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Jahres- und Qualitätsbericht 2016 Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Vivantes Klinikum Neukölln

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  • Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

    Vivantes Klinikum Neukölln

    www.vivantes.de

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

    Vivantes Klinikum Neukölln

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    1 Vorwort 5

    2 Struktur und Selbstverständnis der Klinik 9

    3 Patientinnen- und Patientendaten 133 1 Fall-, Patientinnen- und Patientendaten 133 2 Zuweisung und Zugangswege 153 3 Aufenthaltsdauer 163 4 Diagnosen 173 5 Geschlecht und Alter 173 6 Sozialdaten 183 7 Migration, Staatsangehörigkeit und Sprache 19

    4 Psychiatrische Institutsambulanz 21

    Schwerpunktthema: Das Krankenhaus lernt laufen – Erste Schritte im Modellprojekt 23

    5 Leistungen des psychiatrischen Not- und Bereitschaftsdienstes in der Rettungsstelle und auf den Stationen der Klinik 33

    6 Leistungen des psychiatrischen Konsil- und Liaisondienstes für die somatischen Stationen im Klinikum Neukölln 35

    7 Besondere Vorkommnisse 377 1 Tätliche Angriffe und erhebliche Drohungen 377 2 Selbstverletzungen, Suizidversuche und Suizide 397 3 Brände 407 4 Fehler bei der Medikamentenvergabe 41

    8 Zwangsmaßnahmen 438 1 Unterbringungen 438 2 Fixierungen 458 3 Medikamentöse Zwangsbehandlungen 468 4 Entweichungen 47

    9 Besondere Tätigkeiten 499 1 Mutter-Kind-Behandlungen 49

    Inhalt

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    9 2 Angehörigenvisite und Angehörigengruppe 499 3 Trialog in Neukölln 519 4 Genesungsbegleiter/innen 529 5 Patientenbrief 529 6 Systemische und Netzwerk-orientierte Methoden 539 7 Delir-Projekt im Vivantes Klinikum Neukölln 549 8 Klinikübergreifendes Kooperationsprojekt zum Thema „Demenz“ 559 9 Gedächtnissprechstunde 569 10 Psycho-kardiologische Gruppe 569 11 Gruppe für junge Erwachsene/Transitionspsychiatrie 579 12 Arbeitsgruppe Migration 589 13 Sprechstunde für Geflüchtete in seelischen Krisen 599 14 Jahrestagung der deutsch-polnischen Gesellschaft für seelische Gesundheit 599 15 WOHNEN plus – Neuköllner Kooperationsprojekt 629 16 Tiergestützte Therapie: Jacco 639 17 Selbsthilfegruppen 639 18 Patientenclub und Disco 649 19 Feste 659 20 Gäste 659 21 Gremienarbeit 66

    10 Qualitätssicherung 6910 1 Basisdokumentation 6910 2 Ereignisbezogene Dokumentationen 6910 3 Fort- und Weiterbildung 6910 4 Externe Supervision 7010 5 Zusammenarbeit mit niedergelassenen Psychiater/innen und Psychotherapeut/innen 7010 6 Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (AMSP) 7110 7 Arbeitsgruppe Deeskalation 7110 8 Komplikationskonferenzen 72

    11 Veranstaltungen 75

    12 Vorträge und Publikationen 77

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,sehr geehrte Damen und Herren,

    2016 ist vorbei Es könnte als ein Jahr in die Psychiatrie-Geschichte eingehen, in dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf eine besondere Art und Weise verschränkt haben Dies verdichtet sich einerseits im Rückblick auf die mitt-lerweile 40 Jahre alte Psychiatrie-Enquete, andererseits in der Verabschiedung des neuen „Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen“

    Schon der Titel des Gesetzes ist ein kleiner Erfolg: Das ursprünglich geplante Gesetz sah eine DRG-ähnliche Abrechnung (PEPP-System) in der Psychiatrie mit Konvergenzphase vor – mit den Folgen einer minutiösen Leistungsabrechnung, die gerade die Aufwände bei akuten Erkrankungen überhaupt nicht realitätsgerecht abbilden kann Durch vereinte Kräfte von letztendlich 19 Fachverbänden gelang es, nicht nur die Vergütung, sondern auch die Versorgung auf die Tagesordnung zu nehmen Mit dazu bei trug Bundesgesundheitsminister Gröhe, der erfreulicher-weise ein offenes Ohr für die Belange der Psychiatrie hatte Zudem wurde seit Juni 2016 in monatlichen Demonstrationen vor dem Bundesgesundheitsministerium lautstark die Forderung nach einer Verbesserung der Strukturqualität der psych-iatrischen Versorgung artikuliert, insbesondere nach einer ausreichenden Perso-nalbemessung auf Grundlage der Psychiatrie-Personalverordnung (PsychPV), nach stärkerer Berücksichtigung von Versorgungsaspekten sowie nach Abschaffung der DRG-ähnlichen Leistungserfassungs- und Abrechnungs-Codes („Weg mit PEPP!“) Die Politik musste zur Kenntnis nehmen, dass mit PEPP in der damals geplanten Form einfach keine Ruhe in der psychiatrischen Szene eintreten würde Durch ein konstruktives Ineinandergreifen von Verbändearbeit und politischen Aktionen gelang es, das Ruder zwar nicht herumzureißen, immerhin aber die Richtung etwas zu korrigieren: es bleibt allerdings bei der Abrechnung nach PEPP und der umfang-reichen Dokumentation mit den konsekutiven, aufwändigen MDK-Prüfungen Die Kopplung der Budgets an die PEPPs ist gelockert, aber nicht aufgehoben Es wird aber keine Konvergenzphase geben, d h die tagesgleichen Pflegesätze werden nicht zu einem landesweiten Basisentgeltwert konvergieren, sondern die Budgeter-mittlung bleibt in der Hand der örtlichen Verhandler und wird unter Berücksichti-gung von regionalen Besonderheiten vorgenommen

    1 Vorwort

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    Ein besonderer Lichtblick im Gesetz, oder besser gesagt: ein Schimmer am Horizont ist der § 117b, der die „stationsäquivalente Behandlung im häuslichen Um-feld“ als neu zu etablierende Versorgungsform in der Regelbehandlung vorsieht Allerdings ist Freude verfrüht: wie und ob die Selbstverwaltung der Krankenhaus-träger und Krankenkassen die Umsetzung gestalten werden, ist offen Hier kann sich unsere Klinik mit einem Modellprojekt nach § 64b SGB V als Vorreiter zeigen: bereits seit dem 01 01 2016 können wir stationsäquivalente Behandlungen mit Home Treatment mit einem flexiblen Team erbringen (s Schwerpunktthema dieses Heftes)

    Und wir konnten noch ein Modellprojekt realisieren: ein sektorübergreifendes Projekt von Klinik, Eingliederungshilfe und Obdachloseneinrichtung in der Teupitzer Straße („Teupe“), das bundesweit einmalig ist Aufgrund der wie immer sorgfälti-gen und fundierten Dokumentation des Sozialarbeiterinnenteams sowie aufgrund von Stichtagserhebungen konnten wir nachweisen, dass der Anteil obdachloser Patientinnen und Patienten, insbesondere auch von Patientinnen und Patienten, die in bestehenden Obdächern Hausverbot haben und/oder von der Eingliede-rungshilfe bisher nicht versorgt werden konnten, auf über 15 % zugenommen hat Mit Unterstützung von Herrn Falko Liecke, Bezirksstadtrat für Jugend und Gesundheit, wurden fünf Plätze in der „Teupe“ mit niedrigschwelligem Zugang zur Eingliederungshilfe für die unmittelbare Belegung durch die Klinik etabliert Obdachloseneinrichtung und Klinik verpflichten sich wechselseitig zu Kooperation und engen Absprachen bei diesem schwierig zu versorgenden Klientel Das Modell hat sich bereits sehr bewährt

    Die Klinik stellt sich der Aufgabe der Versorgung geflüchteter Menschen durch Mitarbeiterschulungen, Erarbeitung von fremdsprachigen Materialien, Übernah-me der Dolmetscherkosten (für die es nach wie vor keine Finanzierung durch die Kostenträger gibt) und durch Kooperation und Vernetzung mit Institutionen und Einrichtungen, die in diesem Bereich engagiert sind Dies erscheint umso dring- licher, als einige psychosoziale Träger und Kliniken durch die Schaffung von Son-dereinrichtungen das Konzept der Senatsverwaltung zu unterlaufen drohen, das eine bezirksbezogene Versorgung der Flüchtlinge in bestehenden Einrichtungen vorsieht Es bleibt Aufgabe der Klinik, sich flexibel auf die Bedarfe dieser Patienten-gruppe einzustellen, wie wir uns in den letzten Jahrzehnten auch auf die Behand-lung und Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund eingestellt haben Inklusion kann nur gelingen, wenn die medizinische und damit auch psychiatrische Versorgung sowie die Eingliederungshilfe Geflüchtete inner-halb – durchaus zu modifizierender – Versorgungsangebote zu integrieren sucht

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    In enger Kooperation mit dem MED POINT des Klinikums Neukölln in der größten Flüchtlingseinrichtung des Bezirks in der Karl-Marx-Straße bietet die Psychiatrische Institutsambulanz in der Emser Straße eine Flüchtlingssprechstunde an Die Koor-dinationsfäden vernetzen sich in der Arbeitsgruppe Migration der Klinik

    Die enge Kooperation zwischen den psychiatrischen und somatischen Kliniken des Hauses zeigt sich, außer in der Durchführung von ca 1 700 Konsilen jährlich, im Neustart der psychokardiologischen Gruppe (s Kapitel 9 10), die von Herrn Dr Binner aus der Kardiologischen Klinik und Frau Kretschmann, Psychologin in der Psychiatrischen Institutsambulanz, geleitet wird

    Im Bereich von Demenz- und Delirbehandlung konnte eine enge Abstimmung zwischen neurologischer und psychiatrischer Klinik erreicht werden Hier war Herr Dr Windeck, Oberarzt der Klinik, sehr konstruktiv tätig Das neu entwickelte 3-tägige Diagnostik-Modul kommt den Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten und Angehörigen entgegen, die diagnostische Gewissheit haben wollen Das Angebot konnte durch eine neue etablierte „Gedächtnissprechstunde“ im Rahmen der Psychiatrischen Institutsambulanz ergänzt werden Zudem wurde ein Manual zur Delir-Früherkennung, insbesondere auch zum Gebrauch in der Somatik, entwickelt, das mittlerweile in ganz Vivantes Anwendung findet

    Die 2015 begonnene Instandhaltung der Klinik durch Verlegung neuer Fußböden in den Patientenzimmern und das Fliesen der sanitären Einrichtungen wurde 2016 auf den Stationen 85, 86 und 29 fortgesetzt Das ändert nichts an der Tatsache, dass die stationäre Behandlung weiter unter beengten räumlichen Verhältnissen in teilweise 4-Bett-Zimmern und mit zu wenig Rückzugsräumen stattfindet, was in Kombination mit der Überbelegung der Stationen das Risiko von Patientenübergrif-fen, sowohl auf Mitpatientinnen und Mitpatienten als auch auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, erhöht Dies wird sich durch den Umbau des Klinikums Neukölln ändern

