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Standpunkt Biotechunternehmen werden teuer gehandelt Strategie Die digitale Revolution: Wer bekommt die Filetstücke? Recht und Steuern Joint Ventures in der Vertragsgestaltung Recht und Steuern Kartellrechtliche Leitplanken für Gemeinschaftsunternehmen Recht und Steuern Außenwirtschaftliche Prüfverfah- ren in den EU-Mitgliedstaaten Bewertung und Kapitalmärkte Implizite Eigenkapitalkosten in der DACH-Region: Führen gesunkene implizite Eigenkapitalkosten zu höheren Bewertungsniveaus? Bewertung und Kapitalmärkte Underpricing – Erklärungsansätze für den deutschen Kapitalmarkt – 2. Teil Deal des Monats Biotest-Übernahme durch Creat von US-Behörden genehmigt Strategie Joint-Venture-Strategien zum Aufbau digitaler Plattformen 29. Jahrgang 3/2018 Publikationsorgan www.ma-review.de

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StandpunktBiotechunternehmen werden teuer gehandelt

StrategieDie digitale Revolution: Wer bekommt die Filetstücke?

Recht und SteuernJoint Ventures in der Vertragsgestaltung

Recht und SteuernKartellrechtliche Leitplanken für Gemeinschaftsunternehmen

Recht und SteuernAußenwirtschaftliche Prüfverfah-ren in den EU-Mitgliedstaaten

Bewertung und KapitalmärkteImplizite Eigenkapitalkosten in der DACH-Region: Führen gesunkene implizite Eigenkapitalkosten zu höheren Bewertungsniveaus?

Bewertung und KapitalmärkteUnderpricing – Erklärungsansätze für den deutschen Kapitalmarkt – 2. Teil

Deal des MonatsBiotest-Übernahme durch Creat von US-Behörden genehmigt

Strategie

Joint-Venture-Strategien zum Aufbau digitaler Plattformen

29. Jahrgang 3/2018

Publikationsorganwww.ma-review.de

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EDITORIAL

I29. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

Publikationsorgan Verlag

Über die letzten Wochen hinweg wurden wir täglich in den Medien über den Stand der GroKo von CDU/CSU und SPD informiert. Die Basis für die Zusammenarbeit in den kom-menden Jahren soll dabei der aus-gehandelte Koalitionsvertrag sein. Man mag zur GroKo stehen, wie man will: Dieser Vertrag ist ein not-wendiges Kernelement für die ge-meinsamen Aktivitäten der beiden Partner auf Zeit. Aber nicht nur im politischen, sondern auch im wirt-schaftlichen Umfeld spielen Koope-rationsverträge eine immer größere Rolle, um erfolgreich am Markt be-stehen beziehungsweise Markt und Wettbewerb bestimmen zu können. Stichwort: Joint Venture. Die Ge -stal tung von Vertragswerken und strategischen Fragen bei Gemein-schaftsunternehmen ist denn auch der Schwerpunkt dieser Ausgabe von M&A Review.

Mit Joint-Venture-Strategien zum Aufbau digitaler Plattformen befasst sich Prof. Dr. Philipp Haberstock in der Rubrik Strategie. Digitale Platt-formen, auf denen Dienste ange-boten und die Wertschöpfung neu verteilt werden, bestimmen bereits in manchen Branchen Markt und Wettbewerb. Der Autor präsentiert anhand von Praxisfällen einen Über-blick über die Funktionsweise sol-cher Plattformen und veranschau-licht, welche strategischen Optionen Gemeinschaftsunternehmen für de-ren Aufbau bieten (S. 58–66). Stefan Pechardscheck und Maximi-lian Görgner gehen in ihrem Beitrag

mit dem Titel „Die digitale Revo lu-tion: Wer bekommt die Filetstücke?“ unter anderem der Frage nach, wel-che Veränderungen die digitale Re-volution in Bezug auf Regeln von Partnerschaften, Joint Ventures und M&A mit sich bringt – und zwar auch jenseits rein technologischer Überlegungen (S. 67–73).

Die Vertragsgestaltung von Joint Ventures aus der praktischen Per s-pektive beschreibt Prof. Dr. Stephan Göthel in seinem Beitrag in der Rubrik Recht und Steuern. Hier werden die elementaren Themen, die in einem Joint-Venture-Vertrag behandelt sein sollten, nochmals in anschaulicher Weise aufgezeigt (S. 74–78). Abgesehen von der kon-kreten Ausgestaltung und Aufgabe eines Gemeinschaftsunternehmens wird diese Gesellschaftsform immer von kartellrechtlichen Frage stel-lungen be gleitet. Welche Leit plan-ken es hier bei einzuhalten gilt, zeigt Daniel von Brevern anhand un-terschied licher Fallbeispiele (S. 79–83).

Das Außenwirtschaftsrecht ist in letzter Zeit im internationalen M&A-Kontext zunehmend in den Fokus gerückt. Die unterschiedlichen au-ßen wirtschaftlichen Prüfverfahren in den EU-Mitgliedstaaten sind in der aktuellen Ausgabe Kernpunkt des Beitrags von Dr. Klaus Riehmer und Dr. Stefan Glasmacher, wobei sich die Darstellung auf die Mit-gliedstaaten mit besonders hohem M&A-Aufkommen konzentriert (S. 84– 88).

In der Rubrik Bewertung und Kapi-tal märkte beschäftigen sich Dr. Christian Büchelhofer und Marion Swoboda-Brachvogel mit den implizi-ten Eigenkapitalkosten in der DACH-Region. Unternehmenslenkern ge-ben sie durch einen entsprechenden Vergleich mit Marktdaten eine Orien-tierungshilfe bei der Ermittlung von Kapitalkosten (S. 90–97) Dr. Markus Hofmaier, Tobias Winter-hal ter und Prof. Dr. Florian Wiede-mann widmen sich zu guter Letzt dem Phänomen Underpricing im Kon text von Börsengängen. In die-ser Ausgabe versuchen die Auto-ren, Erklärungsansätze für den deut-schen Kapitalmarkt zu finden (S. 98–105).

Viel Spaß bei der aktuellen Ausga-be!

Ihr Stefan [email protected]

Gemeinsam neue Werte schaffenSchwungvoll

bleiben

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INHALT

II M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

Editorial I

Gemeinsam neue Werte schaffenStefan Schneider

M&A aktuell IV

Deal des MonatsDas aktuelle Stichwort

Standpunkt VI

Biotechunternehmen werden teuer gehandeltFalk Müller-Veerse

Strategie 58

Joint-Venture-Strategien zum Aufbau digitaler Plattformen

Prof. Dr. Philipp Haberstock, International School of Management und

Steinbeis Consulting Mergers & Acquisitions GmbH

Strategie 67

Die digitale Revolution: Wer bekommt die Filetstücke?

Stefan Pechardscheck & Maximilian Görgner, BearingPoint GmbH

Recht und Steuern 74

Joint Ventures in der Vertragsgestaltung

Prof. Dr. Stephan R. Göthel, LL.M. (Cornell), Pier11, und BSP Business School Berlin

Recht und Steuern 79

Kartellrechtliche Leitplanken für Gemeinschaftsunternehmen

Daniel von Brevern, McDermott Will & Emery

Recht und Steuern 84

Außenwirtschaftliche Prüfverfahren in den EU-Mitgliedstaaten

Dr. Klaus Riehmer & Dr. Stefan Glasmacher, Mayer Brown

Bewertung und Kapitalmärkte 90

Implizite Eigenkapitalkosten in der DACH-Region: Führen gesunkene implizite Eigenkapitalkosten

zu höheren Bewertungsniveaus?

Dr. Christian Büchelhofer & Marion Swoboda-Brachvogel (MSc), ValueTrust Financial Advisors SE

Bewertung und Kapitalmärkte 98

Underpricing – Erklärungsansätze für den deutschen Kapitalmarkt – 2. Teil

Dr. Markus Hofmaier, FOM München, Tobias Winterhalter, HypoVereinsbank/UniCredit Bank AG

& Prof. Dr. Florian Wiedemann, FOM München

REPORTS

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ANZEIGE

M&A Events VIIIVeranstaltungen im Überblick

Personalia IXJobwechsel, Köpfe, News

Bundesverband M&A XAktuelles, Mitglieder, Events

Vorschau, Impressum XII

Prof. Dr. Philipp Haberstock

58 Joint-Venture-Strategien zum Aufbau digitaler PlattformenImmer größere Teile der Wirtschaft werden von klassischen „Pipeline-Märkten“ zu „Plattform-Märkten“ trans-formiert. Sieben der acht wertvollsten Unternehmen der Welt verdanken einen Großteil ihres Marktwerts digita-len Plattformen, und die Dominanz der Plattformen nimmt kontinuierlich zu. Zum Aufbau digitaler Plattformen bedarf es strategischer Partner und einer klaren Joint-Venture-Strategie. Insbesondere im B2B-Bereich existieren bereits zahlreiche Joint-Venture-Konsortien. Beim Aufbau von Joint-Venture-Plattformen verlagert sich der stra-tegische Schwerpunkt im Vergleich zur klassischen Herangehensweise: vom Kontrollieren zum Organisieren von Ressourcen, vom Optimieren interner Prozesse zum Ermöglichen externer Interaktionen und vom Steigern des Kundenwerts hin zum Maximieren des Werts des Ökosystems. Bei der betriebswirtschaftlichen Ausgestaltung von Joint-Venture-Plattformen kehren sich die Unternehmen von innen nach außen, wenn sie wertschöpfende Tätigkeiten außerhalb ihres direkten Einflussbereichs ansiedeln. Joint-Venture-Plattformen erfordern einen neuen Führungsstil und eine Umstellung auf die neuen Regeln der Plattformökonomie.

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M&A AKTUELL • DEAL DES MONATS

IV M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

,

DEAL DES MONATS

HNA reduziert Anteil an Deutscher Bank Die HNA Group hat ihre Beteiligung an der Deutschen Bank von 9,9% auf 9,2% reduziert. Wie aus einer Stimmrechtsmitteilung vom 9. Februar hervorgeht, hält der Mischkonzern aus Hainan direkt noch 4,3% und über Finanzderivate weitere 4,9%. Ein Sprecher der österreichischen HNA-Tochter C-Quadrat, über die HNA die Anteile ursprünglich erworben hat, erklärte, dass HNA ein langfristiger Großinvestor der Deutschen Bank bleiben werde. Es könne aber aufgrund von An-passungen der Finanzierungsstruktur künftig weiterhin zu Schwankungen des Stimmrechtsanteils kommen. HNA ist nach wie vor größter Anteilseigner der Deut-schen Bank. Das südchinesische Konglomerat, das in den vergangenen Jahren auf internationaler Einkaufs-tour war, ist in jüngster Zeit ins Visier der chinesischen Regulierungsbehörden geraten und sieht sich nun ge-zwungen, sein überwiegend kreditfinanziertes Aus-lands engagement zurückzufahren. HNA hatte vergan-genen Monat seine Gläubiger über einen möglichen Liquiditätsengpass von mindestens 2,4 Mrd. USD infor-miert. Der Konzern plant daher, seine Immobilien in den USA mit einem geschätzten Wert von 4 Mrd. USD zu verkaufen. HNA und C-Quadrat betonten bisher aber stets, dass die Beteiligung an der Deutschen Bank zu den Kerninvestments zähle und nicht zur Disposition stehe.

http://ma-rev.de/UiTE0G

Biotest-Übernahme durch Creat von US-Behörden genehmigt

Die Pekinger Beteiligungsgesellschaft Creat hat von den US-Behörden grünes Licht für die Akquisition der Biotest AG erhalten. Das meldet der Dreieicher Bio-therapeutikaspezialist in einer Ad-hoc-Mitteilung. Demnach hat das Committee on Foreign Investment in the United States (CFIUS) die außenwirtschaftliche Freigabe für die Übernahme erteilt. Voraussetzung hier-für war der Verkauf der Tochtergesellschaften von Biotest in den USA, den die Deutschen bereits unter Dach und Fach gebracht haben. Die Amerikaner hatten gegen das öffentliche Übernahmeangebot aus China zunächst nationale Sicherheitsbedenken vorgebracht (vgl.auch MAR 2017-12). Nach zehn Monaten kann jetzt die Transaktion abgeschlossen werden.Nach der CFIUS-Freigabe kann nun Creat über ihre für die Transaktion gegründete deutsche Tochter Tiancheng Pharmaceutical Holdings AG jede angediente Biotest- Stammaktie für 28,50 EUR und jede angediente Vorzugsaktie für 19,00 EUR erwerben. Der Kauf sämt-licher Anteile hat einen Gesamtwert von 940 Mio. EUR. Laut ursprünglichen Plänen bei Bekanntgabe des

Übernahmeangebots im März vergangenen Jahres ist vorgesehen, dass der Käufer weitere 360 Mio. EUR an Nettofinanzverschuldung und Pensionsrückstellungen übernimmt. Damit hätte der Deal ein Volumen von ins-gesamt 1,3 Mrd. EUR. Inwieweit sich dieser Betrag durch den Verkauf der US-Töchter von Biotest redu-ziert, ist noch offen.Die US-Behörde ist nicht das erste Mal bei einem chine-sisch-deutschen Deal aktiv geworden. Ende 2016 ver-hinderte CFIUS sogar die Übernahme von Aixtron durch Fujian Grand Chip Investment. Nachdem das Komitee Sicherheitsbedenken geäußert hatte, verhinderte der damalige US-Präsident Barack Obama durch sein Veto den Verkauf für die US-Niederlassung. Der chinesische Investor zog danach sein Angebot zurück. Auch die deutsche Regierung steht Übernahmen aus China neu-erdings kritischer gegenüber. Das Bundes wirtschafts-ministerium prüft derzeit ebenfalls aus Sicherheits-grün den den Erwerb des Airbus-Zulieferers Cotesa durch die China Iron & Steel Research Institute Group.

http://ma-rev.de/AYXx04

Linde erwartet höhere Auflagen bei Praxair-MergerAus den bisherigen Gesprächen mit verschiedenen Wettbewerbsbehörden geht hervor, dass eine fusions-kontrollrechtliche Freigabe des Zusammenschlusses zwischen Linde AG und Praxair, Inc, mit höheren An-forderungen verbunden ist, als bisher angenommen. Wie Linde in einer Mitteilung verlautbart, sollen die im Business-Combination-Agreement zwischen den bei-den Unternehmen vereinbarten Umsatz- und EBITDA-Obergrenzen für Veräußerungszusagen jedoch nicht überschritten werden. Die Partner gehen davon aus, dass ein vertieftes Prüfungsverfahren, das sogenannte Phase-II-Verfahren, durch die Europäische Kommission eingeleitet wird. Dies sei bei komplexen Unter neh-menszusammenschlüssen wie diesem nicht unüblich. Bei Einleitung eines Phase-II-Verfahrens entscheidet die Kommission grundsätzlich innerhalb einer Frist von 90 Arbeitstagen über die Freigabe des Zusammen-schlusses. Linde und Praxair wollen unverändert an dem geplanten Merger festhalten. Der Vollzug des Zusammenschlusses soll in der zweiten Jahreshälfte 2018 erfolgen.

http://ma-rev.de/prHKNC

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DAS AKTUELLE STICHWORT • M&A AKTUELL

V29. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

DAS AKTUELLE STICHWORTPfadbruch – M&A als Wege aus der Verriegelung?

Univ. Prof.in Dr.in Elke Schüßler Institutsvorständin Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Organisation

Hilfe von außen nötig, um etablierte Pfade zu brechen. Der letzte Ausweg, um wieder Handlungsfähigkeit her-zustellen, kann manchmal nur ein Insolvenzverfahren sein. M&As gelten als der vielversprechendere Weg. Das US-amerikanische Forscherteam Samina Karim und Will Mitchell hat in einer Langzeitstudie im Gesundheits-sektor herausgefunden, dass dort Akquisitionen das zentrale Mittel der radikalen Neuausrichtung von Ressourcen und Geschäftsmodellen waren. Gleich-zeitig sind Pfadabhängigkeiten jedoch ein nicht zu vernachlässigender Störfaktor für den langfristigen Erfolg von M&A. Vorhandene Pfade lösen sich nicht einfach auf, bloß weil sie mit anderen Pfaden zusam-mentreffen. Auch hier ist ein bewusstes Pfadmonitoring sowie ein dezidiertes Change-Management nötig – gerade dann, wenn der M&A-Prozess bestehende Pfade brechen soll.

Das besondere Merkmal pfadabhängi-ger Entwicklungen, wie sie im letzten

Stichwort beschrieben wurden, liegt darin, dass posi-tive Rückkopplungen ein Abweichen von bewährten Handlungsmustern in Unternehmen nahezu unmög-lich machen. Der Aufbau Erfolg versprechender Kern-kompetenzen geht beispielsweise mit finanziellen Investitionen in Technologien oder dem Aufbau spe-zieller Routinen und Praktiken einher. Diese lassen sich bei einem Wandel von Umweltbedingungen nicht ein-fach über Bord werfen. Eine strategische Verriegelung kann durch ein aktives Monitoring der Treiber aktueller Erfolgspfade vermieden werden. Dabei gilt es, alterna-tive Handlungsmuster diskursiv immer wieder ins Spiel zu bringen oder auch budgetär vorzuhalten und Pfade regelmäßig zu modifizieren. Ist eine Verriegelung je-doch eingetreten, ist häufig ein externer Schock oder

Kion beteiligt sich an chinesischem Fahrzeug-spezialisten

Die Kion Group erwirbt einen Minderheitsanteil an EP Equipment aus Anji in der ostchinesischen Provinz Zhejiang. Mit der Transaktion soll laut einer Meldung des Wiesbadener Gabelstaplerherstellers an dem An-bieter für Lagertechnikgeräte im Niedrigpreissegment eine exklusive strategische Partnerschaft begründet werden. Kion, dessen Hauptaktionär der chinesische Dieselmotorenhersteller Weichai ist, möchte zusammen mit EP Equipment neue Produkte entwickeln und Synergien im Bereich der Lieferketten heben. Über die konkrete Höhe des Anteils und des Preises wurde nichts verlautbart. Das Closing der Transaktion soll im Laufe des Jahres vollzogen werden.

http://ma-rev.de/QRQytg

EnBW investiert in Offshore-Projekte in TaiwanDie EnBW Energie Baden-Württemberg AG baut den Geschäftsbereich Erneuerbare Energien aus und nimmt jetzt erstmals auch außereuropäische Märkte für Offshore-Windkraft ins Visier. Gemeinsam mit dem australischen Investor Macquarie Capital und dem

taiwanesischen Projektentwicklungsunternehmen Swancor Renewable wird das Unternehmen künftig die Entwicklung von drei Offshore-Windprojekten in Taiwan weiter vorantreiben. Hierzu hat die EnBW Ge-sellschaftsanteile von je 37,5% an drei Projekt ent wick-lungsgesellschaften mit einem Zubaupotenzial von rund 2.000 Megawatt in Taiwan erworben. Der Erwerb steht unter dem Vorbehalt der Zustimmung der zu-ständigen Kartellbehörde.

http://ma-rev.de/Prnyk3

KPMG übernimmt KI-Spezialisten KIANADie KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hat den Data Science-Spezialisten KIANA Systems GmbH vollständig übernommen und integriert diesen ins Unternehmen. Das 2001 gegründete Spin-off des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelli-genz (DFKI) ist ein Beratungsunternehmen mit Schwer-punkten in den Bereichen Data Mining, Big Data Analytics, Machine Learning/Artificial Intelligence und Forschung. KPMG hatte sich in einem ersten Schritt im Mai 2017 bereits mit 33% an KIANA beteiligt.

http://ma-rev.de/jgust7

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STANDPUNKT

VI M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

In der Pharmabranche ist das Übernahmefieber ausgebrochen. Gerade erst machten Ende Januar dieses Jahres zwei große Biotech-Deals von sich reden: Die franzö-sische Sanofi kündigte an, den US-Hämophilie-Experten Bioverativ für 11,6 Mrd. USD zu kaufen. Der US-amerikanische Biotechkonzern Cel-gene schlug bei Juno Therapeutics zu und übernahm für 9 Mrd. USD über 90% an dem Krebs spezialisten. Zuvor hielt Celgene bereits ein Paket von 9,7% an Juno und bot den Aktionären nun 87 USD je Aktie – ein Aufschlag von mehr als 28% zum Schlusskurs vor Deal-Bekannt-gabe.

Bereits im letzten Jahr waren Bio tech-unternehmen begehrte Über nah -meobjekte. Und mit 54% Aufschlag auf den Börsenkurs einen Monat vor Übernahme-Bekanntgabe erzielten sie schon in den ersten neun Mo-naten 2017 weltweit die höchsten Übernahmeprämien – noch klar über dem bereits beachtlichen Fünf-jahresdurchschnitt von 45%. Das er gab eine Analyse unserer Health-care-Spezialisten, die 1.040 weltwei-te M&A-Transaktionen untersucht hatten, die in den ersten neun Mo-naten 2017 im Healthcare-Bereich stattfanden: 132 Zukäufe von Bio-techunternehmen, 219 von Pharma-firmen und 689 im Bereich Medi-zintechnik. Mit vergleichsweise nied-rigen 21% Aufpreis auf den jewei-ligen Börsenkurs einen Monat vor

Biotechunternehmen werden teuer gehandelt

Bekanntgabe der Übernahmepläne waren Pharma-Unternehmen um 33 Prozentpunkte preiswerter zu ha-ben als Biotechfirmen. Für Medizin-technikunternehmen indes zahlten die Käufer ebenfalls deutliche Preis-aufschläge von 44%.

Zwar gab es 2017 nur wenige große Deals und Übernahmen wie die der Schweizer Actelion und der US-ame-ri kanischen Kite waren Ausnahmen, aber es gab eine Vielzahl kleinerer Transaktionen und die Zukäufe werden zunehmend teurer. Das ist keineswegs überraschend, denn Bio techunternehmen bekommen zunehmend Zulassungen für Medi-kamentenkandidaten, die einen The ra piedurchbruch darstellen – und das ist genau die Art von Produkten, die die großen Pharmaunternehmen für ihre eigene Pipeline brauchen. Bei Big Pharma laufen mehr Patente ab als an neuen Zulassungen hinzu-kommt, ihre Pipelines an neuen Wirk stoffen sind inzwischen vielfach dünn geworden. Somit könnten sich in den kommenden Monaten auch bisher weniger M&A-aktive Pharma-hersteller nach Zukaufsmöglichkei-ten umsehen.

Absehbar werden die M&A-Ak-tivi täten in diesem Bereich 2018 weiter zunehmen, nicht zuletzt an-gesichts der zunehmenden Kon-zen tration der großen Pharma-firmen auf wenige strategische Geschäfts felder. Hinzu kommt der

Trend zur Digita lisierung des Ge-sund heits wesens, auch wenn der gesamte Gesund heitssektor nur unzureichend auf die drohenden Gefahren von Cyber-Attacken vor-bereitet ist.

