischen Nationalversammlung angekündigt. Dann aber gab der

Vatikan am N. Juli vollkommen unerwartet bekannt, daß er die Regierung

Sikorski diplomatisch anerkannt hätte � das polnische Kabinett erhielt

damit als erste Exilregierung überhaupt einen vatikanischen Geschäfts-

trägerÁËÈ. In Kairo hielt General Sikorski seine letzte Pressekonferenz ab

und berichtete stolz von den polnischen Truppen, die er inspiziert hatte:

»Ich freue mich, Ihnen die Mitteilung machen zu können, daß ich die

ersten Truppen, die wieder nach Polen kommen, persönlich befehligen

werdeÁËÍ.«

Page 48: Irving David - Mord aus Staatsräson

QU

2

Sikorskis Abreise aus Kairo war für den P. Juli NVQP festgesetzt worden. Ein

polnischer Journalist, der am vorhergehenden Tag mit ihm sprach, fand

den General völlig erschöpft und in außerordentlich nervösem Zustand.

Als Sikorski seine Tochter erblickte, die soeben mit vielen Paketen beladen

von einem Einkaufsbummel zurückkehrte, fragte er sie gereizt, ob sie auch

nodi Sphinx und Cheopspyramide mitnehmen wolleÁËÎ. Bald darauf

erschien ein Offizier der RAF, um das Gepäck der polnischen Gruppe zu

wiegen � ein Detail, das für die Sicherheit der Maschine von nicht geringer

Bedeutung war. Jede Kleinigkeit mußte ordnungsgemäß verstaut werden,

um die Fluglage der Maschine später nicht ungünstig zu beeinflussenÁËÏ.

Sikorski ließ durch den polnischen Konsul bei der RAF anfragen, ob man

ihm wieder denselben Piloten zur Verfügung stellen könne, den er schon

beim Abflug aus England gehabt habe: Fliegerhauptmann Edward Prchal

habe ihn durch seine Erfahrung und seine Geschicklichkeit außerordent-

General Sikorski und General Kukiel mit Ehepaar Churchill. Hinter demenglischen Ministerpräsidenten steht exil-polnischer AußenministerGraf Raczynski.

Page 49: Irving David - Mord aus Staatsräson

QV

lich beeindruckt. Man erfüllte seine Bitte, und das Transport Command

der RAF kommandierte Prchal und dessen Besatzung ab, um Sikorski mit

der polnischen Gruppe nach England zurückzubringen. Dabei sollte

wieder der Liberator AL ROP benutzt werden. Um zu zeigen, wie sehr er

Prchal schätze, ließ General Sikorski in Kairo ein silbernes Zigarettenetui

besorgen, mit einer Widmung versehen und dem Offizier überreichenÁËÌ.

Die Tatsache, daß Prchal ausschließlich aufgrund einer besonderen Bitte

Sikorskis zum Piloten des Rückflugs bestimmt wurde, spielte später, nach

dem Unglück, bei der Widerlegung bestimmter Behauptungen eine

gewichtige Rolle.

Am Tage des Abflugs stand Sikorski bereits um P Uhr morgens auf, um

noch in Kairo seine Korrespondenzen zu beenden und die restlichen

Papiere zu unterzeichnen, bevor die Hitze des Tages es unmöglich machte.

Nach einem kleinen Frühstück brach er um R Uhr mit seinen Begleitern

zum Wüstenflugplatz »Cairo-West« auf. General Anders hatte am Tag

zuvor einen Malariaanfall erlitten und konnte Sikorski nicht zum Flugzeug

begleiten. Als die Gesellschaft den bereitstehenden Liberator bestieg,

kritzelte der polnische Ministerpräsident noch schnell eine letzte

freundliche Notiz für Anders: »Ich wünsche Ihnen eine schnelle Genesung,

General, und erfolgreiche Arbeit für die Sache PolensÁËÓ.«

Minuten später hob der Liberator von der Piste ab und begann seinen

langen Flug nach Gibraltar.

Page 50: Irving David - Mord aus Staatsräson

RM

ZWEITER TEIL

Die Katastrophe

III. Farce und Tragödie

In Gibraltar rief der Militärassistent des Gouverneurs, Major Anthony

Quayle, den dort stationierten polnischen Verbindungsoffizier, Oberleut-

nant Graf Ludwik Lubienski, an und bat ihn, sofort zur Residenz zu

kommen. Als der Pole den Vorraum zum Gouverneursbüro betrat,

überfiel Quayle ihn mit den Worten: »Lubienski, ich sitze ganz schön in

der Patsche. Soeben höre ich aus Kairo, daß Sikorski den Rückflug

angetreten hat und am Nachmittag hier ankommen wird. Er hat gebeten,

die Nacht hier zu verbringen, bevor er morgen abend nach London

weiterfliegt.«

Es hatte sich die folgende peinliche Situation ergeben: der russische

Botschafter in London, Iwan Maiski, sollte auf einer Reise nach Kairo

ebenfalls Station in Gibraltar machen, und das Foreign Office hatte die

russische Gruppe für eben diesen Nachmittag in der Kronkolonie avisiert,

obwohl man in Whitehall natürlich wußte, daß die Sowjets alle diplo-

matischen Beziehungen zur polnischen Regierung abgebrochen hatten.

Wie üblich, so erklärte Mason-Macfarlane, habe sich das Foreign Office

auch diesmal ganz schön in die Nesseln gesetzt. Auch Maiski und seine

Begleitung hatten den Wunsch geäußert, die Nacht in der Gouverneurs-

residenz verbringen zu könnenÁËÔ. Macfarlane konnte natürlich nicht zur

gleichen Zeit Gastgeber für die Russen und die Polen spielen. Eine zufällige

Begegnung der beiden Parteien unter seinem Dach hätte außerdem zu

einer peinlichen Szene, unter Umständen gar zu diplomatischen

Verwicklungen führen können. Also mußte das Foreign Office nun eine

Farce aushecken, für die es in der internationalen Diplomatie wohl keinen

Präzedenzfall gibt: die heitere Ouvertüre eines Tages, der mit einer

Page 51: Irving David - Mord aus Staatsräson

RN

Tragödie enden sollte.

Der britische Militärgouverneur hatte bei seiner Entscheidung, welche

der beiden angekündigten Gäste er vorziehen sollte, keinerlei Schwierig-

keiten. Wenn er mit bestimmten Persönlichkeiten absolut nicht ein-

verstanden war, konnte er jede diplomatische Verbindlichkeit fahren-

lassen; als General Montgomery zum Beispiel eines Tages Zwischenstation

in Gibraltar machte, hatte Macfarlane unter einem fadenscheinigen

Vorwand das Bett gehütet � nur um nicht einen Mann begrüßen zu

müssen, der ihm verhaßt warÁÈÊ. Sikorski schätzte er außerordentlich und

sah in ihm einen persönlichen Freund, während seine Gefühle der

Sowjetunion gegenüber sich abgekühlt hatten, als er die britische

Militärmission in Moskau leitete. Gegen Botschafter Maiski, um den es

hier ging, hegte er eine besondere AversionÁÈÁ.

Er informierte Lubienski über seine Absicht, ein Telegramm folgenden

Inhalts nach London zu schicken. er könne den russischen Botschafter

nicht aufnehmen, da der Gouverneurspalast besetzt sei; er schlüge vor,

Maiski solle seine Ankunft auf den folgenden Morgen � Sonntag, Q. Juli �

verlegenÁÈË. Wenige Stunden später könne er dann den Flug nach Kairo

fortsetzen.

General Sikorski sollte um NU.PM Uhr eintreffen. Mason-Macfarlane bat

Lubienski, dem Empfang des polnischen Ministerpräsidenten auf dem

Flugplatz beizuwohnen.

Macfarlane war ein glänzender, aber etwas unberechenbarer Offizier.

Schnelle Auffassungsgabe und diplomatische Fähigkeiten machten seine

Haupttalente ausÁÈÈ. Seine Aufzeichnungen und teilweise fertiggestellten

Memoiren zeigen ihn zunächst als Militärattaché in den verschiedensten

europäischen Hauptstädten, die bei den Verwicklungen der Vorkriegszeit

eine Schlüsselstellung einnahmen. NVQM war er Leiter des britischen

Geheimdienstes in Frankreich und später, kurz nach der Invasion der

Deutschen im Jahre NVQN, hatte man ihn zum Chef der britischen

Militärmission in Moskau gemacht. Er hatte das Unglück, oft Unfälle

erleiden zu müssen � als junge hatte er sich beim Polospiel eine Verletzung

an der Wirbelsäule zugezogen, und als britischer Militärattaché in Ungarn

war sein Rückgrat bei einem Autounfall noch einmal verletzt worden.

Diese Unfälle waren nicht ohne Folgen geblieben, und Macfarlane litt

Page 52: Irving David - Mord aus Staatsräson

RO

unter leichten, schleichenden Lähmungserscheinungen in Armen und

Beinen. Er hatte die nervöse Angewohnheit, mit den Fingern zuckende

Bewegungen zu vollführen. Seine Füge konnte er nicht mehr richtig vom

Boden abheben, sondern schlurfte leicht mit einwärts gewandten Zehen,

wobei sein Kopf sich wegen der nur teilweise verheilten Genickverletzung

seltsam bewegte. Mit unglaublicher Härte ging er gegen diese körperlichen

Behinderungen und gegen seine Schmerzen an. Er bestand darauf, jedem

wichtigen Gast der Kronkolonie persönlich den Felsen mit den labyrinth-

ischen Tunnelgängen zu zeigen; oft stolperte er, fiel dabei hin und kehrte

fast immer mit blutenden Knien von solchen Besichtigungstouren zurück.

Es zeugt von Macfarlanes Fähigkeiten und von seiner Integrität, daß er

die körperlichen Handikaps gemeistert hatte und zum Gouverneur einer

der stolzesten Kolonien Großbritanniens ernannt worden war. Man

braucht also nicht lange nach den Gründen für die Freundschaft zwischen

General Mason-Macfarlane und General Sikorski zu suchen. Daß der

hochgeschätzte Mann jedoch auf dem Territorium des Gouverneurs selbst

den Tod finden sollte, war ein Schicksalsschlag, den Mason-Macfarlane

nicht ahnen konnte, als er sich zum Flugplatz begab, um dort die Ankunft

des RAF-Liberators zu erwarten.

Gegen NU.PM Uhr hatte sich Mason-Macfarlane mit Geschwaderkom-

mandeur Simpson, dem Chef der in Gibraltar stationierten RAF-Ein-

heiten, sowie Admiral Edward Collins, Oberleutnant Lubienski und einer

Gruppe weiterer Offiziere an der Rollbahn versammelt. Kurz darauf

konnte man den schweren Bomber am Himmel ausmachen, und um NU.PT

Uhr landete die Maschine glatt auf der kurzen Piste. Simpson äußerte

anerkennend, der Pilot müsse außerordentlich erfahren und tüchtig sein,

da er das schwere Flugzeug so genau aufgesetzt habeÁÈÍ. Der Liberator

rollte von der Piste und kam unweit des Gouverneurs und seiner Gruppe

zum Stehen. Schwirrend setzten die Triebwerke aus.

Man öffnete den hinteren Flugzeugeinstieg, und General Sikorski

erschien. Seine Tochter und die fünf anderen Polen folgten ihm; Frau

Lesniowska trug ihre Uniform. Der General schritt an den wartenden

Offizieren vorbei, um mit Macfarlane und dessen Adjutanten Grüße zu

wechselnÁÈÎ. Der Gouverneur führte die Gäste zu den bereitstehenden

Automobilen. Bei der Abfahrt fragte Sikorski, ob er mit seinen Begleitern

Page 53: Irving David - Mord aus Staatsräson

RP

die Nacht in Gibraltar verbringen könnte � sie seien alle sehr müde (er

selbst war seit drei Uhr morgens auf den Beinen gewesen und hatte schon

gearbeitet). Macfarlane teilte ihm mit, daß alles vorbereitet sei: »Mein

Haus steht zu Ihrer Verfügung.« Bei der Weiterfahrt schenkte man den

beiden britischen Zivilisten, die das Flugzeug ebenfalls verlassen hatten,

kaum Beachtung. Die beiden Engländer waren mit Erlaubnis Sikorskis an

Bord genommen worden, außerdem noch ein britischer Offizier,

Brigadegeneral Whiteley, der mit der polnischen Gruppe nichts zu tun

hatte. Die Zivilisten wurden von einem Angehörigen der in Gibraltar

stationierten militärischen Abwehrorganisation empfangen, der sich um

sie kümmern würde, bis das Flugzeug am nächsten Abend die Kolonie

wieder verließ. »Wir interessierten uns nicht dafür, wer sich in der

Maschine befand«, erklärte Oberleutnant Lubienski später. Bei gewöhn-

lichen Passagiertransporten des Transport Command vom Nahen Osten

nach England hätten Offiziere der »Air Despatch and Reception Unit«

(ADRU), einer Sonderabteilung der RAF, das Flugzeug bestiegen und

Insassen sowie Ladung gemäß Formblatt NORS des Luftfrachtbriefes kon-

trolliert, um gegebenenfalls Schmuggelware oder Passagiere ohne Flug-

berechtigung festzustellen. Bei Maschinen mit »Very Important Persons«

(VIP�s) an Bord befolgte man diese Vorschriften weniger genauÁÈÏ.

Als die Insassen des Liberator AL ROP am Abend des P. Juli ihre

Maschine verließen, konnte der von der ADRU für die Kontrollabfertigung

abgestellte Offizier, Fliegerleutnant Briggs, nur tatenlos und leicht irritiert

im Hintergrund stehen und die Insassen abzählen: zehn Passagiere und

sechs Besatzungsmitglieder*. Ob diese Zahl der Abfertigungsliste

entsprach, konnte er nicht wissen, da man ihm die Kopie des Formblatts

NORS, wie bei VIP-Flügen aus »Cairo-West« üblich, nicht zugeleitet hatteÁÈÌ.

Außerdem war ihm nicht gestattet, das Flugzeug zu betreten. Mit

Ausnahme von ungefähr einem Dutzend kleiner Reisetaschen, die von den

* Die zehn Passagiere waren: General Wladyslaw Sikorski; Generalmajor Tadeusz Klim-ecki, polnischer Generalstabschef; Oberst Andrzej Marecki, polnischerVerbandsstabschef; Oberleutnant Jozef Ponikiewski, Marineadjutant; Adam Kulakowski,Sikorskis Persönlicher Sekretär; Zofia Lesniowska, Leiterin des polnischenFrauenhilfskorps; Colonel Victor Cazalet, britischer Abgeordneter, Verbindungsoffizier;Brigadegeneral J. P. Whiteley, britischer Abgeordneter; W. H. Lock, angeblichRepräsentant der Transportabteilung des Kriegsministeriums; Mister Pinder,Oberfeldwebel der Navy-Funker. Liste der Besatzungsmitglieder s. Fußnote S. NNU.

Page 54: Irving David - Mord aus Staatsräson

RQ

Gästen des Gouverneurs für die Nacht benötigt wurden, blieb die gesamte

Gepäckladung, eine nicht unerhebliche Menge, an Bord des Flugzeugs.

Nur fünf kleinere Behälter mit Diplomatenpost wurden noch auf eine

reguläre Maschine der BOAC umgeladen, da Linienmaschinen weniger

Gefahr liefen, von Flugzeugen der deutschen Luftwaffe angegriffen zu

werden.

Für jede Staffel des Transport Command in Gibraltar war auf dem

Flugplatz »North Front« eine Wartungseinheit stationiertÁÈÓ. Sergeant

Norman Moore, ein Experte für Liberators, kommandierte die Einheit der

Staffel Nr. RNN; er hatte in Kalifornien an einem Wartungslehrgang

teilgenommen, den die Herstellerfirma veranstaltet hatte. Zusammen mit

zehn Mitgliedern seiner Wartungseinheit wartete er an jenem Samstag-

nachmittag auf die Ankunft des Liberator, um die Maschine gründlich zu

überprüfen. Unter den Männern befanden sich drei Corporals: der

Monteur Davis, der Elektriker Hopgood sowie Alexander, der für die

Instrumentenwartung zuständig war. Sergeant Moore begab sich zum

Flugingenieur des Bombers und fragte, ob etwas Besonderes los sei. Der

Ingenieur und sein Vorgesetzter, Hauptmann Prchal, erklärten, das Flug-

zeug sei vollkommen in OrdnungÁÈÔ. Moore rief seinen dienstältesten

Corporal, William Davis, und befahl, ab sofort Wachtposten für die

Maschine einzuteilen*. Ob ein Wartungssergeant normalerweise solche

Befehle erteilen konnte, läßt sich heute nicht mehr mit Bestimmtheit

klären. Was dann geschah, war allerdings auf jeden Fall ungewöhnlich:

Moore instruierte Davis, ein Flieger müsse während der Dunkelheit im

Flugzeug bleibenÁÍÊ. Davis teilte die Männer zur Bewachung der Maschine

* Bei der Zeugenvernehmung der betreffenden Männer ergab sich später vor demUntersuchungsgericht über diesen Punkt eine gewisse Unklarheit. Moore sagte aus:»Anschließend befahl ich Corporal Davis, dem dienstältesten Corporal meiner Wartungs-gruppe, sofort eine Wache bei dem Flugzeug aufstellen zu lassen; er tat es, und derbetreffende Flieger hielt Wache, bis er von einem bewaffneten Militärposten abgelöstwurde.« Davis erklärte: »Er [Moore] gab Anweisung, die Maschine von Angehörigenunserer Wartungsabteilung dauernd bewachen zu lassen, und befahl außerdem, daß einervon uns während der Nacht im Flugzeug schlafen müsse.« Hauptmann Jack Williams, derfür den beim Liberator AL ROP bereitgestellten Militärposten verantwortlich war, sagtejedoch aus, seine Wache hätte um NU.PM Uhr Posten bezogen und sei bis zum Abflug derMaschine dort geblieben. Es ist also nicht ganz klar, ob es sich bei dem Wachtposten derRAF um eine Art Lückenbüßer handelte oder ob er zusätzlich, also außer derArmeewache, bereitgestellt worden war.

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RR

ein und informierte jeden, wie lange er Wache halten müsse bzw. wer ihn

ablösen werde. Dann zogen sich die drei Corporals in ihre Unterkunft

zurück und zogen Karten, um durch das Los zu bestimmen, wer das

Ungewöhnliche � und, zumindest für Staffel RNN, Einmalige � erledigen

sollte: die »Schlafwache« im Liberator. Das Los traf Corporal Francis

Hopgood, der bei Anbruch der Nacht sein Nachtlager im Flugzeug

aufschlagen mußteÁÍÁ.

Als die Fahrzeuge des Stabs die in der Nachmittagssonne glühenden

Straßen Gibraltars passierten, berichtete der Militärgouverneur Sikorski

über den Fauxpas des Foreign Office und erklärte die Maßnahmen, die er

treffen wollte, um eine zufällige Begegnung zwischen General Sikorski und

dem sowjetischen Botschafter unter seinem Dach zu vermeiden. Die

Russen sollten früh am nächsten Morgen eintreffen.

Macfarlane bat Sikorski und seine Begleiter, sie sollten die ihnen

zugewiesenen Räume keinesfalls vor NN Uhr verlassen. Dann hätte er die

Sowjets glücklich wieder auf die Reise gebrachtÁÍË: um den Abflug der

russischen Gäste zu beschleunigen, hatte er mit dem höchsten Offizier

seiner RAF-Einheiten, Geschwaderkommandeur Simpson, abgesprochen,

in einem günstigen Augenblick kurz nach der Ankunft der Gruppe Maiskis

in Gibraltar durch einen Sonderkurier die Meldung bringen zu lassen, über

dem Flughafen von Kairo verschlechtere sich das Wetter zusehends.

Dadurch würden die Russen gezwungen, ihren Abflug vorzuverlegen.

Sikorski verstand die Situation und ergötzte seinerseits den Gouver-

neur mit Reiseerlebnissen aus dem Nahen Osten. Er war überzeugt, die

Einigkeit unter den dort stationierten polnischen Truppen wiederher-

gestellt zu haben, und betonte seine Zufriedenheit darüber. Auch den Brief

Roosevelts, den er in Beirut erhalten hatte, erwähnte Sikorski und erklärte,

jetzt nach London zurückkehren zu müssen, »da der Premierminister ihn

wegen außerordentlich wichtiger politischer und militärischer Beratungen

erwarte«ÁÍÈ.

Nach der Ankunft im Gouverneurspalast war Sikorski ziemlich er-

schöpft. Er und Lubienski hatten beim Tee noch eine kleine Unterredung

mit Macfarlane, bis Sikorski sich entschuldigte und seine Zimmer

aufsuchte, um sich niederzulegen. Kurz darauf ließ er Lubienski rufen, der

ihn über die Fortschritte bei der Evakuierung polnischer Soldaten aus dem

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RS

spanischen Internierungslager »Miranda del Ebro« und andere Angelegen-

heiten informieren sollte. Der Oberleutnant erstattete MeldungÁÍÍ, und

Sikorski schlug vor, er solle mit ihm zusammen nach London zurück-

fliegen, da seine Aufgaben in Gibraltar praktisch erledigt seien.

Nachdem er seinem Oberbefehlshaber Bericht erstattet hatte, begleitete

Lubienski die Tochter Sikorskis und dessen Sekretär, Adam Kulakowski,

auf einen Einkaufsbummel in die Stadt. Dann dinierte die ganze Gesell-

schaft en famille mit dem GouverneurÁÍÎ. General Sikorski erhielt das

Abendessen auf sein Zimmer serviert. Kurze Zeit später zog sich der größte

Teil der polnischen Gäste zur Nachtruhe zurück.

Bevor Sikorski sich zurückzog, hatte er noch ein Telegramm mit guten

Wünschen an Präsident Roosevelt aufgesetzt, das am nächsten Tag � dem

amerikanischen Nationalfeiertag � abgehen sollte. Mason-Macfarlane

veranlaßte, daß es in den frühen Morgenstunden des Q. Juli übermittelt

wurde: »Heute, am Q. Juli, möchte ich der großen amerikanischen Nation

meine aufrichtige Hochachtung bezeugen, um so mehr, als ich mich als

Gast des Gouverneurs von Gibraltar an einem Ort befinde, an dem ich

früher einige Ihrer hohen Offiziere kennenlernen konnte. Ich bin über-

Das letzte Bild:General Sikorski

inspiziert polnischeTruppen in

Gibraltar amNachmittag des

4. Juli 1943.

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RT

zeugt, daß unter Ihnen, Herr Präsident, dem begnadeten Oberhaupt der

amerikanischen Nation, sowie in enger Zusammenarbeit mit Groß-

britannien bald der Sieg für die Alliierten errungen wird. Dieser Sieg wird

nicht nur den Feind vernichten, sondern auch Ihre Grundsätze von

Freiheit und Gerechtigkeit verwirklichenÁÍÏ.«

Gibraltar begab sich zur Ruhe. Von der Bucht her war das Geräusch

aufeinandertreffender metallischer Gegenstände zu vernehmen � Frosch-

männer der Royal Navy waren, befehligt von ihrem dreiundzwanzig-

jährigen Taucher-Offizier, Oberleutnant William Bailey, damit beschäftigt,

die Unterseite aller vor Anker liegender Schiffe zu untersuchen. Meter für

Meter prüften sie die Schiffsböden auf ihrer Suche nach Haftminen, die

der Feind dort angebracht haben konnteÁÍÌ.

In seinem Beobachtungsstand, der auf spanischem Territorium lag,

beobachtete ein Agent der Deutschen mit einem Fernrohr die Bewegungen

im Hafen und auf dem Flugfeld der Kronkolonie. Er hatte bereits nach

Berlin gemeldet, daß ein Kreuzer der »Cairo«-Klasse, der in Gibraltar

gelegen hatte, um OP.QM Uhr wieder Kurs auf das Mittelmeer genommen

habe, gefolgt von einem Kreuzer der »Aurora«-KlasseÁÍÓ. Auf dem Flug-

gelände waren mehr als zweihundert Flugzeuge stationiert; auf einer

gesonderten Abstellpiste stand, von Scheinwerfern hell erleuchtet, ein

RAF-Liberator, bei dem britische Soldaten mit schußbereiten Gewehren

und aufgepflanzten Bajonetten patrouilliertenÁÍÔ.

Gegen Mitternacht fuhr Oberleutnant Lubienski mit dem Privat-

sekretär Sikorskis, Adam Kulakowski, zum Flugfeld: der General hatte

beschlossen, einigen in Gibraltar stationierten Offizieren hohe polnische

Orden zu verleihen, die Tasche mit den Auszeichnungen und Ordens-

bändern aber im Flugzeug vergessen. Die polnischen Gäste hatten nur das

unbedingt nötige Gepäck mitgenommen und den Rest im Liberator

zurückgelassen. Zwei Wachen versperrten Lubienski den Weg. Er erklärte

ihnen, was er benötige, und man begleitete ihn und Kulakowski zu der

verschlossenen Tür im Rumpf der Maschine. Einer der Posten schlug

gegen die Tür, worauf sie von einem Unteroffizier in RAF-Uniform von

innen geöffnet wurde. Lubienski nahm an, daß diese Wache entsprechend

den üblichen Vorschriften über Nacht im VIP-Flugzeug bleiben mußte;

der Flugplatzkommandant tat offensichtlich alles, um eventuelle Sabotage-

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RU

akte auf die Maschine zu verhüten. Man händigte Kulakowski die Akten-

tasche aus, und die beiden Polen fuhren gemeinsam zurück zum

»Convent«ÁÎÊ.

Am Sonntagmorgen traf Botschafter Maiski um T Uhr auf dem

Flugplatz von Gibraltar ein, geschäftig und jovial wie immerÁÎÁ. Sein

Flugzeug wurde unweit des Sikorskischen Bombers abgestellt, und man

teilte eine Wartungsgruppe zur Überprüfung einÁÎË. Auch die russische

Gesellschaft wurde zum »Convent« gebracht, wo der Gouverneur seinen

neuen Gästen die eigenen, in einem entfernten Flügel der Residenz

gelegenen Räume zur Verfügung stellte. Man überließ die Russen zunächst

sich selbst, damit sie sich in aller Ruhe erfrischen konnten.

Mit einem verschwörerischen Blick erzählte Mason-Macfarlane

Lubienski, die Sowjets seien eingetroffen und er werde sie um NN Uhr zum

Flugplatz zurückbegleiten. »Als Zeichen, daß die Luft rein ist, werde ich ein

weißes Taschentuch in der Hand halten, und Sie können dann die

Gesellschaft Ihres Ministerpräsidenten aus den Schlafzimmern be-

freienÁÎÊ.«

Als der russische Botschafter und seine Begleiter frühstückten, traf

pünktlich ein Bote aus dem RAF-Quartier ein mit der Nachricht, Seine

Exzellenz müsse schon um NN Uhr den Weiterflug antreten, weil die

Wetterverhältnisse sich verschlechterten und unter Umständen die Flug-

sicherheit beeinträchtigen könnten. Major Anthony Quayle, der Maiski das

Frühstück serviert hatte, machte mit dem Botschafter noch eine eilige

Besichtigungstour, bei der Maiski den Engländer (der inzwischen als

Schauspieler bekannt ist) durch eine abfällige Bemerkung über das

englische Theater in Harnisch brachteÁÎÈ. Auf der Spitze des Felsens ange-

kommen, warfen beide einen Blick über den Flugplatz und das Niemands-

land zwischen Gibraltar und Spanien: in der Ferne verschwanden die

niedrigen spanischen Bergketten im Dunst. Maiski bemerkte: »Major

Quayle, was wird Ihrer Meinung nach mit Spanien geschehen?« Der

britische Offizier konnte sich nicht verkneifen, zu erwidern: »Es gibt nur

eine Hoffnung für das Land, nämlich die Wiederherstellung der Mon-

archie!« Maiski gab scharf zurück: »Ich glaube nicht, daß Spanien das ge-

eignete Land und NVQP das richtige Jahr ist, um über die Wiederherstellung

von Monarchien zu reden.«

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RV

Im stillen vergnügt darüber, den Botschafter zu diesem Ausbruch

gereizt zu haben, brachte Quayle den hohen Gast zum »Convent« zurück.

Bevor der Gouverneur sich zur verabredeten Zeit, um NN Uhr, von seinen

Gästen verabschiedete, ereigneten sich keinerlei Zwischenfälle mehr. »Ich

begleitete ihn dann mit großer Erleichterung, kehrte nach Haus zurück

und fand dort Sikorski und die Polen vor, die inzwischen amüsiert ihre

Schlafzimmer verlassen hatten«, erinnerte Macfarlane sich späterÁÎÍ.

Selten war General Sikorski besserer Laune gewesen als am letzten Tag

seines Lebens. Er hatte ausgezeichnet geschlafen, befand sich unter

Freunden, und der Tag war warm und sonnig. In der Nacht war ein

polnischer Kurier aus Warschau in der britischen Kolonie eingetroffen.

Eine lange und beschwerliche Reise lag hinter ihm: schon Ende Februar

hatte er seine gefährliche Tour durch das von den Deutschen okkupierte

Europa sowie Spanien angetreten. Endlich auf britischem Boden ange-

kommen, übergab er eine für die Behörden in London bestimmte Mappe

mit geheimen DokumentenÁÎÎ. Um NN Uhr wurde er vom Quartier der

polnischen Flüchtlinge zum Regierungsgebäude gebracht und stand nach

einer einstündigen vertraulichen Unterredung mit General Klimecki und

Oberst Marecki dem polnischen Ministerpräsidenten und Oberbefehls-

haber persönlich gegenüber. Diesen Mann hätte er am wenigsten in

Gibraltar erwartetÁÎÏ. Sikorski überzeugte sich selbst von der Wichtigkeit

der Geheimdokumente, die der Kurier, Artillerieunteroffizier Gralewski

(Deckname »Pankowski«), bei sich führte, und beschloß, Gralewski solle

am Abend Lubienskis Platz im Liberator einnehmen und mit ihm

zusammen nach London zurückfliegen.

Gralewski kehrte zu seinem Quartier zurück und notierte die

folgenden Worte in sein Tagebuch: »Ich hatte Angst, der Alte würde mir

Vorwürfe machen, weil die Reise von Warschau hierher so lange gedauert

hat. Er war aber sehr nett und befahl mir, mit ihm zurückzufliegen. Heute

endet ein Abschnitt meines Lebens und ein anderer beginnt. Ich möchte

wissen, was er mir bringtÁÎÌ.«

Nach einer Stunde rief der polnische Ministerpräsident Oberleutnant

Lubienski zu sich und diktierte seinem Persönlichen Sekretär Kulakowski

eine Rede in französischer Sprache für die Ordensverleihung am Nach-

mittag. Anschließend unterhielt er sich dann lange mit Lubienski über

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SM

seine Pläne für die Zukunft Polens. Graf Lubienski, vor dem Krieg Persön-

licher Sekretär von Minister Beck, war dabei der ideale Gesprächspartner.

Zum Schluß der Unterhaltung teilte Sikorski ihm mit, Gralewski werde

seinen Platz im Liberator einnehmen. Lubienski rief bei der ADRU-

Abteilung des Flugplatzes an, und der diensthabende Offizier telefonierte

mit dem Piloten. Prchal war mit der Mitnahme des Sonderpassagiers

einverstanden, sofern dieser kein großes Gepäck mit sich führteÁÍÔ. Nun

mußte der bedauernswerte ADRU-Offizier an die Ladeliste der Maschine

herankommen, um den neuen Passagier einzutragen. Prchal entnahm der

Dokumentenkassette des Flugzeugs für kurze Zeit den eigenen Durch-

schlag des Formblatts NORS, und man fügte den Namen Gralewskis hinzu.

Fliegerleutnant Briggs warf einen flüchtigen Blick auf die Rubrik, wo das

Gewicht der Nutzlast verzeichnet war, und glaubte, die Ziffer RRNM (engl.)

Pfund (rund OQMM kg) zu lesen � damit war der Laderaum des Liberator

noch nicht einmal ganz ausgelastetÁÎÓ.

Der Sikorski zugeteilte politische Verbindungsoffizier der Briten,

Victor Cazalet, spielte mit Major Quayle ein paar Racket-Partien, während

andere Mitglieder der polnischen Gruppe noch die Stadt besichtigtenÁÎÔ.

Um NP Uhr inspizierte General Sikorski eine Ehrenwache der Leichten

Infanterie Somerset, die mit der Regimentskapelle im Garten des Regier-

ungsgebäudes Stellung bezogen hatte. Anschließend verlieh er General

Mason-Macfarlane und dem Kommandierenden Admiral Gibraltars, Sir

Frederick Edward-Collins, im Namen seines Staatspräsidenten den Orden

»Polonia Restituta«, eine traditionsreiche, hohe polnische Auszeich-

nungÁÏÊ. Ohne zu stocken hielt er seine kurze französische Rede und

schloß mit den Worten: »Ich verleihe Ihnen diese Auszeichnung in

Anerkennung der großen Dienste, die Sie beide für die gemeinsame Sache

und für die Erringung des entscheidenden und endgültigen Sieges geleistet

haben. Immer waren Sie dabei von einer echten, tiefen Freundschaft zu

Polen, seinen Soldaten, Marineangehörigen und Fliegern beseeltÁÎÎ.«

Anschließend gab der Gouverneur im angenehm kühlen Residenz-

gebäude ein offizielles Essen, an dem außer den Oberkommandierenden

der in Gibraltar stationierten Truppengattungen, Sikorski und dessen

Begleitern auch der örtliche Vertreter des Londoner Kolonialministeriums

teilnahm. Hauptmann Borzemski und Oberleutnant Rosycki, der die

Page 61: Irving David - Mord aus Staatsräson

SN

polnische Kompanie in Gibraltar befehligte, befanden sich ebenfalls unter

den Gästen.

Um NQ.QR Uhr marschierten VR polnische Soldaten im Paradeschritt in

den Garten des Gebäudes; Sikorski inspizierte sie und hielt auch vor ihnen

eine kurze Ansprache. Dabei ereignete sich einer jener unerwarteten

Zwischenfälle, vor denen jeder Kompaniechef Angst haben muß. Sikorski

stoppte vor einem polnischen Soldaten und fragte ihn, was für ein Gefühl

es sei, wieder eine polnische Uniform zu tragen. Fassungslos mußte Ober-

leutnant Rosycki die scharfe Entgegnung seines Untergebenen mitanhören,

daß er sich nicht darum kümmere, da er von Beruf Seemann sei und nicht

den leisesten Gefallen am Soldatendasein fände; und wenn man ihm

erlaube, wieder auf See zu gehen, würde er sich nicht im mindesten darum

scheren, unter welcher Flagge er führe. Der Soldat wider Willen wurde

sofort aus der Parade genommen und mußte seine Uniform abgeben.

Sikorski wollte seine Großmut zeigen und befahl, trotz dieser groben

Unhöflichkeit keine Disziplinarmaßnahmen gegen den Mann

einzuleitenÁÎÎ.

Nach einer kurzen Mittagsruhe � Sikorskis Tochter und Oberst

Marecki »vergnügten« sich in der glühenden Hitze mit einer Tennispartie

� verbrachten der polnische Ministerpräsident und sein Marineadjutant

den Rest des Nachmittags bei der Besichtigung der Wachgänge und Ver-

teidigungsanlagen der Festung. Sie wurden begleitet von Sir James Grigg,

dem britischen Kriegsminister, der soeben mit einem Sonderflugzeug,

ebenfalls auf dem Rückflug aus dem Nahen Osten, Zwischenstation in

Gibraltar gemacht hatteÁÏÁ.

Man inspizierte alle Tunnel und Stollen, die seit NVQM im Innern des

Felsens angelegt worden waren. Wenn der Feind, wie Mason-Macfarlane

bemerkte, im Juni oder Juli NVQM den »uneinnehmbaren« Felsen ange-

griffen hätte, würde er ihn noch schneller erobert haben als Singapur oder

Hongkong, die kurz darauf eingenommen wurden. Damals hatte man

gerade einen bescheidenen Anfang gemacht und die Küstenbefestigungen

gegen Angriffe von der See her verstärkt. Auch die Luftabwehr auf dem

Felsen war ausgebaut worden, gegen Angriffe aus dem angrenzenden

spanischen Territorium jedoch war man nicht gewappnet. Die alten Wach-

gänge und Stollen stammten zum Teil noch aus dem späten NU.

Page 62: Irving David - Mord aus Staatsräson

SO

Jahrhundert, und auch die Mauern der Festung waren mehr als hundert

Jahre alt. NVQM hätte die Garnison nicht lange Widerstand leisten können;

erst dann war man daran gegangen, eine Anzahl von Luftschutzbunkern zu

bauen � die dafür notwendigen Mittel waren nicht von London, sondern

von der Kronkolonie selbst aufgebracht worden.

Im Juli NVQP hatte sich die Situation vollkommen geändert: nur wenige

Leute kannten das tatsächliche Ausmaß der Befestigungsarbeiten, die in

den vergangenen drei Jahren ausgeführt worden waren. Als der Felsen im

Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal strategische Bedeutung erlangte,

nämlich NVQO, während der Landung der Alliierten in Nordafrika, hätte die

Festung lange Zeit einer Belagerung widerstehen können. Kanadische

Tunnelbaugesellschaften hatten Millionen von Tonnen Gestein aus dem

Felsen herausgeschlagen, und die so entstandenen unterirdischen Anlagen

beherbergten nun Truppen der Garnison, Vorräte und MunitionÁÏË.

Müde und mit schmerzenden Füßen kehrte die Gesellschaft von der

Besichtigung zurück und fuhr zur Bibliothek der amerikanischen Mission,

wo man mit einer Cocktailparty im Garten den Q. Juli feierteÁÏÈ. In-

zwischen war es NU Uhr geworden: noch rund fünf Stunden bis zum

Abflug. Zum Fest kamen auch zahlreiche einheimische Honoratioren, die

erst jetzt erfuhren, daß sich der polnische Ministerpräsident in ihrer Stadt

befand. Sikorski teilte Mitgliedern der französischen Vertretung seine

Absicht mit, in ungefähr vier Wochen in Algier die politischen Gespräche

fortzusetzen, die er bereits mit de Gaulles »Freiem Französischem

Komitee« begonnen habeÁÏÍ. Nach einer Weile nahm Macfarlane die

höheren polnischen Offiziere beiseite und lud sie ein, vor dem Abflug noch

im »Convent« an einer Dinner-Party im kleinen Kreis teilzunehmen.

Hier sprach man wieder den Getränken zu. Vier Dudelsackpfeifer der

»Royal Scots«, bekleidet mit dem traditionellen Schottenrock, sollten zur

Unterhaltung der Gesellschaft beitragen. Sikorski tat so, als habe er an den

seltsamen Klängen der Blasinstrumente wirklich sein Vergnügen, und

zuckte auch nicht mit der Wimper, als die Schotten sich an der polnischen

Nationalhymne übtenÁÏÁ. Obgleich er so gut wie keinen Alkohol trank und

Nichtraucher war, stand der polnische Politiker Lustbarkeiten dieser Art

durch. Im Augenblick war seine glänzende Laune durch nichts zu

schmälern. Seine Englischkenntnisse reichten für eine fließende Unter-

Page 63: Irving David - Mord aus Staatsräson

SP

haltung nicht aus � man mußte Französisch verstehen, um einen Eindruck

von Sikorskis geistigen Fähigkeiten zu gewinnen und seine anziehende

Persönlichkeit näher kennenzulernenÁÏÎ. Glücklicherweise war Macfarlane

sprachbegabt: er sprach Russisch und Französisch und hatte Spanisch-

unterricht genommen, sobald man ihn zum Gouverneur von Gibraltar

ernannt hatteÁÏÏ. Als er seinen Gast betrachtete, sah er, daß auf dessen

offenen. und sympathischen Zügen ein Schatten von Trauer lag � dieser

Schatten verließ ihn nicht einmal bei einer fröhlichen Geselligkeit wie

heute. Die graublauen Augen hatten nach wie vor ihren seltsam durch-

dringenden Blick, und Sikorski unterhielt sich sehr lebhaftÁÏÌ. Oberleut-

nant Lubienski hörte, wie er seiner Tochter anvertraute: »In Kairo hatte ich

das seltsame Gefühl, ich würde London niemals wiedersehen. Aber jetzt

sind wir unter Freunden, was machen die paar Flugstunden schon noch

aus! Wir fliegen während der NachtÁÍÔ!« Noch einmal drückte er seine

große Zufriedenheit über den Piloten aus, der sie hergebracht hatte und

auch am Abend wieder den Steuerknüppel übernehmen würde: Prchal sei

ein außerordentlich erfahrener Offizier und habe außergewöhnliche

FähigkeitenÁÏÍ.

Obgleich Sikorski in der Nacht und auch während der kurzen

Mittagspause gut geschlafen hatte, konnte er seine Müdigkeit kaum noch

unterdrücken. Das heiße Klima Gibraltars hatte seine Kräfte so mitge-

nommen, daß seine Tochter ernstlich beunruhigt war. Sie hatte Angst, der

lange nächtliche Flug nach England könne ihm schaden, und fragte

deshalb unter vier Augen einen Offizier der RAF, ob man für ihren Vater

eine Schlafstelle im Flugzeug einrichten könneÁÏÓ. Der Offizier stimmte zu,

und bald darauf war die Wartungseinheit Sergeant Moores schon damit

beschäftigt, eine eiserne Bettstelle im Bombenraum der Maschine zu

installieren. Es war OO Uhr geworden, und die Dunkelheit brach allmählich

an. Moore selbst führte die tägliche Routineinspektion des Flugzeugs

durch und unterschrieb dann das WartungsformularÁÏÔ. Seine Einheit

hatte die Maschine bereits gründlich überprüft und versorgt. Zweitausend

Gallonen Flugzeugtreibstoff waren in die Tanks gepumpt worden, für

weiteres Benzin blieb kaum noch Platz. Nach einer Stunde hatten die

Männer auch das Bettgestell installiert und festgeschraubtÁÌÊ.

Alle Maschinen, die Gibraltar in Richtung England verließen, mußten

Page 64: Irving David - Mord aus Staatsräson

SQ

den letzten Teil des Flugs bei Dunkelheit zurücklegen, um möglichst nicht

von deutschen Jagdflugzeugen entdeckt und abgefangen zu werden. Die

langsamen Nachschubflugzeuge hatten deshalb schon einige Zeit vorher

von der einzigen Startpiste des Flughafens abgehoben; insgesamt sollten

etwa vierzig Maschinen an diesem Abend Gibraltar verlassen. Der Liber-

ator, eines der schnelleren Flugzeuge, würde erst spät � fast zum Schluß �

abgefertigt werdenÁÌÁ. Hauptmann Edward Prchal und seine Mannschaft

verbrachten in der Offiziersmesse einen trockenen Abend. Kurz nach OO

Uhr rief der Pilot im Regierungsgebäude an und hinterließ die Nachricht,

er wolle um OP Uhr starten. In der folgenden halben Stunde trafen die

Passagiere in kleinen Gruppen auf dem Flugplatz ein. Hauptmann Perry,

Luftwaffenadjutant des Gouverneurs, brachte seinen alten Freund Victor

Cazalet und Oberleutnant Ponikiewski im Jeep an die Rollbahn; man

unterhielt sich über belanglose Dinge, und Perry machte Cazalet noch

Komplimente zu den eleganten braunen Wildlederstiefeln, die sein Freund

trug. Der britische Abgeordnete erwiderte, er habe die Schuhe in Kairo

erstanden; einen Augenblick später fügte er, über die auffällige Sorg-

losigkeit der Passagiere und der Besatzung einigermaßen beunruhigt,

hinzu: »Weißt du, daß ich der einzige bin, der sich beim Start anschnallt?«

Perry hatte ebenfalls den Eindruck ge-

wonnen, die ganze Reisegesellschaft nehme

den Flug nicht sehr ernst: halb amüsiert, halb

entrüstet hatte er erfahren, daß die gesamte

Mannschaft und ein Teil der Insassen in

Gibraltar große Mengen von zollfreiem

Whisky und Sherry erstanden hatten. Die

Alkoholika wollte man mit nach England

nehmen, da dort solche Annehmlichkeiten

des Lebens praktisch gar nicht mehr erhält-

lich warenÁÌË. Er sah, wie die Kisten mit den Flaschen achtlos und ziemlich

unordentlich im Rumpf des Flugzeugs aufgestapelt wurden � aber schließ-

lich würden die Aufsichtsbeamten des Flugplatzes und auch der Pilot sich

auf jeden Fall noch vergewissern, daß die Flugsicherheit nicht beein-

trächtigt wurde.

Man hatte nun die letzten Gallonen hochoktanigen Treibstoffs in die

Edward Prchal

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SR

Tanks des Liberator gefüllt, und die Besatzung bestieg den Bomber. Wie

immer kurz vor dem Start, herrschte auch diesmal ein durchdringender

Benzingeruch im Innern: Bomber dieses Typs rochen so, als gäbe es

irgendwo ein Treibstoffleck. Kurz nach dem Start würde der Luftzug den

Gestank jedoch vertrieben haben. Die beiden geheimnisvollen britischen

Passagiere, von den übrigen Insassen für Agenten des englischen Geheim-

dienstes aus Kairo gehalten, fuhren heran und gingen ebenfalls an Bord.

Dann traf die Gruppe General Sikorskis in mehreren Automobilen ein,

begleitet vom Gouverneur und den kommandierenden Offizieren der

Kronkolonie. Die diensthabenden Angehörigen der RAF und die Besatz-

ung des Liberator waren wohl die einzigen, die an den Vergnügungen des

Abends nicht teilgenommen hattenÁÌÈ. Doch warum sollte man den

anderen daraus einen Vorwurf machen? Sie befanden sich nicht im Dienst,

es war Nationalfeiertag � zwar der amerikanische, aber immerhin �, und es

war Sonntagabend. »Wir alle machten uns in bester Stimmung zum

Flugplatz auf«, notierte Mason-Macfarlane späterÁÌÍ.

Hauptmann Prchal teilte Sikorski mit, die Maschine sei startbereit. Das

Abschiednehmen begann. General Mason-Macfarlane kannte Prchal gut,

da er vorher schon einige Male von ihm geflogen worden war. Er erklärte

später, keinerlei Anzeichen außergewöhnlicher Erregung an dem Piloten

bemerkt zu haben: »Er machte einen absolut normalen Eindruck, er war

wirklich der Prototyp eines zuverlässigen Piloten der Vorkriegs-Zivil-

luftfahrt � so haben wir ihn alle gekannt.« Prchal trug die übliche Flieger-

kluft der Royal Air Force. Ein wachsames Gesicht mit leicht eingefallenen

Wangen � der typische junge Offizier der Alliierten. Er hatte seine »Mae

West«, die Rettungsweste, die man in Kreisen der RAF allgemein auf den

Namen der bekannten amerikanischen Filmschauspielerin getauft hatte,

nicht angelegt, was niemanden überraschte, der ihn kannte. »Wie alle

Piloten, hatte auch er seine kleinen Eigenheiten«, erinnerte sich Macfarlane

anschließend, »und er trug die Mae West unter keinen Umständen, weder

beim Start noch bei der Landung. Sie hing immer über der Lehne seines

Sitzes, wo er sie im Bedarfsfall erreichen konnte.« Das widersprach noch

nicht einmal den Vorschriften der Air Force, wo lediglich gefordert wurde:

»Rettungswesten . . . müssen immer für jeden Insassen eines Flugzeugs

mitgeführt werden, das über größere Wasserflächen fliegt . . . Sie müssen

Page 66: Irving David - Mord aus Staatsräson

SS

sofort verfügbar sein, brauchen aber nicht getragen zu werden, sofern der

Erste Pilot es nicht ausdrücklich anordnetÁÌÎ.«

Links im Cockpit des Liberator setzte Prchals Kopilot, Major William

Herring, die Motoren der Maschine nacheinander in Gang; es schien etwas

länger als sonst zu dauern, schließlich liefen aber alle vier Triebwerke

weich und regelmäßig, und die Propeller begannen zu kreisenÁÌÏ.

Auch Sikorski folgte der Aufforderung des Piloten und bemerkte, zu

den Offizieren der Kolonie gewandt: »All right, ich werde mich verab-

schieden.« Seine Tochter, der die Kampfuniform und die Militärmütze

außerordentlich gut standen, kletterte als erste durch die Heckluke in den

Rumpf der Maschine, und die anderen Mitglieder der Gruppe folgten ihr.

Frau Lesniowska hielt eine große Pralinenschachtel, die der Gouverneur

ihr zum Abschied überreicht hatte, in der Hand. Major Quayle, der mit

dem RAF-Stationskommandanten, Oberst Bolland, bei dem Flugzeug

stand, warf einen kurzen Blick ins Innere und sah, wie die Insassen nach

vorn gingenÁÌÌ.

Lubienski stand am Fuß der kurzen Einstiegleiter, als sein Oberbefehls-

haber, General Sikorski, als letzter den Bomber bestieg. In der Türöffnung

drehte Sikorski sich noch einmal um und sagte zu ihm: »Hauptmann

Lubienski, wir werden uns bald in London sehen!«

Hinter ihm schloß sich der Einstieg.

Als man mit dem Bau des Hauptsystems von Tunneln im Felsen

begonnen hatte, hatten die britischen Behörden auch eine Verlängerung

der einzigen, im Niemandsland zwischen der Kolonie und der spanischen

Grenze liegenden Landebahn des winzigen Flughafens angeordnet. Riesige

Mengen von Bauschutt, den man beim Tunnelbau gewonnen hatte, sowie

von der Nordseite des Felsens abgesprengtes Gestein waren in die Bucht

von Gibraltar geschüttet worden, um hier das Fundament für eine Piste

von NPR m Breite und über UMM m Länge zu bildenÁÌÓ. Prchals schwerer

Bomber rollte langsam die Bahn entlang und wendete, als er das westliche

Ende erreicht hatte. Die Motoren wurden noch einmal gedrosselt. Von der

Kanzel aus blickte man nun in Richtung Mittelmeer.

Seit Anbruch der Dämmerung war der gesamte Flugplatz durch

zahllose, in Bodenvertiefungen oder an Felsvorsprüngen angebrachte

Scheinwerfer hell erleuchtet worden. Im hölzernen Beobachtungsturrn � er

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ST

war für die Preisrichter bestimmt gewesen, als dieser Teil der Kolonie noch

als Pferderennbahn gedient hatte � sah Fliegerhauptmann »Jock« Fraser,

der diensthabende Kontrolloffizier, wie der Liberator am Ende der Piste

langsam drehte. Er griff nach dem altmodischen Militärtelefon und wählte

die Eins: dieses Signal war für den Kontrolloffizier der Armee bestimmt,

der oben in einem Felsenbunker Dienst hatte. Nun wurden alle

Scheinwerfer ausgeschaltet. Das Flugfeld war in Dunkelheit getaucht, nur

an den Rändern der über N,R km langen Piste glimmten die Positions-

lichter, und eine Reihe schwacher roter Leuchtkörper markierte das Ende

der Startbahn. Im verdunkelten Cockpit erledigten Pilot und Kopilot die

obligatorischen Kontrollen. Prchal prüfte, ob der Steuerknüppel sich

einwandfrei bis zum vorderen Anschlag schieben ließ � ob also Quer- und

Höhenruder für den Sinkflug intakt waren �, und stellte gleichzeitig das

Seitenruder rechts aus. Dann bewegte er die Steuersäule bis zum hinteren

Anschlag, um zu kontrollieren, ob Quer- und Höhenruder auch für den

Steigflug betriebsklar waren, und stellte probeweise das Seitenruder nach

links aus. Alles funktionierte einwandfrei. Der Pilot meldete: »Fahrt- und

Steuerungskontrollen erledigt!«

»Türen und Luken?« Alle Türen und Luken waren ordnungsgemäß

verschlossen. Nur an den Tragflächen und der Unterseite der Maschine

befanden sich noch Öffnungen: sie waren für das Fahrwerk bestimmt.

Noch einmal wurden die vier Triebwerke nacheinander angelassen, um

sie für den Flug vorzubereiten. Heulend erreichten sie die volle

Umdrehungszahl, NMMM pro Minute. Die Menschentraube, die sich zur

Verabschiedung der Gesellschaft versammelt hatte, begann sich allmählich

aufzulösen. Während zwischen dem Cockpit des Liberator und dem

Kontrollturm die letzten Signale ausgetauscht wurden, vergingen zwei

weitere Minuten. Ein Lautsprecher übertrug die Meldungen aus der

Kommandozentrale des Flugzeugs in den Turm � Fliegerhauptmann

Fraser hatte allerdings schon das Interesse am Liberator verloren und

telefonierte mit dem Kontrolloffizier, der für Jagdflieger zuständig war und

den Felsbunker seines Kollegen von der Armee teilteÁÌÔ. General Mason-

Macfarlane war mit einigen Begleitern an den Rand der Startbahn

gegangen, wo man dem Bomber noch einmal zuwinken konnte, wenn er

vorbeigleiten würde. Zwanzig Minuten waren vergangen, und immer noch

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SU

hörte man, wie in der Ferne, am Ende der Piste, die Motoren angelassen

wurden. Die Kühle der Nacht hatte die laute Fröhlichkeit der Versamm-

lung verstummen lassen.

Am Ende der Rollbahn begannen jetzt die Motoren zu brüllen, die

roten und grünen Positionslampen des Flugzeugs bewegten sich langsam

auf die Gruppe zu. Der über OR Tonnen schwere Bomber gewann an

Geschwindigkeit, passierte die Wartenden, und sein Bug hob bereits ganz

leicht vom Boden ab. Eine gewaltige Staubwolke hüllte die Zuschauer ein.

Durch das geöffnete Fenster im Kontrollturm sah Fraser die Maschine

herankommen und rief ins Telefon: »Warte einen Augenblick, bis dieser

verdammte Liberator weg ist!« Das vorbeirasende Flugzeug konnte er

dabei nicht mehr sehen, da es sich schon außerhalb seines Gesichtskreises

befand. Vielleicht berührten die Räder des Fahrwerks immer noch die

Startpiste. Alle, die sich auf dem Flugplatz befanden, beobachteten das

Schauspiel � der Start eines Liberator hatte immer etwas von einem

Feuerwerk: Knalle, Blitze und Kaskaden von Funken. Endlich, QRM m vor

dem Ende der Piste, hatte die Maschine vom Boden abgehoben und

befand sich in der Luft. Befriedigt dachte Mason-Macfarlane: »Well,

wieder einmal eine kostbare Fracht gut auf den Marsch gebrachtÁÓÊ.«

Er wollte sich gerade auf den Heimweg machen, als er sah, daß die

allmählich in der Ferne verschwindenden Positionslampen plötzlich nicht

mehr an Höhe gewannen � im Gegenteil, sie hatten bereits zu sinken

begonnen. Trotzdem war der Gouverneur keinen Augenblick lang

beunruhigt. Er wandte sich Geschwaderkommandeur Simpson, einem der

»drei bösen Geister« des Felsens (diesen Spitznamen hatte Macfarlane

seinen obersten Offizieren verliehen) zu und kommentierte: »Jeder kann

sehen, daß Prchal am Steuerknüppel sitzt!« Simpson stimmte zu � der

tschechische Pilot hatte nämlich eine ganz individuelle Starttechnik für

Liberators entwickelt. Er ließ die Maschine zunächst steil aufsteigen,

machte dann einen flachen Bogen nach unten, um so an Geschwindigkeit

zu gewinnen und anschließend schneller die endgültige Flughöhe

erreichen zu können.

Immer noch hörte man das regelmäßige Motorengeräusch, während

die Lichtpunkte ganz schwach geworden waren. Zu ihrem steigenden

Erstaunen und Entsetzen mußten die Zuschauer aber mit ansehen, daß die

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SV

Positionslampen auch weiterhin an Höhe verloren und ganz langsam, in

einem Winkel von ungefähr NM Grad, absackten. Dann verschwanden sie

vollständig unter dem Rand der Startbahn, die rund Q,R m über der

Meeresoberfläche lag. Das Röhren der Motoren verstummte plötzlich, und

eine Wand dunklen Schweigens blieb zurück. Einen Augenblick lang wagte

sich niemand zu bewegen, dann schrie Bolland: »Mein Gott, es ist ins Meer

gestürztÁÓÁ!«

Die polnischen Offiziere stießen einen Schrei des Entsetzens aus und

begannen, die Piste entlangzulaufen. Sie hofften verzweifelt, das Flugzeug

könne ganz am Ende der Startbahn wieder gelandet sein und stünde nun

dort mit ausgeschalteten Motoren. Überall sah man umherrennende

Menschen; aus dem Abfertigungsgebäude am Flugfeld stürzten weitere

polnische Offiziere und Flieger hervor. Stabsfahrzeuge mit blendenden

Scheinwerfern überholten sie auf der Piste, und die Männer sprangen auf

die Trittbretter der Autos, um schneller an das Ende der Bahn zu kommen.

Doch auch hier konnte man nichts erblicken � nur das Meer. Ein paar

Leute ließen die kleine Rettungsjolle zu Wasser, die der Kommandeur für

Notfälle auf einer Helling hatte anbringen lassen, und ruderten mutig aufs

Meer hinaus.

Der diensthabende Kontrolloffizier hatte unwillkürlich dieselben

Worte wie Bolland ins Telefon gerufen, das er immer noch in der Hand

hielt. Geistesgegenwärtig befahl Fraser dann aber, die Scheinwerfer am

Felsen so schnell wie möglich auf die Unglücksstelle zu richten, und

forderte den Kontrolloffizier für Jagdflugzeuge auf, sofort über UKW-

Funk alle Rettungseinheiten zu alarmierenÁÌÔ. Die an der östlichen Seite

des Felsens installierten Suchscheinwerfer versuchten inzwischen, auf dem

Meer das Wrack des Flugzeugs auszumachen. Die Luft/See-Rettungs-

einheiten waren in der Bucht von Gibraltar, also an der anderen Seite des

Felsens, stationiert, da die Ostseite für die kleinen Schiffe zu gefährlich

war, bis zu ihrer Ankunft würden noch acht oder zehn Minuten vergehen.

Jetzt hatte ein Scheinwerfer einen schwarzen Gegenstand erfaßt, der

ungefähr SQM m vom Ende der Piste entfernt an der Meeresoberfläche

schwamm � das Wrack des Liberator! Wie der Flügel eines über-

dimensionalen Tauchvogels erhob sich eine Tragfläche leicht über dem

Wasser. Der Gouverneur und Graf Lubienski begannen, ins Meer

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TM

hinauszuwaten, um die Jolle noch zu erreichen, wurden von den Wellen

aber bald zur Umkehr gezwungen. Obgleich man inzwischen andere

Scheinwerfer auf das Wrack gerichtet hatte, war es nur undeutlich

auszumachen. Ein polnischer Flieger, der bei Major Quayle stand, weinte

leise und wiederholte immer wieder die Worte: »Das ist das Ende für

Polen. Das ist das Ende für PolenÁÓË.«

General Sikorskis Maschine war in das Mittelmeer gestürzt. Alles, was

man im Augenblick tun konnte, war Warten � Warten auf das Eintreffen

der ersten Schnellboote.

1

Erstarrt vor Entsetzen begab sich General Mason-Macfarlane zurück

zum Kontrollturm des Flugplatzes. »Selten war ich mir so hilflos vor-

gekommen«, schrieb er später in sein Tagebuch. Ein kleines Suchflugzeug

der Marine kreiste über ihm und seinen Begleitern, nahm Kurs auf die

hellerleuchtete Stelle, wo man das Flugzeugwrack zuletzt gesichtet hatte,

und schoß über dem ganzen Gebiet Lichtsignale ab, die für Unterseeboote

bestimmt waren. Hohe Offiziere drängten sich in »Jock« Frasers Kon-

trollturm. Major Derek Pilcher, sein Vorgesetzter, Bolland, Simpson und

der Gouverneur erfuhren nun, das Funkgerät habe kurz vor Verstummen

der Flugzeugmotoren noch einen Notruf des Liberator-Piloten aufge-

fangen: »Bruchlandung«. Im Turm hatte man ständigen Funkkontakt mit

dem Kapitän der »Royal Navy Naval Volunteer Reserve«, der das jeweils

patrouillierende Rettungsschiff kommandierte, und auch zu den beiden

Schnellbooten, die inzwischen ihre Liegeplätze auf der Westseite des

Felsens verlassen hatten, bestand Verbindung. Kaum waren Mason-

Macfarlane und seine Begleiter eingetroffen, hatte ein Schnellboot schon

die erste Botschaft gefunkt: man hatte die Unglücksstelle erreicht, dort

aber nur kleinere Wracküberreste gefunden. Die Besatzung hatte den

Piloten, der noch am Leben war, entdeckt und an Bord genommen,

außerdem drei andere Verunglückte, von denen einer schwach atmete.

»Wer atmet noch?« fragte der Gouverneur, der das Mikrofon an sich

genommen hatte. Der Kapitän des Bootes erwiderte, es sei schwierig, die

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TN

Verunglückten zu identifizieren, da deren Uniformen zum größten Teil

zerfetzt seien. Mason-Macfarlane befahl, daß ein Schnellboot umgehend

mit den Toten und den beiden Überlebenden zum Hafen zurückkehren

solleÁÓÈ.

Oberleutnant Lubienski bat den Gouverneur, ihn zur Unglücksstelle

hinauffahren zu lassen � die Furcht, sein Oberkommandierender könne

dort draußen irgendwo im Meer ertrinken, verfolgte ihn. Macfarlane

lehnte ab; es sei besser, sich gemeinsam zum Hafen zu begeben und dort

die Rückkehr des Schnellbootes abzuwarten. Sie erreichten die Docks, als

das erste Boot festmachte, dessen Motoren noch leise liefen. Auf Deck

lagen drei in Marinedecken eingehüllte Körper � der Verunglückte, der

zunächst noch Lebenszeichen von sich gegeben hatte, war gestorben, kurz

nachdem man ihn eingeholt hatte. General Mason-Macfarlane konnte es

nicht über sich bringen, die Toten zu sehen, und bat Lubienski, sie zu

identifizierenÁÓÍ. Offensichtlich hatte Edward Prchal, der Pilot, als einziger

den Absturz überlebt. Man hatte ihn in der Nähe der Unglücksstelle auf

dem Meer treibend aufgefunden, noch bei Bewußtsein, aber unfähig zu

sprechen. Offiziere der RAF trafen Vorbereitungen, Prchal sofort ins

Hospital bringen zu lassen. Lubienski befand sich nun an Bord des

Schnellbootes und hob die Decken, die über den drei Leichen lagen. Er

erblickte General Sikorski, der augenscheinlich sofort nach dem Unglück

einer furchtbaren Kopfverletzung erlegen war, General Klimecki, seinen

Stabschef, der auf den ersten Blick kaum verletzt schien, und den

Brigadegeneral Whiteley. Der britische Abgeordnete war gleich nach der

Übernahme ins Boot gestorbenÁÓÎ.

Der furchtbare Anblick, der sich ihm bot, beschäftigte den

Militärgouverneur von Gibraltar im Moment nur in zweiter Linie: er

grübelte über eine Einzelheit nach, die den Piloten betraf. Prchal, der

offenbar einen nervösen Schock erlitten hatte, war inzwischen auf einer

Tragbahre der Air Force fortgebracht worden. Als man ihn aus dem Meer

herausgeholt hatte, trug er seine Mae West, und zwar nicht nur eilig

übergehängt, sondern mit sorgfältig geschlossenen und befestigten Riemen und

SchnallenÁÓÏ.

Page 72: Irving David - Mord aus Staatsräson

TO

Abgestürzt: Zum ersten Male hier veröffentlicht, das Bild wurde voneinem tieffliegenden Flugzeug am Vormittag nach dem Absturz aufge-nommen. Man sieht Hauptflügel mit vier Motoren ziemlich unbeschädigtauf dem Meeresboden in zehn Meter Wassertiefe liegend. GrößereÖlflecke sind noch auf den Wellen zu erkennen.

Luftbild des FliegerhorstsGibraltar (»RAF North Front«)

mit Verlängerung ins Meer.

Page 73: Irving David - Mord aus Staatsräson

TP

IV. Bergung und Untersuchung

Damit ist das erste Geheimnis aufgetaucht. Um den Beginn der

Rettungsarbeiten zu schildern, müssen wir jedoch zwanzig Minuten

zurückgehen. Drei Rettungsbarkassen lagen an der Westseite des Felsens

an der »Flying Boat Station«, vor Anker � Schnellboote der RAF-Luft/See-

Rettungseinheit Nr. TN, die von Fliegerhauptmann Albert Posgate kom-

mandiert wurde. Posgate, ein etwas schmächtiger, schmalgesichtiger

Offizier von OU Jahren, war wegen seiner peinlichen Genauigkeit unbeliebt

bei seinen Untergebenen, aber er galt als allgemein geschätzter Fußball-

spieler. Zwei Rettungsbarkassen wurden ständig in Bereitschaft gehalten,

während die dritte in Reserve lag. Da der Hafenbaum nachts geschlossen

war, hatte man die Schnellboote von OO Uhr bis U Uhr außerhalb des

Hafens vertäut. An diesem Abend hatte die schwächere Barkasse den ersten

Bereitschaftsdienst, und es würde ungefähr neun Minuten dauern, bis sie

das östliche Ende der Rollbahn, also die Stelle, wo der Liberator abgestürzt

war, erreichteÁÓÌ.

Gleich nach dem Absturz rief der diensthabende Flugkontrolloffizier

die für den Einsatz der Rettungseinheiten zuständige zentrale Befehlsstelle

im Bunker an. PM Sekunden nach Befehl zum Auslaufen, um OP.NM Uhr �

seit dem Unglück waren insgesamt drei Minuten vergangen �, war das

erste Schnellboot, geführt von Fliegerhauptmann Atkins, bereits unterwegs

und hatte mit der Flugkontrollstation Funkkontakt aufgenommenÁÓÓ. Um

OP.OM Uhr hatte auch die stärkere Barkasse, die von Posgate persönlich

kommandiert wurde, den Befehl zum Auslaufen erhalten. Sie erreichte die

Unglücksstelle sechs Minuten später.

Die kleine, von sieben Fliegern geruderte Rettungsjolle der RAF war

schon gegen OP.NR Uhr an der Absturzstelle angekommen. Auf dem Meer

schwammen Wrackteile herum, und es war immer noch ziemlich dunkel.

Die Männer vernahmen Hilferufe und fanden daraufhin den Piloten des

Liberator, der in einer aufgeblasenen Rettungsweste, jedoch ohne Fall-

schirmgurte, auf dem Wasser trieb. Er war noch bei Bewußtsein, konnte

Page 74: Irving David - Mord aus Staatsräson

TQ

aber nicht mehr zusammenhängend sprechen. Man hob ihn in die Jolle,

legte ihn nieder und ruderte auf der Suche nach anderen Überlebenden

weiter. Wenige Minuten später holten die Männer den Körper eines

britischen Offiziers ein, der mit dem Kopf unter Wasser auf dem Meer

trieb � sie waren der Meinung, der Mann sei tot. Vom Felsen her richtete

man Scheinwerfer auf die Unglücksstelle, die bald in grellweißes Licht

getaucht war. Überall auf dem Wasser konnte man nun Postsäcke und

andere Gepäckstücke erblicken. Der Pilot murmelte Worte in einer

Sprache, die den Rudernden unbekannt warÁÓÔ.

Inzwischen war allerdings die Situation der Rettungsiolle prekär ge-

worden. Da sie zwei Insassen zusätzlich an Bord hatte, lag sie zu tief und

begann, Wasser zu nehmen. Die Flieger atmeten erleichtert auf, als die

Barkasse herankam. Zuerst erschien das schwächere Schnellboot der Royal

Navy, das keinerlei medizinische Ausrüstung mit sich führte � eine andere

Rettungsbarkasse sei jedoch ebenfalls auf dem Weg, erklärte man der

Jollenbesatzung. Als sie eintraf, wurden die beiden Verunglückten sofort

an Bord genommen. Der zweite Mann, den man aufgefischt hatte �

Brigadegeneral Whiteley �, starb kurz danach. Die Jolle, die mit den

Wrackteilen weiter südlich abgetrieben war, wurde wieder zum Ufer

gerudert, während die beiden Barkassen die Rettungsaktionen fortsetzten.

Man fand jedoch keine weiteren Überlebenden mehr. Dieser erste Teil des

Unternehmens hätte beinahe tragisch geendet: von den Barkassen aus

konnte man riesige Mengen von hochoktanigem Flugzeugtreibstoff

entdecken, die auf dem Meer große Lachen bildeten. Zu seinem Schrecken

mußte Hauptmann Posgate über Sprechfunk erfahren, daß leichte Such-

flugzeuge mit ihm »zusammenarbeiten« und Leuchtkugeln über dem

Gebiet abwerfen wollten. Er funkte sofort zurück, daß man keine Leucht-

kugeln benötige, da die Lichtverhältnisse jetzt vollkommen ausreichten.