    Der in den letzten Jahren zunehmenden Zahl von Übergriffen wurde durch zwei Workshops der ärztlichen und pflegerischen Leitungen Rechnung getragen, die sich intensiv mit dem Thema Gewaltprävention und Milieutherapie beschäftigten und neue Vorschläge und Ideen für die Teams entwickelten Stationsbezogen wurden Maßnahmen festgelegt, die z B die Anwendung der sog „Neuköllner Checkliste zur Gewaltprävention“, täglich zu erneuernde Behandlungsvereinbarungen oder zusätzliche Visiten bei gewaltbereiten Patientinnen und Patienten Immerhin konn-te ein Rückgang der Übergriffe verzeichnet werden (s Kapitel 7 1) Ob es sich um eine Trendwende handelt, wird sich zeigen

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    Gute psychiatrische Behandlung beruht auf einem Ineinandergreifen von qualitäts- gerechten strukturellen Voraussetzungen, wie z B der Personalbemessung, der Organisation und der Vernetzung des Versorgungssystems und den „weichen“ Faktoren psychiatrischer Behandlung, insbesondere einer wertschätzenden, freund- lichen, offenen und fördernden Haltung Ich bin froh und dankbar, dass ich mich auf so viele hochmotivierte und hervorragend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Bereichen der Klinik verlassen kann, die die therapeutische Arbeit mit den Patientinnen und Patienten und im Team jeden Tag aufs Neue mit Leben füllen

    Ich hoffe, dass Sie beim Blättern und Lesen unseres Jahresberichtes auf viele Themen treffen, die Sie interessieren und freue mich über Ihre Rückmeldungen

    Dr Ingrid Munk

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Die Klinik versteht sich als ein Knotenpunkt im Netzwerk der gemeindepsychia- trischen Versorgung des Bezirks Neukölln Sie bietet ambulante, teilstationäre, vollstationäre und seit dem Jahr 2016 auch stationsäquivalente Behandlungsmög-lichkeiten inklusive Home Treatment Wir arbeiten eng vernetzt mit den bezirkli-chen Gremien, dem Sozialpsychiatrischen Dienst, der kommunalen Eingliederungs-hilfe sowie den niedergelassenen Nervenärzten und Psychotherapeuten

    Die Klinik begreift sich als Offene Psychiatrie: nach innen setzt sie das Konzept der offenen Türen um, nach außen arbeitet sie in engem Austausch mit den Bürge-rinnen und Bürgern und den Institutionen des Bezirks Sie bezieht die Nutzerinnen und Nutzer“, also die Patientinnen und Patienten und die Angehörigen, eng in ihre Arbeit ein Besondere Berücksichtigung findet die Umsetzung der UN-Behinderten-rechtskonvention mit dem Ziel der Inklusion und der Menschen- und Bürgerrechte für alle psychisch Kranken

    Die Psychiatrische Klinik versteht sich als Teil der medizinischen Versorgung, die durch das Klinikum Neukölln gewährleistet wird Sie kooperiert eng mit den soma-tischen Kliniken, was die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung somatisch Erkrankter, die somatische Versorgung psychisch Kranker sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Psychosomatik, vor allem in Psychoonkologie und Psycho-kardiologie, angeht

    Wir betreiben eine internationale und interkulturelle Psychiatrie: ein Drittel der Patienten hat Migrationshintergrund Wir legen großen Wert auf die interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiter In der Klinik arbeiten Beschäftigte mit 19 verschiede-nen Muttersprachen

    In unserer generationenübergreifenden Psychiatrie werden Adoleszente, Erwachsene, Ältere und Hochbetagte behandelt Die Kinder psychisch Kranker finden besondere Berücksichtigung

    Den Kern der Behandlung im ambulanten, teilstationären und vollstationären Bereich bildet die multiprofessionelle Komplexbehandlung, die patienten-zentriert und flexibel zum Einsatz kommt Die Klinik arbeitet mit Fachärztinnen und Fachärzten, Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung, Krankenschwestern und Krankenpflegern (inklusive Fachkrankenschwestern und Fachkrankenpflegern

    2 Struktur und Selbstverständnis der Klinik

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    Psychiatrie), Psychologinnen und Psychologen, Psychologinnen und Psychologen in Ausbildung, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, Ergo-, Kunst-, Gestaltungs-, Musik-, Tanz- und Physiotherapeutinnen und -therapeuten Die therapeutische Beziehung bildet die Basis der Behandlung; die Wahrung der Behandlungskontinu-ität ist ein wichtiges Prinzip Die Psycho- und Soziotherapie baut auf den Stärken, Fähigkeiten und Möglichkeiten (= Ressourcen) der Patientinnen und Patienten auf und ist auf die Förderung von Hoffnung und Selbstvertrauen orientiert (Recovery- Orientierung)

    Die Klinik verfügt über 170 vollstationäre Betten (6 Stationen mit 26/28 Betten und eine Kriseninterventionsstation mit 12 Betten), drei Tageskliniken sowie eine Psychiatrische Institutsambulanz Die 62 tagesklinischen Plätze verteilen sich in eine Akut-Tagesklinik mit 22 Plätzen auf dem Gelände des Haupthauses, sowie auf je 20 Plätze in den dezentralen Tageskliniken in der Riesestraße 1 in Britz und in der Emser Straße 31 in Nord-Neukölln

    Wir arbeiten:• mit intensiver Einbeziehung der Angehörigen (Angehörigenvisite, Angehörigen-

    gruppe, Informationsveranstaltungen für Angehörige)• in enger Kooperation mit allen an der psychosozialen Versorgung im Bezirk

    beteiligten Einrichtungen (Gremienarbeit, Helferkonferenzen) • mit der Umsetzung in Skandinavien entwickelter Therapieformen wie Open

    Dialogue und bedürfnisangepasster Behandlung mit Reflecting Team, Behand-lungskonferenzen und Netzwerkgesprächen

    • unter besonderer Berücksichtigung der Milieutherapie mit weitgehend offenen Stationstüren und nach Alter und Diagnosen gemischten Stationen

    • in Beziehungskontinuität und mit dem Heimatstationsprinzip ((jede Patientin und jeder Patient bleibt für den gesamten Behandlungszeitraum auf „seiner“ Station und wird auch bei einem erneuten Aufenthalt wieder auf der gleichen Station behandelt)

    • mit integrierter ambulanter Behandlung (stationäre und ambulante Behandlung erfolgen durch dasselbe Team)

    Mit jeder Patientin und jedem Patienten wird ein individueller, auf ihre/seine Person zugeschnittener Therapieplan erarbeitet Einzel- und Gruppenpsychotherapie, Musiktherapie, Ergotherapie, Soziotherapie und psychiatrische Fachpflege sowie medikamentöse Therapie werden auf die jeweils konkrete Situation abgestimmt Hierzu stehen verschiedene Therapieangebote für Patientinnen und Patienten mit schizophrenen Psychosen, Depressionen, Angsterkrankungen, Borderline-Störun-gen, Demenzerkrankungen und Abhängigkeitserkrankungen zur Verfügung Auch

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    traumatisierte Menschen finden schnelle und umfangreiche Hilfe je nach individu-ellem Bedarf im vollstationären, teilstationären oder ambulanten Rahmen Die Qua-lität der Kooperation im multiprofessionellen Team bestimmt das therapeutische Milieu der Station und wird durch regelmäßige externe Supervision unterstützt

    Innerhalb der Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH ist die Klinik am fachlichen Austausch und der Konzeptentwicklung im Medical Board Psychiatrie, Psychothera-pie und Psychosomatik beteiligt; die Leiterin der Klinik ist gleichzeitig die Sprecherin des Medical Board

    Die Weiterbildung zur Fachärztin bzw zum Facharzt für Psychiatrie und Psycho-therapie kann inklusive der Möglichkeit der Neurologie-Rotation komplett im Haus absolviert werden

    Anmerkung: Wir haben uns bemüht, möglichst durchgängig weibliche und männliche Sprachfor-men zu verwenden. Nur an einzelnen Stellen sind wir aufgrund der besseren Lesbarkeit bzw. aus Gründen der Formatierung von dieser Maxime abgewichen.

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    3.1 Fall-, Patientinnen- und Patientendaten

    Wir behandelten im Laufe des Jahres 2016 insgesamt 2 711 Patientinnen und Patienten voll- bzw teilstationär Da diese Patientinnen und Patienten, wie in den vorangegangenen Jahren, im Jahresverlauf durchschnittlich 1,8 Mal aufgenommen werden mussten, kam es zu insgesamt 4 789 Aufnahmen in unsere Klinik

    Fall-, Patientinnen- und Patientenzahlen im Verlauf der letzten Jahre

    2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

    Aufnahmen 3564 3691 3645 3814 4285 4250 4083 4413 4489 4568 4873 4789

    Patient/innen 2205 2239 2313 2266 2335 2481 2444 2604 2633 2665 2676 2711

    3 Patientinnen- und Patientendaten

    Patient/innenAufnahmen

    6 000

    5 000

    4 000

    3 000

    2 000

    1 000

    02005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

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    Fallzahlen der verschiedenen Stationsbereiche

    Fälle

    Häufigkeit %

    Kriseninterventionsstation (Station 29) 437 9,1

    Allgemeinpsychiatrie (Stationen 81– 86) 3.751 78,4Station 81 438 9,2Station 82 589 12,3Station 83 589 12,3Station 84 591 12,4Station 85 (Schwerpkt Abhängigkeitserkrankungen) 1 008 21,1Station 86 536 11,2

    tagesklinisch 596 12,5TK Emser Straße 164 3,4TK Riesestraße 126 2,6TK Rudower Straße 229 4,8auf Station 77 1,6

    Gesamt 4.784 100,0

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    3.2 Zuweisung und Zugangswege

    Wie schon in den Vorjahren kam gut die Hälfte der Patientinnen und Patienten ohne Einweisung ins Krankenhaus und wurde als Notfall aufgenommen Nieder-gelassene Ärztinnen und Ärzte veranlassten die Einweisung von weniger als einem Viertel der Patientinnen und Patienten

    Zuweisung (Einweisung, Verlegung bzw. Weiterleitung)

    348 der Patientinnen und Patienten (7,3 %) wurden zur Aufnahme von Polizei- beamt/innen in die Rettungsstelle gebracht bzw begleitet

    Häufigkeit %

    Rettungsstellenvorstellung ohne Einweisung 2 534 52,9

    Niedergelassene/r Ärztin/Arzt (nicht psychiatrisch/psychotherapeutisch) 572 12,0

    Niedergelassene/r Nervenärztin/arzt / Psychotherapeut/in 322 6,7

    Eigene Institutsambulanz 261 5,5

    Andere psychiatrische Kliniken 157 3,3

    Nicht-psychiatrische Klinik (ohne Klinikum Neukölln) 118 2,5

    Interne Verlegung von einer Station bzw aus einer Tagesklinik 111 2,3

    Andere Klinik des Klinikums Neukölln 98 2,0

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    3.3 Aufenthaltsdauer

    Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer betrug im vollstationären Bereich 15,1 und im teilstationären Bereich 39,2 Tage Deutlich unterhalb dieses Durchschnitts lagen die Behandlungsdauern auf der Kriseninterventionsstation mit 7,4 Tagen und der Schwerpunktstation für Abhängigkeitserkrankungen mit 10,1 Tagen

