Israel: Deutlicher Sieg von Netanjahu

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Hintergrund: Israel Nr. 18 / März 2015 | 1 Deutlicher Sieg von Netanjahu Walter Klitz Wochenlang schien der politische Wechsel in Israel in Reichweite. Die Meinungsumfragen sagten ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Die Oppositionsparteien wähnten sich auf der Siegerstraße. Doch vier Tage vor dem Wahltag am 17. März 2015 schaltete Benjamin Netanyahu auf „Wahlmodus“ um, und am Morgen nach der Wahl traute der Wähler seinen Ohren nicht. Aus dem vermeintlichen Kopf-an-Kopf- Rennen war für Likud ein Vorsprung von sechs Sitzen geworden. Was war geschehen? Warum ist die veröffentlichte Meinung nicht auf Resonanz gestoßen? Wie wird sich die Wiederwahl politisch auswir- ken? Ausgangslage Nur 26 Monate nach der letzten Wahl im Jahre 2013 waren 5,88 Millionen Wähler aufgerufen, 120 Mitglieder der Knesset neu zu wählen. Vorzeitige Neuwahlen sind in der ethnisch, ideologisch und religiös geteilten Parteienlandschaft Israels eigentlich kein ungewöhnlicher Vorgang. Ungewöhnlich war allenfalls die kurze Dauer der 19. Legislaturperiode, die die zweitkürzeste Legislaturperiode der Knesset in der Geschichte des Landes war. Gescheitert ist die Regierung vor allem daran, dass die wenigen Gemeinsamkeiten, die sie bereits von Anfang an hatte, schnell aufgebraucht waren. Die Friedensgespräche mit den Palästinensern waren gescheitert. Die Koalitionsverträge, die Netanyahu 2013 mit jedem Partner einzeln aushandelte, waren teilweise widersprüchlich, und so überließ er seiner bunten Regierungsmannschaft, dass jeder zwar in seinem Verantwortungsbereich an der Umsetzung seiner Koalitionszusagen arbeiten konnte, aber letztlich nur wenige bedeutende Vereinbarungen realisiert wurden. Dazu gehörten insbesondere die Änderung des Gesetzes zur Abschaffung einiger Privilegien von Ultra-Orthodoxen, die Änderungen des Personenstandsrechts im Verhältnis Staat und Religion, die Einführung der lang umstrittenen Som- mer- und Winterzeit, die Reform des Kartellrechts, die Zusammenlegung von Ministerien und die Ein- führung einer Volksabstimmung bei Verzicht auf Territorium. Je mehr die ideologischen Bruchstellen der Regierung sichtbar wurden, desto mehr brachten sich in der Partei des Premierministers parteiinterne Widersacher in Position. Erst nach dem Gaza-Konflikt im Juli/August 2014 nahm Netanyahu das Zepter in die Hand. Hintergrund: Israel Nr. 18 / 20. März 2015

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Wochenlang schien der politische Wechsel in Israel in Reichweite. Die Meinungsumfragen sagten ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Die Oppositionsparteien wähnten sich auf der Siegerstraße. Doch vier Tage vor dem Wahltag am 17. März 2015 schaltete Benjamin Netanyahu auf "Wahlmodus" um, und am Morgen nach der Wahl traute der Wähler seinen Ohren nicht. Aus dem vermeintlichen Kopf-an-Kopf-Rennen war für Likud ein Vorsprung von sechs Sitzen geworden. Was war geschehen? Warum ist die veröffentlichte Meinung nicht auf Resonanz gestoßen? Wie wird sich die Wiederwahl politisch auswirken?

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  • Hintergrund: Israel Nr. 18 / Mrz 2015 | 1

    Deutlicher Sieg von Netanjahu

    Walter Klitz

    Wochenlang schien der politische Wechsel in Israel in Reichweite. Die Meinungsumfragen sagten ein

    Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Die Oppositionsparteien whnten sich auf der Siegerstrae. Doch vier

    Tage vor dem Wahltag am 17. Mrz 2015 schaltete Benjamin Netanyahu auf Wahlmodus um, und am

    Morgen nach der Wahl traute der Whler seinen Ohren nicht. Aus dem vermeintlichen Kopf-an-Kopf-

    Rennen war fr Likud ein Vorsprung von sechs Sitzen geworden. Was war geschehen? Warum ist die

    verffentlichte Meinung nicht auf Resonanz gestoen? Wie wird sich die Wiederwahl politisch auswir-

    ken?