Vor allem amerikanische Unterneh-men dürften im Zuge der US-Steuer-reform zunehmend Kauflust zeigen. Zudem versprechen neue Therapie-formen neue Wachstums möglich-keiten: Hier spielt aktuell die Immun-onkologie eine große Rolle, in die-sem Bereich werden für dieses Jahr zahlreiche neue Studienergebnisse erwartet. Als besonders attraktiv gelten zudem Unternehmen, die die neuen transformativen Therapie-Ansätze wie mRNA, CAR-T und Mikrobiom verfolgen; die rund 12 Mrd. USD teure Übernahme des CAR-T Zellspezialisten Kite Pharma durch Gilead ist dafür ein gutes Beispiel.

Nicht zuletzt zeigt dieser Fall auch, dass inzwischen mit Amgen, Biogen oder eben Gilead und anderen reife, gewinnstarke Biotechunternehmen entstanden sind, die ebenfalls teil-nehmen an der Jagd nach lukrativen Übernahmezielen. Die Preisspirale könnte sich auch vor diesem Hinter-grund noch eine Weile weiterdre-hen.

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21-22 MARCH 2018 INTERCONTINENTAL HOTEL, DÜSSELDORF

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58 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • STRATEGIE

1. Einleitung

Unternehmen wie Uber oder Airbnb, die Produzen-ten und Konsumenten zusammenbringen, gewinnen schnell Marktanteile, indem sie nicht nur Produkte „smarter“ gestalten, sondern Märkte und Wettbewerb in den jeweiligen Branchen grundlegend strukturell ver-ändern. Die neuen Marktstrukturen werden maßgeblich durch digitale Plattformen bestimmt, auf denen Dienste angeboten und die Wertschöpfung neu verteilt wer-den.1 Wollen deutsche Unternehmen nicht nur ihre Zukunftsfähigkeit sichern, sondern sich als Gewinner und Vorreiter der industriellen Wertschöpfung etablie-ren, müssen sie die neuen Strategieregeln der Platt-formökonomie lernen und selbst digitale Plattformen aufbauen und betreiben. Dies erfolgt selten unab-hängig, sondern in der Regel in Konsortien mit Hilfe von Joint-Venture-Strategien.

2. Von der Pipeline zur Plattform

Plattformen sind nichts Neues: So bringen zum Beispiel Einkaufszentren Konsumenten und Händler zusammen; Zeitungen verbinden Abonnenten und Werbetreibende. Im 21. Jahrhundert sind jedoch aufgrund modernster Informationstechnologie deutlich weniger physische Infrastruktur und Vermögenswerte erforderlich. Die IT macht es einfacher und günstiger, Plattformen auf-zubauen, und steigert die Fähigkeit, sehr große Daten-mengen zu erfassen, zu analysieren und auszutauschen, so dass Plattformen für alle Beteiligten einen Mehrwert darstellen.2

Die Beschäftigung mit Plattformen ist in den letzten Jahren um entscheidende Aspekte erweitert worden. Im Zentrum steht dabei die Beobachtung, dass immer mehr Märkte „zweiseitig“ funktionieren. „Two-Sided Markets“ wurden erstmals von Jean Tirole und Jean Charles Rochet in ihrem Aufsatz aus dem Jahr 2005

1 Vgl. Baums et al.: Vorwort; in Baums et al. (Hg.): Kompendium Industrie 4.0, Berlin 2015, S. 7.

2 Vgl. van Alstyne et al.: Plattform statt Pipeline, in: Harvard Business Review, Nr. 6, 2016, S. 25.

Joint-Venture-Strategien zum Aufbau digitaler Plattformen

Prof. Dr. Philipp Haberstock, International School of Management, Hamburg, und Steinbeis Consulting Mergers & Acquisitions GmbH

intensiv untersucht, der 2014 Hauptgrund für das Nobel preis-Komitee war, Jean Tirole mit dem Nobel-preis für Wirtschaftswissenschaften zu ehren.3 „Two-Sided Markets“ werden als Märkte definiert, in denen mindestens eine Plattform zwei Kundengruppen mitein-ander verbindet und für diese Leistung beide Seiten bezahlen. In Zeiten der Digitalisierung rücken digitale Plattformen in das Zentrum von Marktstruktu ren und verdrängen zusehends klassische einseitige Märkte. Diese digitalen Plattformen können definiert werden als Produkte, Dienstleistungen oder Tech no logien, die als Basis für eine Vielzahl von Firmen dienen, um komple-mentäre Produkte, Dienste und Technolo gien anzu-bieten.4

Immer größere Teile der Wirtschaft werden von klassi-schen „Pipeline-Märkten“ zu „Plattform-Märkten“ trans-formiert. Digitale Plattformen unterscheiden sich von den konventionellen Pipeline-Unternehmen, welche die Wirtschaft über Jahrzehnte geprägt haben. Pipeline-Unternehmen schaffen einen Mehrwert, indem sie eine lineare Abfolge von Aktivitäten kontrollieren; dies ist das klassische Modell der Wertschöpfungskette. An de-ren Beginn stehen Einsatzgüter, die in mehreren Stufen zu einem wertvolleren Endprodukt verarbeitet werden. Die Werte fließen durch die Wertschöpfungskette wie Wasser durch ein Rohr (Pipe). So funktioniert zum Beispiel Apples Hardware-Handygeschäft nach diesem Prinzip und folgt damit einem konventionellen Pipeline-Ansatz. In Verbindung mit dem AppStore, dem Markt-platz, der die iPhone-Besitzer mit App-Entwicklern zusammenbringt, ergibt sich aber eine Plattform. Ins-besondere in den letzten Jahren entwickelt sich zu-dem ein Trend, dass vorhandene Plattformen auf immer neue Industriezweige ausgeweitet werden, wie zum Beispiel die Nutzung der ursprünglich für Smartphones entwickelten Plattformen im Bereich der Content-Industrie und die Integration in Auto-Entertainment-Systeme.

3 Vgl. Rochet/Tirole: Two-Sided Markets: A Progress Report, Toulouse 2005.4 Vgl. Baums: Analyse – Was sind digitale Plattformen? in: Baums et al. (Hg.): Kompendium

Industrie 4.0, Berlin 2015, S. 13-25, S. 15.

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5929. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

STRATEGIE • REPORT

So unterschiedlich digitale Plattformen auch sein mö-gen, sie basieren alle auf einem Ökosystem, das wie in Abb. 1 dargestellt vier Arten von Akteuren umfasst: Die Eigentümer bzw. Plattformbetreiber kontrollieren das geistige Eigentum und steuern die Plattform; die Anbieter bilden die Schnittstelle zu den Nutzern; die Produzenten schaffen Angebote und die Konsumenten nutzen diese Angebote.5

Plattformbetreiber stellen den Kern einer technischen Infrastruktur zur Verfügung (z.B. ein Betriebssystem wie Android oder iOS bei Mobiltelefonen) und stehen im Mittelpunkt eines digitalen Ökosystems, wie das folgende Mobilfunk-Beispiel zeigt:

Die fünf führenden Handyhersteller – Nokia, Samsung, Motorola, Sony Ericsson und LG – vereinten 2007 welt-weit 90% des Branchengewinns auf sich. Dann trat Apple mit dem iPhone in den Mobilfunkmarkt ein, gewann schnell Marktanteile und war 2015 allein für 92% des weltweiten Branchengewinns verantwortlich. Von den anderen fünf Handyproduzenten erzielte bis auf eine Ausnahme keiner mehr einen Gewinn, obwohl ihnen die folgenden strategischen Vorteile hätten Schutz bieten müssen: eine klare Produktdifferenzierung, bewährte Marken, führende Betriebssysteme, profes-sionelle Logistik, schützende Regulierungsvorschriften, große Forschungs- und Entwicklungsbudgets und deutliche Größenvorteile. Apple hat die etablierten Wettbewer ber mit der Kraft von Plattformen besiegt und nutzte die neuen Strategien und Regeln der

5 Vgl. van Alstyne et al.: Plattform statt Pipeline, in: Harvard Business Review, Nr. 6, 2016, S. 25.

Plattformökonomie: so war das iPhone nicht nur als ein Produkt oder Dienst leis tungsinstrument konzipiert, sondern eröff nete die Möglichkeit, die Teilnehmer von zweiseitigen Märkten – App-Entwickler und App-Nutzer – zusam menzu bringen und beiden Gruppen einen Mehrwert zu bieten. Je größer die beiden Gruppen wurden, desto größer wurde der Wert der Plattform.6

3. Die Macht der Plattformökonomie

Sieben der acht wertvollsten Unternehmen der Welt – Apple, Alphabet, Microsoft, Amazon, Tencent, Facebook und Alibaba – verdanken einen Großteil ihres Markt-werts digitalen Plattformen, und insgesamt nimmt die Börsendominanz der Plattformen kontinuierlich zu (s. Abb. 2).7 Viele Plattformbetreiber sind wertvoller als Unternehmen derselben Branche, die nur Produkte oder Dienstleistungen anbieten. So hat zum Beispiel das Mitwohnportal Airbnb einen höheren Marktwert als die weltgrößte Hotelkette Marriott.8 Anders als her-kömmliche Hotelketten besitzt und verwaltet Airbnb keine Gebäude, sondern bietet über seine Plattform le-diglich Übernachtungsmöglichkeiten an.9 In ähnlicher Weise besitzt Uber, das weltgrößte Taxi-Unternehmen, keine Autos. Alibaba, das wertvollste Handelsunter-nehmen, unterhält kein Lager, und Facebook, das wich-tigste soziale Netzwerk, erzeugt keine Inhalte.

6 Vgl. van Alstyne et al.: Plattform statt Pipeline, in: Harvard Business Review, Nr. 6, 2016, S. 24.

7 Vgl. Parsons et al.: Fair Play in der digitalen Welt, Berlin 2016, S. 12 ff.8 Vgl. Hagiu/Altman: Eignet sich ihr Produkt für eine Plattformstrategie? in: Harvard

Business Manager, Nr. 12, 2017, S. 80-88, S. 82.9 Vgl. Kavadias et al.: Das transformative Geschäftsmodell, in: Harvard Business Manager,

Nr. 4, 2017, S. 73-81, S. 74.

Abb. 1 • Die Akteure eines Plattform-ÖkosystemsQuelle: van Alstyne et al.: Plattform statt Pipeline, in: Harvard Business Review, Nr. 6, 2016, S. 24.

Anbieter Schnittstellen der Plattform

(Mobilfunkgeräte sind Anbietervon Android)

Eigentümer Inhaber der geistigen Eigentums-

rechte und Entscheider überZugangs- und Nutzungsrechte

(Google ist Eigentümervon Android)

ProduzentenUrheber der Plattform-angebote (zum Beispiel

Apps auf Android)

KonsumentenKäufer oder Nutzer des

Angebots

Wert, Datenaustauschund Feedback

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60 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • STRATEGIE

Bereits 10% des Welt-Bruttoinlandsprodukts wurden von der klassischen Wirtschaft auf Plattformen verla-gert. In den kommenden drei bis vier Jahren könnte dieser Anteil laut aktueller Studien auf 30 bis 40% steigen.10

Der Plattform-Index der 15 besten Plattform-Aktien hat in diesem Jahr schon 16,5% an Wert gewonnen und die ebenfalls auf Allzeithochs notierenden Indizes Dow Jones und Nasdaq deutlich übertroffen (vgl. Abb. 3).

10 Vgl. Schmidt: Plattform Monopoly, in: Handelsblatt Nr. 21 vom 30.01.2018, S. 27.

Die Auswertung fällt für Deutschland insbesondere in den Konsumentenmärkten ernüchternd aus: Unter den 50 größten Plattformen der Welt befinden sich nur zwei deutsche Unternehmen; es dominieren die USA und zunehmend auch China (vgl. Abb. 4).11

Die Weltwirtschaft konzentriert sich um wenige digita-le Supermächte und es entsteht eine „Winner-Take-All-Welt“, in der eine kleine Zahl kommerzieller Plattform-Unternehmen zentrale Positionen besetzt und das

11 In Anlehnung an Evans/Gawer: The Rise of the Platform Enterprise, New York, USA 2016, S. 10 ff.; vgl. auch Parker et al.: Die Plattform-Revolution; Frechen 2017, S. 16.

Abb. 2 • Die 10 wertvollsten Unternehmen der Welt – Dominanz der PlattformökonomieQuelle: Schmidt/Hosseini: Plattform-Newsletter 7, Februar 2018

Börsenwerte in Mrd. USD

Microsoft (272)

1998 2008 2018

IBM (121)

Wal-Mart (123)

Coca-Cola (142)

Intel (144)

Pfizer (148)

Merck (155)

Royal Dutch Shell (154)

Royal Dutch Shell (220)

Exxon Mobil (172)

Exxon Mobil (453)

P&G (216)

ICBC (227)

AT&T (231)

Microsoft (264)

JP Morgan (391)

J&J (392)

Alibaba (481)

Berkshire H. (519)

Facebook (521)

Tencent (541)

Amazon (629)

Alphabet (782)

Apple (919)

Microsoft (691)

China Mobile (298)

Gazprom (300)

PetroChina (424)GE (259)

GE (370)

Plattformen Lineares Geschäftsmodell

Abb. 3 • Plattform-Index 15 im Vergleich zu Dax 30, Dow Jones und Nasdaq CompositeQuelle: Plattform-Index.com, Februar 2018

1.800

1.600

1.400

1.200

1.000

2016 2017 2018

Dax30

DowJones

Nasdaq

Plattform-Index

29 36 43 50 05 12 19 26 33 40 47 02

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6129. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

STRATEGIE • REPORT

Entstehen neuer Monopole fördert. Im traditionellen Produkt- und Dienstleistungsgeschäft flacht die Wert-schöpfungskurve aufgrund sinkender Skalenerträge mit steigender Anzahl der Konsumenten meist ab, da ein Unternehmen ab einem bestimmten Effizienz-maximum aus weiteren Kunden keinen besonderen Nutzen mehr zieht (vgl. Abb. 5). Plattform-Unterneh-men werden hingegen meist umso wertvoller, je mehr Menschen und Firmen sie nutzen, über sie kommuni-zieren und Netzwerkeffekte entstehen lassen.12

12 Vgl. Iansiti/Lakhani: Die neuen Monopole; in: Harvard Business Manager, Nr. 1, 2018, S. 55-64, S. 56 ff.

So sorgen beispielsweise Softwareplattformen wie Android oder iOS, die steigende Skalenerträge aufwei-sen, für eine zunehmende Anzahl verfügbarer Apps und damit für einen wachsenden Wert für den Kon-sumenten. Gleichzeitig nimmt der Wert für den App-Entwickler mit der wachsenden Zahl an Nutzern zu. Je mehr Konsumenten existieren, desto größer wird der Anreiz für den Entwickler, neue Apps zu konzipieren, und je mehr Apps es gibt, desto motivierter sind die Konsumenten, ihre digitalen Geräte zu nutzen.13

13 Vgl. Iansiti/Lakhani: Die neuen Monopole; in: Harvard Business Manager, Nr. 1, 2018, S. 55-64, S. 62.

Abb. 4 • Die 60 wertvollsten Plattformen nach Börsenwert und Region (in Mrd. USD, Stand 1.1.2018)Quelle: Schmidt: https://netzoekonom.de/vortraege/

Uber(48)

Pinterest(12)

Ebay (39)

Twitter(18)

Salesforce(74)

WeWork(21)

Airbnb(31)

Priceline(85)

Intuit(40)

Square(13)

Stripe(9)

Dropbox(10)

Lyft(12)

Instacart (3)Houzz (4)

Credit Karma (4)Social Finance (4)

Spotify (16)

Zalando (11)

Yandex (11)

DeliveryHero (6)

BGL Group (3)

Auto1Group (2,8)

JD.com (59)Tencent

(493)

SAP(137)

Alphabet(730)

Amazon(564)

Facebook(513)

Microsoft(660)

Apple(868)

Alibaba(442)

Samsung(367)

JD

B

CW

L L N

N

M

F T O RYC

O EG O

K

AB

HSDY

PayPal

(88)

ZSEP

U

N

S

S S S DL

W AP

I

I

H

C

S

T

S

D

ABaidu(81)

China InternetPlus (30)

Weibo (23)Lu.com (19)

Meituan(30)

DidiChuxing

(58)

Alipay(75)

Naver (27)Lufax (19)

Rakuten (13)One97 (7)

GrabTaxi (6)Ele.me (6)

Kuaishou (3)Olacaps (4)

Coupang (5)YY (7)

Ola (7)Toutiao (11)

Flipkart (12)

Scout24 (4)The Hut Group (3)

Naspers (120)

(Anteil: 2% (2015: 2%))Afrika

(Anteil: 31% (2015: 28%))

Asien(Anteil: 64% (2015: 67%))

USA(Anteil: 3% (2015: 3%))

Europa

Slack(5)

Snap(18)

Netflix(83)

Abb. 5 • Skaleneffekte bei Plattform- und traditionellen UnternehmenQuelle: Iansiti/Lakhani: Die neuen Monopole; in: Harvard Business Manager, Nr. 1, 2018, S. 55-64, S. 62.

Anzahl der Nutzer

Wirt

scha

ftlic

her

Wer

t Traditionelles Produkt- undDienstleistungsgeschäft

Digitale Plattformen mitstarken Netzwerkeffekten

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62 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • STRATEGIE

Dieser Netzwerkeffekt verstärkt die Vorteile des Wett-bewerbers mit dem höchsten Umsatz, dem größten Netzwerk an Nutzern oder den meisten Daten, so dass Plattform-Anbieter ihren großen und wachsenden Vorsprung wahrscheinlich immer weiter ausbauen wer-den. Bleibt die Technologie alternativlos, so verschiebt sich die Wertschöpfung schnell zulasten traditioneller Unternehmen und die großen Wettbewerber wie zum Beispiel Facebook werden so immer mächtiger und wertvoller. Vor diesem Hintergrund wurde der Begriff des „Plattformkapitalismus“ geprägt, der immer mehr Branchen erfasst.14 So wird das Musikgeschäft be reits stark von Apple, Google und Spotify kontrolliert, und auch beim Onlinehandel zeichnet sich eine ähn liche Entwicklung ab: Alibaba und Amazon bauen ihre Marktmacht weiter aus und bringen die Marktführer des Präsenzhandels in Bedrängnis.

4. Joint-Venture-Strategien in der Plattformökonomie

4.1 Joint-Venture-Konsortien

Wenn ganze Branchen zu Netzwerken verschmelzen und sich mächtige Knotenpunkte bilden, wird es nur wenigen „Plattform-Entrepreneuren“ gelingen, die not-wendige Kerntechnologie eigenständig bereitzustellen und ein eigenes Ökosystem zu organisieren. Die künf-tige Wettbewerbsfähigkeit traditioneller Pipeline-Unter-nehmen wird in Zukunft davon abhängen, wie schnell und flexibel sie auf die Herausforderungen des digita-len Strukturwandels reagieren werden und in der Lage sind, Joint-Venture-Strategien zum Aufbau digitaler Plattformen zu entwickeln.

Die auf die Errichtung einer digitalen Plattform zielen-de, zweckgebundene Zusammenarbeit verschiedener Firmen wird als „Konsortialansatz“ bezeichnet und kann von bilateralen Vereinbarungen bis zu großen Konsortien reichen, die besonders vorteilhaft sind, wenn viele unbekannte Variablen im Markt existieren und kein einzelner Akteur in der Lage ist, diese Kom-plexität und Unsicherheit zu überwinden.15

Das Beispiel Apple zeigt, dass Unternehmen sich nicht zwischen Pipeline-Unternehmen oder Plattform-Unter-nehmen entscheiden müssen; sie können beides sein. Es gibt noch sehr viele reine Pipeline-Unternehmen, die sehr erfolgreich sind; aber sobald Plattformen in einen Markt einsteigen, setzen sie sich in der Regel durch. Deshalb versuchen Pipeline-Konzerne wie Walmart, Nike, John Deere und GE mit allen Mitteln, ihre Modelle um Plattformen zu ergänzen.16 So experimentiert auch in Deutschland praktisch jedes größere deutsche Indus-trieunternehmen mit digitalen Plattformen, will neue

14 Vgl. Lobo: Auf dem Weg zur Dumping-Hölle; Spiegel Online, 03.09.3014.15 Vgl. Baums: Analyse - Was sind digitale Plattformen? in: Baums et al. (Hg.): Kompendium

Industrie 4.0, Berlin 2015, S. 13-25, S. 20.16 Vgl. Parker et al.: Die Plattform-Revolution; Frechen 2017, S. 15 ff.

Dienste anbieten sowie Kunden und Lieferanten enger an sich binden.

4.2 B2B Joint Ventures

Während es jedoch in den B2C-Konsumentenmärkten gilt, gegenüber ausländischen Unternehmen bestmög-lich aufzuholen, besteht im B2B-Bereich und insbeson-dere bei Industrieplattformen großes Potenzial. Im Internet der Dinge existieren bereits über 500 Platt-formen und es werden ständig neue Anbieter von circa 40% Wachstum im Jahr angezogen.17

Mithilfe von Internet-of-Things (IoT-)-Plattformen kön-nen Industriekunden zum Beispiel vorausschauenden Service nutzen, Maschinen effizienter einsetzen, ihre Flotten überwachen und mithilfe der gewonnenen Daten neue Geschäftsmodelle entwickeln. Anbieter wie Siemens stellen die Plattform zur Verfügung und andere Unternehmen können auf dieser Basis zum Beispiel Apps für das Handy entwickeln.

IoT-Plattformen sind das große Thema der Industrie. So errechnete eine Studie von McKinsey, dass das Internet der Dinge in den Fabriken bis 2025 einen wirtschaftlichen Mehrwert von bis zu 3,7 Bio. USD erreichen kann.18

Auch deutsche Anbieter sind in dem jungen Markt früh-zeitig engagiert. Siemens, Bosch, SAP oder die Software AG gehören zu den aussichtsreichsten Unternehmen im Wettbewerb zu General Electric, Cisco oder Samsung. Hinzu kommen viele ambitionierte Start-ups, primär aus Asien.

Während Konzerne wie Siemens oder SAP Milliarden in Industrieplattformen wie zum Beispiel Mindsphere inves tieren,19 treiben auch viele weltweit erfolgreiche Mittelständler wie Dürr (Lackieranlagen), Schindler (Auf züge), Heidelberger Druck (Druckmaschinen), DMG Mori (Werkzeugmaschinen) oder der Laserspezialist Trumpf ihre Projekte voran. Eine beispielhafte Auswahl aktueller Plattformansätze stellt Abbildung 6 dar.

