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Marius Menke. Foto: privat KOLUMNE Gesellschaftsjahr – Tugend oder Pflicht? VON MARIUS MENKE „Wiederzusammenwachsen der Gesell- schaft“: Das ist die Parole, die der Thürin- ger CDU-Fraktionsvorsitzende Mike Mohring für den Landtagswahlkampf im kommenden Jahr ausgegeben hat. Passend dazu brachten Unionspolitiker die Ein- führung eines verpflichtenden „Gesell- schaftsjahrs“ ins Spiel. Es geht darum, der Gesellschaft „etwas zurückzugeben und gleichzeitig den Zusammenhalt im Land zu stärken“, so Paul Ziemiak. Eine bürger- liche Gemeinschaft basiert auf den Grund- konstanten von Respekt, Aufrichtigkeit, vorausschauender Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft. Tugenden, die aus einer inneren Überzeugung heraus erlernt und ein Leben lang eingeübt werden müssen. Sie helfen, Menschen zu formen, die ihrer- seits zu einer gerechten und solidarischen Gesellschaft beitragen. Um diese Eigen- schaften zu stärken, sind zahlreiche Sze- narien denkbar; wenn es gut organisiert und geplant ist, zählt dazu sicherlich auch ein Gesellschaftsjahr. Allerdings entspricht eine in Freiheit gewählte Form öffent- lichen Engagements eher den Lebensent- würfen junger Generationen als ein ver- pflichtendes Potpourri sozialer Tätigkei- ten, die unter Umständen mit wenig En- thusiasmus und Eigeninitiative ausgeführt werden. Der Bildungseffekt verliefe so im Sande. Der beachtliche Wandel von den Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu den Selbstverwirklichungswerten führt deut- lich vor Augen, dass das höchste Gut der jungen Generationen die Verwirklichung ihrer eigenen Lebenskonzepte ist: Invent yourself! Dagegen reagieren sie allergisch auf von außen herangetragene Zwänge. Eine Gefahr besteht darin, ein gesell- schaftliches Engagement als einen Teil dieser Selbstverwirklichung anzustreben, statt es um der Sache selbst willen zu tun. Diese Reduktion auf das Eigene ist nicht zuletzt der ausschlaggebende Grund für die Krise des solidarischen Gedankens im zwischenmenschlichen Bereich. Gerade in Thüringen kann man eine zunehmende Konzentration auf den Erhalt und Ausbau des eigenen Lebensstandards beobachten, die angetrieben wird durch eine bisweilen irrationale Angst vor dem sozialen Abstieg und davor, selbst zu kurz zu kommen. In dieser Situation dazu verpflichtet zu wer- den, eine Tätigkeit auszuführen, die gerade mit diesen Ängsten konfrontiert, könnte dazu beitragen, Ressentiments abzubauen – oder genau ins Gegenteil führen. Ebenso muss von vornherein die Frage der Finanzierung geklärt sein. Nach dem Schulabschluss ein „gap year“ anzuschlie- ßen um zu reisen, als Au-pair, FSJler, MAZler oder BFDler Erfahrungen zu sammeln, ist inzwischen eher die Regel als die Ausnahme. Zahlreiche Freiwilligen- dienste sind aktuell jedoch nur für eine be- stimmte Bevölkerungsgruppe attraktiv. Die soziale Kluft in Deutschland ist bekannt und ein Pflichtdienst wäre für ärmere Fa- milien eine Zumutung, wenn die Abläufe gleich blieben. Während etliche Gymna- siasten die Angebote wahrnehmen, sind Haupt- und Realschüler sowie Menschen mit Migrationshintergrund unterrepräsen- tiert. Da ohnehin nicht alle in sozialen Projekten arbeiten können und sie keines- falls eine Lösung für den Fachkräfteman- gel sind, besteht die große Chance in einem Zusammenwachsen über soziale Grenzen hinweg. Annegret Kramp-Kar- renbauer leitet daraus gerade einen Pflichtdienst ab, der allen zugutekommen soll und der offenbar komplett finanziert wird. Wo das Geld herkommen soll, ist in- des unklar. Es müssten Anreize geschaffen werden, die zunächst eine finanzielle Ab- sicherung garantieren und anschließend gute Ausgangsmöglichkeiten für eine Be- rufsausbildung oder ein Studium schaffen. In Deutschland kann dazu auf ein dichtes Netz an staatlichen oder nicht-staatlichen Organisationen zurückgegriffen werden. Ähnliche Ressourcen existieren auch auf europäischer Ebene. Die bereits bestehen- den Strukturen sollten für alle Schulab- gänger zugänglicher und bekannter ge- macht werden, um so untereinander ein Zusammenwachsen nicht nur innerhalb der Nationalstaaten, sondern auch der Staatengemeinschaft zu realisieren. Der Autor ist Geschäftsführer des Diözesanen Ethikrates im Erzbistum Paderborn. Die Kolumne erscheint in Koopera- tion mit der Katholischen Sozialwis- senschaftlichen Zentralstelle in Mön- chengladbach.