    Ausgangslage

    Nur 26 Monate nach der letzten Wahl im Jahre 2013 waren 5,88 Millionen Whler aufgerufen, 120

    Mitglieder der Knesset neu zu whlen. Vorzeitige Neuwahlen sind in der ethnisch, ideologisch und

    religis geteilten Parteienlandschaft Israels eigentlich kein ungewhnlicher Vorgang. Ungewhnlich

    war allenfalls die kurze Dauer der 19. Legislaturperiode, die die zweitkrzeste Legislaturperiode der

    Knesset in der Geschichte des Landes war.

    Gescheitert ist die Regierung vor allem daran, dass die wenigen Gemeinsamkeiten, die sie bereits von

    Anfang an hatte, schnell aufgebraucht waren. Die Friedensgesprche mit den Palstinensern waren

    gescheitert. Die Koalitionsvertrge, die Netanyahu 2013 mit jedem Partner einzeln aushandelte, waren

    teilweise widersprchlich, und so berlie er seiner bunten Regierungsmannschaft, dass jeder zwar in

    seinem Verantwortungsbereich an der Umsetzung seiner Koalitionszusagen arbeiten konnte, aber

    letztlich nur wenige bedeutende Vereinbarungen realisiert wurden. Dazu gehrten insbesondere die

    nderung des Gesetzes zur Abschaffung einiger Privilegien von Ultra-Orthodoxen, die nderungen des

    Personenstandsrechts im Verhltnis Staat und Religion, die Einfhrung der lang umstrittenen Som-

    mer- und Winterzeit, die Reform des Kartellrechts, die Zusammenlegung von Ministerien und die Ein-

    fhrung einer Volksabstimmung bei Verzicht auf Territorium.

    Je mehr die ideologischen Bruchstellen der Regierung sichtbar wurden, desto mehr brachten sich in

    der Partei des Premierministers parteiinterne Widersacher in Position. Erst nach dem Gaza-Konflikt im

    Juli/August 2014 nahm Netanyahu das Zepter in die Hand.

    Hintergrund:

    Israel

    Nr. 18 / 20. Mrz 2015

  • Hintergrund: Israel Nr. 18 / Mrz 2015 | 2

    Nach der Entlassung des stellvertretenden Verteidi-

    gungsministers, Danny Danon, der Netanyahu fr seine

    angeblich zu nachgiebige Politik im Gaza-Konflikt kriti-

    sierte, gingen seine Zustimmungsraten wieder stark nach

    oben. Zum endgltigen Bruch der Koalition fhrte dann

    im Dezember die Entlassung von Justizministerin Tzipi

    Livni (HaTnuah, dt.: Die Bewegung) und Finanzminister Yair Lapid (Yesh Atid, dt.: Es gibt eine Zukunft), die sich

    weigerten, einen Gesetzentwurf zur Schaffung eines j-dischen Nationalstaates mitzutragen, der mit hoher

    Wahrscheinlichkeit in der mglichen neuen Rechtsregie-

    rung wieder auf die Tagesordnung kommen wird. Sptes-

    tens bei der Wahl zum Parteivorsitz der Likud-Partei (dt.:

    Zusammenschluss) im Dezember 2014, bei der der Hardliner Danon gegen Netanyahu antrat und kaum Un-

    tersttzung fand, konnte Netanyahu zeigen, wer Herr im

    Haus ist. Der Zeitpunkt fr Neuwahlen htte fr Netan-

    yahu folglich nicht gnstiger sein knnen, auch wenn

    sich dies rckblickend betrachtet seltsamerweise nicht in

    den Meinungsumfragen widerspiegelte.

    Whler, Wahlkampf und Inhalte

    Zur Wahl traten 25 Parteien bzw. Wahlbndnisse mit ins-

    gesamt 1.280 Kandidaten an. Wahlberechtigt waren 5,88

    Mio. Brger, 232.000 mehr als im Jahr 2013. Durch die

    starke Zuspitzung des Wahlkampfes auf die Frage Bibi oder wir stieg die Wahlbeteiligung von 67,8% im Jahr

    2013 auf 71,8%, in Zahlen von 3.833.640 auf 4.221.840

    Whlern. Sowohl die Mobilisierung der Whler, insbeson-

    dere aber die demographische Entwicklung im national-

    religisen und ultra-orthodoxen Lager drfte sich dabei

    positiv auf das Ergebnis von Netanyahu und den anderen

    dem rechten Lager zuzuordnenden Parteien ausgewirkt

    haben.