Viele der beteiligten Unternehmen gehören in ihren jeweiligen Industriezweigen zur Weltspitze und wollen ihren Führungsanspruch auch in Zeiten der digitalen Transformation durch Joint-Venture-Initiativen behaup-ten, wie zwei ausgewählte Beispiele zeigen:

• Mozaiq Operations GmbH ist ein Joint Venture von ABB, Bosch und Cisco mit dem Ziel, ein offenes Ökosystem im Smarthome-Markt zu ermöglichen.

17 Vgl. Schmidt: Plattform Monopoly, in: Handelsblatt Nr. 21 vom 30.01.2018, S. 27.18 Vgl. Manyika et al.: The Internet of Things: Mapping the value beyond the hype; McKinsey,

San Francisco, USA 2015, S. 7 ff.19 Vgl. Höpner: Ringen ums Internet der Dinge; in: Handelsblatt, Nr. 18, 25.01.2018, S. 18.

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STRATEGIE • REPORT

• Adamos ist ein Joint Venture der Unternehmen DMG Mori, Dürr, Software AG, Zeiss und ASM PT, das eine IoT-Plattform entwickelt, die Unternehmen mit einer attraktiven Preisgestaltung gewinnen möchte.

4.3 Joint-Venture-Potenzial

Trotz dieser vielversprechenden Joint-Venture-Initiativen besteht Handlungsbedarf: Eine aktuelle Bitkom-Studie belegt, dass Digitalisierung ein wichtiges Thema in deut schen Unternehmen ist. Doch was Geschäftsführer und Manager darunter verstehen, ist sehr unterschied-lich: 75% wollen mithilfe digitaler Technologie Kun -den akquise und Service verbessern, 60% hoffen auf Effizienzsteigerungen und 50% wollen das weltweite Netz zur Internationalisierung nutzen. Potenzial, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, erkennt dage-gen nur circa ein Drittel der Befragten20, und auch das Wissen über digitale Plattformen gibt Anlass zu Be-den ken: 54% der Geschäftsführer deutscher Unter-nehmen kennen den Begriff „digitale Plattform“ nicht, und selbst in Groß unternehmen ist er einem Drittel der Entscheider un bekannt. Zudem geben mehr als zwei Drittel der Industrieunternehmen an, dass digi-tale Plattformen für das eigene Geschäft für sie nicht relevant seien.21

Diese Ergebnisse lassen befürchten, dass viele Manager die Chancen der Digitalisierung unterschätzen und die neuen Spielregeln der Plattformökonomie wenig be-kannt sind: Wer eine digitale Plattform betreibt, gibt die Regeln vor – und profitiert jedes Mal, wenn App-Entwickler und Nutzer, Verkäufer und Käufer, Vermieter und Mieter zusammenkommen. Die Wert schöpfung verlagert sich zu den Betreibern der digi talen Platt-formen. Im Silicon Valley beherzigt jeder Gründer dieses Konzept, in deutschen Firmenzentralen ist es dagegen offenbar wenig bekannt.

20 Vgl. www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Unternehmen-wuenschen-sich-Digital-Offensive-der-Politik.html; aufgerufen 08.02.2018.

21 Vgl. www.bitkom.org//Presse/Presseinformation/Mehrheit-hat-noch-nie-etwas-von-digitalen-Plattformen-gehoert.html; aufgerufen 08.02.2018

Um die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, müssen Unternehmen groß denken. Dafür braucht es nicht nur technisches Verständnis, sondern auch strategische Partnerschaften und eine klare Joint-Venture-Strategie, wie das folgende Beispiel der Automobilbranche zeigt.

4.4 Anwendungsbeispiel „Vernetztes Auto“

Die Automobilwirtschaft steht vor ihrer größten Revo-l ution seit der Erfindung des Verbrennungsmotors: Automobilhersteller entwickeln sich vom Hardware-hersteller zum Infrastrukturgeber und integrierten Mo-bi litätsdienstleister. Industriegrenzen verschwimmen, Wertschöpfungsketten werden rekonfiguriert und neue Wettbewerber treten in den Markt ein. War das Auto bislang ein isoliertes Produkt, wird es in Zukunft wesent-licher Bestandteil eines umfassenden Ökosystems. Digitale Plattformen stehen im Zentrum dieser Ent-wicklung.22

Um eine kritische Größe entwickeln und sich im Wett-bewerb behaupten zu können, werden Automobilher-steller, die einander einst erbittert bekämpft haben, sich jetzt zunehmend zusammenschließen müssen. Der Kartendienst Here Technologies ist ein Beispiel für ein Joint-Venture-Konsortium. Here ist aus Navteq hervor-gegangen, einem der ersten Geodatenanbieter, der zunächst von Nokia und später von einem Konsortium aus Volkswagen, BMW und Daimler übernommen wurde. Here stellt externen Entwicklern technische Instrumente und Programmierschnittstellen zur Ver-fügung, um standortbasierte Werbeanzeigen und an-dere Dienste erstellen zu können. Das Joint Venture ist der Versuch der Autohersteller, mit der „Open Mobility Cloud“ eine digitale Plattform zu erschaffen, die das Fahrzeug und den Alltag der Nutzer stärker verknüpfen soll, um so die drohende Gefahr durch Google und Apple abzuwenden.23 In ähnlicher Weise stellt aktuell

22 Vgl. Seiberth: Wie verändern digitale Plattformen die Automobilwirtschaft? in: Baums, Ansgar et al. (Hg.): Kompendium Industrie 4.0, Berlin 2015, S. 28-41, S. 28.

23 Vgl. Iansiti/Lakhani: Die neuen Monopole; in: Harvard Business Manager, Nr. 1, 2018, S. 55-64, S. 56 ff.

Abb. 6 • Beispielhafte Auswahl digitaler Marktplätze und IoT-PlattformenQuelle: Zollenkop: Plattformökonomie im Maschinenbau; VDMA, Frankfurt 2018.

Digitale Marktplätze für industrielle Güter und Services Industrielle Internet of Things (IoT)-Plattformen

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64 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • STRATEGIE

das Joint Venture Ionity, an dem BMW, Daimler, Ford und Volkswagen gleiche Anteile halten, ein Konsortial-Joint-Venture dar, um bis 2020 eines der leistungs-stärksten Schnellladenetze für Elektrofahrzeuge in Europa mit über 400 Schnellladestationen aufzubauen und zu betreiben.

Jenseits solcher strategischen Allianzen werden die Automobilhersteller aber digitale Plattformen ent-wickeln müssen, welche die Verteilung der Erträge in der Branche regeln werden. Wie viele andere Produkte und Dienste werden auch Autos zukünftig an digitale Netzwerke angebunden, was sie im Wesentlichen zu rollenden Informations- und Transaktionsknotenpunk-ten macht. Die Netzwerkfähigkeit wird die Struktur der Automobilindustrie grundlegend verändern und der Kontakt zum Konsumenten unterwegs wird die neue Quelle der Wertschöpfung darstellen. Die Auto-mobilhersteller haben auf die Nachfrage der Verbrau-cher reagiert und gewähren mittlerweile bei vielen Modellen Zugriff auf die Steuerkonsolen und integrie-ren vielfältige strategische Partner und Dienstleis-tun gen, wie zum Beispiel Reparaturservice, Flotten-management, Payment Services, Parking Pilots, Location Based Services, Smart Home Integration, Telekom mu-nikationsdienstleistungen, Kartendienste, nutzerab-hängige Versicherungen, Car Sharing etc.

Basierte das Modell der Automobilhersteller bislang auf Kontrolle und Dominanz, wird in Zukunft das Gegenteil entscheidend sein. Im Internet der Dinge wird das Fahrzeug Bestandteil eines größeren, offenen und mit verschiedenen Industrien verbundenen Systems. Digita-le Plattformen in Kombination mit autonomen Fahrzeu-gen beinhalten dabei das größte Disruptionspotenzial (s. Abb. 7). Offene Ökosysteme setzen strategische Partnerschaften voraus, so dass Automobilhersteller in Zukunft zunehmend Kontrolle aufgeben und Joint Ventures zum Aufbau digitaler Plattformen eingehen werden.24

5. Ausgestaltung von Joint-Venture- Plattformen

5.1 Die neuen Regeln

Um das Potenzial digitaler Plattformen mit Hilfe von Joint Ventures ausschöpfen zu können, bedarf es der richtigen Joint-Venture-Strategie, einer passenden Archi- tektur und geeigneter Betriebsmodelle. Hohe Erfolgs-chancen für Plattformen bestehen insbesondere in fragmentierten Märkten mit hohen Transaktionskosten für Suche, Verhandlung und Abwicklung, wenn es einer

24 Vgl. Seiberth: Wie verändern digitale Plattformen die Automobilwirtschaft? in: Baums, Ansgar et al. (Hg.): Kompendium Industrie 4.0, Berlin 2015, S. 28-41, S. 36.

Abb. 7 • Plattform-Disruption in der AutomobilwirtschaftQuelle: Seiberth: Wie verändern digitale Plattformen die Automobilwirtschaft? in: Baums, Ansgar et al. (Hg.): Kompendium Industrie 4.0, Berlin

2015, S. 28-41, S. 35.

BusinessModelInnovation

Product Innovation

Product Complexity

Ownership

Pure ServiceAssetless

Disruption

Dis

rupt

ion

Soft

war

eCo

ntro

lled

Service BundlesAssetless/Services

Apple iCarProject Titan

VW Mercedes

BMWUber

Tesla

GoogleSelf Driving Car

Soft

war

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able

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Pure ProductAsset

Soft

war

eSu

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Hyb

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Elec

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omou

s

Pipe 1:1 Ecosystem 1:n Platform n:m

Software Criticality

Network Effects

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STRATEGIE • REPORT

Plattform gelingt, die Transaktionskosten für beide Seiten deutlich zu senken. Darüber hinaus sollte die digitale Plattform neue Services und Geschäftsmodelle ermöglichen, wie zum Beispiel Predictive Maintenance oder Pay-per-Use-Modelle, und einen steigenden Nut-zen durch Netzwerkeffekte aufweisen.25

Für eine erfolgreiche Joint-Venture-Plattformstrategie gilt es zunächst zu verstehen, wie grundlegend sich die Wettbewerbsdynamik in der Plattformökonomie ver-ändert. Die größten Werte einer Plattform sind ihre Community und die Ressourcen der Mitglieder. Die Entwicklung von der Pipeline zur Joint-Venture-Platt-form bringt daher in Anlehnung an van Alstyne drei wesentliche Verschiebungen:26

(1) Vom Kontrollieren zum Organisieren von Ressourcen

Beim ressourcenbasierten Wettbewerbsansatz können Unternehmen sich einen Vorteil verschaffen, wenn sie knappe und wertvolle, idealerweise sogar unnachahm-bare Ressourcen kontrollieren. Anders als im klassischen Pipeline-Modell gehören dazu nicht nur Sachanlagen, sondern vielmehr die Community sowie die Ressourcen, die die Mitglieder beisteuern. Der wertvollste Vermö-gensgegenstand ist das Netzwerk aus Produzenten und Konsumenten.

(2) Von der internen Optimierung zur externen Interaktion

Während Pipeline-Unternehmen versuchen, ihre inter-nen Arbeitskräfte und Ressourcen so zu organisieren, dass sie über eine optimierte Prozesskette einen mög-lichst hohen Mehrwert erwirtschaften, erfolgt die Wertschöpfung bei Plattform-Unternehmen anders:

25 Vgl. Zollenkop: Plattformökonomie im Maschinenbau; VDMA, Frankfurt 2018.26 Vgl. van Alstyne et al.: Plattform statt Pipeline, in: Harvard Business Review, Nr. 6, 2016, S. 26.

Sie ermöglichen die Interaktionen zwischen externen Produzenten und Konsumenten. Aufgrund dieser exter-nen Orientierung minimieren Plattform-Unternehmen die variablen Produktionskosten, und der Schwerpunkt verlagert sich von der Prozessdefinition hin zum Über-zeugen von Netzwerkteilnehmern.

(3) Vom Kundenwert zum ÖkosystemwertPipeline-Unternehmen maximieren den Wert einzelner Kunden, die am Ende eines linearen Prozesses stehen, über deren gesamte Lebensdauer. Platt formen hinge-gen wollen den Gesamtwert eines ex pandierenden Ökosystems maximieren und verwenden hierzu einen zyklischen, iterativen und feedbackgetriebenen Pro-zess.

5.2 Betriebswirtschaftliche Ausgestaltung

Das Auslagern einzelner betriebswirtschaftlicher Funk-tio nen wie zum Beispiel des Kundenservices ist nicht neu. Auf digitalen Joint-Venture-Plattformen wird die externe Orientierung aber neue Dimensionen anneh-men. Da der größte Teil der Wertschöpfung einer Plattform durch die User Community erbracht wird, muss die Joint-Venture-Plattform ihren Fokus von inter-nen auf externe Aktivitäten verlagern. Dabei wird das Unternehmen gewissermaßen von innen nach außen gekehrt, wenn es wertschöpfende Tätigkeiten außer-halb des direkten Einflussbereichs ansiedelt. Aufgaben des Marketings, der IT, der Logistik oder der operativen Tätigkeiten konzentrieren sich zunehmend auf User, Ressourcen und Funktionalitäten, die sich außerhalb des Unternehmens befinden, und ergänzen oder ersetzen diese im Joint Venture. Wie für die folgenden Funktio-nen beispielhaft dargestellt, kehren sich Joint-Venture-Plattformen von innen nach außen: 27

27 Vgl. Parker et al.: Die Plattform-Revolution; Frechen 2017, S. 22 ff.

Jahresveranstaltung der Gesellschaft für Post Merger Integration, zusammen mit EUROPEAN WORKSHOP ON MERGER INTEGRATION, Deutsche Gesellschaft für Qualität, Bundesvereinigung Repositionierung, Sanierung und Interim Management

WWW.MERGERINTEGRATION.EVENTS

DENKFABRIK WIRTSCHAFTTRANSFORMATION – WACHSTUM – QUALITÄT

24./25. APRIL 2018 HANDSWERKSKAMMER AUGSBURG

BEST PRACTICES VORTRÄGE

INTERAKTIVEWORKSHOPS AUF BASISDESIGN THINKING

POST MERGER INTEGRATIONCHANGE MANAGEMENT

GESCHÄFTSMODELL-INNOVATION

QUALITÄT, COMPLIANCE

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REPORT • STRATEGIE

Marketing: Statt rein intern erstellte und kontrollierte Botschaften nach außen zu kommunizieren, wird in Zukunft der Schwerpunkt auf der Verbreitung von Botschaften liegen, welche die Verbraucher selbst er-stellt haben. So ermutigen zum Beispiel Reiseportale ihre Nutzer, Urlaubsvideos hochzuladen und in den sozialen Medien Werbung für das jeweilige Portal zu machen.

Informationstechnologie: Während der primäre Fokus der IT traditionell auf dem Management interner Unter-nehmenssysteme lag, wird sie zunehmend externe soziale Medien und Netzwerke unterstützen.

Finanzen: Wurden Aktivitäten traditionell auf vertrau-lichen, internen Konten verbucht, wird jetzt ein Teil der Transaktionen öffentlich und externen Parteien zu-gänglich. Unternehmen wie IBM, Intel und J.P Morgan führen die Blockchain-Technologie ein, über die Transaktionen sicher ausgeführt und von jedem, der über eine Berechtigung verfügt, geprüft werden kön-nen.

Operations und Logistik: Lag der Schwerpunkt hier traditionell auf dem Management von Just-in-time-Beständen, weicht diese Funktion zunehmend dem Management von externen Vermögensgegenständen wie zum Beispiel Zimmern, Musiktiteln oder Apps der Netzwerkteilnehmer.28

Personal: HR wird in Joint-Venture-Plattformen zuneh-mend das Wissen von Netzwerken nutzen, um die in-ternen Kompetenzen zu ergänzen. So hat z.B. SAP sein internes System geöffnet, so dass die Entwickler jetzt Probleme und Lösungen mit Teilnehmern des externen Ökosystems austauschen. Dabei reicht das Ökosystem nicht nur bis zu den eigenen Partnerunternehmen, sondern bis zu den Kunden der Partner.

5.3 Kritische Erfolgsfaktoren

Bei der Vielzahl aktueller Joint-Venture-Plattformen ist eine Bereinigung auf eine kleine Anzahl Anbieter absehbar. Um sich auf dem Plattformmarkt durchzu-setzen, sind neben den klassischen Joint-Venture-Erfolgsfaktoren29 die folgenden Herausforderungen zu berücksichtigen: Die größte Herausforderung einer Joint-Venture-Plattform besteht in der Umstellung von einer Welt, in der das Kundenangebot vollständig selbst gesteuert werden kann, zu einer, in der sich nur der Mehrwert beeinflussen lässt, den Externe für die eige-nen Kunden schaffen oder der durch Interaktionen zwischen den Kunden entsteht.

Doch auch bei der Organisation und Führung des Joint Ventures bestehen kritische Erfolgsfaktoren: Wenn die

28 Vgl. van Alstyne et al.: Plattform statt Pipeline, in: Harvard Business Review, Nr. 6, 2016, S. 27.

29 Vgl. Roos et al.: Getting More Value from Joint Ventures, Boston Consulting Group, Boston, USA, 2014, S. 7 ff.

Identität eines Unternehmens darin begründet liegt, Produkte herzustellen und anzubieten, kann die Um-stellung auf eine Joint-Venture-Plattformstrategie für die Mitarbeiter schwierig sein, sofern sie sich bislang sehr stark mit den Produkten identifiziert haben. Außerdem haben Pipeline-Unternehmen, die erfolg-reiche Produkte oder Dienstleistungen verkaufen, oft große Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und beschäftigen viele Ingenieure in Führungspositionen. Bei der Umstellung auf eine Plattformstrategie, die von einem erfolgreichen Management der Beziehung zu Dritten abhängt, müssen zentrale Führungspositionen gegebenenfalls stärker mit Experten für Unter neh-mensentwicklung und Marketing besetzt werden, was zu internen Konflikten führen kann.30

Außerdem kann es Vorständen und dem Top Manage-ment Schwierigkeiten bereiten, sich an unterschied-liche und hybride Strategien anzupassen sowie neue Leistungskennzahlen einzuführen und zu bewerten. Dafür müssen Joint-Venture-Plattformen flexibel sein und rasch reagieren können. Statt starrer Strukturen bedarf es einer agilen Organisation, die sich schnell auf veränderte Kundenwünsche einstellen kann.31

6. Fazit und Ausblick

Da Joint-Venture-Plattformen neue Strategieansätze erfordern, braucht es auch einen neuen Führungsstil. Die Fähigkeiten, die für eine möglichst straffe Orga-nisation interner Ressourcen erforderlich sind, nutzen beim Aufbau und der Skalierung externer Ökosysteme wenig. Traditionelle Pipeline-Unternehmen müssen neue Kernkompetenzen und eine neue Einstellung entwickeln, wenn sie mit Hilfe von Joint Ventures ne-ben ihrem herkömmlichen Geschäft Plattformen kon-zipieren, beaufsichtigen und geschickt vergrößern wollen. Viele traditionelle Anbieter stehen daher vor der Herausforderung, sich auf eine neue Strategie ein-zustellen und die neuen Regeln der Plattformökonomie gemeinsam mit ihren Joint-Venture-Partnern anzu-wenden.

30 Vgl. Hagiu/Altman: Eignet sich Ihr Produkt für eine Plattformstrategie? in: Harvard Business Manager, Nr. 12, 2017, S. 80-88, S. 88.

31 Vgl. Morvan et al.: Five Ways to Win with Digital Platforms, Accenture, Paris 2016, S. 23; vgl. Allen et al.: The Firm of the Future, Bain, London 2017, S. 9 ff.; vgl. Haberstock, P.: Agile Unternehmensorganisation; in: Das Wirtschaftsstudium, 47. Jahrgang, Nr. 1, 2018, Düsseldorf, S. 75-81, S. 79 ff.

Prof. Dr. Philipp Haberstock ist Professor für Strategisches Management und Finance an der International School of Management (ISM) in Hamburg und Partner der Stein-beis Consulting Mergers & Acquisitions GmbH. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Investment Banking, Strategieberatung, Corporate Development und Innovationsmanagement. [email protected]

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STRATEGIE • REPORT

1. Einleitung

Der Job eines C-Level-Executives kann sich mitunter wie ein Videospiel anfühlen. Mit jedem Jahr steigt die Komplexität. Alte Tricks garantieren längst nicht immer das vom Board erwartete, zweistellige Wachstum. Und wie von Level zu Level gilt es, immer schwierigere Hürden zu überwinden: Die Geschäftsnachfrage wird verstärkt von einer wandelnden Verbrauchermentalität getrieben, alles soll möglichst in Echtzeit verfügbar und hochflexibel sein, operative Herausforderungen lauern an jeder Ecke, der Wettbewerb wird rauer und uner-wartete Ereignisse sowie regulatorische Vorschriften legen die Messlatte Jahr für Jahr höher.

Executives, die ihr Geschäftsmodell im Zuge der Digi-talisierung gefährdet sehen, schauen auf große Inter-netkonzerne und Start-ups, die auf grüner Wiese den digitalen Wandel vorantreiben und in kurzer Zeit die Version 2.0 des gleichen Produkts auf den Markt brin-gen, an dem sie jahrelang, ja sogar jahrzehntelang gearbeitet haben. Führungskräfte, die sich fragen, was sie tun sollten, um der Entwicklung stets einen Schritt voraus zu sein, müssen Innovationen schneller und effektiver implementieren, um die Leistung ihres Unter nehmens zu steigern. Tradierte Konzernstrukturen, Wider stand gegen den Fortschritt und mangelnde Ressourcen sorgen allerdings dafür, dass sie sich vor-kommen, als würden sie ein rasantes Videospiel mit einem veralteten Joystick spielen.

Technologiegetriebene Innovation mit immer höherer Geschwindigkeit ist für jedes Unternehmen unabding-bar geworden, dessen Businessmodell in der digitalen Ära in Bedrängnis gerät. Tatsächlich werden immer mehr Firmen zu Technologieunternehmen – sie nutzen eine Vielzahl von Daten, auf deren Basis sie Kunden einen Mehrwert bieten und fundiertere Geschäfts ent-scheidungen treffen wollen. Trotz aller Bemühungen gelingt die Digitalisierung jedoch häufig nicht so schnell wie erwartet.

Die digitale Revolution: Wer bekommt die Filetstücke?