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Page 1: jjjjjjjjjjjjjjj€¦ · jjjjjjjjjjjjjjj jjjjjjjjjjjjjjjjjVON SEBASTIAN SASSE Marius Menk e. Foto: priva t KOLUMNE Ges ells chaftsjahr ! T ug end oder Pf licht? VON MARIUS MENKE!W

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statt es um der Sache selbst willen zu tun.Diese Reduktion auf das Eigene ist nichtzuletzt der ausschlaggebende Grund fürdie Krise des solidarischen Gedankens imzwischenmenschlichen Bereich. Gerade inThüringen kann man eine zunehmendeKonzentration auf den Erhalt und Ausbaudes eigenen Lebensstandards beobachten,die angetrieben wird durch eine bisweilenirrationale Angst vor dem sozialen Abstiegund davor, selbst zu kurz zu kommen. Indieser Situation dazu verpflichtet zu wer-den, eine Tätigkeit auszuführen, die gerademit diesen Ängsten konfrontiert, könntedazu beitragen, Ressentiments abzubauen– oder genau ins Gegenteil führen.Ebenso muss von vornherein die Frage derFinanzierung geklärt sein. Nach demSchulabschluss ein „gap year“ anzuschlie-ßen um zu reisen, als Au-pair, FSJler,MAZler oder BFDler Erfahrungen zusammeln, ist inzwischen eher die Regel als

Zufriedenheit aller EU-Mitgliedsstaa-ten auszuarbeiten.

USA: VERABSCHIEDET SICH TESLAVON DER BÖRSE?Seit Tesla-Chef Elon Musk vor gut zweiWochen auf dem KurznachrichtendienstTwitter verkündete, sein Unternehmenvon der Börse nehmen zu wollen, reißtdie Kritik am US-Unternehmen nichtmehr ab. Die Börsenaufsicht SEC prüftseitdem, ob die von Firmenchef Muskverbreitete Nachricht auf Tatsachen be-ruht und wieso er diese Neuigkeit überTwitter verbreitete. Nun gab Elon Muskin einem Interview der „New YorkTimes“ zu, dass seine Doppelrolle alsVorsitzender und Geschäftsführer seineGesundheit belastet; daraufhin brachder Aktienkurs der Tesla-Aktie um gut9 Prozent ein. Grundsätzlich ist ein De-

men wie Dell oder die Hotelkette Hiltonhaben es erfolgreich vorgemacht. Aller-dings steigt dadurch das Risiko für An-leger: Das Unternehmen ist nicht mehr zuQuartalsberichten verpflichtet, die Trans-parenz sinkt. Auch ist der Kauf- und Ver-kaufsprozess deutlich komplizierter undder objektive Bewertungsmesser, der Bör-senkurs, fällt weg.

GRIECHENLAND: ENDE DES RET-TUNGSPAKETSAm 2. Mai 2010 einigten sich der Premiervon Griechenland, Giorgos Papandreou,und der Chef des Internationalen Wäh-rungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, auf ein Rettungsprogramm für daspleitebedrohte Griechenland. Es ist derBeginn eines beschwerlichen Weges, derüber 8 Jahre dauern soll und drei Ret-tungspakete mit rund 290 Milliarden

tungsfonds wird der ursprüngliche Ge-danke der EU, dass die Mitgliedsstaatennicht füreinander haften, ausgehoben.Vielmehr entsteht ein Euro-Rettungs-fonds, unter welchem mittlerweile auchIrland, Portugal, Spanien und ZypernSchutz gesucht haben. Nun, am 20. Au-gust 2018, ist das letzte Rettungspaketausgelaufen und es wird kein neues Pa-ket mehr geben. Griechenland steht so-mit wieder auf eigenen Beinen. VieleÖkonomen haben jedoch Bedenken, obGriechenland tatsächlich in der Lage ist,zu einem nachhaltigen Wachstum zu-rückzukehren. Die Bürokratie und daspolitische System sind immer noch eineGefahr für bereits eingeführte und nö-tige neue Reformen. Der IWF schätztdie Reformmüdigkeit des Landes alshoch ein, vor allem im Hinblick auf be-vorstehende Wahlen.