    Durchschnittliche Aufenthaltsdauer im Verlauf der letzten Jahre

    Anteil der „Lang-“ bzw. „Kurzlieger“ im Verlauf der letzten Jahre

    Aufenthalts-dauer 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

    Tage 17,1 17,8 17,8 17,2 15,8 16,1 14,6 17,1 15,9 15,9 17,1 15,1

    Tage

    18

    16

    14

    12

    10

    8

    6

    4

    2

    02005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

    Aufenthalts-dauer 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

    > 59 Tage (%) 6,8 7,6 7,5 5,4 4,9 4,3 4,0 5,5 4,6 7,1 5,9 6,9

    < 8 Tage (%) 40,4 40,3 26,7 37,0 27 2 24,7 19,7 42,7 44,2 26,1 28,0 25,5

    1 Tag (%) 13,7 15,3 13,6 11,4 13,9 10,8 10,5 9,7 10,6 16,0 16,7 16,2

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    3.4 Diagnosen

    Insgesamt blieb die Verteilung der psychiatrischen Hauptdiagnosen im Verlauf der letzten Jahre sehr konstant Eine Tendenz zeigte sich lediglich hin zu organischen (F0) und zu substanzbezogenen Störungen (F1)

    Psychiatrische Hauptdiagnose (Hauptgruppen nach ICD-10)

    3.5 Alter und Geschlecht

    Das Durchschnittsalter der Patientinnen und Patienten betrug wie im Vorjahr 45 Jahre 536 Patientinnen und Patienten (11,2 %) waren 65 Jahre alt und älter, davon waren 25 (0,5 %) über 90 Jahre alt

    Bei einem insgesamt leichten „Männerüberhang“ bei den 2016 behandelten Patientinnen und Patienten (55,8 %) zeigten sich für die Geschlechterverteilung deutliche Unterschiede abhängig von den Diagnosegruppen bzw Behandlungsbe-reichen So überwogen auf der Schwerpunktstation für Abhängigkeitserkrankun-gen männliche Patienten deutlich mit 73,0 % Im Kriseninterventionszentrum und in den Tageskliniken dagegen stellten Patientinnen mit 69,3 % bzw 58,1 % die Mehrheit Diese Verteilungsmerkmale sind über die Jahre bis auf wenige Prozent-punkte konstant

    2014 2015 2016Häufigkeit % Häufigkeit % Häufigkeit %

    F0 198 4,3 192 3,9 233 4,9

    F1 1 325 29,0 1 509 31,0 1.574 32,9

    F2 1 210 26,5 1 284 26,3 1.207 25,2

    F3 842 18,4 776 15,9 727 15,2

    F4 700 15,3 712 14,6 700 14,6

    F5 5 0,1 6 0,1 3 0,1

    F6 243 5,3 314 6,4 275 5,7

    F7 9 0,2 16 0,3 15 0,3

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    3.6 Sozialdaten

    Als sozialpsychiatrisch orientierte Klinik mit Versorgungsverpflichtung für den Bezirk Neukölln behandelten wir im zurückliegenden Jahr zu 85,9 % Patientinnen und Patienten, deren Wohnsitz in Neukölln lag

    Wohnort

    In 16,4 % der Behandlungsfälle kamen die aufgenommenen Patientinnen und Patienten aus einer Wohneinrichtung der Eingliederungshilfe

    16 % der Patientinnen und Patienten hatten keinen festen Wohnsitz oder lebten in einer Obdachloseneinrichtung (6 % wohnungslos und 10 % obdachlos) Dieser besorgniserregende Trend spiegelt sicherlich gesamtgesellschaftliche aber auch bezirksspezifische Entwicklungen

    Anteil der obdach- oder wohnungslosen Patientinnen und Patienten

    Die besondere Sozialstruktur in zumindest Teilen des Bezirks bzw die sozialen Bedingungen, unter denen Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen leben, spiegeln sich auch darin wider, dass nur ca 18 % der Patientinnen und Patienten des Jahres 2016 von einem eigenen Erwerbseinkommen lebten

    Häufigkeit %

    Versorgungsregion 4 113 85,9

    Berlin (außer Neukölln) 506 10,6

    Deutschland (außerhalb Berlins) 148 3,1

    Ausland 19 0,4

    2013 2014 2015 2016

    Obdach- oder wohnungslos (%) 5,4 8,6 9,5 16,0

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    3.7 Migration, Staatsangehörigkeit und Sprache

    Von Migrationshintergrund spricht man, wenn eine Person in der Bundesrepublik lebt und nach 1950 eingewandert ist oder ganz oder teilweise von diesen Einwan-derern abstammt Fast ein Drittel unserer Patientinnen und Patienten (32 %) hatte einen solchen Migrationshintergrund Dabei stammten an einem Stichtag Patientin-nen und Patienten aus 25 Herkunftsländern, wobei die meisten davon (bzw deren Vorfahren) aus der Türkei und Polen kamen Gleichzeitig hatte nur knapp ein Fünf-tel (19 %) unserer Patientinnen und Patienten keine deutsche Staatsangehörigkeit

    Bei einem guten Viertel (28 %) war Deutsch nicht die Muttersprache und bei ca jedem Vierten davon (7 % aller Patienten) war es deshalb nicht möglich, ein thera-peutisches Gespräch auf Deutsch zu führen

    Einkünfte

    Häufigkeit %

    Arbeitslosengeld II 1 402 31,7

    Unbekannt 915 20,7

    eigenes Erwerbseinkommen 681 18,4

    Rente/Pension 816 15,4

    Sozialhilfe/Grundsicherungsamt 185 4,2

    Anderes (z B Krankengeld) 144 3,6

    Arbeitslosengeld I 126 3,3

    Partner/Familie/Freunde 159 2,8

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    In der psychiatrischen Institutsambulanz werden Patientinnen und Patienten behan-delt, die auf Grund der Art, Schwere und Dauer ihrer psychischen Erkrankung auf eine verschiedene Elemente umfassende, komplexe ambulante Behandlung ange- wiesen sind

    Ein Teil der Behandlungen erfolgt nach vorherigem stationären oder teilstationären Aufenthalt durch die schon bekannten Behandlerinnen und Behandler auf den Stationen, um die vertrauten therapeutischen Beziehungen nutzen zu können Die Mehrzahl unserer Ambulanzpatienten wird durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter der Psychiatrischen Institutsambulanz auf dem Campus Rudower Straße und der Ambulanz unseres Behandlungszentrums Emser Straße behandelt Letzteres, mitten im Nord-Neuköllner Kiez gelegen und organisatorisch eng mit der Tagesklinik Emser Straße verbunden, bietet auch eine türkischsprachige Sprechstunde an Zudem ist dort unsere Sprechstunde für Geflüchtete in seelischen Krisen angesiedelt

    Inzwischen werden pro Quartal (mit steigender Tendenz) insgesamt über 1 000 Patientinnen und Patienten an unseren PIA-Standorten behandelt Das therapeutische Angebot richtet sich nicht nur an Menschen mit primär seelischen Erkrankungen, sondern auch an diejenigen, die in Zusammenhang mit einer schweren körperlichen Erkrankung länger anhaltend ihr seelisches Gleichgewicht verloren haben (Psychokar-diologie, Psychoonkologie) Für diese Patientinnen und Patienten ist die enge Zusam-menarbeit mit den kardiologischen und onkologischen Abteilungen im Klinikum Neu-kölln von großem Vorteil Ähnliches gilt auch für den Bereich der psychosomatischen Erkrankungen im engeren Sinn In Zusammenarbeit mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendaltes am Standort Neukölln, wie auch mit dem Verein Kindergesundheitshaus e V , gibt es ein Angebot für Eltern, die angesichts der seelischen Erkrankung ihres Kindes selbst in eine seelische Krise geraten sind

    Für die Patientinnen und Patienten steht ein vielfältiges Behandlungsangebot zur Verfügung, das ärztliche, krankenpflegerisch und psychologische Einzelgespräche, ggf auch fremdsprachig (u a türkisch, englisch, spanisch), psychotherapeutische Gesprächsgruppen (Angstbewältigungsgruppe, Depressions- und Psychosegruppen, Metakognitives Training), Ergotherapie, Musiktherapie, Bewegungstherapie, Qi-Gong, Entspannungstraining und Tanztherapie umfasst Besonders hervorzuheben sind die von einer Psychologin und einer Ergotherapeutin geleitete DBT-Gruppe für Patientin-nen und Patienten mit Borderline-Störung und die gemeinsam mit einem Kardiologen angebotene Gruppentherapie für herzkranke Patientinnen und Patienten, die mit Angstzuständen und Depressionen zu kämpfen haben (siehe auch Kapitel 9 10)

    4 Psychiatrische Institutsambulanz

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Schwerpunktthema:

    Das Krankenhaus lernt laufen – Erste Schritte im Modellprojekt

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    Zum 01 01 2016 trat der Modellprojekt-Vertrag nach § 64b SGB V zwischen dem Vivantes Netzwerk für Gesundheit und der DAK (Deutsche Angestellten Kranken-kasse) in Kraft Im Medical Board Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, dem die Leiter aller Psychiatrischen Kliniken von Vivantes angehören, war einstim-mig entschieden worden, dass zwei Kliniken – das Klinikum Neukölln und das Klinikum Am Urban – das Modell als Pilotprojekt realisieren und nach zwei Jahren über die weitere Umsetzung in allen Kliniken entschieden wird

    Modellprojekte nach § 64b SGB V haben das Ziel, neue Formen der Versorgung, insbesondere Home Treatment (= Akutbehandlung im häuslichen Umfeld), zu etablieren und die Bedingungen für deren Umsetzung zu erproben Der Vertrag mit der DAK sieht vor, dass, bei gleichbleibendem Budget, die voll- und teilstationären Leistungen nach Ort, Zeit, Umfang und Intensität entsprechend den individuellen Bedürfnissen der Patientin bzw des Patienten flexibilisiert werden können Ziel ist, Patientinnen und Patienten eine bessere Krisenbewältigung zu ermöglichen und Übergänge an Schnittstellen, wie z B zwischen stationärer und ambulanter Behandlung, verbindlicher zu gestalten

    Wir begreifen das Vorhaben als ein Projekt der gesamten Klinik, das auf unseren grundlegenden Behandlungsprinzipien wie Offenheit bei gleichzeitiger Behand-lungskontinuität, stationsintegrierter PIA-Behandlung und dem Behandlungsfokus auf der sozialen Realität der Patientin bzw des Patienten außerhalb der Klinik im gewohnten Umfeld fußt

    Zur Vorbereitung wurden in den letzten 7 Jahren bereits 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch drei 2-jährige Kurse in ‚Netzwerkarbeit – Open Dialogue – Bedürfnisangepasster Behandlung‘ geschult Zum 01 04 2017 konnte dann das sogen „Flexible Team“ seine Arbeit aufnehmen, das zurzeit aus einem Facharzt, einer Psychologin, einer Ergotherapeutin und einer Genesungsbegleiterin, jeweils mit Stellenanteilen, besteht Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des flexiblen Teams nehmen nach Rücksprache mit den stationären Behandlern Kontakt mit den Patientinnen und Patienten schon auf Station auf und überlegen gemeinsam, welche Vorbereitungen für die Entlassung in diesem konkreten Fall getroffen wer-den müssen und welche Hindernisse dem entgegenstehen Die Patientin bzw der Patient kann an allen Behandlungsangeboten übergreifend, d h auf Station und von Zuhause aus, teilnehmen Das flexible Team bietet Home Treatment, intensi-ve Gesprächskontakte, ein Krisentelefon, E-Mail-Kontakte, eine tägliche ärztliche Notfallsprechstunde, eine Recovery-Gruppe und Netzwerkgespräche an Wichtiges Element ist die Entwicklung eines Krisenplans gemeinsam mit der Patientin bzw dem Patienten, um aus den bisherigen Erfahrungen heraus stationäre Aufnahmen