Stefan Pechardscheck & Maximilian Görgner, BearingPoint GmbH, Berlin

Glücklicherweise stehen Führungskräften – genau wie Videospielhelden – Werkzeuge zur Verfügung, um ihre Kräfte aufzurüsten und die Handlung von Level zu Level zu beeinflussen. Organisationen können beispiels-weise mit Hilfe von Partnerschaften und M&A-Strategien ihre Innovationsgeschwindigkeit erhöhen. Kollabo ra-tio nen, Partnerschaften und Übernahmen, die komple-mentäre Ressourcen und Assets mit sich bringen, können eine Symbiose aus traditionellen Unternehmen, digital reifen Akteuren und innovativen Start-ups schaf-fen. Dieser Hauch von frischer Luft fördert Innovationen und „Out-of-the-Box“-Ideen. Die digitale Transformation kann jedoch nicht einfach ohne Veränderungen im Unternehmenskern eingekauft werden. Tech-Deals sind potente Werkzeuge und können einerseits den Gewinn steigern, andererseits aber auch Chaos anrichten – je nachdem, wie sie eingefädelt und ausgeführt werden. Deshalb müssen Führungskräfte in voller Tiefe ver-stehen, wie die digitale Revolution die Regeln von Partnerschaften, Joint Ventures und M&A verändert hat, und zwar auch jenseits rein technologischer Über-legungen.

2. Digitalisierung: Innovationswellen getrie-ben von Konsumenten-Mentalität

2.1 Wellen des digitalen Wandels

In den frühen 1990er Jahren, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, mussten Unternehmen, die unter Nutzung des Netzes erfolgreich sein wollten, den Menschen erklären, warum es so wichtig war, online zu gehen. Sie überredeten PC-Hersteller, ihren Computern Modems einzubauen. Sie mussten auch den Platzhirschen der Telekommunikation erklären, warum es lukrativ wäre, vernünftige Preise für die Internetnutzung anzubieten. Junge Berufseinsteiger hatten ihren Vorgesetzten zu erklären, warum E-Mail-Systeme für die zukünftige Arbeitswelt unverzichtbar sein würden. Damals lag der Schwerpunkt auf dem Aufbau der Infrastruktur und der Schaffung des

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REPORT • STRATEGIE

Grundsteins für eine Online-Welt, erklärt AOL-Mitbe-gründer Steve Case. Er nennt dies „die erste Welle des Internets“. In seinem Buch Die dritte Welle: Gewinner-strategien für die Zukunft der Tech-Branche zeigt er auf, wie sich Unternehmer und Tech-Firmen in den vergan-genen drei Jahrzehnten verändert haben und was sie erfolgreich macht.

Um die Jahrhundertwende, argumentiert Case, begann eine zweite Welle, in der Unternehmen wie Google, Amazon und eBay ihre Produkte und Dienstleistungen auf dem Internet aufbauten. Smartphones und Tablets haben die Welt, in der wir leben, in eine Welt der Apps verwandelt. Software-as-a-Service wurde populär.

Jetzt, da das Internet in jedem Objekt um uns herum ankommt, nähert sich die dritte Welle. Das „Internet aller Dinge“ wird Unternehmen auf ein Neues heraus-fordern und ganze Systeme neu starten. Steve Case ist der Ansicht, dass Unternehmer, um erfolgreich zu sein, sachkundiger sein sowie sektorübergreifende Partner-schaften mit etablierten Unternehmen aufbauen müs-sen, und zwar auf eine Art und Weise, die derjenigen der ersten Welle sehr ähnlich ist. Diese dritte Welle wird etablierte Geschäftsmodelle wieder dramatisch verän-dern – vor allem, weil einige Firmen bereits auf dieser neuesten Welle surfen, während andere noch versu-chen, vergangener Wellen Herr zu werden.

2.2 Die Anwendungsvielfalt digitaler Informationen erhöht Innovations- und Margendruck

Kundenzentriertheit ist das neue Paradigma. Unterneh-men stützen sich dabei immer mehr auf die Einblicke, die aus großen Datenmengen gewonnen werden kön-nen. Diese Fähigkeiten, die auf computergestützter Datenanalyse basieren, entwickeln sich zu einigen der wichtigsten digitalen Assets, über die Unternehmen verfügen werden. Um der Konkurrenz voraus zu sein, müssen alle Möglichkeiten ausgespielt werden, ein-schließlich künstlicher Intelligenz (KI). In den vergange-nen Jahren wuchs der Einsatz künstlicher Intelligenz mit enormer Geschwindigkeit. Dadurch wird eine weitere Schicht redundanter manueller Prozesse entstehen und durch automatisierte Geschäftsvorgänge ersetzt wer-den können. Zudem haben Dienste wie persönliche digitale Assistenten, wozu Apples Siri oder Microsofts Cortana zählen, den Wettbewerb um „Datennetz werk-effekte“ verstärkt: Wer kann mehr Benutzer anziehen, um mehr Daten zu generieren, um letztendlich den Kunden die besten KI-Dienste und das herausragend-ste Benutzererlebnis zu bieten (siehe Abb. 1, Box 3). Beflügelt wird diese Entwicklung durch den Einsatz sogenannter neuronaler Netze die, je größer und vielschichtiger, ihre Leistungsfähigkeit mit steigen-der Datenmenge verbessern können (siehe Abb. 1,

Box 2). Dies war bisher in so allgemeiner Weise nicht möglich.

Vor dem aktuellen Aufkommen der KI-Services kon-zentrierten sich Internet-Giganten wie Facebook und Google zunächst darauf, ihren Nutzern zielgerichtete Werbung zu geringen Grenzkosten zu liefern. Heute sammeln ihre Dienste eine enorme Menge an Daten, auf denen eine Reihe von KI- oder kognitiven Diensten wie Spracherkennung und visuelle Erkennung aufge-baut werden. Diese generieren neue Einnahmequellen in einem Ökosystem von Geschäftsmodellen, entweder auf Nutzer-Endgeräten oder für Unternehmen als Services in der Cloud.

Eine Vielzahl an KI-Anwendungen arbeitet in Berei-chen, in denen strukturierte und beschriftete Daten zur Verfügung stehen, dem sogenannten Supervised Lear-ning (Abb. 1, Box 1). Der Markt ist riesig und wächst mit fortschreitender Digitalisierung. Der Wett bewerb um proprietäre Datensätze wird sich verschärfen, da Technologie-Giganten ihre allgemeinen Service-Angebote im Bereich des maschinellen Lernens über die Cloud erweitern.

In der Tat haben sich sogar Geschäftsmodelle heraus-gebildet, die einzig und allein darauf abzielen, den nächsten wertvollen Datensatz und Kundeneinblicke zu sammeln, die zukünftige KI-gestützte Dienste er-möglichen werden. Die Grenzerträge aus Daten be-ständen steigen oft mit zunehmender Anzahl von Anwendungsszenarien. Disruptive Ansätze werden häu-fig zunächst als eigenständiger, kostenfreier Service angeboten und in klassische Produkte umgewandelt, sobald sie an Zugkraft gewinnen. Die Monetarisierung dieser neuen Services erfolgt jedoch entlang von Wertströmen, die noch vor wenigen Jahren unbekannt und unvorhergesehen waren. Dies kann schnell ver-heerende Folgen für unvorbereitete Unternehmen ha-ben, da sie den Anschluss an ihre Kunden verlieren.

In Zeiten der digitalen Revolution ist erfolgreiches Ge-schäftsmodelldesign oder dessen Neuerfindung un-weigerlich eng mit Technologie- und Datenanalyse-fähigkeiten verknüpft. CIOs werden plötzlich zu einer zentralen Figur im Wettkampf um größere Marktan-teile oder höhere Margen. In vielen Unternehmen ist die IT an einem Wendepunkt angelangt, da sie von ihrer traditionellen Rolle der Unterstützung von Ge-schäfts prozessen, die kostenzentriert verwaltet werden, zu einer geschäftsintegrierten Fähigkeit übergeht, um gemeinsam nach neuen Einnahmequellen zu suchen.

Es braucht Führungsteams, die über ein tiefes Ver-ständ nis der Ökosysteme von Geschäftsmodellen verfü-gen, um Daten und Technologien in umsatzwirksame Assets zu integrieren. Schließlich ist es weniger die

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STRATEGIE • REPORT

Technologie als die Information in „IT“, die wett-bewerbsfähige Verteidigungsbarrieren aufbaut, die KI- und softwaregestützte Geschäftsmodelle in einem Ökosystem stärken.

3. Chancen werden schnell von Altlasten gemindert

Neu aufgebaute Unternehmen haben den Vorteil, dass sie bei null anfangen können. Sie beginnen ohne jeg-liche Altlasten, stehen aber auch vor anderen Heraus-forderungen wie beschränkte Ressourcen und hohe Markteintrittsbarrieren. Sie sind beweglicher, lernen schneller aus Fehlern, können jedoch aus eigener Kraft manches Hindernis nicht überwinden. Dazu kommen typische Barrieren für „Dritte Welle“-Jung unter nehmer,

wo die digitale Revolution am Status quo bisher noch nicht gerüttelt hat – es gab leichtere Beute. In der „dritten Welle“ haben Digitalisierung und Inter net-Infrastruktur dickere Bretter zu bohren.

Etablierte Unternehmen blicken der „dritten Welle“ mit ganz anderen Herausforderungen entgegen: Sie ver-fügen über riesige Ressourcenpools, können aber nicht bei null beginnen und unterliegen gewachsenen Struk-turen und Prozessen sowie, je nach Branche, enormen regulatorischen und Compliance-Anforderungen. Mit ihrer Marktstellung können sie zwar herkömmliche Grenzen verschieben, lernen in alten Strukturen jedoch langsamer aus Fehlern und laufen damit Gefahr, Kursänderungen nicht schnell genug vollziehen zu können.

Abb. 1 • Supervised Learning, Neuronale Netze & Daten-Netzwerk-EffekteQuelle: BearingPoint

Supervised LearningMehr Daten

Besseres Produkt Mehr Nutzer

DatenNetzwerk

EffektePerformance Neuronaler Netze

A B

2

31

Kommerziell genutztes Maschinelles Lernen beschränkt sich heutzutage zum großen Teil auf das sogenannte Supervised Learning. Das setzt voraus, dass in den Datensätzen eine A–B Zuweisung enthalten ist, beispielsweise ob in einem Bild ein Auto zu sehen ist oder ein Kreditantrag einem zahlungs-fähigen Kunden zuzuordnen ist.

Performance

• Eine größere Vielzahl an kontextbezogenen Daten bedeutet potenziell mehr mögliche Anwendungsfälle

• Die Performance von Maschinellem Lernen (ML) lässt sich heute mit steigenden Datenmengen wesentlich verbessern

• Ein gutes Produkt zieht wiederum eine große Menge von Nutzern an

• Diese generieren durch die Nutzung große Mengen an kontextbezogenen Daten

• Mehr Daten ermöglichen durch ML verbesserte Produkte, zugeschnitten auf individuelle Kundenbedürfnisse

Datenmenge

GroßesNeuronalesNetz

KleinesNeuronalesNetz

TraditionellesML

Rechenleistung & Datenmenge

101010100010001000110011

Die meisten KI-Anwendungen arbeiten in Bereichen, in denen saubere und beschriftete Daten zur Verfügung stehen, dem sogenannten Supervised Learning (Box 1). Der Markt ist riesig und wächst mit fortschreitender Digitalisierung. Der Wettbewerb um proprietäre Datensätze wird sich verschärfen, da Technologie-Giganten ihre allgemeinen KI-Service-Angebote über die Cloud erweitern.Neuronale Netze, je größer und vielschichtiger, steigern ihre Leistungsfähigkeit mit steigender Datenmenge (Box 2). Dies war bisher in so allgemeiner Weise nicht möglich und verstärkt den Datenhunger für performante Künstliche Intelligenz enorm.Mit besserer Künstlicher Intelligenz lassen sich immer bessere Produkte und ausgeklügelte Geschäftsmodelle entwickeln. Das intensiviert sogenannte Daten-Netzwerk-Effekte, die einen selbstverstärkenden Effekt für erfolgreiche datengetriebene Produkte mit sich bringen (Box 3).

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REPORT • STRATEGIE

Es ist nicht einfach, die Vorteile beider Welten zu verei-nen – egal ob in losen Partnerschaften, Joint Ventures oder vollständigen Übernahmen. Tech-Deals haben ein enormes Wertschöpfungspotenzial, sind aber selten mit traditionellen Strategie- und Planungsansätzen verein-bar. Um Geschäftsmöglichkeiten korrekt einschätzen zu können, muss eine Abweichung von konventionellen Regeln in Betracht gezogen werden.

3.1 Strategie und Planung folgen veränderten Regeln für digitale Geschäftsmodelle

Immaterielle Vermögenswerte sind die führenden Wert-generatoren für digitale Geschäftsmodelle. Vor allem Assets wie Technologie, Daten und intellektuelles Kapi-tal stehen im Mittelpunkt von Tech-Deals. Wenn sie richtig gemanagt werden, bilden sie starke Inno-vationsmotoren. Sie ermöglichen schnelle und wieder-holte Experimente am Markt, um beim Endnutzer innovative Geschäftsmodelle zu testen, und das mit wenig Overhead. Die Fähigkeit zur Agilität, beispiels-weise durch kontinuierliches Erstellen von Prototypen, und das problemlose und schnelle Anpassen digitaler Dienste sind Schlüsselfaktoren für die Etablierung neu-er oder die Verbesserung bestehender Geschäftsmodelle.

3.2 Strategische Ziele mit inkrementellem Fortschritt anstelle eines Masterplans erreichen

Deal-Teams – und das C-Level-Management im Allge-meinen – müssen sich mit den neuen Anforderungen an die Strategieumsetzung auseinandersetzen. Zukünf-tige Organisationszustände, Technologielandschaften, Compliance-Anforderungen und Geschäftsmodell-Ökosysteme können immer schnelleren und drasti schen Veränderungen unterworfen sein. Für diese Szenarien eine Route zu planen, mag sich anfühlen, wie mit einer Navigationskarte in See zu stechen, die blinde Flecke und einen unbekannten Maßstab aufweist. Um sich darauf vorzubereiten, müssen Unternehmen ihre Orga-nisation sowie Technologie agil steuern können, um langfristige strategische Ziele zu verfolgen. Doch was treibt diese Verschiebung der strategischen Planung in der digitalen Revolution im Kern an?

Innovative digitale Geschäftsmodelle beginnen in der Tat oft mit kleinen und schlanken Implementierungen. Auf dem Weg dorthin können sie entweder schnell skalieren oder sich als komplett unpassend heraus-stellen. Es liegt auf der Hand, dass weder Chancen noch Risiken in solch unsicheren Gefilden linearen Pfaden folgen. Stufenweise Fortschritte tragen dazu bei, das Risiko irreführender Annahmen zu minimieren. Agile Unternehmen entwickeln sich oft Schritt für Schritt mit kleinen Prototypen neuer oder zusätzlicher Service-

Feature-Ideen, die sich später zu einem passenden Ansatz zusammenfügen lassen.

Internetfirmen, um ein anschauliches Beispiel zu ge-ben, wählen zukünftige Entwicklungsrichtungen mit A/B-Testmethoden aus. Sie zeigen unterschiedliche Entwicklungsversionen ihrer Dienste, Webseiten oder Apps parallel verschiedenen Nutzergruppen. KPIs, die auf Big-Data-Analysen basieren, geben dem Manage-ment und den Entwicklungsteams Einblicke, um zu entscheiden, welchen zukünftigen Entwicklungspfaden sie folgen sollen. Die Entwicklungszyklen werden be-wusst kurz gehalten, sie dauern oft nur wenige Wo-chen; Langzeitprognosen werden durch die agile Reaktion auf neue Erkenntnisse aus Echtzeit-KPIs und A/B- Test experi menten ersetzt.

Die Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen ist erkennbar eng mit Entwicklungsmethoden von Soft-ware produkten verbunden, die zielgerichtet auf ak tu-elle Geschäftsbedürfnisse ausgerichtet und auf zu-künftige Veränderungen vorbereitet werden müssen. Dies nimmt nun Einfluss auf das Denken über an die digitale Revolution angepasste Organisationsstruk tu-ren. Unternehmen suchen nach Mög lichkeiten, sich in einem sich stetig wandelnden Geschäftsumfeld schneller zu reorganisieren. Offenbar sind agile Firmen tatsächlich zu einem geringeren Grad auf die Fähigkeit angewiesen, genau vorauszusagen, was vor ihnen liegt. Erst im Nachhinein erscheinen ihre Handlungen abso-lut zielgerichtet.

4. Agilität ermöglicht den Aufbau von symbiotischen Geschäftsmodell-Ökosystemen

Die Verkürzung der Technologie-Legacy-Zyklen und die sich schnell ändernde Marktdynamik erfordern eine Überprüfung der Unternehmensstrategien, einschließ-lich M&A, da diese häufig für Szenarien mit traditio-neller Planung entwickelt wurden. Lineare Prognosen halten den exponentiellen Wert- und Risikokurven ent-lang einer Zickzack-Route hin zu umsatzsteigernden und innovativen digitalen Geschäftsmodellen nicht Stand. Um der Ungewissheit entgegenzutreten, ist es wichtig, dass Anpassungsfähigkeit einen wesentlich hö-heren Stel lenwert gegenüber langfristiger Planung er-hält. Dies gilt für Mutterunternehmen und deren Akqui-sitions- oder Partnerschaftskandidaten gleichermaßen.

4.1 Es bestehen große Lücken zwischen alten und neuen Wertschöpfungsketten

Unter unternehmensstrategischen Gesichtspunkten kann die Etablierung einer Reihe von schlanken und kleinen Partnerschaften sowie Akquisitionen als Inno-vationsplattform aufgebaut werden, deren Markterfolg

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STRATEGIE • REPORT

und Betrieb eher lose an die Muttergesellschaft ge-koppelt sind. Metaphorisch gesprochen, kann man sich solche Wagnisprojekte neben einem traditionellen Unternehmen als eine Ansammlung von Fischschwär-men vorstellen, die mit der Muttergesellschaft einer gemeinsamen Zukunft in Symbiose entgegentreten, anstatt einen parasitischen Befall zu verfolgen. „Die Hauptvorteile dieses Ansatzes sind Agilität, Flexibilität und Schnelligkeit. Ein neues Unternehmen muss nicht den etablierten Pfaden der Muttergesellschaft folgen und kann sich leicht an neue Gegebenheiten anpas-sen“, beschreiben Broer, Villavicencio und Pankoke von BearingPoint.1

Viele Unternehmen kämpfen jedoch damit, die Lücke zwischen der externen, schnellen und flexiblen Risi-kowelt und ihrer bestehenden Wertschöpfungskette zu schließen. Es ist das Dilemma heutiger Führungskräf-te, alle Potenziale zu erkennen, die in Unternehmen stecken, die sie unterstützen oder mit denen sie inter-agieren. Gleichzeitig stellen sie jedoch fest, dass die eigene Unternehmensorganisation und Wertschöp-fungs kette selten von diesem Potenzial profitieren wird.

4.2 Eine Bestandsaufnahme operativer Hürden zahlt sich aus

Managementkapazitäten, die für die Identifizierung, Konzeption und Verwaltung erfolgreicher Integrationen von Partnerschaften und Akquisitionen benötigt wer-den, sind selten vorhanden und müssen häufig erst noch entwickelt werden. Geschäftsbetrieb, Planung, Budgetierung und Kostenmanagement müssen neu de-finiert werden, um den Anforderungen der neuen Welt gerecht zu werden.

Insbesondere aus IT-Perspektive stellen die Integration und der Austausch von Daten, Anwendungen und Prozessen zwischen Einheiten unterschiedlicher digita-ler Reife die Mentalität in einem traditionellen Nicht-Technologie-Unternehmen erheblich auf die Probe: Schnittstellen müssen kompatibel, Altsysteme erneuert, Richtlinien aktualisiert und IT-Ressourcen vom bloßen Erhalt des aktuellen Zustandes befreit werden. Darüber hinaus muss, wer einen Partnerschafts- oder Joint-Venture-Ansatz verfolgt, komplexe Vertrags bedin -gun gen aushandeln können, um zu vereinbaren, wie Erträge und Vermögenswerte geteilt und Geschäfte abgewickelt werden.

Unter diesen Umständen ist es sehr wichtig, zunächst die interne Managementkapazität sowie die organisa-torische und technologische Flexibilität und Integrations-fähigkeit zu beurteilen. Ein Unternehmen muss dazu

1 Broer, Villavicencio, Pankoke: A tough choice for insurers: navigating troubled waters with a tanker or speedboats. In: HSG Trendmonitor 2.2016

bereit sein, Innovation und digitale Transformationsziele durch serielle Partner schaften und Übernahmen zu er-reichen. Eine interne Vorbereitung mit angepasstem Organisations manage ment (siehe Abbildung 2) und der Einsatz erfahrener Technologie-Due-Diligence-Teams sind entscheidend für den Aufbau einer nachhaltigen Tech-Deal-Strategie. Mit systematischen Prozessen, sorgfältigen Analy se frameworks und ausreichendem operativem und technologischem Know-how können Deal-Teams die oben genannten Herausforderungen im Zusammenhang mit innovations- und transforma-tionszentrierten Deal-Scopes bewerten.

5. Moderne IT als Inspiration für zukünftige Unternehmensmodelle

Altsysteme und inkompatible Prozesse können einen neuen und regen Betriebsmodus allerdings erheblich behindern. Agile Abläufe müssen über Unternehmens- und Geschäftsbereichsgrenzen hinweg auf Manage-ment- und Technologieebene unterstützt werden. Governance und Technologie sollten flexible, aber sichere Self-Service-Zugangssysteme ermöglichen, die bei Bedarf effizient implementiert werden können.

Eine hochmoderne Cloud-Computing-Infrastruktur kann ein Schlüsselfaktor für die Plug-and-Play-Inte-gration flexibler Technologielösungen – auf Abruf ska-lierbar und an fortschreitende Entwicklung anpassbar. Zwei aktuelle Technologietrends, Microservices und Application Programming Interfaces (APIs), sind gute Beispiele dafür, wie Technologie agile Operationen ermöglicht.

APIs gestatten Unternehmen eine flexible, aber strenge Kontrolle darüber, wie man mit internen digitalen Assets interagieren kann. Eine API-Schnittstelle steuert den Datenfluss zu autorisierten Stellen und automatisiert weitgehend erforderliche Anbindungen zur Außenwelt. Am wichtigsten dabei ist, dass ihre erfolgreiche Implementierung die Kosten- und Komplexitätsbarrieren für Firmen, die sich über Unternehmensgrenzen hinweg verbinden wollen, deutlich senken kann. APIs ermög-lichen internen und externen Entwicklern, flexible Lösungen über heterogene Technologie- und Infra-strukturlandschaften hinweg zu erstellen. Man kann es als technologisches Äquivalent zu einem Selbstbe-dienungsladen sehen.