Trotzdem überflog eine Maschine ein paarmal die Unglücksstelle und

schoß einige Leuchtkugeln ab � glücklicherweise verglühten alle, bevor sie

die Benzinlachen auf dem Meer in Brand setzen konntenÁÔÊ.

Beide Luft/See-Rettungsbarkassen setzten die Suche bis zum R. Juli um

Q.OM Uhr fort. Sie holten nicht weniger als zwanzig Postsäcke ein und

sicherten dadurch Valuta sowie große Mengen von Diplomatenpapieren.

Als sie zum Hafen zurückkehrten, hatte die Besatzung einen Überlebenden

Page 75: Irving David - Mord aus Staatsräson

TR

(den Piloten) und vier Tote geborgen, von denen drei vollständig bekleidet

waren. Alle vier Uhren, die man den Verunglückten abnahm, waren in der

vergangenen Nacht zwischen OP.MS und OP.MT Uhr stehengeblieben.

Mason-Macfarlane pflegte zu sagen, Gibraltar sei wie der Eisenbahn-

knotenpunkt Clapham: alle bedeutenden Persönlichkeiten machten früher

oder später in der Kronkolonie ZwischenstationÁÔÁ. Am Nachmittag des Q.

Juli war Sir James Grigg, der britische Kriegsminister, angekommen; als

Macfarlane kurz nach Mitternacht wieder in der Residenz erschien, wartete

Grigg dort auf ihn, um nähere Einzelheiten über das Unglück zu hören,

von dem bisher nur Gerüchte zu ihm gedrungen warenÁÔË. Der

Gouverneur berichtete, Sikorski sei tot, höchstwahrscheinlich auch alle

anderen Passagiere und Besatzungsmitglieder; überlebt habe lediglich der

Pilot. Grigg meinte, man müsse sofort London informieren, und der

Gouverneur ließ die Nachrichtendrähte spielen. Der Kontrolloffizier der

Transportstaffel hatte dem Transport Command in England bereits eine

kurze, formelle Nachricht zugeleitet: der Liberator AL ROP werde nicht

eintreffen, da er kurz nach dem Start abgestürzt seiÁÔÈ. Mason-Macfarlane

bat Oberleutnant Lubienski, die polnische Regierung zu benachrichtigen,

während er selbst das Kolonialministerium informieren wollteÁÔÍ.

»Ich hatte mich noch nicht soweit in der Gewalt, einen ausführlichen

Bericht nach London abzufassen«, erklärte Lubienski später. »Was hätte

ich schreiben können? Was sollte ich der Witwe Sikorskis sagen? Was

konnte ich dem polnischen Staatspräsidenten berichten?« Major Quayle

und der Presseoffizier des Gouverneurs, Hauptmann David Woodford,

sprangen ihm bei und setzten gemeinsam den Text für die Depesche nach

London auf*ÁÔÎ. Macfarlane telegrafierte an den polnischen Staatspräsi-

denten und schrieb ihm anschließend einen längeren Brief, in dem er die

* Lubienski ließ Oberst Borkowski, dem Londoner Kabinettsvorsteher Sikorskis, über dasbritische Kriegsministerium die folgende Depesche zukommen: »Bedaure zutiefst, Sieinformieren zu müssen, daß die Maschine, die General Sikorski von Gibraltar ins UnitedKingdom zurückbringen sollte, gegen OP Uhr beim Start in das Meer stürzte. GeneralSikorski und alle seine Begleiter wurden getötet, darunter Frau Lesniowska, GeneralKlimecki, Oberst Marecki, Herr Kulakowski, Oberleutnant Ponikiewski, Colonel Cazalet,Oberst [sic] Gralewski, Kurier aus Warschau. Leiche General Sikorskis aufgefunden.Andere Leichen noch nicht identifiziert. Weitere Einzelheilen melde ich, sobald bekannt.Zur gleichen Zeit, da ich Ihnen diese Nachricht schicke, die für unser Volk und für unserLand eine so grausame Tragödie bedeutet, möchte ich Ihnen meine tiefe Trauer aus-drücken

NVS.«

Page 76: Irving David - Mord aus Staatsräson

TS

Ereignisse des Abends, der so tragisch endete, schilderte*ÁÔÌ. König Georg

VI. sandte ein Telegramm, in dem er seine tiefe Erschütterung ausdrückte.

Man betonte allgemein, der Unglücksfall sei ein schwerer Schlag für die

Sache der Alliierten.

In London veröffentlichte das Luftfahrtministerium ein Kommuniqué,

worin der Tod Sikorskis bekanntgegeben wurde; der einzige überlebende

des Absturzes sei der Pilot, der sich »ernstlich verletzt« im Hospital

befindeÁÔÔ. Kurze Zeit darauf gab man eine � allerdings unvollständige �

Liste der Passagiere herausËÊÊ. Gegen Mittag wurde die traurige Nachricht

überall in der Welt verbreitet. Der bei Sikorskis Regierung akkreditierte

amerikanische Botschafter ließ ein Telegramm an Präsident Roosevelt,

Außenminister Cordell Hull und Sumner Welles, Unterstaatssekretär im

amerikanischen Außenministerium und Berater Roosevelts, abgehen:

»Britisches Luftfahrtministerium inforrniert mich, daß General Sikorski,

seine Tochter Frau Lesniowska und sein Generalstabschef General

Klimecki gestern bei Flugzeugunglück in Gibraltar den Tod gefunden

habenËÊÁ.« Besonders bei Sumner Welles weckten diese Nachrichten

düstere Gedanken: er fühlte sich an bestimmte andere Dinge erinnertËÊË.

Inzwischen hatte Botschafter Maiski vom britischen Repräsentanten in

Kairo ebenfalls die Nachricht von Sikorskis Tod erhalten. Der unergründ-

liche Russe kommentierte nur: »Das ist wirklich außerordentlich inter-

essant. Das erklärt, weshalb Macfarlane so ängstlich bemüht war, mich

vom Felsen loszuwerden.« Die Komödie mit der ungünstigen Wetter-

meldung hatte ihn also nicht getäuscht; nur über den eigentlichen Anlaß

war er im unklaren geblieben, so daß die geniale Improvisation des

Militärgouverneurs ihren Zweck durchaus erfüllt hatteËÊÈ.

Bei Morgengrauen begann man mit der Bergung der Wrackteile und

Überreste. Offiziere der RAF erblickten eine einsame Masse von Treibgut,

die nur knapp OR m von der Küste entfernt im Wasser schwamm. Der

Verwaltungsoffizier des Flugplatzes, Fliegermajor Horton, fuhr mit einem

* Das Telegramm Mason-Macfarlanes lautete: »In meinem eigenen Namen und imNamen Gibraltars möchte ich Ihnen mein tiefstes und aufrichtigstes Mitgefühl über dastragische Unglück General Sikorskis und seiner Gruppe übermitteln.« Der polnischeStaatspräsident antwortete: »Für die warmen Worte des Mitgefühls, die Sie zu Polensschwerem Verlust gefunden haben, möchte ich Ihnen, Exzellenz, sowie allen EinwohnernGibraltars danken

NVU.«

Page 77: Irving David - Mord aus Staatsräson

TT

Unteroffizier in einem Ruderboot hinaus, und sie machten einen inter-

essanten Fund: britische Einpfundnoten im Werte von vielen hundert

Pfund, einige lose gebündelt und von elastischen Bändern zusammen-

gehalten, andere einzeln auf der spiegelglatten Oberfläche des Meeres

treibend. Unter den anderen Gegenständen, die sie an Bord nahmen,

befand sich ein brauner Pelzmantel, der glücklicherweise mit der Pelzseite

nach oben im Wasser schwamm; sie meinten, er gehöre Frau Lesniowska,

da sie die einzige Frau im Flugzeug gewesen war. Horton nahm seine

Bootsladung mit an Land und brachte sie ins Regierungsgebäude, wo man

Major Quayle das Treibgut aushändigte. Quayle übergab das Geld Colonel

Capurro, dem Adjutanten des Gouverneurs, der es zählte und dann an den

obersten Zahlmeister weiterleiten ließ.

Fliegerhauptmann F. J. Garwood, der Chef der RAF-Wasserfahrzeug-

Abteilung, fuhr mit einer langsamen Barkasse, in der er Bergungsbehälter

und weitere Räumausrüstung mit sich führte, um den Felsen und erreichte

die Unglücksstelle bei Morgengrauen. Er wurde jedoch zu den Schiffsdocks

zurückbeordert, da man die Navy mit den Bergungsarbeiten beauftragt

hatte. Winston Churchill persönlich hatte eine gründliche Untersuchung

der Flugzeugüberreste angeordnet. Um NM.QR Uhr wurde dem Königlichen

Hafenmeister* befohlen, bei der Bergung von Leichen, Wrackteilen und

sonstigen Überresten vom Meeresgrund alle nur möglichen

Hilfestellungen zu leistenËÊÍ. Aus verschiedenen Gründen � auch wegen

der bevorstehenden Invasion der Alliierten in Sizilien und der damit

verbundenen Vorbereitungen � standen keine schweren Tauch- und

Hebeausrüstungen zur Verfügung, und am R. Juli mußten die

Taucharbeiten zum größten Teil von spanischen Tauchern durchgeführt

werden. Erst am späten Nachmittag, um NT.OM Uhr, verließ das Bergungs-

schiff der Royal Navy, die »Moorhill«, ihren Ankerplatz, fuhr langsam um

den Felsen und begab sich zu der Unglücksstelle, wo sich das Flugzeug-

wrack befand: ungefähr SQM m vom östlichen Ende der Startpiste entfernt.

Ein Suchflugzeug der Schwertfisch-Klasse hatte das Wrack unter Wasser

ausgemacht. Es war ganz deutlich zu erkennen, das noch ausgefahrene

Fahrwerk nach oben, der Rumpf an zahlreichen Stellen beschädigt. Das

* Kapitän C. H. Lush, Mitglied des Ordens vom Britischen Empire.

Page 78: Irving David - Mord aus Staatsräson

TU

Meer wurde immer noch von großen Benzinlachen verunreinigt.

Die Taucher waren bereits zum Wrack hinuntergetaucht und hatten

Vorbereitungen getroffen, damit es aus dem Wasser hochgehievt werden

konnte. Sie berichteten, der Rumpf sei durch den Aufprall aufs Meer stark

mitgenommen, das Heckteil sei vollkommen abgebrochen und liege

zwischen der Tragflächenpartie und dem Ende der Rollbahn auf dem

Meeresboden. Die Tragflächen selbst waren nur leicht beschädigt und

trugen noch alle vier Triebwerke. Propeller sowie Gehäuse der Unter-

setzungsgetriebe waren ohne Ausnahme abgerissen worden. Die gesamte

Tragflächenpartie und ein großer Teil des Flugzeugrumpfes hingen noch

zusammen � der Rumpf allerdings war, besonders vorn, vor der Kabine

des Navigators, stark lädiertËÊÎ. Als die »Moorhill« diese Partie aus dem

Meer hievte, entdeckten Taucher die Leiche eines Besatzungsmitglieds, die

darunter eingeklemmt gewesen war. Alle Versuche, den riesigen Trag-

flächenteil (die Spannweite des Liberator betrug PP,R m) auf das Schiff zu

bringen, schlugen jedoch fehl. Auf Bitten der RAF wurde dieser Teil des

Wracks näher an die Küste gezogen und um ON.PM Uhr wieder auf Grund

gelassen. So würde man am folgenden Tag den Meeresboden gründlicher

absuchen können.

Die bisher aufgefundenen Leichen waren zum örtlichen Leichen-

schauhaus gebracht worden, wo der Sanitätsoffizier der RAF-Station sie �

soweit der Gouverneur zuließ � untersuchte. Aus politischen Gründen

hatte man keine Obduktion gestattetËÊÏ. Fliegermajor Canning, der oberste

Sanitätsoffizier, stellte fest, daß die Opfer zahlreiche Verletzungen am Kopf

und anderen Körperteilen hatten. Er gab zu Protokoll, die Schwere der

Verletzungen lasse darauf schließen, der Tod sei »annähernd zur selben

Zeit wie der Unfall« eingetreten. General Sikorski hatte eine tiefe, klaffende

Wunde an der Stirnpartie, nach den Aussagen anderer Zeugen hatte ein

spitzer und scharfer Gegenstand außerdem ein deutlich erkennbares Loch

in einen Augenwinkel gebohrt; das Auge selbst war dabei kaum in

Mitleidenschaft gezogen wordenËÊÌ. Auf die Bitte Cannings hin

untersuchten Luftwaffenmajor Sutton und sein Assistent, Corporal

Pickering, am nächsten Morgen den Körper Sikorskis noch einmal und

zogen einen langen Holzsplitter aus der Augenwunde heraus: der Splitter

war genau ins Gehirn gedrungen. Canning schloß, daß der General sofort

Page 79: Irving David - Mord aus Staatsräson

TV

getötet worden sei; für Ertrinken lagen keine der normalen pathologischen

Anzeichen vor. Die anderen beiden Opfer, die er gesehen hatte, waren

seiner Meinung nach ertrunken � allerdings konnte auch bei ihnen keine

Autopsie vorgenommen werden. Das Gesicht General Sikorskis wurde von

Sutton kurz kosmetisch behandelt, damit zwei Fotografen der RAF es

aufnehmen konnten. Kurze Zeit darauf unterschrieb Canning die Sterb-

eurkunde des polnischen Ministerpräsidenten.

Die oberflächliche Untersuchung der aufgefundenen Leichen gibt

kaum Einblick in die tragischen Geschehnisse, die sich nach dem Absturz

im Flugzeug abspielten. Der Liberator hatte eine VIP-Kabine, die offen-

sichtlich für Sikorski, seine Tochter, Klimecki und Brigadegeneral Whiteley

reserviert war. Einige Minuten, bevor die Maschine von der Rollbahn

abhob, hatte diese Gruppe die Kabine betreten. Sikorski trug im Augen-

blick des Unglücks bereits eine Pyjamajacke und die üblichen Uniform-

hosen aus Khaki, die an der Seite einen breiten schwarzen Streifen hatten.

Einen Stiefel hatte er gerade ausgezogenËÊÓ.

Als Oberleutnant Lubienski die Leiche des Generals an der Kaimauer

betrachtete, war die Uniformjacke Frau Lesniowskas noch um seine Beine

gewickelt. Klimecki, der polnische Generalstabschef, hatte zahlreiche Ver-

letzungen erlitten, und seine Kampfuniform war nur noch ein »Sack« voll

von KnochenËÊÔ.

In Gibraltar gab es damals keine Särge, da man Tote normalerweise der

See übergab oder einäschern ließ. Major Quayle hatte Himmel und Erde in

Bewegung gesetzt, und bis zum Abend des R. Juli war es ihm gelungen,

sechs Särge aus Spanien zu organisierenËÁÊ � genug für die Opfer, die sich

bereits im Leichenschauhaus befanden �, und weitere Särge für alle

Passagiere, die sich an Bord des Liberator befunden hatten, bestellte erËÁÁ

(zwei Tage später sollte sich erweisen, wie weise diese Vorsichtsmaßregel

war). Gemeinsam legten Lubienski, Quayle und Oberleutnant Rosycki, der

kommandierende Offizier der in Gibraltar stationierten polnischen

Kompanie, die Leichen von Sikorski und Klimecki in die einfachen Kisten

aus Kiefernholz. Immer noch waren die sterblichen Überreste der beiden

Polen in Marinedecken gehüllt. Anschließend wurden der dünne

Zinneinsatz der Särge versiegelt und die Deckel zugenageltËÁË. Der

Militärgouverneur hatte, eingedenk der furchtbaren Hitze, die im Juli in

Page 80: Irving David - Mord aus Staatsräson

UM

der Kronkolonie herrschte, strengstens angeordnet, daß alle Särge umge-

hend nach England geflogen werden sollten. Dieser Befehl wurde aber

nicht ausgeführt, da Professor Kot, der polnische Informationsminister in

London, einen Zerstörer der polnischen Marine schicken wollte, um die

sterblichen Überreste der Gruppe zu überführen. Bis zur Ankunft des

Kriegsschiffes würden noch mehrere Tage vergehenËÁÈ. Die englischen

Behörden hatten Vorbereitungen zur Einäscherung der Leichen getroffen,

was die Polen aber aus religiösen Gründen nicht zuließen.

Zur gleichen Zeit trat das polnische Kabinett zusammen, um die »Lage

zu prüfen«, die durch den Tod General Sikorskis eingetreten war. Wen

sollte man Präsident Rackiewicz als Nachfolger vorschlagen? Die Wahl

würde nicht leicht sein. Niemand von den anderen polnischen Politikern

hatte das Vertrauen Churchills in so weitgehendem Maße erringen können

wie Sikorski, niemand konnte hoffen, die gegnerischen Fraktionen in den

Reihen der Exilpolen so miteinander zu versöhnen, wie es dem General

gelungen war. Ein ausländischer Journalist telegrafierte seinem Blatt: »Der

erste Eindruck, den man in London gewinnen kann, ist der, daß Bestürz-

ung und Trauer in weiten Kreisen durchaus echt sindËÁÍ.«

Am Abend, als die Bergungsarbeiten unterbrochen wurden und die

Dämmerung anbrach, kühlten sich die Straßen Gibraltars allmählich ab. In

feierlicher Prozession wurden die Särge mit General Sikorski und General

Klimecki vom Leichenschauhaus zur Kathedrale der Himmelskönigin

Maria gebracht; in den Straßen standen britische und polnische Truppen

Spalier. Oberleutnant Lubienski, im schwarzen Straßenanzug, ging an der

Spitze der Leidtragenden, General Mason-Macfarlane, der sich mit der

schrecklichen Tragödie und dein Verlust eines so guten Freundes noch

immer nicht abgefunden hatte, wurde von den drei Oberkommandieren-

den seiner Truppenteile gestützt, als er unsicheren Schrittes den Särgen

folgte. Vor der Kathedrale erklang der Trauermarsch von ChopinËÁÎ.

Später, es war beinahe Nacht geworden, kehrte der Gouverneur noch

einmal in das Gotteshaus zurück, um Kränze mit roten und weißen

Blumen an den Särgen niederzulegen. Sie standen auf einem Podest,

bewacht von polnischen Offizieren und Soldaten der Kompanie, die

Sikorski erst einen Tag vorher inspiziert hatteËÁÏ. Als Macfarlane wieder in

der Residenz war, verbreiteten deutsche Rundfunkstationen bereits im

Page 81: Irving David - Mord aus Staatsräson

UN

gesamten besetzten Europa, Sikorski sei vom »Britischen Secret Service«

umgebracht worden, da er den Alliierten zu unbequem geworden sei.

Außerdem behaupteten die Deutschen, im Laufe des Tages habe ihr

Außenministerium »insbesondere aus Lissabon und Madrid« Infor-

mationen erhalten, die keinen Zweifel mehr an ihren Angaben ließen. Dr.

Paul Schmidt, Sprecher des deutschen Außenministeriums, erklärte:

»Sikorskis Tod hatte den einzigen Ausweg aus diesem Dilemma geliefert.«

Man brachte den Tod Sikorskis sofort mit dem Anschlag auf Admiral Jean-

François Darlan � er war sechs Monate zuvor in Nordafrika ermordet

worden � in Verbindung; Darlan, so beeilten die Deutschen sich zu

versichern, hatte ebenfalls politische Ziele gehabt, die den britischen

Plänen zuwiderliefenËÁÌ. Sowohl die britische als auch die polnische

Regierung lehnten die absurden Behauptungen der Deutschen ab (sie

waren kaum zwei Stunden, nachdem die Nachricht vom Tod Sikorskis

Berlin erreicht hatte, verbreitet worden) und bezeichneten sie als »typisch

für die niedrige Gesinnung« des FeindesËÁÓ. Aus den uns verbliebenen

Akten des deutschen Außenministeriums, der SS sowie der Abwehr geht

nicht hervor, daß diesen Beschuldigungen nachweisbare Tatsachen zu-

grunde lagenËÁÔ. Natürlich würden die Untersuchungen über die Ursache

des Absturzes Wochen in Anspruch nehmen, und es war im Augenblick

noch gar nicht entschieden, ob es sich um einen Unglücksfall handelte

oder nicht.

1

An der östlichen Seite der Meerenge von Gibraltar zieht die Meeres-

strömung, die ungefähr dreieinhalb Stunden nach der Flut einsetzt, acht

Stunden pro Tag langsam in südlicher Richtung. Sonst herrscht hier eine

ganz schwache, manchmal kaum feststellbare Strömung nordwärts. Bei

Gibraltar beträgt die tägliche Ebbe-Flut-Differenz etwas mehr als SM cm,

und unmittelbar an der Küste läßt sich so gut wie kein Unterschied

beobachtenËËÊ. Knapp U m unter der Oberfläche dieses ruhigen Meeres-

teils, der kaum vom Wind gekräuselt wird, lagen, SQM m vom östlichen

Ende der Startpiste entfernt, die Wrackteile des Liberator AL ROP. Die

Page 82: Irving David - Mord aus Staatsräson

UO

Tragflächen waren inzwischen nahe dem Ufer wieder auf Grund gelassen

worden, wodurch die eigentliche Unglücksstelle für weitere Sucharbeiten

frei wurde. Allem Anschein nach hatten die einheimischen Taucher, die

am ersten Tag das Wrack untersucht hatten, ziemlich ungeschickt

gearbeitet � in der Nacht des R. Juli ersuchte der Gouverneur die Royal

Navy, sämtliche Tauch- und Bergungsarbeiten zu übernehmenËËÁ. Man

wandte sich an Fregattenkapitän Ralph Hancock, der die in Gibraltar

stationierten Minenräumeinheiten und Küstenverteidigungsanlagen befeh-

ligte, und Hancock forderte Oberleutnant William Bailey, den Offizier

seiner Froschmänner, auf, eine Bergungsmannschaft zusammenzustel-

lenËËË. Bailey leitete die Gruppe für Unterwasserarbeiten, deren Aufgabe es

normalerweise war, die im Hafen liegenden Handels- und Kriegsschiffe

nach Haftminen abzusuchen. Mit seinem dreißigjährigen Assistenten,

Oberleutnant Crabb � der später Berühmtheit erlangen sollte �, teilte er

gewöhnlich die Nachtwachen gegen »menschliche Torpedos« aus Italien.

In dieser Nacht befand sich Bailey an Land, während Crabb bei den

Schiffen in der Bucht von Gibraltar »Posten« bezogen hatte. Bailey wurde

telefonisch angewiesen, wegen eines besonderen Notfalls müßten er und

seine Männer schon bei Morgengrauen mit den Taucharbeiten beginnen.

Natürlich hatte es keinen Zweck, die Arbeiten bei Nacht fortzuführenËËÈ.

Gegen R.PM Uhr � es war noch dunkel � gingen Oberleutnant Bailey und

fünf Froschmänner an Bord einer Luft/See-Rettungsbarkasse und fuhren

zur Unglücksstelle hinaus. Als das Tageslicht anbrach, hatten sie alle

Vorbereitungen für ihre Arbeit getroffen: Spezialunterwäsche und -overalls

sowie der »Davis-Tauchretter«, der ihnen als Antrieb diente, waren

angelegt. über der Absturzstelle ließ man das Taucher-Begleitboot vor

Anker gehen, und die Männer glitten in die Tiefe. Zum Glück hatte sich

die Katastrophe über einem relativ seichten Meeresteil ereignet � mit dem

Davis-Tauchretter konnte die Mannschaft nämlich nur bis zu einer Tiefe

von etwa V m arbeiten. Im Gegensatz zu den eigentlichen Tauchantrieben

war das Gerät schwimmfähig, Bailey und seine Froschmänner mußten sich

also mit einem Fuß unter einem schweren Gegenstand einklemmen oder

aber Ballast mit sich führen, wenn sie am Meeresboden ihre Aufgabe

erledigen wollten.

Page 83: Irving David - Mord aus Staatsräson

UP

Als Bailey sich an das spärliche Licht dort unten gewöhnt hatte,

erblickte er die ersten Teile vom Flugzeug � der größte ihm sichtbare

Gegenstand war das Untersetzungsgehäuse eines der vier Triebwerke. Die

Sonne ging auf, und nach einer Stunde war es so hell geworden, daß die

Taucher im klaren Wasser des Meeres in jeder Richtung über S m weit

sehen konnten. Sie folgten den herumliegenden Wrackteilen und gelang-

ten so zu der Stelle, wo der Liberator aufgeprallt war: die wenigen dort

noch befindlichen Überreste der Maschine waren nur schwer zu identi-

fizieren. Der Rumpf war mehrmals gebrochen, die einzelnen Teile in sich

noch stark beschädigt, die gesamte Innenausstattung des Flugzeugs war

herausgequollen und lag im Umkreis von ORM bis PRM m verstreut herum.

Der Meeresboden bestand hier aus festem, gleichmäßig nivelliertem Sand,

so daß man ohne Schwierigkeit noch die kleinsten Gegenstände aus-

machen konnte: einige Meter von ihm entfernt sah Bailey eine Nagel-

schere. Als er und Crabb zwischen den Wracküberresten suchten, ent-

deckten sie ein größeres Gebilde, das an den Metallteilen hing �

offensichtlich ein Mann ohne Kopf. Bailey fand, es sei Zeit zum Hoch-

tauchen; man mußte eine Pause machen und die Sauerstoffflaschen

wechselnËËÍ. An der Oberfläche angekommen, sahen die Froschmänner

eine Barkasse auf sie zukommen. Auf Deck konnte man die leicht gebückte

Gestalt Mason Macfarlanes � »S.E.« [Seine Exzellenz], wie er in Gibraltar

allgemein genannt wurde � ausmachen. Der Gouverneur fragte, wer die

Tauchaktion leite und wonach man besonders suche. Bailey erwiderte, er

und seine Männer bemühten sich vor allem darum, die Leichen der

Verunglückten zu bergen. Macfarlane befahl ihm, weiterzumachen, sie

sollten aber ein Auge für Mappen und Aktentaschen haben. Bei einem

seiner nächsten Tauchgänge fand Bailey eine schwarze Ledertasche, die er

sofort nach oben brachte. Sicher handelte es sich um die Mappe, auf die es

dem Gouverneur besonders ankam � er forderte Bailey nämlich nicht auf,

weiterzusuchen. Der »Mann ohne Kopf«, den man vorher ausgemacht

hatte, entpuppte sich als Regenmantel, der von einem Wrackteil herab-

hing. Eine halbe Stunde später mußte Bailey wieder seinen Sauerstoff-

behälter wechseln und sah dabei, daß sich eine weitere Luft/See-Rettungs-

barkasse dem Begleitboot der Froschmänner genähert hatte. Auf Deck

Page 84: Irving David - Mord aus Staatsräson

UQ

stand ein Offizier in RAF-Uniform.

»Wer leitet diese Mannschaft?« fragte er. »Was machen Sie da?« Leicht

verärgert über den Tonfall, den der Offizier angeschlagen hatte, war die

natürliche und � wenn man den schrecklichen Anblick bedenkt, den er

unten gehabt hatte � auch verständliche Reaktion Baileys die Gegenfrage:

»Wer sind Sie denn, und was machen Sie hier?«

Der Offizier erwiderte, er gehöre zum »Accident Investigation Branch«

des Luftfahrtministeriums und sei soeben mit dem Flugzeug aus London

gekommen. Er fragte Bailey: »Können Sie wohl ein bestimmtes Kontroll-

brett für mich heraufholen, ohne dabei die Hebel und Schalter zu ver-

stellen?« Bailey antwortete, er habe drei Froschmänner unten, ihm sei

jedoch befohlen worden, zuerst die Verunglückten zu bergen und nach

Aktentaschen und Wertsachen, die sich noch auf dem Grund des Meeres

befinden könnten, Ausschau zu halten. Daraufhin ordnete der RAF-

Offizier ausdrücklich an, das Kontrollpaneel mit den Hebeln für Start-

klappen und Fahrgestell sowie den Drosselventilen herauszulösen; er

beschrieb genau, an welcher Stelle es lag � auf dem Sockel zwischen den

Sitzen für Pilot und Kopilot. Bailey bestimmte einen seiner Männer, den

betreffenden Teil des Sockels mit einer messerscharfen Axt herauszu-

klopfen, ohne die Hebel dabei zu bewegen. Die schwierige Aufgabe wurde

noch im Laufe des Tages erledigt. Inzwischen hatte man den Frosch-

männern auch eine Taucherglocke zur Verfügung gestellt, die allerdings

kaum von Nutzen war. Am S. Juli war die Bergungsmannschaft damit

beschäftigt, nach weiteren Leichen zu suchen. Als Oberleutnant Bailey sich

den Weg durch mehrere Wrackteile bahnte, hatte er plötzlich das

unangenehme Gefühl, von jemandem beobachtet zu werden. Seitlich von

sich bemerkte er einen Gegenstand, der sich ganz schwach bewegte, und

als er den Kopf wandte, erblickte er einen Körper, der � viele Meter vom

Wrack entfernt � in voller Fallschirmausrüstung an einen Metallsitz

geschnallt war. Ein Auge des furchtbar zugerichteten Gesichts schien ihn

genau zu fixieren. Es war die Leiche von Colonel Victor Cazalet, dem

politischen Verbindungsoffizier der polnischen Gruppe; der Kopf des

Toten hing zur Seite, seine Haare wurden vom schwachen Meeresstrom

hin und her bewegt. Bailey befestigte ein Seil am Metallsitz, damit er mit

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UR

der Leiche hochgehievt werden konnteËËÎ. Bald darauf fand er auch den

toten Oberleutnant Ponikiewski, den Adjutanten Sikorskis, der noch seine

blaue Marineuniform trug. Andere Froschmänner entdeckten ein weiteres

verunglücktes Besatzungsmitglied, man wußte nicht genau, ob es der

Navigator oder der Flugingenieur war, und zog ihn ebenfalls nach oben,

wo er mit einem großen Netz in die Barkasse geholt wurde.

Fliegerhauptmann Perry erhielt Befehl, sich ins Leichenschauhaus zu

begeben, um Cazalet zu identifizieren: er kannte ihn seit siebzehn Jahren,

konnte ihn allerdings kaum wiedererkennen, da der Tote außerordentlich

entstellt war. Als er den Fuß erblickte, der noch am Körper hing, fiel sein

Auge auf einen braunen Wildlederstiefel. »Es ist Cazalet«, bestätigte er.

Auch Ponikiewski wurde von ihm identifiziertËËÏ.

In London hielt Winston Churchill indessen vor dem Unterhaus den

Nachruf auf Sikorski. Er betonte, daß der Tod des polnischen Minister-

präsidenten einen schweren Schlag für die Sache der Alliierten darstelle. Er

habe nicht nur sein Land in schweren Zeiten repräsentiert, er verkörpere

geradezu den Geist, den Polen in Jahrhunderten politischer Bedrängnis

und Unbill entwickelt hätte, einen Geist der »allen Leiden trotze«. In seiner

typisch Churchillschen Rhetorik rief der britische Premier den Zuhörern

ins Gedächtnis, wie Sikorski nach der Niederlage Frankreichs alles daran

gesetzt hatte, eine neue polnische Armee aufzustellen, und unterstrich

noch einmal die politische Klugheit des Verunglückten, die ihn im Jahre

NVQN dazu veranlaßt hatte, das Abkommen mit Stalin zu unterzeichnen. Ein

Unterhausmitglied fragte: »Könnte der Premierminister dem Hohen Haus

irgendeinen Hinweis über die Ursache des Unglücks geben?« Der Speaker

erklärte, diese Frage sei unzulässig, und Churchill brauchte nicht zu

antwortenËËÌ.

Die polnische Regierung ernannte den dreiundvierzigjährigen Stanis-

law Mikolajczyk interimistisch zum Ministerpräsidenten; General Marian

Kukiel sollte das Amt des polnischen Oberbefehlshabers bekleiden, bis

auch hier ein endgültiger Nachfolger für Sikorski bestimmt war. Miko-

lajczyk, ein pragmatischer Politiker, war Vorsitzender der Polnischen

Bauernpartei gewesen. Er galt als gemäßigter Liberaler und hatte im Laufe

seiner Karriere Ausgeglichenheit und Standhaftigkeit bewiesen. Der mit-

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US

reißende Elan Sikorskis fehlte ihm allerdings.

Sikorski war tot, und seine Witwe, die im Westen Londons allein lebte,

wurde von Winston Churchill mit einem mitfühlenden Beileidsschreiben

bedacht*.

2

An der östlichen Küste Gibraltars hievte der Bergungsdampfer »Moorhill«

erneut die Tragflächenpartie des Liberator aus dem Wasser, um den Foto-

grafen der Royal Air Force Aufnahmen zu ermöglichen. Aus England war

inzwischen eine Anzahl hoher RAF-Offiziere mit dem Flugzeug einge-

troffen, um das Verfahren des militärischen Untersuchungsausschusses

vorzubereiten. Einige der Offiziere, zu denen man auch Stanislaw Dudzin-

ski, Major der polnischen Luftwaffe, als Beobachter hinzugezogen hatte,

verfolgten von einer kleinen Barkasse aus die BergungsarbeitenËËÔ.

Unter den Männern befand sich Oberstleutnant Arthur Stevens, der

höchste technische Offizier der RAF-Station. Er untersuchte die triefenden

Tragflächen genau und gab zu Protokoll, die relativ unbeschädigten Start-

klappen seien ungefähr zu drei Achteln ausgestellt gewesen � für den Start

wohl ungefähr die richtige Klappenposition. In dieser Beziehung schien

also alles in Ordnung. Stevens konnte bemerken, daß an der rechten Seite

Tragfläche und Querruder ziemlich intakt waren, während Flügel und

besonders Querruder der Backbordseite Beschädigungen aufwiesen. Auch

an diesem Abend ließ man die PPm lange Tragflächenpartie wieder auf

Grund, allerdings nicht ganz so sorgfältig wie vorher � das riesige Gebilde

drehte sich um die eigene Achse und landete mit den Fahrwerken nach

unten auf dem Meeresboden. Als die »Moorhill« am nächsten Morgen �

* Das Schreiben lautete: »Ich war zutiefst betroffen, als ich heute morgen vom Tod Ihrestapferen Gatten und Ihrer Tochter hörte, der sie auf der Heimkehr von ihrem denk-würdigen Besuch im Nahen Osten ereilte. Keines meiner Worte kann Ihnen die Trauerum diesen doppelten Verlust leichter machen. Ich vertraue trotzdem zuversichtlichdarauf, daß Sie mein tiefes Mitgefühl um den Tod eines Mannes, der mir ein persönlicherFreund war, annehmen werden. Der Verlust General Sikorskis ist ein schwerer Schlag fürdas polnische Volk, dessen Sache er so treu, ausdauernd und tapfer verfochten hat. Imweiten Kreis der Alliierten und besonders in diesem Land, das einen treuen Freund undWaffengefährten verloren hat, wird man diesen Verlust noch lange fühlen. Mit demaufrichtigstem Mitgefühl, Ihr sehr ergebener Winston Churchill

OOU.«

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UT

dem T. Juli � um V Uhr an die Unglücksstelle zurückkehrte, entdeckten die

Froschmänner, daß sich der ohnehin schon stark ramponierte Rumpfteil,

der noch an der Flügelpartie gehangen hatte, nun völlig abgelöst hatte.

Man befestigte Seile an den Triebwerken und zog die Tragflächenpartie

wieder herauf. Nachdem die Offiziere der RAF und die polnischen

Mitglieder der Beobachtungsgruppe das riesige Wrackteil genau betrachtet

hatten, wurde es abermals auf Grund gelassen, und zwar noch näher an der

Küste, wo die Meerestiefe nur wenig über P,R m betrugËÈÊ.

Immer noch fehlten die Leichen mehrerer Passagiere, darunter die von

Frau Lesniowska. Im Hafen lief ein beunruhigendes, aber durchaus

glaubhaftes Gerücht um: am ersten Tag nach dem Absturz hätten die

einheimischen Taucher die ertrunkene Frau Lesniowska tatsächlich

zwischen den Wrackteilen ausgemacht, sie jedoch unten gelassen, da es

nach dem Aberglauben der Taucher Unglück bringt, sich von den Haaren

einer ertrunkenen Frau berühren zu lassen*ËÈÁ. Mason-Macfarlane wollte

unbedingt die Leiche der Tochter Sikorskis bergen lassen � er war geradezu

verfolgt von diesem Gedanken � und befahl den Tauchern sowie allen

lokalen Militärbehörden, die mit der Suche befaßt waren, auch auf Leichen

und Überreste zu achten, die an Land gespült worden sein konnten, wobei

besonders die schwer zugänglichen Küstenstreifen und Höhlungen am

Felsen abgesucht werden solltenËÈË. Man fand einige Reisetaschen mit

Kleidern der Toten, das war allesËÈÈ. Macfarlane bat den Zivilgouverneur

der angrenzenden spanischen Provinz, sich an der Suche nach den

Verunglückten zu beteiligen, und auf spanischer Seite willigte man ein.

Hier wurden die Schärpe von einem britischen Orden des Generals sowie

seine Militärmütze aufgefunden und umgehend nach Gibraltar gebracht.

Die polnische Regierung in London entsandte vier hohe Beamte, die sie

bei der feierlichen Totenehrung in der Kronkolonie vertreten sollten. Früh

am T. Juli trafen die Polen einËÈÍ. Von den vieren � Dr. Jozef Retinger,

einem der ältesten politischen Berater des verunglückten Ministerpräsi-

denten, Luftmarschall Ujejski, dem Stabschef der polnischen Luftwaffe,

Oberst Protasewicz und Tadeusz Ullmann � interessiert uns vor allem der

letzte. Mit der Ankunft dieses kleinen und zurückhaltenden Ingenieurs aus

* Am S. Juli hatte Reuter gemeldet, die Leiche Frau Lesniowskas sei auf gefunden worden.

Page 88: Irving David - Mord aus Staatsräson

UU

dem polnischen Innenministerium war Lubienskis offizielle Rolle bei den

polnischen Untersuchungen über den Absturz beendetËÈÎ. Mikolajczyk

hatte angenommen, Ullmann werde auch an der Untersuchung der Royal

Air Force teilnehmen können � mit Zustimmung der obersten polnischen

Luftwaffen-Aufsichtsbehörde hatte man aber bereits einen polnischen

Luftwaffenoffizier, Major Dudzinski, zum Beobachter ernannt: damit war

Ullmann praktisch ausgeschaltetËÈÏ. Gemeinsam mit Luftmarschall Ujejski

mußte er sich auf Ermahnungen beschränken; Major Dudzinski sollte

nach Eröffnung der offiziellen Untersuchung sofort in den Gang der

Verhandlungen eingreifen, sobald sich strittige Punkte ergäben. Dudzinski

hatte zwar nur Majorsrang und weilte als Gast in einem fremden Land,

aber schließlich war Polen allein durch seine Person an der Aufklärung des

Todes von General Sikorski beteiligt. Leider schienen alle Ermahnungen

dieser Art bei Dudzinski nichts zu fruchten. Allerdings war er auch in einer

Situation, die nicht gerade beneidenswert war. Während der Verhand-

lungen trat er kaum hervor, und in der Folge blieben zahlreiche

beunruhigende Fragen ohne Antwort.

Was war inzwischen mit dem Piloten geschehen? Fliegerhauptmann

Prchal lag im Hospital, und niemand durfte zu ihm. Am R. Juli ließ das

britische Luftfahrtministerium verlauten: »Der einzige überlebende des

Unglücks ist der Pilot, der ernstlich verletzt wurde und sich im Hospital

befindetËÈÌ.« In der ganzen Welt beschäftigten sich die Zeitungen mit

diesem Punkt. Die Blätter der Alliierten schrieben neutral oder äußerten

offen ihre Sympathie mit dem Piloten der Absturzmaschine, während die

Presse der Achsenmächte ihren Verdacht mehr oder minder deutlich

aussprachËÈÓ. In den Vereinigten Staaten hatte am R. Juli nur eine Zeitung

den Namen Prchals und nähere Einzelheiten aus seiner Fliegerlaufbahn in

Erfahrung bringen können. Die New York Times brachte ein Telegramm

ihres Londoner Korrespondenten: »Nur der tschechische Pilot überlebte,

er wurde jedoch ernstlich verletztËÈÔ.« Vor der britischen Presse wurden

Name und Nationalität des Piloten geheimgehalten. Oberleutnant Jan

Rosycki, der kommandierende Offizier der polnischen Kompanie in

Gibraltar, schrieb in sein Tagebuch: »Es besteht Hoffnung, daß er gerettet

wird. Sein Sitz lag sowohl oberhalb der Tragflächen als auch oberhalb des

Flugzeugrumpfes, während sich die Passagierkabine unterhalb der Trag-

Page 89: Irving David - Mord aus Staatsräson

UV

flächen befand.« Zweifellos hatte Prchal dieser Tatsache sein Leben zu

verdankenËÍÊ.

Der Gibraltar Chronicle berichtete: »Es bestehen Aussichten, daß er

gerettet wirdËÍÁ.« Es wäre in der Tat außerordentlich seltsam gewesen,

wenn Prchal sich nicht mehr erholt hätte � hatte doch der Sanitätsoffizier

der RAF, Luftwaffenmajor David Canning, ihn sofort nach seiner Ankunft

am Ufer untersucht und � laut Bericht � diagnostiziert, der Pilot habe

einen Schock, Fleischwunden im Gesicht sowie einen Bruch des rechten

Knöchels erlitten*. In einem Interview mit dem Autor hat Dr. Canning

später seine Diagnose ausführlicher erläutert und erklärt, Prchal habe sich

in einem nervösen Schockzustand befundenËÍË.

Die Tatsache, daß der Pilot den Absturz des Liberator als einziger

überlebte, war für die deutsche Propaganda geradezu ein Leckerbissen. In

der Nacht nach dem Absturz verbreitete William Joyce über Rundfunk:

»Seltsam genug � von allen Insassen des Flugzeugs überlebte lediglich der

Pilot. Vielleicht hatte er das Unglück irgendwie vorausahnen können, und

ich würde mich nicht wundern, wenn sein Name in einer der zukünftigen

Ehrenlisten figurierte . . .ËÍÈ!« In der folgenden Nacht prophezeite Joyce

um dieselbe Zeit, Prchals Verletzungen würden »eine gewisse Zeit lang als

Vorwand für die Unfähigkeit des Piloten benutzt werden, irgendwelche

detaillierte Angaben über die Ursache des Absturzes zu machen«ËÍÍ. Den

Hörern deutscher Sender wurde erklärt, Sikorskis Freunde in London

bemühten sich um eine Reiseerlaubnis nach Gibraltar, doch selbst wenn

sie diese Genehmigung erhalten sollten, würden sie in der Kronkolonie

unüberwindliche Hindernisse vorfindenËÍÎ. Am T. Juli schließlich lenkte

Dr. Schmidt auf einer Pressekonferenz der Wilhelmstraße die Aufmerk-

samkeit auf die »interessante Tatsache«, daß gewisse britische Zeitungen

»den angestrengten Versuch machen, die Verantwortung für den Tod

Sikorskis den Bolschewiken zuzuschieben«ËÍÏ.

Der im Militärkrankenhaus von Gibraltar liegende Prchal blieb auch

weiterhin Mittelpunkt der allgemeinen Spekulationen. Am T. Juli wurde er

vom Chefchirurgen, Oberstleutnant Simmons, untersucht, und er begann,

* Erst nach einigen Tagen wurde eine Röntgenuntersuchung vorgenommen, bei der sichherausstellte, daß der linke Knöchel ebenfalls gebrochen war.

Page 90: Irving David - Mord aus Staatsräson

VM

Fragen des Ärztepersonals zu beantwortenËÍÌ. Polnischen Offizieren, die zu

ihm wollten, erklärte man allerdings, er sei noch drei Tage nach dem

Unglück bewußtlos gewesen, und alle ihre Versuche, ihn zu sehen, wurden

mit der Behauptung vereitelt, Prchal erleide jedesmal, wenn die Rede auf

den Absturz komme, nervöse KrämpfeËÍÓ. Oberleutnant Bailey, der

Taucheroffizier, ging ebenfalls zum Krankenhaus, um den Piloten zu

besuchen � ihm sagte man, Prchal befinde sich immer noch in einem

nervösen Schockzustand, und er mußte unverrichteter Dinge wieder

gehenËÍÔ. Die Atmosphäre des Schweigens wurde langsam erdrückend,

und natürlich verbreiteten sich in der dichtbevölkerten Kolonie wilde

Gerüchte, die auch vor den Offiziersmessen der Alliierten nicht Halt

machten. Während in den Zeitungen nach wie vor von der großen

Erfahrung des Piloten im Transportverkehr zwischen England und dem

Nahen Osten die Rede war und darauf hingewiesen wurde, er habe bereits

zahlreiche andere Persönlichkeiten, »einschließlich de Gaulle«ËÎÊ, ohne

Unfall geflogen, gewannen einige Polen immer mehr den Eindruck, Prchal

habe seine Hände bei dem Absturz irgendwie im Spiel gehabt und sei nur

deshalb mit dem Leben davongekommen. Der Pilot war ein Tscheche:

diese Tatsache unterstützte ihren Verdacht. Die Beziehungen zwischen

Tschechen und Polen waren schließlich schon immer besonders gespannt

gewesen.

Wie oft hatte man General Sikorski abgeraten, sich von Ausländern

fliegen zu lassen! Ujejski, sein Luftwaffenstabschef, damals noch Vize-

marschall, hatte ihn gebeten, ausschließlich mit polnischen Besatzungen zu

fliegen. Sikorskis Antwort war immer gleich: er durfte den Briten nicht

zeigen, daß er ihnen mißtraueËÎÁ. Auf dieser Reise hatte er den Piloten

persönlich ausgewählt amerikanische Blätter berichteten entsprechend:

»Der polnische Ministerpräsident hatte für die Rückkehr nach London die

Wahl zwischen mehreren Flugzeugen. Er wählte die Todesmaschine, da er

den Piloten kannteËÎÊ.«

Wer die Möglichkeit gehabt hatte, privat mit Prchal zu sprechen,

wurde ebenfalls mißtrauisch. Der oberste Sanitätsoffizier Gibraltars hörte

die Schilderung des Piloten, wie er im Augenblick des Aufpralls durch die

Page 91: Irving David - Mord aus Staatsräson

VN

Perspex*-Verglasung der Flugkanzel geschleudert worden sei und sich

nicht mehr erinnern könne, was danach geschehen sei. Major Canning

weiß noch heute, daß er und seine Kollegen diese Behauptung ziemlich

skeptisch aufnahmen: »Er konnte nicht durch das Perspex geschleudert

worden sein, ohne sich beachtlich mehr zu verletzen als nur Kopf und

KnöchelËÎË.« Wieso hatte also Prchal mit vergleichsweise leichten Verletz-

ungen einen Absturz überlebt, bei dem alle Passagiere und die gesamte

Mannschaft den Tod fanden? Das war nicht der einzige seltsame Punkt:

Oberst Bolland, der hagere RAF-Stationskommandeur von »North Front«,

schaffte es, bei Prchal im Hospital vorgelassen zu werden, und wurde vom

Piloten gefragt, ob sein persönliches Gepäck geborgen worden sei. Ganz

ungeniert fügte Prchal hinzu, er habe eine Menge unverzollter Güter mit

sich geführt, und »wenn doch seine Pelze gerettet worden seienËÎÈ!« Der

Leser sollte diese Nebenerwerbsquelle des Fliegerhauptmann Prchal beden-

ken, wenn die weiteren geheimnisvollen Umstände des Unglücks zur

Sprache kommen. Offensichtlich bestand die Ladung des Liberator AL ROP

nämlich noch aus anderen Dingen als Pelzen . . .

3

Wenn bei einem Flugzeugunglück einer der Insassen den Tod findet,

muß gemäß den Bestimmungen des »Air Force Act« ein militärischer

Untersuchungsausschuß die Ursache des Unfalls bestimmen, und, sofern

menschliches Versagen vorliegt, die Schuldfrage klärenËÎÍ. Untersuchungs-

ausschüsse ähneln zwar Zivilgerichten, amtlichen Autopsien und auch

Kriegsgerichten, im Grunde handelt es sich aber um gesonderte Institu-

tionen. Der Ausschuß untersucht zwar Begleitumstände und Unfall selbst,

kann disziplinarische Maßnahmen aber lediglich empfehlenËÎÎ. Anderer-

seits ist der Vorsitzende eines militärischen Untersuchungsausschusses

jedoch berechtigt, zur Erleichterung des Verfahrens Beweismaterial anzu-

erkennen, das vor jedem regulären Gerichtshof unzulässig wäre, wie zum

Beispiel das »Zeugnis vom Hörensagen«ËÎÏ. Da niemand allein auf Grund

der Ergebnisse eines Untersuchungsausschusses verurteilt werden kann,

* Plastik-Sicherheitsglas auf Polyesterharz-Basis (eingetragenes Warenzeichen).

Page 92: Irving David - Mord aus Staatsräson

VO

handelt es sich um einen ganz vernünftigen Grundsatz. Es ist nicht

gestattet, das Beweismaterial der Kommission einem anschließenden

Kriegsgericht, geschweige denn einer ordentlichen Gerichtsinstanz, zur

Verfügung zu stellen. Alle Verfahren werden vertraulich durchgeführt und

dürfen nicht bekanntgemacht werden. Normalerweise läßt man bei den

Verhandlungen keine Außenstehenden zuËÎÌ.

Um Zeit und Ort der Tätigkeit eines militärischen Untersuchungs-

ausschusses zu bestimmen, konsultiert man meist den »Accident Investi-

gation Branch«, eine Sonderabteilung des Luftfahrtministeriums. Wenn

diese Abteilung einen Vertreter entsendet, ist er ebenfalls berechtigt, die

Zeugen zu befragenËÎÓ. Für die Untersuchung des Liberator-Absturzes

delegierte der AIB allerdings erst in der zweiten Sitzungsperiode einen

Repräsentanten. Normalerweise werden Vorsitzender und Mitglieder der

Kommission aus den Reihen regulärer RAF-Offiziere berufen. Den Vorsitz

hat immer ein höherer Offizier des jeweiligen RAF-Kommandos, das den

Untersuchungsausschuß einberuft.

Der Liberator, um den es jetzt ging, gehörte zur Staffel Nr. RNN des

Transport Command der Air Force; da sich der Absturz jedoch im Gebiet

des RAF-Kommandos Gibraltar, einer Küstenkommandostation, ereignet

hatte, war es Aufgabe des kommandierenden Offiziers dieser Abteilung,

Luftmarschall Sir J. C. Slessors, die Mitglieder des Untersuchungsaus-

schusses zu bestimmenËÎÔ.

Am T. Juli wurden die Untersuchungen über den Absturz der Maschine

General Sikorskis, des Liberator AL ROP, im RAF-Hauptquartier Gibraltar

offiziell eröffnet*. Ein Offizier der RAF-Station Turnberry, Oberst John G.

Elton, Generaladjutant und Träger des »Distinguished Flying Cross« führte

den Vorsitz, Mitglieder waren RAF-Offiziere aus Gibraltar, während das

Hauptquartier des Transport Command, zu dem Fliegerhauptmann Prchal

gehörte, einen Beobachter delegiert hatte. Oberstleutnant Kay, eines der

RAF-Mitglieder, hatte schon früher mehreren militärischen Untersuch-

* Der RAF-Untersuchungsausschuß setzte sich wie folgt zusammen: Vorsitzender: OberstJ. G. Elton; Mitglieder: Oberstleutnant A. W. Kay vom Hauptquartier des Küstenkom-mandos Gibraltar und Fliegermajor D. M. Wellings vom Air-Force-HauptquartierGibraltar; Beobachter: Oberstleutnant N. M. S. Russell vom Hauptquartier des TransportCommand und Major S. Dudzinski von der obersten polnischen Luftwaffen-Aufsichts-behörde.

Page 93: Irving David - Mord aus Staatsräson

VP

ungsausschüssen � darunter der Kommission über den tragischen Absturz

des Herzogs von Kent � angehört. Der zweite Beobachter war Stanislaw

Dudzinski, der polnische Luftwaffenoffizier.

Viele polnische Offiziere äußerten offen ihr Erstaunen darüber, daß

man ihn für eine so schwierige Aufgabe ausgesucht hatte � von Natur aus

gutgläubig und bestrebt, nirgends Anstoß zu erregen, hatte Major

Dudzinski vor dem Krieg große Erfahrungen als Ballonnavigator

gesammelt. Mit Flugzeugen war er sogut wie nie geflogen und hatte in den

Jahren vorher im polnischen Luftfahrtministerium eine reine Bürostellung

bekleidetËÏÊ.

In den ersten Wochen befragte man mehr als dreißig Zeugen, einige

von ihnen wurden mehrmals vorgeladen. Alle Zeugen wurden einzeln

vereidigt. Keiner hatte einen Rechtsanwalt und keiner kannte die Aussagen

der anderen Zeugen. Nachdem jeder der Vorgeladenen seine Aussage

gemacht hatte, die in Langschrift protokolliert � oder dem Ausschuß

lediglich in schriftlicher Form nachgereicht � wurde, stellte der Vor-

sitzende ihm FragenËÏÁ. Sie wurden entweder als normaler Bericht, im Stil

polizeilicher Verordnungen, in der ersten Person geschrieben, zusammen-

gefaßt oder, wenn der Ausschuß es für nötig erachtete, wörtlich in Frage-

und Antwortform mitgeschriebenËÏË. Obgleich sich in den Vorschriften

keine diesbezügliche Einschränkung befindet, befragte der Ausschuß aus

bestimmten Gründen lediglich britische Offiziere und britisches Personal.

Wegen der Bedeutung der Untersuchungsergebnisse über Flieger-

hauptmann Prchal wird es im weiteren Verlauf des Berichts nötig sein, das

Verfahren detailliert zu verfolgen. Am ersten Sitzungstag, dem T. Juli,

machte sich der Ausschuß mit der Lage des Flugplatzes von Gibraltar,

seinen Sicherheitseinrichtungen sowie mit der Stelle, wo das Wrack des

Liberator sich im Meer befand, vertraut. Den Protokollen des Flugplatzes

war zu entnehmen, daß in der Nacht des Absturzes keine außer-

gewöhnlichen Wetterverhältnisse geherrscht hatten: schwacher Ostwind (R

Knoten), der Nachthimmel vollkommen wolkenlos und eine Sicht von

ungefähr N,S kmËÏÈ. Die Offiziere des Untersuchungsausschusses fuhren in

einer Barkasse zum Unglücksgebiet und beobachteten die Bergungs-

arbeiten; außerdem trafen sie Vorbereitungen, am folgenden Tag den

Page 94: Irving David - Mord aus Staatsräson

VQ

ersten Zeugen, Fliegerhauptmann Prchal persönlich, zu befragenËÏÍ.

Inzwischen hatten die Froschmänner Oberleutnant William Baileys auf

dem Meeresgrund über der gesamten Unglücksstelle Leinen gespannt und

so den Sandboden in Schneisen von knapp zwei Meter Breite eingeteilt.

Systematisch suchte man diese Schneisen von einem Ende zum anderen ab

� bis zu den Meeresteilen, wo es den Froschmännern kaum noch möglich

war, den Grund zu erreichen. Man hatte sie nicht instruiert, nach

Überresten zu suchen, die allem Anschein nach nicht zum Flugzeug oder

seiner Ladung gehört hatten, und Bailey war ebensowenig aufgefordert

worden, die Suche nach den vermißten Leichen weiter fortzusetzen. Heute

sagt er: »Niemand schien zu wissen, wieviel Passagiere sich überhaupt an

Bord befunden hatten.« Er beschloß, auch weiterhin nach den fehlenden

Leichen Ausschau zu halten und die Bergungsarbeiten fortzusetzen, bis

seiner Meinung nach alle wesentlichen Überreste geborgen seienËÏÎ.

Behälter auf Behälter mit Bergungsgut wurde von den Froschmännern

an dem am Begleitboot befestigten Seil hinaufgeschickt, oben ausgeleert

und sofort wieder auf Grund gelassen, damit man sie aufs neue füllen

konnte. Unter den geborgenen Gegenständen befanden sich Dinge, die

kaum etwas mit dem Flugzeug zu tun hatten: Einmal hievte man einen

umfangreichen Holzverschlag auf Deck, der Ähnlichkeit mit einer

Portweinkiste hatte. Im Innern der Kiste entdeckten die Seeleute eine

Anzahl fabrikneuer, in Schachteln verpackter Kameras. Sie waren auf

irgendeine Weise aus dem Laderaum hinausgeschleudert worden. Außer-

dem barg man einen Kasten mit wertvollen Juwelen � die Besatzung nahm

an, er gehöre Frau Lesniowska. Bailey schilderte auch, wie er überall am

Meeresboden Schachteln mit türkischem Honig � dem typischen Mit-

bringsel aus Kairo � entdeckte. Kim Philby, der englische Spion in der

iberischen Abteilung des Secret Service, hörte von Lord Rothschild, einem

seiner Vorgesetzten, daß die Froschmänner in der Nähe der Wracküber-

reste lange Schwaden von türkischem Honig passieren mußten � wie

Fangarme von Polypen, die sich fern von ihren heimatlichen Jagdgründen

befanden, streckten sich diese Gebilde nach ihnen aus.

Wie die Polen, die die Aufgabe hatten, im Hafen das Bergungsgut zu

durchsuchen und zu sortieren, bald herausfinden sollten, war die Liste der

ungewöhnlichen Ladung des Liberator noch lange nicht beendet.

Page 95: Irving David - Mord aus Staatsräson

VR

Tadeusz Ullmann, der vom polnischen Innenministerium entsandte

Beobachter, war außerordentlich erstaunt über die riesigen Mengen von

Bekleidung, die man heraufgeholt hatte: Säcke und Koffer, die aus-

schließlich Kleidungsstücke enthielten und mit Sicherheit nicht den

polnischen Passagieren gehört hattenËÏÏ. Außerdem barg man eine Anzahl

von PelzenËÏÌ. Marshall Pugh beschreibt in der Biographie über Com-

mander Crabb (London NVRS) daß »geplatzte Zigarettenkartons das Wasser

grün färbten«. Zigaretten waren damals � wie Likör und Bekleidungsartikel

� in Großbritannien streng rationiert.

Die geborgenen Gegenstände, inzwischen ein übelriechender Haufen,

wurden in einem besonderen Raum der Gouverneursresidenz aufgestapelt.

Noch Tage nach dem Absturz spülte das Meer britische Einpfundnoten an

Land � die Gesamtsumme betrug schließlich einige hundert Pfund. Man

klaubte die Banknoten auseinander und breitete sie einzeln auf den

wundervollen Rosenbüschen im Garten des Gouverneurs zum Trocknen

aus � es muß ein seltsamer Anblick gewesen sein. Wie wir gesehen haben,

wurden die Noten Colonel Capurro, dem Adjutanten des Gouverneurs,

ausgehändigt, der sie zählte und dann dem obersten Zahlmeister übergab.

Niemand erhob Anspruch auf das Geld, so daß es schließlich nach London

an das Colonial Office geschickt werden mußteËÏÓ.

Es wird wohl kaum mehr zu klären sein, wem das ganze Privatgepäck

des Liberator gehört haben mag. Der Pilot sollte später versuchen, es den

Passagieren zuzuschieben, und deutete sogar an, Frau Lesniowska persön-

lich habe einen großen Teil der Verantwortung getragen. Ihre Mutter hat

diesen Verdacht indigniert zurückgewiesen: »Da Zofia bei dem Absturz

ums Leben kam, kann sie diese Verleumdung nicht selbst zurückweisen.

Ich möchte jedoch mit aller Deutlichkeit darauf hinweisen, daß meine

Tochter als Mitglied bewaffneter polnischer Truppen den ganzen Krieg

über ihre Uniform trug, daß keine Tochter eines polnischen Generals sich

dazu erniedrigt hätte, Konterbande zu schmuggeln, daß Zofia für Pelze

und Schmuck keine Zeit hatte und daß bei den eingeschränkten

Verhältnissen, in denen wir lebten, solche Käufe unmöglich warenËÏÔ.«

Außer dem mysteriösen Privatgepäck hatten sich im Flugzeug noch

Mengen von britischer Diplomatenpost und geheimen diplomatischen

Papieren befunden, darunter einige sorgfältig versiegelte Pakete, die � wie

Page 96: Irving David - Mord aus Staatsräson

VS

man später entdecken sollte � umfangreiche Listen mit Namen und

Adressen enthielten. Auf der Rückseite befanden sich Vermerke, wonach

die Listen erst nach dem OQ. Juli ihre Funktion erfüllen solltenËÌÊ.

Vermutlich standen sie in Zusammenhang mit der Invasion der Alliierten

in Sizilien. Man übergab sie den britischen Behörden, ebenso die Beutel

mit den diplomatischen Papieren. Ein Offizier des englischen Nach-

richtendienstes sortierte alles und ließ die Dokumente an einem anderen

Platz des Gouverneursgartens trocknen. Ihm war natürlich klar, daß es sich

ursprünglich um eine geschlossene Sendung mit Diplomatenpapieren

gehandelt hatte � demnach hätte sich unter den Passagieren des Flugzeugs

ein Kurier befinden müssenËÌÁ. Dem Autor gegenüber hat der Offizier

später allerdings erklärt, in der Todesmaschine Sikorskis sei kein Kurier

des Königs gewesen: »Die Beutel mit Diplomatenpapieren, die man nach

dem Absturz geborgen hatte, gehörten anscheinend alle zu der Gruppe

Sikorskis.« Die Informationsabteilung des Foreign Office präzisierte, es sei

»praktisch sicher, daß es nicht um F.O.-Mappen [d. h. Foreign Office]

ging«ËÌË.

Jedenfalls wußte man nicht, ob ein Königlicher Kurier an Bord der

Maschine gegangen war oder nicht � es hätte sich höchstens um einen der

Herren Pinder oder Lock handeln können. Oberleutnant Lubienski hat

vermerkt, Mister Pinder sei in Wirklichkeit der Leiter des britischen

Nachrichtendienstes im Nahen Osten gewesen. Inzwischen hat sich

herausgestellt, daß Pinder Oberfeldwebel einer Funkeinheit war und in

Großbritannien einen anderen Posten übernehmen sollte. Über Mister

Lock sind mehr Einzelheiten bekannt.

Nach Mitteilungen seiner Kollegen war William Lock als Transport-

beauftragter des Kriegsministeriums zuständig für das Hafengebiet von

Basra am Persischen Golf. Er galt als tüchtig und gewissenhaft und hatte

Zeit seines Lebens als Angestellter der »Furness, Withy Lines« mit Schiffen

zu tun gehabt. Er war nach England zurückbeordert worden, um

anschließend einen wichtigeren Posten in Kanada zu bekleiden, der mit

dem Projekt »Air to Russia« gekoppelt war � ein großer Teil dieses Projekts

wurde über persische Häfen geleitet. Ein Schnellboot hatte ihn von Basra

nach Kairo gebracht, wo er die Todesmaschine bestieg.

»Ich bin ziemlich sicher, daß Lock auch in Wirklichkeit der Mann war,

Page 97: Irving David - Mord aus Staatsräson

VT

für den wir ihn alle hielten«, hat der damalige Hafenkommandant von

Basra dem Autor gegenüber erklärtËÌÈ. Andererseits darf man aber nicht

vergessen, daß Schiffsspezialisten für Agentenanwerber des britischen

Nachrichtendienstes genau die richtigen Mitarbeiter waren � unternahmen

sie doch bei zahlreichen Gelegenheiten legitim Auslandsreisen. Die

Möglichkeit, es habe sich sowohl bei Lock als auch bei Pinder um Offiziere

des Nachrichtendienstes gehandelt, ist trotz allem nicht ganz von der Hand

zu weisen.

Ein kleiner Teil des Bergungsgutes gelangte nie in die Hände der

polnischen Delegierten. Als der Behälter mit den fabrikneuen Kameras � es

waren deutsche Leicas � geöffnet wurde, befand sich Oberstleutnant

Stevens, der technische Offizier der RAF-Station, an Deck des Begleit-

bootes. Der überraschte Stevens ließ die Apparate zum Stationsfotografen

bringen, um zu klären, ob sie noch zu retten seien � das war das letzte, was

man von den Leicas hörteËÌÍ. Auch bei diesen Gegenständen scheint es

kaum wahrscheinlich, daß sie einem Mitglied der polnischen Gruppe

gehört hatten. Oberleutnant Lubienski erfuhr, der verletzte Edward Prchal

habe sich im Krankenhaus erkundigt, ob das ihm von Sikorski in Kairo

überreichte Zigarettenetui geborgen worden sei. Der Offizier entdeckte das

Etui im Bergungsgut, ließ es instandsetzen und übergab es schließlich

persönlich dem Piloten, dessen Freude man sich vorstellen kannËÌÎ.

Am späten Abend des T. Juli hörte Tadeusz Ullmann von seinen

Londoner Vorgesetzten, der polnische Zerstörer »Orkan« werde am

nächsten Vormittag eintreffen, um die sterblichen Überreste der

polnischen Verunglückten aufzunehmenËÌÏ. Der Festungskommandant

und der Militärgouverneur trafen Vorbereitungen für eine feierliche

Prozession mit den Särgen Sikorskis und General Klimeckis durch die

Straßen Gibraltars bis zu den Marinedocks, wo der Zerstörer festmachen

sollte. Die Prozession sollte um U.NR Uhr beginnen, nach einer Totenmesse

in der Kathedrale. Hier waren die Särge nach wie vor auf einem Katafalk

postiert, bedeckt von polnischen Nationalflaggen, beladen mit Kränzen des

polnischen Staatspräsidenten, des Nationalrats, des Ministerrats, der

polnischen Truppen sowie aller ausländischer Vertretungen und der

britischen Zivil- und Militärbehörden der KronkolonieËÌÌ.

Man hatte inzwischen noch einen Verunglückten, ein Besatzungs-

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VU

mitglied des Liberator, geborgen, mußte aber allmählich einsehen, daß die

übrigen Unfallopfer, darunter Frau Lesniowska, niemals gefunden werden

würden. Die »Moorhill« erhielt Befehl, die Bergungsarbeiten während der

ganzen Nacht bei Flutlicht fortzusetzen. Unglücklicherweise versagte die

elektrische Anlage des Schiffes, und auch das von der Royal Air Force zur

Verfügung gestellte Reservegerät funktionierte nicht. Die Navy untersagte

den Gebrauch von Suchscheinwerfern, da ab O Uhr bestimmte Flotten-

bewegungen in der Meerenge geplant waren. In den dunklen Nacht-

stunden konnte die »Moorhill« natürlich nicht viel erreichenËÌÓ. Gegen

Mitternacht besuchte Lubienski die Kathedrale ein letztes Mal und sah sich

plötzlich einer der grausigsten Situationen seines Lebens gegenüber. Die

polnischen Soldaten, die eigentlich bei den beiden Särgen Ehrenwache

halten sollten, standen auf den Stufen der Kirche und berichteten verstört,

es befänden sich Geister im Gotteshaus. Lubienski, selbst etwas verwirrt,

wies sie an, sich nicht lächerlich zu machen: »Geister in einer Kathedrale!«

Als er die Kirche betrat, fiel ihm zweierlei auf: ein beinahe unerträglicherGeruch und leichte, knarrende Geräusche. Beides kam zweifellos aus derRichtung des Katafalks. Schon nach wenigen Sekunden hatte Lubienskijedoch die Ursache entdeckt � er hob die Flagge über Sikorskis Sarg undsah zu seinem Entsetzen, daß der Behälter geborsten war. In der großenHitze, die im Juli in Gibraltar herrschte, hatten sich die in eine nochfeuchte Marinedecke gehüllten sterblichen Überreste des polnischenMinisterpräsidenten so schnell zersetzt, daß die angestauten Gase dieZinkverkleidung des Holzsarges hatten platzen lassen. Die grauenhaftenNebenerscheinungen entziehen sich einer näheren BeschreibungËÌÔ. Auchaus dem anderen Sarg drangen knarrende und ächzende Laute, dieLubienski keinen Augenblick im Zweifel ließen, daß der Leichnam vonSikorskis Generalstabschef in einem ähnlichen Zustand war. Am nächstenMorgen sollte gegen U Uhr die Überführungszeremonie beginnen, undman konnte sie auf keinen Fall verschieben, da alle Gäste bereits ein-geladen waren und auch die Abreise des polnischen Zerstörers festgelegtwar. Der verstörte Lubienski gab das Alarmzeichen: Er rief in der Gouver-neursresidenz an und bat, Mason-Macfarlane sowie Tadeusz Ullmann zuwecken. Das dauerte seine Zeit � der Pole hatte während der vergangenenNacht in der »Dakota«, die ihn von England nach Gibraltar gebracht hatte,

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VV

kaum geschlafen, und Macfarlane sollte sofort nach der Trauerfeier dieKolonie für einen eintägigen Aufenthalt in Sevilla verlassen, hatte sich alsoschon zeitig zur Ruhe begeben. Die Adjutanten des Gouverneurs, Quayle,Perry und Capurro, wurden ebenfalls geweckt und beeilten sich, zurKathedrale zu kommenËÓÊ.