    Whrend die Oppositionsparteien und zahlreiche Medien

    bemht waren, den amtierenden Premierminister durch

    zahlreiche Skandale und dem Vorwurf des Missbrauchs

    ffentlicher Gelder zu diskreditieren, hielt sich Netanyahu

    auffallend zurck. Er gab nur wenige Interviews, zeigte

    nur wenig Prsenz und bot den Oppositionsparteien damit

    kaum inhaltliche Angriffsflche. Dabei spielte ihm das

    schwache Image des Parteivorsitzenden der Arbeiterpartei,

    Isaac (he: Yitzchak) Herzog, der mit der liberalen HaTnuah-Partei von Tzipi Livni das Wahlbndnis Das

    Zionistische Lager (he: HaMachaneh HaTzioni) eingegangen war, in die Hnde. Auch der Auftritt von Netanyahu vor dem US-amerikanischen Kongress zeigte nur einen vorbergehenden Anstieg in den

    Meinungsumfragen.

    Tsipi Livni, Vorsitzende der liberalen Hatnuah-Partei

    Wahlkabine und Wahlscheine

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    Nachdem die Parteien, vor allem das Wahlbndnis um

    Isaac Herzog, merkten, dass die Kritik der Isolation

    Israels und des gestrten Verhltnisses zum engsten

    Verbndeten Israels, den Vereinigten Staaten von

    Amerika, nicht verfing, wurde ein erfahrener Wahl-

    kampfstratege gebeten, die Wahlkampfstrategie zu

    untersuchen und eine Alternative vorzuschlagen. Aber

    auch die Strategie des Anything but Bibi entpuppte

    sich als Flop. Als Netanyahu sich dann schlielich

    zwei Tage vor der Wahl zu Wort meldete und vor der

    Gefahr einer aus dem Ausland finanzierten Kampagne

    warnte, sich gegen die Bildung eines palstinensi-

    schen Staates aussprach und zusicherte, dass unter

    seiner Amtsfhrung Jerusalem niemals geteilt werde,

    hatten die Oppositionsparteien ihr Pulver verschossen

    und konnten nicht mehr ffentlich reagieren. Nur er

    knne, sagte er bei einer Groveranstaltung in Tel

    Aviv, den regionalen Gefahren die Stirn bieten. Ver-

    standen wurde dies als Warnung vor einer schwachen

    israelischen Regierung unter Issac Herzog.

    Regierungsbildung und politische Auswirkungen

    Da sich Netanyahu zur Bildung einer Regierung mindestens eine politische Kraft aus dem nicht rech-

    ten Lager bentigt, bieten sich ihm folgende Optionen:

    1. Eine Einheitsregierung, die das Wahlbndnis Herzog/Livni einschliet. Sie wurde von Prsident

    Reuven Rivlin in einer ersten Stellungnahme nach Verffentlichung der Prognosen angeregt.

    Nach dem deutlichen Wahlsieg von Netanyahu gilt diese Lsung vor allem vor dem Hinter-

    grund der Festlegungen zur Zwei-Staaten-Lsung als eher unwahrscheinlich.

    2. Yair Lapid beteiligt sich mit seiner Partei Yesh Atid an einer Regierung. Dies drfte auf den

    Widerstand der Ultra-Orthodoxen stoen, die Lapid wegen der Abschaffung von religisen Pri-

    vilegien fr einen Spalter der Gesellschaft halten. Bei diesem Szenario msste von Netanyahu

    die Partei Kulanu zustzlich ins Spiel gebracht werden.

    3. Als wahrscheinlichster Knigsmacher gilt Moshe Kachlon. Das ehemalige Likud-Mitglied und

    Grnder der neuen Partei Kulanu, der 10 Sitze errang, setzte im Wahlkampf im Wesentlichen

    auf die soziale Frage. Er gilt zwar als Befrworter der Zwei-Staaten-Lsung, vertritt allerdings

    die Auffassung, dass sie zurzeit keine Prioritt auf der politischen Agenda haben sollte. Netan-

    yahu hat ihm bereits das Amt des Finanzministers zugesichert.