Microservices sind die technologische Basis für den schrittweisen Fortschritt agiler Entwicklungsprozesse. Statt monolithische Lösungen zu programmieren, fol-gen Entwickler einem Konstruktionsprinzip, bei dem Anwendungen in funktionale Teile zerlegt werden. Diese Teile können in eigenständigen Entwick lungs-prozessen ergänzt oder ersetzt werden. Jeder Bestand-

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REPORT • STRATEGIE

teil unterliegt einer fortwährenden Prüfung der Pass-genauigkeit und wird im Zweifel neu konstruiert. Gerade in einer Cloud-Computing-Umgebung ermög-lichen Microservices eine neue Dimension der Ska lier-barkeit, Robustheit und Flexibilität.

Das Konzept hinter APIs und Microservices-Architektu-ren zeigt allgemeine Prinzipien auf, die dem Wandel hin zu agilen Unternehmen auf breiter Front zugrunde liegen werden. Sie bilden das Fundament für einen stu-fenweisen Fortschritt auf Basis von Plug-and-Play-Bausteinen, die ein schnelles Neugestalten bei veränder-ten Anforderungen ermöglichen. Ein solcher Wandel

erfordert High-End-Design-Know-how, und zwar nicht nur auf technologischer Ebene. Technologieorientierte und Dienstleistungsbranchen müssen über kurz oder lang ihr gesamtes Betriebsmodell ändern, um das Potenzial, das eine digitale Transformation freisetzen kann, voll auszuschöpfen.

5.1 Flexiblere Partnerschaften und M&A-Möglichkeiten am Horizont?

Am Beispiel der oben genannten APIs zeigt sich, wie Firmen durch den Einsatz neuer Technologien ihre zen-tralen Assets und Kernkompetenzen über Unterneh-

Abb. 2 • Digitales OrganisationsmanagementQuelle: BearingPoint

Definition einer neuen Organisationskultur

Festlegung der Organisationsstrategie

Ermöglichung von Selbstlernen undLernender Organisation

Gewährleistung der Nachhaltigkeit

Etablierung neuer Arbeitsweisen

Beurteilung digitaler Einsatzbereitschaft

• KPIs zur Erfolgsmessung• Live-Tracking Dashboard: Projektmanagement,

Softwareentwicklung und Zufriedenheitsgrad

• Ausgangssituation und Status quo• Digital Maturity Assessment (DMA)• Bewertung der Fähigkeiten

• Marktanalyse• Neue Geschäftsmodelle• Strategische Ausrichtung

• Bestimmung des Zielbildes, der Vision und Mission sowie der Zielsetzung

• Transparenz und Engagement von Führungskräften und Mitarbeitern

• Entwicklung von Methodenkompetenz auf der Basis von Toolkits• Organisatorischer Übergang: Zielorganisation, Teamstruktur,

Rollen und Fähigkeiten, Ressourcenplanung• Produktinnovationsprozesse

• Schulungskonzept• Lernzyklen (Selbstlernen,

Training und Coaching)• Communities für Wissenstransfer

und Innovationsförderung

Kompetenzen

Kom

mun

ikat

ion

AgileMethoden

ChangeManagement

DOMDigital Organization

Management

Die digitale Transformation ist ein Langstreckenrennen, und die heutigen digitalen Fortschritte erfordern einen umfassenden und nachhaltigen Transformationsprozess, um sie vollständig zu bewältigen. Angesichts der Geschwindigkeit technologischer Innovationen beobachten wir einen steigenden Bedarf an Unterstützung bei der Bewältigung der damit verbundenen Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Unklarheit. Nachdem sich die anfängliche Begeisterung für die Digitalisierung beruhigt hat, suchen Unternehmen nach Wegen, sie ganzheitlich in ihr Geschäft und ihre Kultur einzubetten. Der Rahmen des Digitalen Organisationsmanagements (DOM) entspricht diesem Bedürfnis nach einer umfassenden und nachhaltigen organisatorischen Transformation zu einem digitalen Visionär. Ausgehend von einer Bewertung der digitalen Bereitschaft soll in sechs voneinander abhängigen Schritten eine unterneh-mensweite digitale DNA etabliert werden.

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STRATEGIE • REPORT

mensgrenzen hinweg Wertschöpfungsketten zugäng-licher machen können, um sie für neue Geschäftsmo-delle einzusetzen. APIs können den Weg bereiten hin zu neuartigen Allianzen, bei denen Chancen und Risiken in neuen Unternehmen geteilt und komplementäre Ressourcen genutzt werden. Ein solcher Ansatz er-möglicht die firmenübergreifende Integration von Daten und Geschäftsprozessen, wodurch nicht nur die Integration, sondern auch die Suche nach neuen Geschäftspartnern leichter wird.2

6. Zusammenfassung

Die digitale Revolution rollt in allen Industriezweigen unaufhaltsam heran. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis digitale Infrastrukturen es ermöglichen, die Wert-schöpfung von bisherigen Geschäftsmodellen komplett neu zu verteilen. Die digitale Transformation eines Unternehmens geht allerdings weit über eine techno-logische Erneuerung hinaus. Technologie- und Inter-net unternehmen haben sich längst Konzepte aus der agilen Softwareentwicklung und flexible Cloud-Infra-strukturen im Unternehmenskern zu eigen gemacht. Damit können sie sich schnell neu aufstellen und an-passen. Partnerschaft- und M&A-Strategien müssen auf die sich im Zuge der digitalen Revolution ändern-den Umstände angepasst werden. Eine vorausblicken-de Technologie-Due-Diligence wird bei Unterneh-mens bewertungen eine immer größere Rolle spielen.3 Durch die fortschreitende Digitalisierung wird die IT zu einem tragenden Wert- und Risikotreiber. Nicht zuletzt ist es jedoch auch von unmittelbarer Dringlichkeit, die

2 Iyer, Subramaniam: Corporate Alliances Matter Less Thanks to APIs. In: Harvard Business Review, 08.2015, siehe https://hbr.org/2015/06/corporate-alliances-matter-less-thanks-to-apis

3 Pechardscheck, Schiefer: Die Analyse der IT bei M&A-Transaktionen. In: CIO.de, 06.2015, siehe https://www.cio.de/a/die-analyse-der-it-bei-m-und-a-transaktionen,3230636

digitale Transformation im Kern der Unterneh mens-strategie voranzubringen, um den Weg für neue Formen der Partnerschaften und Akquisitionen frei zu machen.

Unternehmen, deren Geschäftsmodell durch die Digi-talisierung und Vernetzung angreifbarer geworden ist, sollten daher besser vermeiden, sich metaphorisch als Fischskelette zu sehen, die von flinken Fischen umzin-gelt sind, um sich an den Filetstücken zu laben. Statt diese Fische als Parasiten oder Angreifer abzuwehren, haben Firmen in der „dritten Welle“ des digitalen Wan-dels die Chance, symbiotische Beziehungen zu agilen Akteuren aufzubauen. Unternehmen sollten stark in eine Strategie investieren, die sie zum Träger von Öko-systemen werden lässt. Damit lassen sich Symbiosen zu schnellen Mitschwimmern entwickeln, wodurch das gesamte Ökosystem gestärkt wird. Es ist an der Zeit, die Filets zu teilen, um nicht mit einem abgenagten Skelett zurückgelassen zu werden.

Stefan Pechardscheck ist Partner der Management- und Technologieberatung BearingPoint und Global Head Technology. In fast 25 Jahren Beratung hat der stu-dierte Wirtschaftsinformatiker in mehr als 100 Projekten Kunden aller Branchen zu den Themen IT M&A, IT-Strategie und IT-Management sowie in den vergangenen Jahren verstärkt zu Digitalisierungsprojekten beraten. Darüber hinaus schreibt er als Experte Blogs und ist Beirat des Fachbereichs Wirtschaftsinformatik an der HTW Berlin. [email protected]

Maximilian Görgner ist seit 2017 bei BearingPoint im Bereich Technology Advisory tä-tig. Er berät Private Equity- und strategische Investoren und führt Due-Diligence-Analysen durch. Zu seinen Schwerpunkten zählen ebenso Daten- & technologiege-triebene Innovationen bei Unternehmen aller Branchen. Maximilian Görgner hat Theoretische Physik an der TU Berlin studiert. [email protected]

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REPORT • RECHT UND STEUERN

1. Einleitung

Eine wichtige Form für die Zusammenarbeit von Unternehmen ist das Joint Venture, insbesondere zur Erschließung ausländischer Märkte.1 Es bezeichnet im weitesten Sinn jede Zusammenarbeit von Personen oder Unternehmen, um einen gemeinsamen wirtschaftlichen Zweck zu verfolgen.

Der Begriff Joint Venture ist häufig ein Oberbegriff, der unterschiedlich intensive Formen der Kooperation zu-sammenfasst. Unterscheiden lässt sich zwischen Contrac- tual Joint Venture und Equity Joint Venture. Bei einem Contractual Joint Venture (auch Non-Equity Joint Venture) arbeiten die Parteien im Wege einer schlich-ten Personenvereinigung zusammen. Die Rechts bezie-hungen erschöpfen sich regelmäßig in einem einzigen schuldrechtlichen Kooperationsvertrag (Joint Venture Vertrag). Das Contractual Joint Venture findet sich meist bei einzelnen, zeitlich begrenzten Vorhaben, wie etwa bei Projekten im Anlagenbau, im Bereich der Baubetreuung, bei sonstigen Beratungsdiensten und auf dem Gebiet der rohstoffgewinnenden Industrie.2

Bei einem Equity Joint Venture (auch Gemeinschafts-unternehmen) sind die Partner wesentlich enger mit-einander verflochten, und zwar insbesondere durch eine gemeinsame, mit eigenem Kapital ausgestattete Gesellschaft (Projektgesellschaft oder Joint-Venture-Gesellschaft).3 Kennzeichnend ist eine eher langfristige Zusammenarbeit. Entstehen kann ein solches Joint Venture nicht nur durch Neugründung einer gemein-samen Gesellschaft, sondern auch als Ergebnis eines Unternehmenskaufs, zum Beispiel wenn der Käufer

1 Siehe beispielhaft über den Markteintritt der E.ON AG in Brasilien bei Hahn: Joint Venture als Vehikel für den Markteintritt der E.ON AG in Brasilien. In: M&A Review 2013, 17. Näher zur Vertragsgestaltung internationaler Joint Ventures Göthel: Vertragsgestaltung bei internationalen Joint Ventures. In: Betriebs-Berater 2014, S. 1475-1479.

2 Auf das Contractual Joint Venture wird im Folgenden aus Platzgründen nicht weiter ein-gegangen; dazu Billing: Contractual Joint Venture. In: Fett/Spiering, Handbuch Joint Venture, 2. Auflage 2015, S. 477-508.

3 Langefeld-Wirth: Praxis der internationalen Joint Ventures. In: Langefeld-Wirth, Joint-ventures im internationalen Wirtschaftsverkehr, 1990, S. 13-218, 126.

Joint Ventures in der Vertragsgestaltung

RA Prof. Dr. Stephan R. Göthel, LL.M. (Cornell), Pier11 Hamburg, und BSP Business School Berlin

nur einen Teil der Anteile an einer Gesellschaft erwirbt.4

Diese Erwerbsstruktur kann aus Sicht des Käufers gegenüber einem vollständigen Unternehmenskauf vorteilhaft sein, wenn er beispielsweise die lokalen Branchenkenntnisse des Mitgesellschafters einsetzen möchte. Teilweise verbieten ausländische Investitions-gesetze auch vollständige Unternehmensübernahmen oder die Gründung hundertprozentiger Tochter ge sell-schaften durch ausländische Investoren, so dass in diesen Fällen ein Joint Venture mit einem lokalen Part ner zwingend werden kann.5

2. Vertragswerk des Equity Joint Venture

Ein Equity Joint Venture berührt ganz unterschiedliche Fragestellungen. Neben steuer- und kartellrechtlichen Fragen, auf die in diesem Artikel nicht eingegangen wird,6 müssen die Partner unter anderem klären, in welcher Höhe sich jeder von ihnen finanziell an der Projektgesellschaft beteiligt, welchen Einfluss jeder auf das Unternehmen hat und inwieweit das Verhalten un-tereinander abgestimmt wird. Auch ist gegebenenfalls zu regeln, wer welche Technologie überträgt und wie die Liefer- und Leistungsbeziehungen ausgestaltet werden.

Diese und andere Fragen sind auf das engste miteinan-der verzahnt: Wer sich finanziell an einem Joint Venture beteiligt, will mitentscheiden dürfen. Wer Technologie überträgt, will regelmäßig einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen haben, jedenfalls über die Technologie; je weniger er beeinflussen kann, desto

4 Vgl. Fett/Spiering: Erscheinungsformen des Joint Ventures. In: Fett/Spiering, Handbuch Joint Venture, 2. Auflage 2015, Kap. 2 Rn. 63 f.; insgesamt zum Unternehmenskauf Göthel, Grenzüberschreitende M&A-Transaktionen, 4. Auflage 2015.

5 Z.B. unterliegen in China Gesellschaften, die zu 100% in ausländischer Hand sind (Wholly Foreign Owned Enterprises, WFOE) diversen Spezialgesetzen; in bestimmten Branchen ist eine ausländische Beteiligung nur eingeschränkt möglich oder sogar verboten, vgl. Catalogue of Industries for Guiding Foreign Investment (Revision 2017), abrufbar unter www.fdi.gov.cn/1800000121_39_4851_0_7.html.

6 Ausführlich zum Kartellrecht Hartmann-Rüppel/Wurmnest: Kartellrecht. In: Göthel, Grenzüberschreitende M&A-Transaktionen, 4. Auflage 2015, S. 985-1005; zum Steuerrecht Schulte/Pohl: Joint-Venture-Gesellschaften, 4. Auflage 2015, S. 62-110 (Gründung), S. 164-173 (laufende Besteuerung) und S. 196-208 (Beendigung).

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weniger Technologie wird er übertragen wollen. Es stellt sich auch die Frage, auf welchen Märkten das Joint Venture auftritt: Ob es mit dem Partner, der Technologie vergibt, konkurrieren oder in seinem Marketingkonzept mitarbeiten wird. Zudem müssen die Partner Fragen der Gewinnverlagerung und der Abhängigkeiten klären, die im Rahmen der Liefer- und Leistungsbeziehungen zwi-schen ihnen und der Projektgesellschaft entstehen.7

Jede dieser Fragen können die Partner nur beantwor-ten, wenn sie auch für die anderen Fragen Antworten finden. Dies erfordert ein Vertragswerk, das sämtliche Ebenen beachtet. Es sollte alle Einzelfragen lückenlos klären, gleichzeitig aber flexibel sein, um auch zukünf-tige, noch nicht bedachte Entwicklungen berücksich-tigen zu können. In der Praxis hat sich gezeigt, dass hierzu der Gesellschaftsvertrag (oder die Satzung) der Projektgesellschaft allein nicht ausreicht. Zusätzlich ist ein allumfassender Vertrag erforderlich, der alle Fragen regelt, die im Gesellschaftsvertrag keinen Platz finden. Dies ist der sogenannte Joint-Venture-Vertrag.8 Da-neben treten häufig weitere Verträge über Liefer- und Leistungs beziehungen (Zusatzverträge). Damit ist das Vertrags werk eines Equity Joint Venture typischerweise drei stufig aufgebaut:

• Joint-Venture-Vertrag

• Projektgesellschaft (einschließlich des Gesellschaftsvertrags)

• Zusatzverträge.

3. Joint-Venture-Vertrag

„Wir gehen zwar wirtschaftlich ein gemeinsames Wag-nis ein, aber vertraglich haben wir uns abgesichert.“ So oder ähnlich sollte die Antwort von Partnern eines Joint Venture sein, wenn sie nach ihrer Kooperation gefragt werden. Und dies nicht nur bei rein deutschen, sondern auch und gerade bei internationalen Joint Ventures. Denn Vertrauen ist zwar eine wichtige Voraussetzung für geschäftlichen Erfolg. Ohne eine maßgeschneider-te Vertragsgestaltung steht das gemeinsame Projekt aber auf tönernen Füßen. Die Interessen der Partner sollten vor Beginn des Joint Venture besprochen und geregelt sein. Und zwar für alle Themen. Doch was sind die Themen, die der Joint-Venture-Vertrag als Herzstück eines Joint Venture regeln sollte? Im Fol-genden sollen beispielhaft die wichtigsten Punkte aufgezeigt werden.

7 Siehe zum Ganzen Langefeld-Wirth: Praxis der internationalen Joint Ventures. In: Langefeld-Wirth, Joint-ventures im internationalen Wirtschaftsverkehr, 1990, S. 13-218, 110 f.

8 Hierzu ausführlich Fett/Spiering: Der Joint Venture Vertrag zur Durchführung eines Joint Venture. In: Fett/Spiering, Handbuch Joint Venture, 2. Auflage 2015, S. 225-475; Giesen: Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture). In: Seibt, Mergers & Acquisitions, 2. Auflage 2011, S. 1123-1191.

3.1 Besetzung der Organe

Zentraler Gegenstand ist die Regelung der Unter-nehmensführung (Corporate Governance) der gemein-samen Gesellschaft. Bei einem Joint Venture mit jeweils hälftiger Beteiligung wird diese Parität regelmäßig da-durch in die Gesellschaftsorgane (z.B. Geschäftsfüh-rung, Vorstand oder Verwaltungsrat) übernommen, dass jeder Partner dieselbe Zahl von Organstellen beset-zen darf. Häufig benötigt ein Partner für die Bestellung „seiner“ Organmitglieder die Zustimmung des jeweils anderen Partners, weil er selbst nicht die erforderliche Mehrheit hierzu hat (z.B. in einer Gesellschafter ver samm-lung). Für diesen Fall sollte der Joint-Venture-Vertrag vorsehen, dass jeder Partner verpflichtet ist, dem Vor-schlag des anderen Partners für „dessen“ Organmitglied zuzustimmen (Stimmbindung). Alternativ kann den Gesellschaftern das Recht eingeräumt werden, ihre je-weiligen Geschäftsleiter direkt zu entsenden, sofern dies gesellschaftsrechtlich zulässig ist.

3.2 Entscheidungen der Geschäftsleitung

Der Joint-Venture-Vertrag sollte Regelungen für den Fall vorsehen, dass sich die Geschäftsleiter nicht über eine Geschäftsführungsmaßnahme einigen können, für die eine Einigung aber erforderlich ist (sog. Deadlock). Häufig ist es sinnvoll, hierzu verschiedene Eska la-tionsstufen zu vereinbaren. So kann vorgesehen wer-den, die strittige Frage zunächst einem anderen Organ vorzulegen, wie etwa einem Aufsichts- oder Beirat. Gelingt dort ebenfalls keine Einigung, kann die nächste Stufe sein, den Sachverhalt hochrangigen Vertretern der Joint-Venture-Partner zur Entscheidung zu geben, wie etwa deren jeweiligen Geschäftsleitern. Können sich auch diese Personen nicht einigen, bleibt als letzte Eskalationsstufe häufig nur, das Joint Venture zu be-enden.

Hierzu ist eine beliebte Möglichkeit, die Veräußerung von Anteilen an der Projektgesellschaft zwischen den Partnern durch entsprechende Vertragsregelungen zu erzwingen. Bekannt sind solche Lösungen als „Russian Roulette“ und „Texan Shoot Out“. Die Grundidee hierbei ist, dass der ausstiegswillige Partner (Partner A) seine Anteile an der Projektgesellschaft dem anderen Partner (Partner B) zu einem bestimmten Preis zum Erwerb anbietet. Für diesen Fall ist dem Angebots-empfänger (Partner B) im Joint-Venture-Vertrag ein – verpflichtend auszuübendes – Wahlrecht eingeräumt: Er kann entweder das Angebot annehmen oder seiner-seits seine Anteile zu denselben Konditionen des Angebots des ausstiegswilligen Partners A diesem Partner A gegenüber zur Veräußerung stellen. Im letz-ten Fall verpflichtet dies den ausstiegswilligen und zu-erst anbietenden Partner A, die Anteile des anderen Partners B zu erwerben.

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Möglich ist aber auch, für die Lösung des Konflikts einen Dritten hinzuzuziehen. Hierbei kann die Ent-scheidung entweder selbst in die Hände des Dritten gelegt werden (Schiedsrichter oder Schiedsgutachter) oder dem Dritten lediglich eine unterstützende Funktion zugewiesen werden (beispielsweise als Mediator).

3.3 Garantien und Gewährleistungen

Häufig statten die Partner das Joint Venture nicht nur mit Geld (Bareinlagen), sondern auch mit Vermö gens-gegenständen (Sacheinlagen) aus. Im letzteren Fall sollte sich der andere Partner vor bekannten und auch unbekannten Risiken durch Vertragsgarantien ab-sichern. Diese Situation und deren rechtliche Lösung entspricht der von klassischen M&A-Transaktionen bei Unternehmenskäufen. Hierbei garantiert der einbrin-gende Partner, dass bestimmte Aussagen im Hinblick auf die Sacheinlagen richtig sind (z.B. Mängelfreiheit). Flankiert werden solche Garantieversprechen von Scha denersatzansprüchen, die dann greifen, wenn eine Garantie verletzt ist.9 Bei alledem müssen sich die Partner natürlich darüber im Klaren sein, dass sie anders als beim Unternehmenskauf auch im Fall einer Garan-tieverletzung häufig weiterhin vertrauensvoll zusam-menarbeiten wollen. Es sollte daher ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet werden, wie bei einer Garantieverletzung verfahren werden soll und in wel-cher Schärfe ein Anspruch aus einer Garantieverletzung geltend gemacht wird.

3.4 Liquiditätsbedarf

Nicht nur bei Gründung, sondern auch im laufenden Geschäftsbetrieb des Joint Venture kann es erforder-lich werden, der Gesellschaft weitere Liquidität zu zu-führen. Der Joint-Venture-Vertrag sollte daher Re ge-lungen dazu vorsehen, wie die Gesellschaft mit zusätz-lichem Eigen- oder Fremdkapital ausgestattet werden kann. Im Fall des Eigenkapitals können etwa unbedingt verpflichtende Einzahlungen vorgesehen werden. Ist dies nicht der Fall, sollte eine Lösung verankert werden, wie zu verfahren ist, wenn nicht alle Partner beispiels-weise eine Kapitalerhöhung wünschen und damit zu Nachschüssen bereit sind. Hierzu könnte man dem Joint-Venture-Partner, der das Eigenkapital stärken möchte, vertraglich ermöglichen, eine Kapitalerhöhung allein durchzuführen, gegebenenfalls unter der Vorausset-zung, dass er sich die Notwendigkeit hierzu durch die Geschäftsleitung und einen neutralen Dritten (z.B. Wirtschaftsprüfer) bestätigen lässt. Und gleichzeitig könnte man den anderen Partner verpflichten, dem Kapitalerhöhungsbeschluss zuzustimmen, ohne sich selbst an einer Kapitalerhöhung beteiligen zu müssen.

9 Näher zu Garantien Göthel: Ablauf und Vertragsgestaltung. In: Göthel, Grenzüberschreitende M&A-Transaktionen, 4. Auflage 2015, S. 95-108.