Macfarlane ließ Generalmajor Hyland zu sich rufen, der sofort seinen

obersten technischen Offizier benachrichtigte; der Gouverneur telefonierte

mit Fliegerhauptmann Perry, seinem RAF-Adjutanten, und befahl ihm, die

beiden Särge umgehend mit dem Jeep aus dem Gotteshaus zu holen und

zum Leichenschauhaus zu bringen, damit sie ausgewechselt werden

konntenËÓÁ. Glücklicherweise waren noch Särge übriggeblieben, da man

nur einen Teil der Verunglückten hatte bergen können. Im Leichen-

schauhaus wurden die beschädigten Särge vollends geöffnet � aus ihnen

drang ein derart intensiver Gestank, daß sogar die sonst so unerschütter-

lichen Spanier die Flucht ergriffen. Lubienski und Rosycki zwangen sich,

die Aufgabe selbst zu erledigen. (»Es sind unsere Generäle«, sagte Lubien-

ski.) Sie legten die Überreste in die bereitstehenden neuen Behälter, dank-

bar, daß man sie vorher in Decken gehüllt hatte. Während eine Gruppe

von Soldaten die Kathedrale säuberte, ausräucherte und mit neuen Blum-

enarrangements versah, wurden die Ersatzsärge innen und außen mit

Metallhüllen versehen, und man konnte schließlich die Deckel zuschweiß-

en. Um U Uhr war die Kathedrale bereit für die Trauerzeremonie. Bis zur

Ankunft der Gäste blieben nur noch wenige Minuten.

Doch auch jetzt ging nicht alles glatt. Auf Sikorski schien ein Fluch zu

lasten, der selbst die feierliche Überführungszeremonie nicht verschonen

sollte. Mason-Macfarlane hatte Hauptmann Perry aufgefordert, den Sarg

mit Victor Cazalets Leiche mit dem Jeep aus dem Leichenschauhaus

abzuholen und ihn unauffällig auf dem polnischen Zerstörer unter-

zubringen, bevor die große Prozession mit den sterblichen Überresten

Sikorskis und Klimeckis bei den Marinedocks ankäme. Der Zerstörer hätte

dann sofort nach dem Eintreffen der Prozession auslaufen und die

Feierlichkeiten hätten würdig beendet werden können.

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NMM

Der Sarg des General Sikorski verläßt am 8. Juli 1943 den katholischenDom zu Gibraltar und wird im feierlichen Trauerzug zum polnischenZerstörer »Orkan« getragen.

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NMN

Als der Offizier der Air Force am U. Juli gegen U Uhr mit seiner Ladung die

Docks erreichte, weigerte sich der Kapitän des polnischen Kriegsschiffes

rundweg, den Sarg an Bord zu nehmen. Er erklärte Perry barsch, es sei

schon schlimm genug für ihn, Sikorskis Sarg zu übernehmen � nach den

Überlieferungen der christlichen Seefahrt durften Leichen niemals auf

Schiffen befördert werden. Perry brachte dem Kapitän bei, daß mit der

Leichenprozession auch der Sarg Klimeckis eintreffen werde; den Seemann

scherte das wenig. Er sagte, er würde den Sarg Sikorskis befördern und

sonst keinen.

In der Ferne vernahm Perry bereits den Trauermarsch von Chopin und

das Geräusch der Marschierenden, die den Hafen glücklicherweise noch

nicht erreicht hatten. Er bat den Kapitän noch einmal inständig, den Sarg

Cazalets an Bord zu nehmen und im Laderaum verstauen zu lassen, bevor

der Leichenzug einträfe � jedoch ohne Erfolg. Als die Prozession an den

Southport Gates angekommen war, gab der Fliegerhauptmann sich

geschlagen und versteckte seinen Jeep schnell hinter einem großen

Gebäude, wo er außer Sichtweite blieb, bis die Luft wieder rein war: »Ich

brachte Victor Cazalet um NM Uhr zum Leichenschauhaus zurück.«

Während auf dem Kai eine britische Militärkapelle getragene Musik

intonierte, verließ die »Orkan«, die Flagge auf halbmast gesetzt, das Mar-

inedock und stach in See, mit dem Fernglas beobachtet vom deutschen

Agenten hinter der Grenze. Die meisten Angehörigen der polnischen

Regierungsdelegation waren mit an Bord gegangen, und man hatte auch

einen großen Teil des aus dem Meer geborgenen polnischen Eigentums

mitgenommen. Tadeusz Ullmann wollte bleiben, um den Fortgang der

Verhandlungen des Militärischen Untersuchungsausschusses verfolgen zu

können.

4

»Ich schwöre, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit und nichts alsdie Wahrheit, so wahr mir Gott helfe.«

Am U. Juli mußte Fliegerhauptmann Edward Maks Prchal, Pilot desabgestürzten Liberator AL ROP und einziger Überlebender der Tragödie, im

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NMO

Militärhospital Gibraltar vor dem dort zusammengekommenen Unter-suchungsausschuß diesen Eid ablegen. Da bei dem Verfahren prima faciefeststand, es werde bei der Untersuchung auch um persönliche Angelegen-heiten des Piloten bzw. um sein berufliches Ansehen gehen, wurde Prchalformell auf die Rechte hingewiesen, die ihm gemäß den Bestimmungen fürmilitärische Untersuchungsausschüsse zustanden: er konnte sich,allerdings auf eigene Kosten, durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, erkonnte vor allem nicht gezwungen werden, Fragen zu beantworten, die ihneventuell hätten belasten können, Die Verhandlung begann damit, daßPrchal eine Erklärung mit seiner Version über den Hergang des UnglücksverlasËÓË.

Zweifellos gewann der Pilot sofort die Sympathie des Untersuchungs-ausschusses. Sein jugendliches Gesicht trug noch Verbände, und es warihm erlaubt worden, während der Verhandlung im Bett zu bleiben. Prchalschien alles zu verkörpern, was am Kampf der kleinen Staaten gegen denFaschismus gut war. In der ersten Kriegsphase war er in deutscheGefangenschaft geraten und zweimal von der Gestapo mißhandelt worden,bevor es ihm gelang, aus Deutschland zu entkommen. Er hatte alsokeinerlei Grund, die Deutschen zu mögen . . . Wieder in England, wurde ermit ungewohnter Rücksicht behandelt. Man teilte ihn dem Verband Nr.NQOR, dem Vorgänger von Staffel RNN, zu und bestimmte, dieser Offizierdürfe auf keinen Fall für Flüge abkommandiert werden, bei denen erGefahr lief, wieder in die Hände der Deutschen zu fallen. Sein damaligerVorgesetzter glaubte, Prchal habe noch immer Granatsplitter im Körper.Vor dem Krieg war der Tscheche Zivilpilot gewesen, es zeugt jedoch fürsein großes Geschick als Flugzeugführer, daß man ihn einemGeheimverband zuteilte: der Verband NQOR galt als »BeförderungsserviceNr. NM« der Downing Street. In diesem Verband war Prchal der einzigeausländische Flugzeugführer.

Im weiteren Verlauf des ersten Befragungstages bedachten seine Vorge-setzten ihn Mit hohen Lobesworten. Sein Verbandsführer, der nachGibraltar eingeflogen worden war, erklärte, die Fähigkeiten Prchals seienaußergewöhnlich. Einmal habe er im Blindflug und ohne jede Verbindungzum Kontrollturm bei dichtem Nebel eine »Hudson« in Gibraltar gelandet� der Alptraum jedes PilotenËÓÈ. Eine geraume Zeit lang � so erklärtenandere Zeugen � habe Prchal zu den fünf Piloten gehört, denen allein

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NMP

gestattet war, Nachtlandungen in Gibraltar vorzunehmenËÓÍ. Soweit manwußte, hatte er nie irgend etwas dem Zufall überlassen, und wenn es auchnur um Kleinigkeiten ging: »Er hält seine Besatzung in eiserner Disziplin.«Luftwaffenmajor J. F. Sach, der Verbandsführer, ging so weit, vor demAusschuß zu erklären, er betrachte Prchal als »den fähigsten Piloten derStaffel«.

Genau diese Tatsache ließ jedoch eine der größten Schwierigkeiten, mitdenen der Ausschuß fertig werden mußte, deutlich werden. Prchal hattenämlich, besonders mit Liberators, weit mehr Erfahrung als irgendeinesder Ausschußmitglieder, und deshalb war es den Offizieren praktischunmöglich, die Richtigkeit seiner Angaben oder die Angemessenheit seinerfliegerischen Technik zu beurteilenËÓÎ.

Ein Offizier schrieb Prchals Erklärung in Normalschrift mit, und esentstand folgendes Bild: am Abend des Absturzes hatte der Pilot um OO.QM

Uhr den Liberator bestiegen und sich vergewissert, daß alles in Ordnungwar. Vor dem Start erklärte ihm sein Flugingenieur, Sergeant Kelly, alle elfPassagiere seien ordnungsgemäß untergebracht: fünf auf Matratzen imehemaligen Bombendepotraum und sechs im eigentlichen Rumpf derMaschine (nur diesen Insassen standen Sitze mit Sicherheitsgurten zurVerfügung, wie später im Protokoll vermerkt wurdeËÓÏ). Prchal erinnertesich, daß ein Passagier mehr als beim Abflug aus Kairo an Bord gewesensei; diesem Sonderpassagier � es handelte sich um den polnischen Geheim-agenten aus Warschau � habe man ebenfalls einen Platz im Bombenraumzugewiesen. »Das Gesamtgewicht betrug annähernd OP.QMM kg. Mit der

Verstauung der Ladung war ich ganz zufrieden*.«Prchal hatte die Triebwerke angelassen und warmlaufen lassen, war

dann zum östlichen Ende der Startpiste gerollt, wo er auch die üblichenCockpit-Kontrollen ausführte. »Alles war zufriedenstellend«, wiederholte

* Wie der Ausschuß offiziellen Ladepapieren entnehmen konnte, betrug das Gesamt-gewicht allerdings OQ.RTM kg. Aus den Protokollen des Geschwaders Nr. ONS (Nachhut),der in Heliopolis im Nahen Osten stationierten Formation des Transport Command, gehthervor, daß die offiziell registrierte Ladung des Liberator wie folgt verteilt war: SVQ kg imBug, UMT kg im vorderen Bombendepotraum, PTO kg im hinteren Bombendepotraum, ROOkg im Heck. Luftwaffenmajor Sach, der UMM Stunden Pilotenerfahrung mit Liberatorshatte und vorher eine so hohe Meinung über Prchal äußerte, wies darauf hin, daß »dieseLadung die Maschine stark hecklastig machen würde, und wenn man die beweglichenStartklappen halb ausgestellt hätte [Prchal gab später an, es sei so gewesen], wäre der Pilotwahrscheinlich gezwungen gewesen, den Steuerknüppel ziemlich weit nach vorn zu legen,um zu verhindern, daß der Bug gleich nach dem Abheben zu stark stieg«

OUT.

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NMQ

er. Um OP.NM Uhr hatte er das Grün-Signal gesehen und mit dem Startbegonnen. Als er eine Stundengeschwindigkeit von ONM km erreicht hatte,hob die Maschine vom Boden ab, und »in einer Höhe von etwa QR m« ließer den Steuerknüppel nach vorn nachgeben, um an Geschwindigkeit zugewinnen. Daraufhin hatte die Maschine eine Geschwindigkeit von OSR kmpro Stunde erreicht, und seiner Ansicht nach war es an der Zeit wiederhöher zu gehen: »Ich wollte wieder an Höhe gewinnen und versuchte also,den Steuerknüppel nach hinten zu ziehen, war aber nicht dazu imstande.Der Knüppel war vollkommen blockiert.« In allen späteren Erklärungenund Aussagen des Piloten über die Absturzursache sollte diese Blockierungdes Höhenleitwerkes den Grundpfeiler bilden.

Durch das Mikrofon hatte er seinem Kopiloten, Major Herring, denBefehl zugerufen, er solle »schnell die Steuerung überprüfen«. Um an Höhezu gewinnen, hatte er die Fluglage der Maschine leicht verändert, »abernichts passierte«. Während der ganzen Zeit versuchte er, den Steuer-knüppel nach hinten zu ziehen, dieser war aber, wie Prchal aussagte, nichtzu bewegen. Herring hätte nicht geantwortet, gab der Pilot an, und er hatteselbst gesehen, wie das Meer immer näher kam. Er hatte dann »Bruch-landung« gerufen und die Drosselventile der vier Triebwerke geschlossen.Nach dem Aufprall auf das Meer konnte er sich an nichts mehr erinnern.

Soweit die Version des Piloten. Seine Angaben stimmten im großenund ganzen mit den in Gibraltar kursierenden Augenzeugenberichtenüberein und konnten aufgrund des verfügbaren Beweismaterials nicht inFrage gestellt werden. Die Startgeschwindigkeit war ungefähr richtig,allerdings unter der Voraussetzung, daß der Liberator wirklich sehr schwerbeladen war: bei einem Gesamtgewicht von OO.RMM kg betrug die vor-geschriebene Startgeschwindigkeit für einen Liberator B-OQC NTT km proStunde. OMV km/h wenn die Maschine überladen war � also bei einem

Gesamtgewicht von ungefähr OT.MMM kg*ËÓÓ. Und Hauptmann Prchal hatteangegeben, das Gewicht des Liberator habe nur »annähernd OP.QMM kg«betragen. Andererseits wurde seine individuelle Starttechnik � bei einergewissen Flughöhe die Maschine leicht absacken zu lassen, um so an

* Bei Liberators mit einem Gesamtgewicht von mehr als OS.NMM kg waren für den StartSpezialreifen mit erhöhtem Luftdruck vorgeschrieben; doch auch dieses Gewicht liegthöher als das zulässige Maximum für eine B-OQC Die Vorschriften der RAF bestimmten:»Alle Flugzeuge der C-Klasse dürfen ein Maximalgewicht von OR.OMM kg nicht über-schreiten

OUV.«

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NMR

Geschwindigkeit zu gewinnen � vom Handbuch für Liberators abgelehnt:»Bemühen Sie sich nicht zu sehr, genug Geschwindigkeit zum Aufstieg zugewinnen. Hüten Sie sich davor, den Bug wieder absacken zu lassen, damitdie Geschwindigkeit zunimmt. Dadurch wird der Auftrieb geändert, undSie laufen Gefahr, wieder auf die Erde zu kommenËÔÊ.« Der Ausschußjedenfalls war offensichtlich der Meinung, wenn die Steuerungsinstru-mente des Flugzeugs tatsächlich defekt gewesen sein sollten, hätte es kaumnoch Zweck, Prchals spezielle Flugtechnik zu untersuchen. Auf eine Fragedes Vorsitzenden, Oberst Elton, erklärte Prchal, er habe »fast RMM Stun-

den*« als Erster Pilot in Liberators verbracht � das zeugt in der Tat voneiner großen Erfahrung. Sein Kopilot hatte nur NR Stunden Nachtflug-erfahrung in Flugzeugen dieses Typs gehabt. Man fragte Prchal, wie langeer Herring schon gekannt habe.

»Nicht lange«, antwortete er. »Auf dieser Reise hatte er mich seit demAbflug aus England als Kopilot begleitet, vorher war er nie mit mirgeflogen.« Er fügte jedoch hinzu, Herring habe bei den beiden Starts derReise, einmal nachts in Lyneham, das andere Mal bei Tage in Kairo, ganznormal assistiert. Bei seiner Vernehmung machte Prchal also denKopiloten noch nicht für den Absturz verantwortlich � diese Idee sollteihm allerdings bald kommen.

Der Vorsitzende fragte ihn: »Ist es Ihnen jemals zuvor passiert, daßbeim Flug in einem Liberator die Höhenrudersteuerung blockierte?«

Prchal bejahte. Einmal sei er mit Luftwaffenmajor McPhail als Kopilotin Lyneham gestartet: »Major McPhail war Zweiter Pilot und hatte vordem Start die Leitwerkverriegelung betätigt, und als wir schon von derPiste abgehoben hatten, stellte ich fest, daß ich die Seitenruder nichtverstellen konnte, und erkannte, daß die Steuerung blockiert war. ÜberKanzelmikrofon rief ich ihm zu, sie zu lösen.« Er fuhr dann fort, er habedamals doch noch einigermaßen einwandfrei starten können, obwohl erwegen des nervenaufreibenden Zwischenfalls ein wenig von der Pisteabgekommen sei. Seinem Verbandsführer und den anderen Piloten der

Staffel habe er über das Vorkommnis Bericht erstattet�. * Insgesamt hatte Prchal PSO Stunden und PR Minuten Nachtflugerfahrung als Erster Pilotin Liberators, ungefähr vier Fünftel davon waren während der vorangegangenen sechsMonate absolviert worden

OVN.

� Luftwaffenmajor J. F. Sach, der ab Mai NVQP Prchals Verbandsführer war, wurde vomAusschuß gefragt, ob er etwas über diesen Vorfall gehört habe. Sach antwortete: »Nein.«

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NMS

Das war nur der erste in einer ganzen Reihe von Präzedenzfällen, die

Prchal bei späteren Gelegenheiten anführen sollte, wenn er über den

Absturz befragt wurde. NVRP behauptete er, der Absturz sei durch einen

bestimmten technischen Defekt verursacht worden, der schon »in anderen

Liberators aufgetreten« seiËÔÈ. Kürzlich berichtete er dem Autor, im

Frühjahr NVQQ sei er Zeuge geworden, wie ein analoger Fehler einen über

Montreal fliegenden Liberator zwang, zu Boden zu gehen. Die Maschine

sei auf einige Häuser gestürzt. »Seltsam genug � der Pilot war Pole.« Auf

die Frage, ob der Pilot ihm damals selbst erzählt habe, daß es sich ebenfalls

um Leitwerkblockierung handelte, erwiderte Prchal, die gesamte Besatzung

sei ums Leben gekommenËÔÍ.

Jedenfalls hat die amerikanische Herstellerfirma des Liberator AL ROP

immer wieder betont, bei ihren B-OQ-Maschinen sei kein Fall von Ruder-

blockierung bekannt: nur einmal habe ein loser Bolzen im Höhen-

rudermechanismus einen Zwischenfall verursachtËÔÎ. Aus späteren

Zeugenaussagen vor dem militärischen Untersuchungsausschuß von

Gibraltar wird hervorgehen, daß im Liberator AL ROP kein Bolzen oder

ähnlicher Gegenstand für den Absturz verantwortlich war. Im Juli NVQP war

der RAF-Ausschuß mit dem Absturz selbst beschäftigt. Das Kreuzverhör

Hauptmann Prchals endete mit einer Reihe technischer Fragen: Wer

betätigte normalerweise die Flugklappensteuerung? Hatte man den

Eindruck, der Steuerknüppel drücke von selbst nach vorn? War er voll-

kommen blockiert, oder bestand noch ein gewisser Spielraum? Funktion-

ierten die Leitwerkflächen einschließlich des Höhenruders normal, als die

Maschine vom Boden abhob? Auf die letzte Frage erwiderte Prchal: »Ja,

bestimmt.« Sonst gab er Antworten, die man von vornherein erwartet

hatte, oder erklärte, sich nicht mehr erinnern zu können.

Oberst Elton erkundigte sich: »Wie waren die Wetterbedingungen

beim Start?«

Erst kürzlich hat er seine Aussage noch einmal bekräftigt, und Prchals vorherigerVerbandsführer (November NVQO bis Mai NVQP), Luftwaffenmajor T. H. A. Llewellyn, hatdem Autor gegenüber ebenfalls erklärt, er würde sich an ein solches Vorkommniserinnern, wenn er tatsächlich davon erfahren hätte. Das Verteidigungsministerium haterklärt, daß weder in den Protokollen der RAF-Station Lyneham noch der Staffel RNN fürdie ganze betreffende Zeit ein solcher Vorfall verzeichnet ist. Es hat sich als unmöglicherwiesen, Luftwaffenmajor McPhail aufzufinden

OVO.

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NMT

»Gut; ruhig, Sicht ausreichend«, antwortete der Pilot und fügte hinzu:

»Ich konnte den Horizont klar erkennen.« Dies hätte vom Ausschuß näher

untersucht werden müssen. Das Flugzeug startete in östlicher Richtung auf

das Meer zu, und zwar in einer vollkommen dunklen, mondlosen Nacht.

Höchstwahrscheinlich war es also unmöglich, im Osten den Horizont zu

sehen. Vielleicht nahmen die Offiziere als gegeben an, Prchal habe, wie bei

allen schweren Maschinen vorgeschrieben, einen Instrumentenstart

vorgenommen. Im Augenblick jedenfalls ging man nicht näher auf die

Aussage des Tschechen ein, und seine Behauptung blieb unangefochten*.

Vieles hing also noch von der Untersuchung des Flugzeugwracks bzw.

der einzelnen Wrackteile ab. Während man Prchal im Hospital befragte,

wurde die schwer beschädigte Rumpfhülle des Liberator endlich von der

»Moorhill« eingeholtËÔÌ. Bekanntlich ließen sich Liberators nur äußerst

selten ohne Zwischenfall notwassern, da sie nicht schwimmfähig waren:

die Bombenklappen bestanden aus einer relativ schwachen Metallegierung

und gaben unweigerlich unter dem Gewicht der Maschine nach, wenn

diese auf einem Gewässer niederging. Innerhalb von Sekunden wurde das

Flugzeuginnere dann überschwemmtËÔÓ. Der Liberator AL ROP war

offensichtlich keine Ausnahme gewesen. Der nun geborgene Rumpfteil �

es handelte sich um die Partie vom Ende des vorderen Bombendepots bis

zum Anfang des Heckteils � war in der Tat stark mitgenommen; Der

Boden war vollständig verschwunden, und es waren nur noch Seiten-

sowie Dachteile übriggeblieben. Kein Wunder, daß außer dem Piloten

keiner der Insassen den Absturz überlebt hatte.

Am Abend hatte die »Moorhill« auch das Heckteil aus dem Meer

gehievt und an Bord genommen; es wurde mit einem Löschkahn zum

»New Cap« der RAF gebracht, wo Oberstleutnant Arthur Stevens, der

oberste technische Offizier der RAF-Station Gibraltar, es inspizierte.

Stevens hatte eine Zeitlang ebenfalls zum »Accident Investigation Branch«

gehört und wußte, wonach er suchen mußte. Er stellte fest, daß die

* Der RAF-Stationskommandant, Oberst Bolland, hat kürzlich erklärt: »Der Pilot . . .startete bei Dunkelheit in östlicher Richtung, hinaus in die schwarze Nacht über demMittelmeer . . . Der Pilot startete mit Hilfe der Blindfluggeräte. Man darf sie nicht aus denAugen lassen, bis man ungefähr SMM m erreicht hat.« Zu Prchals Aussage zu der Frage, ober Blindfluggeräte benutzt hatte oder nicht, siehe S. NPV

OVS.

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NMU

gesamte Heckeinheit, die, noch mit Höhen- und vollständigem Seiten-

ruder versehen, ziemlich intakt war, genau vor der Profilvorderkante der

Höhenflosse abgebrochen war. Diese Partie der Maschine war also prak-

tisch unbeschädigt. Da Prchal nicht von seiner Behauptung abwich, daß

der Unfall durch eine Blockierung oder Verklemmung der Höhenruder-

steuerung verursacht worden sei, ging Stevens sofort daran, die Höhen-

ruder eingehend zu untersuchen: die Trimmklappen standen fast in

neutraler Position, und die Höhenruder selbst ließen sich gut bewegen �

nur an einem Ende war die Oberfläche beschädigt, so daß sie nicht mehr

die volle Höhen- bzw. Tiefenstellung erreichten. Dieser Schaden war ganz

offensichtlich erst beim Absturz entstanden, konnte ihn also nicht

verursacht habenËÔÔ. Um NU Uhr hatte die »Moorhill« die Bergungsarbeiten

beendet und verließ den Ort des Unglücks. Vorsichtshalber ließ man zwei

Taucherbegleitboote an der Absturzstelle zurück.

Ungefähr zwei Tage nach seiner Befragung durch den Untersuchungs-

ausschuß wurde Prchal im Krankenhaus vom Flugkontrolloffizier, der in

der Nacht des Absturzes Dienst gehabt hatte (nicht Fraser), besucht. Der

Offizier fragte ihn vertraulich, ob er wisse, wodurch der Unfall verursacht

worden seiÈÊÊ. Prchal »nickte bedeutungsvoll« und erwiderte, Major Herr-

ing, der Kopilot � der nun als vermißt, vermutlich tot, registriert warÈÊÁ �,

sei mit der Handhabung von Maschinen dieses Typs nicht vertraut

gewesen, und ihm seien zwei Irrtümer unterlaufen: im Glauben, es sei

seine Aufgabe, die Fahrwerke einzuziehen, habe er dabei versehentlich den

Feststellhebel für das Leitwerk betätigt. Dieser Hebel wird normalerweise

nur angezogen, wenn das Flugzeug bei starkem Wind auf dem Flugfeld

stationiert ist bzw. wenn es an- oder ausrollt; die Steuerflächen werden

verriegelt, damit sie nicht von plötzlichen Windstößen oder Sturmböen

beschädigt werden können.

Es gibt technische Gründe dafür, daß diese Theorie von Fliegerhaupt-

mann Prchal unhaltbar ist � interessanter war jedoch, daß er sie, wie sein

Gesprächspartner erklärte, überhaupt vorbrachte. Noch interessanter wird

diese Tatsache, wenn wir bedenken, daß Prchal bei einer anderen

Gelegenheit anläßlich eines Privatgespräches die Schuld am Unglück

ebenfalls Herring zuschob � diesmal handelte es sich allerdings um einen

anderen Hebel, den der Kopilot angeblich betätigt hätte (siehe Seite NUT).

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NMV

Wenn die Steuerung des Liberator durch Sabotage blockiert worden

wäre, so müßte dieser Anschlag innerhalb der dreißig Stunden, in denen

die Maschine auf dem Flugfeld Gibraltar North Front stationiert gewesen

war, durchgeführt worden sein. An den Tagen unmittelbar nach dem

Absturz hatte die RAF-Station auf eigene Faust und insgeheim voll Angst

eine Untersuchung über die Vorsichtsmaßnahmen geführt, die im Zusam-

menhang mit dem AL ROP getroffen worden waren. Man wußte natürlich,

daß die Offiziere der Militärkommission sich höchst ungünstig über

eventuelle, von Zeugen aufgedeckte, Nachlässigkeiten äußern würden, ob

diese nun mit dem Absturz etwas zu tun haben mochten oder nicht. Sofort

brachte man die außergewöhnliche Vorsichtsmaßnahme des Sergeant

Moore � der einen Corporal zur »Schlafwache« in die Maschine beordert

hatte � ans Licht. Die gesamte RAF-Station der Kronkolonie atmete

erleichtert auf. Moore wurde zum Kommandanten gerufen und wegen

seiner segensreichen Initiative belobigt. Die RAF hatte wirklich allen

Grund zum Aufatmen: »Dem Netz entronnen«, so kennzeichnete Oberst

Bolland damals die SituationÈÊË.

Am Nachmittag des U. Juli sagte Bolland vor dem Untersuchungs-

ausschuß über die von ihm veranlaßten Vorsichtsmaßnahmen ausÈÊÈ. Er

schilderte, wie Sicherheitsbeamte den ganzen Tag lang die Passierscheine

aller Zivilisten an den Eingängen zur RAF-Station kontrolliert hatten,

während an den Flugplatzumzäunungen sowie an den Küstenstreifen, die

das Feld säumten, britische Soldaten ständig patrouillierten. In der Nacht

war der gesamte Flugplatz durch Flutlicht erleuchtet gewesen, und man

hatte die Bewachung auf sechs Offiziere, hundert Unteroffiziere und

Mannschaften sowie eine Notreserve von vierzig Mann zusätzlich ver-

stärkt. An der Ostseite der Küste und an der westlichen Extension der

Startpiste in der Bucht von Gibraltar waren die Patrouillen noch von

Wachhunden begleitet worden.

Dann spielte er seine Trumpfkarte aus: bei dem von Hauptmann

Prchal gesteuerten Liberator seien noch zusätzliche Sicherheitsmaß-

nahmen getroffen worden. Man habe einen Posten aufgestellt, der eine

Liste mit den Namen aller Flieger oder Flugplatzangestellten, die unter

Umständen am Flugzeug zu tun gehabt hätten bzw. es hätten besteigen

wollen, bei sich führte. »Außerdem schlief in der Nacht vom P. auf den Q,

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NNM

Juli ein Corporal [F. E. Hopgood] der Staffel RNN in der Maschine.« Bolland

erklärte weiter: »Nur für Flugzeuge mit außergewöhnlich wichtigen Per-

sönlichkeiten an Bord werden Spezialwachen bereitgestellt, entweder

aufgrund eines besonderen Ersuchens des Piloten . . . oder weil die

Maschine mit äußerst geheimer Ausrüstung versehen ist.« (Sergeant

Moore und auch Corporal Hopgood berichteten dem Autor, daß bis zu

dieser Gelegenheit noch niemals ein Unteroffizier in einem Flugzeug der

Staffel RNN hätte schlafen müssenÈÊÍ.) Oberst Bolland sollte die Maßnahmen

schildern, die getroffen waren, damit unberechtigte Personen nicht von

der Straße zwischen Gibraltar und La Linea abbiegen und so direkt an die

Piste gelangen konnten. Der Oberst erwiderte, alle Lücken in der

Umzäunung würden ständig von britischen Soldaten bewacht.

Bollands Aussagen waren durchaus plausibel und entsprachen nicht

nur seinen Vorschriften, sondern auch den Erklärungen anderer Zeugen.

Der Armeeoffizier, der die Militärwachen für den Liberator beordert

hatte, wurde ebenfalls vorgeladen. Seine Lage war weniger günstig, da, wie

sich im weiteren Verlauf der Vernehmungen herausstellen sollte, der für

den frühen Sonntagvormittag eingeteilte Posten seiner Aufgabe bewiesen-

ermaßen recht nachlässig nachgekommen war. Der Offizier gab an, er habe

während der gesamten Dauer der Stationierung des Liberator AL ROP

Wachtposten bei dem Flugzeug aufgestellt, die im Besitz einer Liste mit

den Namen der Personen, die sich der Maschine nähern durften, gewesen

seien. Ihm sei nicht bekannt, daß unberechtigte Personen versucht hätten,

an den Liberator heranzukommen. Von Zeit zu Zeit hätten er und seine

Kollegen die Posten inspiziert und festgestellt, daß alles seine Richtigkeit

habeÈÊÎ.

RAF-Sergeant Norman Moore, der die Wartungseinheit der Staffel RNN

leitete, bestätigte diese Aussage im großen und ganzenÈÊÏ. Er schilderte, wie

er am P. Juli mit seinen zehn Männern die Ankunft des Liberator AL ROP

erwartet hatte, um die Maschine zu überprüfen. Sowohl Hauptmann

Prchal als auch Sergeant Kelly, der Flugingenieur, hätten ihm berichtet,

mit dem Flugzeug sei alles in Ordnung. Er persönlich habe befohlen, ein

Corporal müsse während der Nacht im Innern der Maschine, nahe beim

Heckeinstieg, bleiben. Am Samstag abend habe er kurz nach ON Uhr den

Wachtposten der Armee gefragt, ob er im Besitz einer Liste aller zum

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NNN

Besteigen des Flugzeugs berechtigten Personen sei. Da der Betreffende dies

verneint habe, habe er ihm eine Aufstellung aller Mitglieder seiner

Wartungseinheit gegeben. Der Militärposten sei von ihm darauf hinge-

wiesen worden, diese Männer würden sich u. U. für alle Personen, die zum

Besteigen der Maschine autorisiert waren, verbürgen. Am Sonntag morgen

habe er kurz nach T Uhr Corporal Davis, seinen dienstältesten Unter-

offizier, getroffen: es seien jedoch keinerlei ungewöhnliche Zwischenfälle

gemeldet worden. »Ich schloß daraus, daß alles in Ordnung war«, erklärte

Moore.

Er habe das Flugformular TMM des Liberator � das Wartungspapier �

eigenhändig unterschrieben und sei »absolut überzeugt«, das Flugzeug sei

betriebstüchtig (das betreffende Formular konnte dem Untersuchungs-

ausschuß nicht mehr vorgelegt werden, da es beim Absturz vernichtet

worden war; Moore sowie seine Mechaniker Gibbs und Alexander

bezeugten jedoch, sie hätten die vorgeschriebenen täglichen Inspektionen

durchgeführt und nichts Negatives entdecktÈÊÌ). Am folgenden Tag wurde

Armeehauptmann Williams noch einmal aufgerufen, und er bestätigte alle

Aussagen, die Moore über Einteilung und Aufgabe der Wachen gemacht

hatteÈÊÓ. Corporal Davis bezeugte schriftlich, weder Corporal Hopgood �

der im Flugzeug geschlafen hatte � noch einer der Armeeposten hätten

ihm irgendwelche ungewöhnlichen Vorkommnisse mitgeteiltÈÊÔ.

Ein kleinerer Zwischenfall war allerdings passiert, wie der nächste

Zeuge, Corporal Hopgood persönlich, erklärte: am Sonntagmorgen, unge-

fähr eine halbe Stunde, bevor er um T.PM Uhr seinen Turnus beendet habe,

sei ein Flieger an Bord der Maschine gegangen und habe ein Paket aus dem

Bombendepotraum geholt. Hopgood hatte den Mann erkannt, er gehörte

zur ADRU (»Air Despatch and Reception Unit«), der Station, die sich um

Passagiere und Ladung zu kümmern hatteÈÁÊ. Der Ausschuß nahm diese

Aussage ebenfalls zu Protokoll, und man kam überein, einige frühere

Zeugen noch einmal vorzuladen, und zwar besonders die Männer, die

berichtet hatten, während ihres Wachturnus sei nichts vorgefallen.

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NNO

5

Am Nachmittag des V. Juli mußte man die Bergungsarbeiten unterbrechen,

da das Wetter sich verschlechtert hatte. Ein Mittelmeer-Tief hatte starke

Dünung verursacht, die für die kleinen Taucherbegleitboote zu gefährlich

war. Sie konnten nicht mehr über der Unfallstelle liegen, und auch den

Tauchern war es unmöglich, unter Wasser sicher weiterzuarbeitenÈÁÁ.

Für die Polen blieb noch das Problem der Särge mit den Unfall-

opfern. Der Kapitän der »Orkan« hatte sich geweigert, außer den sterb-

lichen Überresten Sikorskis und Klimeckis irgendeinen anderen Sarg zu

befördern, und deshalb war man gezwungen gewesen, die restlichen

Behälter mit Bleihüllen zu versehen und sie in großen Holzkisten solange

aufzubewahren, bis sie mit einem Handelsfahrzeug nach England verschifft

werden konnten. Am Abend wurde Artillerieunteroffizier Gralewski auf

dem überfüllten Friedhof von Gibraltar beigesetzt: zwischen der gewaltigen

Felsenfront und dem Flugplatz, auf dem seine kurze Reise in ein neues

Leben begonnen hatte. Polnische Soldaten hatten die Ehrenwache

bezogen, britische Truppen feuerten einen Gewehrsalut, als der Sarg zur

letzten Ruhe gebettet wurdeÈÁË. An diesem Tag wurde auch die Leiche von

Oberst Marecki an Land gespült; die Fische hatten ihr übel mitgespielt.

Lubienski identifizierte sie und legte die sterblichen Überreste Mareckis

dann in einen Sarg, der »zum Transport ausgerüstet« war. Frau

Lesniowskas Körper war immer noch nicht geborgen worden; ferner

fehlten die Überreste von zwei Besatzungsmitgliedern und zwei Passa-

gieren, darunter der vermeintliche »Königliche Kurier«, W. H. Lock.

Fliegerhauptmann Posgate, der an der Unglücksstelle die zweite

Rettungsbarkasse befehligt hatte, sagte in einem privaten Gespräch zu

Vertretern der Seefahrtsbehörde Gibraltars, er wüßte, weshalb einige

Leichen noch vermißt würden: ihm schien es möglich, der Pilot habe den

Absturz nicht als einziger überlebt. Wenn man davon ausginge, daß bis

zum vollständigen Versinken des Flugzeugwracks ein paar Minuten

verstrichen, hätten seiner Meinung nach auch andere, schwerer verletzte

Insassen des Liberator versuchen können, sich zu befreien: »Natürlich

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NNP

würde ihr erster Gedanke dem General und seiner Tochter gegolten

haben.« So wäre auch erklärlich, aus welchem Grund zunächst die VIP�s

geborgen worden seien � entweder tot (wie Sikorski und Klimecki) oder

noch am Leben (wie Brigadegeneral Whiteley). Über das Schicksal der

Insassen im oberen Vorderteil des Rumpfes � des Kopiloten, Frau Les-

niowskas und Privatsekretär Kulakowskis � vermutete Posgate: »Möglich-

erweise gelang es diesen dreien, sich aus dem Flugzeug zu befreien und

eine kurze Zeit lang an der Oberfläche zu bleiben. Da sie aber verletzt

waren, ertranken sie bald darauf.« In der Dunkelheit wären sie abgetrieben

und hätten so von den Minuten später eintreffenden Schnellbooten nicht

mehr entdeckt werden könnenÈÁË. Träfe Posgates Theorie zu, müßte man

folgenden Schluß ziehen: Wenn die Passagiere so vorsichtig gewesen wären

wie der Pilot und Rettungswesten angelegt hätten, dann hätte Prchal

vielleicht nicht als einziger das Unglück überlebt.

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NNQ

V. Winston Churchill im Gebet versunken

Inzwischen war der Leichnam General Sikorskis in England eingetroffen.Am NM. Juli lief die »Orkan« im Hafen von Plymouth ein, und noch in derNacht brachte man die Särge zu einem Sonderzug, der für die feierlicheRückkehr nach London bestimmt war. Der für Sikorski und Klimeckivorgesehene Eisenbahnwagen, hergerichtet im Stil einer kleinen katho-lischen Kapelle, war mit Kränzen aus weißen und roten Blumen sowiepolnischen Flaggen und Standarten geschmückt worden. Im Gang hatteman Blumen und Gräser aus den Gärten Gibraltars gestreut, die vompolnischen Zerstörer mitgebracht worden waren. Ein Besatzungsmitglieddes Schiffes rief das Londoner Seemannsheim, wo er und viele seinerKameraden schon gewohnt hatten, an: »Wir sind verloren«, erklärte erdem Vorsteher. »Wir haben eine Leiche an Bord mitgeführt!« Es war nurSeemannsaberglauben � aber genau drei Monate später ging die »Orkan«unter und nahm sämtliche Besatzungsmitglieder mit sich in die TiefeÈÁÈ.

Als der Sonderzug sich auf dem Weg nach London befand, verbreiteteder deutsche Propagandasender neue Vermutungen über das EndeSikorskis: War es nicht seltsam, daß der britische Kriegsminister Sir JamesGrigg im letzten Moment seinen Plan, an Bord des Sikorski-Liberator nachLondon zurückzukehren, aufgegeben hatteÈÁÍ? Warum überhaupt wurdeSikorskis Maschine, wie man von der spanischen Grenze berichtet hatte,auf dem Flugplatz von fünf Posten bewacht, während man dieseVorsichtsmaßregel bei einem Flugzeug der königlichen Regierung nicht fürnötig hieltÈÁÎ? Grigg sei übrigens nicht der einzige VIP gewesen, der sichüber den Flug in Sikorskis Flugzeug seine eigenen Gedanken gemacht habe� so behaupteten jedenfalls die Deutschen. William Joyce teilte derenglischen Bevölkerung die folgende sensationelle Nachricht mit: »EinKurier aus dem britischen Foreign Office zog ebenfalls vor, seinen PlatzaufzugebenÈÁÏ.«

Ehrenwachen der Grenadiere erwarteten den Sonderzug, als er imBahnhof Paddington einlief, und im Hintergrund intonierte eine Kapelledie polnische Nationalhymne. Acht polnische Soldaten nahmen den SargGeneral Sikorskis auf die Schultern und brachten ihn zu einem bereit-

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NNR

stehenden Automobil. Bis zum NQ. Juli war der Sarg im Hauptquartier derpolnischen Regierung in den Palace-Gardens von Kensington auf einemKatafalk postiert, zu seinen Füßen ein Strauß gelber Rosen von der Witwedes toten Ministerpräsidenten. Anschließend wurde er in der WestminsterCathedral postiert. Der Präsident der Republik Polen legte auf dem Sargdie höchsten Auszeichnungen des Generals, darunter den Orden vomWeißen Adler, nieder, während die übrigen Ehrenzeichen Sikorskis aufeiner Samtschärpe vor dem Katafalk ausgebreitet wurden.

Am Abend sprach Winston Churchill über Rundfunk zu den Polen inaller Welt und in der besetzten Heimat: »Mit Ihnen betrauere ich dentragischen Verlust Ihres Ministerpräsidenten und Oberbefehlshabers. Ichkannte ihn gut. Er war ein Staatsmann, ein Soldat, ein Kamerad, einVerbündeter und vor allem ein Pole. Er ist von uns gegangen, ich glaubeaber, wenn er noch hier, an meiner Seite, stünde, würde er sich sicher denWorten anschließen, die mir von Herzen kommen: �Soldaten müssensterben � durch ihren Tod jedoch verhelfen sie dem Vaterland, das siegebar, zum Leben�.«

Sikorski war für seine Heimat und die »gemeinsame Sache« gestorben.Winston Churchill forderte die Polen in der ganzen Welt auf, bereit zusein, ebenfalls für das Vaterland den Tod zu erleiden . . .ÈÁÌ

Am nächsten Morgen � auf allen Regierungsgebäuden in London undGibraltar waren die Flaggen auf halbmast gesetzt � kamen die Regierungs-oberhäupter von Großbritannien, Polen und der Tschechoslowakei zudem Requiem, das für ihren toten Freund und Kollegen abgehalten wurde.Als die Messe begann, sahen viele in Churchills Augen Tränen, DieBemerkungen der Zeitungskorrespondenten, die von einer kleinen Galerieaus den Hochaltar beobachten konnten, galten allerdings zwei anderen,ganz einfachen Gesten des britischen Premiers: zunächst beobachteten sie,daß Winston Churchill und seine Gattin einen Augenblick lang nieder-knieten und beteten, bevor sie ihre Plätze einnahmen, und am Schluß derZeremonie nahmen beide die Requiemtexte an sich, die man denprominenten Trauergästen zur Verfügung gestellt hatte.

Als er sich während des Trauergottesdienstes einmal kurz umdrehte,traf Churchills Auge ein Mitglied der neuen polnischen Regierung, undbeide Männer tauschten einen kurzen Blick aus. Die Presseleute stelltenfest, der Premierminister fühle sich sogar an dieser Stätte religiöser

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NNS

Anbetung ganz locker und frei. »Er ist immer so natürlich!« bemerktejemand. Am Sarg, der vor dem Hochaltar auf einem Katafalk ruhte,standen sechs polnische Soldaten, Flieger und Marineangehörige mitihrem Offizier, die Bajonette aufgepflanzt. Die gelben Rosen am Fuß desSarges hatten schon zu welken begonnenÈÁÓ. Wie Churchill gewünschthatte, nahmen die meisten seiner älteren Kollegen an den Trauerfeier-lichkeiten teil: Eden, Anderson, Bevin, Alexander, Wood sowie dieStabschefs. General Alanbrooke, Chef des Generalstabs des britischenEmpire, erkannte klarer als die meisten anderen Trauergäste den reinsymbolischen Sinn der Veranstaltung. Die Messe kam ihm anfangs über-trieben theatralisch vor, und erst ganz am Schluß empfand erErschütterung: »Als ich den leeren Katafalk sah, auf dem der Sarg geruhthatte, umgeben von sechs riesigen Trauerkerzen, auf jeder Seite bewachtvon Gruppen polnischer Offiziere mit ihren Regimentsfahnen, erstandplötzlich vor meinen Augen das tragische polnische Geschick: Staat undArmee, beide in einem Augenblick führerlos geworden, da der großeUmschwung in Sicht warÈÁÔ.« Als Soldat hatte Alanbrooke Sikorski sehrbewundert, vor allem wegen seines Charmes und seiner EhrlichkeitÈËÊ, under gab zu, daß er den polnischen General aufrichtig vermissen werde.Sikorski war der Mann, der Polen hätte retten können, denn er hatte einVerhältnis zu Stalin herstellen können, das vielversprechend war. Dassollte der Generalstabschef aber, gleich vielen anderen, erst spätereinsehenÈËÁ.

Im Hintergrund stimmte ein polnischer Soldatenchor die Armee-hymne an, der Sarg wurde aus der Kathedrale gebracht und durch diedichtbevölkerten Straßen von Pimlico gefahren. Am nächsten Tag befander sich bereits auf dem Soldatenfriedhof von Newark, Nottinghamshire,wo hunderte polnischer Flieger, die über Großbritannien ums Lebengekommen waren, ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Der SargSikorskis sollte bis Kriegsende in einer besonderen Backsteingruft unter-gebracht werden � dann würden die sterblichen Überreste des Generals,wie man seiner Witwe zugesagt hatte, im Triumph nach Polen überführtwerden.

General Kazimierz Sosnkowski, der neue polnische Oberbefehlshaber,sprach den letzten Abschiedsgruß: »Ruhe in Frieden inmitten DeinerFlieger, der treuen Söhne Polens, die wie Du ihr Leben für die Heimat

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NNT

hergaben. Soldaten der polnischen Republik, die Ihr unter meinemKommando steht: wir bringen unserem verstorbenen Oberbefehlshaber,der in Erfüllung seines Amtes den Tod fand, die letzten Grüße dar. Ach . . .tung!«

Abermals erklang die polnische Nationalhymne, und der heiße Julitagin den englischen Midlands wurde von einer Salve von Gewehrschüssenunterbrochen. Langsam senkte man den mit der polnischen Fahnebedeckten Sarg in die Gruft � die lange Reise Sikorskis war beendet. Derpolnische Staatspräsident kniete abgewandten Gesichts am Grab niederund warf eine Handvoll heimatlicher Erde auf den SargÈËË.

Grosse Messefür General Sikorski

im katholischen Domzu Westminster am

15. Juli 1943.Der exil-polnische

Staatspräsidentkniet neben Madame

Helene Sikorska(rechts von ihm);

dahinter, dasEhepaar Churchill

und englischerAußenministerAnthony Eden.

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NNU

VI. Postsäcke und Frachtbriefe

Am Nachmittag des V. Juli und auch während der folgenden Tage ver-

suchte in Gibraltar der militärische Untersuchungsausschuß herauszu-

finden, welche Personen und welche Ladung sich zur Zeit des Absturzes im

Liberator befanden. Dies festzustellen war schwieriger, als man erwartet

hatte.

Die Namen der Besatzungsmitglieder waren natürlich bekannt*.

Was die Passagiere betraf, bestand jedoch vom ersten Augenblick an

ebenso Ungewißheit wie über die offenbar kleine Ladung, der augen-

scheinlich weniger Bedeutung beigemessen wurde. Ein Corporal der RAF

bezeugte, er habe zwischen OO.PM und OO.QR Uhr ein Dutzend privater

Gepäckstücke an der Vorderseite des Bornbendepotraurns verstautÈËÍ;

hierbei handelte es sich aber lediglich um Gepäck, das ordnungsgemäß

registriert war, den Passagieren gehörte und nach deren Übernachtung in

der Gouverneursresidenz zurückgebracht worden warÈËÎ. Der Corporal

bekräftigte, er sei sich der Wichtigkeit, das gesamte Gepäck vorschrifts-

mäßig durch das Kontrollsystem gehen zu lassen, wohl bewußt gewesen:

»In diesem Fall zurrte ich das Gepäck persönlich fest.«

Dann beschäftigte sich der Ausschuß mit der Frage, wieviel Passagiere

vermutlich befördert worden seien. Ein Offizier, dessen Aufgabe darin

bestand, sich um Abfertigung und Kontrolle der Passagiere zu kümmern,

schilderte, wie ein zusätzlicher Insasse die Flugerlaubnis bekommen habe �

es handelte sich um den unglücklichen polnischen Kurier, Artillerie-

unteroffizier Gralewski. Fliegerleutnant Harold Briggs, der betreffende

Offizier, erklärte: »Vom Regierungsgebäude wurde telefonisch angefragt,

ob der am Abend für den Abflug vorgesehene Liberator AL ROP eine Person

zusätzlich aufnehmen könne. Ich sprach über Telefon mit dem Piloten der

* Die Besatzung des Liberator AL ROP bestand aus folgenden Personen: FliegerhauptmannE. M. Prchal, N. Pilot; Fliegermajor W. S. Herring, O. Pilot; Oberfeldwebel L. Zalsberg,Navigator; Sergeant F. Kelly, Flugingenieur; Fliegerfeldwebel C. B. Gerrie, Funker undBordschütze; Fliegerfeldwebel D. Hunter, Funker und Bordschütze. Die Leichen vonHerring und Hunter wurden nicht aufgefunden; außer Prchal waren alle Besatzungs-mitglieder tot bzw. vermißt

POP.

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NNV

Maschine, und er willigte ein, diesen Passagier zu befördern.« Im Anschluß

daran war die Pilotenkopie des Formulars NORS, des »Passagier-Fracht-

briefes«, ergänzt worden.

Hier deckte man die erste Unregelmäßigkeit auf. Der Ausschuß-

vorsitzende fragte Briggs, ob er einen Durchschlag dieses Frachtbriefes

vorlegen könne � Briggs mußte diese Frage verneinen. Den von ihm

bemerkten Durchschlag hatte Fliegerhauptmann Prchal wieder an sich

genommen, eine andere Kopie habe er nicht gesehen. Soweit er sich

erinnern könne, sei auf dem Formular die Nutzlast der Maschine bei der

Ankunft in Gibraltar mit OQ.VPM kg angegeben (auf Formular NORS befanden

sich oben Rubriken für das Gesamtgewicht, das Startgewicht und das

geschätzte Ladegewicht des Flugzeugs). Etwas aufgeregt versicherte

Fliegerleutnant Briggs � der natürlich wußte, daß man drauf und dran war,

eine Nichtbefolgung der Vorschriften aufzudecken � dann: »Von

Flugzeugen, die aus Kairo ankommen, erhalten wir nie einen Durchschlag

des Luftfrachtbriefes, obgleich es in den Verteilervorschriften des

Formulars NORS so festgelegt ist.« Er fügte hinzu, seiner Meinung nach sei es

unbedingt erforderlich, eine Kopie des Frachtbriefes zu haben, aber »bei

mehreren Gelegenheiten haben wir vergeblich eine Kopie angefordert«ÈËÏ.

Vielleicht hätte er dem Ausschuß noch ausdrücklich sagen sollen, daß

dieser Vorwurf nicht auf alle aus Kairo kommenden Flugzeuge zutraf,

sondern nur auf VIP-Maschinen wie den Liberator AL ROP. Da Briggs nicht

im Besitz eines Frachtbriefes war, hatte er auch keine Übersicht über die

mitfliegenden Passagiere und konnte ebensowenig die Ladung

kontrollieren: »Wenn der Frachtbrief nicht der ADRU vorgelegt wurde,

hatte allein der Pilot Übersicht über die Ladung«, sagt Briggs heuteÈËÌ.

überraschenderweise verfolgte der Ausschuß diesen Punkt nicht weiter;

man empfahl lediglich, in Zukunft die Vorschriften für die Verteilung des

Luftfrachtbriefes besser einzuhaltenÈËÓ. Die Mitglieder versuchten nicht zu

klären, weshalb das betreffende Formular bei bestimmten Flügen nicht

vorlag, und man versäumte ebenfalls, im speziellen vorliegenden Fall die

möglichen Schlußfolgerungen zu ziehen.

Oberst Elton neigte in der Passagierfrage zu der Ansicht, sowohl Lock

als auch Pinder hätten etwas mit dem Nachrichtendienst zu tun.

(Inzwischen hat sich herausgestellt, daß Pinder Oberfeldwebel bei den

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NOM

Funkern der Royal Navy war*). Heute noch erinnert sich Elton, wie

schwierig es für die örtlichen Behörden war, aus London eingetroffene

Versicherungsdetektive davon zu überzeugen, daß keine weiteren über-

lebenden vorhanden waren. Offensichtlich war wenigstens einer der

Passagiere hoch versichert gewesenÈËÔ.

Bald darauf kam eine weitere geheimnisvolle Einzelheit zur Sprache,

die sehr wohl in irgendeiner Beziehung zu dem fehlenden Frachtbrief, der

Nutzlast des Flugzeugs und der Beförderung eines Sonderpassagiers stehen

konnte. Nachdem der ADRU-Offizier mit seinen Aussagen fortgefahren

war und audi Fliegerhauptmann Perry, der RAF-Adjutant des Gouver-

neurs bezeugt hatte, daß tatsächlich elf Passagiere zum Flugzeug gebracht

worden seien, die ohne Ausnahme den Liberator bestiegen hätten�ÈÈÊ,

erschien Oberst Bolland noch einmal vor dem Ausschuß und brachte eine

überraschende Neuigkeit: am R. Juli hatte ein Artillerist, der am westlichen

Ende der Piste Wache hielt, einen kleinen Postsack gefunden. Nach

Bollands Erkundungen gehörte der Beutel zur Fracht des Liberator AL ROP

(später erklärte er, wenn das Flugzeug nicht abgestürzt wäre, hätte man

den Postsack mit einer späteren Maschine befördern lassen und den

ganzen Zwischenfall nicht weiter beachtetÈÈÁ). Der Untersuchungsaus-

schuß fand für dieses Vorkommnis keine plausible Erklärung; Bolland

sagte aus, es wäre ihm garantiert aufgefallen, wenn man die Heckluke der

Maschine beim Abflug nicht korrekt geschlossen hätte, und am nächsten

Tag bekräftigte Geschwaderkommandeur Simpson, der Oberbefehlshaber

der in Gibraltar stationierten RAF-Einheiten, diese AnsichtÈÈË. Der

Artillerist, der den Postsack gefunden hatte, erschien zusammen mit

Bolland vor dem Ausschuß. Er hatte den Behälter nahe seinem Standplatz

auf der Piste, gut PRM m von deren westlichem Ende entfernt, erblickt. Das

Gewicht schätzte er auf rund S¾ kgÈÈÈ. Von Flugkontrolleur »Jock« Fraser

* Information von John Lawn, Korvettenkapitän i. R., Juni NVSV.� Aus dieser Aussage geht hervor, daß die mysteriösen Engländer sich beim Abflug beidean Bord des Flugzeugs befanden. Fliegerhauptmann Colemann, der für die Passagier-abfertigung und -kontrolle zuständige Offizier, erklärte: »Am Abend des Q. Juli hatte ichgemeinsam mit Fliegerleutnant Briggs in North Front Dienst. Gegen OO Uhr erschienenim Büro zwei Passagiere, die mit dem Liberator AL ROP fliegen sollten, Mister Pinder undMister Lock. Von den elf Passagieren, die an jenem Abend an Bord des Liberator AL ROPgehen sollten, waren dies die einzigen beiden Insassen, die ich bis zur Maschinebegleitete.« Die Leiche Pinders wurde gefunden, die Leiche Locks dagegen nicht.

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NON

wissen wir, daß der Beutel in den frühen Morgenstunden des R. Juli in

seinen Kontrollturm gebracht worden war. Zunächst hatte er instinktiv

den verhängnisvollen Postsack verstecken wollen, brachte den Vorfall

jedoch seinem Vorgesetzten zur Kenntnis, als sein Dienst um U Uhr

abgelaufen warÈÈÍ. Dieser Postsack, eine ganz konkrete Tatsache, bedarf

einer ebenso konkreten Erklärung. In einem der folgenden Kapitel werden

wir erörtern, wieso der Behälter beim Abflug der Maschine auf die

Rollbahn gelangen konnte.

Ohne die chronologische Reihenfolge allzusehr aufzugeben, greifen wir

zunächst einige Tage vor. Bei seiner Wiedervorladung wurde der Pilot des

Liberator, Hauptmann Prchal, gefragt, wie er sich den Verlust des

Postsacks aus dem Flugzeug erkläreÈÈÎ. Er gab zu, noch niemals vorher von

einem ähnlichen Vorfall gehört zu haben, wenn der Beutel sich jedoch im

Bug der Maschine befunden hätte (der Ausschuß hatte bereits den Kairoer

Ladepapieren entnehmen können, daß dies nicht der Fall war), könnte er

durch die für das vordere Fahrwerk bestimmte Öffnung gefallen sein.

Prchal erklärte, Rumpftür sowie Luke des Bombendepotraums könnten

unmöglich fehlerhaft geschlossen gewesen sein, ohne daß man es sofort

bemerkt hätte: am westlichen Ende der Startpiste, wo der Liberator mit

angelassenen Triebwerken zwanzig Minuten bis zum Start gewartet hatte,

sei sein Flugingenieur noch einmal ausgestiegen und »am Rumpf auf und

ab geschritten, bevor er mir berichtete, daß alles in Ordnung war«. Es wäre

aber immerhin möglich, daß die Besatzung unter bestimmten Umständen

einen oder mehrere Postbeutel in den Minuten, die dem Absturz

vorausgingen, absichtlich entfernt hätten.

Am nächsten Tag, dem NM. Juli, bemühte sich der Untersuchungs-

ausschuß wiederum, diese letzten Minuten zu rekonstruieren. Offensicht-

lich hatten verschiedene Zeugen, die in der samtenen Dunkelheit die

schwindenden Positionslichter des Liberator AL ROP verfolgten, auch

verschiedene Dinge gesehen . . .

Einer der Flugkontrolloffiziere sagte aus, er habe beobachtet, daß die

Maschine nach etwa N km ganz normal vom Boden abgehoben habe, dann

jedoch etwas abgefallen sei, als sie eine Höhe von ungefähr V m erreicht

hätte und sich knapp NMM m hinter dem Kontrollturm befand, von dem aus

er (sowie »Jock« Fraser) das Geschehen betrachtete. Eine kurze Strecke sei

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NOO

das Flugzeug ganz waagerecht geflogen, habe dann aber »gleichmäßig an

Höhe verloren, bis es auf das Meer prallte«ÈÈÏ. Es scheint sich hier um eine

Aussage von entscheidender Wichtigkeit zu handeln � allerdings steht sie

in Widerspruch zu den Beobachtungen mehrerer Zeugen der RAF, die sich

zur Zeit des Unglücks an oder auf der Rollbahn befunden hatten und

erklärten, das Flugzeug habe eine Höhe von annähernd PM m erreicht.

Trotzdem könnte man mit einiger Berechtigung der Aussage des

Kontrolloffiziers mehr Glauben schenken als den Angaben der anderen

Zeugen, einschließlich des Piloten. Wenn der Autor, wie er glaubt, richtig

verstanden hat, ist der damalige Ausschußvorsitzende, Luft-Vizemarschall

Elton, heute ebenfalls dieser AnsichtÈÈÌ. Der Flugkontrolloffizier befand

sich im Dienst, als er den Liberator beobachtete, und er hatte den Vorteil,

sich im Turm oberhalb des Rollfelds aufzuhalten; es wäre ihm also

aufgefallen, wenn die Maschine sich über seinem Gesichtskreis befunden

hätte. Nach seiner Aussage verhielt es sich aber eindeutig anders.

Außerdem geht aus den Steigegeschwindigkeits-Daten eines Liberator II

klar hervor, daß bei einer Abhebedistanz von rund NOMM m und einem

Anfangsflug von weniger als siebzehn Sekunden Dauer die Flughöhe auf

keinen Fall mehr als NR m betragen kann � das trifft auch für Maschinen

mit relativ geringer Ladung zuÈÈÓ. Auf diesen Punkt werden wir bald

zurückkommen.

Der Flugkontrolloffizier, der TMMM Stunden Flugerfahrung hatte,

meinte, »von einem überzogenen Flug kann nicht die Rede sein«. Jetzt

stellte der Ausschuß auch die Frage, die man bei der Vernehmung Prchals

unterlassen hatte (der Pilot hatte behauptet, den Horizont klar erkennen

zu können, als er bei Neumond in östlicher Richtung flog): »Unter

Berücksichtigung der Tatsache, daß Neumond war � wie konnten Sie den

Flug der Maschine so gut verfolgen?«

Der Offizier erwiderte: »An Hand der Positionslampen.« Geschwader-

kommandeur Simpson hatte ebenfalls die Positionslichter beobachtet: der

Liberator sei zum westlichen Ende der Startpiste gerollt, habe »nach einer

beträchtlichen Pause« gewendet und sei dann gestartet. Er sei regelmäßig

und ganz normal gestiegen, wobei alle vier Triebwerke korrekt funktion-

ierten. »Meiner Meinung nach hörte er oberhalb des östlichen Endes der

Piste auf zu steigen und schien dann langsam zu sinken, dem Meer

Page 123: Irving David - Mord aus Staatsräson

NOP

entgegen. Wegen der Dunkelheit war es unmöglich, die Höhe genau zu

schätzen. Während die Maschine an Höhe verlor, änderte sich das Ge-

räusch der Triebwerke nicht, und alle vier zeigten die gleichen bläulichen

Stichflammen wie beim AnstiegÈÈÔ.«

Ein Flieger, der sich nahe dem Ende der Rollbahn befunden hatte

schätzte ebenfalls, der Liberator habe eine Höhe von »PM m« erreicht. Er

hatte darauf gewartet, die Piste überqueren zu können, und schilderte, daß

er sofort zum Bootshaus der Jolle gelaufen sei, als ihm klargeworden sei,

das Flugzeug werde abstürzen. Im improvisierten Bootshaus � dem

ehemaligen Verschlag einer »Spitfire« � hätten er und einige andere die

Rettungsjolle losgemacht und zu Wasser gelassen. Innerhalb von ungefähr

fünf Minuten habe man die Absturzstelle erreicht und sei von irgend

jemandem im Wasser »angerufen« worden. Es war der Pilot: »Er trug eine

aufgeblasene Mae-West-Rettungsweste und war vollständig bei Bewußt-

sein, konnte allerdings nicht zusammenhängend sprechenÈÍÊ« (Qualtrough

hatte nicht erkannt, daß der Pilot Tscheche warÈÍÁ). Der RAF-Offizier, der

die Luft/See-Rettungseinheit kommandierte, bestätigte diese Darstellung.

Der Ausschuß forderte ihn auf, anzugeben, wie die von seiner Barkasse an

Bord genommenen Verunglückten bekleidet gewesen seien. Der Offizier

antwortete, er habe die Leichen des Navigators, des Flugingenieurs und

eines der Funker eingeholt, alle vollständig bekleidet: »Keiner trug eine

Mae West oder Fallschirmausrüstung.« Auch ein am U. Juli geborgener,

toter polnischer Offizier hatte weder Rettungsweste noch Fallschirmaus-

rüstung getragen. Der Ausschuß fragte: »Beobachteten Sie irgendwelche

Mae Wests, die auf dem Wasser schwammen?«

»Ja, ich zog drei oder vier heraus, die noch recht gut erhalten

warenÈÍË.«

Bevor wir uns dem späteren Stadium der Untersuchung zuwenden,

wollen wir versuchen, Schlußfolgerungen aus den voneinander abweich-

enden Höhenangaben für den Liberator zu ziehen. Wie man sich erinnern

wird, hatte Prchal ausgesagt, die Maschine hätte eine Höhe von »ungefähr

QR m« erreicht, bevor er mit Hilfe seiner individuellen Flugtechnik an

Geschwindigkeit gewinnen wollte und deshalb die Steuersäule leicht nach

vorn bewegte. Nach der Aussage des verläßlichsten Bodenzeugen und an

Hand der bekannten Flug- bzw. Starteigenschaften des Flugzeugs kann

Page 124: Irving David - Mord aus Staatsräson

NOQ

man jedoch schließen, daß der Liberator kaum mehr als NU m Höhe

erreicht hatte � wahrscheinlich allerdings nur die Hälfte.

Das Problem, welche Höhe die Maschine vor dem Absturz gewonnen

hatte, sollte auch an Hand des vom Flugkontrolleur geführten Logbuchs

geklärt werden, das nach dem Krieg vom Luftverkehrs-Kontrollzentrum

Gibraltar aufbewahrt wurde. Leider ergab eine vom Autor veranlaßte

private Untersuchung dieses Logbuchs vor einigen Jahren, daß die Seite für

den Zeitraum des Unglücks herausgerissen war � ihr Inhalt läßt sich nicht

mehr rekonstruieren. Im Jahre NVST veranlaßte der Autor eine weitere

Überprüfung, in der Zwischenzeit war jedoch der gesamte in Frage

kommende Band des Logbuchs verschwunden. Der Folgeband beginnt mit

dem Datum des NM. Juli. Kontrolloffizier »Jock« Fraser hat uns erklärt, im

Logbuch seien alle unvorhergesehenen Zwischenfälle, die irgendwie mit

Flugzeugbewegungen zusammenhingen, aufgezeichnet gewesen, also auch

kleinere Vorkommnisse wie das Auffinden des PostsackesÈÍÈ.

Hätte der Liberator nicht mehr als NU m Höhe erreicht, würde Prchal

kaum, wie angegeben, das Manöver mit dem Steuerknüppel durchgeführt

haben, um an Geschwindigkeit zu gewinnen. Das aber war ein wesentlicher

Bestandteil seiner Aussage: erst in dem Augenblick, als er »versuchte, den

Steuerknüppel zurückzuziehen«, um höher zu steigen, stellte er fest, daß

der Knüppel in Sinkflugrichtung »blockiert« war. Wenn Prchals Erklärung,

er sei bis zu einer Höhe von QR m gestiegen, zutrifft � die Untersuchung

des Wracks hatte ergeben, daß einige technische Anhaltspunkte dafür

sprachen; dann kann sich auch eine Blockierung des Höhenleitwerks so

zugetragen haben, wie der Pilot schilderte. Sollte er aber nur V bzw. NU m

erreicht haben, müssen andere Ursachen für das Absacken des Liberator

verantwortlich gewesen sein, und zwar Ursachen, die Prchal nach dem

Unglück unbedingt verheimlichen wollte.

1

Die Verwandten Victor Cazalets in England hatten darum gebeten, den

Colonel in Gibraltar beizusetzen. Am NO. Juli folgten Gouverneur Mason-

Macfarlane, Oberleutnant Lubienski sowie eine kleine Trauergemeinde

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NOR

dem Sarg um NV Uhr zum Friedhof hinter dem Felsen, wo Cazalet in der

Nähe des polnischen Geheimkuriers Gralewski zur letzten Ruhe gebettet

wurdeÈÍÍ. Cazalet war QS Jahre alt, als er starb. Er vertrat den Wahlbezirk

East Islington im Parlament, dem er ungefähr neunzehn Jahre lang

angehört hatte. NVQM hatte man ihn zum politischen Verbindungsoffizier

General Sikorskis ernannt, und er hatte sich seither bemüht, die Probleme

aller Polen � ob sie sich in der besetzten Heimat oder in den Ländern der

Alliierten befanden � lösen zu helfen. Er war begeisterter Sportler, hatte

einmal in Eton die Endspiele in Einzel- und Doppelracket gewonnen, war

in Oxford in die erste Tennis-, Lawn-Tennis- sowie Racketmannschaft

aufgenommen worden und hatte anschließend England bei einem Racket-

Länderwettbewerb in Nord- und Südamerika vertretenÈÍÎ. Die Nachrufe

der Deutschen auf Cazalet waren ebenso herzlich wie die englischen

Nekrologe; deutsche Rundfunksendungen hatten besonders darauf

hingewiesen, daß Cazalet ein »Todfeind« Winston Churchills gewesen

seiÈÍÏ. Das war natürlich eine ausgesprochen tendenziöse Bemerkung �

allerdings hatte Cazalet privat dreihundert Exemplare eines Buches in

Umlauf gebracht, in dem die Regierung Churchill und vor allem deren

schlechte Verhandlungsführung mit der Sowjetunion offen kritisiert

wurden. Am V. Mai NVQO konnte man im Evening Standard lesen: »Ich frage

mich, welchen Dienst Major Cazalet unseren Alliierten oder Winston

Churchill erweist, wenn er einer Handvoll von dreihundert Freunden diese

seltsamen Ansichten nahebringtÈÍÌ.«

Am NP. Juli nahm der militärische Untersuchungsausschuß seine Sitz-

ungen wieder auf und behandelte erneut das Problem, ob die Aufstellung

von Wachen am Liberator AL ROP eine adäquate Sicherheitsmaßnahme

gewesen sei oder nicht. Bald stellte man fest, daß das Wachsystem nicht so

perfekt gewesen war, wie die Armeebehörden behaupteten.