gend oder Pflicht?die Ausnahme. Zahlreiche Freiwilligen-dienste sind aktuell jedoch nur für eine be-stimmte Bevölkerungsgruppe attraktiv. Diesoziale Kluft in Deutschland ist bekanntund ein Pflichtdienst wäre für ärmere Fa-milien eine Zumutung, wenn die Abläufegleich blieben. Während etliche Gymna-siasten die Angebote wahrnehmen, sindHaupt- und Realschüler sowie Menschenmit Migrationshintergrund unterrepräsen-tiert. Da ohnehin nicht alle in sozialenProjekten arbeiten können und sie keines-

falls eine Lösung für den Fachkräfteman-

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„Wiederzusammenwachsen der Gesell-schaft“: Das ist die Parole, die der Thürin-ger CDU-Fraktionsvorsitzende MikeMohring für den Landtagswahlkampf imkommenden Jahr ausgegeben hat. Passenddazu brachten Unionspolitiker die Ein-führung eines verpflichtenden „Gesell-schaftsjahrs“ ins Spiel. Es geht darum, derGesellschaft „etwas zurückzugeben undgleichzeitig den Zusammenhalt im Landzu stärken“, so Paul Ziemiak. Eine bürger-liche Gemeinschaft basiert auf den Grund-konstanten von Respekt, Aufrichtigkeit,vorausschauender Aufmerksamkeit undHilfsbereitschaft. Tugenden, die aus einerinneren Überzeugung heraus erlernt undein Leben lang eingeübt werden müssen.Sie helfen, Menschen zu formen, die ihrer-seits zu einer gerechten und solidarischenGesellschaft beitragen. Um diese Eigen-schaften zu stärken, sind zahlreiche Sze-narien denkbar; wenn es gut organisiertund geplant ist, zählt dazu sicherlich auchein Gesellschaftsjahr. Allerdings entsprichteine in Freiheit gewählte Form öffent-lichen Engagements eher den Lebensent-würfen junger Generationen als ein ver-pflichtendes Potpourri sozialer Tätigkei-ten, die unter Umständen mit wenig En-thusiasmus und Eigeninitiative ausgeführtwerden. Der Bildungseffekt verliefe so imSande. Der beachtliche Wandel von denPflicht- und Akzeptanzwerten hin zu denSelbstverwirklichungswerten führt deut-lich vor Augen, dass das höchste Gut derjungen Generationen die Verwirklichungihrer eigenen Lebenskonzepte ist: Inventyourself! Dagegen reagieren sie allergischauf von außen herangetragene Zwänge.Eine Gefahr besteht darin, ein gesell-schaftliches Engagement als einen Teildieser Selbstverwirklichung anzustreben,

Die Tagespost ñ23. August 2018

Marius Menke. Foto: privat

gel sind, besteht die große Chance in

einem Zusammenwachsen über sozialeGrenzen hinweg. Annegret Kramp-Kar-renbauer leitet daraus gerade einenPflichtdienst ab, der allen zugutekommensoll und der offenbar komplett finanziertwird. Wo das Geld herkommen soll, ist in-des unklar. Es müssten Anreize geschaffenwerden, die zunächst eine finanzielle Ab-

sicherung garantieren und anschließendgute Ausgangsmöglichkeiten für eine Be-rufsausbildung oder ein Studium schaffen.In Deutschland kann dazu auf ein dichtesNetz an staatlichen oder nicht-staatlichenOrganisationen zurückgegriffen werden.Ähnliche Ressourcen existieren auch aufeuropäischer Ebene. Die bereits bestehen-den Strukturen sollten für alle Schulab-gänger zugänglicher und bekannter ge-macht werden, um so untereinander einZusammenwachsen nicht nur innerhalbder Nationalstaaten, sondern auch derStaatengemeinschaft zu realisieren.

Der Autor ist Geschäftsführer desDiözesanen Ethikrates im ErzbistumPaderborn.Die Kolumne erscheint in Koopera-tion mit der Katholischen Sozialwis-senschaftlichen Zentralstelle in Mön-chengladbach.

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MarktüberblickDAX UNTER EINFLUSS DES HAN-DELSSTREITSAm vergangenen Freitag hatte derDeutsche Aktienindex die Handelswo-che mit einem Minus von 0,2 Prozentbeendet. Bei einem Endstand von12.210 Punkten wurde deutlich, dass dieAnleger weiterhin durch die Währungs-krise in der Türkei stark verunsichertsind. Der Kurs der türkischen Lira fielzwischenzeitlich um bis zu 8 Prozent.Somit war die Erholung der Lira in dervergangenen Woche nur von kurzerDauer. Auch in dieser Handelswoche istdie Türkei ein wichtiges Thema für dieAnleger, neben dem anstehenden Tref-fen der Handelsberater der EU und derUSA. Thema des Treffens ist die Um-setzung der Vereinbarung zur Beilegungdes Handelsstreits zwischen beidenLändern. EU-KommissionschefJuncker gelang es Ende Juli doch noch,den US-Präsidenten von seinem hartenKurs gegen die EU abzubringen. Jetztgeht es darum, die Vereinbarung zur L

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Dow Jones Industrials (DJIA)seit Jahresbeginn: +3,01%Jahresende: 24.719 Aktuell: 25.462(03.08.2018 / Börsenschluss)

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