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    in Zukunft verhindern oder verkürzen zu können Auf der Station können Patien- tinnen und Patienten nachtklinisch, tagesklinisch oder auch nur stundenweise be-handelt werden; fraktionierte Behandlungen, also stationäre Aufenthalte z B nur an zwei oder drei Tagen in der Woche und Intervallbehandlungen sind ebenfalls möglich

    Die Erfahrungen im ersten Jahr, oder, präziser: in den ersten 9 Monaten, sind ermutigend Viele Patientinnen und Patienten können aus der vollstationären in die stationsäquivalente Behandlung übernommen werden, einige werden in akuten Krisen aus der Psychiatrischen Institutsambulanz und aus den Tageskliniken, einige von der Rettungsstelle und aus dem Konsildienst übernommen Auch ambulante Pflegedienste und der Sozialpsychiatrische Dienst vermitteln Patientinnen und Patienten an das flexible Team Knapp ein Drittel aller vollstationären DAK-Patient/innen konnte in die stationsäquivalente Behandlung übernommen werden, davon wiederum wurde fast die Hälfte mit Home Treatment behandelt Die häufigsten Diagnosen waren psychotische oder depressive Störungen sowie Abhängigkeitser-krankungen, häufig auch in Komorbidität mit einer zweiten seelischen Erkrankung

    Durch die diversen Angebote der stationsäquivalenten Behandlung, incl Home Treatment, konnte eine deutliche Erweiterung der Behandlungsoptionen, gerade auch für schwerkranke Patientinnen und Patienten, erzielt werden; dies gilt ins- besondere auch für Patientinnen und Patienten, die – bei stationärer Behandlungs-indikation – nicht auf eine Station wollen oder können, wie z B Mütter mit kleinen Kindern, oder für die eine psychiatrische Station mit ihren Mehrbettzimmern, der Einschränkung der Privatsphäre sowie der Forderung, Regeln einzuhalten, eine Überforderung darstellt und die das therapeutische Milieu auf Station nicht für sich als förderlich erleben

    Das Modellprojekt wird zweifach evaluiert: einmal über eine bundesweit angelegte Forschung der Krankenkassen und zusätzlich über eine Evaluation durch das Netz-werk der Modellprojekte, der sich 10 Kliniken bundesweit angeschlossen haben

    Unser Ziel ist, das Modellprojekt auf andere Krankenkassen auszuweiten, damit möglichst viele Patientinnen und Patienten von den neuen Behandlungsmöglich-keiten profitieren können Dem steht die mangelnde Innovationsbereitschaft und Flexibilität der meisten Krankenkassen im Weg, die es offensichtlich vorziehen, zu- sätzliche vollstationäre Betten zu finanzieren Die Politik hat allerdings die – längst überfälligen – Zeichen der Zeit erkannt: im neuen PsychVVG (= Gesetz zur Weiter-entwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychoso-matische Leistungen) ist im § 115 d ausgeführt, dass psychiatrische Kliniken bei

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    Vorliegen einer stationären psychiatrischen Behandlungsindikation, „in akuten Krankheitsphasen anstelle einer vollstationären Behandlung eine stationsäqui-valente psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld erbringen“ können Stationsäquivalente Behandlung wird als fünfte Säule der Krankenhausbehandlung, neben vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant etabliert Die Selbstverwaltung ist beauftragt, eine Vereinbarung über Dokumentation sowie Qualitäts- und Leistungserfassung der stationsäquivalenten psychiatrischen Behand-lung zu erarbeiten Ob es gelingt, das neue Versorgungsmodell in die Regelversor-gung zu überführen, wird das Jahr 2017 zeigen Es bleibt spannend

    Neue Räume schaffen – Das Flexible Team im Gespräch

    Teilnehmende: Frau M Flügel (Genesungsbegleiterin) Fr I Pohlig (Ergotherapeutin)Frau P Ramirez Cervera (Diplom-Psychologin) Herr S Rout (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie)

    Moderation: Dr O Hardt (Leitender Oberarzt)

    Herr Rout, was waren bzw. sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderun-gen bei der Etablierung des Modellprojektes in der Klinik?Hr. Rout: Die Klink versteht sich als gemeindenahe sozialpsychiatrische Versor-gungsklinik Viele unserer Besonderheiten wie die nur fakultativ geschlossenen Türen, die Angehörigenangebote, die enge Zusammenarbeit mit den ambulanten psychosozialen Einrichtungen und den niedergelassenen Behandlern, aber auch die berufsgruppenübergreifende Open Dialogue-Schulung zeugen schon von der Offenheit und der Haltung unserer Klinik Durch diese Elemente war die Etablie-rung des Modellprojektes inhaltlich eher leicht, und ich habe den Eindruck, dass die Mitarbeiter sich schon recht gut mit dem Modellprojekt identifizieren können Angesichts der hohen Alltagsbelastung auf den Stationen ist es natürlich nicht einfach, die Neuerungen auch praktisch zu etablieren Die umfangreichen Doku-mentationsaufgaben stellen sowohl für die Mitarbeiter des „Flexiblen Teams“ als auch für die Kollegen auf den Stationen eine besondere Herausforderung dar Ich selbst empfinde das Modellprojekt als logischen weiteren Schritt, wenn man auf die Tradition der Klinik zurückblickt

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Zum Modellprojekt gehört die Möglichkeit, Patienten auch stations- äquivalent zu behandeln. Was unterscheidet die Behandlung im stations-äquivalenten Modus von einer Behandlung im vollstationären, teilstatio- nären oder ambulanten Setting?Hr. Rout: Ein Unterschied ist sicherlich der sehr individuelle Behandlungsplan Die Anpassungsphase an das stationäre Setting entfällt, und wir haben die Möglich-keit von Anfang an eine „real life“-Behandlung durchzuführen Darüber hinaus gelingt es im stationsäquivalenten Modus von Beginn an viel selbstverständlicher, das Netzwerk des Patienten stärker einzubeziehen Auch eine nicht-direktive Behandlung/Haltung im Sinne des Open Dialogues lässt sich in diesem Behand-lungsmodus leichter verwirklichen Dabei versuchen wir insbesondere Netzwerk-gespräche immer mehr als Standardbehandlungskomponente zu etablieren Der Behandlungsplan lässt sich jederzeit entsprechend den Bedürfnissen des Patienten variieren Zu den „Bausteinen“ der stationsäquivalenten Behandlung gehören ein hochfrequentes gesprächstherapeutisches Angebot in der Klinik, eine umfassende psychiatrisch-medizinische Versorgung, die Teilnahme am therapeutischen Grup-penangebot der Klinik, ein „Notfalltelefon“, eine „Notfallsprechzeit“ und auch das Home Treatment, also eine aufsuchende Behandlung Dieses umfassende Angebot ermöglicht es im Einzelfall, psychiatrische Akutbehandlungen von der Belegung eines Krankenhausbettes zu entkoppeln

    Wie muss man sich denn einen typischen Home Treatment-Besuch vorstellen?Fr. Pohlig: Den gibt es natürlich so nicht, obwohl wir natürlich Erfahrungen sammeln und gewisse Abläufe sich einspielen Aber das betrifft mehr die Orga-nisation und Absprachen darum Wir sind meist mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, suchen sowohl allein als auch zu zweit zu Hause auf – grundsätzlich nur nach vorheriger Anmeldung und wenn der Patient einverstanden ist Denn ein Behandlungsteam in die eigene Wohnung zu lassen, ist ein enormer Vertrauens-beweis! Und nicht jedem gefällt die Vorstellung, die Psychiatrie bei sich zu Hause haben Wir nehmen uns möglichst viel Zeit für Gespräche, Spaziergänge, prakti-sche Hilfestellungen und für alles, was sonst gerade anliegt

    Was macht das Home Treatment aus Ihrer Sicht zu einen sinnvollen Erweiterung des Behandlungsangebots? Hr. Rout: Der Eindruck beim Besuch der Wohnung eines Patienten ist sehr wert-voll, um ein besseres Bild von ihm und seiner Lebenssituation zu gewinnen Nicht selten ergeben sich auch Hinweise auf mögliche Auslöser der aktuellen Krise Auch der Rollenwechsel (Wir sind ja zu Gast!) ist interessant, und es findet ein weniger defizitorientierter Kontakt statt Im Krankenhaus bleiben viele verbliebene

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    Alltagsressourcen ungesehen, die bei den Hausbesuchen, bei denen der Patient ja auch als „Gastgeber“ fungiert, trotz der Krise zum Vorschein kommen Da das Flexible Team – im Gegensatz zur vollstationären Behandlung – ja nicht rund um die Uhr vor Ort sein kann, müssen wir nicht nur eine besondere Verbindlichkeit mit dem Patienten herstellen sondern auch mehr Unsicherheiten aushalten lernen Nach unseren bisherigen Erfahrungen gelingt dies in der Regel erstaunlich gut

    Frau Ramirez Cevera, Sie kennen Home Treatment bereits aus der Tätigkeit im Rahmen eines IV-Vertrages. Wie unterscheidet sich die Arbeit im Modell-projekt?Fr. Ramirez Cervera: Obwohl beide Vertragsformen eine Flexibilisierung und Am-bulantisierung der psychiatrischen Behandlung zum Ziel haben, gibt es aus meiner Sicht tatsächlich Unterschiede Das betrifft zum Beispiel die Frage, wer überhaupt im Modell behandelt werden bzw davon profitieren kann In dem IV-Projekt, in dem ich früher gearbeitet habe, wurden die Klienten von den Krankenkassen vor-selektiert und kontaktiert Sie mussten sich auch erst einschreiben Hier in der Klinik findet keine Vorauswahl statt DAK-Patienten werden überwiegend direkt auf der Station kontaktiert Dadurch haben wir auch die Möglichkeit, den Menschen be-reits in seiner akuten Krankheitsphase kennen zu lernen Wir als Professionelle ha-ben also die Chance, die akute Krise „mitzuerleben“, „mitzubezeugen“ Das halte ich für sehr hilfreich, weil die spätere Behandlung „in situ“ eine andere Wirkung haben kann, wenn man schon in der akuten Krise eine Beziehung zum Patienten aufbauen konnte Der Zeitpunkt, zu dem man einem Menschen in seinem Leiden begegnet, ist also sehr wichtig, selbst für die Diagnostik

    Zu den Neuerungen, die mit dem Modellprojekt Einzug in die Klinik ge-halten haben, gehört auch, dass Sie, Frau Flügel, als Genesungsbegleiterin festes Team-Mitglied sind. Wie würden Sie jemandem, der damit noch nicht vertraut ist, beschreiben, was „Genesungsbegleitung“ eigentlich ist? Fr. Flügel: Genesungsbegleitung bedeutet, persönliche Erfahrung mit Krisen bzw psychischer Krankheit zu haben und diese Erfahrung zu nutzen, um sich in andere Betroffene auf einer emotionalen und direkten Ebene einzufühlen Dabei ist es wichtig, Distanz zur eigenen Erfahrung zu gewinnen Durch zum Teil ähnliche Erfahrungen können eine Verbindung und Vertrauen zwischen Patienten und Genesungsbegleitern entstehen Zentral ist die Vermittlung von Hoffnung, gerade dann, wenn Menschen diese in Krisen nicht sehen Mir ist wichtig, mich an den Ressourcen und Stärken der Patienten zu orientieren und Mut für den individuellen Genesungsweg zu machen Die berufliche Grundlage eines Genesungsbegleiters ist die Ex-In-Ausbildung, wobei ich persönlich auch Berufspraxis als Ergotherapeutin habe

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Ich möchte betonen, dass Genesungsbegleitung nicht besser ist oder erfahrenes Fachpersonal ersetzt Genesungsbegleitung soll verbinden, übersetzen und neue Wege und Chancen ermöglichen