Unter anderem hatte die in Gibraltar stationierte »Air Despatch and

Reception Unit« (ADRU) Nr. OT auch die Aufgabe, aus Maschinen, die

vom Nahen Osten eintrafen, bestimmte Diplomatenpost abzuholen und in

Linienmaschinen der BOAC umzuladen. Reguläre Flugzeuge liefen nach

allgemeiner Ansicht weniger Gefahr, zwischen Gibraltar und London von

deutschen Jagdfliegern belästigt zu werdenÈÍÓ. Walter Titterington, ein

Flieger dieser Einheit, sagte aus, am Nachmittag des P. Juli habe er eine

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NOS

Stunde nach Ankunft der Maschine Sikorskis aus Kairo fünf Postsäcke

dem vorderen Bombenraum entnommen; am folgenden Morgen um T

Uhr zwei weitereÈÍÔ. Warum es nötig war, zu diesem Zweck das Flugzeug

zweimal aufzusuchen, konnte die Kommission nicht feststellen. Flieger-

leutnant Briggs glaubt den möglichen Grund gefunden zu haben: als man

die Postsäcke mit dem »Post-Frachtbrief« verglich, habe man entdeckt,

daß zwei Beutel fehlten � diese zwei restlichen Postsäcke seien dann

anschließend geholt worden. Das war jedoch nicht der entscheidende

Punkt. Im Ausschuß interessierte man sich vor allem für Titteringtons

Angabe, er habe auf beiden Gängen zum Flugzeug keine Militärwache

angetroffen und sei auch nicht angerufen worden. Beim zweiten Mal habe

er allerdings den RAF-Corporal gesehen, der in der Nähe der Heckluke

,geschlafen hätte. Diese Aussage stand in diametralem Gegensatz zu den

Erklärungen des folgenden Zeugen, eines Zivilangestellten der Armee, der

am Sonntagmorgen von S bis U Uhr Wache am Liberator hatte: »Während

meiner Wache«, gab er an, »näherte sich niemand, niemand bestieg oder

verließ das Flugzeug.«

Sein Corporal unterstützte ihn. In der betreffenden Zeit hätte er den

Posten »drei- oder viermal« inspiziert und alles in Ordnung gefundenÈÎÊ.

Das »Geheimnis« war nur kurzlebig � als der RAF-Corporal wieder auf-

gerufen wurde, erklärte er dem Ausschuß nicht nur, keinen Wachposten

bei der Maschine gesehen zu haben, als er nach Beendigung der »Schlaf-

wache« im Liberator zu einem anderen Flugzeug dieses Typs gegangen sei,

dessen Ankunft für T Uhr vor,gesehen war, er versicherte außerdem, er

habe gar nicht gewußt, daß überhaupt Armeeposten beim AL ROP auf-

gestellt warenÈÎÁ. In geringer Entfernung vom Heck habe er mehrere

Maschinen vom Typ »Mosquito« bemerkt, bei denen sich zwei oder drei

Posten befanden, und natürlich gedacht, die Männer seien für diese

Flugzeuge abgestellt. Sicher hatten die Wachen der Armee ihre Pflicht nur

nachlässig erfüllt; der Offizier, der im Anschluß an das Verfahren die

Ergebnisse des Ausschusses prüfte, empfahl dann auch, der Vorfall »solle

zum Gegenstand disziplinarischer Maßnahmen« gemacht werdenÈÎË.

In diesem Zusammenhang muß auf Lubienskis nächtlichen Gang zum

Liberator AL ROP hingewiesen werden. Wie wir berichteten, hatte der Ober-

leutnant festgestellt, daß die Maschine von beiden Posten gut bewacht

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NOT

wurde und auch der Unteroffizier im Flugzeug »auf Posten« war. Selt-

samerweise sagten weder Hopgood noch die Wachen etwas über das

Erscheinen Lubienskis und Privatsekretär Kulakowskis beim Liberator aus.

Auch auf die Vorladung des Fliegers, der die Abholung der Postsäcke

veranlaßt hatte, schien die Kommission keinen Wert zu legen.

Eine Woche lang hatte der militärische Untersuchungsausschuß

beraten und verhört, von einem feststehenden Ergebnis über die näheren

Umstände des Unglücks � ganz zu schweigen von den Ursachen � war man

aber noch ebenso weit entfernt wie am ersten Tage. Major Dudzinski, der

polnische Beobachter, berichtete Tadeusz Ullmann, er habe mit Ent-

schiedenheit gefordert, ein mit der Unglücksmaschine identischer Libera-

tor Mark II müsse nach Gibraltar geflogen werden, damit man ver-

schiedene Tests vornehmen könnte � vor allem wolle er prüfen lassen, ob

es überhaupt möglich sei, das Höhenleitwerk absichtlich zu blockierenÈÎÈ

bzw. ob es durch andere äußere Einwirkungen, etwa das plötzliche Ver-

rutschen schlecht gestauter Gepäckstücke, verklemmt werden könne.

Hauptmann Prchal ließ sich von dem zunehmenden Beweismaterial,

das gegen die technische Möglichkeit einer Steuerungsblockierung sprach,

nicht irritieren und blieb weiterhin bei seiner Behauptung. Gegen Ende der

Untersuchung wurde er noch einmal als Zeuge vorgeladen und gefragt,

was er mit seiner früheren Aussage gemeint habe: damals habe er seinen

Kopiloten, den verunglückten Major Herring, aufgefordert, »schnell die

Steuerung zu überprüfen«. Prchal deutete an, Herring könne versehentlich

am Feststellhebel für die Leitwerkflächen hantiert haben. »Ich meinte, er

solle �Schnell die Steuerung betriebsklar machen�, und habe das, glaube ich,

auch gesagt*ÈÎÍ.« Hier dürfte es sich um eine absolut unhaltbare Behaupt-

ung handeln, erkennt man doch schon nach einem kurzen Blick auf den

Sperrmechanismus � ein kombiniertes Zahnrad-Seilzugsystem, das mit

* Aus den Vorschriften für militärische Untersuchungsausschüsse dürfte hervorgehen,daß Prchal beim ersten Mal die Worte »Steuerung zu überprüfen« gebraucht hat. Diebetreffende Vorschrift lautet: »Die Zeugenaussagen müssen in Erzählform der N. Personzu Protokoll genommen werden, wobei man sich so nahe wie möglich an dentatsächlichen Wortlaut halten soll. Frage- und Antwortform sind zu vermeiden, sofernder Ausschuß nicht für nötig befindet, bestimmte Fragen und Antworten wörtlichfestzuhalten.« Die in Frage kommende Bemerkung wurde innerhalb der Antwort auf einebestimmte Erkundigung geäußert

PRR.

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NOU

den beweglichen Teilen von Höhen-, Seiten- und Querrudern verbunden

ist und mittels einer einfachen Fernsteuerung bedient werden kann �, daß

keines der Blockierritzel greift, wenn nicht sowohl Seiten- als auch Höhen-

leitwerk genau in der »neutralen Stellung«, also der Sperrposition sind.

Beim Start mußte Prchal die Steuersäule zurückziehen, kurz danach

wieder nach vorn drücken � von einer »neutralen« Position kann also gar

nicht die Rede sein. Man verzichtete allerdings darauf, den Piloten Prchal

eingehender über diesen Punkt zu befragen.

Nach einigen Tagen war ein dem AL ROP entsprechender Liberator

Mark II eingeflogen worden, und man ließ in aller Stille Tests vornehmen

(die Tests waren so geheim, daß die Polen gar nichts davon wußten). Auch

dem Ausschuß mußte inzwischen zur Kenntnis gekommen sein, daß sich

an Bord der Maschine eine Menge »wahllos«ÈÎÏ verstauten Gepäcks befun-

den hatte, wußten doch in Gibraltar genügend Leute um diese Tatsache

(Bolland, Perry, Bailey, Stevens und Quayle, um nur einige zu nennen).

Jedenfalls führte die Vermutung, ein Gepäckstück sei zu nahe am

Steuermechanismus gestaut worden und hätte die von Prchal beschriebene

Blockierung verursacht, zu Spezialtests mit dem Liberator. Der Antrieb-

seilzug für das Höhenleitwerk reichte von den beiden Steuerknüppeln in

der Pilotenkanzel bis zum Höhenrudermechanismus im Heck der

Maschine, einer einfachen Glockengelenk-Vorrichtung, mittels derer die

eigentlichen Höhenruderklappen gehoben bzw. gesenkt wurden. Eine

Metallhülle, die am Bombendepotraum � wo sich Passagiere und Ladung

befanden � entlanglief, schützte den Seilzug vor äußeren Einwirkungen,

hinter der Querwand jedoch lagen die Kabel frei. Oberstleutnant Stevens

führte überall an den Kabeln Untersuchungen und Experimente durch

und gelangte schließlich zu dem Ergebnis, daß die Steuerkabel weder

durch Einwirkung von Gepäck noch durch die Passagiere selbst hätten

verklemmt bzw. blockiert werden können. Auch als er sich bemühte, die

Funktion der Seilzüge zu stören � er hielt sie fest, lehnte sich dagegen und

stopfte einen Lappen in die Löcher der Querwand, durch die die Kabel

liefen �, konnte er nicht den geringsten Blockiereffekt erzielen. Ferner

stellte er Knüppel bzw. Fußhebel für Höhen- und Seitenruder genau in die

neutrale Position und versuchte dann, den Sperrmechanismus zu

betätigen, indem er an den entsprechenden, ebenfalls am Rumpf des

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NOV

Flugzeugs entlanglaufenden Kabeln zog: »Es war mir unmöglich, genügend

Zug auf das Kabel auszuüben, um das Antriebsrad rotieren zu lassen«,

erklärte er später vor dem AusschußÈÎÌ.

Trotz aller Versuche war es den Offizieren also immer noch nicht

gelungen, wirklich stichhaltiges Material zur Unterstützung der These

Prchals zu erhalten. Der Militärgouverneur von Gibraltar schreibt später in

seinen persönlichen Aufzeichnungen über diese Episode: »Wir stellten mit

dem entsprechenden Flugzeug Versuche an, indem wir Gepäck an allen

möglichen Stellen unterbrachten, es war aber klar, daß durch irgendein

Verrutschen von schlecht verstautem Gepäck wohl weder Steuerknüppel

noch -mechanismus blockiert bzw. gestört werden konntenÈÎÓ.«

Im Unterhaus wurde der Luftfahrtminister gefragt, ob man gedenke,

den Bericht des militärischen Untersuchungsausschusses zu veröffent-

lichen. Es war kein Wunder, daß er die Frage verneinte. Er sagte, daß er

hoffe, in angemessener Zeit eine Erklärung abgeben zu können, und er

versicherte den Parlamentsmitgliedern, daß auch die polnische Regierung

im Ausschuß repräsentiert seiÈÎÔ.

In London war man bemüht zu glauben, das schreckliche Mißgeschick

beruhe auf einer ganz harmlosen Ursache. Sir Alan Lascelles, der damalige

Persönliche Sekretär von König Georg VI., sprach mit dem Chef des

britischen Generalstabs: »Ich fragte Alanbrooke, ob das Geheimnis jemals

aufgeklärt worden sei; er erklärte, es sei festgestellt worden, daß es sich

zweifellos um einen Unfall gehandelt habe � allerdings einen ganz

besonderen. Kurz nach dem Absturz Sikorskis verunglückte eine andere

Maschine desselben Typs auf die gleiche Weise: am Ende der Startpiste

konnte sie nicht vom Boden abheben und wurde zu Atomen zer-

schmettert, niemand überlebte. Experten konnten bei anderen Flugzeugen

dieses Typs nichts Fehlerhaftes entdecken, einige Wochen später jedoch

entkam noch ein Pilot nur ganz knapp einem ähnlichen Unfall: als er den

Steuerknüppel zurückzog, um die Maschine steigen zu lassen, entdeckte er

gerade noch rechtzeitig, daß der Hebel sich nicht bewegen ließ. Wie er

dann bemerkte, war der dünne Gummischlauch, mit dessen Hilfe er sich

mit der Besatzung verständigte, in die Lücke unten am Steuerknüppel

gerutscht und hatte ihn dadurch blockiert. Er konnte den Schlauch gerade

noch herausziehen und die Maschine in die Luft bekommen, bevor sie

Page 130: Irving David - Mord aus Staatsräson

NPM

gegen eine Mauer am Ende der Piste raste. Alanbrooke sagte, die Experten

bezweifelten nicht im geringsten, daß die beiden früheren Abstürze auf

dieselbe Ursache zurückzuführen seienÈÏÊ.«

Sollte es sich hier tatsächlich um eine zutreffende Wiedergabe der

Meinung Alanbrookes handeln, so ist der Generalstabschef des britischen

Empire sicher irregeführt worden. Der Liberator hatte keinen eigentlichen

Steuerknüppel, sondern ein säulenförmiges Steuerinstrument mit einem

Radaufsatz, das in einem Schubrohr vor- und rückwärts glitt. Außerdem

gab es in der Kanzel natürlich keinen Sprechschlauch aus Gummi.

In Gibraltar beruhigte sich das Wetter. Der Wind flaute ab, und der

Seegang ließ nach. Für vier Tage hatte man die Bergungsarbeiten an der

östlichen Küste einstellen müssen, am NP. Juli wurde befohlen, sie wieder-

aufzunehmen. Die Royal Navy hatte die Pause genutzt, um Vorbereit-

ungen für eine minuziöse Untersuchung des Meeresbodens zu treffen.

Baileys Froschmänner sollten ein genau bezeichnetes System von Plan-

quadraten absuchen, das sich in einem Umkreis von über PRM m um die

Aufschlagstelle des Wracks erstreckte. Die den Froschmännern nicht mehr

zugänglichen, tieferen Stellen wurden von Tiefseetauchern durchkämmt,

die auch die größeren Wrackteile bargen. Es herrschten nicht mehr so

günstige Bedingungen wie zuvor, da die Dünung und der Unterwasser-

strom große Mengen von Sand führten und so die Sichtweite auf wenige

Fuß begrenztenÈÏÁ. Am folgenden Tag benutzte man ein Schleppnetz, das

von einem Dampfer über dem tiefer gelegenen Meeresboden hin und her

gezogen wurde. Nennenswerte Ergebnisse wurden jedoch weder durch

Schleppnetz noch die erneute Tauchtätigkeit erzieltÈÏË. Trotzdem ließ

Oberstleutnant Stevens Taucher und Froschmänner weitermachen.

Abermals erschien die »Moorhill« an der Unglücksstelle und hievte erneut

die im flachen Wasser abgesetzte Tragflächenpartie des abgestürzten

Liberator AL ROP hoch. Das unförmige Gebilde wurde fast NM km weit

durch das Meer geschleppt und schließlich � neben der »Moorhill« � in

den Marinedocks am Militärkai festgemacht. Hier ereignete sich ein

anderes tragisches Mißgeschick: als die Flügelpartie von einem Kran

hochgezogen wurde, riß eines der Tragkabel, peitschte am Kai entlang und

traf einen spanischen Arbeiter am HalsÈÏÈ. Gestikulierende Hafenarbeiter

sammelten sich um den Verunglückten, der bewegungslos am Boden lag,

Page 131: Irving David - Mord aus Staatsräson

NPN

und liefen dann zum Schiff, wo sie dem an Deck stehenden Stevens

zuriefen: »Ha muerto! Ha muerto!*« Das Kabel hatte das Genick des

Spaniers gebrochen � ein letztes Opfer der nach wie vor ungeklärten

KatastropheÈÏÍ.

Bald darauf hatte man den Tragflächenteil glücklich auf den Kai

gehievt, wo Fliegerhauptmann Buck, der Inspektor vom »Accident

Investigation Branch« des Luftfahrtministeriums ihn untersuchte und

teilweise auseinandernahm. Nach jedem Abschnitt hielt er ein, um die

wichtigsten Bestandteile der Tragflächen von allen Seiten genau abzufoto-

grafieren. Der Hauptsteuermechanismus, in den Überresten der Piloten-

kanzel von Schlamm und Triebsand bedeckt, war noch genügend gut

erhalten, um brauchbare Untersuchungsergebnisse zu erzielen. Die

Steuersäule des Ersten Piloten stand ganz nach vorn und war vom Sand in

dieser Position eingeklemmt worden. Sobald der Sand aber entfernt war,

ließ er sich (und mit ihm auch die Steuersäule des Kopiloten) frei bewegen.

über die Position der beiden Hauptsteuerinstrumente befragt, erklärte

Stevens später dem Ausschuß, der betreffende Rumpfteil des Flugzeugs sei

so schwer beschädigt worden, daß man aus der Endstellung der mittels

Kabel betätigten Leitwerkinstrumente (wie Steuerknüppel und Leitwerk-

Verriegelungshebel) keine definitiven Schlüsse ziehen könneÈÏÎ. Am NS. Juli

bargen die Froschmänner einen Propeller des Liberator und lokalisierten

einen weiteren, den sie allerdings nicht ausgraben konnten, da er zu hoch

mit Sand bedeckt war. Man ließ ihn unten zurück, wo er sich höchst-

wahrscheinlich noch heute befindet.

Da der Militärkai dringend für andere Zwecke benötigt wurde, ließ die

RAF die Tragflächenpartie des abgestürzten Flugzeugs in drei Teile

zerlegen, die anschließend zur Bergungseinheit der Air Force transportiert

wurden. Am NT. Juli kamen Oberstleutnant Stevens, Oberleutnant

Lubienski und der Marineverbindungsoffizier des Gouverneurs überein,

die Bergungsarbeiten nunmehr einzustellen. Mason-Macfarlane gab an

jenem Tag ein Mittagessen im »Convent«, um allen an der schwierigen

Bergungs- und Tauchoperation beteiligten Personen seinen Dank

auszudrücken; man hatte unter anderen auch Oberleutnant Bailey und

* »Er ist tot! Er ist tot!«

Page 132: Irving David - Mord aus Staatsräson

NPO

seinen Vorgesetzten, Fregattenkapitän Hancock, eingeladenÈÏÏ.

Hauptmann Prchal, der Pilot der Unglücksmaschine, wurde nach

seiner Entlassung aus dem Krankenhaus ebenfalls ins Regierungsgebäude

gebeten � Macfarlanes Leute beobachteten, wie er humpelnd den Innenhof

überquerte. Der Gouverneur kommentierte später, zu seinem Militär-

adjutanten gewandt: »Oh, das ist ein guter Mann . . . das ist wirklich ein

guter Mann! ÈÏÌ«

Als letzter Zeuge wurde Oberstleutnant Stevens, der höchste technische

Offizier der Royal Air Force in Gibraltar, vor den Militärausschuß geladen.

Inzwischen waren aus Farnborough die Zwischenergebnisse einer

Untersuchung, die von den Royal Air Engineers an bestimmten Wrack-

teilen durchgeführt worden war, eingetroffen (die Kommission hatte ihre

Arbeit einige Zeit einstellen müssen, um diese Ergebnisse abzuwarten).

Stevens schilderte, was er nach der genauen Inspektion des Wracks und

der Steuerinstrumente festgestellt hatte. Im großen und ganzen deckten

sich seine Angaben mit der Schilderung des Piloten Prchal. Der Tscheche

hatte angegeben, die beweglichen unteren Startklappen seien zur Hälfte

ausgestellt gewesen � Stevens fand, daß sie zu drei Achteln ausgestellt

waren. Die Fahrwerkverriegelung war unbeschädigt geblieben, und daraus

schloß Stevens, daß sich das Fahrgestell im Moment des Aufpralls auf das

Meer in einer Zwischenposition befunden hatte, also weder ganz ein- noch

vollständig ausgefahren war. Die vier Drosselventile waren fast geschlossen,

und beide Hauptzündschalter (die sich vor dem Platz des Kopiloten, also

außer Reichweite Prchals, befanden) waren ausgeschaltet*. Alle vier für die

Regulierung der Propellerblatt-Anstellwinkel bestimmten Bedienungs-

knöpfe auf dem Kontrollbrett standen in neutraler Position � die

Untersuchung der beiden geborgenen Motoren hatte allerdings ergeben,

daß die Propellerblätter leicht angewinkelt warenÈÏÔ.

Durch Stevens� Aussage wurde die Behauptung des Piloten, der Kopilot

könne versehentlich am Leitwerk-Verriegelungshebel hantiert haben,

* Demnach war der Kopilot, Major Herring, an dem Notwasser-Manöver aktiv beteiligtgewesen. Oberstleutnant Stevens neigt heute zu der Ansicht, daß die beiden Schalterunmöglich durch Absturzeinwirkung hätten betätigt werden können � gewöhnlich mußtenämlich ein Sicherheitsriegel entfernt werden, bevor man die Schalter herumlegenkonnte

PSU.

Page 133: Irving David - Mord aus Staatsräson

NPP

entkräftet. Die Möglichkeit, so etwas während des Fluges zu machen,

bestand ohnehin kaum. Wenn die für die beweglichen Teile von Seiten-

und Höhenrudermechanismus bestimmten Gleitritzel zur Zeit des

Absturzes in Sperrposition gebracht (also betätigt) worden wären, hätte

man erkennen können, daß sie »Zeichen« aufwiesen, »einern Schub

unterlegen zu haben«. Kurz gesagt, sie wären gespannt gewesen. Das war

aber nicht der Fall. Stevens hatte weiter festgestellt, daß die Achse der

Feststellrolle (mittels derer die Ritzel bewegt wurden) beschädigt war �

diese Beobachtung führte zu einer weiteren Untersuchung des Luft-

fahrtministeriums, das sämtliche Leitwerk-Sperrmechanismen inzwischen

aus dem Heck des Liberator hatte entfernen und nach Farnborough

bringen lassen. Stevens erklärte vor dem Ausschuß, er habe aus Farn-

borough gehört, die Beschädigung sei »möglicherweise beim Absturz«

durch Torsions-Stress verursacht worden.

Als der militärische Untersuchungsausschuß am OQ. Juli NVQP das

Verfahren abschloß, hatte man immer noch nicht genau klären können,

was vorgefallen war � ein solches »Resultat« war bei Flugzeugunglücken

allerdings nicht ungewöhnlich. In seinen Empfehlungen konzentrierte sich

der Ausschuß auf kleinere Fehler und Verstöße gegen die Vorschriften �

wobei der Pilot nicht betroffen war � und umriß allgemein, wie das

Unglück seiner Meinung nach passiert war. Man gab ferner zu bedenken,

alle Passagiere sollten künftig vor dem Besteigen von Transportflugzeugen

»ohne Rücksicht auf ihre Wichtigkeit« ordnungsgemäß kontrolliert und

abgefertigt werden, außerdem seien die Vorschriften für sachgemäße

Verstauung loser Gepäckstücke rigoros zu verschärfen. Durchschläge des

Flugzeug-Frachtbriefes müßten bei allen Verantwortlichen vorhanden

sein: diese Empfehlung war ein schwerer Schlag für Flugzeugbesatzungen,

die unerlaubte Nebeneinnahmen aus der Beförderung »schwarzen Ge-

päcks« bezogen.

Die Sicherheitseinrichtungen des Flugplatzes von Gibraltar bezeichnete

man als angemessen, bedauerte dagegen das Abwerfen von Leuchtkugeln

über Flugzeugabsturz-Stellen wegen der damit verbundenen Feuergefahr.

Die Rettungsjolle, voll weiser Voraussicht von Oberst Bolland am östlichen

Ende der Piste auf Helling gelegt, solle mit einer Suchlampe und dem

geeigneten Außenbordmotor versehen werdenÈÌÊ.

Page 134: Irving David - Mord aus Staatsräson

NPQ

Die großen Unklarheiten konnten allerdings nicht beseitigt werden.

Zwei Zeugen, ein RAF-Offizier und ein Flugzeughandwerker, hatten

unabhängig voneinander ausgesagt, Prchal sei mit angelegter Rettungs-

weste aus dem Meer gefischt worden (einer der Zeugen gab an, die Mae

West sei »aufgeblasen« gewesen) � auf diese Tatsache ging der Ausschuß

gar nicht erst ein. Es blieb ebenfalls ungeklärt, auf welche Weise der

Postsack auf der Piste gelandet sein konnte und wieso Flieger, die sich auf

ihrer Routinepatrouille dem Liberator AL ROP genähert hatten, von der

dort postierten Armeewache nicht bemerkt wurden.

Auch für die tatsächliche Ursache des Unglücks fand der Ausschuß

keine einleuchtende Erklärung. Man kam zu dem Schluß, die Maschine sei

aus nicht mehr zu klärenden Gründen manövrierunfähig geworden:

Der Pilot hatte die Steuersäule nach vorn geschoben, um sonach dem Abheben vom Boden an Geschwindigkeit zu ge-winnen, und konnte sie dann nicht mehr zurücknehmen, da dasSystem des Höhenleitwerk-Mechanismus irgendwo vollkom-men blockiert war. Aus dem Beweismaterial und der Unter-suchung des Wracks geht nicht hervor, aus welchem konkretenGrund das Höhenleitwerk blockiert war.

Die Überlegung, der Absturz sei möglicherweise gar kein Unfall, wurde

trotzdem ohne jede weitere Begründung von der Hand gewiesen: »Der

Ausschuß ist der Ansicht, daß bei dem Absturz des Liberator AL ROP von

Sabotageakten nicht die Rede sein kann.« Am OP. Juli wurde der Report

von den Ausschußmitgliedern und dem Vorsitzenden, nicht jedoch von

den Beobachtern, unterschrieben. Geschwaderkommandeur Simpson

leistete am folgenden Tag seine Gegenzeichnung. Am OR. Juli verließ

Oberst Elton, der Vorsitzende, Gibraltar und nahm den Report auf seinem

Flug nach England mit sich. Die anderen Offiziere des Ausschusses folgten

eine Woche späterÈÌÁ.

Page 135: Irving David - Mord aus Staatsräson

NPR

2

Inzwischen hatte auch Hauptmann Buck, der Offizier des »Accident

Investigation Branch« vom Luftfahrtministerium, im Marinedock die drei

Teile der zerlegten Flügelpartie genau inspiziert. Buck fand keinerlei

technische Hinweise, die Prchals Angaben erhärten konnten. Insbesondere

konnte er nicht feststellen, daß Höhen- oder Seitenruder verklemmt oder

blockiert waren; alle Beschädigungen an den Ruderinstrumenten rührten

vom Aufprall auf dem Meer bzw. von den Folgen der Bergungstätigkeit

her. Buck untersuchte die Höhen- und Seitenruderflächen eingehend nach

Spuren äußerer Gewalteinwirkung, durch die sie hätten blockiert werden

können: Es war nichts festzustellen. Dann inspizierte er den gesamten

Betriebsmechanismus der Ruder, fand aber auch hier nur Schäden, die

durch Absturz und Bergung verursacht waren: die Steuerkabel, die den

Steuerknüppel im Cockpit mit dem Heckmechanismus verbanden, waren

zum Beispiel beim Auseinanderbrechen des Flugzeugs gesprungen.

Am vorderen Ende dieses Mechanismus waren beide Zahnradketten an

dem Glied, wo sie normalerweise mit dem Steuerkabel zusammentrafen,

gebrochen: »Das ließ sich auf den Druck beim Aufprall zurückführen.« Die

Ketten selbst waren in Ordnung, an keinem Kettenglied konnte Buck

Zeichen von Überbeanspruchung beobachten, keines klemmte. Die

Zahnräder, mittels derer der Steuerknüppel die Ketten in Bewegung setzte,

wurden ebenfalls minuziös geprüft, Zahn für Zahn: auch hier keinerlei

Beschädigung. Fliegerhauptmann Buck kam zu dem Schluß: »Eine

eingehende Untersuchung des Leitwerks ergab keine Anzeichen für

Blockierung vor dem AbsturzÈÌË.«

Dieses Ergebnis war so eindeutig, daß es die gesamten Schluß-

folgerungen des Untersuchungsausschusses � der Hauptmann Buck nicht

als Zeugen vorgeladen hatte � in Frage stellte. Prchal hatte behauptet, sein

Steuerwerk sei nicht mehr zu betätigen gewesen, wobei er auch gleich den

Grund vermutete: eine versehentliche Hantierung am Sperrhebel. Diese

Theorie hatte sich als unzutreffend erwiesen. Aus Hauptmann Bucks

Prüfung ging überdies hervor, daß überhaupt keine konkreten Anzeichen

Page 136: Irving David - Mord aus Staatsräson

NPS

für irgendeine Blockierung vorlagen � nach Buck gab es also keine Ursache

für das rätselhafte Versagen des Höhenleitwerks, und demnach muß auch

bezweifelt werden, ob die von Prchal angegebenen Wirkungen überhaupt

eingetreten waren. Auf den Befehl Luftmarschall Slessors hin wurde der

militärische Untersuchungsausschuß am P. August erneut zusammen-

berufen, und zwar im Hauptquartier des britischen Küstenkommandos,

Middlesex. Fliegerhauptmann Prchal mußte noch einmal aussagen*.

Dieses Mal wurde er von den Offizieren nicht mehr so zuvorkommend

behandelt,

Der stellvertretende Vorsitzende des »Accident Investigation Branch«,

Oberst P. G. Tweedie, war persönlich zugegen, als der Pilot am R. August

mit PQ Fragen konfrontiert wurdeÈÌÈ, von denen viele der Kontrolle und

Verifizierung früherer Behauptungen des Piloten (sowie seines Gedächt-

nisses � die perfekte Lüge setzt nämlich immer das perfekte Gedächtnis

voraus) dienen sollten. Der Ausschuß versuchte, Prchal zu überrumpeln,

und stellte deshalb auch eine Reihe von Fang- und Scheinfragen, deren

Bedeutung nicht sofort klar sein konnte: Von welchem Typ war das

Selbststeuergerät dieses Liberator? Erhöht sich die Geschwindigkeit eines

Liberator Mark II beträchtlich, wenn das Fahrgestell eingezogen ist? Wie

war die Pilotenkanzel beleuchtet?

Einige Fragen bezogen sich mehr oder weniger vage auf den von Prchal

geschilderten Absturz, die meisten aber nicht. Edward Prchal überstand

die strapaziöse Prüfung gut. Es gelang der Kommission nicht, die stete

Versicherung von der Steuerblockierung zu erschüttern, aber nach der

Befragung hatten sich doch einige unklare Punkte ergeben, die den

Gesamthergang des Unglücks von neuem in ein ungewisses Licht tauchten.

Zu Beginn konzentrierte sich der Ausschuß auf die Behauptung

Prchals, während des Starts sei irgendwie am Leitwerk-Sperrhebel hantiert

worden. Der betreffende Hebel ragte horizontal aus dem Instrumenten-

sockel zwischen Piloten- und Kopilotensitz hervor. Wenn sämtliche

Leitwerkruder in neutraler (»gesperrter«) Position standen, konnte der

Sperrhebel nach oben angezogen werden und blockierte so die Ruder

* Vgl. »Manual of Air Force Law«, NVPV, §NOR, F: »Ein Untersuchungsausschuß kann so oftwiedereinberufen werden, wie es die Dienststelle, die den Ausschuß berief, für richtighält.«

Page 137: Irving David - Mord aus Staatsräson

NPT

mittels des oben beschriebenen Zahnradsystems. Der in Blockierposition

befindliche Hebel konnte durch einen am Sockel anzubringenden Riemen

festgestellt werden. Es gehörte nicht nur zur Aufgabe des Piloten, sich vor

dem Start zu vergewissern, ob der Riemen entfernt und der Hebel gelöst

war, er mußte auch Sorge tragen, daß man dies einwandfrei erkennen

konnte. Die Vorschriften für den Piloten besagten, nach der Entfernung

müsse »der Riemen sicher im Oberteil der Kanzel untergebracht wer-

den«ÈÌÍ.

Die erste Frage, die man Prchal in England vorlegte, lautete: »War das

Leitwerk verriegelt, als Sie den Liberator AL ROP bestiegen?« Prchal

erwiderte: »Ja.«

»Wie war es verriegelt?«

»Mit dem Riemen; ein Ende hielt den Sperrhebel in angezogener

Position nach oben, das andere Ende . . . war an der Friktionsmutter bei

den Drosselventilen festgehakt.«

Er wurde gefragt, ob das Leitwerk � wie es Vorschrift war � auch noch

beim Anrollen der Maschine gesperrt gewesen wäre, und bejahte dies. Der

Untersuchungsausschuß fuhr fort: »Wer löste den Mechanismus, als Sie

am Ende der Piste die letzten Kontrollen im Cockpit erledigt hatten?«

Prchal antwortete, Major Herring, der Kopilot, habe das auf seine

Anordnung hin erledigt (demnach wußte Herring also, welcher Hebel

dazu diente, das verriegelte Leitwerk zu lösen, und die von Prchal im

Militärhospital von Gibraltar geäußerten Behauptungen waren hinfällig*).

In allen Einzelheiten schilderte der Pilot anschließend die auf der Piste

durchgeführten Kontrollen. Nachdem Herring die Leitwerksperre gelöst

habe, sei er selbst darangegangen, Höhen-, Quer- und Seitenruder zu

prüfen, und er habe festgestellt, daß sie sich ordnungsgemäß innerhalb der

* Diese Behauptung hatte der Pilot gegenüber dem zur Zeit des Unglücks diensthabendenFlugkontrolloffizier, Fliegerhauptmann R. B. Capes, geäußert. Die von Prchal angedeuteteMöglichkeit, jemand könne den einfachen, schmal zulaufenden Sperrhebel aus Metall mitdem Hebel, der für das Einziehen des Fahrgestells bestimmt war, verwechselt haben, istziemlich absurd: der Hebel für das Fahrgestell befindet sich links auf dem Instrumenten-sockel zwischen den Sitzen für Pilot und Kopilot und kann erst gezogen werden, wennman den auf ihm befindfichen Druckschalter betätigt und so eine durch Magnetspulengetriebene Sicherheitsvorrichtung auslöst � dadurch sollen versehentliche Betätigungendes Fahrgestellhebels vermieden werden. Ähnlichkeiten der beiden Hebel bestehen alsoweder im Aussehen, in der Lage, noch in der Betätigungsweise

PTR.

Page 138: Irving David - Mord aus Staatsräson

NPU

vorgegebenen Neigewinkel verstellen ließen: »Sie waren vollkommen in

Ordnung.«

Der Ausschuß ließ nicht locker: »Sahen Sie persönlich, daß der Kopilot

den Riemen des Leitwerk-Verriegelungshebels löste?«

Prchal nickte: »Ja.«

Er sollte dann erklären, auf welche Weise Herring den betreffenden

Riemen löste, und gab an, der Kopilot habe das eine Ende von der

Friktionsmutter abgestreift und er, Prchal, habe selbst gesehen, wie der

Sperrhebel in die untere, also die Entriegelungsposition, zurücksprang.

»Was geschah mit dem Riemen?«

»Im Moment weiß ich es nicht mehr. Normalerweise liegen wir ihn auf

dem Boden der Kanzel liegen.«

Der Ausschuß versuchte es anschließend in einer anderen Richtung.

Wir erwähnten bereits Prchals Behauptung, die Sicht beim Start sei so

hervorragend gewesen, daß er den Horizont klar erkennen konnte,

obgleich Neumond war und er in östlicher Richtung rollte. An dieser Stelle

muß auch betont werden, daß der Liberator � wie alle schweren

Maschinen � auf Instrumentenflug angewiesen war und kaum Siehtstarts

vornehmen konnte. Vor allem bei Nacht waren sie praktisch unmöglich.

Hierüber heißt es im offiziellen Piloten-Handbuch: »Wenn Sie den

künstlichen Horizont genau einstellen, bis das Miniaturflugzeug sich etwas

unter dem Querstrich befindet, können Sie nach dem Abheben von der

Piste den Steigewinkel gut einhalten, indem Sie das Miniaturflugzeug

annähernd P mm über diesem Querstrich halten. Legen Sie beim B-24

[Liberator] die Höhe genau fest und halten Sie sie gut ein, und zwar mit Hilfe

der Fluginstrumente anstatt durch Orientierung an Außenobjekten. Es

handelt sich um ein InstrumentenflugzeugÈÌÏ.«

Wieder stellte man zunächst Scheinfragen: »Wurden vor dem Start die

Aldis-Lampen zum Signalisieren benutzt?«

»Nein.«

»Wo befanden sie sich?«

»Im Abteil des Navigators.«

»Wie erhielten Sie die Erlaubnis zum Start?«

»Durch grünes Licht vom Flugplatz-Kontrolloffizier.«

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NPV

Dann fragte man den Piloten, wie er den Liberator während des

Anrollens auf der Piste gesteuert habe. Prchal gab an, zuerst die Triebwerke

und dann, bei steigender Geschwindigkeit, die Seitenruder benutzt zu

haben. In jenem Augenblick war das Seitenruder-Leitwerk offensichtlich

noch nicht blockiert gewesen. »Können Sie angeben, wie stark Sie das

Seitenruder ausstellten?«

»Sehr wenig.«

Der Ausschuß erinnerte Prchal, daß er am U. Juli mit Bestimmtheit

erklärt hatte, beim Abheben der Maschine vom Boden hätten alle

Steuerungsinstrumente korrekt funktioniert. »Wieso sind Sie dessen so

sicher?«

»Ich mußte das Flugzeug durch eine beträchtliche Rückwärtsbewegung

der Steuersäule von der Piste abbringen.« Was die anderen Ruder anging,

so sei er davon überzeugt, daß sie gelöst waren: anderenfalls hätte er es

bemerkt.

Er sollte angeben, ob er einen Blindstart vorgenommen hatte. »Nein«,

erklärte er, »Sicht und Horizont waren gut, ich blickte jedoch von Zeit zu

Zeit auf Geschwindigkeits- und Höhenmesser.« Zum erstenmal hatte der

Pilot damit zugegeben, in der Absturznacht einen Sichtstart vorgenommen

zu haben, wiederum aber blieb seine Behauptung vom »guten Horizont«

unangefochten. Der Ausschuß befand sich auf einer anderen Fährte:

»Wenn Sie der Meinung waren, das Leitwerk sei gesperrt, warum

vergewisserten Sie sich dann nicht mittels des Leitwerk-Verriegelungs-

hebels?«

Prchal antwortete: »Wenn ich mich hinuntergebeugt hätte, um das zu

tun, wäre ich nicht imstande gewesen, den Horizont zu sehen.« (Es scheint

allerdings seltsam, daß er sich noch um den Horizont kümmerte, als er

bereits die Blockierung des Höhenleitwerks entdeckt hatte.) Man

akzeptierte seine Erklärung und verzichtete darauf, über diesen Punkt

weitere Fragen zu stellen.

Der Fliegerhauptmann war nicht zu erschüttern. Der Untersuchungs-

ausschuß fragte nach der erlaubten Maximalgeschwindigkeit eines Libera-

tor Mark II, der mit ausgestellten Startklappen flog. »Zweihundertfünfzig

Page 140: Irving David - Mord aus Staatsräson

NQM

Stundenkilometer, wenn die Klappen ganz ausgestellt sind*.« Der Aus-

schußvorsitzende erinnerte ihn an seine frühere Angabe, die Geschwindig-

keit habe OSR km/h betragen. »Warum taten Sie das?«

Prchal erklärte, normalerweise wäre er nur ORM km/h geflogen, dieses

Mal aber hätte er die Geschwindigkeit erhöht, da das Flugzeug aus seiner

Kontrolle geriet und ins Meer zu stürzen drohte. Diese Begründung wäre

gar nicht nötig gewesen: Prchals neuer Verbandsführer, der ungefähr zwei

Stunden später aussagte, informierte die Mitglieder der Kommission, die

Geschwindigkeitsbegrenzung auf ORM km/h bezöge sich lediglich auf den

Flug bei voll ausgestellten Startklappen: »Wenn ich einen Bogen fliege, um

mit halb ausgestellten Startklappen an Höhe zu verlieren, überschreite ich

diese Geschwindigkeit oft. Wenn ich mit schwerer Ladung starte, bringe ich

die Geschwindigkeit immer auf mindestens OSR km/h, bevor ich überhaupt

die Startklappen einziehe�ÈÌÓ.«

Bei dem folgenden strittigen Punkt kam Prchal nicht so gut davon. Aus

dem Nahen Osten war dem Ausschuß die Verteilung der Ladung beim

Abflug des Liberator AL ROP aus Kairo mitgeteilt worden, und man wußte

inzwischen, daß � wenigstens nach Meinung des Liberator-Experten Major

Sach � Prchals Maschine schlecht gestaut und hecklastig war. Der Pilot

hatte jedoch früher ausgesagt, mit der Verteilung der Ladung zufrieden

gewesen zu seinÈÌÔ. »Warum waren Sie zufrieden?« fragte der Ausschuß.

Prchal antwortete, diesmal ausführlicher: »Erstens hatte ich den

Liberator AL ROP von Kairo ab geflogen, und in Gibraltar handelte es sich

um dieselbe Ladung, nur mit einer Ausnahme: ein Passagier mit Gepäck

befand sich zusätzlich im Bombendepotraum. Diese zusätzliche Belastung

machte aber keinen Unterschied, da sie sich in der Nähe des Schwerpunkts

des Flugzeugs befand. Zweitens hatte ich beim Anrollen festgestellt, daß

die Maschine gut auf dem Fahrgestell ausbalanciert war. Wenn der Bug zu

schwer belastet ist, tendiert sie dazu, auf dem Bugfahrgestell zu rollen, und

* Vgl. »Flight Manual B-OQD Airplane«, S. NP: »Halten Sie nach dem Abheben eineGeschwindigkeit von weniger als OQN km/h ein, bis die Startklappen eingezogen sind.« ImAbschnitt über »Flugbegrenzungen« des Liberator-II-Handbuchs vom Luftfahrtmini-sterium heißt es: »Zulässige Maximalgeschwindigkeit bei ganz ausgestellten Startklappen:ORM km/h. Zulässige Maximalgeschwindigkeit bei zu NM° ausgestellten Startklappen: OVMkm/h. Zulässige Maximalgeschwindigkeit bei ausgefahrenem Fahrwerk: ORM km/h

PTT.«

� Kursivschrift vom Autor.

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NQN

wenn das Heck zu schwer beladen wird, sackt sie hinten leicht nach unten

ab.«

Als der Ausschuß diese Bemerkung des tschechischen Piloten � »in

Gibraltar handelte es sich um dieselbe Ladung, nur mit einer Ausnahme:

ein Passagier mit Gepäck befand sich zusätzlich im Bombendepotraum« �

ohne weiteres akzeptierte, bewies er seine unkritische Einstellung

besonders deutlich. Ich werde später darlegen, in welchem Ausmaß die

Ladung des Liberator beim Abflug aus Gibraltar höher war als bei der

Ankunft. Wenn Prchal tatsächlich im Glauben gewesen sein sollte, die

Maschine hätte lediglich NPS kg mehr geladen, geht daraus höchstens

hervor, daß man ihm die wahre Sachlage nicht mitgeteilt hatte.

Erstaunlicherweise unterließ die Kommission, Erkundigungen über das

wahre Ladegewicht des Flugzeugs beim Abflug aus der Kronkolonie

einzuziehenÈÓÊ.

Ein weiterer Punkt in der Vernehmung des Piloten war rein

technischer Natur: Wieso konnte Prchal beim ersten Anrollen sicher sein,

daß das Leitwerk gesperrt war? Dann stellte der Ausschuß drei abschließ-

ende Fragen, die Routinesache schienen. Es war der Aufmerksamkeit der

Offiziere nicht entgangen, daß keines der Besatzungsmitglieder und keiner

der Passagiere Mae Wests oder Fallschirmausrüstungen angelegt hatten.

Dafür trug Prchal zweifellos die Verantwortung.

»Was unternahmen Sie bei dieser Gelegenheit, um sich zu

vergewissern, daß alle Insassen des Liberator AL ROP ihre Mae Wests

trugen?« � »Nichts.«

»Wer stellt den Passagieren Mae Wests und Fallschirme zur Verfügung

und unterrichtet sie über deren Gebrauch?«

»Die �Air Despatch and Reception Unit�.«

Abermals, und zwar in den letzten Minuten von Prchals Befragung,

tauchte ein Geheimnis auf, ein Geheimnis, das auch in allen folgenden

Untersuchungen über den Absturz General Sikorskis zur Sprache kam,

aber niemals geklärt werden konnte. Oberst Elton wandte sich an den

Piloten: »Trugen Sie bei dieser Gelegenheit eine Mae West?«

Und Edward Maks Prchal antwortete: »Nein.« Er fügte hinzu: »Die

Mae West war hinter mir, wo ich sie normalerweise habe.«

(Vermutlich sollte das heißen, daß sich die Rettungsweste an der

Page 142: Irving David - Mord aus Staatsräson

NQO

Rückseite seines Sitzes befand.)

Als man in Gibraltar von dieser glatten Verneinung hörte, erhob sich

unter den höheren Offizieren der Kolonie sofort ein Schwall von Ver-

mutungen. Der Untersuchungsausschuß hatte auch diesen Punkt nicht

näher verfolgt � offensichtlich setzte man voraus, ein unter Eid stehender

Offizier lüge niemals, und die ebenfalls eidlichen Aussagen der beiden

Augenzeugen, die Prchal aus dem Meer geholt hatten, zählten nicht. Gou-

verneur Mason-Macfarlane schrieb: »Viele von uns am Felsen machten

sich ihre eigenen Gedanken und stellten Vermutungen an, wie ein so

unerklärlicher Absturz hat passieren können.« Macfarlane gehörte zu den

Männern, denen Prchals Abstreiten am meisten zu denken gabÈÓÁ.

Die Ausschußmitglieder hatten Prchal natürlich nicht in seiner Mae

West gesehen. Wer ihn jedoch damit erblickt hatte, gab sich nicht so

schnell zufrieden. Lubienski wandte sich später an den Piloten und fragte

ihn, aus welchem Grund er gelogen habe. Prchal blickte ihn fest an und

antwortete, er müsse sich irren � er, Prchal, habe seine Mae West nicht

angelegt, sondern sie wie üblich über seinem Sitz hängen gehabt. Lubienski

erklärt heute, er habe den Tschechen ärgerlich weiter gefragt: »Wie kann

das möglich sein? Wenn Sie die Rettungsweste nicht getragen hätten,

wären Sie längst tot!« Er habe aber keine Rettungsweste getragen und

damit basta � mehr war aus Prchal nicht herauszubringenÈÓË.

Im Jahre NVQR hat Mason-Macfarlane die Episode folgendermaßen

geschildert: »Er (der Pilot) blieb steif und fest bei der Behauptung, er sei

nicht von seinen Gewohnheiten abgewichen, habe die Mae West also nicht

angelegt, als er die Maschine anrollen ließ. Als er aus dem Wasser geholt

wurde, trug er seine Mae West, und zwar nicht nur eilig übergehängt,

sondern mit sorgfältig geschlossenen und befestigten Riemen und

Schnallen � diese Tatsache bleibt bestehenÈÓÈ.

Der tschechische Luftwaffenoffizier erhielt sicher bald Kenntnis von

den ihn betreffenden Vermutungen und Gerüchten, denn er modifizierte

seine Geschichte noch einmal. Im Juli NVRP veröffentlichte eine in London

erscheinende polnische Zeitung einen Bericht Prchals, und dieses Mal

hatte der Pilot auch für die Mae West eine vage Erklärung gefunden:

»Später hörte ich, daß ich mit der linken Hand die Mae West umklammert

hätte, wodurch ich an der Oberfläche gehalten und gerettet wurde . . .

Page 143: Irving David - Mord aus Staatsräson

NQP

Sofort nach meiner Ankunft im Hospital wurde ich ärztlich behandelt und

war immer noch bewußtlos. Am vierten Tag erlangte ich das Bewußtsein

wiederÈÓÍ.« Also konnte nur jemand, der sich in der Unglücksnacht nicht

in der Rettungsjolle befunden hatte, dem Piloten erzählt haben, er hätte

die Rettungsweste »umklammert«*ÈÓÎ. Obwohl bewußtlos, hielt der

Tscheche demnach seine Mae West krampfhaft fest und wurde so, wie er

erklärte, durch die Perspex-Verglasung der Pilotenkanzel geschleudert . . .

Kein Wunder, daß die Sanitätsoffiziere des Militärkrankenhauses von

Gibraltar einen solchen Fall mit großem Interesse untersuchten!

Nach Beendigung des Piloten-Kreuzverhörs wurde Fliegerhauptmann

Buck, der Unfallspezialist des Luftfahrtministeriums, aufgerufen; seine

Vorladung hatte man mit dem Ministerium besonders vereinbart. Er

schilderte in allen Einzelheiten, was seine technische Überprüfung des

Flugzeugwracks ergeben hatte: vor allem lagen keine Hinweise für eine

Blockierung oder Verklemmung des Leitwerks vor, außerdem war der

Leitwerk-Sperrhebel im Augenblick des Aufpralls nicht angezogen

gewesen. Über diesen Punkt wollte man Genaueres wissen und fragte

Buck, was er zu finden erwartet hätte, wenn der Feststellhebel tatsächlich

betätigt gewesen wäre. Buck gab eine ähnliche Antwort wie vor ihm

Oberstleutnant Stevens: »Anzeichen von Überbeanspruchung oder Ver-

krümmung der Riegelbolzen.«

Der Ausschuß fragte ihn weiter: »Haben Sie jemals davon gehört, daß

ein Liberator versucht hätte, mit blockiertem oder verriegeltem Leitwerk

abzuheben bzw. daß er wirklich mit blockiertem Leitwerk abhob?« (Hier

spielte man indirekt auf Prchals angebliche Erfahrungen mit Major

McPhail an.)

»Ja«, erwiderte der auf Unfälle spezialisierte Offizier. »In einem Fall

versuchte ein Liberator, mit blockierter Steuerung abzuheben, konnte die

Piste aber nicht verlassen.« Der etwas schmächtige Beamte des Luftfahrt-

* Die eidliche Aussage des Mannes, der Prchal aus dem Wasser zog � es handelte sich umden Flugzeughandwerker Derek Qualtrough, der heute auf der Insel Man lebt �, lautete:»Innerhalb von ungefähr fünf Minuten erreichten wir die Absturzstelle, wo uns jemandaus dem Wasser anrief. Wir zogen ihn sofort an Bord. Er trug eine aufgeblasene Mae-West-Rettungsweste und war ziemlich bei Bewußtsein, konnte aber nicht zusammen-hängend sprechen.« Kurz darauf wurde Prchal auf eine Luft/See-Rettungsbarkasse umge-laden. Ihr Kommandant, Fliegerhauptmann Posgate, sagte unter Eid aus: »Der Pilot trugeine Mae-West, jedoch keine Fallschirmausrüstung.«

Page 144: Irving David - Mord aus Staatsräson

NQQ

ministeriums fuhr trocken fort: »Die Maschine raste quer über das gesamte

Flugfeld und prallte mit hoher Geschwindigkeit gegen einen HangarÈÓÏ.«

Anschließend wurde der oberste Testpilot von Farnborough, Major

Roland Falk, aufgerufen und eingehend befragt, ob ein Liberator, dessen

Gesamtgewicht OQ.TRM kg betrug, durch irgendeinen besonderen Trick in

die Luft gebracht werden könnte, wenn das Leitwerk blockiert sei. Falk

erklärte, eine solche Möglichkeit könne er sich nur in der Theorie

vorstellen, und zwar bei einer Mindeststundengeschwindigkeit von OVM

km, oder aber, wenn die Ladung ganz hinten im Heck untergebracht wäre

� dann würde das Flugzeug jedoch sofort nach dem Abheben wieder an

Höhe verlieren und abstürzen: »Meiner Meinung nach existiert diese

Möglichkeit praktisch gar nicht.« Ein weiterer interessanter Punkt in Falks

Aussage bezog sich auf die Verteilung der Ladung. Der Pilot eines

Flugzeugs könne niemals beim Anrollen beurteilen, ob die Nutzlast falsch

oder richtig verteilt sei. Falk erklärte außerdem, bei der Start- bzw.

Anrollgeschwindigkeit des Liberator betrage die negative Toleranz des

Höhenmessers NM mÈÓÌ � wie die Kommission anschließend feststellte, war

Prchal diese Tatsache auch bekanntÈÓÓ. Fliegerhauptmann Wallace

Watson, der neue Verbandsführer des Piloten, sagte vor der Unter-

suchungskommission, er habe Prchal früher über den Gebrauch von

Flugzeugen dieses Typs unterrichtet; von RM Piloten, die er für Liberators

angeleitet habe, sei der Tscheche der Beste gewesenÈÓÔ. Nach Watson

wurde kein weiterer Zeuge aufgerufen.

Nachdem der militärische Untersuchungsausschuß mehr als dreißig

Zeugen � zum Teil wiederholt � vernommen hatte, gab er zu, der Wahr-

heitsfindung nicht nähergekommen zu sein. Um eine letzte Theorie

eingehend zu prüfen, fuhren die drei Kommissionsmitglieder, der

polnische Beobachter Major Dudzinski, Oberstleutnant Russell, der

britische Beobachter, sowie ein Major der RAF-Ausbildungseinheit für

Liberators in Beaulieu zum Stützpunkt der Royal Air Force nach Lyneham.

Nach der betreffenden These hätte es möglich sein können, durch

Einziehen des Bugfahrwerks in den Raum unter dem Cockpit der

Maschine den Steuermechanismus zu blockieren. Ein Liberator Mark II

vollkommen gleicher Bauart wurde auf ein riesiges Gestell gehievt, und

man nahm ausgiebige Experimente und Untersuchungen vor. Luft-

Page 145: Irving David - Mord aus Staatsräson

NQR

Vizemarschall Elton hat erst vor kurzer Zeit geschildert, was nicht im

neuen Report der Kommission verzeichnet war: Einen ganzen Tag lang

quetschte man Postsäcke und Matratzen in den Bugraum der Maschine,

um bei eingezogenem vorderen Fahrgestell den Leitwerkmechanismus zu

verklemmen . . . Auch hier kam man jedoch zu dem Ergebnis, »dies könne

nicht als eine mögliche Ursache des Absturzes betrachtet werden«ÈÔÊ.

Obgleich alle Theorien, die Prchal und die Experten als Unfallursache

vorgeschlagen hatten, nacheinander verworfen werden mußten und

obgleich auch weiterhin nicht geklärt werden konnte, wie das Unglück

geschah, hielt der militärische Untersuchungsausschuß der Royal Air Force

nach wie vor eine Blockierung des Höhenleitwerks für den Absturz des

Liberator AL ROP verantwortlich � schließlich hatte der Pilot selbst diesen

Grund angegeben. »Fliegerhauptmann Prchal trug keinerlei Schuld« an

dem Unglück, bei dem General Sikorski und seine Begleiter den Tod

fanden � zu diesem Schluß kam die Kommission.

Page 146: Irving David - Mord aus Staatsräson

NQS

DRITTER TEIL

Fragen ohne Antwort

VII. Die Präzedenzfälle

Prchal war damit von aller Schuld freigesprochen.

Luftmarschall Sir John Slessor, der oberste Offizier des Küsten-

kommandos, sah in der zweiten Augustwoche NVQP das gesamte Beweis-

material durch und erstattete am NN. August dem Londoner Luftfahrt-

ministerium Bericht: Da es nicht gelungen sei, die Blockierung des

Leitwerks der Maschine plausibel zu erklären, scheine die Entscheidung

des militärischen Untersuchungsausschusses die einzig mögliche. Slessor

stimmte mit der Kommission auch darin überein, man könne »Flieger-

hauptmann Prchal keine Schuld an diesem Unfall anlasten«ÈÔÁ.

Unter Berücksichtigung der umfassenden Sicherheitsmaßnahmen auf

dem Flugplatz von Gibraltar fällt es natürlich schwer, an einen Sabotageakt

zu glauben. Die Zivilangestellten der Royal Air Force hatten allerdings die

Möglichkeit gehabt, aus dem Liberator des polnischen Ministerpräsidenten

Postsäcke zu entnehmen, ohne dabei von den Sicherheitsposten bemerkt

zu werden; Slessor sprach die Empfehlung aus, diesen Vorfall zum

Gegenstand disziplinarischer Maßnahmen zu machen. Da die RAF jedoch

durch die Aufstellung von Spezialwachen ungewöhnlich wirksame Vor-

sorge getroffen hatte, braucht man die nachlässige Pflichterfüllung der

Armeesoldaten nicht überzubewerten. Die ganze Angelegenheit könnte

hier schon zu ihrem Abschluß gekommen sein. Edward Prchal erklärt

heute, er persönlich sei mit dem Ergebnis des Untersuchungsausschusses

»ganz zufrieden« gewesenÈÔË. Wie Sir Archibald Sinclair einen Monat

zuvor dem Unterhaus versprochen hatte, entwarf das Luftfahrtminister-

ium ein offizielles Kommuniqué, das am N. September über das Foreign

Office dem Londoner Botschafter der polnischen Regierung, Graf

Page 147: Irving David - Mord aus Staatsräson

NQT

Raczynski, zugeleitet wurdeÈÔÈ. Man fragte bei den Polen an, ob gegen den

vorgeschlagenen Kommuniquétext Einwände bestünden.

»Das Luftfahrtministerium gibt bekannt:Der Report des militärischen Untersuchungsausschusses,

der die Gründe des Liberator-Unfalls, bei dem General Sikorskiam Q. Juli NVQP ums Leben kam, ermitteln sollte, ist inzwischenin Empfang genommen worden.

Die Ergebnisse der Untersuchung sowie die Beobachtungender Offiziere, die diese Resultate durchzusehen und zu kom-mentieren hatten, sind berücksichtigt worden, und es darf alszweifellos angenommen werden, daß der Unfall kurz nach demStart infolge einer Blockierung des Höhenleitwerks, durch diedas Flugzeug manövrierunfähig wurde, verursacht worden ist.

Nach äußerst sorgfältiger Prüfung allen verfügbaren Beweis-materials, einschließlich der Aussagen des Piloten, war es nichtmöglich festzustellen, weshalb die Steuerung blockiert war, es istaber erwiesen worden, daß keine Sabotage vorlag.

Es ist ebenfalls klar, daß den Piloten der Maschine, einenFlugzeugführer von großer Erfahrung und außergewöhnlichenFähigkeiten, keinerlei Schuld trifft. Ein Offizier der polnischenLuftwaffe wohnte dem gesamten Verfahren beiÈÔÍ.«

Warum man Major Dudzinski, den »Offizier der polnischen Luft-

waffe«, aufgefordert hatte, bei den Verhandlungen als Beobachter zu

fungieren, war den Polen somit klargeworden � ihre Enttäuschung

erreichte allerdings den Höhepunkt, als sie den vorletzten Absatz des

Kommuniqués zur Kenntnis genommen hatten. Für eine solche unein-

geschränkte Lobpreisung des Piloten sahen sie absolut keinen Grund und

argumentierten weiter, es sei unmöglich, a priori einen Sabotageakt

auszuschließen, wenn man noch nicht einmal hatte feststellen können,

warum das Leitwerk blockiert gewesen war. So erwachten die dunklen

Vermutungen über den Absturz zu neuem Leben, und die Sikorski-Affäre

geriet wieder in den Brennpunkt allgemeiner Diskussionen. Am P.

September wies der polnische Ministerrat den Kommuniquéentwurf

zurück, da er seiner Ansicht nach lediglich gegen die Andeutungen der

Deutschen (d. h. gegen den Sabotageverdacht) polemisierte, anstatt die

Sabotagetheorie auf einer wirklich realen Basis zu entkräftenÈÔÎ. Die

Schlußfolgerung der Untersuchungskommission, wonach die Sicherheits-

Page 148: Irving David - Mord aus Staatsräson

NQU

vorkehrungen auf dem Flugplatz von Gibraltar umfassend und gründlich

gewesen seien, bezeichneten die Polen als »besonders schwach«ÈÔÏ. Man

wies den Generalinspekteur der polnischen Luftwaffe an, Report und

Protokolle des Ausschusses zu prüfen und dem Ministerrat anschließend

ein objektives Gutachten vorzulegen, das man zusammen mit den Kom-

missionspapieren dem Justizministerium in der St. James Street unter-

breiten wollte. Hier waren die fähigsten Juristen der polnischen Exil-

regierung versammelt.

Auch diese Ermittlungen litten � wie alle folgenden Untersuchungen

der Polen � unter einem grundsätzlichen Mangel: Man konnte die Zeugen

der RAF-Kommission nicht zum Verhör laden, hatte also keinerlei

Möglichkeit, von diesen Personen neues Beweismaterial zu erhoffen, und

mußte die Untersuchung praktisch im luftleeren Raum durchführen.

Lediglich die Polen, die sich zur Zeit des Unglücks in der Kronkolonie

befunden hatten, konnten eventuell Licht in das Dunkel bringen.

Wenige Tage nach dem Absturz hatte Oberleutnant Lubienski einen

detaillierten Bericht über die Katastrophe zusammengestellt. Man forderte

Major Dudzinski und Tadeusz Ullmann ebenfalls auf, ihre Meinungen und

Eindrücke schriftlich niederzulegen. Neues Beweismaterial ergab sich

dadurch allerdings nicht, und es war unmöglich, allein auf Grund von

Anhaltspunkten ein weiteres offizielles Verfahren in Gang setzen zu lassen.

Für die Polen war es besonders tragisch, daß sie trotz der zum Teil

durchaus stichhaltigen Verdachtsmomente vollkommen ohnmächtig

blieben. Eine ganze Serie von Umständen ließ darauf schließen, daß an der

Sache etwas faul sei � die Polen befanden sich jedoch nur als geduldete

Gäste in London und konnten beim besten Willen nicht einen der vor

Downing Street Nr. NM Wache haltenden Konstabler auffordern, den

Hauptmieter wegen Mordverdachts festzunehmen . . .* Die polnische

Luftwaffe war der Royal Air Force angeschlossen, Materialversorgung und

gesamte Existenz hingen ausschließlich von den Briten ab. Vor nur fünf

Monaten hatte man bereits gewagt, eine mit Großbritannien verbündete

* Im Guardian vom R. Mai NVST berichtete Victor Zorza, einige Elemente der extremenRechten innerhalb der polnischen Emigrantengruppen hätten schon kurz nach demUnglück die Briten für den Tod Sikorskis verantwortlich gemacht. In den polnischenKreisen Londons hat der Artikel große Beachtung gefunden.

Page 149: Irving David - Mord aus Staatsräson

NQV

Großmacht des Massenmordes anzuklagen, undenkbar also, jetzt sogar

den eigenen Gastgeber in die Reihe der potentiellen Verantwortlichen für

den Tod des polnischen Ministerpräsidenten einzubeziehen. Schon vor

dem Gedanken mußten die Polen zurückschrecken und sprachen ihn

konsequenterweise erst gar nicht aus.

Major Dudzinski legte einen dreiseitigen Bericht vor, in dem er die

Ereignisse während seines Aufenthalts in Gibraltar nüchtern aufgezeichnet

hatteÈÔÌ. Er wies darauf hin, daß man Prchal mit aufgeblasener Mae West

aus dem Wasser geholt hatte, während von den anderen Verunglückten,

die nur noch tot geborgen werden konnten, niemand mit einer

Rettungsweste versehen war. Das spätere Leugnen des Piloten hatte der

polnische Beobachter vergessen oder aber versäumt, dieser Tatsache

irgendeine Bedeutung beizumessen. Es war also Aufgabe Tadeusz Ull-

manns, des zurückhaltenden, unauffälligen Zivilbeamten vom polnischen

Innenministerium, nach der eingehenden Lektüre der britischen

Dokumente seinen Verdacht offen zu äußern. Ullmann wies darauf hin,

daß zahlreiche Fragen offengeblieben waren: wieviel Leute hatten sich im

Augenblick des Absturzes im Liberator AL ROP befunden, und wer waren

diese Personen wirklich? Wieso hatte die Maschine einen Postsack

verloren? Hatten die Offiziere der Untersuchungskommission wirklich

Versuche mit einem Flugzeug gleicher Bauart angestellt, um herauszu-

finden, ob sich das Höhenleitwerk während des Fluges verklemmen

konnte? Warum hatte man nicht geklärt, weshalb der Pilot als einziger

Insasse eine Mae West trug, und aus welchem Grund hatte Prchal später

diese Tatsache abgestritten?

Das war aber noch nicht alles. Ullmann, der sich während der

gesamten Ermittlungen in der Kronkolonie aufgehalten hatte, unterstrich

besonders, die offiziellen Nachforschungen hätten beinahe einen Monat

gedauert, die angeblich authentischen und wortgetreuen Protokolle

bildeten jedoch ein Konvolut von lediglich OP Schreibmaschinenseiten . . .

Konnten die Polen also, kurz gesagt, überhaupt sicher sein, daß man ihnen

keine manipulierte oder stark gekürzte Kopie zur Verfügung gestellt

hatteÈÔÓ? Abschriften der Stellungnahmen Dudzinskis und Ullmanns

wurden dem polnischen Generalstaatsanwalt übergeben, und man forderte

ihn auf, nach Abschluß der Ermittlungen seiner Landsleute seine persön-

Page 150: Irving David - Mord aus Staatsräson

NRM

liche Ansicht über die Unfallursache mitzuteilenÈÔÔ.

Auch die polnische Luftwaffe berief eine Untersuchungskommission*,

die die Widersprüche des britischen Reports prüfen sollte. Da das

englische Luftfahrtministerium sein Kommuniqué so schnell wie möglich

veröffentlichen wollte, setzte man den Polen die Pistole auf die Brust, und

sie waren gezwungen, umgehend zu einer Entscheidung zu kommenÍÊÊ.

Am Morgen des NN. September trat die Untersuchungskommission der

Polnischen Luftwaffe im Rubens-Hotel, Buckingham Palace Road, dem

Hauptquartier des polnischen Generalstabs, zu ihrer ersten und einzigen

Sitzung zusammen. Nach drei Tagen übergab man dem polnischen

Ministerrat das Ergebnis dieses Treffens, einen Bericht, in dem unter

anderem betont wurde, die Behauptung Hauptmann Prchals von der

Blockierung des Höhenleitwerks könne nicht aufrechterhalten werden. Zu

diesem Resultat waren die polnischen Luftwaffenangehörigen allerdings

aus einem einigermaßen überraschenden und sicher nicht ganz stich-

haltigen Grund gekommen: einige Flugzeugteile, die zur Verifizierung der

Piloten-Angaben nötig seien, hätten nicht untersucht werden können, da

man sie nicht geborgen habe. Wahrscheinlich hatten Dudzinski und die

anderen Polen diese Einzelheit aus offiziellen britischen Quellen in

Gibraltar bezogenÍÊÁ. Nur in zwei Punkten war der Bericht der Luft-

waffenkommission von wirklichem Interesse. Unter besonderer Berück-

sichtigung der Tatsache, daß Prchal als einziger Flugzeuginsasse zur

Unfallzeit eine Schwimmweste getragen hatte und dies später glatt abstritt,

kam man zu dem Schluß, der Pilot hätte den Unfall unter Umständen

absichtlich »in Szene gesetzt«, eine Möglichkeit, die allerdings »höchst

unwahrscheinlich und unbewiesen« sei.

Die Polen empfahlen, den Entwurf des britischen Kommuniqués zu

kürzen und die Endfassung, vor allem aber die Passage, wo es um die

Unfallursache ging, vorsichtiger zu formulieren. Sie waren der Meinung,

die überaus lobende Erwähnung Prchals sei »ziemlich unnötig«. Ent-

sprechend diesen Vorschlägen legten sie ihrerseits ein Schriftstück vor, das

der britischen Version bis auf zwei Änderungen ziemlich nahe folgte. Wo

* Die Kommission setzte sich zusammen aus Oberst P. Dudzinski, Oberst Pistl, OberstLewandowski, Ing., Oberst Bajan und Major S. Dudzinski, Ing.

Page 151: Irving David - Mord aus Staatsräson

NRN

das Luftfahrtministerium erklärt hatte, das Unglück sei offensichtlich auf

ein Versagen des Höhenleitwerks kurz nach dem Start zurückzuführen,

schlugen die Polen als Einschränkung vor, dieser Grund beziehe sich

lediglich »auf die Angabe des Piloten«ÍÊË. Die britische Formulierung »es

ist . . . bewiesen, daß keine Sabotage vorlag«, wollten die Polen durch die

Wendung »es wurde nicht bewiesen, daß Sabotage vorlag« ersetzen � in

Anbetracht der, wie sogar die Briten zugegeben hatten, fehlenden

materiellen Beweise sicher eine einleuchtendere Feststellung.