3.5 Gewinnverwendung und -verteilung

Ein Joint Venture lässt sich im laufenden Geschäftsbe-trieb auch dadurch finanzieren, dass erwirtschaftete Gewinne im Unternehmen belassen werden. Ob dies gewollt ist und in welcher Höhe, sollte ebenfalls im Joint-Venture-Vertrag angesprochen werden. Die ge-genseitigen Wünsche und Erwartungen sollten klar sein. Es sollte sich nicht erst später herausstellen, dass etwa ein Partner davon ausgeht, Gewinne würden voll-ständig ausgeschüttet, während der andere Partner Gewinne vollständig oder jedenfalls teilweise reinves-tieren will. Sollen Gewinne ausgeschüttet werden, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese zu verteilen sind. Maßgebend kann die Beteiligungs-quote der Joint-Venture-Partner sein. Die Partner kön-nen aber auch wünschen, die Gewinne abweichend von dieser Quote zu verteilen. So kann es gerechtfertigt sein, einen Partner überproportional am Gewinn zu beteiligen, wenn er stärkere Beiträge erbringt als der andere Partner. Auch wenn niemand in die Zukunft sehen kann, sollten zumindest die Grundsätze einer solchen Gewinnverteilung in den Joint-Venture-Vertrag einfließen.

3.6 Veräußerung von Gesellschaftsanteilen

Ein zentraler Abschnitt im Joint-Venture-Vertrag ist re-gelmäßig der Frage zu widmen, wie Anteile veräußert werden können. So kann den Partnern etwa das Recht eingeräumt werden, ihre Anteile an die anderen Partner zu übertragen (Put-Option), um aus dem Joint Venture ausscheiden zu können, und/oder die Anteile der ande-ren Partner zu erwerben (Call-Option), um damit die anderen Partner aus dem Joint Venture drängen zu können. Solche Optionsrechte können auch für den Konfliktfall vorgesehen werden (vgl. oben Ziffer 3.2). Will ein Partner seine Anteile an einen Dritten veräu-ßern, kann ihm auferlegt werden, diese Anteile zuvor den anderen Partnern anzubieten (als Andienungs- oder Vorkaufsrecht). Ebenso kann den anderen Partnern eine Mitveräußerungspflicht (Drag-Along-Recht) ein-geräumt werden, wonach sie auf Verlangen des ver-äußerungswilligen Partners ihre Anteile zu denselben Konditionen ebenfalls an den Dritten veräußern müs-sen. Umgekehrt kann durch ein Mitveräußerungsrecht (Tag-Along-Recht) den anderen Partnern das Recht ein-geräumt werden, ihre Anteile ebenfalls zu denselben Konditionen an den Dritten zu veräußern wie der von vornherein veräußerungswillige Partner. Wollen die Partner verhindern, dass einer von ihnen die unmittel-bare Gesellschafterstruktur einseitig verändern kann, empfiehlt es sich, unabhängig von den eben genannten Regelungen die Übertragung von Anteilen daran zu binden, dass die anderen Partner dieser zustimmen müssen (Vinkulierung).

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3.7 Wettbewerbsabrede

Wie sollen sich die Partner außerhalb des Joint Venture geschäftlich betätigen dürfen? Inwieweit dürfen sich diese Tätigkeiten mit der Geschäftstätigkeit des Joint Venture überschneiden? Diese Fragen haben für den geschäftlichen und wirtschaftlichen Erfolg eines Joint Venture erhebliche Bedeutung. Die Partner sollten daher die jeweiligen Geschäftstätigkeiten im Joint-Venture-Vertrag voneinander abgrenzen. Die Vereinbarung von Wettbewerbsverboten bietet sich an. Hierbei sollten die Partner die Wettbewerbsverbote sachlich, räumlich und zeitlich definieren und etwaige rechtliche Schranken berücksichtigen. Damit verknüpft ist auch die Frage, inwieweit sich ein Partner an anderen Unternehmen beteiligen darf, die auf dem Geschäftsfeld des Joint Venture aktiv sind. Eine rein finanzielle Beteiligung, mög licherweise auch in der Höhe begrenzt, dürfte häu-fig hinnehmbar sein, nicht aber eine aktive Beteiligung bei einem Konkurrenten.

3.8 Informationsrechte

Jeder Partner sollte Wert darauf legen, sich ausreichend über die Geschäftstätigkeit des Joint Venture informie-ren zu dürfen. Gesetzliche Informationsrechte können genügen. Dies ist jedoch genau zu prüfen. Entscheidend ist hierbei, welche Rechtsform die Joint-Venture-Ge-sellschaft hat. Insbesondere bei einer ausländischen Gesellschaftsform sollte diese Frage vorab ausreichend geprüft werden. In jedem Fall bietet es sich an, Aus-kunfts-, Informations- und Einsichtsrechte vertraglich zu vereinbaren und, soweit erforderlich, die gesetzlichen Rechte zu erweitern. Keinesfalls darf man sich darauf verlassen, sich die notwendigen Informationen bei Be-darf „schon besorgen zu können“. Denn im Konflikt-fall machen die „Hüter der Informationen“ häufig dicht und geben freiwillig nichts heraus.

3.9 Anwendbares Recht

Bei internationalen Joint Ventures ist eine wesentliche Frage, welchem Recht der Joint-Venture-Vertrag unter-liegt. Hier sollte man sich nicht auf die gesetzlichen Regeln zur Bestimmung des anwendbaren Rechts ver-lassen. Die Partner sollten vielmehr das anwendbare Recht schon im Joint-Venture-Vertrag wählen. Damit vermeiden sie zum einen, sich bei einem späteren Konflikt auch noch über das anwendbare Recht zu streiten. Zum anderen können sie damit schon bei der Gestaltung des Joint-Venture-Vertrags die zwingenden Regelungen dieses Rechts berücksichtigen. Die vertrag-liche Rechtswahl sollte klar und eindeutig formuliert sein. Bei der Auswahl des Rechts sind die Parteien grundsätzlich frei. Sie können das Recht der Joint-Venture-Gesellschaft nehmen, aber ebenso eines ihrer

Heimatrechte. Nach deutschem Recht dürfen die Parteien auch ein neutrales Recht wählen, zu dem weder sie noch die Joint-Venture-Gesellschaft eine Beziehung haben.10

3.10 Streitbeilegung

Auch wenn sich keiner der Partner einen Streit wünscht, sollten sie im Joint-Venture-Vertrag festlegen, wie bei einem Konflikt zu verfahren ist. Einen Streit entscheiden lassen können die Parteien durch ein staatliches Ge-richt oder ein Schiedsgericht. Wünschen die Partner ein Schiedsgericht, ist eine entsprechende Vereinbarung im Joint-Venture-Vertrag in jedem Fall empfehlenswert. Denn wenn der Streit erst ausgebrochen ist, werden sich die Partner kaum auf ein Schiedsgericht und des-sen Besetzung verständigen können. Aber auch wenn die Parteien ein staatliches Gericht entscheiden lassen wollen, empfiehlt es sich, dieses schon im Joint-Venture-Vertrag festzulegen. Und dann geht es bei internationalen Joint Ventures, anders als bei rein na-tionalen, nicht nur darum, die örtliche Zuständigkeit festzulegen, sondern darüber hinaus auch die Na-tionalität der Gerichte. Ergänzend zu einer Gerichts- oder Schiedsklausel empfiehlt es sich, ein vorgelager-tes Mediationsverfahren vorzusehen. Mediation ist im Kern Verhandeln mit zwei Besonderheiten: Zum einen führt ein besonders geschulter allparteilicher Dritter durch die Verhandlung, zum anderen unterliegt der Ablauf einer besonderen Struktur. Was spricht für ein Mediationsverfahren? Es ist vertraulich, schnell und kostengünstig. Und es hat nicht zuletzt gute Erfolgs-aussichten.11

4. Projektgesellschaft

4.1 Gesellschaftsvertrag

Der Inhalt des Gesellschaftsvertrags (Satzung) der Projektgesellschaft hängt von deren Rechtsform ab. Wichtig ist, den Joint-Venture-Vertrag und den Ge-sellschaftsvertrag aufeinander abzustimmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen. In diesem Fall, aber auch sonst, sollte vermieden werden, dass im Joint-Venture-Vertrag gesellschaftsrechtliche Regelungen über die Projektgesellschaft aufgenommen werden, die nach dem auf die Projektgesellschaft anwendbaren Recht nicht sinnvoll, unpassend oder nicht umsetzbar sind.

10 Ausführlich zum anwendbaren Recht Göthel: Grenzüberschreitendes Joint Venture. In: Göthel, Grenzüberschreitende M&A-Transaktionen, 4. Auflage 2015, S. 967-984; Göthel: Joint Venture. In: Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Auflage 2015, S. 1393-1422.

11 Näher zur Mediation Göthel: Mediation und M&A-Transaktionen – Zeit zur Teambildung! In: M&A Review 2014, S. 404-409.

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Trotz aller Unterschiede regelt jeder Gesellschaftsvertrag üblicherweise folgende Themen:

• Rechtsform, Name und Sitz

• Gesellschaftszweck (Unternehmensgegenstand)

• Gesellschaftskapital

• Gesellschaftsorgane (Leitungsorgane, Überwa-chungs- und Beratungsorgane, Gesellschafterver-sammlung)

• Rechnungslegung und Gewinnverwendung

• Übertragbarkeit von Gesellschaftsanteilen

• Dauer der Gesellschaft und gegebenenfalls deren Beendigung

Meist regeln die Partner im Gesellschaftsvertrag selbst nur die dort zwingend zu verankernden Themen. Hin-tergrund ist, dass der Gesellschaftsvertrag – je nach anwendbarem Recht unterschiedlich stark ausge prägt – im Gegensatz zum Joint-Venture-Vertrag häufig publiziert werden muss, die Partner aber ihre Regelun-gen soweit wie möglich nicht gegenüber unbeteiligten Dritten offenlegen wollen.12

4.2 Rechtsform

Die Partner können die Rechtsform der Projektgesell-schaft frei wählen, allerdings beschränkt durch die ge-setzlichen Möglichkeiten des anwendbaren nationalen Gesellschaftsrechts.13 Im deutschen Recht ist die Rechts-form der GmbH oder GmbH & Co. KG beliebt wegen der dispositiven gesellschaftsrechtlichen Regelungen. Insgesamt steht national und international die Rechts-form der Kapitalgesellschaft im Vordergrund, weil die Partner hiermit ihre Haftung auf das gezeichnete Kapital der Gesellschaft begrenzen können. Aber auch organisatorische, finanzielle und steuerrechtliche Gesichts punkte sind für die Wahl der im Einzelfall pas-senden Rechtsform ausschlaggebend.14

5. Zusatzverträge

Die Zusatzverträge bilden die dritte Säule des Joint-Venture-Vertragswerks. Häufig sind es Vereinbarungen zwischen der Projektgesellschaft und den Partnern.15 Ihr Inhalt ist unterschiedlich. Zusatzverträge können

12 Bei einer deutschen Projektgesellschaft in Form einer GmbH oder AG geht es den Partnern darum, die Publizität des Handelsregisters und der dort für jedermann einsehbaren Handelsregisterakten zu vermeiden (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG, § 37 Abs. 4 Nr. 1 AktG).

13 Einheitliches Gesellschaftsrecht kann den Rückgriff auf nationales Gesellschaftsrecht für die Projektgesellschaft ersetzen oder zumindest ergänzen, wenn z.B. die supranationale Rechtsform einer Europäischen Gesellschaft (SE) oder einer Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) gewählt wird.

14 Näher dazu aus deutscher Sicht Schulte: Nationale Joint Ventures. In: Schulte/Schwindt/Kuhn, Joint Ventures, 2009, § 2 Rn. 4 ff., 16 ff.; Schulte/Pohl, Joint-Venture-Gesellschaften, 3. Aufl. 2012, Rn. 63 ff.

15 Herzfeld: Co-operation Agreements in Corporate Joint Ventures. In: Journal of Business Law 1983, S. 121-129, 126; Elsing: Joint Ventures in den USA. In: Langefeld-Wirth, Joint-ventures im internationalen Wirtschaftsverkehr, 1990, S. 576-602, 587.

beispielsweise Abnahme- und Lieferpflichten, Know-how, Lizenzen, Managementleistungen, Personalfra-gen oder Finanzierungsfragen betreffen. Sie können damit den klassischen Vertragstypen angehören, also etwa Kauf-, Dienst-, Werk-, Miet-, Darlehens- oder Arbeitsvertrag sein. Sie können auch zu den modernen Vertragstypen gehören und Franchising-, Lizenz-, Know-how-, Technologietransfer- oder Managementvertrag sein.

6. Zusammenfassung

Bei der Vertragsgestaltung von (Equity) Joint Ventures ist zu unterscheiden zwischen dem Joint-Venture-Vertrag, der Projektgesellschaft und den Zusatzverträ-gen.

Der Joint-Venture-Vertrag ist das Herzstück der Ver-tragsgestaltung. Er ist der alles übergreifende Vertrag, der für die gesamte Lebenszeit der Projektgesellschaft maßgeblich ist und deren gesamtes Geschehen steuern soll. Wesentliche Themen des Joint-Venture-Vertrags sind die Organbesetzung, Fragen der Geschäftslei-tung, Garantien und Gewährleistungen, Finanzierung, Gewinnverwendung, Rechte und Pflichten bei Anteils-veräußerungen, Wettbewerbsabreden, Informations-rechte, die Bestimmung des anwendbaren Rechts so-wie die Streitbeilegung. All diese Themen sollten die Parteien so ausführlich wie möglich regeln. Dies gilt insbesondere bei internationalen Joint Ventures, wenn die Partner aus verschiedenen Rechts- und Wirtschafts-ordnungen stammen und damit regelmäßig ein un-terschiedliches Verständnis über Rechtsfragen und -begriffe haben.

Im Ergebnis sollte das Ziel, mit dem Joint Venture eine gemeinsame Idee verwirklichen zu können, die keiner der Partner allein oder jedenfalls allein nicht so gut verwirklichen kann, eine hervorragende Grundlage sein, um alle Themen zügig und mit Einigungswillen zu lösen. Allerdings geht Sorgfalt vor Schnelligkeit. Denn gelingt eine maßgeschneiderte und allen Parteien ge-recht werdende Einigung, ist gleichzeitig ein wichtiger Schritt getan, späteren Streit und damit zusammen-hängende Kosten zu vermeiden.

Prof. Dr. Stephan R. Göthel, LL.M. (Cornell) ist Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator und Partner bei der Anwaltsboutique Pier11 in Hamburg sowie Professor für Unter-nehmensrecht an der BSP Business School Berlin. Er ist schwerpunktmäßig tätig in den Bereichen Corporate, M&A und Venture Capital. [email protected].

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Kartellrechtliche Leitplanken für Gemeinschafts-unternehmen

Rechtsanwalt Daniel von Brevern, McDermott Will & Emery, Düsseldorf

1. Einleitung

Ein Joint Venture beziehungsweise Gemein schafts-unter nehmen1 ist ein Unternehmen mit zwei oder mehr Gesellschaftern („Muttergesellschaften“). Die Rechte und Pflichten sowie die Kapitalanteile können sowohl paritätisch wie auch unterschiedlich zwischen zwei oder mehr Muttergesellschaften verteilt sein. Ein Gemein-schafts unternehmen kann sehr unterschiedliche Zwecke und Aufgaben haben. So kann es darauf beschränkt sein, ohne eigenen Marktzugang nur eine „Hilfsfunk-tion“ für die Muttergesellschaften zu erfüllen (zum Beispiel Herstellung eines Vorproduktes). Ebenso ist denkbar, dass das Gemeinschaftsunternehmen alle Funktionen eines eigenständigen Unternehmens wahr-nimmt und auch als solches am Markt auftritt.

Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung und Aufgabe eines Gemeinschaftsunternehmens gilt eine Konstante: Gemeinschaftsunternehmen werfen zahl-reiche kartellrechtliche Fragen auf:

• Ist die Gründung oder Veränderung eines Gemein-schaftsunternehmens im Rahmen der Fusionskont-rolle anmeldepflichtig?

• Ist es möglich, ein Wettbewerbsverbot zugunsten und/oder zulasten des Gemeinschaftsunternehmens zu vereinbaren?

• Inwieweit können Muttergesellschaften einerseits und Gemeinschaftsunternehmen andererseits wett-bewerblich relevante Informationen austauschen?

• Wann haftet die Muttergesellschaft für Kartellrechts-verstöße des Gemeinschaftsunternehmens?

Der folgende Beitrag soll helfen, entsprechende kartell-rechtliche Themen im Zusammenhang mit Gemein-schafts unternehmen zu identifizieren.

2. Fusionskontrolle

Ob und gegebenenfalls in welchen Ländern die Grün-dung, Veränderung oder Erweiterung eines Gemein-

1 Im Folgenden einheitlich als „Gemeinschaftsunternehmen“ bezeichnet.

schaftsunternehmens in den Anwendungsbereich der Fusionskontrolle fällt, hängt im Wesentlichen von zwei kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen ab: Ist die Gründung, Veränderung oder Erweiterung des Gemeinschaftsunternehmens ein „Zusammenschluss“, und erfüllen die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen die – je nach Land unterschiedlichen – Umsatzschwellenwerte?

2.1 Zusammenschluss

Die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens ist insbesondere dann ein „Zusammenschluss“, wenn min-destens zwei Muttergesellschaften gemeinsame Kon-trolle über das Gemeinschaftsunternehmen erwerben. Dabei ist unerheblich, in welchem Umfang die kon-trollierenden Muttergesellschaften am Kapital des Gemeinschaftsunternehmens beteiligt sind. Kontrolle im kartellrechtlichen Sinne setzt keine aktive Steu-erungsmöglichkeit voraus. Ausreichend ist, wenn die jeweilige Muttergesellschaft wesentliche strategische Entscheidungen hinsichtlich des Gemeinschafts unter-nehmens durch ein Veto blockieren kann. Als wesent-liche strategische Entscheidungen gelten insbesondere Entscheidungen über die Besetzung der Geschäfts-führung, die Geschäfts- und Finanzplanung sowie wesentliche Investitionsentscheidungen.

Fallbeispiel „Kontrolle“A und B gründen ein Gemeinschaftsunternehmen („GU“). A hält 74%, B 26% der Anteile und der damit verbundenen Stimmrechte. In der Gesellschafter ver ein-barung ist festgelegt, dass Gesellschafterbeschlüsse bei Entscheidungen über Besetzung und Abberufung der Geschäftsführung sowie den jährlichen Finanz-plan eine Mehrheit von mindestens 75% der abgege-benen Stimmen erfordern. Da damit sowohl A als auch B ein Vetorecht über „wesentliche strategische Entschei dungen“ haben, wird das GU von A und B ge-meinsam kontrolliert. Die Tatsache, dass B nur Minder-heitsgesellschafter ist, ist unerheblich.

Um einen Zusammenschluss kann es sich auch dann handeln, wenn ein oder mehrere neue Gesellschafter in ein bereits bestehendes Gemeinschaftsunternehmen eintreten und mit ihrer Gesellschafterstellung zu-gleich Kontrollrechte erwerben. Ein anmeldepflichtiger

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Zu sam men schluss kann schließlich, unabhängig von der Frage der Kontrolle, auch dann vorliegen, wenn zwei oder mehr Muttergesellschaften mindestens 25% der Kapitalanteile oder Stimmrechte erwerben, sowie dann, wenn Geschäftszweck bzw. Tätigkeitsbereich des Ge mein schaftsunternehmens wesentlich verändert oder erweitert werden.

Fallbeispiel „Änderung des Tätigkeitsbereiches“A und B haben das GU ursprünglich gegründet, damit es ein bestimmtes Vorprodukt herstellt und es dann ausschließlich an A und B liefert. A und B beschließen nunmehr, dass das GU das Vorprodukt zukünftig auch eigenständig vermarkten und an Dritte verkaufen soll. Diese Änderung des Tätigkeitsbereiches ist, obwohl die Zusammensetzung des Gesellschafterkreises unverän-dert bleibt, als Zusammenschluss anzusehen und kann daher im Rahmen der Fusionskontrolle anmeldepflich-tig sein.

2.2 Umsatzschwellenwerte

Wenn die Gründung, Veränderung oder Erweiterung eines Gemeinschaftsunternehmens als Zusammen-schluss anzusehen ist, muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, bei welcher Behörde bzw. welchen Behörden dieser Zusammenschluss anzumelden ist. Dies richtet sich in fast allen Ländern der Welt danach, ob die „beteiligten Unternehmen“ bestimmte Umsatz-schwellen erfüllen. Während bei einem „normalen“ Unternehmenskauf nur zwei Unternehmen beteiligt sind (Käufer und Zielunternehmen), sind es bei Trans-aktionen im Zusammenhang mit Gemeinschaftsunter-nehmen häufig drei oder mehr beteiligte Unternehmen (die Muttergesellschaften sowie das Gemeinschafts-unternehmen). Durch die Häufung der beteiligten Unternehmen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Umsatzschwellen erreicht sind.

Fallbeispiel „Umsatzschwellen“A und B beabsichtigen, den chinesischen Konzern C als weiteren kontrollierenden Gesellschafter in das GU aufzunehmen. C hat bislang keine Umsätze in Deutschland erzielt. „Beteiligte Unternehmen“ im Sinne der Fusionskontrolle sind aber neben C auch A, B und das GU2. Es ist daher denkbar, dass die Umsatzschwellen für eine Anmeldung beim Bundeskartellamt alleine durch A, B und das GU erfüllt werden. Auf C kommt es, obwohl erst der Eintritt von C als Gesellschafter überhaupt den Zusammenschluss begründet, gar nicht an.

3. Wettbewerbsverbote

„Wettbewerbsverbote“ sind Klauseln, durch die einem Unternehmen untersagt wird, mit anderen Unterneh-men in Wettbewerb zu treten. Wettbewerbsverbote finden sich regelmäßig in Unternehmenskaufverträgen

2 Vgl. von Brevern, „Die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens nach Art. 3 Abs. 4 der Fusionskontrollverordnung“, WuW 2012, S. 223 (231).

und unterliegen in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht kartellrechtlichen Grenzen.3 Auch im Zusam-menhang mit Gemeinschaftsunternehmen spielen Wett-bewerbsverbote eine bedeutende Rolle. Dabei lassen sich Wettbewerbsverbote „zugunsten“ und „zulasten“ des Gemeinschaftsunternehmens unterscheiden.

3.1 Wettbewerbsverbot zugunsten des Gemeinschaftsunternehmens

Der in der Praxis wichtigste Fall ist das die Hand-lungsfreiheit der Muttergesellschaften beschränkende Wettbewerbsverbot zugunsten des Gemeinschafts-unter nehmens.