    Genesungsbegleitung enthält immer auch ein Element von Selbstauskunft. Wie gehen Sie damit um?Fr. Flügel: Ich achte sehr auf mein „Bauchgefühl“ und gebe nur Erfahrungen von mir preis, wenn ich das Gefühl habe, dass es dem Patienten helfen könnte und er sich dadurch verstanden fühlt Ich öffne mich dosiert, um Patienten nicht mit mei-ner Erfahrung zu belasten Dabei achte ich darauf, ob ich in dem Moment wirklich etwas Persönliches von mir mitteilen möchte und in welchem Ausmaß oder ob ich mich in manchen Situationen lieber abgrenzen also auch schützen muss Dann setze ich freundlich, aber bestimmt Grenzen Ebenso möchte ich die Patienten dabei unterstützen, ein Gespür dafür bekommen, ob und wie intensiv sie sich anderen mitteilen wollen Ich finde, es ist ein wechsel-seitiger Prozess, sich zu öffnen und zugleich eigene Grenzen wahrzunehmen, diese zu akzeptieren und sie anderen Menschen zu zeigen Das zu lernen, betrifft wohl uns alle Allerdings finde ich besonders für Menschen mit einer psychischen Erkran-kung und erhöhter Verletzbarkeit wichtig, sich solcher inneren Prozesse bewusst zu werden

    Welche konkreten Angebote machen Sie den Patienten?Fr. Flügel: Unter anderem leite ich seit Jahresbeginn im Kollegentandem mit Frau Pohlig die „Recovery-Gruppe“, die wöchentlich stattfindet Es kommen Patienten aus sehr unterschiedlichen Lebenszusammenhängen, aber auch aus aktuell unter-schiedlichen Behandlungssituationen: stationär, ambulant, „stationsäquivalent“ Diese unterschiedlichen Ausgangssituationen sowie die individuellen Biographien machen den Austausch miteinander sehr fruchtbar und interessant In dieser Grup-pe geht es um Austausch auf Augenhöhe, gegenseitige Unterstützung und Wert-schätzung, respektvollen Umgang miteinander und Vertrauen auf die Verschwie-genheit innerhalb der Gruppe Die Unterschiedlichkeit der Teilnehmer mündet in ein gemeinsames Ziel: alle wollen genesen Meine Aufgabe sehe ich darin, die Patienten zu begleiten, ihren persönlichen Weg zu finden Ich kann niemandem versprechen, keine Krisen mehr zu haben Aber ich kann dabei unterstützen, mit Krisen besser umzugehen

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    Wie ist die Idee, eine Recovery-Gruppe anzubieten, entstanden, Frau Pohlig?Fr. Pohlig: In der Recovery-Gruppe möchten wir die Patienten vor allem miteinan-der ins Gespräch bringen Erfahrungsberichte von psychiatrischen Patienten zeigen ja, dass viele im Laufe ihrer Behandlung gerade auch den Austausch mit anderen Betroffenen als große Hilfe erleben und dadurch wichtige Erkenntnisse gewinnen können Das gilt für gruppentherapeutische Angebote genauso wie für den infor-mellen Austausch auf der Station Dieser Austausch findet bei einer stationsäqui-valent durchgeführten Behandlung natürlich erst einmal nicht so selbstverständlich statt Daher entstand schnell die Idee, zumindest ein zusätzliches Gesprächs- und Kontaktangebot zu schaffen, das den Austausch der Patienten in den Vordergrund stellt Die Gruppe hat sich rasch bewährt hat und wird gerne genutzt

    Gibt es eigentlich berufsgruppenspezifische – zum Beispiel ergotherapeu- tische – Aufgaben im Rahmen des Modellprojekts?Fr. Pohlig: Das nicht direkt, wir arbeiten in unserem vierköpfigen Team alle vor-rangig auf der Gesprächsebene Aber natürlich bin ich durch meine Ausbildung und Erfahrung als Ergotherapeutin geprägt und bringe daher vermutlich einen besonders lebenspraktischen Blick auf die Dinge mit In der Ergotherapie geht es ja darum, sich als handelnd tätiger Mensch zu erleben – bei Aktivitäten des täglichen Lebens genauso wie im freien schöpferischen Tun Und das bestimmt meinen Zu-gang zu den Patienten und bestimmt auch meine Aufgaben in unserem Team mit Wenn wir also jetzt auch zu Hause aufsuchen, dann bekomme ich eine eindrück-liche Vorstellung von der Lebenswelt der Person, die bei einer Begegnung in der Klinik ja außen vor bleibt Ein mehr ganzheitliches Panorama könnte man es nen-nen Wie lebt derjenige? Wie gestaltet er seinen Alltag? Was ist ihm wichtig, was vielleicht gerade auch nicht? Womit fühlt er sich verbunden? Was ist das Überfor-dernde im Moment, aber auch: welche Ressourcen sind da? Das alles wird sehr greifbar… Und die Vorstellung, welche Art von Unterstützung jetzt und hier Sinn macht damit auch

    Wie erleben Sie persönlich die ärztliche Arbeit im flexiblen Team, Herr Rout?Hr. Rout: Ich arbeite seit 2009 in unserer Klinik Vor der Tätigkeit im Modellprojekt habe ich fast sechs Jahre auf allgemeinpsychiatrischen Stationen gearbeitet Ein entscheidender Unterschied zur Stationsarbeit ist vor allem die intensive Ausein-andersetzung mit dem sozialen Netz des Patienten und dessen Einbeziehung in die Behandlung von Beginn an Auch in der praktischen Herangehensweise gibt es Unterschiede So benötigt es auf der Station oftmals viel Geduld und Energie – sowohl vom Patienten als auch vom Personal –, sich an das stationäre Setting zu gewöhnen und auch ein Miteinander zu schaffen, das im besten Falle eine gemeinsame Zielformulierung erlaubt Oftmals ist es erst in einem zweiten Schritt

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    möglich, den Blick nach draußen zu richten Für mich persönlich stellt die Tätigkeit als ärztlicher Koordinator im Modellprojekt eine attraktive Tätigkeit dar

    Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit im Flexiblen Team von der auf der Station bzw. in der Tagesklinik, Frau Pohlig?Fr. Pohlig: Nun ja, die Arbeit im flexiblen Team verlangt viel Flexibilität Kein Tag ist wie der andere - was mir persönlich zum Glück auch Spaß macht Andererseits ist das aber auch eine ständige Herausforderung Es lastet auch deutlich mehr Ver-antwortung auf mir, wie auf jedem einzelnen von uns, da wir so eine kleines Team sind Alles muss immer gut kommuniziert und dokumentiert werden, auch wenn sich die Ereignisse überschlagen… Und manchmal fällt es mir schwer, zwischen den verschiedenen Anforderungen umzuschalten Ich arbeite ja auch noch „klassisch“ ergotherapeutisch Eben ein Angehörigengespräch moderieren und im nächsten Moment jemandem einen Zweierzuschlag-Korbrand demonstrieren…

    Mehrfach war vom Open Dialogue die Rede. Verwenden Sie typische Techniken des Open Dialogue in Ihrer Arbeit?Fr. Ramirez Cervera: Absolut! Wir arbeiten durchgängig mit der Grundhaltung des Open Dialogues Wir sind – noch - ein kleines Team und gleichzeitig Teil eines großen Netzwerks im Rahmen der Klinik Wir kommunizieren, kooperieren und tauschen uns mit unseren Kollegen auf den Stationen aus Durch die Verzahnung bzw Einbettung des stationsäquivalenten Settings im Krankenhaus sind wir kon-tinuierlich gemeinsam mit dem Patienten und den Kollegen um eine konsequente Bedürfnisorientierung der Behandlung bemüht Das bedeutet eine ständige Reflek-tion, ein In-Frage-stellen von bisherigen Behandlungsentscheidungen, aber auch einen Umgang mit dem Patienten aber auch den Kollegen außerhalb des Flexiblen Teams auf Augenhöhe Das ist aber nur ein Teil unserer Arbeit Ein anderer ist die Vernetzung und Mitein-beziehung des sozialen Netzwerks und des ambulantes Helfersystems des Patien-ten Der Open Dialoge ist dabei ein wesentliches Werkzeug, unsere Haltung, die uns befähigt, flexibel zu bleiben (nicht nur räumlich!), stets mit Wertschätzung und Neugier dem Patienten und seinem Umfeld zu begegnen Das ist in der stations-äquivalenten Behandlung unerlässlich Konkret wenden wir zum Beispiel moderier-te Netzwerkgespräche mit Reflecting Teams oder zirkuläre Fragen an Über allen steht für mich aber auch ein besonderes Verständnis von Krankheit und Krisen und unserem Auftrag als Behandler: unsere Aufgabe ist es nicht, Leiden oberflächlich oder kurzfristig beseitigen zu helfen, sondern gemeinsam zu for-schen, für was die Krankheit ein Lösungsversuch ist, und Impulse zu geben für neue Perspektiven, um neue Räume zu schaffen

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Die Rettungsstelle des Klinikums Neukölln ist mit ca 72 000 Patientenkontakten jährlich ein zentraler Anlaufpunkt für die Notfallversorgung im Berliner Südosten Sie ermöglicht Patientinnen und Patienten, die Unterstützung in einer psychischen Krise benötigen, eine niedrigschwellige Kontaktaufnahme rund um die Uhr

    Die Anzahl der Patientinnen und Patienten, die primär zur psychiatrischen Not-fallbehandlung kamen, bewegte sich weiterhin auf sehr hohem Niveau Darüber hinaus wurden die Psychiater und Psychiaterinnen in der Rettungsstelle häufig beratend von den Kolleginnen und Kollegen anderer Fachrichtungen hinzugezo-gen Auch die telefonischen Kontakte mit Ratsuchenden in den Notdiensten am Wochenende sowie im alltäglichen Betrieb der Rettungsstelle haben eine unverän-dert große Rolle gespielt Hinzu kommt noch die reguläre Versorgung auf den psy-chiatrischen Stationen in den nächtlichen Bereitschaftsdiensten und am gesamten Wochenende

    Die nachfolgend tabellarisch zusammengefassten Zahlen zeigen eindrucksvoll die hohe Arbeitsbelastung im ärztlichen Not- und Bereitschaftsdienst

    Leistungen des psychiatrischen Not- und Bereitschaftsdienstes 2016

    Hinzu kamen u a weit mehr als 1 500 telefonische Beratungen und annähernd 4 000 Einsätze auf den psychiatrischen Stationen

    5 Leistungen des psychiatrischen Not- und Bereitschaftsdienstes in der Rettungsstelle und auf den Stationen der Klinik

    Anzahl

    psychiatrische Patientenkontakte in der Rettungsstelle insgesamt 6 935

    davon Konsile für Patienten anderer Fachrichtungen 927

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Die Zahl der Konsile für andere Fachabteilungen des Klinikums lag 2016 mit 1 778 von uns über das Klinikdokumentationssystem ORBIS erfassten Leistungen weiter-hin auf hohem Niveau und spiegelt die enge Kooperation unserer Klinik mit nahezu allen anderen Disziplinen in unserem Krankenhaus der Maximalversorgung wider

    Der psychiatrische Liaisondienst auf der internistischen und der anästhesiologischen Intensivstation (inklusive Chest Pain Unit und INKA) konnte auch in 2016 durch einen erfahrenen Arzt der Abteilung aufrechterhalten werden Seine Inanspruch-nahme befindet sich ebenfalls auf dem Niveau des Vorjahres