Die polnischen Vorschläge wurden dem Luftfahrtministerium zuge-

leitet, blieben jedoch ausnahmslos unberücksichtigt, und am ON. September

veröffentlichten die Engländer den eigenen Kommuniquéentwurf mit nur

ganz minimalen Änderungen. Immer noch hieß es, von Sabotage könne

keine Rede sein, immer noch betonte man Prchals Fähigkeiten*ÍÊÈ. Die

Times kommentierte: »Der Name des Piloten, der als einziger überlebte,

wurde vom Luftfahrtministerium nicht preisgegeben.« Amerikanische

Zeitungen hatten allerdings den Namen Prchals sowie Einzelheiten aus

seiner Laufbahn als Flugzeugführer schon kurz nach dem Unglück

publiziert.

1

Die Polen bezweifelten auch weiterhin die Ergebnisse des militärischen

Untersuchungsausschusses, und der Leser, der das Verfahren im einzelnen

verfolgt hat, kommt nicht umhin, ihre Partei zu ergreifen. Im Frühjahr

NVQQ kamen Vorfälle zur Sprache, von denen die RAF-Offiziere der

britischen Kommission wohl nichts gewußt hatten, Vorfälle, die den

Vermutungen der Polen sofort neue Nahrung gaben.

Solange die Möglichkeit bestand, ihre Geheimdokumente könnten auf

* Der leicht geänderte Text lautete (zitiert nach The Times): »Der Report des militärischenUntersuchungsausschusses ist inzwischen in Empfang genommen worden. Es ist offen-kundig, daß der Unfall durch eine Blokkierung des Höhenleitwerks kurz nach dem Start,durch die das Flugzeug manövrierunfähig wurde, verursacht worden ist. Nach äußerstsorgfältiger Prüfung allen Beweismaterials, einschließlich der Aussagen des Piloten, war esnicht möglich festzustellen, weshalb die Steuerung blockierte, es ist aber bewiesenworden, daß keine Sabotage vorlag. Es ist ebenfalls klar, daß den Piloten der Maschine,einen Flugzeugführer von großer Erfahrung und außergewöhnlichen Fähigkeiten,keinerlei Schuld trifft. Ein Offizier der polnischen Luftwaffe wohnte dem gesamtenVerfahren bei.«

Page 152: Irving David - Mord aus Staatsräson

NRO

irgendeinem Wege den Engländern bekannt werden, hatten die Londoner

Polen strengste Diskretion gewahrt und besonders einen der früheren

Zwischenfälle verschwiegen. Als das Luftfahrtministerium im September

NVQP sein Abschlußkommuniqué ausgegeben hatte, änderte sich die

Situation: die Briten hatten ihre Akten über den Sikorski-Absturz

geschlossen und gedachten, über die Ursache des Unglücks nicht weiter zu

ermitteln. Nun begannen die Polen in eigener Regie mit erneuten

UntersuchungenÍÊÍ. Auch die geheimnisvollen Präzedenzfälle wurden jetzt

zum erstenmal erwähnt, zunächst allerdings nur in den Geheim-

korrespondenzen der polnischen Regierungsstellen Londons. Der tragische

Absturz in Gibraltar war nicht der erste Zwischenfall gewesen, in den

General Sikorski mit einer englischen Maschine verwickelt war!

Man beauftragte drei Juristen des polnischen Justizministeriums, das

gesamte Untersuchungsmaterial der britischen und auch der polnischen

Kommission unter strenger Geheimhaltung zu sichten und objektiv zu

beurteilen. Anfang Oktober hatten die Beamten ihre Aufgabe erledigt und

waren unter anderem zu dem Schluß gekommen, das Kommuniqué der

Briten gehe ganz offensichtlich zu weit, wenn es auf Grund des vor-

handenen Beweismaterials die Möglichkeit eines Sabotageaktes von vorn-

herein ausschließeÍÊÎ. Sie empfahlen, sich zunächst bei der amerikanischen

Herstellerfirma der Liberator-Bomber zu erkundigen, ob dort andere

Zwischenfälle gemeldet worden seien, bei denen das Höhenleitwerk ihrer

Flugzeuge ebenfalls blockiert oder verklemmt gewesen war. Außerdem

schlugen die Juristen vor, unter besonderer Berücksichtigung des

tragischen Absturzes in Gibraltar alle anderen Flugzeugunfälle, bei denen

General Sikorski betroffen gewesen war, nun erneut näher zu überprüfen.

Sie gaben zu, daß es trotz des Geheimnisses um die Mae West »schwierig

sein würde, Prchal zu verdächtigen, er habe den Absturz absichtlich

herbeigeführt«, und sie betonten noch einmal, daß zwei weitere Punkte,

die unter Umständen ebenso wichtig sein könnten, ebenfalls ungeklärt

geblieben seien: die Frage, wieso der Postsack aus dem Liberator fallen

konnte, und das Problem des nachlässigen Armeepostens. Mit der

gebotenen Vorsicht des Juristen wiesen sie darauf hin, Ermittlungen über

die früheren Zwischenfälle könnten die Ursache des Unglücks von

Gibraltar letzten Endes auch nicht ans Licht bringen, es sei allerdings

Page 153: Irving David - Mord aus Staatsräson

NRP

sicher, daß die Wahrscheinlichkeit für einen Sabotageakt in der Kron-

kolonie wachse, wenn sich bei den neuen Untersuchungen ergeben sollte,

einer der anderen Unfälle sei tatsächlich durch Attentäter verursacht

worden.

Man kann sich vorstellen, wie erleichtert die polnischen Minister in

London waren, als man ihnen die Bürde somit vorerst einmal von der

Seele genommen hatte. Am NU. Oktober schrieb der Justizminister dem

neuen polnischen Ministerpräsidenten Mikolajczyk und empfahl ihm,

Ermittlungen über die früheren Flugzeugunfälle General Sikorskis einzu-

leiten. Besonders den Zwischenfall in Montreal solle man genauestens

überprüfenÍÊÏ.

Die vorangegangenen Unfälle hatten vor allem bei den wenigen

amerikanischen Diplomaten, die etwas darüber erfuhren, Verdacht erregt.

Sumner Welles, Unterstaatssekretär im US-Außenministerium und

Berater Roosevelts, wies später wiederholt auf diese Vorfälle hin, wenn

man ihn fragte, weshalb er glaube, beim Absturz in Gibraltar habe es sich

nicht um einen Unfall gehandelt. Nach dem Krieg forderte man den

Politiker in einem Kongreß-Hearing auf, eine frühere Anspielung auf die

»Ermordung« General Sikorskis näher zu erklären. Welles antwortete: »Ich

war immer der Meinung, daß Sabotage zugrunde lag. Sie werden sich

erinnern, Herr Vorsitzender, daß er kurz nach dem Abheben in Gibraltar

mit dem Flugzeug niederging. Die Maschine stürzte ab. Ich erinnere mich,

daß General Sikorski mit seinem Flugzeug kurz nach dem Start in

Montreal aus einer Höhe von PM m abstürzte, als er ein Jahr vorher in den

Vereinigten Staaten gewesen war.« Um es milde auszudrücken, schloß

Welles, handle es sich hier um ein seltsames »Zusammentreffen«, und

äußerte, seiner Ansicht nach seien die Sowjets verantwortlich zu

machenÍÊÌ.

Bevor wir auf den rätselhaften Vorfall in Montreal näher eingehen,

müssen wir ein weiter zurückliegendes � und vielleicht noch seltsameres �

Ereignis erwähnen. Im März NVQO wurde General Sikorski zu einer zweiten

Besprechung mit Präsident Roosevelt in die USA eingeladen. Nachdem

sich der Abflug wegen schlechter Wetterbedingungen um fünf Tage

verschoben hatte, startete man am ON. März um O.PM Uhr; der Liberator des

polnischen Ministerpräsidenten verließ Prestwick in Richtung auf Kanada,

Page 154: Irving David - Mord aus Staatsräson

NRQ

wo die erste Zwischenlandung vorgenommen werden sollte. Sikorski

wurde von mehreren seiner Minister, von Oberst Leon Mitkiewicz, dem

stellvertretenden polnischen Generalstabschef, sowie von dem bei dieser

Gelegenheit nach Washington entsandten neuen Luftwaffenattaché,

Oberstleutnant Bohdan Kleczynski, begleitet. Kleczynski hatte im August

NVQN das Kommando über die Staffel Nr. PMR des Bomberkommandos, eine

polnische Einheit, abgeben müssen, da er morphiumsüchtig geworden

war: diese Tatsache sollte bei dem folgenden Zwischenfall eine nicht zu

unterschätzende Rolle spielen. Bevor man ihn zum Attaché ernannte,

mußte er einige Monate im Hospital verbringen. Im Verlauf des Krieges

hatte er das schreckliche Erlebnis gehabt, über dem Kanal abgeschossen zu

werden, und er plagte seine Mitreisenden mit Anweisungen, wie sie sich

für den Fall eines Absturzes über dem Atlantik retten könnten, erreichte

damit natürlich nur, die Insassen unnötig zu beunruhigenÍÊÓ.

Als die Maschine eine Höhe von rund VMMM m erreicht hatte, ver-

suchten die Passagiere, sich während der restlichen Flugstunden einiger-

maßen bequem im Rumpf des Liberator einzurichten, ein Vorhaben, das

sich wegen der unförmigen Fliegerkluft, der angelegten Rettungswesten,

der Fallschirmausrüstungen und Sauerstoffmasken als ziemlich unmöglich

herausstellte. Sikorski und Mitkiewicz saßen nebeneinander, in unbe-

quemer Haltung, während der Attaché auf einer der Matratzen, die man

kurz nach dem Start im Rumpf der Maschine verteilt hatte, allem Anschein

nach in tiefen Schlaf gefallen war. Nach ungefähr fünfstündigem Flug über

dem Atlantik stach einigen der Insassen der Geruch brennenden Gummis

in die Nase, und kurz darauf sahen Mitkiewicz sowie Hochwürden

Kaczynski, ein weiterer Passagier, zu ihrem Erstaunen, wie der Attaché

über sie hinwegkletterte, eine Hand krampfhaft in der Tasche und mit

einem sehr seltsamen GesichtsausdruckÍÊÔ. Er verschwand in Richtung auf

die Toilette im Flugzeugheck, und Mitkiewicz nahm an, Kleczynski fühle

sich nicht wohl. Dr. Jozef Retinger, ein weiterer Insasse des Liberator,

»prägte seiner Erinnerung ein«, daß sich der Oberstleutnant ungewöhnlich

lange in der Hecktoilette aufhielt; wie er wußte, konnte dadurch die

Trimmlage des Bombers beeinträchtigt und die Geschwindigkeit reduziert

werden. Nach einer dreiviertel Stunde erschien Kleczynski wieder und sah

nach Mitkiewicz� Worten »irgendwie besser« aus. Einen Anfall von

Page 155: Irving David - Mord aus Staatsräson

NRR

Luftkrankheit hatte der neue Attaché allerdings nicht gehabt . . .

Seinen späteren Aussagen vor den G-O- [Militärischer Geheimdienst-]

Behörden in Washington zufolge hatte er auf dem Boden des Liberator

gelegen, als er ebenfalls den Geruch brennenden Gummis bemerkte. »Ich

fürchtete, in der elektrischen Anlage des Flugzeugs habe es einen

Kurzschluß gegeben, und begann, unter den Matratzen nach dein Feuer zu

suchen. Als ich meine Hand unter eine der Matratzen schob, fühlte ich

starke Hitze und zog einen glühend heißen Brandbombensatz hervor, an

dessen Ende sich ein mit schwarzem Klebeband umwickelter Zünder

befandÍÁÊ.«

Er habe das Kabel, das Zünder und »Bombe« verband, durchgekniffen

und den Zündaufsatz in die Toilette des Flugzeugs geworfen: hier sei er

von den Treibstofftanks am weitesten entfernt gewesen. Die offenbar

entschärfte Bombe habe er behalten, bereit, sie aus dem Liberator zu

werfen, wenn er etwas Beunruhigendes an ihr bemerkte. Anschließend sei

er an seinen Platz zurückgekehrt und habe niemandem von dem Vorfall

berichtet, um, wie er sagte, die Passagiere nicht unnötig zu beunruhigen.

Zumindest bei seiner letzten Angabe log der Attaché: zwei Stunden nach

Verlassen der Toilette hatte er Dr. Retinger die in einem Futteral aus

Sämischleder liegende Bombe gezeigt und war von ihm instruiert worden,

vor Eintreffen in Kanada die Entdeckung keinem der mitfliegenden

Passagiere gegenüber zu erwähnenÍÁÁ.

Am Nachmittag landete die Maschine in Montreal Dorval. Oberst-

leutnant Kleczynski wußte nicht, ob er den dort stationierten britischen

Offizieren seinen Fund zeigen oder lieber abwarten sollte, bis man in den

Vereinigten Staaten angekommen sei. Am Abend telefonierte er mit Oberst

Mitkiewicz und vereinbarte ein Treffen im Ritz-Carlton, wo der Oberst

abgestiegen war. Die in Zeitungspapier gewickelte Bombe nahm er mit und

zeigte Mitkiewicz erst in dessen Zimmer den geheimnisvollen Sabotage-

satz. Er erklärte dem Oberst, er habe solche Vorrichtungen schon gesehen,

als er noch zum Bomberkommando der Royal Air Force gehörte. Es waren

Brandsätze, mit deren Hilfe britische Flugzeugbesatzungen ihre Maschinen

vernichten konnten, wenn sie gezwungen wurden, über feindlichen

Territorien niederzugehen. Damit war natürlich noch lange nicht erklärt,

aus welchem Grund der Zeitzünder während des Transatlantikfluges ganz

Page 156: Irving David - Mord aus Staatsräson

NRS

offensichtlich zu funktionieren begann. Wenn die Bombe gezündet

worden wäre, hätte sich der Liberator auf halbem Weg zwischen Europa

und Amerika in ein brennendes Inferno verwandelt.

Oberst Mitkiewicz war über diese Enthüllungen außerordentlich

beunruhigt. Er befahl Kleczynski, über die Affäre strengstes Stillschweigen

zu wahren und rief trotz der späten Stunde Oberst Protasewicz, einen

hohen technischen Offizier, der ebenfalls zu den Insassen der Maschine

gehörte, an, um ihm die Apparatur übergeben zu können. Protasewicz

stellte fest, daß es sich wirklich um eine kleine, aber äußerst wirksame

Brandbombe handelte, und bemerkte: »Ja, das wäre ein sehr guter Weg

gewesen, uns auszuschalten. Es war ein Anschlag auf das Leben General

SikorskisÍÁË.« Man beschloß, der polnische Ministerpräsident, der von dem

Zwischenfall noch nichts ahnte, solle den Rest seiner Amerikareise mit

dem Zug machenÍÁÈ. Am OQ. März NVQO traf die polnische Gruppe in

Washington ein, und man übergab die Bombe der amerikanischen

Armeebehörde, um Labor- und Röntgentests vornehmen zu lassen.

Zünder und Kabel, die der Oberstleutnant in die Toilette geworfen hatte,

wurden erst wiedergefunden, als man die Maschine gründlich reinigte.

Vier Tage später erhielt Mitkiewicz den Bericht der US-Experten: Bei dem

Apparat handelte es sich um eine Brandbombe von beträchtlicher

Wirkung, die entweder durch einen mechanischen Zünder oder durch ein

Zusatzsystem (wahrscheinlich war es eine solche Vorrichtung, die der

Attaché abgerissen hatte) ausgelöst werden konnte. Im Report hieß es

weiter: »Es war nicht möglich, an Hand der verschiedenen Bestandteile die

Herkunft der Vorrichtung festzustellen, sie stammt jedoch aus einer

Massenproduktion.« Inoffiziell stimmten die C-O-Fachleute der Meinung

Kleczynskis zu und erklärten, die Bombe sei britischer Herkunft, und

ähnliche Sabotagesätze würden von der Royal Air Force benutztÍÁÍ.

Als die Zeit des Rückfluges herankam, trafen die britischen und auch

die kanadischen Behörden, die man inzwischen über den Vorfall unter-

richtet hatte, umfassende Sicherheitsvorkehrungen. Der Verbindungs-

offizier der Royal Canadian Air Force zum RAF-Transitkommando wurde

zum Büro des kommandierenden RAF-Offiziers auf dem Flugplatz

Montreal Dorval bestellt, wo Geschwaderkommandeur Marix ihn davon in

Kenntnis setzte, »auf das Leben General Sikorskis sei ein Anschlag verübt

Page 157: Irving David - Mord aus Staatsräson

NRT

worden«. Marix bedauerte, die Polen hätten äußerst »säumig« gehandelt,

als sie den Kanadiern die Angelegenheit verheimlichten und sich statt

dessen an den US-Geheimdienst wandten. Jedenfalls mußte man nun

besondere Sicherheitsmaßnahmen treffen: die Maschine der polnischen

Gruppe sollte von Dorval aus den Rückflug antreten, und während der

gesamten Stationierung wurden in ihrer Nähe Spezialposten aufgestellt.

Die Fracht wurde ausgeladen und durch Diplomatengepäck ersetzt. Für

die Zwischenlandung in Gander/Neufundland und den anschließenden

Rückflug nach Schottland traf man ebenfalls besondere Vorbereitungen.

Trotzdem brach mitten über dem Atlantik im Cockpit des Flugzeugs

ein kleines Feuer aus, das man aber sehr schnell löschen konnte und nicht

weiter für erwähnenswert hieltÍÁÎ. Am S. April landete General Sikorski in

Schottland und befand sich wieder in Sicherheit. Oberst Mitkiewicz bat

ihn, in Zukunft nie mehr ein Flugzeug zu benutzen, da sein Leben für die

Zukunft Polens wichtig sei. Sikorski erwiderte, er sei überzeugt davon,

einmal bei einem seiner Flüge ums Leben zu kommen � es sei einfach sein

Schicksal. Er wandte sich an die Freunde und Mitarbeiter, die zu seiner

Begrüßung zusammengekommen waren � seine Frau, seine Tochter und

Generalstabschef Klimecki waren ebenfalls erschienen �, und fügte hinzu,

er hoffe nicht getötet zu werden, bevor er in diesem Krieg seine Mission

erfüllt hätte und seine Landsleute wieder in ein freies und unabhängiges

Polen zurückkehren könnten. Als er kurz darauf vor polnischen Truppen

auf die zahlreichen Gefahren seiner Flugreisen hinwies und erklärte, er

verstünde nun, wie aufopferungsvoll die polnischen Flieger bei ihrem

Dienst in der RAF »den Namen Polens mit Ruhm bedeckt« hatten, dachte

der polnische Ministerpräsident sicher an diese BemerkungÍÁÏ.

Interessant waren vor allem die Folgen der Affäre. Der amerikanische

Report und die Röntgenbefunde wurden dem britischen Nachrichten-

dienst im Londoner Kriegsministerium zugeleitet; englische Experten

untersuchten die Brandbombe ebenfalls und gaben darüber am OU. Mai

NVQO einen detaillierten Bericht. Sie hoben besonders hervor, daß es sich

um einen britischen Sabotagesatz handle, der ziemlich gebräuchlich sei,

nur das von Oberstleutnant Kleczynski beschriebene Zubehörteil werde

normalerweise nicht benutzt. Außerdem sei die Bombe vollkommen intakt

gewesen � im Fall einer Auslösung ihres Mechanismus hätte man höchst-

Page 158: Irving David - Mord aus Staatsräson

NRU

wahrscheinlich keine Spuren mehr von ihr entdecken können. Der

Zeitzünder im Innern der Bombe war auf eine halbe Stunde eingestellt,

man hatte ihn aber nicht ausgelöst. Die Brandbombe selbst hätte RM

Sekunden lang unter intensiver Hitzeentwicklung brennen können, und

solche Vorrichtungen seien durchaus in der Lage, einigermaßen ent-

zündliche Objekte schnell und gründlich in Brand zu setzen. Die Hülle

bestand aus schwarzem Zelluloid. Abschließend erklärten die Experten des

Kriegsministeriums: »An Hand des verfügbaren Beweismaterials und nach

einer sorgfältigen Überprüfung des Zwischenfalls können wir nur zwei

mögliche Lösungen anbieten:

a) Die Geschichte ist erfunden.b) Jemand dachte, der Satz könne elektrisch gezündet werden,und hatte ihn deshalb mit einem der Stromkreise der Maschine,(ob ein solcher zur Verfügung stand, müßte zu ermitteln sein)oder mit einer elektrischen Batterie verbunden, über derenFund im Report nichts erwähnt wirdÍÁÌ.

Der Verdacht, die ganze Affäre sei nichts als ein schlechter Scherz,

bedeutete natürlich einen Affront. Schon in New York hatten Offiziere der

Royal Canadian Mounted Police Oberstleutnant Kleczynski einem einge-

henden Kreuzverhör unterzogenÍÁÓ, und am ON. März hatten zwei Ange-

hörige des britischen Secret Service auch die Obersten Mitkiewicz und

Protasewicz über die Angelegenheit befragt; beide Polen zweifelten keine

Sekunde daran, daß man von offizieller Seite den Angaben des Oberst-

leutnants keinen Glauben schenkte. Wer den polnischen Offizier kannte,

war darüber empört, und besonders Dr. Retinger protestierte ganz offen:

»Der Oberstleutnant hat einen ganz ausgezeichneten Ruf als Flieger, und

man zählt ihn zu den Assen der polnischen Luftwaffe. Ich betone dies, weil

man vermutet hat, die Geschichte über den Anschlag auf das Leben

General Sikorskis sei erfunden; meine Informationsquelle wünsche ich

nicht zu nennen, gebe aber zu, daß es sich um eine britische Quelle und

nicht um eine polnische handeltÍÁÔ.« Nichtsdestoweniger wurde Kleczynski

nach England zurückbeordert, und am OS. Juni nahm ihn ein Offizier des

Geheimdienstes in Ayr in die Zange. Der Attaché blieb bei seinen früheren

Behauptungen und beschrieb, wie er den Gegenstand unter einer Matratze

Page 159: Irving David - Mord aus Staatsräson

NRV

gefunden hätte, nachdem er aus dem Schlaf gerissen wurde, als der

Flugingenieur der Maschine über ihn hinwegstieg. Der Geruch brennen-

den Gummis habe ihn alarmiert. Er erklärte weiter, an der Seite der Bombe

sei ein kleiner, runder, in helles Isolierband gewickelter Gegenstand

gewesen. Er habe sofort angenommen, daß es sich um eine Bombe

handelte: »Ich hielt das kleine Ding für einen Zünder und riß es mit einem

Ruck ab.« Dann habe er den stark erhitzten Zusatz in die Toilette

geworfen, den einzigen Ort also, wo sich Wasser befand. Angeblich hatte er

völlig vergessen, daß er Dr. Retinger den Fund gezeigt hatte: »Soweit ich

mich erinnere, wollte ich absolut nichts sagen, was eine Panik verursachen

konnte.« Als die amerikanischen Fachleute ihm mitgeteilt hätten, es handle

sich tatsächlich um eine Brandbombe, habe er sofort geäußert, bereits

ähnliche Sabotagesätze gesehen zu haben, als er früher einmal »einen Ort

in Schottland, wo polnische Fallschirmspringer in Sabotagemethoden

ausgebildet wurden«, besucht hätteÍËÊ. Diese unbegreiflich unvorsichtige

Bemerkung sollte die Beamten des Secret Service später auf die Spur des

Verbrechens führen.

Da man Kleczynski für die weiteren Ermittlungen nicht mehr

benötigte, konnte der Oberstleutnant sich zur weiteren Behandlung seines

Leidens, von dem er sich seit seinem Absturz über dem Kanal nicht mehr

erholt hatte, in ein schottisches Sanatorium begeben. Er war offensichtlich

morphiumsüchtig geworden. Der Secret Service hatte den Verdacht auf

Kleczynski natürlich nicht fallengelassen und ließ den Polen auch

weiterhin von seinen Agenten beobachten. Nach der Entlassung aus dem

Sanatorium besuchte Kleczynski einen Landsmann, einen Leutnant, der

ein Laboratorium leitete, wo man sich ausgerechnet mit der Entwicklung

neuer Sabotagesätze beschäftigteÍËÁ. Mit diesem Offizier führte Kleczynski

einige längere Gespräche, bevor er wieder nach London abreiste. Als er in

London eintraf, wurde er bereits auf dem Bahnsteig von Sicherheits-

beamten in Empfang genommen, um anschließend abermals verhört zu

werden. Kleczynski blieb fest bei seiner ersten Aussage und gab an, in

Leven alte Freunde besucht zu haben, die er seit seinem früheren

Erholungsaufenthalt nach dein Kanalabsturz nicht mehr gesehen hätte.

Die eingehende Befragung des zweiten Leutnants offenbarte allerdings

interessantere Dinge. Zunächst gab der Pole nur an, der Oberstleutnant

Page 160: Irving David - Mord aus Staatsräson

NSM

habe ihn schon früher besucht, und dieses Mal hätten sie sich im

Caledonian-Hotel in Leven verabredet und dort über die Pläne

amerikanischer Fallschirmspringer diskutiert. Nach einem scharfen Kreuz-

verhör brach er allerdings zusammen und legte am NU. Juli ein umfassendes

Geständnis ab. Eugeniusz Jurewicz � das war der Name des Leutnants �

leitete »Largo House«, ein Laboratorium in Fifeshire, wo man

Sabotagegeräte testete und britische Offiziere im Gebrauch von Sabotage-

sätzen unterwies. Er erklärte, der Oberstleutnant habe im Dezember NVQN

das Labor besucht, und ihm seien dort verschiedene Granaten, »Zeit-

Füllfederhalter« sowie diverse Brandbomben vorgeführt worden. Man

zeigte Jurewicz die Vorrichtung, die Kleczynski angeblich im Liberator

gefunden hatte, und der Leutnant erkannte sie sofort: »Wir bezeichnen sie

als �Zigarrenhalter-Bombe�.« Es handelte sich um einen mit Zeitzünder

versehenen Brandsatz; er war ähnlich konstruiert wie die kleineren

»Füllfederhalter-Bomben«, hatte allerdings eine weit stärkere Wirkung.

Das war aber noch nicht alles. Jurewicz gestand außerdem, dem Oberst-

leutnant auf dessen Bitte hin eine solche Bombe »als Souvenir« mitgegeben

zu habenÍËË. Sein Landsmann habe angegeben, er wäre dadurch in der

Lage, sein Flugzeug zu zerstören, wenn man ihn einmal zwingen sollte, auf

feindlichem Territorium niederzugehen.

Kurze Zeit später legte man Oberstleutnant Kleczynski diese Aussagen

vor. Er sah ein, daß es keinen Zweck hatte, weiter zu leugnen, und legte

nun seinerseits ein Geständnis ab. Er schilderte den Besuch im Forsch-

ungslaboratorium, erklärte, er habe darum gebeten, man möge ihm die

Apparate vorführen und ihm einen der Brandsätze geben. Wir wollen sein

Geständnis (nach der englischen Version des Geheimdienstes) auszugs-

weise zitieren: »Ich hatte vor, die Bombe bei unseren Angriffen auf

feindliche Gebiete bei mir zu führen, um mit ihrer Hilfe entweder meine

Maschine in Brand setzen zu können, falls man mich abschießen sollte,

oder um ein anderes Vorhaben auszuführen, wenn ich dort eine

Notlandung vornehmen müßteÍËÈ.« So habe die ganze leidige Affäre

angefangen.

Am ON. Juli NVQO, einen Tag nach dem Geständnis, schrieb Duff Cooper,

der erst kurze Zeit vorher den Vorsitz des Sicherheitsdienstes

übernommen hatte, einen Brief an General Sikorski, in dem er den

Page 161: Irving David - Mord aus Staatsräson

NSN

polnischen Ministerpräsidenten ausführlich über den Vorfall informierte

und noch einmal betonte, seine Agenten seien von Anfang an überzeugt

gewesen, daß die Bombe auf keinen Fall von einer feindlichen Macht in

das Flugzeug praktiziert worden sei: »Ich bin jetzt in der Lage, Eure

Exzellenz davon zu unterrichten, daß Oberstleutnant K., der die Bombe

angeblich gefunden hatte, schließlich gestand, sie sei bereits in seinem

Besitz gewesen, als er an Bord der Maschine ging. Es wurde bewiesen, daß

man sie ihm schon einige Zeit vorher übergeben hatte und daß er sie � wie

er zu Protokoll gab � in seiner Gasmaske aufbewahrte, um sie im Fall einer

erzwungenen Landung auf feindlichem Gebiet entweder zur Zerstörung

seines Flugzeugs oder zu einem anderen Zweck gebrauchen zu können. Er

hatte vergessen, daß sich die Bombe bei ihm befand, bis der Geruch von

brennendem Gummi ihn alarmierte und er annahm, die Zündung arbeite

bereits. Wie er selbst zugab, hatte er vollkommen den Kopf verloren und

deshalb behauptet, sie an Bord der Maschine gefunden zu haben.« Duff

Cooper fuhr fort, er habe Winston Churchill eingehend über den

Zwischenfall unterrichtet und dieser habe ihn autorisiert, an den

polnischen Ministerpräsidenten zu schreiben. Seine Agenten seien der

Meinung, der Oberstleutnant mache jetzt unbedingt zutreffende Angaben:

er habe nie ein verbrecherisches Motiv gehabt, sei aber durch seine erste

Lüge gezwungen gewesen, auch weiterhin falsch auszusagen. Cooper

empfahl, keine disziplinarischen Maßnahmen gegen Kleczynski zu

ergreifen, und äußerte die Ansicht, man könne ihn wieder auf einem

Posten in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten beschäftigen � pro

forma hatte der Pole nach wie vor das Amt eines Luftwaffenattachés inne.

Man riet Sikorski außerdem, möglichst wenigen Personen gegenüber etwas

über die wahre Sachlage des »Attentats« verlauten zu lassenÍËÍ. Das war

natürlich leichter gesagt als getan. Inzwischen hatten die Gerüchte über

einen Mordanschlag auf General Sikorski sogar Polen erreicht, und in den

Reihen der dort immer noch mächtigen Untergrundarmee wurde man

unruhig. General Klimecki, besorgt, diese Gerüchte zum Stillschweigen zu

bringen, ordnete an, ein erfahrener polnischer Kurier, der in Kürze wieder

mit dem Fallschirm über seiner Heimat abgesetzt werden sollte, müsse

sämtliche Dokumente über den Vorfall eingehend studieren und nach

seiner Rückkehr General Grot (Stefan Rowecki), dem Oberkommandier-

Page 162: Irving David - Mord aus Staatsräson

NSO

enden der in Polen befindlichen Truppenteile, ausführlich Bericht

erstatten. Der Kurier, Oberst Iranek Osmecki, erfuhr, daß Oberstleutnant

Kleczynski tatsächlich ein Geständnis abgelegt, seine Handlungen darin

allerdings ziemlich dürftig motiviert hatte. Offensichtlich schien er unter

momentanen Geistesverwirrungen zu leiden. � Die Briten jedenfalls

betrachteten den Fall als abgeschlossen.

Einige Tage später schrieb Sikorski in einem Brief an Duff Cooper, daß

auch er der Ansicht sei, der Oberstleutnant müsse den Kopf verloren

haben, obgleich jedoch »seine militärische Vergangenheit zu seinen

Gunsten spricht, fühle ich mich meinerseits verpflichtet, weiter zu

ermitteln, um die Angelegenheit gänzlich zu klären«. In der Zwischenzeit

werde man den Offizier von seinem Posten als Attaché entheben und ihn

zwecks »Wiederherstellung seiner Gesundheit« für längere Zeit be-

urlaubenÍËÎ. Nach kurzem Aufenthalt in einem schottischen Nerven-

sanatorium, wo Kleczynski unter ständiger Beobachtung stand, entließ

man ihn wieder. Für die Zeit bis zu seinem Tod geben uns zwei Primär-

quellen � Oberst P. Kalinowski, Historiker der Polnischen Luftwaffe, und

G. Lowczynski, ein naher Freund des Oberstleutnants � Aufschluß. Im

Sommer NVQP, also nach dem Tod Sikorskis, kam der rauschgiftsüchtige

Kleczynski als Chefinstrukteur an die Führungsakademie des polnischen

Armeestabs nach Peebles bei Edinburgh und organisierte dort gemeinsam

mit Oberst M. Bogalski die Ausbildungseinrichtungen für Führungskräfte

aller polnischen Truppenteile. Zunächst schien alles gutzugehen, im

Winter jedoch litt Kleczynski abermals unter den Folgen seiner

Verletzungen und griff wieder zu Drogen. Im Januar NVQQ mußte man ihn

in ein Krankenhaus bei Edinburgh einliefern lassen. Zu seinem Nachfolger

wurde Kalinowski bestimmt, und man traf Vorbereitungen, in West-

Supermare eine neue Führungsakademie einzurichten, die nicht mehr

unter der Oberhoheit der Armee stehen sollte. Im März NVQQ traf

Kalinowski den Oberstleutnant in London: »Er war vollkommen der alte �

ruhig, präzise, höflich, intelligent, zurückhaltend � ein perfekter Gentle-

man und ausgezeichneter Offizier.« Von der seltsamen Attentatsaffäre über

dem Atlantik hatte Kalinowski zwar gerüchtweise gehört, war aber bereits

in Peebles gewarnt worden, den unseligen Protagonisten nicht weiter

darüber »auszuholen«ÍËÏ.

Page 163: Irving David - Mord aus Staatsräson

NSP

Seinen engsten Freunden enthüllte Kleczynski allerdings die Wahrheit

über die Angelegenheit. Lowczynski besuchte den Oberstleutnant wenige

Tage vor dessen Tod im Krankenhaus und notierte später in seinem

Tagebuch den Inhalt der Unterredung: »Es war ein dunkles Zimmer. Die

Luft war mit Medizingeruch geschwängert. Der Oberst[leutnant] lag im

Bett, und das lange Gespräch begann. Er konnte nicht aufstehen, weil seine

Beinwunde sich wieder geöffnet hatte. Er wusch sie aus und legte einen

neuen Verband an. Jetzt erst konnte ich die Zeichen von Schmerz in

seinem Gesicht richtig deuten, die man sah, als er, auf einen Stock gestützt,

in die Stabsakademie gehumpelt war, nun verstand ich, weshalb er

morphiumsüchtig geworden war.« Nach einer Unterhaltung über die

Politik der in der Heimat stationierten polnischen Luftwaffeneinheiten

und nachdem man darüber gesprochen hatte, ob Kleczynski seine in Polen

lebende Tochter wiedersehen würde, »erzählte er mir die Geschichte seines

Flugs mit General Sikorski in die Vereinigten Staaten im Jahre NVQO und

fügte hinzu, ich sei einer der wenigen Personen, die sie gehört hätten, was

ein Beweis seines Vertrauens in mich sei«.

Kleczynski berichtete ihm: »Ich wußte, was nach dem September [NVPV]

in Polen vor sich ging. Unsere Regierung kümmerte sich mehr um

Parteipolitik als darum, wieder die Unabhängigkeit zu erlangen. Man

organisierte Parteitruppen, die sich untereinander befehdeten. Ich hielt

General Sikorski für schuldig, zumindest aber für ein williges Werkzeug,

und entschloß mich zum Handeln. Nach der Ernennung zum

Luftwaffenattaché würde ich mit General Sikorski und einigen seiner

Ratgeber nach New York reisen. In meinem Handkoffer nahm ich eine

Zeitbombe mit, die so präpariert war, daß sie mitten über dem Atlantik

explodieren würde . . . Das Flugzeug würde auf den Boden des Meeres

sinken und wie so viele andere spurlos verschwinden. Nach wenigen

Flugstunden begann mein Handkoffer zu brennen. Die Besatzung

entdeckte das Feuer, und alle Chancen waren vertan. Aus diesem Grund

mußte ich nach der Rückkehr nach England zusammen mit General

Sikorski zu Winston Churchill gehenÍËÌ.«

Der Zustand Kleczynskis schien sich zunächst zu bessern, plötzlich

ging es dem Oberstleutnant jedoch schlechter als vorher, und er mußte in

das »Edinburgh Royal Infirmary« verlegt werden. Am OM. März NVQQ, dem

Page 164: Irving David - Mord aus Staatsräson

NSQ

Tag, an dem er entlassen werden sollte, brachte ihm die Ordonnanz wie

üblich seine Medizinflasche. Ein anderer Patient der Abteilung, Colonel

Adam Gac, wurde Zeuge des dramatischen Endes: Als Kleczynski die

Medizin genommen hatte, schrie er zweimal um Hilfe und fiel dann

bewußtlos zu Boden. Sein Körper wurde hinausgetragen, und man ließ

den Inhalt der Flasche untersuchen. Der Familie Kleczynskis teilte man

lediglich mit, er sei an einer Lungenentzündung gestorbenÍËÓ.

Man kann sich kaum vorstellen, daß ein Sterbender eine noch

unwahrscheinlichere Geschichte erzählt. Kleczynski hatte diese Version des

Zwischenfalls jedoch auch anderen Leuten mitgeteilt. Fliegerhauptmann

Wojtulewicz, sein Assistent und langjähriger Freund, berichtete später dem

Historiker Kalinowski, der todkranke Mann habe ihm ein maschine-

geschriebenes Dokument gegeben, das die ganze Wahrheit enthalte und

»von der offiziellen Version ziemlich abweiche«. Er, Wojtulewicz, sei

allerdings durch sein Ehrenwort zum Schweigen verpflichtet, könne also

nur sagen, der unschuldige Kleczynski sei den verschiedensten Umständen

und den dunklen Absichten einiger Hintermänner zum Opfer gefallen.

Erst zwanzig Jahre nach dem Tod des Oberstleutnants dürfe er das

fragliche Dokument veröffentlichen. Diese zwanzig Jahre sind längst

vergangen, die Spuren Wojtulewicz� ließen sich jedoch nur bis nach

Chikago verfolgen, denn verliefen sie sich. Schlußfolgerungen über den

rätselhaften Vorfall im Liberator können wir nur versuchsweise ziehen.

Wenn es sich tatsächlich um eine Verschwörung gehandelt haben sollte, so

war es eine interne polnische Angelegenheit, die in den Ressentiments der

Luftwaffe gegen General Sikorski wurzelte. Luftwaffenangehörige hatten

nicht nur ein Motiv, sondern auch besonders günstige Gelegenheiten zur

Durchführung des Attentats. Trotzdem schlug das Komplott fehl.

Die Engländer waren sicher nicht für diesen Zwischenfall verant-

wortlich, da sie Sikorski Mitte März NVQO noch als unnachgiebigen

Verbündeten betrachteten. Außerdem kann man sich kaum einen weniger

zuverlässigen Attentäter vorstellen als den morphiumsüchtigen Kleczynski.

Page 165: Irving David - Mord aus Staatsräson

NSR

2

Der Absturz über Montreal war weit rätselhafter, und man hat ihn bis

heute nicht endgültig klären können.

Der polnische Justizminister sagte im Oktober NVQP zum neuen

Ministerpräsidenten Mikolajczyk, daß man, wenn sich bei den neuerlichen

Ermittlungen über den Unfall in Kanada Sabotage als Ursache heraus-

stellen sollte, mit einiger Berechtigung annehmen könnte, daß auch das

Unglück in Gibraltar auf ein Attentat zurückzuführen sei. Mikolajczyk

gehörte allerdings zu den wenigen, die zu diesem Zeitpunkt bereits die

Wahrheit über den Vorfall von Montreal kannten: Er hatte aus der Feder

des Generals persönlich erfahren, daß es sich um einen Sabotagefall

handelte. Hier ein kurzer Abriß der damaligen Geschehnisse.

Ende November NVQO trat General Sikorski seinen dritten und letzten

Besuch in den Vereinigten Staaten an. Er hatte die Absicht, nach diesem

Amerikaufenthalt die Konsultationen in Washington für einige Zeit

einzustellen, und war nur widerwillig aus London abgeflogen. In der

zweiten Hälfte dieses Jahres hatten sich die Beziehungen der Londoner

Polen zu den Alliierten wegen der immer dringlicher vorgetragenen

sowjetischen Ansprüche auf Gebiete, die bis September NVPV polnisch

gewesen waren, zusehends gespannt. Sikorski hatte für den PM. November

NVQO ein Treffen mit Präsident Roosevelt vereinbart, und wieder einmal

sollte man in Montreal zwischenlanden. Trotz aller früheren Warnungen

wollte der polnische Regierungschef auch auf dem amerikanischen

Kontinent die Reise mit dem Flugzeug fortsetzen; er war zwar von ziemlich

robuster Gesundheit, die Strapazen einer früheren Zugreise von Montreal

nach Washington hatten ihn jedoch veranlaßt, dieses Mal den Luftweg zu

wählen.

Man erreichte Montreal Dorval am PM. November um NP Uhr. Die

polnische Gruppe wurde begrüßt vom Oberbefehlshaber des RAF-

Transitkommandos, Sir Frederick Bowhill, und einigen in Montreal

stationierten polnischen Offizieren und Angehörigen der Royal Air Force.

Für den letzten Teil der Reise hatte Bowhill ein kleineres Flugzeug, eine

Page 166: Irving David - Mord aus Staatsräson

NSS

zweimotorige Lockheed-Hudson mit der Registriernummer BW QMV

bestellt*, das um NQ.NR Uhr überprüft, aufgetankt und startbereit sein sollte.

Der Flug würde ungefähr zwei Stunden dauern, und General Sikorski

konnte pünktlich um NT Uhr zur Beratung im Weißen Haus erscheinenÍËÔ.

Oberleutnant Glowczynski, Sikorskis Adjutant, rief den polnischen

Botschafter in Washington, Graf Jan Ciechanowski, an, um ihn über den

bevorstehenden Start zu unterrichten, und teilte ihm mit, man werde

gegen NS Uhr in der amerikanischen Hauptstadt eintreffenÍÈÊ. Der Pilot der

Maschine, Fliegermajor R. E. Marrow, prüfte die Motoren und ließ sie

warmlaufen, bevor er erklärte, die Hudson sei startklar. Es überraschte die

Polen, daß in diesem Augenblick ein RAF-Oberst erschien, um die

Triebwerke noch einmal zu kontrollieren. Er ließ sie wiederum einige

Minuten laufen, und alles schien in bester Ordnung � General Sikorski

und seine Gruppe, zu der unter anderem Colonel Cazalet, Oberst Marecki

und Dr. Retinger gehörten, konnten zur vorgesehenen Zeit an Bord der

Maschine gehen. Der Pilot ließ die Hudson zum Ende der Startpiste rollen

und gab bei angezogenen Bremsen noch einmal Vollgas. Dann löste er die

Bremsen, und das Flugzeug begann anzurollen. Nach rund fünfzehn

Sekunden hob die Maschine weich von der Rollbahn ab, und die

Passagiere konnten es sich bequem machen. Sie wurden jedoch plötzlich

von Angst gepackt, als beide Motoren kurz nacheinander zu stottern

begannen und sofort danach fast gleichzeitig aussetzten. Das Flugzeug

befand sich erst in einer Höhe von ungefähr NM m und flog mit einer

Geschwindigkeit von mehr als NSM km/h. Da man bereits das Ende des

Flugplatzes erreicht hatte, war es für eine sichere Landung auf den

Fahrwerken zu spät � zwei breite Gräben und ein Wall waren schon in

drohende Nähe gerückt. Den Piloten verließ auch in dieser alptraumhaften

Situation seine Geistesgegenwart nicht. Er legte die Maschine in eine

scharfe Kurve von QM Grad zum Flugfeld � hier schien die Umgebung für

eine Notlandung geeigneter �, zog alle Fahrwerke ein, schaltete

Treibstoffzufuhr und Motorzündung ab und ließ das Flugzeug außerhalb

des Flugplatzes hart auf dem Boden aufsetzen. Die Hudson machte noch

* Graf Ciechanowski schreibt in seinen Memoiren (Defeat in Victory), bei der Hudsonhabe es sich um ein Sonderflugzeug gehandelt, das Churchill persönlich dem polnischenMinisterpräsidenten zur Verfügung stellte.

Page 167: Irving David - Mord aus Staatsräson

NST

zwei Sätze, rutschte auf ihrem Rumpf gut NRM m weiter und kam dann PR m

vor einem Laufgraben und einigen steinigen Erdhaufen zum Stehen.

Major Marrow bahnte sich einen Weg zur Kabine der Passagiere und

rief, wegen der Feuergefahr müsse man die Maschine sofort verlassen. Die

Sirenen der Flugplatzfeuerwehr, die sich der Notlandestelle schnell

näherte, waren bereits deutlich zu vernehmen. Polizeibeamte und Luft-

waffenoffiziere rannten auf die Hudson zu, allen voran Luftmarschall

Bowhill. Sikorski kletterte aus der Maschine, ziemlich durchgeschüttelt,

aber unverletzt, da es ihm gelungen war, sich rechtzeitig an einer

Flugzeugwand festzuklammern. Die Hudson war schwer beschädigt und

hatte so große Risse bekommen, daß einige Gepäckstücke der Insassen

hinausgeschleudert worden waren. Das war aber auch alles � dank der

unwahrscheinlichen Geschicklichkeit des Piloten hatte eine furchtbare

Tragödie verhindert werden können. Nach seiner Schilderung des

Unglücks hatte die Treibstoffzufuhr gleich nach dem Abheben vom Boden

versagt; die Polen glaubten, nur die unerwartete zweite Überprüfung der

Triebwerke durch den britischen Fliegermajor habe verhindern können,

daß die Hudson nicht noch später nach dem Start, also aus einer weit

größeren Höhe, abgestürzt war. Sikorskis Adjutant stellte sofort an Hand

der Aussagen jedes einzelnen Flugzeuginsassen einen Bericht zusammen,

und wenige Tage später begann das RAF-Transitkommando mit offiziellen

Ermittlungen über die Ursache des rätselhaften Zwischenfalls.

Die Passagiere kehrten zum Flughafengebäude zurück. Während der

Adjutant Sikorskis um eine Telefonverbindung nach Washington bat, gab

Oberst Marecki die sensationelle Neuigkeit telegrafisch nach London an

den polnischen Generalstabschef General Klimecki durch: »Wir sind in

Montreal eingetroffen und starteten von hier aus sofort nach Washington,

wo für diesen Nachmittag das Treffen mit dem Präsidenten vereinbart war.

Nach dem Abheben stürzte die Maschine ab. Alle in Sicherheit und

unverletzt. Am Dienstag morgen [N. Dezember NVQO] fliegen wir weiterÍÈÁ.«

Gegen NS.PM Uhr erreichte der Adjutant den Botschafter telefonisch und

informierte ihn, General Sikorski befände sich noch in Montreal und

wünsche ihn zu sprechen. Ciechanowski äußerte zunächst seine Bestürz-

ung, daß der Ministerpräsident Kanada noch nicht verlassen habe,

obgleich er schon in einer halben Stunde im Weißen Haus angekündigt sei.

Page 168: Irving David - Mord aus Staatsräson

NSU

Über diese Reaktion seines Botschafters war Sikorski natürlich ungehalten

und ließ ihn wissen, er persönlich sei froh, überhaupt noch telefonieren zu

können, da alle Insassen der Hudson beinahe den Tod gefunden hätten.

Ciechanowski mäßigte seinen vorwurfsvollen TonÍÈË und fragte den

Regierungschef, ob es sich seiner Meinung nach beim Aussetzen der

Motoren um einen Unfall gehandelt habe. Sikorski erwiderte, man werde

in aller Kürze mit den offiziellen Untersuchungen beginnen und er ziehe

vor, deren Ergebnissen nicht vorzugreifenÍÈÈ.

Man ließ einen amerikanischen Liberator nach Montreal einfliegen,

um den General und seine Begleiter abzuholen, und am Vormittag des N.

Dezember traf die Gruppe wohlbehalten in Washington ein. Am folgenden

Tag speiste General Sikorski um NP Uhr mit Präsident Roosevelt, Sumner

Welles und Botschafter Ciechanowski im Weißen Haus ZU MittagÍÈÍ.

Roosevelt erkundigte sich beim Essen besorgt nach Einzelheiten über den

Luftzwischenfall von Montreal, über den er bereits in groben Zügen

unterrichtet worden war. Der polnische Regierungschef vermied eine

direkte Antwort und gab an, »letztlich« habe es sich wohl um »einen

Unfall« gehandelt. Aus späteren Dokumenten wissen wir allerdings, daß er

nicht an diese Möglichkeit glaubte. Roosevelt wandte sich an Sumner

Welles und fragte, ob ihm schon etwas über die Ursache des Unglücks

bekannt sei. Der Unterstaatssekretär berichtete, die Experten seien der

Meinung, irgend etwas wäre nicht mit rechten Dingen zugegangen. Der

amerikanische Präsident beglückwünschte General Sikorski, er stehe

anscheinend unter dem besonderen Schutz der Vorsehung, was ein Glück

sei: »Wir alle brauchen Sie sehrÍÈÎ.« Ciechanowski berichtete später, bei

seinem letzten Gespräch mit dem polnischen Ministerpräsidenten in New

York habe er einen auffällig sorgenvollen Ausdruck auf den Zügen des

Generals bemerkt, und damals sei ihm plötzlich aufgegangen, daß es sich

um »Sikorskis dritten Unfall seit Kriegsbeginn« gehandelt hätte. Sein

sechster Sinn sagte ihm, er habe bei dieser Gelegenheit vielleicht den

General zum letztenmal überhaupt gesehen. Diese Ahnung sollte sich bald

bestätigen.

Sikorski bagatellisierte die Umstände des Zwischenfalls absichtlich. In

der gesamten Weltpresse � auch in den lokalen Blättern von Montreal �

wurde der Absturz, sicher auf höhere Veranlassung hin, mit keinem Wort

Page 169: Irving David - Mord aus Staatsräson

NSV

erwähntÍÈÏ. Es schien, als seien die Briten ebenfalls ängstlich besorgt, den

Vorfall herunterzuspielen; sie hatten allerdings ganz andere Gründe als

Sikorski. Der polnische Regierungschef wußte instinktiv, was seine in der

Heimat lebenden Landsleute denken würden, wenn sie erführen, daß

tatsächlich ein Sabotageanschlag auf ein von ihm benutztes Flugzeug

verübt worden war.

Die Engländer versuchten den General davon zu überzeugen, daß es

sich in Wirklichkeit nicht um einen Absturz gehandelt hätte: Luftmarschall

Sir Frederick Bowhill ließ ihm über das Londoner Luftfahrtministerium

einen Brief zukommen und teilte ihm mit, die Motoren der Hudson hätten

überhaupt nicht »ausgesetzt« oder auch nur gestottert � wenn der Pilot

gewollt hätte, wäre er durchaus in der Lage gewesen, den Flug fortzusetzen;

er habe sich aber statt dessen ganz richtig entschieden, als er eine

Notlandung vornahm: die Schubkraft der Triebwerke sei wohl nicht ganz

ausreichend gewesen. Die Maschine sei glatt gelandet, als sie gut NRM m

vom Ende der Piste entfernt leicht aufgesetzt habe und dann bald zum

Stehen gekommen sei. Das nicht ernstlich beschädigte Flugzeug könne

bald wieder benutzt werden. »Nichts läßt auf Sabotage schließen«, erfuhr

Sikorski nun von den Briten. Bowhill persönlich glaubte, in den Vergaser

sei etwas Eis geraten, während sein oberster technischer Offizier der

Meinung war, ein Fehler an den Zündkerzen habe die Störung verursacht.

Damit aber nicht genug: der Luftmarschall wies die Polen darauf hin, sie

seien von Captain H. J. Bowen, einem erfahrenen amerikanischen

Zivilpiloten, geflogen worden. Sikorskis Adjutant, der für seine peinliche

Genauigkeit bekannt war, erinnerte sich jedoch genau, daß man ihm den

RAF-Major R. E. Marrow als Piloten genannt hatte . . .ÍÈÌ

Einige Wochen darauf waren Bowhills »Ergebnisse« offensichtlich

hinfällig geworden. Bevor wir darangehen, diese Tatsache eingehend zu

untersuchen, müssen wir noch einen letzten Vorfall schildern. Nach

seinem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten wurde General Sikorski am

NO. Januar NVQP in einem RAF-Liberator, den Hauptmann Allen steuerte,

von Montreal nach Gander/Neufundland geflogen, wo man gegen NU.NR

Uhr Ortszeit landete. Die Gruppe erfuhr von Oberst Anderson, ihrem

dortigen Gastgeber, der Start für den Transatlantikflug sei für ON.PM Uhr

vorgesehen. Als dieser Zeitpunkt heranrückte, informierte man General

Page 170: Irving David - Mord aus Staatsräson

NTM

Sikorski plötzlich, daß im Liberator ein Maschinendefekt entdeckt worden

sei, der sich nicht schnell genug beheben lasse: man sei also gezwungen, die

Maschine aus dem Verkehr zu ziehen. Er würde die Ankunft einer

Ersatzmaschine abwarten müssen. Kurz vor Mitternacht traf dieses Flug-

zeug, ebenfalls ein Liberator, der die Registriernummer AL ROU trug, auf

dem Flughafen von Gander ein, und eine Viertelstunde darauf konnte der

Heimflug der Polen endlich beginnenÍÈÓ.

Wohin Sikorski auch flog, überall wurde er vom Mißgeschick verfolgt.

Wochen später � möglicherweise im Verlauf einer seiner Unterhalt-

ungen mit Sir Louis Greig, dem Persönlichen Sekretär des britischen

Luftfahrtministers � erfuhr General Sikorski, die Engländer hätten sich

inzwischen dem Standpunkt der Amerikaner angeschlossen und seien nun

ebenfalls zu der Überzeugung gelangt, der Absturz über Montreal gehe auf

einen Sabotageakt zurück. Ihrer Ansicht nach müsse man die Deutschen

für den Zwischenfall verantwortlich machenÍÈÔ. Sikorski sandte seinem

Stellvertreter Mikolajczyk eine Depesche folgenden Wortlauts:

»Die amerikanischen Behörden und später auch die britischenBehörden brachten hinsichtlich des uns bekannten Luft-zwischenfalls über Montreal die Theorie eines deutschen Sabo-tageakts bei. Durchgeführte Ermittlungen haben positiveAnhaltspunkte hierfür ergeben. Sagen Sie bitte [Informations-]Minister Stronski, er möge die Meldung über diesen Vorfallstreng geheim halten. Ich habe gleichfalls nicht gestattet, daß siein sensationeller Weise in den Vereinigten Staaten ausge-schlachtet wird. Diese Haltung ist für die Durchführungweiterer Ermittlungen wünschenswert und wird uns vor allemdas Wohlwollen Großbritanniens sichernÍÍÊ.«

Diese am T. Mai NVQP von Mikolajczyks Mitarbeitern formulierte

Nachricht zeugte in bewegender Weise von Sikorskis Vertrauen, die Briten

hätten nur die besten Absichten mit Polen. Wenn er aber etwas länger

überlegt und die Angelegenheit aus der nötigen Distanz betrachtet hätte,

wäre ihm die Art und Weise aufgefallen, mit der die Engländer ihn

stillschweigend darin bestärkt hatten, den Zwischenfall von Montreal zu

bagatellisieren. Vor allem hätte ihm aufgehen müssen, daß ein solches

Vorgehen mit dem neuerdings geäußerten Verdacht, der Absturz sei auf

einen deutschen Sabotageakt zurückzuführen, ziemlich unvereinbar war.

Page 171: Irving David - Mord aus Staatsräson

NTN

Hätte die britische Regierung es überhaupt nötig gehabt, der ganzen Welt

über den Rundfunk mitzuteilen, den Deutschen wäre beinahe die

Ermordung des polnischen Ministerpräsidenten gelungen, dann hätte sie

es logischerweise früher tun müssen, und zwar in dem Augenblick, als die

Nationalsozialisten aus der Entdeckung des Massenmordes von Katyn eine

so treff sichere Propagandawaffe geschmiedet hatten. Interessanterweise

wurde der Zwischenfall von Montreal, bei dem General Sikorski nur knapp

dem Tod entrann, in der gesamten offiziellen britischen Geschichts-

schreibung über den Zweiten Weltkrieg mit keiner Zeile erwähnt!

Vor relativ kurzer Zeit kam man � allerdings aus ganz anderen

Gründen � auf einen Sabotageakt zu sprechen, bei dem das Flugzeug eines

weiteren Exilpolitikers betroffen war: Am NN. Mai NVST offenbarte ein im

Daily Telegraph veröffentlichter Leserbrief, daß man in einem britischen

Flugzeug, das General de Gaulle befördern sollte, seinerzeit kurz vor dem

Start Sabotage festgestellt hatteÍÍÁ. Damals, im Frühjahr NVQP, hatte die

Unterstützung, die de Gaulle von den Engländern zuteil wurde, zu starken

Unstimmigkeiten zwischen London und Washington geführt. Da die

Beziehungen Großbritanniens zur Sowjetunion aus einem analogen Grund

� nämlich wegen der Hilfe, die von der Regierung Seiner Majestät dem

polnischen Ministerpräsidenten erwiesen wurde � gespannt waren, dürfte

es angebracht sein, den Vorfall mit de Gaulle an dieser Stelle einer

genaueren Prüfung zu unterziehen, als es der Verfasser des oben

genannten Leserbriefs hat tun können (der übrigens selbst zu den

Passagieren der betreffenden Maschine gehörte). Es ist eine erwiesene

Tatsache, daß die von Winston Churchill im Frühjahr NVQP an General de

Gaulle gerichteten Memoranden verschleierte Drohungen enthielten und

ihn ziemlich unverblümt aufforderten, mit seinen westlichen Alliierten

besser zusammenzuarbeiten. Auch anderen französischen Persönlichkeiten

gegenüber solle de Gaulle sich weniger intransigent zeigen; hier ging es

besonders um General Giraud, mit dem der französische Exilpolitiker sich

anläßlich der Ermordung Admiral Darlans Ende NVQO in eine heftige

Kontroverse verstrickt hatte. Durch das Attentat war Nordafrika führerlos

geworden, und der Disput zwischen de Gaulle und Giraud drohte das

Klima der ganzen westlichen Allianz zu vergiften. Im Januar NVQP gab

Churchill seinem französischen Partner zu verstehen, die Briten könnten

Page 172: Irving David - Mord aus Staatsräson

NTO

unter Umständen recht gut ohne ihn auskommen, und er forderte

Außenminister Eden auf, de Gaulle zu dessen eigenen Nutzen »ordentlich

auf die Finger zu klopfen«. Im Verlauf einer Unterhaltung mit dem

Exilchef warnte Churchill, wenn de Gaulle sich weiterhin den Plänen der

Alliierten widersetze, würden die Engländer nicht zögern, endgültig mit

ihm zu brechen. De Gaulle blieb hart. Der Premierminister mußte von

amerikanischer Seite reihenweise Klagen über den französischen General

zur Kenntnis nehmen, darunter auch Anschuldigungen des US-

Geheimdienstes. Zweifellos würde die britische Unterstützung de Gaulles

zu einer wachsenden Entfremdung der Regierungen in Washington und

London führen. Gegen Ende Mai lieg Washington sogar telegrafisch

anfragen, ob es nicht am besten sei, de Gaulle als Politiker vollkommen

auszuschaltenÍÍË.

Befragt nach Einzelheiten über die Veröffentlichung im Daily Tele-

graph, hat das Luftfahrtministerium verlauten lassen, über einen

ungewöhnlichen Zwischenfall anläßlich des betreffenden Flugs von

General de Gaulle am ON. April sei nichts bekanntÍÍÈ. Dem Autor ist es

jedoch gelungen, den damaligen Piloten aufzufinden, und dieser hat eine

Geschichte berichtet, die durchaus ungewöhnlich ist: an jenem Tag sollte

de Gaulle nach Glasgow fliegen, um Angehörige der Freien Französischen

Marine auszuzeichnen. In seiner Begleitung befanden sich der Ober-

befehlshaber der französischen Marine, Admiral Auboyneau, ein britischer

Verbindungsoffizier, Korvettenkapitän E. D. P. Pinks von der Royal Naval

Volunteer Reserve, Hauptmann François Charles-Roux, de Gaulles Adju-

tant, sowie Kapitänleutnant William Bonaparte-Wyse, der Flaggleutnant

des französischen Admirals. Normalerweise benutzte de Gaulle in Groß-

britannien niemals ein Flugzeug, Glasgow war aber so weit entfernt, daß

man von seiten des Luftfahrtministeriums vorgeschlagen hatte, dieses Mal

den Luftweg zu wählenÍÍÍ. Man stellte der Gruppe einen Wellington-

Bomber, der für die OQ. Staffel des Transportkommandos zur Beförderung

von Passagieren eingerichtet worden war, zur Verfügung, und bestimmte

Fliegerhauptmann Peter Loat, Träger des »Distinguished Flying Cross«,

einer hohen britischen Auszeichnung, zum Piloten der Maschine. Er sollte

Glasgows nächstgelegenen Flugplatz, damals Abbotsinch, anfliegen. Gegen

V Uhr ließ Loat sich die Wetterlage durchsagen, und eine halbe Stunde

Page 173: Irving David - Mord aus Staatsräson

NTP

später erschienen die Sicherheitsbeamten, um die umgebaute Wellington

Mark IA zu überprüfen. Normalerweise konnten Flugzeuge dieses Typs

drei Besatzungsmitglieder und zehn Passagiere befördern. In Loats

Verband verfügte man seinerzeit über fünf solcher Maschinen. Nach einer

weiteren Viertelstunde traf General de Gaulle mit seiner Gruppe ein und

wurde vom obersten Offizier der Staffel OQ begrüßt. Zehn Minuten darauf

konnte man, mit Mae West und Fallschirmausrüstung versorgt, an Bord

der Maschine gehen. Loat rollte zur Piste, wo er die beiden Triebwerke

warmlaufen ließ, sie noch einmal überprüfte und die Flugkontrollen

vorschriftsmäßig erledigte. Alles funktionierte einwandfrei, so daß der

Kontrollturm um NM.MR Uhr die Erlaubnis erteilte, mit dem Start zu

beginnen. Auf dem damaligen Flugplatz Hendon war die Startprozedur für

Wellingtons ziemlich kompliziert. Es handelte sich um schwere

Maschinen, für die man die relativ kurze Rollbahn ursprünglich nicht

vorgesehen hatte, und zu allem Überfluß drohte am Ende der Piste ein

Eisenbahndamm. Loat wollte sich am äußersten Ende der Rollbahn

aufstellen und dort seine Bremsen so lange angezogen lassen, bis die

Motoren mit Höchstleistung liefen. Dann hatte er vor, mittels der

Höhensteuerung das Heck der Maschine zuerst abheben zu lassen, um in

dieser »Flugposition« mit Höchstgeschwindigkeit die Piste entlangzurasen.

Das Flugzeug hätte dadurch genügend Auftrieb gehabt, um noch

rechtzeitig vor dem Eisenbahndamm den Boden verlassen zu können.

Wie geplant, hob das Heck der Wellington von der Piste ab, plötzlich

jedoch stieß der Steuerknüppel in der Hand des Piloten nicht mehr auf

Widerstand, und der hintere Teil der Maschine hatte wieder Kontakt mit

dem Boden. Loat, froh darüber, den endgültigen Startlauf noch nicht

begonnen zu haben, nahm sofort Gas weg. Er betätigte das Steuer-

instrument noch einmal, aber die Höhenruder reagierten auch weiterhin

nicht, wie er durch einen Blick aus dem Seitenfenster der Kanzel feststellen

konnte. Das Übertragungssystem mußte ausgefallen sein. Der Pilot gab im

Kontrollturm Bescheid, die Wellington sei nicht mehr flugfähig, und rollte

zum Landefeld zurück, wo ein Oberstleutnant der Royal Air Force bereits

auf ihn wartete. Fliegerhauptmann Loat berichtete, was vorgefallen war,

und man bat General de Gaulle und seine Begleiter, das Flugzeug zu

verlassen. Der Pilot kletterte gemeinsam mit dem Sergeanten seiner

Page 174: Irving David - Mord aus Staatsräson

NTQ

Wartungseinheit und dem Oberstleutnant, der als Sicherheitsoffizier des

Flugplatzes fungierte, in das Heck der Maschine, und man stellte fest, daß

die Steuerübertragung an der Stelle, wo auf einer Platte die Leit-

werkstangen durch Bolzen mit der eigentlichen Höhensteuerung ver-

bunden waren, ausgefallen war. Aus der Beschaffenheit des Materialrisses

schlossen sie, daß der oder die Attentäter eine nur langsam wirkende, aber

äußerst kräftige Säure benutzt und dadurch die routinemäßige Wartungs-

inspektion, bei der auch das Höhenleitwerk geprüft worden war, getäuscht

hätten.

Die Gruppe General de Gaulles wurde zu einem anderen Flugzeug

gebracht, das Loat auf die Bitte des Oberstleutnants selbst ausgesucht

hatte. Seine Wahl war auf ein Ausbildungsflugzeug, eine Hudson, gefallen.

Um NN Uhr trat man den Flug nach Glasgow an. Über den Zwischenfall

wurden streng geheime Ermittlungen geführt, wozu auch der Pilot seine

Angaben in schriftlicher Form beisteuern mußte. Man sandte Material-

proben des beschädigten Mechanismus nach Farnborough, um sie dort

von den Royal Air Engineers untersuchen zu lassen; Fliegerhauptmann

Loat wurde anschließend bestätigt, es habe sich tatsächlich um einen

Sabotagefall gehandelt, und man ließ ihm gegenüber durchblicken, auch

für diesen Vorfall seien die Deutschen verantwortlichÍÍÎ. Leider ist es heute

nicht mehr möglich, die Ergebnisse der von den Sicherheitsbehörden

geleiteten Ermittlungen einzusehen � sie bleiben, wie üblich, geheim.

General de Gaulle kehrte mit dem Zug aus Glasgow zurück und benutzte

in Großbritannien nie wieder ein FlugzeugÍÍÏ.

Die Möglichkeit, es habe sich bei diesen Vorkommnissen � Bauchland-

ung, Leitwerkblockierung, Übertragungsdefekt, Sabotagesatz und Motor-

enschaden � teilweise um Zwischenfälle gehandelt, die mit einem

geplanten Verbrechen nichts zu tun hatten, läßt sich nicht vollkommen

von der Hand weisen. Da sich in den betreffenden Flugzeugen aber

Politiker befanden, die von verschiedener Seite angefeindet wurden, muß

man sich nicht wundern, wenn durch die übertriebene Heimlichtuerei, mit

der die britischen Behörden diese Vorfälle behandelten, Verdacht aufkam.

Page 175: Irving David - Mord aus Staatsräson

NTR

VIII. Post Mortem

Der Absturz des polnischen Ministerpräsidenten in Gibraltar hinterließ

eine Fülle von Geheimnissen.

Bei den Taucharbeiten vor der östlichen Küste der Kronkolonie waren

die Froschmänner William Baileys gerade an die Wasseroberfläche

getaucht, als man sie von einem Felsennest auf der spanischen Seite der

neutralen Zone aus unter heftigen Maschinengewehrbeschuß nahm. Das

Flugzeugwrack befand sich eindeutig auf britischem Gebiet. Auch dieser

kleinere Zwischenfall ist bis heute ohne Erklärung gebliebenÍÍÌ.

Wenn wir allerdings die Gesamtheit der ungeklärten Einzelheiten

berücksichtigen, ist es uns unmöglich, ein plausibles Mosaik zusammen-

zusetzen und so jene schicksalhaften Minuten in der Nacht des Q. Juli zu

rekonstruieren. Zuvor sollen aber noch verschiedene Theorien näher

untersucht werden. Die Polen hatten Recht, als sie der Mae-West-Frage

entscheidende Bedeutung zumaßen; Ende November NVQP berief die

polnische Luftwaffe eine weitere Kommission und erteilte ihr die Aufgabe,

über eine These zu befinden, die von den Briten gar nicht in Betracht

gezogen war: die Annahme nämlich, der Pilot habe den Absturz durch

einen Irrtum herbeigeführt. Wegen der großen Erfahrung Prchals im

Umgang mit Liberators verwarf man diese Möglichkeit allerdings bald. Der

Ausschuß befaßte sich noch einmal mit dem Geheimnis der Rettungsweste

und kam zu dem Schluß, es könne »nicht ausgeschlossen werden, daß der

Pilot seine Schwimmweste ganz mechanisch umgebunden hatte und sich

dieser Tatsache gar nicht bewußt war«ÍÍÓ. Die Aussage Oberleutnant

Lubienskis vor dem Justizministerium versetzte aber auch dieser Theorie

kurz darauf einen entscheidenden Schlag: »Prchal erklärt kategorisch, er

hätte niemals eine Rettungsweste benutzt, und im entscheidenden

Moment hätte seine Rettungsweste hinter dem Pilotensitz gehangen; und

auch während seiner gesamten fünfzehnjährigen Fliegerlaufbahn hätte er

sie nie getragenÍÍÔ.« Auch Gouverneur Mason-Macfarlane maß diesem

Punkt einige Bedeutung bei. Er hatte den Piloten der Unglücksmaschine

Page 176: Irving David - Mord aus Staatsräson

NTS

lange gekannt, war mehrmals mit ihm geflogen und bewunderte die

Geschicklichkeit des Tschechen sehr. Dennoch schrieb er im Juli NVQR: »Es

gab da eine außergewöhnliche Tatsache. Wie fast alle Flugzeugführer hatte

der Pilot seine kleinen Eigenheiten und trug niemals, unter keinen

Umständen, weder beim Start noch bei der Landung, seine Mae West. Er

hatte seine Mae West über der Lehne seines Sitzes hängen, wo sie im

Bedarfsfall immer erreichbar war.« Fliegerhauptmann Watson, ehemaliger

Instrukteur und guter Freund Prchals, sagte gleichfalls eidlich aus, der

Pilot habe niemals eine Rettungsweste getragen. (»Er hängte sie immer

über die Lehne seines Sitzes. Ich kann andere Leute beibringen, die in der

Lage sind, das zu bestätigenÍÎÊ.«) Der Einwand, Prchal habe seine Mae

West rein »mechanisch« angelegt, braucht wohl nicht weiter erörtert zu

werden.