Fallbeispiel „Wettbewerbsverbot zugunsten des Gemeinschaftsunternehmens“„§ 5 Wettbewerbsverbot: [Muttergesellschaft A] und [Muttergesellschaft B] verpflichten sich, während der Laufzeit dieses Joint-Venture-Vertrages in den in Anlage 1 bezeichneten Gebieten nicht mit dem in Anlage 2 definierten Geschäftsbetrieb des Joint Ventures in Wettbewerb zu treten. Das Recht von A und B, an einem mit dem Joint Venture im Wettbewerb stehenden Unternehmen eine nicht-kontrollierende Beteiligung von bis zu 5% des Kapitals und/oder der Stimmrechte zu erwerben, bleibt unberührt.“

Ein solches Wettbewerbsverbot schützt das Gemein-schaftsunternehmen – und damit mittelbar die Inves-tition der Muttergesellschaften – vor „interner Konkur-renz“. Zudem wird durch dieses Wettbewerbsverbot regelmäßig die ohnehin bestehende gesellschafts-rechtliche Treuepflicht der Muttergesellschaften gegen-über dem Gemeinschaftsunternehmen konkretisiert.4 Kartellrechtlich sind entsprechende Wettbewerbsver-bote jedenfalls im Verhältnis zwischen kontrollieren-den5 Muttergesellschaften und dem Gemein schafts-unternehmen zulässig.6 Nicht abschließend geklärt ist, ob dies auch für nicht-kontrollierende Mutter ge-sellschaften gilt. Die Entscheidungspraxis der Gerichte sowie die Verwaltungspraxis der Kartellbehörden sind insoweit uneinheitlich. Allerdings besteht grundsätzlich ein anerkennenswertes Interesse daran, das Gemein-schaftsunternehmen vor internem Wettbewerb zu schützen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf kontrol-lie rende wie auch auf nicht-kontrollierende Mutter-gesellschaften. Daher lässt sich mit sehr guten Grün-den vertreten, dass ein Wettbewerbsverbot zugunsten des Gemeinschaftsunternehmens auch im Verhältnis zu nicht-kontrollierenden Muttergesellschaften zu-lässig ist.7

3 Europäische Kommission, „Bekanntmachung über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind“ („Nebenabrede-Bekanntmachung“), ABl. 2005, C 56/24, S. 30.

4 Vgl. Kapp/Wegner, „Das Gemeinschaftsunternehmen – Kartellrechtliche Herausforderungen von der Wiege bis zur Bahre“, CCZ 2015, 198, 202.

5 Siehe oben Abschnitt 1.1.6 Europäische Kommission, Nebenabrede-Bekanntmachung, S. 30. 7 Vgl. Stoecker, „Kartellrechtliche Zulässigkeit von Wettbewerbsverboten für

Minderheitsgesellschafter“, GWR 2015, 181.

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3.2 Wettbewerbsverbot zulasten des Gemeinschaftsunternehmens

Neben dem Wettbewerbsverbot zugunsten des Gemein-schaftsunternehmens gibt es auch Wettbewerbsver-bote, die das Gemeinschaftsunternehmen beschränken und die Muttergesellschaften begünstigen. Häufig er-gibt sich ein solches Wettbewerbsverbot mittelbar aus der Beschränkung des Gemeinschaftsunternehmens auf bestimmte sachliche und/oder räumliche Märkte.

Fallbeispiel „Begrenzung des Tätigkeitsbereiches des Gemeinschaftsunternehmens“„§ 5 Gesellschaftszweck: Gesellschaftszweck des Joint Ventures ist [Beschreibung Tätigkeit] in [Gebiet]. Das Joint Venture ist ohne vorherige Zustimmung aller Gesellschafter nicht berechtigt, außerhalb dieses Gesellschaftszweckes tätig zu werden.“

Jedenfalls im Hinblick auf das Verhältnis zwischen kon-trollierenden Muttergesellschaften und Gemein schafts-unternehmen sind entsprechende Wettbewerbsverbote zulässig. Ob das auch für nicht-kontrollierende Mutter-gesellschaften gilt, ist auch hier unklar. Zielführende Aussagen von Gerichten oder Behörden gibt es nicht. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass die Defini-tion des Gesellschaftszweckes beziehungsweise Tätig-keitsbereiches Ausdruck der „Leitungsmacht“ der Muttergesellschaften ist. Das gilt unabhängig davon, ob diese das Gemeinschaftsunternehmen kontrollieren oder nicht. Dementsprechend lässt sich gut argumen-tieren, dass Wettbewerbsverbote zulasten des Gemein-schaftsunternehmens kartellrechtlich zu rechtfertigen und deshalb zulässig sind.8

Kartellrechtlich unzweifelhaft unzulässig sind Wett-be werbsverbote, die das Verhältnis der Muttergesell-schaften untereinander betreffen. Dabei spielt die Unterscheidung kontrollierend/nicht-kontrollierend

8 Vgl. Kapp/Wegner, „Das Gemeinschaftsunternehmen – Kartellrechtliche Herausforderungen von der Wiege bis zur Bahre“, CCZ 2015, 198, 201.

keine Rolle. Eine Klausel, wonach zwei oder mehr Muttergesellschaften vereinbaren, sich keinen Wett-bewerb zu machen, ist ein klarer und schwerwiegen-der Kartellrechtsverstoß. Formal könnte man zwar argumentieren, dass dies nur insoweit gilt, wie die Muttergesellschaften Wettbewerber sind. Jedenfalls eine Kartellbehörde würde aber vermutlich argumen-tieren, dass das Vereinbaren einer solchen Klausel an sich Indiz genug ist, dass die Muttergesellschaften sich jedenfalls als potenzielle Wettbewerber ansehen.

4. Informationsaustausch

Die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens und die anschließende Kontrolle und Steuerung der Tätig-keit des Gemeinschaftsunternehmens erfordert den Austausch von Informationen. Die Muttergesellschaf-ten wollen von der Geschäftsführung des Gemein-schafts unternehmens wissen, wie die Geschäfte laufen, welche Kunden neu akquiriert werden konnten und was die Pläne für die Zukunft sind. Häufig sichern sich die Muttergesellschaften den Zugang zu diesen In-formationen schon dadurch, dass sie einen Vertreter in den Aufsichtsrat oder ein vergleichbares Gremium sen-den. Der Austausch von Informationen ist kartellrecht-lich dann problematisch, wenn es sich bei den aus ge-tauschten Informationen um „wettbewerblich relevan-te“ Informationen handelt und der Austausch zwischen aktuellen oder potenziellen Wettbewerbern erfolgt.

4.1 Wettbewerblich relevante Informationen

Wettbewerblich relevant sind aktuelle und individuali-sierte Informationen mit konkretem Marktbezug. Dies betrifft insbesondere künftige Preise, Mengen, Kosten und Margen sowie Informationen zu laufenden Ver-handlungen mit Kunden und aktuellen Ausschreibun-gen. Nicht wettbewerblich relevant sind Informationen, die ohnehin öffentlich zugänglich sind und Informatio-nen ohne konkreten Markt- oder Wettbewerbsbezug (vgl. Abb. 1).

Öffentlich zugängliche Informationen (Geschäftsberichte, Finanzberichte etc.) •Organisationsstruktur, IT-Systeme, Gesundheits- und Sicherheitsfragen •Aggregierte Umsätze, Kosten, Stückzahlen, Gewinne •„Historische“ (= nicht aktuelle) Umsätze, Kosten, Stückzahlen, Gewinne •Identität von Kunden/Lieferanten •Laufende Verhandlungen mit bestimmten Kunden •Laufende Ausschreibungen •Aktuelle Umsätze, Kosten, Stückzahlen, Gewinne ••= Nicht wettbewerblich relevant •= Einzelfallprüfung erforderlich •= Wettbewerblich relevant

Abb. 1 • Wettbewerblich relevante InformationenQuelle: Eigene Darstellung

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82 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • RECHT UND STEUERN

4.2 Aktuelle oder potenzielle Wettbewerber

Ein kartellrechtlich relevanter Informationsaustausch liegt nur dann vor, wenn im Verhältnis der Unterneh-men, die die Informationen austauschen (d.h. zum Beispiel Muttergesellschaft einerseits und Gemein-schaftsunternehmen andererseits) ein Wettbewerbs-verhältnis besteht. Ein Wettbewerbsverhältnis besteht, wenn die an dem Informationsaustausch beteiligten Unternehmen auf demselben sachlichen und räum-lichen Markt tätig sind (aktuelle Wettbewerber) oder jedenfalls binnen kurzer Zeit tätig werden könnten (potenzielle Wettbewerber).

4.3 Konzernprivileg

Allerdings liegt ein kartellrechtlich relevantes Wett-be werbsverhältnis nur dann vor, wenn es sich bei den Wettbewerbern – im kartellrechtlichen Sinne – um zwei oder mehr voneinander unabhängige Unternehmen handelt. Dabei gilt keine formale Betrachtung in dem Sinne, dass zwei unterschiedliche juristische Personen immer als zwei Unternehmen anzusehen wären. Viel-mehr ist darauf abzustellen, ob die Unternehmen einer „wirtschaftlichen Einheit“ angehören. Eine wirtschaft-liche Einheit liegt dann vor, wenn eine juristische Person „bestimmenden Einfluss“ über eine andere juristische Person ausüben kann und diesen Einfluss auch tatsäch-lich ausübt. Verschiedene juristische Personen, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, gelten aus kartellrecht-licher Sicht als ein einziges „Unternehmen“. Ein Aus-tausch von Informationen innerhalb einer solchen wirtschaftlichen Einheit bzw. Unternehmens ist kartell-rechtlich grundsätzlich zulässig („Konzernprivileg“).

Eine wirtschaftliche Einheit besteht unstreitig im Ver-hältnis einer Muttergesellschaft zu ihrer 100%igen Tochtergesellschaft. Selbst wenn Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft auf demselben Markt tätig und damit als Wettbewerber anzusehen sind, können sie aufgrund des Konzernprivilegs uneingeschränkt auch wettbewerblich relevante Informationen austauschen. Auch im Hinblick auf eine kontrollierende Mutter ge-sellschaft und ein Gemeinschaftsunternehmen ist je-denfalls dann, wenn die Muttergesellschaft ihren mit der Kontrolle verbundenen Einfluss auch tatsächlich ausübt, davon auszugehen, dass beide eine wirtschaft-liche Einheit bilden. Zwar ist dies bislang nur im Zu-sammenhang mit der Haftung einer kontrollierenden Muttergesellschaft für das Gemeinschaftsunterneh-men entschieden worden.9 Es lässt sich aber kaum begründen, warum im Rahmen des Informationsaustau-sches zwischen Wettbewerbern etwas anderes gelten

9 Europäischer Gerichtshof, 26. September 2013, C-179/12 P - Dow/Du Pont. Siehe auch unten Abschnitt 5.

sollte.10 Das tatsächliche Risiko, dass Behörden und Gerichte insoweit im Ergebnis eine andere Position einnehmen, ist deshalb gering.

Keine wirtschaftliche Einheit besteht dagegen zwi-schen einer nicht-kontrollierenden Muttergesellschaft und dem Gemeinschaftsunternehmen. Sofern beide auf demselben sachlichen und räumlichen Markt tätig sind oder binnen kurzer Frist tätig werden können, sind sie (aktuelle oder potenzielle) Wettbewerber. Das Konzernprivileg ist nicht anwendbar. Der Austausch von wettbewerblich relevanten Informationen zwischen nicht-kontrollierender Muttergesellschaft und Ge-mein schaftsunternehmen ist dementsprechend kartell-rechtlich unzulässig. Dies gilt auch dann, wenn die nicht-kontrollierende Muttergesellschaft die entspre-chenden Informationen dadurch erhält, dass sie im Aufsichtsrat oder einem vergleichbaren Gremium des Gemeinschaftsunternehmens durch zum Beispiel ein Mitglied der Geschäftsführung vertreten ist. Ob dies automatisch bedeutet, dass nicht-kontrollierende Ge-sell schafter, wenn sie Wettbewerber des Gemein-schaftsunternehmens sind, grundsätzlich keine Ver-treter in den Aufsichtsrat oder ein vergleichbares Gremium entsenden dürfen, ist indes zweifelhaft. Zulässig dürfte es jedenfalls sein, einen unternehmens-fremden Vertreter, der sich in bestimmten Grenzen zur Vertraulichkeit gegenüber seinem „Auftraggeber“ verpflichtet, zu entsenden.

Fallbeispiel „Konzernprivileg“Die Anteile an dem GU werden von A (40%), B (40%) und C (20%) gehalten. A und B haben zu wesentlichen strategischen Entscheidungen ein Vetorecht und damit gemeinsame Kontrolle. C hat keine entsprechenden Vetorechte und ist damit nicht-kontrollierender Min-derheitsgesellschafter. Ein Austausch von wettbe-werblich relevanten Informationen zwischen dem GU und A bzw. dem GU und B ist, jedenfalls wenn A und B von ihren Einflussmöglichkeiten Gebrauch machen, ohne Einschränkungen möglich, da insoweit jeweils das Konzernprivileg gilt. Im Verhältnis zwischen GU und C können wettbewerblich relevante Informationen dagegen nur dann ausgetauscht werden, wenn das GU und C weder aktuelle noch potenzielle Wettbewerber sind.

5. Bußgeldhaftung

Kartellrechtsverstöße können schwerwiegende Kon-sequenzen, insbesondere in Form von hohen Bußgel-dern sowie Schadensersatzforderungen, haben. Ein Unternehmen, das einen schweren Kartellrechtsverstoß

10 Vgl. zu der Diskussion Grave/Nyberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht 3. Auflage 2016, Art. 101, Rdnr. 192 f.

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RECHT UND STEUERN • REPORT

begeht, haftet unmittelbar für etwaige Bußgelder und Schadensersatzansprüche. Jedenfalls die Bußgeld haf-tung ist aber nicht auf die juristische Person begrenzt, deren Mitarbeiter unmittelbar den Verstoß begangen haben.11 Vielmehr haftet die an dem Verstoß beteiligte „wirtschaftliche Einheit“.12 Das kann insbesondere die Muttergesellschaft der den Verstoß begehenden juristi-schen Person sein. Adressat einer Bußgeldentscheidung ist dementsprechend regelmäßig nicht nur das Unter-nehmen, das den Verstoß begangen hat, sondern zu-sätzlich auch die Muttergesellschaft.13

Daraus folgt, dass für einen durch ein Gemeinschafts-unternehmen begangenen Kartellrechtsverstoß alle Unternehmen der jeweiligen „wirtschaftlichen Einheit“ haften. Bei einem Gemeinschaftsunternehmen, das von nur einer Muttergesellschaft kontrolliert wird, sind dies dementsprechend das Gemeinschaftsunter-nehmen und die kontrollierende Muttergesellschaft. Wenn das Gemeinschaftsunternehmen von zwei oder mehr der Muttergesellschaften gemeinsam kontrolliert wird, haften das Gemeinschaftsunternehmen und alle kontrollierenden Muttergesellschaften. Etwas anderes würde nur gelten, wenn es einer oder mehreren Muttergesellschaften gelänge nachzuweisen, dass sie ihren „bestimmen Einfluss“ nicht ausgeübt hat/haben. Die Praxis zeigt aber, dass die Erfolgschancen einer sol-chen Argumentation gering sind.

Fallbeispiel: Europäischer Gerichtshof, 26. September 2013, Dow/DuPont14 DuPont Dow Elastomers LLC („DDE“), ein 50/ 50- Ge- meinschaftsunternehmen zwischen The Dow Chemical Company („Dow“) und E.I. DuPont de Nemours and Company („DuPont“), war unmittelbar an Kartell-absprachen über Chloropren-Kautschuk beteiligt. Die Europäische Kommission verhängte ein Bußgeld über 60 Mio. EUR gegen DDE. Zugleich entschied die Euro-päische Kommission, dass Dow und DuPont für einen Großteil des gegen DDE verhängten Bußgelds gesamt-schuldnerisch mithaften. Der Europäische Gerichtshof bestätigte die Entscheidung der Europäischen Kom-mission: Zwar hätten Dow und DuPont von dem Kar-tell verstoß möglicherweise nichts gewusst. Für das Kriterium der tatsächlichen Ausübung bestimmenden Einflusses sei aber ausreichend, dass Dow und DuPont Vertreter in die Geschäftsführung von DDE entsandt hätten.

11 Es wird teilweise argumentiert, dass die Haftungserweiterung auf die wirtschaftliche Einheit auch bei Schadensersatzansprüchen gelten soll. Vgl. ausführlich Krohs in Busche/Röhling, Kölner Kommentar zum Kartellrecht 1. Auflage 2017, § 33, Rdnr. 64 ff.

12 Zum Begriff der „wirtschaftlichen Einheit“ vgl. auch Abschnitt 4.3.13 Diese auf europäischer Ebene schon seit Langem geltende Regelung wurde Mitte 2017

auch in Deutschland eingeführt. Damit reagierte der deutsche Gesetzgeber auf eine als „Wurstlücke“ bekannt gewordene Regelungslücke, die es Unternehmen erlaubte, die Haftung für Kartellgeldbußen durch interne Umstrukturierungsmaßnahmen zu vermeiden.

14 Europäischer Gerichtshof, 26. September 2013, C-179/12 P - Dow/Du Pont.

6. Zusammenfassung Die Gründung und der Betrieb eines Gemein schafts-unternehmens stellen sowohl Muttergesellschaften wie auch das Gemeinschaftsunternehmen selbst vor zahlreiche kartellrechtliche Herausforderungen. Das kartellrechtlich richtige Verhalten setzt unter Umstän-den voraus, dass sperrige Begriffe wie „strategisch wichtige Entscheidung“, „wettbewerblich relevante Information“ oder „bestimmender Einfluss“ richtig interpretiert und angewandt werden. Dies dürfte in der Unternehmenspraxis nicht immer ganz einfach sein. Umso wichtiger ist es, dass ein Problembewusstsein hinsichtlich der aus kartellrechtlicher Sicht maßgeb-lichen Fragen besteht. Unternehmen, die sich an einem Gemeinschaftsunternehmen beteiligen wollen oder es bereits sind, sollten, zum Beispiel durch Compliance-Schulungen, dafür sorgen, dass die mit dem Gemein-schaftsunternehmen in Berührung kommenden Mitar-beiter das entsprechende Problembewusstsein haben. Nur dann ist sichergestellt, dass die maßgeblichen Themen rechtzeitig mit der Rechtsabteilung oder ex-ternen Beratern besprochen und unter Umständen kostspielige Fehler vermieden werden können.

Daniel von Brevern ist Rechtsanwalt und Partner bei McDermott Will & Emery in Düsseldorf. Er berät Mandanten zu allen kartellrechtlichen Fragen, insbesondere auch im Zusammenhang mit Gemeinschaftsunternehmen. [email protected]

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84 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • RECHT UND STEUERN

1. Einleitung

Das Außenwirtschaftsrecht ist im internationalen M&A-Kontext in letzter Zeit verstärkt in den Fokus gerückt. Dazu haben nicht nur einige Gesetzesinitiati-ven, sondern auch eine Handvoll „prominenter“ Ent-scheidungen der zuständigen nationalen Prüfbehörden beigetragen. Transaktionsbegleitend stellt sich inso-fern immer häufiger die Frage, wie mit den nationalen außenwirtschaftlichen Prüfsystemen umzugehen ist und welche legislativen Änderungen diskutiert wer-den. Ein wichtiger Baustein dieser Entwicklung ist der Vorschlag für eine europäische Verordnung zur Schaf-fung eines Rahmens für die Überprüfung ausländi-scher Direktinvestitionen in der Europäischen Union („EU-Vorschlag“). Nicht zuletzt der EU-Vorschlag hat dazu geführt, dass die außenwirtschaftliche Freigabe als Thema und Vollzugsbedingung innerhalb eines M&A-Prozesses an Bedeutung stark hinzugewonnen hat, obgleich aktuell und auch bei Umsetzung des EU-Vorschlags in seiner derzeitigen Fassung die Mit-gliedstaaten die Kompetenz zur Ausgestaltung des Prüfverfahrens im Wesentlichen und zur Entscheidung im Ganzen behalten werden. Im Kern wird die euro-päische Zusammenarbeit dadurch aber gestärkt werden.

Die Brücke der Zusammenarbeit wird auch über den Atlantik geschlagen. Das US-amerikanische Pendant zur Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen, das Committee on Foreign Investment in the United States („CFIUS“), war zunächst 2016 in die breitere Öffent-lichkeit in Deutschland gerückt, als es Präsident Obama empfahl, dem deutschen Halbleiterhersteller Aixtron die Freigabe eines Anteilsverkaufs an einen chinesischen Investor zu verweigern. Bevor dieser sich dem CFIUS-Vorschlag anschloss, widerrief bereits das deutsche

Außenwirtschaftliche Prüfverfahren in den EU-Mitgliedstaaten

Dr. Klaus Riehmer & Dr. Stefan Glasmacher, Mayer Brown LLP, Frankfurt und Düsseldorf

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die für die Transaktion ausgestellte Unbedenklich keits beschei-nigung. Eindrucksvoll hat der Fall bewiesen, dass die internationale Verzahnung der Kontrollmechanismen ausländischer Direktinvestitionen zumindest dann funktioniert, wenn die Interessen der prüfenden Staa-ten parallel verlaufen.

Dieses Beispiel internationaler Kooperation lässt zu-sam men mit dem EU-Vorschlag die Frage virulent werden, wie die EU-Mitgliedstaaten ihre außenwirt-schaftlichen Prüfregime ausgestaltet haben und wie die europaweite Kooperation der zuständigen Behörden verläuft. Das deutsche Außenwirtschaftsrecht wurde vor dem Hintergrund der Änderung der Außen wirt-schaftsverordnung in jüngster Zeit bereits umfassend dargestellt.1 Daher sollen hier die übrigen Jurisdiktio-nen der Europäischen Union („EU“) im Vordergrund stehen. Im Anschluss werden die Folgen der unter-schiedlichen Regime für die M&A-Praxis erläutert.

2. Außenwirtschaftliche Regime in europäischen Jurisdiktionen

Ausgangspunkt der Betrachtung ist, welche Mitglied-staaten überhaupt ein außenwirtschaftliches Prüfre-gime etabliert haben. Das sind neben Deutschland Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Portugal, Spanien und das Vereinigte Königreich. Die Betrachtung konzentriert sich auf die Darstellung der Mitgliedstaaten mit beson-ders hohem M&A-Aufkommen.

1 Vgl. Becker/Sachs, NZG 2017, 1336 ff.; Boewe/Johnen, NZG 2017, 1095 ff.; Flaßhoff/Glasmacher, NZG 2017, 489 ff.; Heinrich/Petersen, M&A Review 2017, 288 ff.; Hindelang/Hagemeyer, EuZW 2017, 882 ff.