    Neben einer hohen Zahl von Patientinnen und Patienten mit Suizidversuchen, Intoxikationen und schweren deliranten Syndromen ging es inhaltlich in diesen konsiliarischen Beratungen besonders häufig um die Behandlung von Unruhe- und Erregungszuständen, die Klärung der Einwilligungsfähigkeit und die Vorbereitung der Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung

    6 Leistungen des psychiatrischen Konsil- und Liaisondienstes

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    Leistungen des psychiatrischen Konsil- und Liaisondienstes 2016

    Abteilung Anzahl konsiliarischer Untersuchungen

    Intensiv Innere/Chest Pain Unit/Kardiologie 542

    Gefäßchirurgie 33

    Thoraxchirurgie 40

    Allgemeinchirurgie 47

    Hämatologie/Onkologie 59

    Pneumologie/Infektiologie 118

    Gastroenterologie 160

    Intensiv Chirurgie/Anästhesiologie 86

    Unfallchirurgie 85

    Dermatologie 96

    Neurologie/Stroke Unit 239

    Neurochirurgie 96

    HNO 49

    Augenheilkunde 8

    Gynäkologie/Geburtshilfe 10

    Komfortstation 19

    INKA 24

    Palliativstation 12

    Summe 1.778

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Im Rahmen der Qualitätssicherung gilt unser besonderes Augenmerk der Doku-mentation und Analyse besonderer Vorkommnisse

    Im Folgenden wird hier speziell auf tätliche Übergriffe auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Mitpatientinnen und Mitpatienten sowie auf erhebliche Drohun-gen eingegangen (7 1) Zusätzlich werden Selbstverletzungen, Suizidversuche und Suizide (7 2 ), Brände (7 3) sowie Fehler bei der Medikamentenvergabe (7 4) dargestellt

    7.1 Tätliche Angriffe und erhebliche Drohungen

    Da es uns sehr wichtig ist, Tätlichkeiten gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern und Mitpatientinnen und Mitpatienten aufmerksam zu verfolgen, dokumen-tieren wir seit vielen Jahren sehr genau alle Übergriffe

    Im Jahre 2016 kam es zu 481 dokumentierten Angriffen auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Zusätzlich wurden in 282 Fällen Patientinnen und Patienten von Mitpatientinnen und Mitpatienten körperlich attackiert Insgesamt kam es zu 723 protokollierten tätlichen Angriffen (In 40 Fällen wurden zeitgleich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Mitpatientinnen und Mitpatienten angegriffen)

    Zusätzlich zu den tätlichen Übergriffen zeigten in 402 Fällen Patientinnen und Pati-enten erhebliches bedrohliches verbales oder nonverbales Verhalten Die 2007 von uns eingeführte gesonderte Dokumentation von Bedrohungen dient dazu, unsere Aufmerksamkeit gegenüber dieser solchen Form von Gewalt zu schärfen Opfer und Täter werden als solche wahrgenommen und diese Gewalt offenes Thema für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Patientinnen und Patienten Strategien zur Deeskalation werden geschult

    7 Besondere Vorkommnisse

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    Eine genauere Betrachtung der Einzelfälle zeigte dabei, dass diese hohe Zahl von Taten von insgesamt 197 Patientinnen und Patienten ausging Von diesen wieder-um verübten 19 (d h 9,6 Prozent der Patientinnen und Patienten mit Übergriffen bzw weniger als ein Prozent aller unserer Patientinnen und Patienten) 255 und damit 43 Prozent der Übergriffe

    Gewalt in psychiatrischen Kliniken bleibt eine ständige Herausforderung Wir versuchen weiter, durch konsequente Analyse einzelner Situationen und allgemei-ner Faktoren wirksame Strategien zur Deeskalation und Verhinderung gewalttäti-ger Übergriffe zu entwickeln Mehrere von uns im Rahmen von zwei Workshops erarbeitete Maßnahmen scheinen dabei in der Summe einen Abwärtstrend der Gewaltzahlen seit 2015 zu bewirken Deutlicher wird dieser Trend, wenn man die gleichzeitig steigenden Patientinnen- und Patientenzahlen (vgl Kapitel 3 1) beachtet Aufgrund der hohen Zahl von Wiederholungstäter/innen spielt dabei die Prävention von Wiederholungstaten eine besonders wichtige Rolle

    600

    500

    400

    300

    200

    100

    02009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

    Angriffe aufMitpatienten

    Angriffe auf Mitarbeiter

    Erhebl Bedrohung

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    7.2 Selbstverletzungen, Suizidversuche und Suizide

    7 2 1 Selbstverletzungen

    Selbstverletzungen während der stationären Behandlung stellen unsere Behand-lungsteams immer wieder vor große Herausforderungen Im Laufe des Jahres 2016 wurden 67 Fälle von selbstverletzendem Verhalten dokumentiert Im Detail verletz-ten sich 17 Patientinnen und 16 Patienten selbst Bei einer Patientin kam es zu 14, bei einer anderen zu 10 Selbstverletzungen Damit verursachten diese beiden mehr als ein Drittel aller entsprechenden Vorfälle

    Selbstverletzungen im Verlauf der vergangenen Jahre

    7 2 2 Suizidversuche und Suizide

    Die Anzahl der dokumentierten Suizidversuche von stationär behandelten Patientinnen und Patienten variierte in den letzten Jahren erheblich 2016 wurden 40 solcher Versuche, sich das Leben zu nehmen, erfasst

    Die Zahl der Suizide schwankte in den letzten Jahren zwischen 0 und 4 pro Jahr 2016 suizidierten sich 4 Patientinnen und Patienten während der stationären Behandlung

    Tätliche Angriffe im Verlauf der vergangenen Jahre

    2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

    Selbstverletzungen 92 108 97 122 119 67 76 103 89 100 67

    2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

    Tätliche Angriffe 355 446 326 400 490 653 850 921 723

    Angriffe auf Mitpatient/innen

    128 147 167 141 172 281 330 408 282

    Angriffe auf Mitarbeiter/innen

    238 313 247 276 335 401 568 553 481

    Erhebliche Bedrohung 250 383 326 346 370 451 495 516 402

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    Jeder einzelne Suizid ist für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angesichts des großen Einsatzes, mit dem wir uns bemühen, unseren Patientinnen und Patienten hilfreich zur Seite zu stehen, ein Tiefpunkt Gleichzeitig sei darauf hingewiesen, dass die Suizidrate in unserer Klinik seit Jahren niedriger ausfällt als sie – in An-betracht der Größe der Klinik und der Patientenzusammensetzung – zu erwarten wäre

    Jeder Einzelfall wird auf der Leitungsebene, in Teamsitzungen und auch in einer Komplikationskonferenz speziell im Hinblick auf die Einschätzung der Suizidalität und die getroffenen suizidpräventiven Maßnahmen detailliert besprochen

    7.3 Brände

    20 Mal wurde 2016 die Entstehung eines Brandes gemeldet Dabei handelte es sich glücklicherweise meist nur um kleine, selbstlimitierende Herde, wie z B Mülleimer- brände (7malig) Erneut wurden dort, wo inzwischen wieder selbstlöschende Müll- eimer fehlten, diese eigentlich flächendeckend eingesetzten Eimer aufgestellt Wiederholt wurde Papier in Brand gesetzt Hervorzuheben ist die Tatsache, dass mindestens ein Drittel dieser Brände von Patientinnen oder Patienten explizit gezielt entfacht worden waren Besorgniserregend ist die Tatsache, dass auch eine Matratze und zwei Decken in Brand gerieten In der Situation, in der die Matratze brannte, kam es zu einem Einsatz von Feuerwehr und Polizei

    Im Rahmen unseres Qualitätsmanagements werden alle Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter mindestens einmal im Jahr zum Thema Brandschutz geschult Hier haben sich insbesondere die praktischen Übungen mit den Feuerlöschgeräten bewährt So wurden alle Brandherde schon ohne Feuerwehr bzw vor Eintreffen der Feuerwehr gelöscht

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    7.4 Fehler bei der Medikamentenvergabe

    Ein wichtiger Teil unserer Qualitätssicherung besteht in der Dokumentation von Fehlern in der Medikamentenvergabe Im Jahr 2016 gab es 29 solcher dokumen-tierter Ereignisse

    Häufigster Fehler war dabei eine falsche Wahl des Präparates Insbesondere wie-derholte sich dabei (12malig) eine Verwechslung von Diazepam und Distraneurin einerseits und Methadon und Polamidon andererseits in der Entzugsbehandlung Dreimal erhielt ein/e Patient/in die für eine/n andere/n Patienten/in gedachte Medi-kamente Auch Dosierungsfehler traten auf

    Eine offene Fehlerkultur und die fortlaufende Analyse der betroffenen Arbeitsab-läufe soll die Sicherheit bei der Medikamentenausgabe optimieren, um so die An-zahl weiterer solcher Zwischenfälle minimieren zu können Allen dokumentierten Fehlern wird deswegen nachgegangen und mit den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern überlegt, wie in der konkreten Situation der Fehler hätte vermie-den werden können

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    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    8.1 Unterbringungen

    Im Juni 2016 trat das neue Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psy-chischen Krankheiten (PsychKG) in Kraft Trotz zahlreicher Veränderungen und Präzisierungen in anderen Bereichen sind die formalen Voraussetzungen für die vorläufige behördliche Unterbringung im Wesentlichen identisch geblieben Sie sind allerdings jetzt im § 23 (und nicht mehr im § 26) formuliert

    Für unsere Statistik unterschieden wir wie in den Vorjahren drei Arten der Unter-bringungen: Erstens Unterbringungen durch einen Betreuer (nach Bürgerlichem Gesetzbuch BGB, in der Regel mit Genehmigung des Gerichtes), zweitens Un-terbringungen durch das Bezirksamt in Form des Sozialpsychiatrischen Dienstes (§ 26 1, ab Juli 2016 § 23 1 PsychKG) sowie durch dessen Vertretung in Form des diensthabenden Arztes der Klinik (§ 26 2, ab Juli 2016 § 23 2 PsychKG), die eine vorläufige Unterbringung längstens bis zum Ablauf des auf die Anordnung folgenden Tages anordnen können und bei denen das Gericht nicht hinzugezogen werden musste, und drittens Unterbringungen nach PsychKG, für die ein Beschluss des Amtsgerichts vorlag

    In 460 Fällen wurden Patientinnen und Patienten gegen ihren Willen in der Klinik untergebracht Bei 73 davon erfolgte dies nach dem Betreuungsrecht (BGB), bei 387 nach dem Gesetz für Psychisch Kranke (PsychKG) Da es sich bei 236 Patientin-nen und Patienten dabei um kurzzeitige vorläufige Unterbringungen bis zum Ab-lauf des folgenden Tages durch den Sozialpsychiatrischen Dienst (§ 26 1 PsychKG) oder den vertretenden diensthabenden Psychiater (§ 26 2 PsychKG) handelte, wur-de nur in 151 Fällen eine weitere Unterbringung nach PsychKG durch die Richterin oder den Richter ausgesprochen

    8 Zwangsmaßnahmen

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    * Anteil an Behandlungsfällen

    Anteil der Unterbringungen an den behandelten Fällen im Verlauf der vergangenen Jahre