In einer Hinsicht jedoch ging diese polnische Kommission mit den

Ergebnissen des RAF-Ausschusses noch weniger konform: sie kam zu dem

Schluß, in einem derart komplizierten Flugzeug wie dem Liberator könne

man die Möglichkeit einer Sabotage nie ganz von der Hand weisen,

»besonders nicht unter den Bedingungen gegenseitigen Vertrauens, die auf

britischen Flugplätzen die Regel sind«.

Nicht nur in Gibraltar, sondern auch in Lyneham gab es zahlreiche

Persönlichkeiten, die mit den Ergebnissen der RAF-Ermittlungen äußerst

unzufrieden waren. Neben dem Militärgouverneur gehörte dazu auch der

Oberbefehlshaber der in der Kronkolonie stationierten RAF-Einheiten,

Geschwaderkommandeur Simpson � obwohl er den Report des Militär-

ausschusses mit unterzeichnet hatte. Beide Männer neigten privat zu der

Ansicht, der Unfall sei auf menschliches Versagen und nicht auf einen

technischen Defekt zurückzuführenÍÎÁ. Mason-Macfarlane glaubte, der

Pilot müsse damals einer Art geistigen Umnachtung anheimgefallen sein:

»Obwohl Prchal ganz normal schien, als ich ihm kurz vor Besteigen der

Maschine �Goodbye� sagte, bin ich der Meinung, irgendeine geistige

Verwirrung müsse ihn zum erstenmal seit Jahren veranlaßt haben, seine

Mae West anzulegen. Ich glaube, diese geistige Verwirrung schwand, als er

wirklich startete, trat jedoch sofort danach wieder auf; in der Dunkelheit

verlor er den Horizont und steuerte das Flugzeug geradeswegs ins Meer,

ohne bis zur letzten Sekunde zu erkennen, was er eigentlich tat; dann war

Page 177: Irving David - Mord aus Staatsräson

NTT

es aber zu spät, außer dem Abstellen der Triebwerke noch etwas zu

unternehmen.«

Der Flugplatzkommandant, Oberst Bolland, trug eine ganz ähnliche

Theorie vor. Er glaubte, Prchal hätte versucht, den Horizont mit eigenen

Augen zu finden, und hätte, als er einen Blick auf seine Instrumente warf,

die Steuersäule unbewußt einige Zentimeter nach vorn bewegt, wodurch es

zum Absacken der Maschine kam, das alle auf dem Flugfeld versammelten

Personen beobachtet hatten. Anschließend hätte der Pilot sein Versagen

verschleiern müssen und so die Geschichte von der Höhenleitwerk-

Blockierung erfundenÍÎË. Das Rätsel um die Mae West klären diese

Theorien und Hypothesen allerdings nicht bzw. allzu unvollkommen.

Kehren wir zu den Nachtstunden des Q. Juli NVQP, in denen sich die

Tragödie abspielte, zurück und befassen wir uns mit neuen Augenzeugen-

Beobachtungen, die dem Militärausschuß der Royal Air Force zur Zeit

seiner Ermittlungen nicht bekannt waren. Douglas Martin, ein Funk-

offizier der Special Operations Executive (einer britischen Sabotage- und

Abwehrorganisation), befand sich am späten Abend des P. Juli in seiner

Funkstation, die ungefähr NOM m über dem Meeresspiegel in die Vorder-

seite des Felsens eingebaut war. Er hatte die Aufgabe, jede halbe Stunde die

kurzen drahtlosen Botschaften von SOE-Agenten in Südfrankreich und

Spanien zu empfangen. Unweit von ihm, ebenfalls in einer Felsenstation,

befand sich J. F. Hughes, ein Kanonier der Royal Artillery, auf Posten. Um

OP.MR Uhr nahm Martin den Kopfhörer ab und schaltete sein Funkgerät

aus. Er ging auf die kleine, in den Felsen gehauene Terrasse der Mini-

Funkstation, lehnte sich über das Geländer und warf einen Blick auf das

Mittelmeer. Unvermittelt vernahm er das Geräusch von Flugzeugmotoren

und beobachtete, als er sich nach Norden wandte, ungefähr SM bis VM m

unter seinem Standort, wie der zum Absturz verurteilte Liberator hinter

der Felsenecke, die Martins Sicht auf die Startpiste begrenzte, auftauchte.

Die Maschine flog schnell, begann jedoch plötzlich an Höhe zu verlieren;

der Funkoffizier konnte unter sich Positionslichter und sogar den Flug-

zeugschatten deutlich ausmachen.

Bevor Douglas Martin über die Kontroverse um das Ende General

Sikorskis näher informiert war, bevor er die früheren Ausgaben dieses

Buches gelesen hatte, äußerte er die folgenden Worte: »Es sackte nicht

Page 178: Irving David - Mord aus Staatsräson

NTU

unvermittelt ab, sondern ging allmählich immer tiefer, es fiel allerdings

schneller, als es gestiegen war. Aber ich bin ganz sicher, daß es im Moment,

als es das Wasser erreichte, ausbalanciert war. Es war kein Sturzflug, es war

eine Rumpflandung. Es zog geradezu eine Furche auf dem Meer.« Nach

längerem Nachdenken kam Martin zu der Überzeugung, die Maschine

könne sich zu keinem Zeitpunkt höher als NR bis NU m befunden haben.

Über den Aufprall bemerkte er: »Sie setzte ohne großes Plätschern, allem

Anschein nach ganz ruhig auf dem Wasser auf und sank ziemlich langsam,

wobei der auf mich zeigende Flügel zuerst untergingÍÎÈ.«

Douglas Martin rannte sofort wieder in seine Station, um den

Flugplatz anzurufen. Kanonier Hughes, der von seinem günstigeren Platz

aus den gesamten Start des Liberator hatte beobachten können, schilderte

das Geschehen folgendermaßen: »Er hob am äußersten Ende der Rollbahn

ab, aber nur wenige Meter, und ging geradeswegs ins Meer.« Der Aufprall

war ihm vollkommen harmlos erschienen, und er hatte seinen Vor-

gesetzten von dem seiner Meinung nach unerheblichen Ereignis gar keinen

Bericht erstattet (»als ich erfuhr, es gäbe nur einen Überlebenden, glaubte

ich es nicht«, erzählte er weiterÍÎÍ). Douglas Martin allerdings hatte eine

weitere Einzelheit bemerkt, die uns von größerer Tragweite scheint als

seine Feststellung, das Flugzeug sei vor der Notwasserung ausbalanciert

gewesen. Bevor er den Flugplatz anrief, kehrte er noch einmal an das

Geländer seiner Terrasse zurück, um sich die Wasserungsposition des

Liberator möglichst genau einzuprägen � sonst wäre sein Anruf nicht sehr

sinnvoll gewesen. In diesem Augenblick bemerkte er, daß eine unförmige

Gestalt aus dem Notausstieg der Pilotenkanzel kletterte. Die Maschine

trieb immer noch auf dem Wasser, und zwar in einer Entfernung von rund

UMM m. Die Gestalt ging fast bis zum Ende der Steuerbordtragfläche, und

Martin konnte ihre Silhouette ganz deutlich ausmachen, da man

inzwischen Suchscheinwerfer auf die Unglücksstelle gerichtet hatte.

Zunächst waren nur schwächere Lichtkegel aufgetaucht, die höchst-

wahrscheinlich von den auf der Piste entlangfahrenden Kraftfahrzeugen

herrührten. Die Figur erinnerte Martin an das Werbesymbol der

Reifenfirma Michelin, und er konnte erraten, daß sie eine Mae West

angelegt hatte. Endlich sank das Flugzeugwrack, und die Gestalt ver-

schwand im allgemeinen Wirbel.

Page 179: Irving David - Mord aus Staatsräson

NTV

Im Winter NVQP war General Mason-Macfarlane zu einem kurzen

Urlaub in London, wo er die Witwe des toten polnischen Minister-

präsidenten in ihrer Wohnung in Acton, an der Ecke der Gunnersbury

Avenue, anrief und einen Termin für einen Kondolenzbesuch vereinbarte.

Er berichtete Frau Sikorska, er habe seinerzeit in bezug auf den Liberator

AL ROP ein ungutes Gefühl gehabt und den General gebeten, ein anderes

Flugzeug, möglichst die Maschine, mit der Botschafter Maiski nach

Gibraltar geflogen war, zu benutzen. Es sei ihm jedoch nicht gelungen,

Sikorski seine Vorahnungen plausibel zu erklären, und deshalb habe der

polnische Regierungschef keinen Grund gesehen, das Flugzeug zu

wechseln. Auch der Witwe gegenüber ließ Mason-Macfarlane durch-

blicken, daß ihn die ganze Angelegenheit nach wie vor ziemlich

beunruhige. Die Verletzungen des Piloten bezeichnete er als unerheblich.

Während der Unterredung mit der Witwe des verunglückten Generals

machte der Militärgouverneur von Gibraltar einen derart nervösen

Eindruck, daß sie und auch die übrigen Anwesenden die Überzeugung

gewannen, hinter der Affäre stecke weit mehr, als man bis jetzt wisseÍÎÎ.

Frau Sikorska glaubt heute, der Tod ihres Gatten sei keineswegs durch

einen Unfall herbeigeführt worden. Angeblich hat sie sich keine Meinung

gebildet, wer bzw. welches Land für den Sabotageakt verantwortlich

zeichne. Sie ist befremdet, daß der Pilot Edward Prchal, der einzige

überlebende der Katastrophe, sich während seines langjährigen Auf-

enthaltes in England kein einziges Mal bei ihr meldete (Prchal erklärte dem

Autor, seine Vorgesetzten hätten ihn instruiert, die Witwe nicht

aufzusuchen). Nach dem Tod ihres Gatten hatte Mrs. Churchill ihr eine

signierte Fotografie von Sir Winston gesandt, und wenige Wochen darauf

bat man sie zu einem Essen in die Downing Street, an dem außer ihr nur

die Gattin des Premierministers teilnahm. Die englische Bevölkerung

zeigte sich über den Kummer der Witwe Sikorskis sehr gerührt � sie

erinnert sich noch heute, daß zwei kleine jungen ihr in der Londoner

Wohnung Blumen von ihren Müttern überbracht und sie aufgefordert

hatten, wieder lachen zu lernen. Im Dezember NVQQ schickte Churchill ihr

ein Telegramm: »Ich denke oft an Ihren klugen und tapferen Gatten« �

diese Worte waren allerdings, wie auch sein phrasenhafter Kondolenzbrief,

eine reine FormalitätssacheÍÎÏ. Als Winston Churchill sie NVQR einlud, ihm

Page 180: Irving David - Mord aus Staatsräson

NUM

bei der Siegesparade auf der Ehrentribüne Gesellschaft zu leisten, lehnte sie

die Aufforderung ab, und der britische Regierungschef erklärte ihr später,

er verstünde recht gut, weshalb die Polen nicht an den Siegesfeierlichkeiten

teilnehmen könnten.

Das Angebot, den Rest ihres Lebens im Hampton Court Palace zu

verbringen, wies Frau Sikorska ebenfalls zurück. Sie lebt heute in

vornehmer Zurückgezogenheit im Süden Englands: »Es gibt keine Familie

Sikorski mehr«, erklärt sie. »Den Verlust meines Mannes und meiner

Tochter betrachte ich als Opfer für Polen.« Nur noch einmal, auf einer

Cocktail-Party anläßlich der Eröffnung des »General Sikorski Historical

Institute«, traf sie mit Winston Churchill zusammen, Im übrigen vermied

sie es, dem britischen Premier wieder zu begegnen.

1

In der Aufzeichnung der bemerkenswerten Unterhaltung, die Rolf Hoch-

huth, der Autor des vieldiskutierten Stücks Soldaten über General Sikorski

und Winston Churchill, mit der Witwe des Generals führte, gibt es eine

außerordentlich interessante Passage, wo Sikorskis Schlüsselstellung für

das polnische Problem deutlich gemacht wird. Demnach hat Frau Sikorska

häufig betont, ihr Mann sei nicht so sehr Politiker als vielmehr Soldat und

Mensch gewesen, und der britische Premier schätzte ihn persönlich in

hohem Maße, während er den Polen und ihren Problemen ziemlich

gleichgültig gegenüberstand. Als Sikorski gestorben war, fühlte Churchill

sich von der Verpflichtung, den Polen weiterhin intensiv zu helfen,

entbunden und war nun auch bereit, mit Stalin zu verhandeln und den

Sowjets hinsichtlich ihrer Gebietsforderungen offizielle Zugeständnisse zu

machen, ohne die Polen vorher überhaupt zu konsultierenÍÎÌ.

Der Tod General Sikorskis bedeutete einen Wendepunkt in den

polnisch-britischen Beziehungen. Die Engländer dachten gar nicht daran,

dem neuen polnischen Ministerpräsidenten Mikolajczyk das Recht

einzuräumen, die Große Allianz durch eigene politische Stellungnahmen

zu gefährden oder Projekte der Alliierten, die für ihre Beziehungen zu den

Sowjets wichtig waren, mitzubestimmen. Nur noch um die polnischen

Page 181: Irving David - Mord aus Staatsräson

NUN

Belange durfte er sich kümmern.

Als Anthony Eden im Oktober NVQP zur Außenministerkonferenz nach

Moskau abreiste, teilte er dem neuen polnischen Regierungschef mit, es

bestünde keinerlei Aussicht auf Wiederaufnahme der diplomatischen

Beziehungen zwischen den Polen und den Sowjets, wenn die Exilregierung

in London nicht bereit wäre, die von den Sowjets geforderten Ostgebiete

abzutreten, und man könnte nicht einmal garantieren, daß die UdSSR sich

dann mit der Errichtung einer neuen Verwaltung im befreiten Restpolen

durch die polnische Regierung selbst einverstanden erklären würde.

Mikolajczyk war »vollkommen platt, hören zu müssen, daß Eden diese

Erwägungen von sich gab, als handle es sich bereits um eine Routinesache,

nicht um eine Verächtlichmachung der Polen«. Er stellte klar, daß er den

britischen Außenminister in keiner Weise zu einer Erörterung des

Problems der polnischen Nachkriegsgrenzen autorisieren wolleÍÎÓ. Wenige

Monate zuvor, im August NVQP, waren Eden und Churchill allerdings schon

übereingekommen, sämtliche polnischen Territorien, die sich östlich der

Curzon-Linie befanden, den Sowjets zu opfern, obgleich sie sehr wohl

wußten, damit gegen die Grundprinzipien der oft und mit großem

Nachdruck zitierten Atlantik-Charta aus dem Jahre NVQN zu verstoßen. Auf

der Konferenz von Teheran, die Ende November NVQP stattfand,

unterstützte der britische Premier Stalin auch offiziell in seinen

Gebietsforderungen, und seit diesem Zeitpunkt wußte der Sowjetdiktator

definitiv, daß alle polnischen Territorien östlich der Curzon-Linie (deren

genauer Verlauf den britischen Konferenzteilnehmern anscheinend nicht

bekannt war) an die UdSSR abgetreten werden würden. Polen war bei der

Konferenz nicht vertretenÍÎÔ.

Wie die polnische Regierung in London schon seit geraumer Zeit

befürchtet hatte, gründeten die Sowjets im Sommer NVQQ in Polen, das

inzwischen teilweise von der Roten Armee besetzt war, ein Nationales

BefreiungskomiteeÍÏÊ. Ein polnischer Kommunist saß dem Komitee unter

einem Decknamen vor. Die Exilregierung, die an vielen Fronten konse-

quent an der Seite der Alliierten gekämpft hatte und der es bereits Ende

NVPV gelungen war, eine schlagkräftige Untergrundarmee in der okku-

pierten Heimat aufzustellen, bezeichnete das Komitee als eine »illegale und

selbsternannte Institution«, während die Sowjets von ihm als von der

Page 182: Irving David - Mord aus Staatsräson

NUO

einzig rechtmäßigen Autorität in Polen sprachen. Im August NVQQ erhoben

sich QM.MMM Soldaten der Untergrundarmee in Warschau gegen ihre

deutschen Unterdrücker, entschlossen, die Stadt zurückzuerobern und

eine westlich orientierte Regierung einzusetzen, bevor die Rote Armee die

polnische Hauptstadt überrannt hatte. Die russischen Truppen jedoch

warteten mit dem entscheidenden Schlag, bis die Untergrundarmee fast

völlig aufgerieben war. Während die Deutschen noch behaupteten, eine

weitere russische Panzerabteilung vernichtet zu haben, sickerten allmäh-

lich Nachrichten über den wahren Stand der Dinge außerhalb Warschaus

durch. Verläßliche Quellen setzten die Briten ebenfalls davon in Kenntnis,

daß sowjetische Truppen begonnen hätten, die polnische Untergrund-

armee zu entwaffnen, die von ihr eingesetzten Oberhäupter der Zivilver-

waltung zu arretieren und auch vor Erschießungen nicht haltzumachen.

Als die Polen in London ihre Sorge und ihren Protest gegen ein solches

Vorgehen aussprachen, erhielten sie von Anthony Eden lediglich die

Antwort, man könne noch nicht mit Sicherheit behaupten, den Sowjets

fehle es an gutem Willen. Eine Woche später trafen die Amerikaner Vor-

bereitungen, die bedrohte Untergrundarmee in Warschau durch Fall-

schirmabwürfe zu versorgen, die Russen weigerten sich jedoch, den US-

Flugzeugen ihre Flugplätze zur Verfügung zu stellen, und man war

gezwungen, das Hilfsprojekt fallenzulassenÍÏÁ. Erst im Laufe der letzten

Augustwochen merkten Eden und Churchill, wie rücksichtslos und

kaltblütig Stalin vorging � die anschließend ausgesprochenen Appelle und

Drohungen der Angloamerikaner nützten aber nichts mehr, die polnische

Sache war definitiv verloren. In den ersten Oktobertagen mußte sich der

polnische General, der den Aufstand kommandierte, ergeben, und mit der

anschließenden Vernichtung der Untergrundarmee schwanden auch die

letzten Möglichkeiten militärischer Einflußnahme, die Ministerpräsident

Mikolajczyk noch in Polen hatte. General Sosnkowski, der letzte Nach-

folger Sikorskis im Amt des Oberbefehlshabers*, warf dem Oberkom-

mando der Alliierten offen vor, die Warschauer Polen nicht genügend

unterstützt zu haben. Seine antisowjetische Einstellung war inzwischen

* Vorher hatte General Kukiel das Amt des polnischen Oberbefehlshabers interimistischverwaltet.

Page 183: Irving David - Mord aus Staatsräson

NUP

unbequemer geworden denn je, und Winston Churchill sorgte gemeinsam

mit Eden dafür, daß er sobald wie möglich seines Postens enthoben wurde.

Als sie sich einige Tage später, gefolgt von einem besorgten Mikolajczyk

und zwei polnischen Ministern, nach Moskau begaben, präsentierten sie

dort den Kopf Sosnkowskis gewissermaßen als Gastgeschenk . . .

In der sowjetischen Metropole informierte der britische Premier

Mikolajczyk zum erstenmal ganz offiziell, er unterstütze die russischen

Gebietsansprüche auf alle polnischen Territorien östlich der Curzon-Linie.

Churchill hatte damit Stalin formell zugestanden, was Hitler und Ribben-

trop dem Sowjetdiktator im September NVPV lediglich versprochen hatten!

Winston Churchill warnte den polnischen Ministerpräsidenten davor, sich

den russischen Forderungen auch weiterhin zu widersetzen: ein

»beträchtlicher Umschwung« in Großbritanniens Haltung zur polnischen

Regierung in London wäre dann die unvermeidliche Folge. Die Zeit sei

vorbei, so fügte er hinzu, da sich die Londoner Polen den Luxus leisten

konnten, ihre patriotischen Gefühle zu kultivieren � die Großmächte seien

nicht länger gewillt, sich, wie Churchill es ausdrückte, in das »innen-

politische Gezänk der Polen« hineinziehen zu lassen. Für Mikolajczyks

berechtigten Einwand, man streite sich nicht mit den eigenen Landsleuten,

sondern allein mit den Sowjets, hatte er taube Ohren. Der britische

Premier fuhr fort: wenn Mikolajczyk sich der von Stalin beanspruchten

Curzon-Linie widersetze, würde Großbritannien ihn fallenlassen. Laut

amtlicher Geschichtsschreibung (British Foreign Policy in the Second World

War) riet man dem polnischen Regierungschef, die neue Grenzziehung zu

akzeptieren, um sich und seinen Mitarbeitern so die Möglichkeit zu

sichern, beim Neuaufbau Polens zu helfen, »anstatt beiseite geschoben und

vielleicht sogar �liquidiert� zu werden«ÍÏË. Schweren Herzens leistete

Mikolajczyk am OP. November NVQQ den unvermeidlich gewordenen

Verzicht. Von diesem Zeitpunkt an gaben die Regierungen der USA und

Großbritanniens die Londoner Polen so schnell auf, wie es die öffentliche

Meinung nur zuließ. Eden und Churchill avisierten Mikolajczyk, man

gedenke den Polen die bisherigen Privilegien, die das Resultat »persön-

lichen Vertrauens« zwischen den Briten und Sikorski gewesen seien, in

Zukunft nicht mehr einzuräumen. Das wichtigste dieser Vorrechte bestand

in der Möglichkeit, mittels eines eigenen Geheimcodes die Verbindung zur

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NUQ

polnischen Untergrundbewegung aufrechtzuerhalten. Hätten die Englän-

der diese Kommunikation nicht unterbunden, wären sie nicht sicher

gewesen, daß die Londoner Polen ihre Mittelsmänner in der besetzten

Heimat nicht auch weiterhin zur Verteidigung der Unabhängigkeit des

Landes gegen die Sowjets auffordern. Relativ kurze Zeit vorher hatte die

Regierung Seiner Majestät Mikolajczyk kühl wissen lassen, im Jahre NVPV

habe man Polens Unabhängigkeit, nicht ab er seine Grenzen garantiertÍÏÈ.

Dies war ein bemerkenswertes Zeugnis für den Zynismus Winston

Churchills, wenn man an den Wortlaut der Atlantik-Charta denkt, auf der

Großbritanniens Allianz mit den Vereinigten Staaten beruhte und die

ehedem Sikorskis Glauben an die Integrität der britischen Absichten

gegenüber Polen begründete!

Während einer Unterhausdebatte zum Thema Polen unterlief dem

britischen Premier am NR. Dezember ein vielsagender Lapsus: Er konze-

dierte, territoriale Veränderungen könnten normalerweise erst bei einer

Friedenskonferenz beschlossen werden, Veränderungen nach »gegenseit-

iger Übereinkunft« bildeten jedoch eine Ausnahme. Somit erfuhr die

öffentlichkeit zum erstenmal � wenn auch nur andeutungsweise �, daß

Großbritannien sich mit der Absicht trug, gegen die Prinzipien der

Atlantik-Charta zu verstoßen, und besonders in den USA wurden in

diplomatischen Zirkeln Unruhe und Vermutungen laut. Anthony Eden

versuchte, die, wie er sich ausdrückte, »Fehlangabe« zu korrigieren, es half

aber nichts. Von jenem Tage an war man überall der Überzeugung, daß die

Großmächte geheime Vereinbarungen treffen und die kleineren Länder

dabei unter sich aufteilen würdenÍÏÍ.

Und das sollte auch wirklich geschehen. Im Jahre NVQR war Polen, für

dessen Freiheit man in den Krieg eingetreten war, weder in Jalta noch in

Potsdam vertreten. Auf der Konferenz von Potsdam erledigte Churchill

gemeinsam mit Stalin die letzten Formalitäten, um die widerspenstige

polnische Regierung in London offiziell und endgültig auszuschalten. Als

Stalin am NU. Juli NVQR dem britischen Premierminister vorwarf, Polens

früheren Machthabern, die den Alliierten so große Schwierigkeiten bereitet

hätten, Unterschlupf zu gewähren, beeilte sich Churchill zu versichern, die

polnische Regierung in London sei im offiziellen diplomatischen Sinn

»liquidiert« worden: »Es ist aber nicht möglich, ihre einzelnen Mitglieder

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NUR

daran zu hindern, weiterzuleben und mit den Leuten zu sprechenÍÏÎ.«

Auch formell entzogen die Briten der polnischen Exilregierung nun ihre

Anerkennung und erkannten die von Kommunisten beherrschte

Regierung in Warschau an. So wurde der Prozeß, der nach dem Tod

Sikorskis in Gibraltar eingesetzt hatte, zu einem ganz logischen Ende

gebracht.

2

In seinen Schlußfolgerungen hatte der militärische Untersuchungs-

ausschuß der Royal Air Force befunden, bei dem Absturz von General

Sikorski sei keine Sabotage im Spiel gewesen. Der Oberbefehlshaber des

Küstenkommandos hatte dieses Ergebnis gutgeheißen und bekräftigt, als er

zustimmte, »es scheine kein Grund vorzuliegen, irgendwelche faulen

Machenschaften zu vermuten«. Wir müssen den Leser allerdings immer

wieder daran erinnern, daß das Ergebnis der Kommission ausschließlich

auf der Aussage des Piloten, Fliegerhauptmann Prchals, basierte � er hatte

am U. Juli NVQP angegeben, das Höhenleitwerk des Flugzeugs sei blockiert

gewesen. Gegen diese Aussage sprach eine Fülle von direktem und

indirektem Beweismaterial, das aus verschiedenen anderen Quellen

stammte. Bemerkenswert ist jedoch vor allem, daß wir auch aus den

späteren Erklärungen des Piloten die Überzeugung gewannen, seinen

Angaben vor dein Untersuchungsausschuß keinen Glauben schenken zu

brauchen. Bevor wir darangehen, das Gegenmaterial näher zu unter-

suchen, soll an die mahnende Lektion erinnert werden, die John Sparrow,

ein bekannter britischer Rechtswissenschaftler, an die Kritiker eines

anderen offiziellen Untersuchungsausschusses, nämlich der Warren-

Kommission über die Ermordung Präsident Kennedys, gerichtet hat:

»Die Hauptschwäche dieser Kritiker besteht darin, daß sie,wenn es darum geht, das Beweismaterial zu beurteilen, gegeneine Reihe von Grundwahrheiten verstoßen, die zum allge-meinsten juristischen Wissen gehören.

N. Jeder Jurist weiß, daß keine Aussage unverläßlicher ist alsdie eines Zeugen, der sich einem plötzlichen und unerwartetenEreignis gegenübersah: ein Dutzend zuverlässiger Beobachter

Page 186: Irving David - Mord aus Staatsräson

NUS

wird ein Dutzend voneinander abweichender Versionen überdas Geschehen liefern.

O. Jeder Jurist weiß, daß ein Zeuge, der beispielsweise wegender Identifizierung eines Verdächtigen vorgeladen wurde, übereinzelne Items Unzutreffendes aussagt, über andere, vielleichtauch über das wichtigste, aber durchaus richtige Angabenmachen kann.

P. Jeder Jurist weiß, daß zuverlässige und ehrliche Zeugeneinander widersprechen können � und zwar besonders, wenn esum Fragen geht, die ihre eigenen Motive und Ansichten oder dieder anderen betreffen �, ohne daß sie dadurch an Glaub-würdigkeit verlieren würden.

Q. Jeder Jurist weiß, daß ein sensationeller Fall wie dieErmordung einer öffentlichen Persönlichkeit es mit sich bringt,daß reihenweise Leute mit unmöglichen Geschichten auf-tauchen � manchmal reine Erfindungen, manchmal Phantasien,von denen sie sich selbst eingeredet haben, sie seien wahr.

R. Außerdem können jedem Menschen, selbst einemausgebildeten Beamten, bei seiner Arbeit und auch bei seinerSchilderung, wie er diese Arbeit ausführte, Fehler unterlaufen.Jeder Jurist weiß aber, daß solche Irrtümer nicht die gesamteZeugenaussage, in denen sie enthalten sind, entkräften, undnoch weniger braucht man deswegen die Ehrlichkeit des Zeugenan sich zu bezweifeln.

S. Schließlich weiß jeder Jurist, daß in einem großen undkomplizierten Fall am Ende eines Verhandlungstages immer einRest unbeweisbarer, unerklärlicher Wirklichkeit übrigbleibt.Man kann eine Hypothese nicht umstoßen, indem man zeigt,daß die Wahrscheinlichkeit gegen einige Ereignisse spricht, diesie voraussetzt: viele Dinge, die passieren, sind aller Statistiknach unglaubwürdig, sie passieren aber trotzdem.

Ein Untersuchungsausschuß soll sich um die Entscheidungbemühen, was trotz möglicher Eventualitäten tatsächlichpassierte � darin besteht seine AufgabeÍÏÏ.«

Auch wenn wir uns John Sparrows warnender Bemerkungen bewußt

sind, können wir uns der Einsicht, Prchal habe vor dem RAF-Ausschuß in

Gibraltar und später in Lyneham bewußt falsch ausgesagt, nicht entziehen.

Nach Verlassen des Hospitals kehrte der Pilot nach England zurück

und nahm seine Tätigkeit in der Staffel Nr. RNN des Transport Command

wieder auf. Bis Kriegsende fungierte er weiter als Flugzeugpilot. Auf seinen

Flügen nach Indien und anderen entfernten Ländern machte er öfters

Zwischenstation in Gibraltar und begrüßte dort seine alten Freunde.

Page 187: Irving David - Mord aus Staatsräson

NUT

Allmählich kehrte seine frühere Sicherheit zurück, und er gab die Aura des

Schweigens auf, wenn der tragische Unglücksfall zur Sprache kam. Eines

Abends befand er sich in Gesellschaft mehrerer Kollegen in der Offiziers-

messe der RAF-Station Lyneham und wurde von einem anderen Piloten

nach dem eigentlichen Kern des ganzen Nachrichtenrummels, den man

um die Ursache des Unfalls veranstaltet hätte, gefragt. Prchal antwortete

nach einem Augenblick des Schweigens, die Wahrheit sei, daß der

Liberator nach dem Abheben von der Piste der Steuersäule nur noch ganz

»schleifig« gefolgt sei und begonnen habe, abzusacken. Natürlich war das

schon etwas ganz anderes als die oft zitierte Blockierung des Höhen-

leitwerks . . . Prchal beschuldigte den toten Kopiloten, Major Herring: »Er

muß die Startklappen falsch ausgestellt haben, anstatt das Fahrwerk

einzuziehen.« Ein Fliegerhauptmann fragte ihn, warum um Himmels

willen er der offiziellen Untersuchungskommission diese Geschichte nicht

erzählt hätte, worauf Prchal erwiderte, er habe den toten Herring, der

keine Aussage mehr machen konnte, nicht anklagen wollen, für den

Absturz der Unglücksmaschine verantwortlich zu seinÍÏÌ . Herrings

früheren Kameraden gegenüber hatte er solche Bedenken allerdings nicht

gehabt. Prchal äußerte diese Version noch vor anderen Offizieren, und

sicher ist sie auch dem kommandierenden Offizier der Gruppe QQ vom

Transport Command zu Ohren gekommen: er war nämlich ebenfalls der

Ansicht, Herrings Manipulationen am falschen Hebel hätten zu dem

Absturz geführtÍÏÓ. Wir werden bald auf diese Theorie zurückkommen.

Edward Prchal heiratete Dorothy Sperkowa, eine Journalistin, und

kehrte mit seiner Frau nach Prag zurück, als der Krieg zu Ende war. In den

drei Jahren vor der kommunistischen Machtergreifung gehörte er zu den

ehemaligen Offizieren der RAF, die das staatliche tschechoslowakische

Luftfahrtunternehmen wieder aufbauten. Nach dem Umsturz waren

besonders diese RAF-Offiziere wachsenden Verfolgungen ausgesetzt, einige

von ihnen flohen sofort in den Westen und liegen buchstäblich alles

zurück. Die meisten zogen nach London, ein paar traten sogar wieder in

die Air Force ein. Prchal blieb in der Tschechoslowakei, wußte er doch sehr

gut, daß auch die Kommunisten qualifizierte Piloten für ihre Luft-

fahrtgesellschaft brauchten.

Bald setzte die Legende um Prchals »Tod« ein. Im Winter des Jahres

Page 188: Irving David - Mord aus Staatsräson

NUU

NVQU stürzte eine Dakota der tschechischen Luftlinie über den Bergen bei

Athen ab, und alle Passagiere und Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.

Aus den Zeitungen erfuhren Prchals frühere Kollegen die traurige

Nachricht, der Pilot der Maschine, Edward Prchal, habe sich ebenfalls

unter den Opfern befunden. Es verhielt sich aber ganz und gar nicht so �

ein Freund des Tschechen hatte das Flugzeug geführt. Bis zum heutigen

Tag weiß Prchal nicht, aus welchem Grund es zu dieser Falschmeldung

kam. Er blieb solange in der Tschechoslowakei, bis er seinen persönlichen

Besitz in Sicherheit gebracht hatte, und floh dann zusammen mit seiner

Frau in einer entführten Dakota zum RAF-Stützpunkt Maston in der

Grafschaft KentÍÏÔ. Am OU. Juni NVRO sendete Radio Freies Europa ein

Interview mit Prchal, in dem der Tscheche einen außergewöhnlichen

Vorfall schilderte, der sich kurz vor seiner Flucht aus Prag ereignet hatte:

»Einige Jahre lang ließ man mich in Frieden, NVQU aber begannen die

Belästigungen. Ein Agent des Sicherheitsdienstes, der sich Dr. Brom

nannte, wollte, daß ich bezeugte, der britische Nachrichtendienst sei für

die �Sabotage� an Sikorskis Flugzeug verantwortlich. Die Angelegenheit

erreichte NVQV während des Warschauer Prozesses gegen Doboszinski ihren

Höhepunkt � nie zuvor in meinem Leben hatte ich von der Existenz dieses

Mannes gewußt. Er wurde für schuldig befunden, gegen Sikorski

konspiriert zu haben. Ich hatte Angst, bald ebenfalls das Opfer einer

politischen Intrige zu werden, aber es gelang mir glücklicherweise, in den

Westen zu entkommenÍÌÊ.«

Ein Jahr darauf schilderte Prchal das Warschauer Verfahren, das in

ihm den endgültigen Entschluß zur Flucht hatte reifen lassen, in einem

Interview mit dem Dziennik Polski etwas detaillierter: »Am NU. Juni [NVQV]

wurde in Warschau der Prozeß gegen einen gewissen Adam Doboszinski

eröffnet; die Kommunisten beschuldigten ihn der Spionage für die

Westmächte. Offensichtlich unter Druck stehend, gab er zu, für die Sabo-

tage am Flugzeug, in dem General Sikorski den Tod fand, verantwortlich

gewesen zu sein. Doboszinski wurde zum Tode verurteilt. Dies ließ mich

ahnen, daß ich als nächster an der Reihe sein könnteÍÌÁ.« Seltsamerweise

wird in den wörtlichen Verhandlungsprotokollen dieses Verfahrens, einem

RUT Seiten starken, veröffentlichten Konvolut (Proces Adam Doboszinski,

Warschau NVQV), lediglich ein Hinweis des Anklagevertreters auf den

Page 189: Irving David - Mord aus Staatsräson

NUV

sechsten Jahrestag von Sikorskis Tod, nirgends aber das Flugzeugunglück

in Gibraltar erwähnt. Prchals Gedächtnis muß ihn hier im Stich gelassen

haben.

Im April NVSO wiederholte Radio Freies Europa die Sendung des

Interviews mit dem Piloten der Todesmaschine von NVQP � diesmal wurde

vorher allerdings angesagt, Prchal habe seine Erklärungen NVRO, »drei Jahre

vor seinem Tod«, abgegebenÍÌË. So wurde die Todeslegende wieder hervor-

geholt. Bis vor kurzem ging überall in polnischen Emigrantenkreisen

Westeuropas das Gerücht um, Prchal wäre in Chikago bei einer

Messerstecherei ums Leben gekommen. »Was Sie hier sehen«, erklärte er

im Winter NVSU einem Londoner Fernsehpublikum, »ist mein Astralleib.«

Glücklicherweise befindet sich der Pilot noch am Leben. Er lebt mit seiner

Frau in Kalifornien, wo er am San José State College eine Stelle als

Bibliotheksassistent bekleidet. Mit Journalisten unterhält sich der

inzwischen Achtundfünfzigjährige ganz offen über das Sikorski-Unglück �

sie dürfen nur keine Kenntnis von den offiziellen Akten haben und

keinesfalls Fragen stellen, wie sie in diesem Buch erhoben werden. »Drei

Tage lang war ich ohne Bewußtsein und fürchtete dann, sterben zu

müssen«, erzählte er Reportern des Londoner Sunday Telegraph, die ihn

NVST aufgestöbert hatten. »Die Untersuchungskommission der RAF ging

absolut solide und gründlich vor. Und nachdem ich mich von meinen

Verletzungen erholt hatte, flog ich bis Kriegsende weiterhin VIP-Passa-

giereÍÌÈ.« Dem Sunday Express erklärte er, eine absichtliche Blockierung

des Höhenleitwerks sei wohl die unwahrscheinlichste Möglichkeit,

Sabotage an einem Flugzeug zu üben: »Man kann Explosivstoffe und

Bomben mit Zeit- oder Magnetzündung benutzen, der Versuch, das

Höhenruder zu blockieren, steht aber außer DiskussionÍÌÍ.« In seinem

früheren Interview mit dem Dziennik Polski hatte Prchal übrigens nicht

mehr behauptet, in einer Höhe von QR m einen Sinkflug begonnen und

anschließend entdeckt zu haben, daß er die Steuersäule wegen einer

Blockierung nicht mehr zurückziehen konnte, jetzt sprach er vielmehr

davon, »ungefähr go in Höhe« erreicht zu haben. »Als ich das Höhenruder

getrimmt hatte, fühlte ich ein plötzliches Schütteln und stellte fest, daß die

Steuerung vollkommen verklemmt war. Ich rief einen Befehl, und der

Ingenieur sprang zum Leitwerk-Feststellhebel, nur um herauszufinden,

Page 190: Irving David - Mord aus Staatsräson

NVM

daß er nicht angezogen war Das Flugzeug begann sofort abzusackenÍÌÎ.«

Diese neue und spannende Version über den Unfall hätte den

Untersuchungsausschuß sicher außerordentlich interessiert, wenn Prchal

sie zehn Jahre vorher geäußert hätte. Ebenfalls von Interesse sind Prchals

Reaktionen auf die verschiedenen Theorien, die man bisher über die

wirkliche Ursache der damaligen Katastrophe vorgeschlagen hat. Wäre es

nicht, wie der Pilot heute sagt, ganz einfach für ihn, nach all den Jahren

zuzugeben, Oberst Bollands Version über das Unglück beispielsweise sei

zutreffend, der Absturz sei also auf menschliches Versagen zurück-

zuführen? Der Pilot hätte den Horizont aus der Sicht verloren? Und wäre

dies nicht eine perfekte Antwort auf die, wie er wörtlich sagt, »Ver-

leumdung des Jahrhunderts«, also die Vermutung, er hätte den Unfall

absichtlich in Szene gesetzt, um General Sikorski umzubringen? Aber

schließlich müsse es doch Eindruck machen, daß er auch unter diesen

Umständen an seiner ursprünglichen Angabe von einer Blockierung des

Höhenleitwerks festhalteÍÌÏ!

Eine solche Argumentation ist wohl allzu schlicht, und es wäre,

besonders da es um Prchal geht, gefährlich, weitere Schlußfolgerungen aus

ihr abzuleiten � wissen wir doch aus mehr als einer Quelle, daß er privat

bereits zugegeben hat, in seiner ursprünglichen Version nicht bei der

Wahrheit geblieben zu sein . . . Wenn der Pilot überdies offen eingestehen

würde, im Jahre NVQP den militärischen Untersuchungsausschuß in die Irre

geführt zu haben, wäre niemand mehr bereit, eine Ersatzversion Prchals,

und sei es auch eine noch so plausible Erklärung, zu akzeptieren.

Eines steht nach allem fest: Vor der Untersuchungskommission der

Royal Air Force hatte der Pilot der Unglücksmaschine � möglicherweise

ganz einfach aus gesundheitlichen Gründen � keine zutreffende Schilder-

ung der tatsächlichen Geschehnisse gegeben. Auch wenn wir uns John

Sparrows warnende Bemerkungen weiterhin vor Augen halten, können wir

guten Gewissens annehmen, daß der Führer eines abgestürzten Flugzeugs,

der einzige Überlebende der Katastrophe, vielleicht der allerletzte Zeuge

ist, von dem man eine zusammenhängende und stichhaltige Aussage

erwarten kann. Ärzte haben die Ansicht geäußert, Prchal könne außer

seinen körperlichen Verletzungen infolge der Erschütterung auch einen

zeitweiligen, rückwirkenden Gedächtnisverlust erlitten haben, der unge-

Page 191: Irving David - Mord aus Staatsräson

NVN

fähr eine Minute vor dem Aufprall eingesetzt hätte. Mit anderen Worten:

was Prchal (vor dem militärischen Untersuchungsausschuß und eventuell

auch bei seinen späteren Äußerungen) eine zutreffende Schilderung der

Sekunden vor dem Unfall schien, war in Wirklichkeit eine unbewußte

Rationalisierung der oft geübten Griffe, von denen er wußte, man müsse

sie in einem solchen Notfall ausführenÍÌÌ.

Dafür, daß Prchal den Absturz selbst inszeniert hatte, bestehen keine

positiven Anhaltspunkte; die Möglichkeit, jemand anders könne das

Unglück durch irgendwelche Machenschaften verursacht haben, liegt

allerdings auf der Hand. Der von einigen Leuten geäußerte Einwand, es

müsse sich um einen außerordentlich ungeschickten Attentäter gehandelt

haben, da der Sabotagesatz so kurz nach dem Start funktionierte und die

Maschine nur SPM m vom Ufer entfernt vor den Augen aller Zuschauer in

das Meer stürzte, reicht jedenfalls nicht aus, diese Theorie zu entkräften.

Sicher bestanden auf den ersten Blick durchaus Rettungsaussichten für die

Verunglückten, andererseits war aber nur allzugut bekannt, daß not-

wassernde Liberators geradezu Mausefallen für ihre Insassen bildeten;

außerdem hatte der Untersuchungsausschuß festgestellt, »bei der gegen-

wärtigen Organisation könne man das in Bereitschaft stehende Schnellboot

erst mindestens NR Minuten nach dem Absturz eines Flugzeugs am

östlichen Ende der Piste erwarten«ÍÌÓ.

Für einen Bombenleger handelt es sich nur dann um perfekte

Sabotage, wenn »sein« Flugzeug spurlos mitten über dem Atlantik ver-

schwindet. Jedes Land aber, das eine im Lichte der Öffentlichkeit stehende

Persönlichkeit wie General Sikorski beseitigen wollte � und noch dazu im

Laufe des Kriegsjahrs NVQP �, hätte sich bemüht, den Tod als Unfall

erscheinen zu lassen und alle Beweise für eine Sabotage unmöglich zu

machen. Diesem Argument wird man noch mehr Beachtung schenken,

wenn man die näheren Umstände der früheren Vorfälle kennt, durch die

das Leben des polnischen Ministerpräsidenten gefährdet wurde. Es ist

jedenfalls wirklich absurd, auf Grund der Ermittlungsergebnisse von vorn-

herein einen Sabotageakt auszuschließen.

Deutsche Propagandaorgane beschuldigten sofort den britischen

Geheimdienst, für den Tod des Generals verantwortlich zu sein, und

bezeichneten Sikorski als das »letzte Opfer von Katyn«. Weiter oben haben

Page 192: Irving David - Mord aus Staatsräson

NVO

wir einige der besonders gewagten deutschen Behauptungen näher

untersucht. Stalin seinerseits war geradezu glücklich, seine Alliierten nun

auch einmal verdächtigen zu können: im Jahre NVQQ erteilte er dem

Stellvertreter Titos privat die Warnung, sich vor der Hilfe des britischen

Geheimdienstes in acht zu nehmen, wenn es um das Leben des Marschalls

ginge. Der Sowjetdiktator fügte hinzu, er sei der Meinung, die Briten

hätten Sikorski schon vor dem Start im Liberator getötet und das Flugzeug

dann »abgeschossen«. Keine Zeugen, keine Beweise . . .ÍÌÔ Warum es

notwendig gewesen sein sollte, den polnischen Regierungschef vor dem

Absturz zu erschießen, wird nicht erklärt. Und wenn Edward Prchal den

Eindruck gehabt hätte, seine Maschine sei »abgeschossen« worden � und

das wäre ihm doch wohl kaum entgangen! �, würde er es sicher dem

Untersuchungsausschuß, dem Autor oder anderen Personen mitgeteilt

haben. Um es kurz zu sagen: es liegen keinerlei Anzeichen vor, daß Stalin

nähere Einzelheiten über das Unglück wußte als das deutsche Außen-

ministerium, als es kaum zwei Stunden nach Eintreffen der Nachricht vom

Tod Sikorskis eine ganz ähnliche Anschuldigung in den Äther ausstrahlen

ließ. Übrigens nannte keine Londoner Zeitung Stalin den »russischen

Alliierten Hitlers«, weil er ohne alle Beweise ein derartiges Gerücht in die

Welt gesetzt hatte . . .

Viele Polen neigen heute zu der Ansicht, die Sowjets selbst hätten den

Sikorski-Unfall in Szene gesetzt � hatte nicht die Maschine von Botschafter

Maiski während einiger Stunden vor dem Unglück ganz nahe beim

Liberator AL ROP gestanden? In Warschau dagegen wurde nach dem Krieg

sogar Mikolajczyk beschuldigt, die »moralische Verantwortung« für den

Mord zu tragen; durch diese Infamie wollte man die wenigen

nichtkommunistischen Mitglieder der neuen Regierungskoalition in den

Augen der polnischen Bevölkerung diskreditieren. Ein polnischer

kommunistischer Autor, Jerzy Klimkowski, brachte in einem Buch

gefälschtes Beweismaterial bei, wonach General Anders und einer seiner

Offiziere, der britische Colonel Hulls, das Unglück herbeigeführt hätten.

Erst kürzlich erklärte der deutsche Dramatiker Rolf Hochhuth, den Beweis

erbringen zu können, Sikorski sei vom Secret Service umgebracht worden.

Angeblich erhielt Hochhuth den entsprechenden Beweis im Jahre NVSP von

einem früheren Angehörigen des britischen Geheimdienstes. Die betref-

Page 193: Irving David - Mord aus Staatsräson

NVP

fende eidliche Aussage ist auf Hochhuths Veranlassung hin im Safe einer

Schweizer Bank deponiert worden, um die Identität des noch lebenden

Informanten geheimzuhalten.

3

Von allen bisher erhobenen Beschuldigungen � gegen die Briten, die

Deutschen, die Sowjets und gegen die Sikorski feindlich gesonnenen

Fraktionen in den polnischen Reihen selbst � sind die Anklagen gegen

Großbritannien am meisten einleuchtend. Wenn man die klassischen

Regeln zur Lösung eines Kapitalverbrechens befolgt, muß zunächst

bewiesen werden, daß das Verbrechen überhaupt begangen wurde und

daß die angeklagte Person außer dem Motiv auch eine Gelegenheit zur

Ausführung der Tat hatte. Es gibt keinen positiven Beweis, daß der

Liberator AL ROP einem der üblichen Sabotageanschläge zum Opfer fiel �

in Gibraltar selbst wurde wohl kaum ein Attentat vorbereitet, da man dort

die strengsten Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatte. Ebensowenig

liegen Anhaltspunkte vor, der Pilot Prchal hätte auf Veranlassung einer

dritten Person den Absturz absichtlich herbeigeführt; der Augenschein läßt

eher auf das Gegenteil schließen: bei einem solchen Vorhaben würde

Prchal sein eigenes Leben riskiert haben, er hätte keinen Nutzen aus seiner

»Tat« gezogen, er hätte seine eigene Besatzung, Männer also, mit denen er

schon seit Monaten zusammengearbeitet hatte, getötet, und er wurde

bewiesenermaßen von General Sikorski persönlich ausgewählt, die

Maschine zu führen. Seine ungewöhnliche Vorsicht, das Anlegen einer

Mae-West-Rettungsweste, beweist lediglich, er habe vermutet, der

Liberator werde seinen Bestimmungsort nicht erreichen. Das heißt aber

nicht, daß er sich dieser Tatsache von vornherein bewußt war.

Von allen Mächten, die Gelegenheit gehabt hätten, den Absturz

herbeizuführen (wenn er überhaupt herbeigeführt wurde!), müssen die

Deutschen gleich hinter den Engländern genannt werden: sie hatten eine

schlagkräftige Sabotageeinheit, die in Gibraltar operierte, und sie hätten

sich bestimmt keine großen Gewissensbisse gemacht, außer Polen auch

Briten zu töten. Beide in Frage kommenden Organisationen, SS und

Page 194: Irving David - Mord aus Staatsräson

NVQ

Abwehr (Himmler und Canaris), müssen bei einer näheren Untersuchung

dieser Frage aber wohl von vornherein ausgeschlossen werden. Das

Tagebuch von General Erwin Lahousen � der sich hinterher rühmte, seine

Männer hätten das Flugzeug sabotiert, indem sie Zucker in den Benzin-

tank schütteten � enthält detaillierte Aufzeichnungen über erfolgreiche

und auch über mißlungene Aktionen, die Agenten seiner für Sabotageakte

zuständigen O. Abwehrabteilung in der britischen Kronkolonie ausführten.

Im gesamten Tagebuch wird General Sikorski mit keinem Wort erwähnt,

und es geht ebenfalls daraus hervor, daß die deutsche Abwehr nicht am

Unglück von Gibraltar beteiligt war.

Wie sich den für Berlin abgefaßten Berichten entnehmen läßt,

bestanden zwischen Juni und Juli NVQP die einzigen, von dieser

Abwehreinheit in der Kronkolonie durchgeführten Sabotageaktionen in

der Vernichtung von mehreren Millionen Litern Treibstoff, im Versenken

eines Leichters, in der Beschädigung eines Zerstörers sowie eines

Patrouillenboots am PM. Juni. Außerdem machten die Agenten der

Deutschen am T. Juli eine weitere Million Liter Flugzeugtreibstoff

unbrauchbarÍÓÊ. Es bestehen aber noch andere Anhaltspunkte, wonach die

Abwehr am Sikorski-Unglück unschuldig war: allem Anschein nach hatte

der deutsche Geheimdienst gegen die Beseitigung von Einzelpersonen eine

tiefe Abneigung. Als der Generalstab der deutschen Armeen beispielsweise

Lahousens Vorgesetzten, Admiral Canaris, aufgefordert hatte, einen

Sabotageanschlag auf das militärische Hauptquartier der Sowjets auszu-

führen, hatte sich Canaris rundweg geweigert. »Im Zusammenhang

hiermit«, notierte Lahousen am O. Februar NVQP in seinem Tagebuch, »hat

der Amtschef [Canaris] grundsätzlich Abw. II [Sabotageabteilungs]-

Angriffe auf einzelne Personen abgewiesen«ÍÓÁ. Wenn Lahousen behaupt-

ete, seine Männer hätten einen Anschlag auf Sikorskis Liberator verübt,

wollte er wohl sein Image aufpolieren, oder seine Erinnerung spielte ihm

tatsächlich einen Streich. Vielleicht hat er das Unglück mit einem früheren

Zwischenfall verwechselt, der in seinen Aufzeichnungen ausdrücklich

erwähnt wird: am OS. Februar NVQP sabotierte die Einheit Gibraltar einen

Wellington-Bomber, und das Flugzeug mußte später auf dem Meer

notwassernÍÓË.

Canaris wandte sich jedoch nicht als einziger dagegen, das Kriegsglück

Page 195: Irving David - Mord aus Staatsräson

NVR

durch Ermordung bestimmter Politiker zu beeinflussen. Nachdem

deutsche Gerichtssachverständige festgestellt hatten, der im August NVQP

anscheinend auf natürliche Weise ums Leben gekommene König Boris von

Bulgarien sei in Wirklichkeit einem aus der Sowjetunion stammenden Gift

zum Opfer gefallen, benutzte Hitler die Gelegenheit, um privat zu äußern,

er habe niemals verstanden, weshalb seine Feinde mit derartigen Mitteln

kämpften. Er jedenfalls habe noch nie einen anderen Staatsmann

beseitigen lassenÍÓÈ. Hitler selbst wäre natürlich am meisten gefährdet

gewesen, wenn man zu einem allgemeinen Attentatsfeldzug gegen

unbeliebte Staatsoberhäupter geblasen hätte.

In einem der vorhergehenden Kapitel wiesen wir bereits darauf hin,

daß die politischen Motive der Deutschen vielmehr dafür sprachen,

Sikorski am Leben zu erhalten*. Seine Existenz war für die National-

sozialisten also geradezu von Vorteil, während sie das Verhältnis der

Alliierten in steigendem Maße belastete. Ein Sekundärmotiv der

Deutschen für die Ermordung des polnischen Regierungschefs wäre

höchstens vorhanden gewesen, wenn es ihnen hundertprozentig hätte

gelingen können, die Verantwortung für ein Attentat den feindlichen

Mächten zuzuschieben. Die primären Gründe, die für Sikorskis Weiter-

leben sprachen, scheinen allerdings stärker gewesen zu sein; wie wir

gesehen haben, war Außenminister Ribbentrop nicht bereit gewesen,

wegen eines vorübergehenden Progagandaeffekts Maßnahmen zu befür-

worten, die eine seit langer Zeit gehaltene politische Position in Frage

stellen konnten. Im Westen versuchten die Deutschen, ihre britischen

Widersacher als Mörder zu diffamieren, in ihren östlichen Territorien

taten sie dagegen alles, um den Sowjets die Verantwortung am Tod

Sikorskis anzulasten. Das war besonders im besetzten Polen der Fall. In

einem gefälschten Flugblatt der polnischen Untergrundbewegung (Wie

starb General Sikorski?) betonten die Nationalsozialisten das große

Ansehen, das der polnische Politiker in der Heimat und auch im Ausland

genossen hatte, und wiesen darauf hin, er sei ein Symbol für die

Unabhängigkeit des polnischen Staates gewesen und habe immer für die

Beibehaltung der ehemaligen Landesgrenzen eingestanden � dadurch aber

* Vgl. hierzu auch S. PU.

Page 196: Irving David - Mord aus Staatsräson

NVS

sei er für gewisse Elemente in der Großen Allianz zum Hindernis gewor-

den. »Beginnen wir also damit, die Mörder nicht unter unseren Feinden,

sondern unter unseren Freunden zu suchen«, schlug das »Untergrund-

Flugblatt« weiter vor.

Könnte die deutsche Propaganda mit ihrer im Westen erhobenen

Behauptung, Großbritanniens Geheimdienst, der überall für sein

skrupelloses Vorgehen berüchtigt war, sei an dem Verbrechen schuldig,

Recht gehabt haben? Wenn man die große Erfahrung und die weiten

Verzweigungen des Secret Service in Betracht zieht, könnte man in

Versuchung kommen, diese Lösung zu akzeptieren; aber »lag es wirklich in

Englands Interesse, Sikorski zu beseitigen?« Nach dem im Osten

verbreiteten Flugblatt jedenfalls nicht. Der Tod des Generals würde die

Streitigkeiten wegen der polnischen Ostgebiete nicht beenden, da sein

Nachfolger noch weniger Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit der

Sowjetunion zeigen würde als Sikorski selbst. Die Position der Briten wäre

nach dem Verschwinden eines polnischen Politikers vom Kaliber Sikorskis

sicher einfacher, und so kam das fingierte Flugblatt zu dem Schluß, eine

Mitschuld Großbritanniens sei zwar »möglich, aber nicht sehr wahr-

scheinlich«.

»Die Deutschen, unsere offiziellen Feinde«, würden Sikorski nur dann

haben töten lassen, wenn die Wahrscheinlichkeit bestand, daß sein

Nachfolger dazu beitrüge, die anglo-sowjetischen Beziehungen weiterhin

zu verschlechtern, unter Umständen sogar bis zu dem Punkt, wo die

Nationalsozialisten mit einer der beiden in Frage kommenden Seiten einen

separaten Friedensvertrag abschließen könnten. Diese Möglichkeit sei

allerdings kaum gegeben, da die Briten Vorsorge treffen würden, einen

polnischen Ministerpräsidenten zu bestimmen, der zu allen Kompro-

missen mit den Sowjets bereit wäre. Wenn der Arm der deutschen Abwehr

tatsächlich so tatkräftig und erfolgreich hätte zugreifen können, warum

hätte man dann Churchill und auch den König verschont, als sie in der

Kronkolonie Zwischenstation machten? Nur ein Staat, nämlich die UdSSR,

könne also wirkliche Vorteile aus dem Ableben Sikorskis ziehen, betonte

das FlugblattÍÓÍ.

In einem zweiten, ganz ähnlich aufgezogenen Machwerk (Die Wahrheit

über Sikorski) wiederholten die Deutschen, für das Unglück seien allein die

Page 197: Irving David - Mord aus Staatsräson

NVT

Sowjets verantwortlich. Sie äußerten die mysteriöse Vermutung, beim

Massenmord von Katyn und Sikorskis Tod handle es sich um »in engem

Zusammenhang stehende und von derselben Hand ausgeführte«

Verbrechen. In diesem zweiten »polnischen« Pamphlet hieß es weiter:

»Letzten Endes gehören ziemlich viel Einwohner Großbritanniens der

Kommunistischen Partei an, und sicher werden nicht wenige von ihnen

beim technischen Personal des Flugplatzes von Gibraltar beschäftigt.

Schon seit geraumer Zeit gibt es in Gibraltar eine sowjetische Militär-

mission, und wir alle wissen sehr gut, womit sich sowjetische Missionen

hauptsächlich beschäftigen.« Auch unter den spanischen Arbeitern der

Kronkolonie befänden sich zahlreiche KommunistenÍÓÎ.

Inwiefern besteht überhaupt eine Wahrscheinlichkeit für die Schuld

der Sowjets? Es steht fest, daß sie niemals davor zurückschreckten,

oppositionelle oder unbequeme Politiker gewaltsam zu beseitigen. Leo

Trotzki wurde NVQM in Mexiko praktisch vor den Augen der Öffentlichkeit

brutal mit einem Pickel umgebracht, König Boris von Bulgarien im Jahre

NVQP in aller Heimlichkeit durch Gift aus dem Weg geräumt � dazwischen

kann man eine ganze Reihe von Vorfällen registrieren, bei denen die

Russen ihre Widersacher mit Methoden beseitigten, die ziemlich alt-

modisch und bei den Westmächten bereits außer Gebrauch waren*.

Hätten die Sowjets von der Beseitigung Sikorskis aber wirklich profitiert?

Seine Existenz, sein eindeutig antirussischer Standpunkt in der Frage der

polnischen Ostgebiete hatten es den Sowjets doch erst ermöglicht, die

diplomatischen Beziehungen zur polnischen Regierung in London

* Der von den deutschen Besatzern kontrollierte Sender Radio Paris verbreitete am Abendnach dem Absturz Sikorskis, britische Agenten hätten eine ausgesprochene Vorliebe fürAttentate mittels »technischer Hilfsmittel«. Das Versenken des Dampfers, der Feld-marschall Lord Kitchener nach Rußland bringen sollte, der Motorradunfall, bei demLawrence von Arabien den Tod fand, sowie der Unfall, der König Feisals Sohn das Lebenkostete, wurden als Beispiele angeführt: »Die Technik variiert, die Motive bleiben jedochgleich.« (Kitchener fand übrigens den Tod, als sein Dampfer auf eine Mine auflief.) DieDeutschen waren von der Furcht vor britischen Attentatsversuchen geradezu besessen.Himmler schilderte einmal in einem Brief an Reichsarbeitsführer Hierl die besonderenVorsichtsmaßnahmen, die er traf, um Hitler vor Flugzeug-»Unfällen« zu schützen �immerhin bestand die Möglichkeit, daß die Flugzeugunglücke, bei denen nacheinanderder Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Todt, General Huber und derunersetzliche General Dietl den Tod gefunden hatten, keine Unfälle gewesen waren. ZehnTage, nachdem dieser Brief von Himmler geschrieben wurde, explodierte eine Bombebritischer Herkunft in Hitlers Hauptquartier Rastenburg

QUS.

Page 198: Irving David - Mord aus Staatsräson

NVU

abzubrechen, und dieser Bruch bildete eine wesentliche Voraussetzung für

ihre Absicht, unumschränkte Herrscher über Nachkriegspolen zu werden.

Außerdem besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß die Russen eine positive

Gelegenheit hatten, im Liberator AL ROP einen Sabotageanschlag vorzu-

bereiten, obgleich sich die Maschine Botschafter Maiskis am Tage des

Unglücks auf dem Stationierungsgelände von Gibraltar North Front nahe

beim Flugzeug des polnischen Ministerpräsidenten befunden hatte.

Kürzlich hat Botschafter Maiski brieflich sein Ehrenwort gegeben, an

Sikorskis Tod nicht beteiligt gewesen zu sein. Er weigert sich in dem

betreffenden Schreiben immer noch zu glauben, er habe damals zur selben

Zeit wie General Sikorski in der britischen Kronkolonie geweilt �

Gouverneur Mason-Macfarlanes Sicherheitsvorkehrungen hatten also

doch gewirktÍÓÌ!

Die Briten dagegen scheinen sowohl das Motiv für die Tat als auch eine

günstige Gelegenheit zu ihrer Vorbereitung gehabt zu haben: Immerhin

unterstand ihnen der Flugplatz North Front. Sie hatten die gesamte Reise

Sikorskis organisiert, sie hatten das Flugzeug und die Besatzung zur

Verfügung gestellt, und sie waren es auch gewesen, die nach dem Tod des

polnischen Politikers die offiziellen Ermittlungen führten. Direkte Beweise,

zum Beispiel in Form schriftlicher Befehle, werden wohl niemals ans Licht

kommen � sofern sie überhaupt existieren sollten, hat man sie sicher

entsprechend den Ermächtigungen des »Public Records Act« in die

Kategorie von Dokumenten eingereiht, die für unbestimmte Zeit geheim

bleiben dürfen. Dokumentarische Aufzeichnungen über Attentatsprojekte

britischer Truppenteile auf Persönlichkeiten unterschiedlicher Bedeutung

existieren tatsächlich. Mindestens einem Augenzeugen � nicht dem Autor

� ist es gelungen, vor zehn Jahren einmal einen unautorisierten Blick in

offizielle Kabinettsakten zu werfen: es handelte sich dort besonders um

Befehle, die General Alanbrooke im Mai NVQQ unterzeichnet hatte und

wodurch die Special Operations Executive ermächtigt wurde, bestimmte

Funktionäre in besetzten Gebieten zu ermorden.

Als Winston Churchill NVRM seine Kriegserinnerungen schrieb, er-

wähnte er den tragischen Tod General Sikorskis, der ihn noch wenige Jahre

vorher so mitgenommen hatte, mit keinem Wort. Es entsprach allerdings

durchaus den Angewohnheiten Sir Winstons, gewisse unangenehme

Page 199: Irving David - Mord aus Staatsräson

NVV

Themen einfach zu ignorieren, »als wenn« sie, wie offizielle Historiker der

RAF-Bombenoffensive gegen Deutschland bemerkten, »zu widerwärtig«

seien. Von ihrem eigenen »widerwärtigen« Thema schrieben diese Histo-

riker bezeichnenderweise: »In Sir Winston Churchills Kriegsmemoiren

läßt sich über dieses Problem überraschend wenig findenÍÓÓ.«

Der Termin für die Rückkehr des polnischen Ministerpräsidenten

wurde höchstwahrscheinlich auf Churchills eigene Anordnung hin vor-

verlegt, und das ganze Reisevorhaben war � gegen den Wunsch Sikorskis �

mit ausdrücklicher Unterstützung des britischen Premiers unternommen

wordenÍÓÔ. Im Zusammenhang mit einem eventuellen Sabotageplan des

Secret Service ließe sich die plötzliche Vorverlegung des Rückflugs nur

dann einigermaßen plausibel erklären, wenn der »Unfall« mit einem

anderen, am gleichen Ort stattfindenden, ungewöhnlichen Ereignis koinzi-

dierte � am Tage der Katastrophe war Botschafter Maiski mit einer Gruppe

sowjetischer Diplomaten ebenfalls auf dem Flugplatz Gibraltar North

Front eingetroffen! Hatte man also vor, den Sabotageverdacht auf die

Russen zu lenken, falls etwaige Vermutungen laut werden sollten? In den

Nachkriegsjahren wurde jedenfalls nicht gezögert, diesen Köder auszu-

legenÍÔÊ.

In Wahrheit gelang es Gouverneur Mason-Macfarlane damals aller-

dings, durch seine genial improvisierte Komödie � mit der ein Verschwör-

er in Whitehall auf keinen Fall rechnen konnte � den Sowjetbotschafter

und dessen Begleiter nicht wissen zu lassen, daß sie sich in derselben

Kolonie, unter demselben Dach befanden wie General Sikorski.

Page 200: Irving David - Mord aus Staatsräson

OMM

IX. Ergebnisse

Die Engländer hatten ein Motiv und auch die Gelegenheit, den Absturz des

Liberator AL ROP absichtlich herbeizuführen � eine solche Argumentation

kann allerdings die eigentliche Ursache des Unglücks auch nicht erklären

und beweist ebensowenig, daß der Absturz tatsächlich auf einen Sabotage-

akt zurückging. Die militärische Untersuchungskommission kam zu dem

Schluß, es habe sich um einen Unfall gehandelt, an dem der Pilot keinerlei

Schuld trage. Gegen diese Unfallhypothese sprechen jedoch die weiter

oben angeführten grundlegenden Einwände, so daß wir das Ermittlungs-

ergebnis des RAF-Ausschusses nicht akzeptieren können. Zeugenaussagen

sowie das sonstige Beweismaterial wiesen Widersprüche auf, und auch

spätere Äußerungen der an der Tragödie � direkt oder indirekt � beteilig-

ten Personen wichen von den ursprünglichen Darstellungen ab. Die Kom-

mission hatte versäumt, auf die Präzedenzfälle hinzuweisen und sie

gebührend zu berücksichtigen (wobei die Möglichkeit, ihren Mitgliedern

seien diese Vorfälle gar nicht bekannt gewesen, allerdings nicht aus-

zuschließen ist), das Geheimnis, wie ein Postsack aus dem Liberator fallen

konnte, hatte man nicht geklärt und ebensowenig den wirklichen Grund

festgestellt, weshalb ein Sonderposten im Flugzeug hatte schlafen müssen.

Weder Herkunft noch Bestimmung der im Meer aufgefundenen Ein-

pfundnoten konnte man entdecken und natürlich auch nicht heraus-

finden, wer sechs Wochen vorher den geheimnisvollen Anruf bei Minister

Popiel in London getätigt hatte.

Aber auch die Annahme, das tragische Geschehen sei auf einen

Sabotageanschlag zurückzuführen, ist nur unter gewissen Einwänden zu

akzeptieren: dagegen sprechen die immensen Schwierigkeiten, ein solches

Vorhaben gründlich zu planen, zu organisieren, die beteiligten Personen in

Verbindung zu halten, ohne daß ein Wort über das Attentat durchsickern

kann, sowie andere Risiken, die es mit sich bringt, wenn für ein einziges

Projekt eine ganze Gruppe von Verschwörern benötigt wird. Aber das sind

letzten Endes nur technische Schwierigkeiten, die keine entscheidende

Page 201: Irving David - Mord aus Staatsräson

OMN

Bedeutung haben.