    Issac Herzog, Spitzenkandidat des Wahlbndnisses Neue

    Zionistische Bewegung

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    Innenpolitisch wird es Im Wesentlichen weiter gehen wie gehabt. Netanyahu wird Moshe Kachlon

    Zugestndnisse im sozialen Bereich machen. Auenpolitisch schwinden die Hoffnungen auf eine dau-

    erhafte Friedenregelung. Die Siedlungspolitik wird ungebremst fortgesetzt. Israel wird sich internatio-

    nal weiter isolieren, da Netanyahu sich unmissverstndlich gegen ergebnisoffene Gesprche mit den

    Palstinensern ausgesprochen hat.

    Wie dynamisch sich die Parteienlandschaft in Israel verhlt, ist gut an der obigen Grafik zu erkennen. Fnf Parteien, die 2013

    ins Rennen gingen, sind 2015 entweder neue Wahlbndnisse eingegangen oder sind, wie die vom Likud in 2005 abgespaltene

    moderat konservative Partei Kadima, ganz von der Bildflche verschwunden. Die arabischen Parteien (Balad, Chadash und die

    Vereinte Arabische Liste) schlossen sich zu dem Wahlbndnis Gemeinsame Liste (he: HaReschima HaMeschuteffet) zu-sammen. Zum ersten Mal in der Geschichte Israels stellt eine arabische Partei die drittstrkste politische Kraft im israelischen

    Parlament. Dieses Ergebnis hat der arabische Block ironischer Weise dem rechtsextremen Avigdor Lieberman zu verdanken, der

    ein Gesetz zur Anhebung der Prozenthrde durchsetzte und sich davon erhoffte, die lstigen Splitterparteien, in erster Linie

    die arabischen kleinen Parteien, daran scheitern zu sehen. Der politische Partner der Stiftung, die liberale HaTnuah-Partei

    verbndete sich mit der sozialdemokratischen Avodah Partei (de: Arbeit) zum Zionistischen Lager (he: HaMachaneh HaTzi-oni), um den Whlern eine echte, zahlenmig realistische Alternative zum rechten Lager zu bieten. Neben neuen Wahlbnd-nissen kam es auch zu einer Parteienspaltung, denn die rechtskonservative Likud Partei, gefhrt von Netanyahu, trat nicht

    mehr wie in 2013 mit der rechts-nationalistischen Jisrael Beiteinu (de: Israel ist unser Haus) Partei von Avigdor Lieberman an. Vor dem Hintergrund dieser Parteienspaltung ist Netanyahus Wahlsieg als umso bedeutsamer zu werten. Der Ex-

    Likudmann Moshe Kachlon trat mit einer neuen Partei Kulanu (de: Wir alle) an.

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    Es ist davon auszugehen, dass das Exekutivkomitee der

    PLO in den nchsten Tagen ihr weiteres Vorgehen beim

    Internationalen Strafgerichtshof besprechen wird und

    ihre Bemhungen zur Internationalisierung des Konfliktes

    intensivieren wird. Nicht zu erwarten ist eine unmittelba-

    re Entscheidung zur Einstellung der israelisch-

    palstinensischen Sicherheitskoordination.

    Aber auch auslndischen Organisationen drfte Unge-

    mach drohen, da der Entwurf des NGO-Gesetzes, dessen

    Einbringung Tzipi Livni erfolgreich verhindern konnte,

    wieder aus der Schublade geholt werden drfte. Auch die

    politischen Stiftungen, vor allem die Heinrich-Bll-

    Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung, wren davon

    betroffen. Der alte Gesetzentwurf sieht vor, dass israeli-

    sche Organisationen, die mit auslndischen Organisatio-

    nen kooperieren und den Boykott gegen Israel unterstt-

    zen, Israel das Recht absprechen, ein jdischer und de-

    mokratischer Staat zu sein, Israel als rassistischen Staat

    verleumden oder Kritik an den israelischen Verteidigungs-

    krften bzw. ihrer Soldaten uern, 45% Steuern auf die

    erhaltenen Zuwendungen bezahlen mssen. Betroffen ist

    die Organisation auch dann, wenn ein Mitarbeiter sich

    privat in derartigen Aktivitten engagiert.

    Walter Klitz ist FNF-Projektleiter fr Israel und Palstinensische Autonomiegebiete (Fotos: FNF-

    Projektbro Jerusalem).

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)

    Bereich Internationale Politik

    Referat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2

    D-14482 Potsdam

    Benjamin Netanyahu, ehemaliger und wahrscheinlich

    neuer Premierminister