    BGB

    § 26 bzw 23 PsychKG

    Richterl PsychKG

    Summe

    12

    10

    8

    6

    4

    2

    02010 2011 2012 2013 2014 2015

    Unterbringungen 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

    n % n % n % n % n % n % n %*

    BGB 121 2,8 161 3,9 122 2,9 63 1,4 87 2 99 2,1 73 1,7

    § 26 o 23 PsychKG 176 4,1 144 3,5 142 3,4 138 3,1 156 3,6 194 4,2 236 5,6

    Richterl PsychKG 58 1,4 60 1,5 89 2,1 111 2,5 118 2,8 194 4,2 151 3,6

    Summe 355 8,3 365 8,9 353 8,6 312 7 361 9,8 477 10 460 9

    2016

  • 45

    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    8.2 Fixierungen

    Auch das neue Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krank-heiten (PsychKG) beschreibt besondere Sicherungsmaßnahmen wie die „Einschrän-kung der Bewegungsfreiheit durch mechanische Vorrichtungen (Fixierung)“ Es führt dazu aus: „Besteht die gegenwärtige Gefahr, dass die untergebrachte Person sich selbst tötet, ihre eigene Gesundheit oder bedeutende Rechtsgüter Dritter erheblich schädigt oder die Einrichtung ohne Erlaubnis verlassen will, können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn und solange dieser Gefahr nicht durch weniger eingreifende Maßnahmen begegnet werden kann “ Im Jahre 2016 erfolgte eine Fixierung 706 Mal Betroffen davon waren 224 Patienten, von denen 92 Patienten wiederholt fixiert wurden

    Fixierungen im Verlauf der vergangenen Jahre

    Fixierungen

    Betroffene Patient/innen

    900

    800

    700

    600

    500

    400

    300

    200

    100

    02008 2009 201220112010 2013 2014 2015

    2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

    Fixierungen 565 691 475 542 543 706 744 810 706

    Betroffene Patient/innen 138 122 140 147 193 201 198 239 224

    2016

  • 46

    8.3 Medikamentöse Zwangsbehandlungen

    Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) am 29 Juni 2016 änderte sich die rechtliche Grundlage der medikamentösen Zwangsbehandlungen wesentlich Die Gesamtzah-len des Jahres 2016 beinhalten daher auch Zwangsbehandlungen auf Grundlage des neuen Gesetzes, das erst in der zweiten Jahreshälfte galt Die medikamentöse Zwangsbehandlung nach § 28 (6) PsychKG setzt einen Unterbringungsbeschluss voraus, ist gleichzeitig aber gebunden an ein davon unabhängiges juristisches Verfahren, das eine Begutachtung durch einen externen Gutachter sowie einen weiteren richterlichen Beschluss bedarf Im Gesetzestext heißt es: „Kann eine untergebrachte Person aufgrund ihrer krankheitsbedingten Einwilligungsunfähig-keit die mit einer Behandlung gegebene Chance einer Heilung nicht erkennen oder nicht ergreifen, ist ausnahmsweise eine ihrem natürlichen Willen widersprechende, insbesondere medikamentöse Zwangsbehandlung der Anlasserkrankung zulässig, wenn diese ausschließlich mit dem Ziel vorgenommen wird, die Einwilligungs- fähigkeit überhaupt erst zu schaffen oder wiederherzustellen “ Dabei erfolgt also, anders als bei Zwangsbehandlungen nach BGB, nicht eine Einwilligung durch eine/n Vertreter/in der/des Patientin/en, sondern die Einwilligungsfähigkeit selbst wird vom Gesetzesgeber zum Ziel der Behandlung erklärt

    Dass bei Gefahr im Verzug, Lebensgefahr oder gegenwärtiger erheblicher Gefahr für die Gesundheit der Patientin bzw des Patienten (nach § 28 (7) PsychKG) ebenfalls eine Zwangsbehandlung durchgeführt werden darf, schafft aus ärztlicher Sicht mehr Rechtssicherheit, beriefen sich doch Behandler in ähnlichen Situationen bislang auf einen rechtfertigenden Notstand (§ 34 des Strafgesetzbuches)

    Eine dritte, durch das neue PsychKG in besonderen Fällen gestattete Form der Zwangsbehandlung ist die „medikamentöse Sedierung“ während einer Fixierung als besondere Sicherungsmaßnahme nach § 39 (2)

    Rechtliche Grundlage Art der Zwangsbehandlung Patient/innen

    § 1906 (3) BGB Richterlich genehmigte Zwangsbehandlung nach Beantragung durch den Betreuer 12

    § 28 (6) PsychKG Richterlich genehmigte Zwangsbehandlung zur Wiederherstellung der Einwilligungsfähigkeit 3

    § 28 (7) PsychKG Gefahr im Verzug 8

    § 39 (2) PsychKG Fixierung und Sedierung als besondere Sicherungs-maßnahme 10

    § 34 StGB Rechtfertigender Notstand 71

  • 47

    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Insgesamt wurde 2016 bei 86 Patientinnen und Patienten eine medikamentöse Zwangsbehandlung durchgeführt (Anm : Da einige Patientinnen und Patienten aufgrund verschiedener rechtlicher Grundlagen medikamentös behandelt wurden, ist die Anzahl der betroffenen Patientinnen und Patienten kleiner als Summe der Patientinnen und Patienten, die von einer einzelnen Form der Zwangsbehandlung betroffen waren ) Trotz der neuen Gesetzeslage erfolgten diese zum überwie-genden Teil aufgrund von akuten Notfallsituationen mit unmittelbar drohender Eigen- oder Fremdgefährdung, die durch weniger eingreifende Maßnahmen nicht abgewendet werden konnten

    Von medikamentöser Zwangsbehandlung betroffene Patient/innen

    8.4 Entweichungen

    2016 wurden 119 Entweichungen dokumentiert, d h , Patientinnen und Patienten, die nach dem PsychKG oder betreuungsrechtlich untergebracht waren, entfernten sich unabgesprochen aus der Klinik

    Entweichungen im Verlauf der letzten Jahre

    2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

    Entweichungen 70 77 90 90 110 113 125 157 119

    2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016

    Betroffene Patient/innen 112 120 118 117 92 82 87 85 86

  • 48

  • 49

    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    9.1 Mutter-Kind-Behandlungen

    Seit 1995 bieten wir in unserer Klinik eine spezielle Form der „Angehörigenarbeit“ an (vgl Psych Prax 2001, 28, 123-127), nämlich das „Rooming-in“ von Säug-lingen und ihren erkrankten Müttern in Situationen, in denen neben der statio-nären Behandlung der Mütter die Aufrechterhaltung der Mutter-Kind-Beziehung gewünscht bzw deren unterstützende Modifikation angestrebt wird Angesichts personeller Engpässe und sehr hoher Belegung der allgemeinpsychiatrischen Statio-nen haben wir dieses Angebot auch im vergangenen Jahr leider wieder nur in einer geringen Zahl von an uns gerichteten Anfragen zur Verfügung stellen können

    Auf der Kriseninterventionsstation (Station 29) wurden im Berichtsjahr immerhin fünf Mutter-Kind-Behandlungen durchgeführt Auch das teilstationäre Therapie-angebot unserer Intensiv-Tagesklinik konnte einer weiteren Wöchnerin und ihrem Säugling weiterhelfen

    41 Anfragen an unsere Klinik – nicht nur aus Neukölln und anderen Berliner Bezir-ken, sondern auch aus Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern – dokumen-tieren erneut das anhaltend sehr große Interesse an einem derartigen Behandlungs-angebot, das leider nur in einem geringen Teil der Fälle realisiert werden konnte Eine angemessene Finanzierung durch die Krankenkassen wäre Voraussetzung für eine qualifizierte Erweiterung entsprechender Behandlungsangebote

    9.2 Angehörigenvisite und Angehörigengruppe

    Seit 1999 haben die Angehörigenvisiten als verbindliches, niedrigschwelliges Angebot einen festen Platz im Wochenplan der fünf allgemeinpsychiatrischen Stationen Alle 14 Tage stehen regelmäßig Mitglieder der multiprofessionellen Teams für gemeinsame Gespräche mit den Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen zur Verfügung Für die bis zu 6 –10 Termine pro Veranstaltung, die im Rhythmus von 15 – 30 min erfolgen, tragen sich Interessierte im auf den Stationen aushängenden Reservierungsplan ein Üblicherweise nehmen neben den Patien-tinnen und Patienten, ihren Familien oder professionellen Helfern die ärztliche Behandlerin oder der ärztliche Behandler, die zuständige Oberärztin oder der zuständige Oberarzt, die Bezugspflegekraft, die Sozialarbeiterin, die Stationspsy-chologin oder der Stationspsychologe manchmal auch ergo- oder musiktherapeu-tische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an dem Gespräch teil Häufiges Anliegen

    9 Besondere Tätigkeiten

  • 50

    der Patientinnen und Patienten ist der Wunsch, Unterstützung und Verständnis bei ihren Angehörigen zu finden Häufige Themen der Angehörigen sind Aufklärung über Art und Prognose der Erkrankung, Behandlungsmöglichkeiten insb Informati-onen über Medikamente, mögliche Hilfen durch die Familie oder auch die Sorgen, etwas falsch gemacht zu haben

    Im Berichtsjahr nahmen 694 Patientinnen und Patienten (einschl Wiederholer) mit ihren Angehörigen (insgesamt 1 006 Personen) das Angebot der Angehörigenvisite wahr, was einer deutlichen häufigeren Inanspruchnahme dieses Gesprächsange-bots im Vergleich zum Vorjahr entspricht

    Zusätzlich erfolgte bei 251 Patientinnen und Patienten eine intensive individuelle Beratung von Angehörigen durch die jeweilige Sozialarbeiterin Diese umfasste in den meisten Fällen mehrere Gesprächstermine Inhalte der Beratung waren Infor-mationen zu Versorgungsmöglichkeiten, rechtlichen und finanziellen Angelegen-heiten, zur sozialen Wiedereingliederung bis hin zu kontinuierlichen entlastenden Gesprächen für die Angehörigen

    Zu den Angehörigen zählen auch die Kinder, die besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung brauchen, wenn ein Elternteil wegen einer psychischen Erkrankung in stationärer Behandlung ist Die Sozialarbeiterinnen beraten die Eltern und ver-mitteln wenn erforderlich den Kontakt zu weiteren Hilfsangeboten Bei 25 Patien-tinnen und Patienten wurden spezielle familienunterstützende Maßnahmen eingeleitet

    18

    35

    11

    49

    46

    27

    55

    Teilnehmende Angehörige (n = 241) am Beispiel einer allgemeinen psychiatrischen Station

    2016

    Väter

    Mütter

    Partner

    Kinder

    Wohnbetreuer/innen

    Gesetzliche Betreuer/innen

    Andere

  • 51

    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Alle Angehörigen werden regelmäßig zur Angehörigengruppe eingeladen, die von 4 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus verschiedenen Berufsgruppen geleitet wird Der Informations- und Gedankenaustausch mit anderen Betroffenen erweist sich oft als große Hilfe, um mit den Schwierigkeiten, denen sich Familien mit einem psychisch kranken Familienmitglied gegenübersehen, besser zurechtzukommen

    2016 fanden 22 Gruppensitzungen statt, an denen insgesamt 96 Besucherinnen und Besucher teilnahmen Wie in den Vorjahren nahmen insbesondere Mütter von Patientinnen und Patienten besonders häufig an den Angehörigengruppen teil Da-rüber hinaus wurden zwei themenspezifische Sonderveranstaltungen angeboten, die bei den Teilnehmern auf reges Interesse stießen

    Zu weiteren familienorientierten Angeboten, s auch Kap 9 6 (Systemische und Netzwerk-orientierte Methoden)