Ein Vierteljahrhundert ist seit dem Tod General Sikorskis vergangen,

und der Fall konnte bis heute nicht geklärt werden � das steht jedenfalls

fest. Die großen Fragen bleiben offen, zumindest die, für die wir keine

Antwort anbieten konnten. Warum sollte der Pilot abstreiten, eine Mae

West getragen zu haben, wo man ihn doch tatsächlich mit der Rettungs-

weste aus dem Meer gefischt hatte? Das bleibt eins der größten Geheim-

nisse. Unter Berücksichtigung seiner relativ unerheblichen Verletzungen

kann man ohne weiteres zu dem logischen Schlug kommen, er sei beim

Absturz durch die Anschnallgurte im Pilotensitz festgehalten worden, habe

sich trotz seiner Verletzungen befreien und anschließend die Mae West

anlegen können. Anschließend müßte er einen partiellen Gedächtnis-

verlust erlitten haben, denn daß er die Rettungsweste ganz unbewußt

anlegte, dürfte absurd sein: Fliegerhauptmann Watson, ein ebenso

erfahrener Pilot wie Prchal, hat angegeben, daß es außerordentlich

schwierig ist, die komplizierte Mae West korrekt überzuhängen � sie hat

zahlreiche, für Haken und Knöpfe bestimmte, Löcher, Ösen, Schleifen,

Riemen und Schnallen . . . Außerdem bläst sie sich natürlich nicht voll-

kommen automatisch auf, man muß vielmehr an einem Ring ziehen, um

den Pumpmechanismus an der Kohlendioxyd-Flasche zu betätigen, und

das konnte Prchal erst dann tun, als er den Notausstieg verlassen hatte.

Wir erinnern uns, daß Prchal vor der Untersuchungskommission erklärte:

»Das Flugzeug prallte sofort auf dem Wasser auf, und danach kann ich

mich an nichts mehr erinnern.« Seine spätere Angabe, durch den Aufprall

aus der Maschine hinausgeschleudert worden zu sein, muß also mit

starken Vorbehalten hingenommen werden. Eine definitive Erklärung des

Piloten, wie es ihm gelang, sich aus dem Unglücksflugzeug zu befreien,

hätte man sehr begrüßt, und der Autor gibt seine Enttäuschung zu, auf

zwei ganz spezielle Fragen, die er Prchal über die widersprüchlichen Mae-

West-Erklärungen stellte, keinerlei Antwort erhalten zu haben (vorher

hatte Prchal noch alle Fragen, die ihm schriftlich vorgelegt wurden,

beantwortet). Diese Haltung könnte weniger wohlwollende Ermittler

durchaus zu irreführenden Vermutungen veranlassen, der Autor jedoch ist

nachsichtig, wenn es um die Unfallbehauptungen des damaligen Flugzeug-

führers geht.

Page 202: Irving David - Mord aus Staatsräson

OMO

Sicher ist Prchal heute der Meinung, sich keiner weiteren Befragung

mehr stellen zu müssen, da der militärische Untersuchungsausschuß ihn

seinerzeit offiziell von aller Schuld freisprach. Wie er dem Autor sagte, ist

er mit den Ergebnissen der Kommission »zufrieden«. Dem Leser wird es

allerdings nicht so gehen, und wir glauben ebensowenig, daß der Ausschuß

jeder Möglichkeit, die Ursache des Liberator-Absturzes festzustellen,

nachgegangen ist. In den vorhergehenden Kapiteln sind die verschiedenen

Versäumnisse der Untersuchungskommission ausführlich beschrieben

worden, es genügt jetzt also, auf zwei generelle Unzulänglichkeiten

hinzuweisen, die ernsterer Natur sind: erstens war das gesamte Klima, in

dem die Ermittlungen durchgeführt wurden, bestimmt von dem allge-

meinen Wunsch, es möge festgestellt werden, daß keine Sabotage vorlag,

und zweitens untersuchte der Ausschuß lediglich eine der möglichen

Ursachen des Unglücks, nämlich die Theorie, die Prchal angeboten hatte.

Ähnliche Mängel lassen sich oft bei offiziellen Untersuchungs-

kommissionen beobachten � die Mitglieder der Warren-Kommission

waren beispielsweise von vornherein um den Nachweis bemüht, Präsident

Kennedy sei keiner Verschwörung zum Opfer gefallen. Kritiker, die in dem

umfangreichen Material der amerikanischen Kommission herumstöberten

und auf die zahlreichen Widersprüche hinwiesen, haben größere

Möglichkeiten, die Wahrheit letzten Endes doch noch zu entdecken, als ein

Autor, der in der Sikorski-Affäre ermittelt. Der Verfasser des vorliegenden

Buches gibt ohne Bedenken zu, daß auch die folgenden Seiten seines

Werkes wohl keine absolut stichhaltige, positive Auflösung des Rätsels

bringen können. Wie der Leser einsehen wird, sind die Schwierigkeiten,

nach mehr als einem Vierteljahrhundert die Wahrheit über einen

geheimnisvollen Unglücksfall aufzudecken, so gut wie unüberwindlich.

Die Spuren haben sich verwischt, und Informationsquellen, die dem RAF-

Ausschuß im Jahre NVQP durchaus zur Verfügung gestanden hätten, wenn

er breitere Untersuchungen durchgeführt hätte, sind heute entweder

»versiegt«, zerstört oder tot, soweit es sich um Einzelpersonen handelt.

Zahlreiche Zeugen, an die ich mich wandte, waren durch die Behörden

veranlaßt worden, keinesfalls ihr Schweigen zu brechen: Harry Field, der

seinerzeit eine der beiden Luft/See-Rettungsbarkassen befehligt hatte,

erhielt vom Verteidigungsministerium die schriftliche Warnung, er würde

Page 203: Irving David - Mord aus Staatsräson

OMP

sich eines disziplinarischen Vergehens schuldig machen, wenn er mir

Informationen zukommen ließeÍÔÁ; der Vorsitzende des Untersuchungs-

ausschusses, Luft-Vizemarschall Elton, wurde vom Unterstaatssekretär des

Ministeriums schriftlich auf die Konsequenzen hingewiesen, die er zu

tragen hätte, falls er die damaligen offiziellen Ermittlungen mit mir

diskutierteÍÔË. Ein weiterer potentieller Informant, ein sehr altgedienter

Offizier des Nachrichtendienstes, der im Krieg noch tätig war, schrieb mir,

nachdem ich wegen der Sikorski-Angelegenheit an ihn herangetreten war:

»Kürzlich hat mich der Empfang einer schriftlichen Warnung vor Ihnen,

die mir die Sicherheitsbehörde schickte, etwas beunruhigt.« Und das sind

nicht die einzigen Anhaltspunkte dafür, daß man von offizieller Seite

versucht hat, meine Ermittlungen wenn nicht zu unterbinden, so doch

entscheidend zu hemmen. Es handelte sich also um ein recht mühevolles

Unternehmen: von den dreißig Zeugen, die der Untersuchungsausschuß

vorgeladen und vernommen hatte, konnte der Autor nur siebzehn

ausfindig machen und befragen, von drei anderen ist bekannt, daß sie in

der Zwischenzeit verstarben, während man dies von weiteren lediglich

annehmen kann.

Unter besonderer Berücksichtigung der vom Piloten angegebenen

Unglücksursache ging ich wiederum das Material und die Aufzeichnungen

der Untersuchungskommission von Gibraltar durch. Dieses Material muß

mit aller Vorsicht bewertet werden; weitere Unfalltheorien läßt es nur

unter Vorbehalt zu. Ich hoffe, auf den folgenden Seiten diesen Ein-

schränkungen gemäß verfahren zu haben.

1

Niemand, am wenigsten aber der Pilot, weiß, weshalb der Liberator AL RTP

damals gleich nach dem Start in Gibraltar abstürzte. Prchal vermutete

allerdings, der Verdacht könnte auf seine Besatzung und ihn fallen � er

wußte nämlich, daß die Maschine eine beträchtliche Ladung Schmuggel-

waren vom Nahen Osten nach England flog. Auf dieser grundlegenden

Tatsache, die der Leser nach allen Anhaltspunkten bereits vermutet haben

dürfte, beruht ein Teil der beunruhigenden Vorkommnisse, die nun im

Page 204: Irving David - Mord aus Staatsräson

OMQ

Zusammenhang wiedergegeben werden sollen.

In der gesamten Royal Air Force waren zwei Staffeln des Transport

Command wegen ihrer Schmuggelaktivitäten berühmt � die Staffeln OQ

und RNN. Sie hatten schwere Maschinen und genossen Sonderprivilegien,

die für die erfolgreiche Durchführung der Konterbandeoperationen unbe-

dingt erforderlich waren. In den Jahren NVQP und NVQQ erreichten die

illegalen Betätigungen ihren Höhepunkt. Man entdeckte zum Beispiel, daß

die Bodenbesatzung in Gibraltar mehrmals die Wandverkleidung eines

Liberator aufgeschraubt und in den so freigelegten Hohlräumen Schmug-

gelgut untergebracht hatte. Das in Lyneham, England, stationierte Boden-

personal kannte die Stelle natürlich, sorgte für den Verkauf der Waren und

sandte den Erlös zurück in die Kronkolonie. Man wechselte regelmäßig die

Verstecke und hatte dabei oft Einfälle, die geradezu ingeniös waren.

Einmal flog Fliegerhauptmann Eric »Lucky« Wright mit einem Liberator

aus Gibraltar ab und wußte nicht, daß sein Flugzeug als Transportmittel

für Konterbande diente; als man sich über dem Atlantik befand, wollte ein

Bordschütze seine Geschütze testen, mußte aber feststellen, daß sie nach

wenigen Schüssen versagten. Der Soldat untersuchte die Munitions-

behälter und entdeckte, daß sie bis zum Rand mit Zigaretten gefüllt waren.

Wright benachrichtigte die Kontrollstelle in Lyneham umgehend per Funk

über den Vorfall � sonst würde er, wie er wußte, als Pilot der Maschine für

alle Konterbande, die man im Flugzeug fand, verantwortlich gemacht

werden. Bei der Landung wurde der Liberator von Zollbeamten in

Empfang genommen. Man konfiszierte die Schmuggelgüter, nachdem das

gesamte Flugzeug durchsucht worden war. In den Patronengurten der

Maschinengewehre fand man den Brief eines Mitglieds der Bodenbesatz-

ung in Gibraltar, das für die Schmuggelaktion verantwortlich war; das

Schreiben sollte den Empfänger davon in Kenntnis setzen, in der nächsten

Maschine werde ein neues Versteck benutzt, da der jetzige Platz Gefahr

laufe, »aufgestöbert« zu werden . . . Die betreffende Maschine wurde

ebenfalls gründlich untersucht, und man entdeckte, wie erwartet, auch hier

Schmuggelware. Die Mitglieder des Bodenpersonals, die in der Kron-

kolonie die Aktionen veranlaßt hatten, wurden festgenommen und zu zwei

Jahren Gefängnis verurteiltÍÔÈ. Besonders Oberst Bolland bemühte sich,

diese unerlaubten Aktivitäten zu unterbinden, und ging mit äußerster

Page 205: Irving David - Mord aus Staatsräson

OMR

Strenge gegen die Schuldigen vor: er entdeckte einmal eine Flugzeugladung

von einer Million Zigaretten, die für Malta bestimmt waren, und ließ die

gesamte Besatzung festnehmen. Hauptsächlich schmuggelte man Waren

des gehobenen Konsums und Präzisionsinstrumente, die für den schwarz-

en Markt in England bestimmt waren: Weinbrand und Sherry, Uhren und

Fotoapparate, Südfrüchte. Bei einem weiteren Zwischenfall, der berühmt

wurde., machte eine mit zahlreichen Kisten von Sherry beladene Dakota

der Staffel OQ auf dem Flugplatz von Hendon eine ziemlich wackelige

Landung. Die mißtrauisch gewordenen Zollbeamten entdeckten sofort die

Alkoholika. Sie gehörten zu den »Vertragslieferungen« an einen Nachtclub

im Londoner Westend, der natürlich das Unglück hatte, bereits in der

folgenden Nacht von der Polizei näher in Augenschein genommen zu

werden. Der Fund eines wohlassortierten Weinlagers führte zu weiteren

offiziellen Ermittlungen: »Die Zollbehörden von Hendon waren aber

ebenfalls in die Affäre verwickelt, man hatte eine rückdatierte Zoll-

bescheinigung ausgegeben.«

Es braucht uns nicht sonderlich zu überraschen, wenn wir erfahren,

daß auch die Maschine von Fliegerhauptmann Prchal an derartigen

Aktionen beteiligt war, und zwar in ganz beträchtlichem Ausmaß. Die aus

dem Meer gefischten Pfundnoten hatten sicherlich den »gemeinsamen

Fonds« gebildet, und der Spezialposten, der in Gibraltar North Front im

Liberator schlafen mußte, sollte wohl nicht den polnischen Minister-

präsidenten sondern vielmehr die Waren schützen, in die Flugzeugbesatz-

ung und ein Teil des Bodenpersonals ihre Gelder investiert hatten. Der

Liberator AL ROP war, um es kurz zu sagen, die »Weihnachtsmann-

maschine« der Staffel RNN. Man kann sich das Unbehagen der Besatzung

vorstellen, als sie erfuhr, daß man wider Erwarten kurz vor dem Abflug aus

Kairo noch die polnische Regierungsgruppe samt Gepäck an Bord nehmen

mußte, statt »leer« starten zu können. Ihre eigene Ladung konnte die

Mannschaft nicht mehr ausräumen, um den unerwarteten Passagieren

Platz zu machen, Kein Wunder also, wenn Prchal in seinen Nach-

kriegserklärungen immer wieder angedeutet hat, das übermäßige Gepäck

der polnischen Insassen könne den Absturz irgendwie herbeigeführt

habenÍÔÍ!

Ein früherer Kollege des Piloten, Fliegerhauptmann Jaroslav Prokop,

Page 206: Irving David - Mord aus Staatsräson

OMS

hat uns zum erstenmal auf den Gedanken gebracht, daß Prchal selbst

glaubte, die Schmuggelaktion sei die eigentliche Ursache für den Unfall

gewesen. In den ersten zwei Jahren nach dem Krieg hatte Prokop der

tschechischen Luftfahrtgesellschaft als Navigator angehört, war aber NVQU

im Anschluß an die Machtübernahme der Kommunisten nach London

geflohen. In der zweiten Hälfte des Jahres NVQR berichtete Prchal ihm, was

seiner Meinung nach in der Nacht des Q. Juli NVQP wirklich mit dem

Liberator AL ROP geschehen war: nachdem man ihn zur Staffel RNN versetzt

hatte, beförderte er illegal in immer größerem Maßstab Luxusgüter, wobei

ihm die Tatsache, daß seine Staffel regelmäßig VIP�s aus dem Nahen Osten

nach London brachte, von nicht geringem Nutzen war. Nach Prokop war

Prchal der Ansicht, das Flugzeug sei überladen gewesen. »Als er [Prchal]

abhob, hatte er nicht genügend Geschwindigkeit und versuchte, durch

Steigen- und Sackenlassen der Maschine an Geschwindigkeit zu

gewinnen.« Wegen der übermäßigen Ladung war das Flugzeug in der Luft

viel zu langsam, und die Höhenruder konnten nicht voll wirksam werden,

so daß die Maschine ins Meer stürzte. Prchal vertraute dem Navigator an,

er habe während des Krieges nicht gewagt, irgend jemandem etwas über

die wahre Unfallursache zu erzählen, da man ihn in diesem Fall sofort von

seinem lukrativen Posten entfernt hätte. Prokop zufolge kam die ganze

Sache anläßlich einer Schmuggelaffäre in der staatlichen Luftlinie der

Tschechoslowakei, in die Prchal nicht verwickelt war, zur Sprache. Auf die

Frage, was der Liberator AL ROP denn eigentlich befördert habe, antwortete

Prokop, wie er verstanden habe, seien Wertsachen � Uhren und Foto-

apparate � sowie Nahrungsmittel in der Unglücksmaschine gewesen: »Eine

Menge von Nahrungsmitteln, Säcke mit Orangen und Früchten, ich weiß

das.«

Das Verhalten des Piloten selbst ist immer unerklärlich geblieben. Als

ich vor den Kameras des englischen Fernsehens mit ihm konfrontiert war,

forderte ich ihn heraus: »Um die Tatsache, daß Sie im Flugzeug

Schmuggelware beförderten, zu verheimlichen, logen Sie vor dem Unter-

suchungsausschuß; und wegen Ihrer Lügen fand die Kommission niemals

heraus, wodurch der Absturz wirklich verursacht worden war.« Das

Publikum des Studios und zehn Millionen Fernsehteilnehmer warteten

darauf, Prchal werde diese Anschuldigung abstreiten. Er wechselte jedoch

Page 207: Irving David - Mord aus Staatsräson

OMT

das Thema. Der Produzent des Programms war der Ansicht, es handle sich

um eine so schwerwiegende Behauptung, daß man diesem Punkt mehr

Zeit einräumen müsse, doch selbst als man dem Flugzeugunglück eine

weitere Dreiviertelstunde widmete, blieb die Beschuldigung ohne

Stellungnahme. In einem privaten Gespräch wiederholte ich sie Prchal

gegenüber und berichtete ihm auch, es sei mir inzwischen bekannt-

geworden, er habe diese Tatsache nach dem Krieg einem tschechischen

Kollegen erzählt. Der Pilot erwiderte: »Sie meinen Jaroslaw Prokop?« und

wandte sich dann an einen Begleiter: »Sie erinnern sich an ihn, während

des Krieges war er in England und kam später zur tschechischen Luftlinie.«

Ich war überrascht zu hören, daß Prchal in jenem Augenblick den

Namen wußte � als ich den Piloten zuletzt in Kanada sah, hatte er

behauptet, Prokop nicht zu kennen. »Sehen Sie, Mister Irving«, gab Prchal

zu, »ich stritt es ab, weil ich herausfinden wollte, ob Sie damals wirklich

seinen Namen wußten.«

2

Doch auch wenn man in Betracht zieht, daß der Pilot und seine Besatzung

illegale* Schmuggelaktionen durchführten, bleibt eine Unklarheit beste-

hen: Fliegerhauptmann Prchal war nicht nur ein erfahrener Pilot, er war

überdies ein Offizier, der nichts dem Zufall überließ. Sein Ausbildungs-

offizier bemerkte einmal über ihn: »Edward war eine alte Frau, er war so

vorsichtig.« Der Autor kann einfach nicht akzeptieren, daß der Pilot gegen

sein besseres Wissen erlaubt hätte, die Maschine mit einer Nutzlast zu

versehen, die über der maximalen Sicherheitsgrenze lag. Vielleicht war er

sich tatsächlich einer solchen Tatsache bewußt und nahm das Risiko auf

sich, aber das scheint kaum plausibel. Nach dem Absturz hätte er also

eventuell angenommen, das Schmuggelgut, von dem er wußte, sei für den

Unfall verantwortlich � möglicherweise hatte aber noch eine weitere Partei

* Vgl. Flying Regulations for the RAF (Veröffentlichung Nr. NSQM des Luftfahrt-ministeriums): »Verstoß gegen die Zollvorschriften: Offiziere und Mannschaften werdendarauf hingewiesen, daß jeder Versuch, die Zollvorschriften zu umgehen, entsprechendden Bestimmungen des Air Force Act geahndet wird.« Alle Piloten, die ein Flugzeug nachEngland flogen, mußten eine Zolldeklaration � Formular C.VMO � unterschreiben.

Page 208: Irving David - Mord aus Staatsräson

OMU

»schwarzes Gepäck« befördern lassen, das letzten Endes für die Über-

ladung des Flugzeugs ausschlaggebend war und den Absturz herbeiführte.

Davon war Prchal allerdings nichts bekannt. Vielleicht lassen seine gelegent-

lichen Andeutungen, der Kopilot habe durch versehentliche Hantierung

am Feststellhebel für das Höhenleitwerk den Unfall verschuldet, lediglich

darauf schließen, daß der Tscheche selbst über die wirkliche Ursache der

Katastrophe seine begründeten Zweifel hatte.

Jedenfalls bietet es jetzt keine besonderen Schwierigkeiten mehr, die

letzten Minuten des Liberator AL ROP zu rekonstruieren und dabei alle mit

dem Absturz zusammenhängenden Randerscheinungen, die von Zeugen

beobachtet worden waren, plausibel zu erklären. Fliegerhauptmann Prchal

und seine Besatzung kletterten an Bord, gefolgt von den Passagieren, die

sich mit einiger Mühe einen Weg durch das im Rumpf der Maschine

gestaute Gepäck und die dort aufgestapelten Kisten bahnen. Anthony

Quayle wirft einen Blick durch die Heckluke und denkt: »Jesus, sie scheint

mächtig voll zu seinÍÔÎ.« Niemals zuvor hat er ein so schwer und unordent-

lich beladenes Flugzeug gesehen, obgleich er während seiner langen

Dienstzeit in North Front bereits zahllose Maschinen abfertigte. Flieger-

hauptmann Perry, der RAF-Adjutant von Gouverneur Mason-Macfarlane,

gewinnt einen ganz ähnlichen Eindruck.

Der Kopilot läßt die Triebwerke an, zuerst Nr. P, dann Nr. Q, Nr. O und

schließlich Nr. N. Die Maschine beginnt anzurollen, der Pilot hat allerdings,

während sie die Entfernung von wenigen hundert Metern zwischen

Stationierungsplatz und Anfang der Piste zurücklegt, das unbehagliche

Gefühl, das vordere Fahrwerk. berühre den Boden nicht genügend.

(»Wenn der Bug zu schwer belastet ist, tendiert sie [die Maschine] dazu, auf

dem Bugfahrgestell zu rollen, und wenn das Heck zu schwer beladen wird,

sackt sie hinten leicht nach unten ab«, hatte Prchal vor der Untersuch-

ungskommission erklärt.) Überhaupt scheint das Flugzeug schwerer zu

sein denn je � auf den Schub der Motoren reagiert es ungenügend, und

Prchal muß stärker als sonst bremsen, um es anzuhalten. Die Bordpapiere

geben das Gewicht beim Abflug aus Kairo Mit OQ.QQM kg an, also liegt es,

jedenfalls bei der Ankunft in Gibraltar, noch TSM kg unter dem zulässigen

Page 209: Irving David - Mord aus Staatsräson

OMV

Maximalgewicht von OR.OMM kg*. Vielleicht schenkte die RAF dieser

Angabe Glauben und fühlte sich berechtigt, noch zusätzliche Ladung an

Bord zu geben oder eine Sonderreserve von Treibstoff zu tanken, um

besonders sicherzugehen. Eines weiß Prchal aber � die ungewöhnlich

starke Beladung bringt den Liberator aus der korrekten Trimmlage. Er

beginnt sich ernstlich Sorgen zu machen und fragt sich (»Edward war eine

alte Frau, er war so vorsichtig«), ob es ihm gelingen wird, den Bomber

richtig vom Boden abzubringen, oder ob er schwerfällig über die Piste

rumpeln und dann ins Meer bzw. auf den Strand torkeln wird.

Was kann er noch unternehmen? Es ist ihm kaum möglich, darum zu

bitten, daß ein Teil der offiziell registrierten Ladung aus der Maschine

entfernt wird � schließlich hat der Liberator nach den Angaben der

Ladepapiere noch nicht einmal das erlaubte Maximalgewicht erreicht.

Natürlich darf er ebensowenig wagen, zum Stationierungsplatz zurück-

zurollen und das persönliche Gepäck seiner Besatzung � ganz zu schweigen

von dem Schmuggelgut! � abzuladen. Während sein Kopilot und er

mechanisch die letzten Kontrollen erledigen, kämpft Prchal mit seiner

wachsenden Angst. (»Was geschah mit dem [Feststell-] Riemen?« � »Im

Moment weiß ich es nicht mehr. Normalerweise ließen wir ihn auf dem Boden

der Kanzel liegen.«) Sonst bittet man die Passagiere eines Liberator immer,

sich beim eigentlichen Start in den vorderen Bombendepotraum

hineinzuquetschen, da das zusätzliche Gewicht im Heck des Flugzeugs die

Trimmlage beeinträchtigen würde; wie Prchal selbst weiß, befindet sich ein

Teil der Passagiere nach wie vor im rückwärtigen Teil der Maschine, wo

außerdem noch Kisten mit Alkoholika und alle möglichen anderen

Gegenstände gestaut sind, die man mit nach England nehmen will. Erst

nach einer Minute entscheidet er sich, ein Mitglied der Besatzung nach

draußen zu schicken, um die Trimmung zu überprüfen, und das, obgleich

man die gesamte Flugplatzbeleuchtung inzwischen ausgeschaltet hat und

die Flugkontrolloffiziere bereits auf den Start warten. »Nachdem ich die

Motoren angelassen hatte, ging er [der Flugingenieur] vor dem Start am

Rumpf auf und ab und berichtete mir dann, es sei alles in Ordnung.«

* Vgl. Pilot Manual, Liberator B-24C (Veröffentlichung Nr. NUTSC des Luftfahrt-ministeriums).

Page 210: Irving David - Mord aus Staatsräson

ONM

In Wirklichkeit beschränkt sich der Flugingenieur allerdings nicht

darauf, »auf und ab« zu gehen. Er bringt vor allein die schweren

Gepäckstücke von der Heckpartie und aus dem Rumpf der Maschine zum

vorderen Bombendepotraum; da die enge Kabine jedoch schon von den

Passagieren und dem Postgut in Anspruch genommen wird, lädt man

einige Postsäcke in den noch leeren Bugraum des Liberator um. Darunter

befindet sich auch ein Postsack, den man in Kairo nahe der vorderen Luke

des Bombendepots gestaut hatte: mit den übrigen Beuteln wird er in das

vordere Bugabteil geworfen. (»Haben Sie jemals davon gehört, daß ein

Postsack oder ein anderer Gegenstand beim Anrollen oder während des Flugs

aus einem Liberator fiel?« � »Nein, wenn ein Gegenstand jedoch im Bug

gestaut wird, ist es möglich, daß er durch die für das vordere Fahrwerk

bestimmte Öffnung fällt, sofern diese nicht gesichert worden ist.«) Nach zehn

bis fünfzehn Minuten hat man diese Aufgabe erledigt. Prchal ist allerdings

immer noch nicht ganz wohl zumute, und ohne seinem Kopiloten, mit

dem er vor dieser Reise noch nie geflogen ist, irgend etwas von seinen

Befürchtungen mitzuteilen, legt er die Mae West an und befestigt seinen

Sicherheitsgurt � er vermutet, heute nacht eventuell beide Vorsichts-

maßnahmen, die er bisher immer mißachtet hat, nötig zu haben

(wahrscheinlich folgt der Kopilot diesem Beispiel). »Vermutet« ist unter

Umständen noch zu stark ausgedrückt, da Prchal wohl nach wie vor

glaubt, bei ausreichender Geschwindigkeit gut abheben und starten zu

können. Erst einmal in der Luft, würde alles schon ganz anders aussehen.

»Nach einer beträchtlichen Pause wendete esÍÔÏ.« Der Pilot hat endlich

allen Mut zusammengenommen und beginnt mit dem Anrollen. Er muß

so schnell wie möglich die maximale Bodengeschwindigkeit erreichen, da

die Piste relativ kurz ist und man überdies an ihrem Ende Reparatur-

arbeiten vornimmt. Während das Flugzeug die Piste entlangrast, fällt einer

der umgeladenen Postsäcke, die man im Bug der Maschine nicht korrekt

genug gestaut hat, durch die für das andere Fahrgestell bestimmte Öffnung

und landet auf der Rollbahn. Nach NMMM m darf der Pilot nicht länger

zögern. (»Ich mußte das Flugzeug durch eine beträchtliche Rückwärts-

bewegung der Steuersäule von der Piste abbringen.«) Die Maschine hebt vom

Boden ab. (»Ich hatte unwillkürlich begonnen, zu ihr zu laufen � sie schien

an der Piste zu kleben, und ich dachte, mein Gott, diesmal ist sie wirklich zu

Page 211: Irving David - Mord aus Staatsräson

ONN

schwer beladen wordenÍÔÌ.«)

Als der Liberator sich in der Luft befindet, erkennt Prchal sofort, daß

etwas nicht in Ordnung ist � auch mit ausgestellten Startklappen und

voller Motorenleistung wird er es nicht schaffen. (»Meiner Meinung nach

befand es sich in ungefähr 30 m Höhe über dem östlichen Ende der Rollbahn,

als es nicht mehr weiterstieg und begann, langsam dem Meer entgegen zu

sackenÍÔÓ.«) Nach einem Flug von nur zwanzig Sekunden Dauer � Prchal

hat gerade noch Zeit, »Bruchlandung« zu rufen � prallte das Flugzeug aufs

Meer. Der Sicherheitsgurt hat den Piloten gut in seinem Sitz festgehalten.

(»Meine Untersuchung Fliegerhauptmann Prchals nach dem Absturz ergab,

daß er unter einem Schock, Gesichtsverletzungen und einem Bruch des

rechten Knöchels littÍÔÔ.« � Wir hatten bereits erwähnt, daß man seinerzeit

kurz danach auch einen Bruch des linken Knöchels diagnostizierte.) Er löst

den Gurt, klettert aus dem schwer beschädigten Cockpit, betätigt den

Pumpmechanismus seiner Mae West und stößt Hilferufe aus, die von den

Männern der sich nähernden Rettungsjolle vernommen werden. Einige

Minuten später nimmt man ihn an Bord.

Prchal kann das Ereignis nicht bewältigen und legt sich zahlreiche

Fragen vor: »Im Hospital galt mein erster Gedanke den politischen Folgen, die

der Tod General Sikorskis und seiner Gruppe nach sich ziehen würdeÎÊÊ.«

Auch wenn wir wüßten, was nach dem Absturz wirklich im Kopf des

Piloten vorging � immerhin ahnen wir die Gründe für seine innere

Bewegung �, hätten wir damit noch lange nicht festgestellt, was tatsächlich

geschah, ganz zu schweigen davon, ob die Katastrophe auf einen Unfall

zurückging oder nicht.

Es liegt sowohl direktes als auch indirektes Beweismaterial vor, wonach

der Liberator AL ROP im Augenblick des Absturzes sehr schwer beladen

war; selbst beim Abflug aus Kairo war die Fracht schon ganz beträchtlich

gewesen. Eine nähere Prüfung der offiziellen Akten der Staffel RNN sowie der

privaten Aufzeichnungen, die der Unteroffizier der lokalen Wartungs-

einheit Gibraltar aufbewahrte, zeigt daß man die Maschine bis zur Grenze

ihrer Tragfähigkeit beladen hatte und ihre Treibstofftanks bis zum Rand

gefüllt warenÎÊÁ. In den vom Autor eingesehenen Protokollen werden

genaue Daten für sechs andere Liberators identischer Bauart aufgeführt,

die zwischen dem OR. Juni und dem S. Juli NVQP ebenfalls von Gibraltar

Page 212: Irving David - Mord aus Staatsräson

ONO

nach Lyneham flogen. Die durchschnittliche Nutzlast (Fracht, Post und

Passagiere) dieser Flugzeuge betrug NQUR kg, während der Liberator AL ROP

nach offiziellen Angaben rund OQTR kg, in Wirklichkeit jedoch bedeutend

mehr beförderte*. Leider hat man Protokolle über die Treibstoffladung der

Maschinen nicht aufbewahrt, aus privaten Aufzeichnungen wissen wir

aber, wieviel Spezialbenzin jedes der sieben Flugzeuge aufnahm � auch hier

hatte Sikorskis Liberator eine schwere Last zu schleppen: OMMM Gallonen,

also TSRM kg, wurden in der Kronkolonie zusätzlich in seine Tanks

gepumpt. Damit aber nicht genug. Schon aus den Akten der Untersuch-

ungskommission der Royal Air Force geht hervor, daß die Unglücks-

maschine beim Start in Gibraltar NPR kg schwerer war als beim Abflug aus

Kairo, und das, obwohl in Cairo West beide Startpisten länger waren als

die Rollbahn von North Front!

Auf dem Papier betrug das Gesamtgewicht des Liberator AL ROP beim

Start in der Kronkolonie OQ.RTM kg, hatte also die Maximalgrenze von

OR.OMM kg immer noch nicht erreicht. Wenn man allerdings zufällig oder

mit Vorbehalt (der Grund dafür braucht nicht besonders erwähnt zu

werden . . .) auch den Reservetank gefüllt hätte, würde sich das Gesamt-

* Das Frachtproblem ist so wichtig, daß wir im folgenden eine detaillierte Aufgliederungvornehmen wollen. Von den in den offiziellen Akten aufgeführten Flugzeugen erfüllen dievon uns zitierten sieben Liberators ausnahmslos die notwendigen Voraussetzungen: eshandelt sich also um Maschinen vom Typ »Mark II«, die von Gibraltar nach Londonflogen und so die zweite Etappe ihrer Rückreise aus dem Nahen Osten zurücklegten.

Registrier- Treib- Passa- Geschätzenummer Datum stoff (l) Fracht giere Nutzlast (kg)AL RRN OR. Juni UNMM RNV U NOPUAL RUQ OV. Juni URRM PTM U SPVAL VOO OV. Juni URRM TTR V NRUQAL SNS N. Juli URRM UUN NO NVRUAL ROP Q. Juli VMMM NRMN NN OQUQAL RUQ R. Juli VMMM OSN NQ NQVNAL VNQ S. Juli VMMM NMRM NM NVQV

Um die Nutzlast zu kalkulieren, setzt man für jeden Passagier mit persönlichem Gepäcketwas unter VM kg an (die zehn Passagiere, die in Kairo an Bord des Sikorski-Flugzeugsgingen, wogen zusammen UVN kg). Auf dem Flug von Lyneham nach Gibraltar trugen diebetreffenden Maschinen eine Nutzlast von durchschnittlich PNRM kg, die Treibstoffvorrätewaren jedoch weit geringer als beim Rückflug. Der für die in der Kronkolonie stationierteWartungseinheit damals verantwortliche Sergeant hat angegeben, daß man dieTreibstofftanks des Liberator AL ROP randvoll gefüllt hatte. Die beiden Haupttanks desLiberator faßten je NORM Gallonen, zusammen demnach ORMM Gallonen Flugzeugbenzin.Der ebenfalls vorhandene Reservetank konnte RMM Gallonen aufnehmen.

Page 213: Irving David - Mord aus Staatsräson

ONP

gewicht um weitere NUMM kg erhöht haben � auch nach einer noch so

minuziösen Untersuchung des Flugzeugwracks hätte eine solche Tatsache

niemals aufgedeckt werden können. Doch das ist eine Hypothese, der wir

hier nicht weiter nachgehen wollen. Zusammenfassend sei betont:

entgegen den in Kairo ausgefertigten Ladepapieren war Prchals Liberator

fast bis zum zulässigen Maximalgewicht beladen, da man das nicht

registrierte Gepäck (Souvenirs, Geschenke, Alkoholkisten etc.) sowie vor

allem das illegale Schmuggelgut ebenfalls berücksichtigen muß. Hätte der

Pilot sonst den vom Regierungsgebäude aus telefonisch avisierten Extra-

passagier (den polnischen Geheimkurier Gralewski) nur unter der Beding-

ung akzeptiert, der neue Insasse dürfe keinerlei Gepäck bei sich führen?

Vor dem RAF-Ausschuß erklärte Prchal verständlicherweise, seiner

Meinung nach habe das Gesamtgewicht der Maschine ungefähr OP.QMM kg

betragen � sein Durchschlag des Formulars NORS war beim Absturz

vernichtet worden. Der Leser wird diese Fehlschätzung ähnlich werten

müssen wie beispielsweise eine der Angaben des Piloten aus dem Jahre

NVRP: damals behauptete er, sein Flugzeug sei ungefähr Q km weit geflogen,

bevor es aus einer Höhe von VM m abstürzte . . . Außerdem läßt sich ein

Gesamtgewicht von OP.QMM kg keinesfalls mit der Startgeschwindigkeit

vereinbaren, die Prchal vor der Militärkommission mit OMU km/h angab �

diese Geschwindigkeit ist nämlich erst bei einem Gewicht von OT.VMM

erforderlich (bei OO.RMM kg genügen NTS km/h, während man bei einem

Gesamtgewicht von RQ.TRM kg NVO km/h erreichen muß)ÎÊË. Wir erinnern

uns zudem an Prchals Aussage, er sei bei halb ausgestellten Flugklappen

mit einer Geschwindigkeit von OSQ km/h geflogen � auch das entspricht

einem »Abheben mit sehr schwerer Beladung«, wie ein Liberator-Experte

vor dem Untersuchungsausschuß bezeugt hattÎÊÈ

Offensichtlich wußte der Pilot entgegen allen seinen Versicherungenvor der offiziellen Kommission also selbst nicht genau, was den Absturzeigentlich herbeigeführt hatte. Er befürchtete, die Ursache des Unglückskönne mit der illegalen Fracht der Maschine zusammenhängen, undvielleicht verdächtigte er außerdem wirklich Major Herring, seinenKopiloten, etwas falsch gemacht zu haben. Daß der Liberator AL ROP

ausschließlich wegen seiner übermäßigen Fracht oder einer falschenTrimmlage abstürzte, können wir nicht akzeptieren: die Augenzeugen-

Page 214: Irving David - Mord aus Staatsräson

ONQ

berichte der Experten sprechen eindeutig gegen eine solche Möglichkeit.Andererseits ist aber auch nicht einzusehen, weshalb ein so erfahrenerKopilot wie Herring entweder den Blockierhebel für die Startklappen oderden Leitwerk-Feststellhebel mit dem Handgriff verwechselt haben sollte,der zum Einziehen des Fahrgestells diente; übrigens war nach dereingehenden Untersuchung des Wracks das Fahrwerk im Augenblick desAbsturzes bereits teilweise eingezogen, man (und zwar der Pilot, wenn wirseiner diesbezüglichen Aussage Glauben schenken können) hatte also denrichtigen Hebel bedient.

An dieser Stelle muß allerdings eine weitere Hypothese angedeutetwerden: Ist es denkbar, daß der Kopilot absichtlich die Startklappen falschausstellte, um so das Flugzeug zum Absacken zu zwingen? War Herringjene dunkle Silhouette gewesen, die Douglas Martin von fern auf derTragfläche des sinkenden Liberator entlanggehen sah? Um Prchal kann essich nicht gehandelt haben, da seine beiden Knöchel gebrochen waren.Befindet sich »Kipper« Herring, der heldenhafte Bomberpilot des ZweitenWeltkrieges, der rastlose Abenteurer aus Lincolnshire, noch irgendwo amLeben? »Den Frieden hätte er gehaßt«, erklärte seine Witwe heute. Auch fürdiese Theorie fehlen uns weitere konkrete Anhaltspunkte, und vielleichttun wir dem RAF-Offizier großes Unrecht, wenn wir sie an dieser Stellestreifen.

Da der Untersuchungsausschuß der Royal Air Force sich im Jahre NVQP

praktisch ausschließlich auf die unzutreffenden Angaben des PilotenPrchal verlassen hatte, kam er zu einem falschen Ergebnis. Daran ist nichtmehr zu rütteln, und ich glaube ebenfalls bewiesen zu haben, aus welchemGrund der Pilot vor der Kommission keine wahrheitsgetreuen Angabengemacht hatte � er fürchtete, das Unglück sei durch die übermäßige Frachtoder die schlechte Stauung des Liberator verursacht worden, eine Tatsache,die seiner Meinung nach letzten Endes auf die Mitführung desSchmuggelguts zurückzuführen war. Prchal durfte seine illegalenOperationen aber keinesfalls eingestehen, ohne seine Karriere aufs Spiel zusetzen.

Die tatsächliche Absturzursache wird dadurch allerdings nicht erhellt �sie dürfte vielmehr in einem Sabotageakt zu suchen sein. Positive Beweisefür ein Attentat liegen zwar nicht vor, wohl aber eindeutige Anhaltspunkte,denen der offizielle Militärausschuß keine Bedeutung zumaß, sei es, weil er

Page 215: Irving David - Mord aus Staatsräson

ONR

seine Ermittlungen zu oberflächlich führte, sei es, weil seine Offiziere diePräzedenzfälle zum Sikorski-Absturz nicht beachtet hatten � es istnatürlich möglich, daß sie von den vorhergehenden, rätselhaften und nachwie vor nicht hundertprozentig geklärten Sabotageversuchen gar keineKenntnis hatten. Der Autor hat diese Präzedenzfälle sowie die offengebliebenen Fragen um die Gibraltar-Katastrophe ausführlich behandeltund in den richtigen Zusammenhang gerückt; abschließend greift er nurnoch einige Punkte heraus, wenn er den mysteriösen Anruf bei MinisterPopiel in London, die Attentatsversuche, die vorher auf den polnischenMinisterpräsidenten gemacht wurden, den Sabotageanschlag auf dasFlugzeug, das General de Gaulle, einen anderen Exilpolitiker, der denAlliierten unbequem geworden war, nach Glasgow bringen sollte, undschließlich die augenfällige Tatsache anführt, daß von den mehr als RM.MMM

Maschinen, die im Jahre NVQP ohne jeden Unfall von der Piste derKronkolonie abhoben, ausgerechnet der Liberator Sikorskis abstürzenmußte.

Fliegerhauptmann Edward Prchal, der sich jahrelang Vorwürfegemacht haben dürfte, kann seinem gequälten Gewissen endlich etwasRuhe gönnen. Das Höhenleitwerk des Liberator AL ROP blockierte nicht,und auch seine illegale Fracht gab nicht den Ausschlag zur Katastrophe.Ebenso ist die Möglichkeit, einem derart erfahrenen und geübten Flug-zeugführer sei � zum erstenmal in seinem Leben � ausgerechnet in diesementscheidenden Moment ein menschliches Versagen unterlaufen, absurdund bedarf keiner ernsthaften Erörterung. Nirgends, weder in den Aktender amerikanischen Herstellerfirma, noch in den Protokollen der RAF-Stationen, der einzelnen Staffeln und Verbände der Air Force, hat mananalog rätselhafte Abstürze registriert oder technische Defekte desLiberator Mark II aufgedeckt, die zu einem entsprechenden Unfall führten.Unter diesen Umständen leuchtet allein die Schlußfolgerung, derpolnische Ministerpräsident und Oberbefehlshaber sei das Opfer einesSabotageanschlags geworden, ein. Auf welche Weise das Attentatvorbereitet und durchgeführt wurde, bedarf allerdings noch der Klärung �ebenso die Frage, wer das verbrecherische Vorhaben inszenierte. Aber auchdarauf habe ich in diesem Buch die nötigen Hinweise gegeben.

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ONS

Anhang

In einer Rede vor dem Unterhaus forderte Premierminister Harold Wilson

am NN. Februar NVSV alle Personen, die an der Richtigkeit der Unter-

suchungsergebnisse des Militärausschusses von Gibraltar-Lyneham zwei-

felten, auf, ihm ihre Beweise vorzulegen. Sollte es sich dabei um stich-

haltiges Material handeln, würde man erneut über den Tod des ehemaligen

polnischen Ministerpräsidenten ermitteln. Bereits am folgenden Tag

sandte ich dem britischen Regierungschef ein zehnseitiges Memorandum,

in dem die im vorliegenden Buch detailliert aufgeführten Zeugenaussagen,

die der damaligen Untersuchungskommission unbekannt waren, zusam-

mengefaßt und auch die sonstigen Ergebnisse meiner Recherchen im

Zusammenhang mit dem tragischen Ereignis vom Q. Juli NVQP, die in den

vorangegangenen Kapiteln ebenfalls behandelt werden, übersichtlich

dargestellt waren. In diesem PP Punkte umfassenden Schriftstück habe ich

nachdrücklich auf die � durch direkte und indirekte Beweise erhärtete �

Tatsache hingewiesen, daß Edward Prchal, der Pilot der Unglücks-

maschine, im Jahre NVQP vor dem Ausschuß unzutreffende Angaben

gemacht hatte. Auch die eidesstattlichen Erklärungen der von der Militär-

kommission nicht vorgeladenen Augenzeugen kommen zur Sprache.

Ich betonte noch einmal, daß es der Kommission aus diesen Gründen

gar nicht möglich war, die wahre Absturzursache festzustellen. An der

Notwendigkeit einer Neueröffnung des Untersuchungsverfahrens könne

also nicht mehr gezweifelt werden. Bei diesem neuen Verfahren müsse

zumindest ein ordentliches Kommissionsmitglied Fachmann für Maschin-

en des Typs Liberator sein: eingestandenermaßen hatte der Ausschuß-

vorsitzende von Gibraltar-Lyneham so gut wie keine Erfahrungen mit

Liberators gehabt, und das, obgleich er es mit einem Flugzeugführer zu tun

hatte, der zu den besten Liberator-Experten der damaligen Zeit gehörte!

Abschließend bot ich dem britischen Premierminister Einsichtnahme

und Prüfung meines gesamten Beweismaterials sowie aller Aufzeich-

nungen meiner jahrelangen Nachforschungen an.

Page 217: Irving David - Mord aus Staatsräson

ONT

Harold Wilson ließ mehr als zwei Monate verstreichen, ehe er sich zu

einer lakonischen, zwei Sätze umfassenden Antwort entschloß. Den

Wortlaut dieses Schreibens möchte ich ungekürzt � und ohne weiteren

Kommentar � wiedergeben:

NM Downing StreetWhitehallNQ. April NVSV

Sehr geehrter Mister Irving!Ich danke Ihnen für Ihren Brief vom NP. Februar, in dem Sieden Versuch unternommen haben, Ereignisse zu rekon-struieren, die am Q. Juli NVQP stattfanden, und in dem Siegewisse zusätzliche Theorien über die Ursache dieserEreignisse angeboten haben. Ich habe Ihre Punkte sehrsorgfältig erwogen, bin jedoch nicht der Ansicht, daß sieeinen ausreichenden Grund für die Wiederaufnahme derUntersuchung darstellen.

Hochachtungsvoll!gez. Harold Wilson

Page 218: Irving David - Mord aus Staatsräson

ONU

Anmerkungen und Quellenangaben

N The Times, V. T. NVQP; Reuter, nach IrishIndependent, V. T. NVQP; GibraltarChronicle, U. T. NVQP.

O Rundfunkansprache Winston Churchillsan Polen, NQ. T. NVQP (zitiert nach Polandand the British Parliament, PilsudskiInstitute, New York, Bd. III, S. OPS).

P The Times, S. T. NVQP. Gibraltar Chronicle,S. T. NVQP.

Q Memorandum des sowjetischenAußenministeriums an alle ausländischenBotschaften und Missionen in Moskauvom S. N. NVQO, veröffentlicht inDocuments on Polish-Soviet Relations1939-1945, General Sikorski HistoricalInstitute, London NVSN, Bd. I (NVPV bisNVQP), S. OSM. Im weiteren Verlauf derQuellenangaben bezeichnen wir diesePublikation als DPSR.

R Botschafter Kot an den sowjetischenAußenminister Molotow, V. N. NVQO, inDPSR, S. OSN.

S Sowjetisches Außenministerium an diePolnische Botschaft in der UdSSR, V. N. -NVQO, in DPSR, S. OTQ-OTS.

T Unterhaltung zwischen General Sikorskiund Sir Stafford Cripps, OS. N. NVQO, inDPSR, S. OSV-OTN.

U Unterhaltung zwischen Sikorski undWinston Churchill, PN. N. NVQO, in DPSR,S. OTQ-OTS.

V Bericht von Berater Weese, R. P. NVQO, inDPSR, S. OUS.

NM Churchill an Roosevelt, T. P. NVQO.Churchill an Stalin, V. P. NVQO. LlewellynWoodward: British Foreign Policy in theSecond World War, London NVSO(HMSO), S. NVP. Unterhaltung zwischenSikorski, Churchill, Eden u. a., NN. P.NVQO, in DPSR, S. OVR-OVV.

NN Unterhaltung zwischen Sikorski undPräsident Roosevelt, OQ. P. NVQO, inDPSR, S. PNM.

NO Graf Raczynski an Eden, NP. Q. NVQO, inDPSR, S. PON. Eden an Raczynski, NT. Q. -NVQT, in DPSR, S. POV.

NP Konferenz Sikorski � Eden, U. S. NVQO, inDPSR, S. PSQ.

NQ Unterhaltung zwischen Sikorski undChurchill, PM. U. NVQO, in DPSR, S. QOU.Woodward, a.a.O., S. NVP.

NR Raczynski an Botschafter Bogomolow,OU. N. NVQO, in DPSR, S. OTN.

NS Bogomolow an Raczynski, NP. P.NVQO, inDPSR, S. PMM.

NT Raczynski an Bogomolow, OM. Q. NVQP,in DPSR, S. ROV.

NU Dieser Tagebuchauszug ist abgedrucktin The Crime of Katyn, Facts andDocuments, einer Veröffentlichung derPolish Cultural Foundation (LondonNVSR, S. NUV-NVM: »Katyn File No. MQVM«).

NV Sowjetisches Außenministerium an diePolnische Botschaft in der UdSSR, NS. N.NVQP, in DPSR, S. QTQ.

OM Archiv des Reichsaußenministeriums.Die polnisch-sowjetischen Beziehungenwährend dieses Zeitraums werden indrei Aktenordnern behandelt: FolgeNORS »Polen und Rußland, NovemberNVQM bis März NVQQ« (NARS-MikrofilmT-NOM, Rolle TRO), Folge NPOT »PolitischeBeziehungen zwischen Polen undRußland« (T-NOM, Rolle QMQ) und FolgeUQSQ »Militärische Angelegenheiten,Polen« (hierbei handelt es sichallerdings um eine Mappe mitfehlregistrierten Dokumenten,Berichten also, die mit polnischenAngelegenheiten nichts zu tun haben).Die zitierten Passagen stammen aus dernützlichen und ausführlichen Übersichtpolnischer Regierungserklärungen, dieNVQQ vom Reichsaußenministeriumzusammengestellt wurde (Mikrofilm T-NOM, Rahmen PROMOU-PRONMT, Rolle QMQ).Es handelt sich zum größten Teil umMitschnitte der Deutschen aus BBC-Rundfunksendungen.

ON Raczynski an Eden, OP. O. NVQP, in DPSR,S. QUT.

OO Archiv des Reichsaußenministeriums,auch in DPSR, S. RMN.

OP Kommuniqué der PolnischenTelegraphenagentur, N. P. NVQP, in DPSR,S. RMO.

Page 219: Irving David - Mord aus Staatsräson

ONV

OQ »Official Report« des britischenUnterhauses, Bd. PTP, Kol. NRMQ, PM. T.NVQN.

OR Robert E. Sherwood: The White HousePapers of Harry L Hopkins, LondonNVQV, Bd. II, S. TMS-TMT.

OS DPSR, S. SMS-SMT (Anm.). Churchill:The Second World War, London NVRN,Bd. IV, The Hinge of Fate (deutschunter dem Titel Der Zweite Weltkrieg,Bd. IV, Schicksalswende, Bern-München-Wien NVRP). Sherwood,a.a.O., S. TNM-TNQ.

OT Über die Lemberg-Frage unterhieltensich Eden und Raczynski am OO. N. NVQP,Eden und Sikorski kurze Zeit darauf.Sikorski gab schließlich nach undstimmte zu, den Kreuzer »Gdansk«(Danzig) zu nennen. Robert E.Sherwood: Roosevelt and Hopkins, NewYork NVQU, Bd. II, S. TMU-TNQ. Vgl.Herbert Peis: Churchill, Roosevelt,Stalin, S. NOO, und Sir LlewellynWoodward: British Foreign Policy in theSecond World War, London NVSN,HMSO, S. OMP (Fußnote).

OU Die beiden Professoren waren Langeund Karpinski. Die Rundfunksendungwird in den Akten desReichsaußenministeriums zitiert (s.Anm. OM).

OV Schweizer Zeitungen. Vgl. BaslerNachrichten, NO. Q. NVQP.

PM Roosevelt an Sikorski, NO. Q. NVQP.Veröffentlicht in Foreign Relations of theUnited States, Diplomatic Papers 1943,Bd. III., S. PTP. Im weiteren Verlauf derQuellenangaben bezeichnen wir diesePublikation als FRUS.

PN Deutsches Weißbuch: AmtlichesMaterial zum Massenmord von Katyn.Im Auftrag des AA auf Grundurkundlichen Beweismaterialszusammengestellt, bearbeitet undherausgegeben von der deutschenInformationsstelle, NVQP (s. Anm. NU).

PO Verlautbarung von Radio Berlin, NP. Q.NVQP, in DPSR, S. ROP.

PP DPSR, S. SMV (Anmerkung).PQ Soviet War News, NT. Q. NVQP, in DPSR, S.

ROQ. Vgl. United Press vom NS, Q. NVQP,Basler Nachrichten vom NS. Q. NVQP sowieFRUS, S. PTV.

PR US-Botschafter Drexel Biddle an US-

Außenminister, NT. Q. NVQP, in FRUS, S.PTV.

PS Daily Telegraph, S. T. NVQP (»LondonDay by Day«).

PT Tagebuch Sikorskis, NR. Q. NVQP. DasTagebuch, ein Dokument vonentscheidendem Wert, wurde vomjeweiligen Adjutanten des Generalsgeführt. Wie viele andere polnischeDokumente, die wir in diesem Buchbenutzt haben, wurde es uns vomGeneral Sikorski Historical Institute,London, zur Verfügung gestellt. Vgl.Reuter vom NS. Q. NVQP.

PU Churchill, a.a.O., Bd. IV, S. STV. Vgl.Woodward, a.a.O., S. OMP.

PV Unterhaltung zwischen Sikorski,Churchill und Raczynski, NR. Q. NVQP(polnisch, unveröffentlicht). Vgl.Raczynski: W sojuszniczym Londynie,London NVSM, S. NTN (Fußnote).

QM Drexel Biddle an US-Außenminister, NT.Q. NVQP, in FRUS, S. PUM-PUN.

QN Kommuniqué des NationalenPolnischen Verteidigungsministeriums,NS. Q. NVQP, in DPSR, S. ROR-ROT. Reuter,NS. Q. NVQP (zitiert in Basler Nachrichten,NT./NU. Q. NVQP)

QO Drexel Biddle an US-Außenminister, NT.Q. NVQP, in FRUS, S. PTV.

QP Desgl., in FRUS, S. PUT.QQ Tagebucheintrag Dr. Joseph Goebbels�

vom NT. Q. NVQP, in Goebbels� Tagebücheraus den Jahren 1942-43 mit anderenDokumenten, hrsg. von Louis P.Lochner, Zürich NVQU.

QR Basler Nachrichten, NV. Q. NVQP.QS Verlautbarung der polnischen

Regierung, London, NT. Q. NVQP, inDPSR, S. ROT-ROU. Vgl. FRUS, S. PUN-PUO.

QT Prawda, NV, Q. NVQP (zitiert in BaslerNachrichten, OM. Q. NVQP).

QU TASS, ON. Q. NVQP (zitiert in BaslerNachrichten, ON. Q. NVQP).

QV Stalin an Churchill, ON. Q. NVQP, in DPSR,S. RPM-RPN. Stalin an Roosevelt, ON. Q. -NVQP, in FRUS, S. PVN.

RM Verlautbarung der von den Deutschenkontrollierten »Europa-Presse-Agentur«, Warschau, OO. Q. NVQP, inBasler Nachrichten, OQ./OR. Q. NVQP.

RN Churchill an Stalin, OQ. Q. NVQP, inDPSR, S. RPO. Vgl. FRUS, S. PVP.

RO Drexel Biddle an US-Außenminister,

Page 220: Irving David - Mord aus Staatsräson

OOM

OT. Q. NVQP, in FRUS, S. PVU-QMM.RP Churchill an Stalin, OR. Q. NVQP, in

DPSR, S. RPQ-RPR. Vgl. FRUS, S. PVP.RQ Eine Untersuchung der Gründe,

weshalb das Foreign Office damals ander Wahrheit der deutschen Angabenzweifelte, bei Woodward, a.a.O., S. OMQ(Fußnote). Telegramm Winant (US-Botschafter in London) an US-Außenminister, ON. Q. NVQP, in FRUS, S.PUR.

RR Notiz eines Telefongesprächs vonElbridge Burbrow, OS. Q. NVQP, in FRUS,S. PVS.

RS The Times, T. T. NVQP, sowie Informationdes General Sikorski HistoricalInstitute.

RT Collier�s National Weekly, P. Q. NVQP.Berichte über Ansprachen, die GeneralSikorski in New York hielt (Akten desPilsudski Institute, New York).

RU Kommuniqué des InternationalenRoten Kreuzes, Genf, April NVQP, inDPSR, S. RPN (ebenfalls in BaslerNachrichten, OQ. Q. NVQP).

RV Bericht von Harold King,Sonderkorrespondent der britischenNachrichtenagentur Reuter in Moskau,OV. Q. NVQP.

SM In den USA hielt ein CongressionalSelect Committee to Conduct anInvestigation of the Facts, Evidence andCircumstances of the Katyn ForestMassacre (Kongreß-Sonderausschußzur Untersuchung von Sachverhalt,Beweismaterial und Begleitumständendes Massenmords im Wald von Katyn)zwischen Oktober und November NVROHearings ab, deren Protokolle undErgebnisse, ein Report von OPSO SeitenUmfang, NVRO von der US-Regierungveröffentlicht wurden. Der Ausschußbefand, »das sowjetische NKWD . . .[sei] verantwortlich« (s. hierzu auchThe Times, T. NM. NVSS).

SN Goebbels� Tagebuch, OS. Q. NVQP(unveröffentlicht),

SO Churchill, a.a.O., Bd. IV, S. STU-SUN.SP Molotow an Botschafter Romer,

Moskau, OR. Q. NVQP, in DPSR, S. RPP-RPQ.Mitteilung Romers an Molotow, OS. Q.NVQP, in DPSR, S. RPR-RPS.

SQ Basler Nachrichten, OT. Q. NVQP.SR Ebd., OU. Q. NVQP.

SS Dieses bemerkenswerte Dokument derpolnischen Untergrundbewegung istbisher noch nicht veröffentlichtworden. Ich fühlte mich deshalbverpflichtet, es hier in extensowiederzugeben. Die polnischeWiderstandsbewegung war sich derGefahren der Nazi-Propaganda um dasMassaker von Katyn vollkommenbewußt. Der Wortlaut der»Bekanntmachung« befindet sich inden Akten der Abwehr(nichtkatalogisierter NARS-MikrofilmT-TT, Rolle NQQP, Rahmen VNV-VOM).

ST Goebbels� Tagebuch, OT./OU. Q. NVQP,a.a.O.

SU Himmler an Ribbentrop, OO. Q. NVQP.Die SS-Akte mit der betreffendenKorrespondenz befindet sich aufNARS-Mikrofilm T-NTR, Rolle TP.

SV Reichsleiter SS-Gruppenführer Bohle(Leiter der Auslandsorganisation derNSDAP) an Reichsführer-SS Himmler,NQ, Q. NVQP.

TM Ribbentrop an Himmler, OS. Q. NVQP.TN Diese Feststellung beruht auf einer

näheren Untersuchung der AktenHimmlers, der SS-Dokumente undauch der Akten desReichssicherheitshauptamtes, diegegenwärtig von den Herren Wolfe undSpencer in Alexandria, Virginia, aufNARS aufgenommen und katalogisiertwerden. über den Fall Katyn existiertnoch eine weitere SS-Akte mit Fotosund Plänen der Massengräber zur Zeitihrer Entdeckung und Öffnung; sieträgt die Jahreszahl NVQQ (NARS-Mikrofilm T-NTR, Rolle NVV). AllgemeineInformationen über Katyn: »Katyn �ein Geheimnis?«, in Vierteljahresheft fürZeitgeschichte, NVRR, S. QMR; Proceedingsdes US-Naval Institute, Oktober NVRO;sowie Manuskript Nr. A. VNT (»TheTruth about Katyn«) der HistorischenAbteilung der US-Armee, woGeneralmajor R. von Gersdorff, derseinerzeit die Exhumierungsarbeitenleitete, seine Eindrücke niedergelegthat.

TO Goebbels� Tagebuch, PM, Q. NVQP(unveröffentlicht).

TP Telegramm Nr. OTNN der DeutschenBotschaft in Paris nach Berlin, N. R. NVQP.

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OON

Bei den beiden Polen handelte es sichum Tarlo-Mazynski, Professor derPhilosophie in Warschau, und um denehemaligen polnischen Finanzminister,Ingenieur Wincenty Jastrzebski (NARS-Mikrofilm T-NOM, Rolle QMQ, RahmenPROMPT).

TQ Staatssekretär (imReichsaußenministerium) Hencke anDeutsche Botschaft in Paris,Telegramm Nr. NNV, S. R. NVQP.

TR Memorandum von Hencke, Berlin, OO.R. NVQP.

TS Basler Nachrichten, OU. Q. NVQP.TT Standley (US-Botschafter in Moskau)

an US-Außenminister, OU. Q. NVQP, inFRUS, S. QMM-QMO.

TU Standley an US-Außenminister, NQ. Q.NVQP, in FRUS, S. PTQ.

TV Churchill an Stalin, PM. Q. NVQP, inDPSR, S. RPV-RQM.

UM Drexel Biddle an US-Außenminister, O.R. NVQP, in FRUS, S. QMR.

UN Woodward, a.a.O., S. OMQ und S. OMR(Fußnote).

UO Bericht über eine Unterhaltung mitSikorski, von Drexel Biddle an US-Außenminister, N. R. NVQP, in FRUS, S.QMP-QMQ. In den Akten des GeneralSikorski Historical Institute befindetsich eine ausführliche Aufzeichnung desGesprächs zwischen Sikorski undAnthony Eden.

UP Archiv des Reichsaußenministeriums.UQ Sikorski an Roosevelt, Q. R. NVQP, in

FRUS, S. QNN.UR Stalin an Churchill, Q. R. NVQP, in

Correspondence, Bd. I, S. NOU.US US-Außenminister an Drexel Biddle,

NS. S. NVQP, in FRUS, S. QPN.UT Standley an US-Außenminister, NU. S.

NVQP, in FRUS, S. QPO (hier berichtetStandley über Ansichten undEindrücke, die von Clark Kerr geteiltwerden).

UU Bericht über eine Unterhaltung mitBogomolow, von Drexel Biddle an US-Unterstaatssekretär(Außenministerium) Sumner Welles, O.S. NVQP, in FRUS, S. QOS

UV Drexel Biddle an US-Außenminister, NR.R. NVQP, in FRUS, S. QOM.

VM Churchill an Stalin, NO. R. NVQP, inCorrespondence, Bd. I, S. NPV.

VN Von Eden Winant, von Winant demUS-Außenminister berichtet, NO. R. NVQP,in FRUS, S. QNV.

VO Goebbels� Tagebuch, V./NM. R. NVQP(unveröffentlicht).

VP Sikorski an Churchill, OQ. R. NVQP(englisch, unveröffentlicht).

VQ Professor Komarnicki und MinisterSeyda an Sikorski, NN. R. NVQP (polnisch).

VR The Guardian, R. R. NVST. In seinenbeiden, NVQS in Warschau erschienenenBüchern (Sikorski i jego zolnierze bzw.Gwiazda Wladyslawa Sikorskiego)erwähnt Strumph-Wojtkiewicz dieseEpisode nicht, behauptet allerdings imzweiten Werk, Frau Lesniowska von derTeilnahme an der Reise abgeraten zuhaben.

VS Sikorskis Tagebuch, OQ. R. NVQP.VT Interview mit General Marian Kukiel,

gesendet von Radio Freies Europa(»Katastrofa lotnicza w Gibraltarze«)am OP. Q. NVSO.

VU Der Liberator AL ROP gehörte zu den NPVMaschinen vom Typ LB-PM, die gemäßKontrakt Nr. F-STT für die BritischeAnkaufskommission gebaut wurden.Am V. O. NVQN erhielt die Herstellerfirmain San Diego den diesbezüglichenAuftrag, und im November des Jahreskonnte das Flugzeug vomKüstenkommando der Royal Air Forcein Dienst genommen werden. Die RAFbezeichnete es als »Liberator II« � dieoffizielle Bezeichnung lautete»Liberator B-OQC, Modell PO derConsolidated Vultee«. Der Liberator ALRMQ, das Schwesterflugzeug, ist unterdem Namen »Commando« berühmtgeworden: Er beförderte WinstonChurchill. Vgl. Korrespondenz mitGeneral Dynamics, Convair Division;Jane�s All the World�s Aircraft, LondonNVQS; Aircraft of the Royal Air Force since1918, London NVRT; Aircraft of theFighting Powers, Bd. VI, London NVQR;British Military Aircraft Serials 1912-1963, London NVSQ.

VV Sikorskis Tagebuch, OQ. R. NVQP.NMM General Mason-Mac:farlanes

Terminkalender (Einträge vom OQ. undOR. R. NVQP).

NMN Eidesstattliche Erklärung vonOberleutnant Ludwik Lubienski, V. NO.

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OOO

NVQP.NMO Minister Karol Popiel, Rom, an Autor,

Juni NVST. Er beschrieb die Episode inseinem privaten Tagebuch, das imOktober NVQT bei seiner Emigration ausPolen beschlagnahmt wurde. TadeuszUllmann, den ich in New Yorkinterviewte, bestätigte mir im Mai NVST,daß es einen solchen Anruf gegebenhatte. Außerdem hörte er damals auserster Quelle von den Anrufen beiMikolajczyk und Modelski. In seinemBuch, das wir hier nicht als Quellebenutzten, bezieht sich JerzyKlimkowski ebenfalls auf diesesEreignis, datiert es allerdings falsch.

NMP Tagebuch von General ErwinLahousen. Diese Aufzeichnungenbefinden sich bei der US-Armee,Abteilung G-O (NARS- [Spezial-]Mikrofilm). In Frage kommen vorallem die Einträge vom OU. Q., S. R., OR.R., O. T. und vom S. T. NVQN.

NMQ Ebd., NV. U. NVQN, OP. O., S. P. und NN. P.NVQO.

NMR Ebd., V. V. NVQO.NMS Ebd., N. S. NVQP.NMT Ebd., Q. S. und T. S. NVQP. Am ON. S. NVQP

traf Oberst von Freytag-Loringhovenein, um das Kommando über AbwehrII zu übernehmen, da man Lahousenein Frontkommando zugeteilt hatte.Seinen neuen Dienst trat Lahousenoffiziell am N. U. NVQP an, befand sich amQ. T. NVQP allerdings noch inSüdfrankreich. Vom OS. S. bis zum R. T.NVQP fehlen Tagebucheinträge.

NMU Verlautbarung von Professor Kot, inDaily Telegraph, Juli NVQP.

NMV New York Times, S. T. NVQP.NNM Information General Marian Kukiels

vom General Sikorski HistoricalInstitute.

NNN The Times, S. T. NVQP (Nachruf).NNO Sendung von Radio Moskau,

mitgeschnitten vomReichsaußenministerium.

NNP Nach The Times, S. T. NVQP, erhieltSikorski den Brief in Beirut. Rooseveltan Sikorski, T. S. NVQP, in FRUS, S. QOT.

NNQ Agenturmeldung, London, T. T. NVQP.NNR O.N.I. Weekly, herausgegeben vom

Chef des Marine-Nachrichtendienstes,Washington, D.C., S. NVNT, S. NVQQ und

S. NVRR.NNS Archiv des Reichsaußenministeriums.NNT Interview mit General Anders,

gesendet von Radio Freies Europa, OP.Q. NVSO (s. Anm. VT).

NNU Interview mit Minister TadeuszZazulinski, gesendet von Radio FreiesEuropa, OP. Q. NVSO (s. Anm. VT).

NNV Der Text des Telegramms, dasChurchill am OV. S. NVQP an Sikorskisandte, wird in einem Brief des CabinetOffice vom OO. U. NVST zitiert. Außervon Klimkowski, der es aus ersterQuelle kannte, wurde das Telegrammauch von Zazulinski in seinemRundfunkinterview (s. Anm. NNU)erwähnt. Er sagte: »Am folgenden Tag[PM. S.] überbrachte der BritischeHochkommissar persönlich einTelegramm von Churchill, das ihn[Sikorski] informierte, er werdeungeduldig in London erwartet.« InSikorskis Tagebuch wird Empfang undInhalt des Telegramms wie folgtbeschrieben: »Lord Moyne übergibtdem Oberbefehlshaber ein Telegrammvon Churchill, der demOberbefehlshaber zu den Erfolgenseiner Reise gratuliert und dendringenden Wunsch äußert, ihn baldin Downing Street zu sehen.« Es istklar, daß die Polen dieses Telegrammals mehr oder weniger dringendenRückruf nach London auffaßten. R. B.Casey, der spätere Lord Casey, war NVQObis NVQP offizieller Vertreter derbritischen Regierung im Nahen Osten.