    9.3 Trialog in Neukölln

    Die als „Trialog in Neukölln“ bekannte Initiative und regelmäßige Veranstaltungs-reihe im organisatorischen Rahmen der Otto-Suhr-Volkshochschule (zertifiziert als Fortbildungsveranstaltung der Psychotherapeutenkammer) ermöglicht nunmehr seit neun Jahren einen konstruktiven Austausch zwischen den drei psychiatrischen Erfahrungsrichtungen von Seiten der Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen und Professionellen An den zehn Gesprächsterminen in 2016 traten die durchschnitt-lich dreiundzwanzig Teilnehmenden im Puschkin-Zimmer des Rathauses Neukölln erneut in den offenen Dialog im Spiegel der Anderen

    Die Thematisierungen (u a von „Verrat am Selbst“, UN-Behindertenrecht, Verstän-digung in der Psychotherapie, Denken und Glauben, Gewalt und Gegengewalt, Ortsverlust und Wohnungslosigkeit, Phantasiebewusstsein, gesprächslose Psychiatrie und „Euthanasie“) brachten die gemeinsame Sache und die biographisch sinnhaften Bedeutungen zwischen den Teilnehmenden jedes Mal vielstimmig zum Ausdruck Darüber hinaus wurde in den Gesprächen von neuem deutlich, wie durch den besonderen Charakter der trialogischen Öffentlichkeit eine kritische Sicht auf die gängige Praxis der Institution erlaubt wird und die Teilnehmenden in der Hoffnung bestärkt werden, dass ein rücksichtsvolles Sprechen und Reden gemeinsam erreicht werden kann (gesichert durch die Methode der Reflektion: siehe Seminarplan und Info-Text unter der Netzadresse www trialog-psychoseseminar de) Die Psychiatrie kann – als Institution einer offenen Gesellschaft – mit der Trialog-Perspektive in den Kliniken und im psychiatrischen Hilfesystem eine realistische Wende von der indivi-duellen zur sozialen Perspektive schaffen

  • 52

    9.4 Genesungsbegleiter/innen

    Das Erfahrungswissen von Menschen, die selbst seelische Krisen durchlebt haben, ist eine wertvolle Kompetenz, die es gilt, ebenbürtig dem Fachwissen professionell ausgebildeter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Seite zu stellen In anderen eu-ropäischen Ländern, insbesondere in Großbritannien, ist die Beteiligung von Exper-ten aus Erfahrung – idealer Weise qualifiziert durch eine EX-IN-Ausbildung – schon länger eine Selbstverständlichkeit Deutschland hinkt dieser Entwicklung hinterher

    Wir sind deshalb sehr froh (und auch ein bisschen stolz), dass es uns 2016 gelun-gen ist, erstmals eine Genesungsbegleiterin als reguläre Mitarbeiterin in unserer Klinik einzustellen Vorausgegangen war ein längerer Vorbereitungs- und Klärungs-prozess, zu dem auch eine Vivantes weit erstmalige Stellenbewertung durch den kommunalen Arbeitgeberverband KAV Berlin gehörte Damit wurde eine wichtige Grundlage für die Beschäftigung von Genesungsbegleitern in allen Vivantes Klini-ken geschaffen

    Wir freuen uns, dass Frau Maike Flügel seit Oktober 2016 als Genesungsbegleiterin in unserem Flexiblen Team im Rahmen des DAK-Modellprojektes arbeitet Mehr In-formationen über die Arbeit von Frau Flügel finden sich unter unserem diesjährigen Schwerpunktthema zum Modellprojekt

    9.5 Patientenbrief

    Der Patientenbrief ist in den Tageskliniken Emser Straße und Riesestraße inzwischen fest etabliert Er ersetzt den üblichen Arztbrief Niedergelassene ärztliche oder psychotherapeutische Weiterbehandlerinnen und Weiterbehandler erhalten – das Einverständnis der Patientin oder des Patienten vorausgesetzt – eine Kopie des Patientenbriefs

    Der Patientenbrief ist das Ergebnis einer ganzen Reihe wechselseitiger Verständi- gungsschritte Dazu gehören der schriftliche Aufnahmebefund, der von der Patientin bzw vom Patienten kritisch gegengelesen und gemeinsam überarbeitet wird, die Vorstellung der Patientin bzw des Patienten im Behandlerteam, an der sie bzw er selbstverständlich teilnimmt und seine eigene Sichtweise einbringt, und die regelmäßigen Behandlungskonferenzen, in denen die therapeutischen Ziele gemeinsam überprüft, diskutiert und präzisiert werden

  • 53

    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Bereits vor der Entlassung wird im Idealfall die Rohfassung des Patientenbriefs, der alle üblichen Bestandteile einer psychiatrischen Epikrise enthält, mit der Patien-tin bzw dem Patienten besprochen Das gilt insbesondere für die diagnostische Einschätzung, den psychischen Befund, die Zusammenfassung des Behandlungs-verlaufs, die Bewertung von Erfolgen und Schwierigkeiten sowie die weiteren Therapieempfehlungen

    Die Rückmeldungen der Patientinnen und Patienten zu den an sie persönlich adres-sierten Abschlussberichten waren in den letzten Jahren durchweg positiv Auch von ambulanten Behandlern gab es Unterstützung für das Projekt „Patientenbrief“

    Insgesamt erleben wir den Patientenbrief als wichtige Innovation: Patientinnen und Patienten werden aktiver in ihre Behandlung einbezogen Die Behandlung wird transparenter Das therapeutische Bündnis wird gefestigt Den Behandlern wird im- mer wieder abverlangt, sich verständlich auszudrücken und dabei insbesondere kri-tische und schwierige Themen einfühlsam und angemessen zur Sprache zu bringen

    9.6 Systemische und Netzwerk-orientierte Methoden

    Zentrales Element der Behandlungskonferenzen und Netzwerkgespräche ist die Kommunikationsstruktur des „Reflektierenden Teams“ Dabei hören typischer-weise zwei bis drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einem Gespräch zwischen der Patientin bzw dem Patienten und einem Mitglied des Behandlungsteams (sog Behandlungskonferenz) bzw zwischen dem Patienten, verschiedenen Angehörigen und einem Teammitglied (sog Netzwerkgespräch) aufmerksam zu und geben in einer geplanten Gesprächspause eine offene Rückmeldung zu den Gedanken und Eindrücken, die das bisherige Gespräch bei ihnen hervorgerufen hat Wesentlich sind die „Vielstimmigkeit“ dieser Rückmeldungen und ihr von Wohlwollen gekenn-zeichneter „Angebots-Charakter“

    „Alle Stimmen werden gehört“ lautet ein zentrales Merkmal der Netzwerkge-spräche, das sich nicht nur auf eine hierarchiefreie Begegnung der Teilnehmenden bezieht, sondern auch „innere Stimmen“ bzw die unter Umständen vielfältigen sozialen Rollen einer jeden Person würdigt Netzwerkgespräche zeichnen sich in typischer Weise auch dadurch aus, dass die Behandelnden (und oft auch die übrigen Teilnehmenden) ein erhebliches Maß an Unsicherheit zu ertragen haben, da das Netzwerkgespräch – im Vertrauen auf den sich entwickelnden konstruktiven Prozess des Gesprächs – ergebnisoffen geführt wird

  • 54

    In allen drei Tageskliniken waren Behandlungskonferenzen im Jahr 2016 fester Bestandteil des Behandlungsangebotes Während sie in den Tageskliniken Riese-straße und Rudower Straße durchgängig im 14-Tages-Rhythmus für alle Patientin-nen und Patienten stattfanden, haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tagesklinik Emser Straße dazu entschieden, Behandlungskonferenzen vor allem als „Bilanz-Instrument“ in der Mitte und am Ende der Behandlung zu nutzen Au-ßerdem werden sie erfolgreich in schwierigen Behandlungssituationen eingesetzt

    Auf den allgemeinpsychiatrischen Stationen, einschließlich der Schwerpunkt-Station für Abhängigkeitskranke, aber auch in der psychiatrischen Institutsambulanz sind Netzwerkgespräche in unterschiedlichem Ausmaß fester Bestandteil des Behand-lungsangebots Trotz des hohen organisatorischen Aufwands (immerhin muss ein 90minütiger Termin gefunden werden, der den zahlreichen teilnehmenden Personen passt) gelang es im Berichtsjahr 34-mal, ein solches Netzwerktreffen zu realisieren Die im Vergleich zum Vorjahr um 10 höhere Zahl ist wohl als Hinweis darauf zu verstehen, dass sich dieses wertvolle Behandlungselement zunehmend zu etablieren begonnen hat

    Die Vielzahl neuer Gesprächsformen ist ganz wesentlich durch die Open Dialogue- Fortbildung inspiriert, die unsere Haltung als Professionelle und die Art, wie wir mit Patientinnen und Patienten, Angehörigen und auch untereinander sprechen, erheblich flexibilisiert hat Nach Abschluss des dritten Curriculums befinden wir uns in der Vorbereitung des ab Juli 2017 startenden vierten Durchgangs

    Die Entscheidung, wie bereits in der zweiten Trainingssequenz auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem sog komplementären Bereich und dem Sozialpsychiatri-schen Dienst einzuladen, trägt in erfreulicher Weise zum Informationsgewinn und zur Verbesserung der sektoren-überschreitenden Kommunikation bei

    Zur Aufrechterhaltung einer sowohl kritischen als auch ermutigenden Reflektion der neuen Kommunikationselemente wurde im Berichtsjahr eine Arbeitsgruppe „Forum Offener Dialog“ gegründet, die sich einmal pro Quartal – offen für alle Interessier-ten – trifft Diese Kommunikationsplattform soll auch im nächsten Jahr fortbestehen

    9.7 Delir-Projekt im Vivantes Klinikum Neukölln

    Gemeinsam mit den Kliniken für Neurologie und Anästhesiologie engagieren wir uns in Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung in einem Delir-Projekt am Stand-ort Neukölln

  • 55

    Jahres- und Qualitätsbericht 2016

    Ein Delir, als schwere Verlaufsform eines akuten Verwirrtheitszustands, ist ein unabhängiger Prädiktor für eine höhere Mortalität und eine schlechtere Prognose eines Patienten Zudem führt es zu häufigeren Entlassungen in ein Pflegeheim Die Häufigkeit liegt nach Studien bei geriatrischen internistischen Patientinnen und Patienten zwischen 3 und 31 %, bei chirurgischen Patientinnen und Patienten im höheren Lebensalter um die 10 – 15 % und bei Demenzpatienten mit krankenhaus-bedürftiger Erkrankung bei ca 50 %

    Ziel unserer Zusammenarbeit ist eine erhöhte Sensibilität des Krankenhauspersonals für die Gefahr einer Delir-Entwicklung Präventive Maßnahmen sollen optimiert, die Früherkennung durch die Einführung eines strukturierten Screenings verbessert und eine strukturierte qualitätsgesicherte Delir-Therapie eingeführt werden Hierfür wurde eine Delir-Broschüre entwickelt, die im Vivantes Intranet unter http:// intranet.zdv.vivantes.de/cms/16917.php für alle Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter einsehbar ist Für das Jahr 2017 ist für die Intensivstation 3o sowie eine periphere Station ein Pilotprojekt geplant Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Stationen werden besonders intensiv geschult, es soll ein tägliches Screening durchgeführt werden, dessen Ergebnisse evaluiert werden sollen

    9.8 Klinikübergreifendes Kooperationsprojekt zum Thema „Demenz“

    Die Anzahl der Menschen mit Demenzerkrankungen im Krankenhaus nimmt stetig zu Als psychiatrische Klinik stehen wir in einer engen Kooperation mit der neurologi-schen Klinik des Klinikums Neuköll