NOM Protokolle der Staffel RNN sowieWartungsprotokolle, die von SergeantN. J. Moore geführt wurden.

NON The Times, Index April-Juni NVQP.NOO Basler Nachrichten, N. T. NVQP.NOP Ebd., O. T. NVQP.NOQ The Times, S. T. NVQP.NOR Interview mit Zygmunt Litynski,

gesendet von Radio Freies Europa, OP.Q. NVSO (s. Anm. VT).

NOS Interview mit Minister TadeuszZazulinski (s. Anm. NNU bzw. VT).

NOT Eidesstattliche Erklärung Lubienskis, V.NO. NVQP.

NOU Interview mit General Anders (s. Anm.NNT).

NOV Interview Lubienski � Rolf Hochhuth,

Page 223: Irving David - Mord aus Staatsräson

OOP

München, Februar NVST.NPM Interview mit A. J. Perry (Adjutant

General Mason-Macfarlanes), JuniNVST.

NPN Eidesstattliche Erklärung Lubienskis, V.NO. NVQP: »Der Gouverneur vonGibraltar stand mit General Sikorskiauf sehr freundlichem Fuß, und er warder polnischen Sache äußerst geneigt. . . Er hatte einen vollkommenantirussischen Standpunkt.«Außerdem Anthony Quayle(Militärassistent des Gouverneurs) anHochhuth, Januar NVST.

NPO Eidesstattliche Erklärung Lubienskis, V.NO. NVQP. Mason-MacfarlanesTerminkalender vermerkt für denVormittag des P. T. die AnkunftMaiskis, und ein Pfeil, hinter dem dasWort »Frühstück« steht, führt hinüberzum Q. T.

NPP Interview mit Quayle, New York, MaiNVST. Aufzeichnungen Mason-Macfarlanes, passim.

NPQ Interview mit Lubienski, Februar NVST.Protokolle der Staffel RNN. Aus dembetreffenden Eintrag geht hervor, daßsich während des Flugs von Kairo nachGibraltar NO Passagiere an Bordbefanden � das Gewicht der Fracht istnicht vermerkt.

NPR Mason-Macfarlanes Report, teilweisegesendet von Radio Freies Europa, OP.Q. NVSO. Sikorskis Tagebuch, P. T. NVQP.

NPS Zeugenaussage von FliegerleutnantR. V. Briggs vor demUntersuchungsausschuß, Juli NVQP;Briggs gehörte zur in Gibraltarstationierten Einheit OT der »AirDespatch and Reception Unit«(ADRU).

NPT Interview mit Briggs, Juni NVST.NPU Der Autor hat alle noch lebenden

Unteroffiziere dieser Einheit befragt:Sergeant N. J. Moore im Juni NVST,Corporal W. A. L. Davis und CorporalF. E. Hopgood ebenfalls im Juni NVST.Corporal Alexander kam beim Absturzeines aus Gibraltar zurückkehrendenFlugzeugs ums Leben.

NPV Zeugenaussage von Moore, Juli NVQP.NQM Zeugenaussage von Davis, V. T. NVQP.NQN Interviews mit Moore und Hopgood,

Juni NVST.

NQO General Sir N. M. Mason-MacfarlanesBericht, NU. T. NVQR. Dieses unschätzbareDokument wurde in einem Stapel vonManuskriptseiten gefunden, die dieTochter des Gouverneurs, Mrs. John B.Hall, Galashiels, aufbewahrt. Wirwerden wohl niemals den Grunderfahren, weshalb Mason-Macfarlaneden Bericht zwei Jahre nach derKatastrophe verfaßte, und dasausgerechnet auf dem Höhepunktseiner glänzenden Wahlkampagnegegen Brendan Bracken und Churchill.

NQP Bericht Lubienskis für die polnischenBehörden in London, geschriebenzwischen dem NP. und dem OM. T. NVQP,höchstwahrscheinlich am NR. T. NVQP(polnisch).

NQQ Tagebuch Sikorskis, P. T. NVQP.NQR Lubienskis Bericht, Juli NVQP.NQS Telegramm CO/RORR, aufgegeben vom

Gouverneur von Gibraltar, Q. T. NVQP,N.PM Uhr; vgl. FRUS, S. QPT.

NQT Interview mit William Bailey, Mitglieddes Order of the British Empire,Lissabon, Mai NVST. Bailey hatte injener Nacht im Hafen Dienst.

NQU Logbucheintrag im Tagebuch desdeutschen Marinestabs, P. und Q. T.NVQP, unter der Überschrift »FeindlageMittelmeer«.

NQV Interview mit Lubienski, Februar NVST.NRM Interview mit Lubienski, New York,

Mai NVST. In seiner eidesstattlichenErklärung vom Dezember NVQP hatteLubienski versichert, in jener Nachtdreimal zum Flugzeug gegangen zusein.

NRN Mason-Macfarlanes Bericht, NU. T. NVQR.Außerdem Maiski an Hochhuth,Dezember NVSS.

NRO Report des Untersuchungsausschusses,Teil N.

NRP Tynan an Hochhuth, Januar NVST.Interview mit Quayle, Mai NVST.

NRQ Mason-Macfarlanes Bericht, NU. T. NVQR.NRR Lubienskis Bericht, Juli NVQP.NRS Tagebuch Sikorskis, Q. T. NVQP.NRT Lubienski, der diese Passage gut kennt,

zitierte sie in einer Sendung von RadioFreies Europa; im Februar und MaiNVST hat er sie bei zwei Interviews mitdem Autor wiederholt.

NRU Zeugenaussage Briggs�, Juli NVQP.

Page 224: Irving David - Mord aus Staatsräson

OOQ

NRV Interview mit Quayle, Mai NVST.NSM Gibraltar Chronicle, S. und U. T. NVQP.

Lubienskis Bericht, Juli NVQP. TagebuchSikorskis, Q. T. NVQP.

NSN Mason-Macfarlanes Bericht, NU. T. NVQR.Außerdem sein Terminkalender, Q. T.NVQP.

NSO Aus einem nicht betitelten Manuskriptüber Gibraltar; in Mason-MacfarlanesAufzeichnungen, geschrieben ca. NVRM.

NSP Interview mit Lubienski, Februar NVST.Mason-Macfarlanes Terminkalender,Q, T. NVQP.

NSQ Lubienskis Bericht, Juli NVQP.NSR Daily Telegraph, S. T. NVQP.NSS Interview mit Perry, Juni NVST.NST The Times, S. T. NVQP (Nachruf).NSU Interview mit Moore, Juli NVST.NSV Zeugenaussage Moores vor dem

Untersuchungsausschuß, Juli NVQP. DieTatsache, daß im Liberator ein Bettinstalliert wurde, ist im Report derKommission übrigens nicht erwähntworden.

NTM Wartungsnotizen, von Moore ausseinen privaten Aufzeichnungen zurVerfügung gestellt.

NTN Interview mit Fliegerhauptmann I. P.Fraser, V. O. NVSV.

NTO Interview mit Perry, NP. S. NVST.NTP Interview mit Oberst Guy Bolland, OU.

Q. NVST.NTQ Mason-Macfarlanes Bericht, NU. T. NVQR.NTR Veröffentlichung des

Luftfahrtministeriums Nr. NNUO, Bd. I:Safety Harness (Service Procedure andRegulations), § OU. Handbücher undVorschriften desLuftfahrtministeriums.

NTS Interview mit Quayle, New York, NU. R.NVST.

NTT Interview mit Lubienski, U. O. NVST.Interview mit Quayle, NU. R. NVST.Mason-Macf arlanes Bericht, NU. T.NVQR.

NTU Mason-Macfarlanes Manuskript überGibraltar (s. Anm. NSO). Interview mitBolland, OT. R. NVST.

NTV Interview mit Fraser, V. O. NVSV.NUM Mason-Macfarlanes Bericht, S. T. NVQR.NUN Interviews mit Bolland (OT. R. NVST),

Lubienski (Februar und Mai NVST) undQuayle (NU. R. NVST).

NUO Interview mit Quayle, NU. R. NVST.

NUP Interviews mit Lubienski, Februar undMai NVST.

NUQ Interview mit Quayle, NU. R. NVST.NUR Interviews mit Lubienski, Februar und

Mai NVST.NUS Mason-Macfarlanes Bericht, NU. T. NVQR.NUT Interviews mit Luftwaffenoberleutnant

H. T. Blaney (OQ. O. NVSV), mit F. J.Garwood, dem Mannschaftsführer derRettungsjolle (OP. O. NVSV), mitFliegerhauptmann H. Field (OQ. O.NVSV). Zeugenaussage vonFliegerhauptmann A. M. Posgate vordem Untersuchungsausschuß, JuliNVQP.

NUU Zeugenaussage Bollands, U. T. NVQP.NUV Zeugenaussage von

Flugzeugmechaniker DerekQualtrough, NM. T. NVQP. Interview mitQualtrough, Juni NVST. Zeugenaussagevon Eric Howes (Howes behauptetejedoch, das Flugzeug S bis U Minutenauf der Meeresoberfläche »gesehen« zuhaben, nachdem er den Absturz»hörte«). Zeugenaussage Posgates, JuliNVQP.

NVM Zeugenaussage Posgates, der nacheinigen Tagen wieder vorgeladenwurde, Juli NVQP. Man hatte übrigensbei Morgengrauen des R. T. NVQPSchwimmer aufs Meer geschickt, diedie dort treibenden geheimen Papiereund Diplomatenpost holen sollten(Interviews mit Donald Darling undDudley Heath, Juli NVST).

NVN Interview mit der Tochter Mason-Macfarlanes, Mrs. John B. Hall, MärzNVST.

NVO Interviews mit Lubienski, Februar undMai NVST.

NVP Zeugenaussage von OberstleutnantClaude Dunkerley, RAF � North Front,Gibraltar, NM. T. NVQP.

NVQ Telegramm an dasKolonialministerium, in Flight, U. T.NVQP, sowie in Evening News (London),R. T. NVQP.

NVR Interviews mit Lubienski, Februar NVST,und mit Quayle, NU. R. NVST. LubienskisBericht, Juli NVQP.

NVS Verbindungsoffizier Gibraltar(Lubienski) an das Kriegsministerium,London, R. T. NVQP (streng geheim).

NVT Mason-Macfarlane an den Präsidenten

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OOR

der Polnischen Republik, R. T. NVQP (Nr.P./OPV/QP).

NVU Gibraltar Chronicle. Text desTelegramms von König Georg VI. inThe Times, S. T. NVQP.

NVV Kommuniqué desLuftfahrtministeriums, Bulletin Nr.NM.TVS, R. T. NVQP.

OMM Bulletin Nr. NS vom R. T. NVQP.OMN Drexel Biddle an Roosevelt, US-

Außenminister und US-Unterstaatssekretär(Außenministerium), R. T. NVQP, NO Uhr,in FRUS, S. PQT (Fußnote).

OMO Zeugenaussage von Sumner Welles beiKongreß-Hearing, in The Katyn ForestMassacre, S. OMUM. Nachrufe aufSikorski wurden auch in offiziellensowjetischen Nachrichtenorganenveröffentlicht; Vgl. Iswestija, V. T. NVQP:». . . dieser große polnische Staatsmannund Militärführer.«

OMP Mason-Macfarlanes Bericht, NU. T. NVQR.Vgl. Maiski an Hochhuth, OT. NO. NVSS:»Um T Uhr landeten wir in Kairo, womich ein Vertreter des BritischenKonsulats abholte. Er fuhr mich zumFrühstück mit Lord Killearn. Nachdem Frühstück berichtete LordKillearn mir über Sikorskis Tod. Zujener Zeit kannte Lord Killearn diegenaueren Umstände noch nicht, ersagte lediglich, Sikorskis Flugzeug seiins Meer gestürzt.«

OMQ Interview mit J. A. H. Horten, AugustNVST. Er betont, daß sich unter demGeld keine Zehnschilling- oderFünfpfundnoten befanden. NachHorton war es sonst noch nievorgekommen, daß man nach einemFlugzeugabsturz über Gibraltar Geldgefunden hatte.

OMR Zeugenaussage von OberstleutnantArthur Stevens, oberster technischerOffizier der RAF-Station Gibraltar, JuliNVQP.

OMS Interview mit Luftwaffenmajor Dr.Daniel Canning, T. S. NVST.

OMT Zeugenaussage Cannings vor demUntersuchungsausschuß, NV. T. NVQP.

OMU Interview mit Quayle, der Sikorskioffiziell identifizierte, New York, NU. R.NVST.

OMV Interviews mit Lubienski (Februar und

Mai NVST) und eidesstattlicheErklärung Lubienskis, V. NO. NVQP.

ONM Für die sechs mit Zink ausgeschlagenenSärge, die man in Algeciras gekaufthatte, zahlte man den spanischenZollbehörden Gebühren in Höhe vonSM Pfund Sterling (britischerVizekonsul in Algeciras anRepräsentanten desKolonialministeriums in Gibraltar,undatiert, in den Akten desGouverneurs von Gibraltar).

ONN Interview mit Quayle, NU. R. NVST.ONO Lubienskis Bericht, Juli NVQP. Interview

mit Lubienski, Mai NVST.ONP Basler Nachrichten, S. und T. T. NVQP.ONQ Ebd., S. T. NVQP.ONR The Times, S. T. NVQP. Gibraltar

Chronicle, S. T. NVQP.ONS Lubienskis Bericht, Juli NVQP.ONT Abhörbericht der BBC, Nr. NQQV, S. T.

NVQP: In dem vertraulichen Schriftstückwird die Propaganda derNationalsozialisten vom R. T. NVQPaußerordentlich ausführlichwiedergegeben. Die hier benutztenbzw. zitierten Passagen stammen ausdeutschsprachigen Sendungen umNR.QM und NS.RM Uhr sowie ausenglischsprachigen, vom Sender Calaisausgestrahlten Berichten um NU.PM undON.PM Uhr. Vgl. ebenfalls DailyTelegraph und New York Times vom S.T. NVQP.

ONU Agenturtelegramm, R. T. NVQP. BaslerNachrichten, S. T. NVQP.

ONV Sämtliche Akten desReichsaußenministeriums, diepolnische Angelegenheiten betreffenund für diesen Zeitraum des Krieges inFrage kommen, sind geprüft worden.

OOM Karte der US-Navy, Straße vonGibraltar, nachdatiert auf Februar NVQO.Enthält detaillierte Angaben überEbbe-Flut-Bewegung sowie überMeeresströmungen.

OON Major S. Dudzinski: »Report inconnection with the air accident ofGeneral Sikorski in Gibraltar«,Generalinspektion der polnischenLuftwaffe. Im weiteren Verlauf derQuellenangaben bezeichnen wir diesesSchriftstück als Dudzinskis Bericht.

OOO Marshall Pugh: Commander Crabb,

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OOS

London NVRS.OOP Interview mit Bailey, Mai NVST.OOQ Vgl. Pugh, a.a.O., S. RU: eine ähnliche

Version. Nach Arthur Ralph Thorpe,damals dienstältesterMarineunteroffizier Baileys, bat man,nach einer Schachtel zu suchen, dieSikorskis Geheimpapiere enthielte(Interview, August NVST).

OOR Interview mit Lubienski, Mai NVST.Posgate erklärte in seinerZeugenaussage: »[Der Körper] vonColonel Cazalet war vollständigbekleidet und noch an den Sitzgeschnallt. Meiner Ansicht nachkonnte Colonel Cazalet im Augenblickdes Absturzes weder Mae West nochFallschirmausrüstung getragen haben.«

OOS Interview mit Perry, Juni NVST.OOT »Official Report« des Unterhauses, Bd.

PMM, Kol. NVQS-NVRM. Vgl. auch OfficialReport des Oberhauses, Bd. NOU, Kol.ONV-OOM. Basler Nachrichten, U. T. NVQP.The Times, S. T. NVQP. Herbert Peis,a.a.O., S. NVQ.

OOU In Leader of a Nation at War: ThePosthumous Homage of �The Voice ofPoland�, Glasgow NVQP (Broschüre).

OOV Dudzinskis Bericht, September NVQP.OPM Report über Bergungsarbeiten.

Zeugenaussage von Stevens, Juli NVQP.OPN Interviews mit Dr. Dudley Heath, Juni

NVST. Auch Bailey, der Offizier derFroschmänner, machte einediesbezügliche Andeutung, als er demAutor im Mai NVST erzählte, wieunbehaglich seinen Leuten zumutewar, als sie nach der Leiche von FrauLesniowska suchen sollten.

OPO Report über Bergungsarbeiten.Lubienskis Bericht, Juli NVQP: »DerGouverneur war an denBergungsarbeiten und ihrem Fortgangpersönlich interessiert, besonders da erwollte, daß man den Körper von FrauLesniowska fand.«

OPP Stevens bezeugt die Bergung derReisetaschen bzw. Handkoffer derTochter (Interview, Juni NVST).

OPQ Mason-Macfarlanes Terminkalender,T. T. NVQP.

OPR Lubienskis Bericht, Juli NVQP.OPS Interview mit Tadeusz Ullmann, New

York, Mai NVST.

OPT Kommuniqué desLuftfahrtministeriums, Bulletin Nr.NMTVS.

OPU The Times, S. T. NVQP. Daily Telegraph,S. T. NVQP.

OPV New York Times, S. T. NVQP.OQM Tagebuch von Professor Jan Rosycki, R.

T. NVQP, in Wiez, Warschau, Juli/AugustNVSN.

OQN Gibraltar Chronicle, S. T. NVQP.OQO Zeugenaussage Cannings, NV. T. NVQP,

und Interview mit Dr. Canning, T. S.NVST. Trotz aller Bemühungen ist esnicht möglich gewesen, PrchalsVerletzungen noch genauer anzugeben.Der Autor befragte den damaligenobersten Sanitätsoffizier der RAF-Station Gibraltar, Major (heute Dr.med.) Daniel Canning in Glasgow, dendamaligen Chefchirurgen desMilitärkrankenhauses von Gibraltar,Oberstleutnant (heute Dr. med.) H. T.Simmons in Wilmslow sowie denSpezialisten, der Prchal behandelthatte, Major J. C. Goligher (heuteProfessor für Chirurgie,Stadtkrankenhaus Leeds). Goligherhatte seinerzeit einen detailliertenDiagnose- und Behandlungsbericht(Formular I-NOPT) über den Pilotenzusammengestellt. Weder dieses nochandere Behandlungsprotokolle Prchalsbefinden sich in den Akten der RoyalAir Force oder der Armee. In denPapieren des Luftfahrt- bzw.Verteidigungsministeriums läßt sichkein Hinweis entdecken, daß der Pilotals Folge des AbsturzesKörperbehinderungen davontrug;weder damals noch später bezog ereine Invalidenrente. DieBehandlungsprotokolle wurdenwahrscheinlich im Laufe vonRoutinemaßnahmen vernichtet(Unterredungen mit Canning,Simmons, Goligher und Prchal;Korrespondenzen mit dem RAFRecord and Pay Office in Gloucester,mit dem Army Records Center inHayes, mit dem Royal Naval Hospitalin Gibraltar sowie mit demVerteidigungsministerium in London;Interview mit Dr. Dudley Heath,Korvettenkapitän und damaliger

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OOT

Chirurg der Royal-Naval-StationGibraltar).

OQP William Joyce: Views on the News,englischsprachig vom Sender Calais, R.T. NVQP, OO.PM Uhr (Abhörbericht derBBC, Nr. NNQV).

OQQ Ebd., S. T. NVQP, OO.PM Uhr(Abhörbericht der BBC, Nr. NQRM).

OQR Dr. Otto Kriegk im deutschenRundfunk, S. T. NVQP, M.QM Uhr.

OQS Deutschsprachige Sendung, T. T. NVQP,NS.PM Uhr (Abhörbericht der BBC, Nr.NQRN).

OQT Interview mit Dr. Simmons, Juli NVST.OQU Eidesstattliche Erklärung Lubienskis,

Dezember NVQP.OQV Interview mit Bailey, Mai NVST.ORM New York Times, S. T. NVQP.ORN Interview mit Lubienski, Februar NVST.ORO Interview mit Dr. Canning, Juni NVST.ORP Interviews mit Bolland, OU. Q. und OT. R.

NVST. Prchal hat (im KanadischenFernsehen) behauptet, die Pelze hättensich in drei Handkoffern, die er füreinen hohen britischen Offizierbefördern mußte, befunden. ImSunday Telegraph vom OO. NO. NVSU hater außerdem angedeutet, die Pelzehätten zum persönlichen Gepäck derTochter Sikorskis gehört.

ORQ Allgemeines überUntersuchungsausschüsse, s. Manual ofAir Force Law (Veröffentlichung desLuftfahrtministeriums Nr. UMQ),besonders die Seiten QVN und RQP.Außerdem: King�s Regulations and AirCouncil Instructions, NVQP, Kap. XVIII,Abschn. N(»Untersuchungsausschüsse«), §§ NPNM-NPUR. Im weiteren Verlauf derQuellenangaben bezeichnen wir diesePublikation als KR&ACI bzw., soweites sich um neuere Auflagen handelt,die zur Regierungszeit von KöniginElisabeth II. erschienen, als QR&ACI.

ORR KR&ACI, § NPOS,ORS QR&ACI, NVRV, § NOSR.ORT QR&ACI, NVRV, § NOVSA.ORU KR&ACI, § NPTS Abs. R.ORV KR&ACI, § NPOS Abs. SA.OSM Erklärung von Luft-Vizemarschall

Elton, Februar NVSV. Außerdem:»Ermittlungsverfahren, eröffnet am T.T. NVQP . . . , um den Flugunfall von

Gibraltar North Front vom Q. T. NVQP zuuntersuchen.« Dieses Schriftstück(RAF-Formblatt QNO) wird im weiterenVerlauf der Quellenangaben alsUntersuchungsausschuß (bzw. Reportdes Untersuchungsausschusses), Teil Iund Teil II bezeichnet.

OSN Interview mit Bolland, Mai NVST.OSO QR&ACI, § NOSS.OSP Untersuchungsausschuß, Teil I.OSQ Dudzinskis Bericht, September NVQP.OSR Interview mit Bailey, Mai NVST. Aus den

Protokollen der Staffel RNN geht z. B.hervor, daß sich zwölf Passagiere imFlugzeug befanden,

OSS Interview mit Thorpe, August NVST.Interview mit Ullmann, Mai NVST.

OST Interview mit Lubienski, Mai NVST.OSU Interview mit Perry, Juni NVST. Posgate

erklärte im Juli NVQP in seinerZeugenaussage: »Wir bargen Geld,Diplomatenpapiere, ungefähr PMPostsäcke etc.«

OSV Interview mit Prchal, in SundayTelegraph, OO. NT. NVSU. Helena Sikorskaan und in Sunday Telegraph, OV. NO.NVSU (Leserbrief).

OTM Eidesstattliche Erklärung Lubienskis,Dezember NVQP.

OTN Interview mit Donald Darling, NS. JuniNVST. Vgl. Observer, T. R. NVST (dasbetreffende Item wurde aufVeranlassung Darfings, der seinerzeitzur Einheit MI-V in Gibraltar gehörthatte, veröffentlicht).

OTO Eidesstattliche Erklärung Lubienskis,Dezember NVQP. Korrespondenz mitdem Foreign Office, London, Juni-JuliNVST. Die den Absturz von Gibraltarbetreffenden Akten des Foreign Officewerden nicht zur Einsicht freigegeben.

OTP Reuter berichtete am S. T. NVQP, W. H.Lock sei Repräsentant derTransportabteilung desKriegsministeriums (Sektion PersischerGolf) gewesen. Weitere Informationenzur Person Locks erhielt der Autor vonColonel H. I. Davidson, seinerzeitHafenkommandant von Basra (V. NN.NVST), sowie von dessen damaligemPersonalchef, R. M. Robbins (OR. NM.NVST).

OTQ Interviews mit Stevens, Juni NVST.OTR Interview mit Lubienski, Februar NVST.

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OOU

Eidesstattliche Erklärung Lubienskis,Dezember NVQP.

OTS Interview mit Ullmann, Mai NVST.OTT Lubienskis Bericht, Juli NVQP.OTU Report über Bergungsarbeiten.OTV Interviews mit Lubienski und

Ullmann, Mai NVST. AllgemeineInformationen auch von Mrs. John B.Hall, von Perry, von Darling sowie vonder Witwe desGeschwaderkommandeurs Simpson.Nach Tadeusz Ullmann ist eineBeschreibung dieser Episode vonOberleutnant Rozycki nach dem Kriegin Warschau veröffentlicht worden. Inseinem Bericht vom Juli NVQP schriebLubienski: »Alle anderen Särge wurdenmit Bleihüllen versehen, versiegelt undin Holzverschläge geladen; dieseMaßnahmen ergriff man wegen desheißen Wetters in Gibraltar, nachdemwir mit dem Sarg General Sikorskissehr unangenehme Erfahrungengemacht hatten.«

OUM Interviews mit Quayle (Mai NVST),Perry (Juni NVST) und Capurro (AugustNVST).

OUN Interview mit Perry, Juni NVST.OUO Manual of Air Force Law, NVPV, S. RQP.

Zeugenaussage von FliegerhauptmannEdward M. Prchal, U. T. NVQP.Außerdem: QR&ACI, NVRV, § NOSVAsowie § NOSR.

OUP Zeugenaussage von Major J. F. Sach,NV. T. NVQP. Seit Mai NVQP war Sach derVorgesetzte Prchals gewesen.

OUQ Eidesstattliche Erklärung Lubienskis,Dezember NVQP.

OUR Erklärung Eltons, Februar NVSV.OUS Zeugenaussage von Fliegerhauptmann

W. L. Watson, R. U. NVQP.OUT Telegramm von Geschwader ONS

(Nachhut) an Gibraltar, NR. T. NVQP.Verteidigungsministerium an Autor,Juni NVST. Zeugenaussage Sachs, JuliNVQP.

OUU Veröffentlichung desLuftfahrtministeriums Nr. NUSTC:Pilotenanweisungen für Liberator B-OQC und spätere Typen.

OUV Ebd., § RU, IIIb, sowie S. QS (Fußnote).In dieser offiziellen Publikation wirddie obere Sicherheitsgrenze bei einemGesamtgewicht von OR.OMM kg beim

Start festgelegt. Eine andere Maschinedes gleichen Typs, der Liberator ALSNM, war während des Kriegs bei denvon Convair geleiteten »Consairways«in Dienst gestellt und konnte über denUSA mit einem maximalenGesamtgewicht von ebenfalls OR.OMM kg,im Pazifikverkehr jedoch mit einemMaximalgewicht von OS.NMM kg fliegen(Korrespondenz mit GeneralDynamics, Convair Division).

OVM Pilot Training Manual � B-24 � TheLiberator, S. QQ (herausgegeben vomBüro für Flugsicherheit der US-AirForce).

OVN Interview mit Prchal, in Dziennik Polskii Dziennik Zolnierza, London, OV. T.NVRP (Copyright F.C.I.).

OVO Zeugenaussage Sachs, Juli NVQP.Interview mit Sach, Juni NVST.Interview mit Llewellyn, Juli NVST.Korrespondenz mit demVerteidigungsministerium.

OVP Interview mit Prchal, Mai NVST. Vgl.Interview mit Prchal, in SundayExpress, NQ. R. NVST.

OVQ Report des Untersuchungsausschusses,§ S (Tabelle).

OVR General Dynamics, Convair Division,an Autor, Mai NVST. Auch die Royal AirEngineers in Farnborough fanden füreinen solchen Verdacht keinerleiAnhaltspunkte.

OVS Interview mit Bolland, in SundayTimes, PM. Q. NVST. Luft-VizemarschallElton, der Vorsitzende desmilitärischenUntersuchungsausschusses vonGibraltar, ist nach wie vor derMeinung, daß der östliche Horizontauch bei einer mondlosen Nacht »sehrsichtbar« sein würde. Er empfahl demAutor, sich selbst davon zuüberzeugen. Als der Autor Gelegenheithatte, von einem günstigen Standpunktnahe der Ostküste Gibraltars nachtsden östlichen Horizont zu suchen, warVollmond, und die Luft war leichtdiesig. Unter diesen Umständen gelanges nicht, den östlichen Horizont zusehen (August NVST).

OVT Report über Bergungsarbeiten.OVU Vgl. The Consolidated B-24 Liberator,

Surrey NVSR.

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OOV

OVV Interview mit Stevens, Juni NVST.Zeugenaussage von Stevens, Juli NVQP.

PMM Interview mit dem Flugkontrolloffizier,in Dziennik Polski i Dziennik Zolnierza,London, OM. Q. NVQS.

PMN Protokolle der Staffel RNN, Q. T. NVQP.PMO Interview mit Moore, Juni NVST.PMP Zeugenaussage Bollands, Juli NVQP.

Interview mit Bolland, Mai NVST.PMQ Interview mit Moore, Juni NVST.

Interview mit F. E. Hopgood, JuniNVST.

PMR Zeugenaussage von Hauptmann J. L.Williams, U. T. NVQP.

PMS Zeugenaussage Moores, Juli NVQP.PMT Zeugenaussage Gibbs� und

Zeugenaussage Alexanders, V. T. NVQP.PMU Zeugenaussage Williams�, wieder

vorgeladen am V. T. NVQP.PMV Interview mit Davis, Juni NVST,

Zeugenaussage Davis�, Juli NVQP.PNM Zeugenaussage Hopgoods, Juli NVQP.PNN Report über Bergungsarbeiten.PNO Lubienskis Bericht, Juli NVQP.PNP The Times, NO. T. NVQP (Teilüberschrift

des betreffenden Artikels, dessen Autornicht bekannt ist: »Requiem Mass forGeneral Sikorski«). Interview mitUllmann, Mai NVST. Zum Untergangder »Orkan« vgl. Roskill: The War atSea, London NVSM, Bd. III, Teil I, S. QN.

PNQ Englischsprachige Sendung vomSender Calais, NM. T. NVQP, OO.PM Uhr.Deutsch vom Sender Zeesen, NM. T.NVQP, NN.PM Uhr (Abhörbericht der BBC,Nr. NQRQ).

PNR Sendung des deutschen Rundfunks, NM.T. NVQP, NT Uhr.

PNS William Joyce: Views on the News,englischsprachig vom Sender Calais, NM.T. NVQP, OO.PM Uhr (s. Anm. PNS).

PNT Reuter, NR. T. NVQP. Basler Nachrichten,NS. Juli NVQP (s. Anm. O).

PNU »Mr. Churchill at Mass«; die Herkunftdes Artikels ist ungewiß,höchstwahrscheinlich erschien er amNR. T. NVQP in einer LondonerAbendzeitung. Interview mit HelenaSikorska, Juni NVSS. Minister KarolPopiel an Autor, Juni NVST. Popiel saßgenau hinter Churchill und sahgemeinsam mit anderenGottesdienstteilnehmern, daß derPremierminister weinte. In den Akten

des Militärgouverneurs von Gibraltarbefindet sich ein Telegramm (Nr. PVS)des Außenministers an Mason-Macfarlane, in dem vorgeschlagenwird, die Flaggen in Gibraltar aufhalbmast zu setzen (datiert NQ. T., NRUhr).

PNV Bryant: The Turn of the Tide, LondonNVRT, S. SUQ (Tagebuch vonAlanbrooke, Eintrag vom NR. T. NVQP).

POM Ebd., S. ROT (Eintrag vom NS. NN. NVQO).PON Ebd., S. ROO (»Notes on My Life«).POO Tonbandaufnahme der polnischen

Bestattungszeremonie in Newark, NS. T.NVQP; gesendet von Radio FreiesEuropa, OP. Q. NVSO. Die ursprünglicheAnkündigung, General Sikorski im St.Mary�s Cemetery, Kensal Green,London, zu bestatten, warzurückgenommen worden.

POP Untersuchungsausschuß, Teil I, § O:Insassen des Liberator AL ROP.

POQ Zeugenaussage von Corporal JabezMiles, Juli NVQP.

POR Vgl. Zeugenaussage Gibbs�, Juli NVQP.POS Zeugenaussage Briggs�, Juli NVQP.POT Interview mit Briggs, V. S. NVST.POU Untersuchungsausschuß, Teil I, § NM

(Ergebnisse).POV Erklärung Eltons, Februar NVSV.PPM Zeugenaussagen von

Fliegerhauptmann R. S. Coleman, vonPerry und Dunkerley, Juli NVQP.

PPN Zeugenaussage Bollands, wiedervorgeladen im Juli NVQP. Interview mitBolland, OT. R. NVST.

PPO Zeugenaussage vonGeschwaderkommandeur S. P.Simpson, NM. T. NVQP.

PPP Zeugenaussage von Artillerist WilliamJoseph Miller, NM. T. NVQP.

PPQ Interview mit Fraser, V. O. NVSV.PPR Zeugenaussage von Prchal, wieder

vorgeladen nach dem NM. T. NVQP.PPS Zeugenaussage von Fliegerhauptmann

R. B. Capes, NM. T. NVQP.PPT Erklärung Eltons, Februar NVSV.PPU »Pilot Training Manuel B-OQD«

(Starttabelle). Außerdem Interview mitWatson, U. O. NVSV.

PPV Zeugenaussage Simpsons, Juli NVQP.PQM Zeugenaussage Qualtroughs, Juli NVQP.PQN Interview mit Qualtrough, P. S. NVST.PQO Zeugenaussage Posgates, Juli NVQP.

Page 230: Irving David - Mord aus Staatsräson

OPM

PQP Interview mit Fliegerhauptmann D.,Gibraltar, August NVST, sowieanschließende Korrespondenz mitihm. Korrespondenz mit Major G.Interview mit Fraser, Februar NVSV.

PQQ Interview mit Perry, Juni NVST. Mason-Macfarlanes Terminkalender, NO. T.NVQP. Lubienskis Bericht, Juli NVQP.

PQR The Courier, Cranbrook, Kent, Juli NVQP(Nachruf).

PQS Sendungen des deutschen Rundfunks,S. T. NVQP, NQ und NT Uhr (Abhörberichtder BBC, Nr. NQRM).

PQT Vgl. Mason-MacfarlanesAufzeichnungen.

PQU Interview mit Briggs, Juni NVST.PQV Zeugenaussage von Walter

Titterington, NP. T. NVQP. Titterington istinzwischen verstorben.

PRM Zeugenaussage von F. C. Gallow, NP. T.NVQP. Zeugenaussage von CorporalThomas Tomlinson, NP. T. NVQP.

PRN Zeugenaussage von Hopgood, NP. T.NVQP. Bei dem anderen Flugzeughandelte es sich nach den privatenAufzeichnungen Moores um denLiberator AM VNQ.

PRO Luftmarschall Sir J. C. Slessor,Oberkommandierender desKüstenkommandos, Gibraltar, NN. U.NVQP (Empfehlungen zumKommissions-Report).

PRP Interview mit Ullmann, Mai NVST.PRQ Zeugenaussage Prchals, Juli NVQP.PRR QR&ACI, NVRV, § NOSS.PRS Das Wort »wahllos« äußerte Quayle

(Interview im Mai NVST).PRT Zeugenaussage von Stevens, Juli NVQP.PRU Mason-Macfarlanes Bericht, NU. T. NVQR.PRV Luftfahrtminister Sinclair sprach am

NQ. T. NVQP im Unterhaus. Vgl. TheTimes, NR. T. NVQP.

PSM Sir Alan Lascelles an Lord Chandos, V.O. NVST. Vgl. Lascelles an Chandos, OP.NO. NVST: »Es handelt sich um diegenaue Aufzeichnung einerUnterhaltung, bei der Alanbrooke mirüber den Report der Experten zumSikorski-Unfall berichtete.«

PSN Report über Bergungsarbeiten, NP. T.NVQP.

PSO Ebd., NQ. T. NVQP.PSP Ebd., NR. T. NVQP.PSQ Interview mit Stevens, Juni NVST.

PSR Zeugenaussagen von Stevens, Juli NVQP.PSS Interview mit Bailey, Mai NVST. Mason-

Macfarlanes Terminkalender, NT. T.NVQP.

PST Interview mit Quayle, Mai NVST.PSU Zeugenaussage von Stevens, Juli NVQP.PSV Interview mit Stevens, Juni NVST.PTM Untersuchungsausschuß, § NM

(Ergebnisse), OQ. T. NVQP.PTN Dudzinskis Bericht, September NVQP.PTO Zeugenaussage von Fliegerhauptmann

John Buck, R. U. NVQP.PTP »Neueinberufung des

Untersuchungsausschusses am P. U.NVQP, angeordnet zwecks weitererErmittlungen über den Flugunfall desLiberator AL ROP am Q. T. NVQP inGibraltar North Front durchLuftmarschall Sir J. C. Slessor, KnightCommander of the Bath, DistinguishedService Order, Military Cross.«

PTQ Flight Manual B-24D Airplane,herausgegeben von der ConsolidatedVultee Aircraft Corporation, SanDiego, Kalifornien. Vgl. besonders denAbschnitt »Flying the B-OQD«. Diebritischen Vorschriften waren ebensodetailliert: »Vorbereitungen:Feststellhebel für Leitwerk lösen,Riemen verstauen und vergewissern,daß Feststellhebel ganz nach untengelegt wurde.« (Veröffentlichung desLuftfahrtministeriums Nr. NUST)

PTR Flight Manual B-24, The Liberator, S.QQ.

PTS Pilot Training Manual B-24, TheLiberator, S. QQ.

PTT Veröffentlichung desLuftfahrtministeriums Nr. NUST:Pilotenanweisungen für Liberator II.

PTU Zeugenaussage Watsons, August NVQP.PTV KR&ACI, NVQP, § TMS: »�Beladen des

Flugzeugs.� � Die Fracht, die eineMaschine befördern soll, muß mit demfür den Flug zuständigen Offizierabgesprochen werden . . . Der Pilot derMaschine ist verantwortlich, daß dasFlugzeug entsprechend den von demfür den Flug zuständigen Offiziererteilten Instruktionen beladen ist . . .und daß Beschaffenheit und Gewichtder Ladung innerhalb der Grenzenliegen, die (N) in der Gewichtsübersichtin Bd. III bzw. dem Lade- und

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OPN

Schwerpunktdiagramm in Bd. I derentsprechenden Publikation festgelegtsind oder (O) gemäß Absatz Rbesonders genehmigt werden.« InAbsatz R heißt es: »Derkommandierende Offizier einerFlugeinheit muß sich vergewissern, daßdas . . . �zulässige Maximalgewicht fürStart und Flug� nicht überschrittenwird.«

PUM Vor dem Abflug wurden VMMM lFlugzeugtreibstoff in die Tanks gefüllt,zwischen Kairo und Gibraltar betrugder Treibstoffverbrauchhöchstwahrscheinlich STRM bis UNMM l.VMM l zusätzlich würden beispielsweiseein Mehrgewicht von STR kg bedeutethaben. Außerdem wurde der Start inGibraltar um eine Stunde verschoben,da man im Bombendepotraum aufVeranlassung von Frau Lesniowska eineisernes Bettgestell für ihren Vaterinstallierte, Es ist vollkommenunverständlich, daß der Ausschußnicht über diese Tatsachen � vondenen immerhin eine ganze AnzahlPersonen wußte � ermittelte, um dasGesamtgewicht des Liberator beimStart in Gibraltar zu bestimmen.

PUN Mason-Macfarlanes Bericht, NU. T. NVQR.PUO Interview mit Lubienski, Februar NVST.PUP Mason-Macfarlanes Bericht, NU. T. NVQR,

S. Q; die persönlichen (und offiziellen)Papiere des ehemaligen Gouverneurswerden von seiner Tochter, Mrs. JohnB. Hall, Galashiels, aufbewahrt. DerAutor hat die wichtigsten Dokumenteauf Mikrofilm aufgenommen. DiePapiere des Gouverneursbürosbefinden sich noch in der Kronkolonie.Die persönlichen Tagebücher Mason-Macfarlanes, die umfangreich gewesensein Sollen, wären von sehr großemInteresse für unser Vorhaben gewesen.Man weiß, daß sie bis NVRO, also nochein Jahr vor seinem Tod, vorhandenwaren, danach hat man jedoch nichtsmehr von ihnen gesehen.Möglicherweise sind sie von seineminzwischen ebenfalls verstorbenenSohn vernichtet worden. SämtlichePapiere der Familie hat man mehrmalsdurchsucht, ohne diese Tagebücher zuentdecken, und auch in den Akten des

Verteidigungsministeriums, der RoyalArtillery sowie der Royal UnitedServices Institution sind sie nicht zufinden.

PUQ Dziennik Polski, OV. T. NVQP.PUR Vgl. S. NQU und Anm. QTT.PUS Zeugenaussage Bucks, August NVQP.PUT Zeugenaussage von Luftwaffenmajor

R. J. Falk, August NVQP.PUU Zeugenaussage Prchals bei seiner

Wiedervorladung am R. U. NVQP.PUV Zeugenaussage Watsons, August NVQP.PVM Untersuchungsausschuß, Teil II.

Damals gab es hinsichtlich einesetwaigen Schuldspruchs nur dieAlternative »schuldig« � »nichtschuldig«. Heute neigt man in Kreisender Royal Air Force mehr und mehr zuder Ansicht, es wäre für statistischeZwecke angebrachter, eine dritteMöglichkeit � etwa »mangelsBeweisen« � zuzulassen. Luft-Vizemarschall Elton, der Vorsitzendedes Untersuchungsausschusses vonGibraltar, ist heute geschäftsführenderDirektor einer Firma für Radiotechnikin London. Entsprechend den Usancendes Verteidigungsministeriumserlaubte man ihm nicht, dieverschiedenen Fragen mit mir zuerörtern. die bei der Schilderung desErmittlungsverfahrens in diesem Buchaufgeworfen werden. Er hat diebetreffenden Kapitel jedoch gelesenund schreibt, daß er »leicht ersehenkann, daß viele Leute mit denErgebnissen des Ausschusses nichtübereinstimmen werden«, wenn siediese Abschnitte ebenfalls gelesenhaben. Geschwaderkommandeur SirVernon Brown, seinerzeit imLuftfahrtministerium obersterAufsichtsoffizier für das Unfallwesen,erinnert sich im Daily Telegraph vom O.R. NVST, daß »die Unfallursachebestimmt wurde, als ob nicht dieleisesten Zweifel bestünden«; er fühltsich heute allerdings nicht mehrimstande, das Problem ausführlicherzu erörtern � »über die Ursache desUnfalls können mir nicht einmal wildePferde irgend eine Erklärung aus derNase ziehen« (Korrespondenz mitElton und Brown).

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OPO

PVN Empfehlungen von Luftmarschall SirJ. C. Slessor, Oberbefehlshaber desKüstenkommandos, NN. U. NVQP.

PVO Interview mit Prchal, Mai NVST.PVP Foreign Office an Graf Edward

Raczynski, C.VUQM/RSUM/G, N. V. NVQP.Appendices, Kommuniqué-Entwurf,Report des Untersuchungsausschussesund Anlagen.

PVQ Textentwurf des Kommuniqués vomLuftfahrtministerium (Pressebüro),undatiert.

PVR Adam Romer an General MarianKukiel, NationalerVerteidigungsminister, P. V. NVQP(polnisch).

PVS Handschriftlicher, polnischer Vermerkauf der Kopie des Reports, S. Q, § NM.Im obigen Brief wird hierauf Bezuggenommen.

PVT Dudzinskis Bericht, S. V. NVQPPVU Innenministerium (Ullmann) an

Romer, T. V. NVQP (polnisch).PVV Romer an Professor W. Komarnicki,

Justizminister undGeneralstaatsanwalt, V. V. NVQP.Außerdem Romer an Kukiel, V. V. NVQP(beides polnisch).

QMM Notiz von Oberst Stanislaw Karpinskivom Generalinspektorat derpolnischen Luftwaffe, der dieUntersuchungskommission am U. V.einberief (polnisch). Oberst P.Dudzinski, ein Mitglied derKommission, lebt heute in London.Major S. Dudzinski, nicht verwandtmit Obigem, konnte nicht aufgefundenwerden. Oberst Bajan starb NVST.

QMN Sitzungsbericht derUntersuchungskommission desGeneralinspektorats der polnischenLuftwaffe, U. V. NVQP (polnisch). S.Dudzinski schrieb in seinem Bericht:»Die einheimischen Taucher arbeitetenziemlich ungeschickt, und nachdem siedas Flugzeug an die Meeresoberflächegeholt hatten, ließen sie es wieder aufGrund, so daß der Rumpfteil sich vonden Tragflächen löste und einzelne(Wrack-) Teile von denMeeresströmungen und der Tidefortgetrieben wurden.« Lubienski undUllmann gaben dem Autor gegenüberähnliche Erklärungen ab (Mai NVST).

QMO »Project: Draft Air Ministry PressCommuniqué« (englisch, als Anlage zuobigem Sitzungsbericht).

QMP The Times, ON. V. NVQP. Vgl. Jozef M.Zaranski: Zagadka katastrofyGibraltarskiej po 15 latach, LondonNVRV. Wiederholung des Kommuniquésals schriftliche Antwort auf eine von I.Thomas im Unterhaus gestellteAnfrage, OP. V. NVQP (in Official Reportdes Unterhauses, London, Bd. PVO, Kol.QRU); auf eine Unterhausanfrage vonTufton Beamish hin wurde es im JahreNVQU erneut bestätigt.

QMQ Justizminister an Generalinspektoratder polnischen Luftwaffe, NV. NN. NVQP:»Diese Anfrage ist geheim und dientlediglich der Vervollständigung unsererpolnischen Akten, nicht aber der Aktendes britischenUntersuchungsausschusses, dessenArbeit endgültig eingestellt ist.«(polnisch)

QMR Justizminister an Staatsanwalt Dr. T.Cyprian, NS. V. NVQP; fast gleichlautendeBriefe gingen an Dr. Adam Nowotnyund Jerzy Jaczynowski � man fordertesie auf, gemeinsam mit Cyprian dasMaterial zu sichten und zuuntersuchen (alle polnisch). Berichtvon Cyprian, Nowotny undJaczynowski an Justizminister, R. NM.NVQP (polnisch).

QMS Justizminister an polnischenMinisterpräsidenten S. Mikolajczyk, NU.NM. NVQP (polnisch).

QMT Katyn Forest Massacre, Kongreß-Hearings, S. OMUM. Da Sumner Wellesder festen Überzeugung war, Sikorskisei ermordet worden, wären seinepersönlichen Aufzeichnungen undPapiere natürlich von allergrößtemInteresse. Diese Dokumente, insgesamtetwa NTR.MMM Items, werden in derWashingtoner Wohnung vonBenjamin Welles, dem Sohn desverstorbenen Unterstaatssekretärs, inQO Schrankfächern aufbewahrt; bishersind sie noch nicht auf Mikrofilmaufgenommen und registriert worden,ebensowenig hatten Forscher Zugangzu ihnen. Fräulein Therese Nadeau vonder Ford Foundation, die Index undRegistrierung vornimmt und somit mit

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OPP

den Papieren vertraut ist, hat demAutor erklärt: »Wenn ich irgendeine,diese Vorfälle betreffendeKorrespondenz gesichtet hätte, würdeich mich bestimmt daran erinnern.«Auch in den Aufzeichnungen PräsidentRoosevelts und in den offiziellen Aktendes US-State Departments finden sichkeine Hinweise auf den Zwischenfallvon Montreal aus dem Jahr NVQO.Demnach hatte Sikorski die Bedeutungder Notlandung von Montreal wohltatsächlich mit Absicht bagatellisiert,wie er später selbst erklärte(Korrespondenz mit Benjamin Welles,Therese Nadeau, dem Direktor derFranklin D. Roosevelt Library, sowieUnterredungen mit Dr. Arthur Koganvon der Historischen Abteilung desState Department, Washington).

QMU Artikel von Oberst Leon Mitkiewicz, inKultura, Nr. S/NOU, (Paris) NVRU, S. NOP-NOQ (»Z wypadkow lotniczych gen.Sikorskiego«). AußerdemKorrespondenz sowie Interview (NewYork, Mai NVST) mit Mitkiewicz; OberstP. Kalinowski, Historiker derpolnischen Luftwaffe, an Autor,London, OT. NN. NVST.

QMV Zeugenaussagen von HochwürdenKaczynski, N. S. NVQO; Zeugenaussagevon Dr. Josef H. Retinger, N. S. NVQO.Diese vor verschiedenen Offizierenbzw. Behörden gemachten Aussagenbefinden sich (englisch oder polnisch)in einer Akte des General SikorskiHistorical Institute, London (No.A.OM.S/O.: »Sprawa bomby w samolociepodczas przelotu gen. Sikorskiego doAmeryki w marcu NVQOr«).

QNM Erklärung von Oberstleutnant K. vorG-O, März NVQO (veröffentl. als Anhangzum in Arm. QMU angeführten Artikel;außerdem in der in Anm. QMVangeführten Akte des General SikorskiHistorical Institute).

QNN Zeugenaussage von Oberstleutnant K.,OM. T. NVQO.

QNO Protasewicz erklärte später, ihm sei dieBombe bereits im Flugzeug gezeigtworden (Zeugenaussage vonProtasewicz, N. T. NVQO).

QNP Auch aus Sikorskis Tagebuch gehthervor, daß er mit dem Zug nach

Washington weiterfuhr (Eintrag vomOP. P. NVQO).

QNQ Report der G-O-Experten, zitiert alsAnhang zu dem in Anm. QMUangeführten Artikel.

QNR Zeugenaussage von LuftwaffenmajorGeoffrey McDougall, Royal CanadianAir Force, T. Q. NVQO.

QNS Lady F. C. Anstruther: General Sikorski,London NVQP.

QNT Erklärung eines technischen Expertenvom Kriegsministerium, OU. R. NVQO(Brief).

QNU Erklärung der Royal CanadianMounted Police, NQ. R. NVQT (BefragungOberstleutnant K.�s im Sulgrave Hotel,New York City, NO. R. NVQO).

QNV Zeugenaussage Dr. Retingers, N. S. NVQO.QOM Erklärung von Oberstleutnant K. vor

Donald E. W. Fish, Ayr, OT. S. NVQO.QON Artikel von Oberst Kazimierz Iranek

Osmecki, in Dziennik Polski, N. T. NVRU(»Bomba w sarnolocie o ktorejszeptano w NVQOr. byla swiecazapalajaca«).

QOO Zeugenaussage von LeutnantEugeniusz Jurewicz, NU. T. NVQO;außerdem seine polnische Erklärung,London, OT. T. NVQO. Gegen ihn wurdenkeinerlei disziplinarische Maßnahmenergriffen.

QOP Zeugenaussage von Oberstleutnant K.,OM. T. NVQO.

QOQ Duff Cooper an Sikorski, ON. T. NVQO(streng geheim).

QOR Sikorski an Duff Cooper, OP. T. NVQO(streng geheim).

QOS Oberst P. Kalinowski an Autor, OT. NN.NVST.

QOT G. Lowczynski: »Neuere GeschichtePolens. Mehr über denLuftzwischenfall von General Sikorski«(polnisch), in Kultura, Nr. V/NPN,(Paris) NVRU.

QOU Mieczyslaw Kleczynski (Vetter desOberstleutnants) an Autor, P. O. NVSU.

QOV Bericht von Adjutant (desOberbefehlshabers) Glowczynski überden Unfall von Montreal, datiert N. NO.NVQO, Washington (polnisch).

QPM Graf Jan Ciechanowski: Defeat inVictory, London NVQT. Ciechanowski,der heute in Washington lebt, lehnte esab, sich über den kaum bekannten

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OPQ

Zwischenfall vom Autor befragen zulassen.

QPN Telegramm von Oberst Marecki anGeneral Klimecki, PM. NN. NVQO(polnisch).

QPO Nach Graf Stefan Zamoyski, der mitCiechanowski auf die AnkunftSikorskis gewartet hatte (Interview imJuni NVST).

QPP Ciechanowski, a.a.O.QPQ Eintrag im Terminkalender des

Weißen Hauses, O. NO. NVQO.QPR Ciechanowski, a.a.O. In den Akten des

General Sikorski Historical Institutebefindet sich eine von Sikorskieigenhändig geschriebeneZusammenfassung dieserUnterhaltung: Welles hatte Roosevelterklärt, »die Sicherheitspolizei . . .[habe gemeldet], daß bestimmt einSabotageakt vorlag«.

QPS Es scheint nur noch eine andereveröffentlichte Erwähnung diesesAbsturzes zu geben, und zwar in demBuch des (verstorbenen Botschafters)Josef Lipski: Trzy Podroze gen.Sikorskiego do Ameryki, London NVQV(hrsg. vom General Sikorski HistoricalInstitute). Der Autor schreibt:»Nachdem wir wegen einesFlugzeugunfalls beim Start in Montrealeinen Tag zu spät in Washingtoneintrafen, war General Sikorski Gastbei Präsident Roosevelt.« Obgleich allein Montreal erschienenen Zeitungen,besonders der Montreal Standard unddie Montreal Gazette, durchgesehenwurden, war es nicht möglich, einenHinweis auf den Zwischenfall zufinden.

QPT Sir Louis Greig überreichte Sikorski amT. N. NVQP einen (ins Polnischeübersetzten) »Vertraulichen Berichtüber die Ergebnisse der Untersuchungeines Luftzwischenfalls von GeneralSikorski in Montreal«. In amtlichenPapieren wird der Vorfall kaumerwähnt, manchmal aber bezweifelt . . .In den Protokollen des RAF-Transitkommandos befindet sichlediglich ein kurzer Hinweis auf dasVersagen der Hudson BW QMV beimAbheben, außerdem wird hierbemerkt, daß die Passagiere am

nächsten Tag nach Washingtonweiterbefördert wurden, In derHistorischen Abteilung des LondonerLuftfahrtministeriums konnten wirsonst keinerlei weitere, mit dem Unfallin Zusammenhang stehende Vermerkefinden. In den Public Archives vonKanada existiert zwar eine alte Akteüber Unfälle beim RAF-Transitkommando (»RAF FerryCommand Crashes«), die näherePrüfung ergab jedoch, daß sieunvollständig sein muß, da auch hierder Sikorski-Unfall nicht erwähnt wird.Montreal-Dorval diente auch demzivilen Luftverkehr als Flughafen, undwir wandten uns deshalb ebenfalls andie Kanadische Transportbehörde �auch hier ein negatives Ergebnis. MajorR. E. Marrow, nach Aussagen derPolen der »RAF«-Pilot des Flugzeugs,wird in der »Air Force List« von NVQPnicht als RAF-Offizier geführt; bei derHudson BW QMV handelte es sich sicherum ein Flugzeug der Royal Air Force,die Schwesterflugzeuge � BW QMU undBW QNM � waren allerdings aufgrunddes »Pacht-Miete«-Abkommens imRahmen des Commonwealth-Luftprogramms (»BritishCommonwealth Air Training Plan«)der kanadischen Luftwaffe zugeteiltworden. Das LondonerVerteidigungsministerium dagegen istder Meinung, die Maschine Sikorskishabe ebenfalls zum Luf tpark derKanadier gehört, da sich in denoffiziellen Akten der RAF kein Hinweisauf sie findet. Sir William Stephensonschließlich, seinerzeit Leiter derbritischen Nachrichtenorganisationenin Amerika, hat den Autor informiert,er persönlich habe »keine, ichwiederhole, keine Erinnerung an einensolchen Vorfall«. (Korrespondenzenmit dem Verteidigungsministerium,London, mit der NationalenVerteidigungsbehörde, Ottawa, sowiemit Sir William Stephenson.)

QPU Sikorskis Tagebuch, NO. und NP. N. NVQP.QPV Soweit der Autor weiß, gibt es keine

Aufzeichnungen der Gesprächezwischen Greig und Sikorski. Sir LouisGreig war persönlicher Sekretär des

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OPR

britischen Luftfahrtministers, SirArchibald Sinclair (s. Anm. QPT). DieAnnahme des Autors basiert auf zweiEinträgen in Sikorskis Tagebuch (Q. Q.NVQP: »NR.PM Uhr: General Sikorskibegab sich mit seiner Gattin, seinerTochter und OberleutnantGlowczynski zu Sir Louis Greig nachRichmond. NS.NR Uhr: Teegesellschaftfür ungefähr fünfzehn Personen.General Sikorski hatte eineUnterredung mit Sir Louis Greig undColonel Colt von der amerikanischenMilitärmission.« Nach einem Eintragvom S. Q. NVQP hatte Sikorski sich nachNN Uhr für ca. eine halbe Stunde mitGreig getroffen).

QQM Sikorski an Mikolajczyk; Vermerk:»zusammengestellt am T. R. NVQP«(polnisch).

QQN W. L. Bonaparte-Wyse: »SabotageThreat to De Gaulle«, in DailyTelegraph, NN. R. NVST (Leserbrief).

QQO Churchill, a.a.O., Bd. IV, S. SNN und S.TNS. Bryant, a.a.O., S. RQU. The Earl ofAvon: The Eden Memoirs. TheReckoning, London NVSR, S. PUS-PUT.

QQP Verteidigungsministerium, London, anAutor, Juni NVST.

QQQ Interview mit Bonaparte-Wyse, MaiNVST.

QQR Interview mit Peter Loat, Cornwall,Juni NVST, sowie Korrespondenz mitLoat, Juli NVST.

QQS Verteidigungsministerium an Autor,Juni NVST. Leserbrief im Daily Telegraph(s. Anm. QQN). Demnach wurdeBonaparte-Wyse vom Adjutanten deGaulles informiert, der Pilot derWellington habe ihm erklärt, es sei einSabotageakt auf das Flugzeug verübtworden. Beide Engländer erinnern sichdaran, der Adjutant dagegen weißangeblich nur noch, daß man ihn zumVerlassen der Maschine aufforderte,und behauptet heute: »Ich erinneremich nicht, daß die Ursache für diesenVorfall einem Sabotageaktzugeschrieben wurde.« General deGaulle, der auf Veranlassung desAutors über den Zwischenfall befragtwurde, hatte ebenfalls »keineErinnerung daran« (Korrespondenzenmit François Charles-Roux und mit

dem französischen Botschafter inLondon).

QQT Interview mit Bailey, Lissabon, NV. R.NVST.

QQU Bericht der Untersuchungskommissionder Generalinspektion der polnischenLuftwaffe, OT. NN. NVQP.

QQV Protokoll des Verhörs von Lubienskidurch Dr. Tadeusz Cyprian, V. NO. NVQP.

QRM Interview mit Watson, U. O. NVSV.QRN Mason-Macfarlanes Bericht, NU. T. NVQR.QRO Interview mit Bolland, OU. Q. NVST.

Außerdem Bollands Erklärung, inSunday Times, PM. Q. NVST.

QRP D. F. Martin an Observer, in TheObserver, OO. NM. NVST. Interview mitMartin, in Sheffield Morning Telegraph,OT. NM. NVST. Martin an Autor, NQ. NN.NVST.

QRQ Interview mit J. F. Hughes, in DailyTelegraph, NM. N. NVSV.

QRR Interview (an dem auch RolfHochhuth teilnahm) mit HelenaSikorska und Frau Lisiewicz, die imJahre NVQP bei der Zusammenkunft vonFrau Sikorska und General Mason-Macfarlane teilweise als Dolmetscherinfungiert hatte, OS. S. NVSS. FrauSikorska erinnert sich, daß Mason-Macfarlane sich auf französisch direktan sie gewandt hatte, als er seinenVerdacht erwähnte. Vgl. auch JanCialowicz: »Tragedia Gibraltarska poOQ Latach«, in Tygodnik Powszechny,Krakau, O. NN. NVST: »Aminteressantesten sind vielleicht dieErklärungen des damaligenGouverneurs von Gibraltar, GeneralMacfarlane, der am Q. T. GastgeberGeneral Sikorskis war und der nachseiner Pensionierung häufig FrauSikorska besuchte. Wie Frau Sikorskadem Autor dieses Artikels erzählte,erwähnte Macfarlane die denkwürdigeJulinacht außerordentlich oft unddrückte seine feste Überzeugung aus,das Ereignis sei kein Unfall gewesen.«

QRS Interview mit Helena Sikorska, ON. NO.NVSU. Vgl. Sunday Express, OV. NO. NVSU.Telegramm Churchills an HelenaSikorska, P. NO. NVQQ (befindet sich beiihren privaten Papieren).

QRT Rolf Hochhuth: Aufzeichnung einerUnterhaltung mit Helena Sikorska, ON.

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OPS

T. NVSS. Vgl. Herbert Peis: Churchill,Roosevelt, Stalin, S. NVQ.

QRU Stanislaw Mikolajczyk: The Pattern ofSoviet Domination, London NVQU. Vgl.Peis, a.a.O., S. NVS.

QRV Woodward, a.a.O., S. QOV.QSM Ebd., S. OVU-PMM.QSN Ebd., S. PMO.QSO Mikolajczyk (a.a.O., S. PNM beschreibt

die Episode mit Churchillfolgendermaßen: »Churchill deutetemit dein Finger auf mich. �Wenn Siedie Grenze nicht akzeptieren, sind Siefür immer ausgeschaltet!� schrie er.�Die Russen werden in Ihr Landeinfallen und Ihr Volk liquidieren. Siestehen am Rande der Ausrottung. Wirwerden Ihrer müde, und Sie machenuns krank, wenn Sie noch weiterdiskutieren.�«

QSP Vgl. Poland in the British Parliament,NVSO (Josef Pilsudski Institute ofAmerica), Bd. III (NVPV-NVQR).

QSQ Vgl. Robert E. Sherwood: Roosevelt andHopkins, New York NVQU, Bd. II, S. UQO.

QSR Churchill, a.a.O., S. RSR.QSS John Sparrow: »After the

Assassination«, in Times LiterarySupplement, NQ. NO. NVST.

QST Fliegerhauptmann Graham Herring:Notizen über eine Unterhaltung mitFliegerhauptmann X. (der Name istdem Autor und dem Verlag bekannt),ehemals Staffel RNN, T. O. NVSV. ImDezember NVSU hatte Hauptmann X.Prchal aufgefordert, diesen Punkt zuerörtern, der Pilot wich einer direktenAntwort jedoch aus. Am P. O. NVSVerinnerte X. den Tschechen brieflich, erhabe NVQP vor ihm selbst und anderenOffizieren zugegeben, demUntersuchungsausschuß keineswegsseine wirklichen Eindrücke über dasGeschehen mitgeteilt zu haben.

QSU Artikel von Chapman Pincher, inSunday Express, Februar NVSV. Pincheran Autor, P. O. NVSV.

QSV Interview mit Jaroslav Prokop, MaiNVSV.

QTM Sendung von Radio Freies Europa, OU.S. NVRO.

QTN Dziennik Polski, OV. T. NVRP.QTO Sendung von Radio Freies Europa, OP.

Q. NVSO (vgl. Anm. VQ).

QTP Sunday Telegraph, PM. Q. NVST.QTQ Sunday Express, PM. Q. NVST.QTR Dziennik Polski, OV. T. NVRP. Prchal hat

das Interview nie dementiert, es istallerdings nicht genau bekannt, ob eres überhaupt gelesen hat.

QTS Interview mit Prchal, Mai NVST.QTT Diese medizinische Versuchsdiagnose

wurde uns von Dr. Stephen Black,Member of the Royal College ofSurgeons, Licentiate of the RoyalCollege of Psychophysiology, demDirektor der Forschungsabteilung fürPsychophysiologie der NuffieldFoundation, gestellt (Unterredung amOR. T. NVST).

QTU Untersuchungsausschuß, Teil I, § NM(Ergebnisse).

QTV Milovan Djilas: Conversations withStalin (deutsch unter dem TitelGespräche mit Stalin, Frankfurt NVSO).In einem Brief an Hochhuthvervollständigte Djilas seine Angabenund erklärte, Stalin sei seinerzeit vomPräsidenten der tschechischenExilregierung und späteremStaatspräsidenten Benesch informiertworden. Die Witwe von Benesch hältdies für allerdings unwahrscheinlich(Brief, Prag, Juni NVSU).

QUM Lahousens Tagebuch, NS. T. NVQP. DerAdjutant des Gouverneurs bestätigt,daß seinerzeit ein spektakulärerSabotageanschlag auf einTreibstofflager der Kronkolonie verübtwurde.

QUN Ebd., O. O. NVQP.QUO Vgl. Charles Wighton und Günter Peis:

They Spied on England, S. PR, sowieLahousens Tagebuch, NN. P. NVQO.

QUP Archiv des Reichsaußenministeriums(Aufzeichnungen Schmidts überFührerkonferenzen).

QUQ Deutsches Propagandaflugblatt, alsBekanntmachung der polnischenUntergrundbewegung aufgemacht (Jakzginal general Sikorski?). Der Autorerhielt eine Kopie vom PilsudskiInstitute, New York. Das Flugblattwurde von der DeutschenGesandtschaft in Bern auch unterSchweizer Exilpolen verbreitet, wasseine wahre Herkunft bestätigt(Polnische Gesandtschaft in Bern, Brief

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OPT

vom NR. O. NVQQ, heute in den Akten desGeneral Sikorski Historical Institute).

QUR Zweites deutsches Propagandaflugblatt(Prawda o Sikorskim), ca. Juli NVQP.

QUS Sendung von Radio Paris, R. T. NVQP, OOUhr (Abhörbericht der BBC, Nr. NQQV,S. T. NVQP). Himmler an Hierl, NM. T.NVQQ (NARS-Mikrofilm T-NTR, RolleSV).

QUT Maiski an Hochhuth, OT. NO. NVSS.QUU Webster und Frankland: The Strategic

Air Offensive against Germany, Bd. III,S. OUQ.

QUV Retinger berichtete dies im Mai NVQPdem Grafen Stefan Zamoyski, einemder damaligen Adjutanten Sikorskis.

QVM Interview mit Lubienski, gesendet vonRadio Freies Europa am Q. T. NVRQ(Interviewer zu Lubienski: »War dassowjetische Flugzeug zu irgendeinemZeitpunkt nahe der Maschine GeneralSikorskis abgestellt?« Lubienskierklärte, beide Flugzeuge hättennebeneinander gestanden). Bereits amT. T. hatte das Reichsaußenministeriumin einer Rundfunksendung verbreitenlassen, daß gewisse britische Zeitungen»sorgfältig den Versuch machen, dieVerantwortung für den Tod Sikorskisden Bolschewiken zuzuschieben«. Derbritischen Regierung wurden dieseBeschuldigungen durch Abhörberichteder BBC bekannt (s. Anm. OQS, sowieS. VP).

QVN Interview mit Harry Field, Truro,Februar NVSV.

QVO Stellvertretender Unterstaatssekretärim Verteidigungsministerium(Luftwaffe) an Elton, NP. S. NVST.

QVP Interview mit Watson, T. O. NVSV(Watson sah das betreffende Flugzeugebenfalls). Es war natürlich bei Strafeverboten, Transportmaschinen derRAF zur Beförderung unverzollterGüter zu mißbrauchen. Normalerweise

stellten die königlichen Zollbehördenim Ankunftsflughafen Zollerklärungen� Formular C.VMO � aus, die nach einerbestimmten Zeit routinemäßigvernichtet wurden. Der Autor hat sichbemüht, die den letzten Flug desLiberator AL ROP betreffendenZollpapiere aufzufinden, wurde jedochvom Offizier, der für dieAufbewahrung der Zoll- undAbgabepapiere zuständig ist,dahingehend unterrichtet, daß man diePapiere der Unglücksmaschine allerVoraussicht nach nirgends deponierthabe, da das Flugzeug seinenBestimmungsort nie erreichte.

QVQ Auch Mister A. D. Firth gegenüber,einem seiner regulären Navigatoren,der ihn im Krankenhaus derKronkolonie besuchte, hatte Prchalerklärt, die Ladung der Maschinekönne das Unglück verursacht haben.»Nach seiner persönlichen Meinung«,sagt Firth heute, »hatte sich ein Teil desGepäcks (das auf jeden Fall dasnormalerweise zugelassene Gewichtüberschritt) gelockert und ein Kabelblockiert. Es handelte sich immerhinum eine Militärmaschine, die nurprovisorisch zur Beförderung vonPassagieren umgebaut worden war.«(Kursivierung vom Autor)

QVR Interview mit Quayle, NU. R. NVST.QVS Zeugenaussage Simpsons, Juli NVQP.QVT Interview mit Perry, NP. S. NVST.QVU Zeugenaussage Simpsons, Juli NVQP.QVV Zeugenaussage Cannings, Juli NVQP.RMM Interview mit Prchal, NS. R. NVST.RMN Vgl. S. OONf. (Fußnote).RMO Veröffentlichung des

Luftfahrtministeriums Nr. NUTSC:Pilotenanweisungen für Liberator B-OQC und spätere Typen.

RMP Zeugenaussage Watsons, R. U. NVQP.