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RECHT UND STEUERN • REPORT

2.1 Vereinigtes Königreich2

Ein besonders hoher Anteil ausländischer Direkt -in vestitionen in die EU erfolgt in Unternehmen des Vereinigten Königreichs. Dort unterliegen solche In-ves titionen einer unterschiedlich ausgerichteten Kon-trolle, wobei zunächst zwischen den Regelungen des Kar tellrechts, spezifisch außenwirtschaftlichen Regu-lie rungen und sogenannten „Golden Shares“ zu unter-scheiden ist. Insgesamt erscheint das außenwirtschaft-liche Regime des Vereinigten Königreichs aber als liberal.

Ausländische Direktinvestitionen werden zunächst unter dem Regime des Kartellrechts im Vereinigten Königreich geprüft. Zuständige Behörde ist die Compe-tition and Markets Authority („CMA“). Originär misst sie die Transaktionen an kartellrechtlichen Maßstäben, was auch EU-intraterritoriale Transaktionen umfasst. Ihr Kontrollmechanismus wird erst dann ausgelöst, wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden. In der aktuellen politischen Diskussion wird die Herab-setzung des Schwellenwertes von 70 Mio. auf eine Mio. GBP in bestimmten Sektoren erwogen.3 De lege lata, nach dem „Enterprise Act 2002“, ist der Wert aber noch bei 70 Mio. GBP angesiedelt. Neben dieser Änderung wird auch eine Änderung des bisher freiwil-ligen Benachrichtigungssystems in ein obligatorisches Anmeldungssystem diskutiert, obgleich die CMA auch derzeit das Recht hat, eine Prüfung ex officio ein-zuleiten.

Im Zusammenhang mit einer Überprüfung durch die CMA kann die Regierung des Vereinigten Königreichs einschreiten, wenn die Transaktion innerstaatliche oder EU-interne Schwellenwerte erreicht oder öffentliche Interessen berührt. Letztere sind definiert als die natio-nale Sicherheit, finanzielle Stabilität und Medienvielfalt. Diese Maßstäbe sind nicht nur auf bestimmte Industrien anzuwenden, sondern vielmehr als sektorübergreifen-der Ansatz zu interpretieren. Bei Vorliegen signifikanter Bedenken der Regierung kooperiert die CMA mit dem Secretary of State des Vereinigten Königreichs, der ebenso eine Einschätzung der außenwirtschaftlichen Relevanz abgibt. Des Weiteren ist er die letzte Ent-scheidungsinstanz zur Anordnung von Maßnahmen oder zur Untersagung der Transaktion.

Daneben besteht eine spezifische Regulierung zur Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen unter dem „Industry Act“. Dieser erlaubt eine Intervention der Regierung des Vereinigten Königreichs, wenn und soweit der Kontrollwechsel in Widerspruch zu den

2 Zur Vertiefung der hier genannten Jurisdiktionen m.w.N.: Pottmeyer in: Wolffgang/Simonsen, AWR-Kommentar, Band IV, 54. EL, April 2017, §§ 55 – 59, Rn. 68 ff., §§ 60 – 62, Rn. 47 ff.

3 Department for Business, Energy & Industrial Strategy: National Security and infrastructure investment review, Oktober 2017, S. 7.

Interessen des Vereinigten Königreichs steht. Da die Regierung des Vereinigten Königreichs bisher davon noch nicht Gebrauch gemacht hat, spielt das Regime in der aktuellen Transaktionspraxis keine bedeutende Rolle (was sich natürlich ändern mag).

Zuletzt hält die Regierung des Vereinigten Königreichs sogenannte „Golden Shares“ an bestimmten Unter-nehmen, zum Beispiel in der Verteidigungsindustrie.4 Teil des mit diesen Anteilen verbundenen Rechtekatalogs sind Interventionsmöglichkeiten, die der Re gierung er-lauben, politisch ungewollte Transaktionen, so bei-spielsweise auch solche in Bezug auf ausländi sche Direktinvestitionen, zu verhindern.

2.2 Frankreich

Die wesentlichen Vorschriften des französischen Außenwirtschaftsrechts finden sich in den Artikeln L. 151-1 und R. 153-1 f. des französischen Währungs- und Finanzgesetzbuchs („Code monétaire et financier“ („CMF“)). Kern der letzten Novellierung des Gesetzes war der Umbau des zuvor bestehenden nachträgli-chen Meldesystems in ein vorheriges Genehmigungs-system. Nach Artikel L. 151-3 CMF wird das Vorab-prüfungsverfahren für jedwede ausländische Investi-tion in französische Unternehmen dann ausgelöst, wenn die Ausübung öffentlicher Gewalt bzw. Aufgaben berührt wird oder die Transaktion in einen der nachfol-genden Sektoren fällt: (i) Bereiche, die die öffentliche Ordnung und Sicherheit oder nationale Verteidigungs-interessen berühren, (ii) Forschung, Produktion oder Verkauf von Waffen, Munition oder explosiven Gegen-ständen. Diese Kategorien werden im Gesetz näher definiert.

Zudem wird zwischen Nicht-EU- und EU-Investoren unterschieden. Soweit Nicht-EU-Investoren beteiligt sind, bedeutet „Investment“ per definitionem jeweils in Bezug auf ein in Frankreich ansässiges Unternehmen (i) die Akquisition der „Kontrolle“ über diese Gesellschaft, (ii) die Akquisition von allen oder einem Teil der Aktivitäten dieser Gesellschaft oder (iii) die Akquisition von 33,33% des Kapitals oder der Stimmrechte dieser Gesellschaft. Hingegen ist die Definition des „Invest-ments“ für EU-Investoren enger gezogen und umfasst nur die Szenarien (i) und (ii) der vorgenannten Auflis-tung, sodass die Akquisition von 33,33% des Kapitals oder der Stimmrechte nicht eingeschlossen ist. Das zu-ständige Ministerium für Wirtschaft hat einen breiten Ermessensspielraum, welche Investitionen Gegenstand des Prüfungsverfahrens sind. Wie auch in den übrigen Jurisdiktionen ist die einzelne Definition der Rechts-begriffe dem kompetenten Ministerium überlassen.

4 So beispielsweise an BAE Systems, das 2012 aufgrund des Abbruchs der Vertragsverhandlungen mit EADS in die Schlagzeilen geriet.

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REPORT • RECHT UND STEUERN

Das französische Recht eröffnet auch einen „schma-len“ Weg über eine Anfrage beim französischen Minis-terium für Wirtschaft, ob die geplante Transaktion Gegenstand des außenwirtschaftlichen Prüfungsrechts ist. Das Gesetz setzt dem Ministerium hierfür eine zweimonatige Beantwortungsfrist. Das Fehlen einer gegenteiligen Mitteilung des Ministeriums führt aber nicht dazu, dass die Transaktion als genehmigt gilt. Gleichzeitig hat ein Investor die Möglichkeit, beim Ministerium für Wirtschaft eine Verzichtserklärung da-hingehend zu erwirken, dass bestimmte Transaktionen, beispielsweise Transaktionen innerhalb eines Konzerns, von der Genehmigungspflicht befreit sind. Hier hat das Ministerium ebenfalls die Pflicht, innerhalb von zwei Monaten zu entscheiden. Lässt es diese Frist verstrei-chen, gilt in diesem Fall die Verzichtserklärung als erteilt.Sollte eine Genehmigung trotz bestehender Verpflich-tung nicht eingeholt worden sein, hält das französische Recht ein breites Sanktionsinstrumentarium vor. Zu diesem gehört die nachträgliche Untersagung der Transaktion bis hin zu einer Geldstrafe in Höhe des zweifachen Wertes des nicht genehmigten Investments. Darüber hinaus kann jede interessierte Partei Klage auf Feststellung dahingehend erheben, dass die Transaktion aufgrund der Verletzung der außenwirtschaftlichen Genehmigungspflicht „null und nichtig“ ist. Schließlich kennt das französische Recht auch eine Benach rich ti-gungspflicht gegenüber der französischen Administra-tive in dem Moment, in dem die erste Bedingung des Vollzugs des entsprechenden Kaufvertrages erfüllt wird.

2.3 Spanien

Das spanische Außenwirtschaftsrecht wird im Kern vom königlichen Dekret 664/1999 („Real Decreto 664/1999“) geprägt. Das Regime wurde in den ver-gangenen Jah ren dereguliert, was eher gegen den europäischen Trend läuft. Auch ein nachträgliches Mel-deverfahren, wie es in Spanien grundsätzlich vorgese-hen ist, ist den anderen Jurisdiktionen eher fremd. Eine vorherige Meldung ist nur dann notwendig, soweit eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:

(i) Das Investment ist von einem Land oder einem Territorium unternommen worden, das als Steuer para-dies identifiziert wurde, es sei denn, es werden weniger als 50% der Anteile am Zielunternehmen erworben oder das Investment wird von einem in Spanien gelis-teten Fonds unternommen; oder

(ii) Das Investment bezieht sich auf die Akquisition von Immobilien für diplomatische oder konsularische Zwecke, es sei denn, dass eine Vereinbarung eine Privilegierung im Hinblick auf bestimmte Länder vor-sieht.

Sonstige Benachrichtigungsvorschriften setzen einen Genehmigungsprozess grundsätzlich nicht in Gang. Sobald die Benachrichtigung unternommen ist, kann der Investor die Transaktion grundsätzlich vollziehen. Von diesem Grundsatz besteht eine Ausnahme, wenn der Ministerrat aufgrund einer Ad-hoc-Ent schei dung zu dem Ergebnis kommt, dass die Transaktion ein Risiko für die öffentliche Gewalt, die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit birgt. Dieser An satz basiert aber auf einer fallbezogenen Entscheidung des Mi-nis terrats und der Vollzug der Transaktion ist solange aufgeschoben. Spezielle Regelungen gibt es des Wei teren im Zusammenhang mit Investitionen in den folgenden Sektoren: Glücksspiel, Luftverkehr, Mine-ralien und Bergbau, Telekommunikation, Energie und Finanzen. Diese Bereiche sind daher mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Gegen stand des ministerialen Ad-hoc-Prüfungsverfahrens. In Übereinstimmung mit den übrigen europäischen Prü fungs regimen enthält das spanische Außenwirt schafts recht weitere, besonders re-striktive Vorschriften für Verteidigungs- und verwandte Güter.

2.4 Weitere EU-Jurisdiktionen

(1) ItalienItalien hat durch das Gesetz Nr. 56 vom 11. Mai 2012 („Legge 11 maggio 2012, n. 56“) ein Prüfverfahren ein-geführt, welches jede Akquisition unabhängig von de-ren Wert erfasst sowie auf ein gesteigertes Maß an Reziprozität setzt. Denn Italien behandelt ausländische Direktinvestitionen grundsätzlich so wie italienische Direktinvestitionen im entsprechenden Herkunftsland des Investors behandelt werden. Transaktionen aus den Bereichen Verteidigung oder nationale Sicherheit bedürfen auch für EU-intraterritoriale Investoren einer vorherigen Genehmigung. Ansonsten identifiziert das Gesetz als strategische Sektoren Infrastruktur, Transport, Medien, öffentliche Einrichtungen und Energie, welche für EU-extraterritoriale Investoren eine vorherige Ge-neh migung erfordern.

(2) ÖsterreichDas österreichische Außenwirtschaftsgesetz sieht in § 25a vor, dass Übernahmen einer Genehmigung be-dürfen, wenn das Zielunternehmen mit Sitz in Öster-reich (i) eine entscheidende Größe hat, (ii) in einem Bereich tätig ist, der die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 52 und Art. 65 Abs. 1 AEUV betrifft, so beispielsweise in der Verteidigungsindustrie oder der Daseins- und Krisenvorsorge, und (iii) der Erwerb durch eine natürliche Person erfolgt, die kein Unionsbürger, Bürger des EWR oder der Schweiz ist, oder durch eine juristische Person oder Gesellschaft, die ihren Sitz in einem Drittstaat mit Ausnahme des EWR und der Schweiz hat. Eine Genehmigung wird dann

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RECHT UND STEUERN • REPORT

be nötigt, wenn 25% der Anteile oder der Stimmrechte oder „beherrschender Einfluss“ an einem solchen Unter-nehmen erworben werden. Sie muss bereits vor dem Vertragsschluss eingeholt werden. Gleiches gilt für EU-intraterritoriale Investoren, wenn auf diese „beherrschen-der Einfluss“ aus Nicht-EU-Ländern ausgeübt wird.

3. Auswirkungen des EU-Verordnungsvorschlags für die Überprüfung ausländischer Direkt-inves titionen

Am 14. September 2017 veröffentlichte die EU einen Vorschlag für eine europäische Verordnung zur Schaf-fung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Europäischen Union.5 Ziel dieses Vorschlags ist die Einführung eines EU-weiten Koordinierungsprozesses unter Einbeziehung der Euro-päischen Kommission. Dazu soll ein verbindlicher und einheitlicher Koordinierungsprozess geschaffen wer-den. Die Begriffe, Prozedere und Fristen sind (noch) eher vage formuliert. Ein detaillierter Maßnahmenkata-log, welcher die nationalen Regelungen der Mit glied-staaten ablösen könnte, fehlt. Formell und materiell werden die Mitgliedstaaten für die Prüfung auslän-discher Direktinvestitionen zuständig bleiben, wobei durch den EU-Verordnungsvorschlag neue Verfahrens-komponenten in den Prüfungsprozess integriert wer-den. Der EU-Verordnungsvorschlag kann als erster Schritt in Richtung eines einheitlichen Prüfrahmens verstanden werden. Es bleiben aber auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten prozessuale und materielle Unter-schiede zur Überprüfung ausländischer Direktinves-titionen bestehen.6

Die Auswirkungen des EU-Verordnungsvorschlags sind dennoch nicht zu unterschätzen. Der nun diskutierte Koordinierungsprozess wird mit einer hohen Wahr-scheinlichkeit dazu führen, dass ausländische Direkt-investitionen in der EU einer tieferen und zeitlich ge-streckten Prüfung unterzogen werden, was nicht zuletzt bei außenwirtschaftlich betrachtet „liberalen“ Mitgliedstaaten für Kritik gesorgt hat. Denn auch diese Mitgliedstaaten werden in den Koordinierungsprozess nach derzeitigem Stand einbezogen. Strukturen oder Kompetenzen müssten dort sodann erst geschaffen werden. Darüber hinaus wird ein besonderes Augenmerk auf solche Transaktionen zu legen sein, die europäische Programme (wie zum Beispiel Galileo, Horizon 2020 etc.) berühren.

Der EU-Verordnungsvorschlag nimmt den Mitglied-staaten aber nicht die Kompetenz, eigenständige

5 Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?qid=1513608134266&uri=CELEX:52017PC0487.

6 Vgl. Sturm/Henning, M&A Review 2017, 444.7 Vgl. beispielsweise: EuGH, 14.03.2000 - C 54/99; EuGH 14.10.2004 - C 36/02; EuGH

15.2.2016, C-601/15.

Entscheidungen zu treffen, sondern knüpft vielmehr an die bereits bestehenden nationalen Regelungen an und führt sie erstmals auch organisatorisch auf das eu-ropäische Niveau, während materielle Prüfungspunkte („öffentliche Sicherheit und Ordnung“) bereits europa-rechtlich an Kontur gewonnen haben.7 Damit bleibt der EU-Verordnungsvorschlag hinter dem US-ameri-kanischen CFIUS-System zurück. Ansprechpartner für eine außenwirtschaftliche Freigabe ist de lege lata und wird auch nach der Umsetzung des EU-Verord-nungsvorschlags in seiner jetzigen Form die einzelne nationale Prüfbehörde bleiben, was den nicht uner-heb lichen Koordinierungsprozess kaum verringern dürfte. Der EU-Verordnungsvorschlag ist weiterhin Gegen stand politischer und legislativer Beratung, so-dass dessen genaue Umsetzung abzuwarten bleibt.

4. Auswirkungen auf die Transaktionspraxis

4.1 Wesentliche Unterschiede auf Ebene der Mitgliedstaaten

Der EU-Verordnungsvorschlag hat den verschiedenen nationalen außenwirtschaftlichen Prüfsystemen inner-halb der EU weitere Aufmerksamkeit beschert. Deren Analyse verdeutlicht, dass die Regime teilweise sehr unterschiedlich konzipiert sind, woran auch der EU-Verordnungsvorschlag in derzeitiger Fassung nicht viel ändern wird. Dabei ist zunächst festzustellen, dass dieser Vorschlag nur einen einheitlichen Rahmen schaf-fen will, um die bisher bestehenden Regime und die verschiedenen nationalen Prüfverfahren miteinander zu koordinieren, und die EU-Kommission als weitere Instanz involviert. Die Differenzen zwischen den natio-nalen Prüfregimen werden bestehen bleiben.

Ein erster signifikanter Unterschied ergibt sich entlang des Begriffs der Herkunft des Investors. Ein enger Ansatz nimmt nur EU-extraterritoriale Transaktionen in den Blick. Andere Ansätze gestatten die Eröffnung eines Prüfverfahrens teilweise gänzlich oder teilweise nur für bestimmte Industrien auch bei EU-intraterritorialen Transaktionen (so beispielsweise in Deutschland, Frank-reich oder Italien). Damit verknüpft sind die unter-schiedlichen Grenzwerte, die eine außenwirtschaftliche (teilweise gepaart mit einer kartellrechtlichen) Prüfung auslösen können.

In Hinblick auf die Industrien unterziehen manche Mitgliedstaaten nur militärische oder damit verbunde-ne Industrien einer außenwirtschaftlichen Überprü-fung. Sollten Mitgliedstaaten eine außenwirtschaftliche Prüfung auch für andere Industrien eröffnen, haben sich die folgenden Industrien als besonders sensibel herauskristallisiert: (i) Energie- und Wasserversorgung, (ii) Ernährung, Agrar und Lebensmittel, (iii), IT und

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Telekommunikation, (iv) öffentliche Gesundheits ver-sorgung und verwandte Leistungen, (v) Banken und Versicherungen, (vi) Infrastruktur und öffentlicher Nah-verkehr sowie (vii) Militär, Verteidigung inklusive aller verwandten und verbundenen Gebiete. Der materielle Prüfungsrahmen („Gefahr für die öffentliche Sicher-heit und Ordnung“) ist im Wesentlichen angeglichen, wenn er auch unterschiedlich auf der Ebene der Mit-gliedstaaten interpretiert wird.

Ein für die Transaktionspraxis essenzieller Unterschied besteht darin, dass manche Prüfsysteme ex-ante, ande-re hingegen ex-post ausgestaltet sind, was „techni-sche“ und Timing-Unterschiede zur Folge hat. Hinzu kommt, dass manche Verfahren, wie beispielsweise das deutsche Außenwirtschaftsrecht, eine zweistufige Prüfung etabliert haben und je nach Prüfphase eine zeitliche Verschiebung des Gesamtprojekts stattfindet. In anderen Jurisdiktionen sind die Prüffristen teilweise gesetzlich überhaupt nicht definiert.

Die dargestellten Unterschiede der nationalen Prüf-regime sollten in einer M&A-Transaktion mit mehreren europäischen Jurisdiktionen berücksichtigt werden. Wesentliche Parameter der nationalen Prüfvorschriften werden sich auch nach einer Umsetzung des EU-Verordnungsvorschlags voraussichtlich nicht verschie-ben. In seiner derzeitigen Fassung sieht dieser weit-gehende Eingriffe in diese EU-weiten „Disharmonien“ nicht vor.

4.2 Koordinierung verschiedener außenwirt-schaftlicher Prüfverfahren in den Mitgliedstaaten

Werden verschiedene nationale Prüfsysteme ausge-löst, liegt es auf der Hand, eine abgestimmte Linie ge-genüber den verschiedenen nationalen Prüfinstanzen zu finden. Dieser Austausch sollte nicht nur auf hori-zontaler Ebene, sondern zukünftig auch auf vertikaler Ebene mit den EU-Institutionen geschehen. Nicht zu vernachlässigen ist des Weiteren eine abgestimmte Kommunikation im Hinblick auf die Kartellanmeldung. Verschiedene Behörden, beispielsweise das Bundes-ministerium für Wirtschaft und Energie sowie das Bundeskartellamt, stimmen sich untereinander ab. Euro päisch und international wird die administrative Koordinierung – nicht erst durch den EU-Verord nungs-vorschlag – zunehmen. Insoweit wird es umso wich-tiger werden, die Parameter einer Transaktion gegen-über verschiedenen national zuständigen Prüfbehör-den konsistent und einheitlich zu kommunizieren. Hier ist auch an eine Verknüpfung der Prüfregime der EU-Mitgliedstaaten mit den US-amerikanischen CFIUS-Ver-fahren zu denken. Dabei muss in der Transaktionspraxis klar herausgearbeitet werden, welche Informationen

für die verschiedenen nationalen Prüfbehörden not-wendig sind, ohne die gemeinsame Linie der Kom-munikation zu verlieren.

5. Fazit und Ausblick

Das europäische Außenwirtschaftsrecht hat in der Transaktionspraxis an Bedeutung hinzugewonnen. Dessen Analyse verdeutlicht nicht nur die Unterschiede in den nationalen außenwirtschaftlichen Prüfregimen, sondern lässt auch hervortreten, welche Bereiche von den europaweit zuständigen Behörden als besonders kritisch gesehen werden. Dies gilt einerseits für jegliche Güter der (militärischen) Verteidigung und damit ver-wandter Gebiete (Dual-Use-Güter, verteidigungsrele-vante IT etc.) und andererseits, wenn auch in einzelnen Verästelun gen unterschiedlich, für die Bereiche der öffentlichen Daseinsfürsorge. Eine Investition in die Bereiche der Energie- und Wasserwirtschaft wird in den meisten Jurisdiktionen besonders intensiv geprüft.

An den formellen und materiellen Unterschieden der nationalen Prüfregime wird auch der EU-Verord nungs-vorschlag nichts ändern. Die außenwirtschaftliche Re-le vanz einer Transaktion mit Bezügen zu unterschied-lichen Mitgliedstaaten muss auch danach für jeden Mitgliedstaat gesondert untersucht werden. Wie mannigfaltig die materiell-rechtlichen Unterschiede be-reits im Hinblick auf die Herkunft des Investors und Schwel lenwerte der Transaktion sind, hat die Analyse ver deutlicht, wobei die Kriterien zur Einordnung der außenwirtschaftlichen Relevanz einer Transaktion für die wichtigsten europäischen Rechtsordnungen ein-heitlich erscheinen. Sie umfassen durchweg (i) die Her-kunft des Investors, (ii) die Art sowie (iii) die Höhe des Investments. Dieser grobe Leitfaden ist mit den unter-schiedlichen Details der mitgliedstaatlichen Prüfungs-systeme zu verbinden.

Dr. Klaus Riehmer ist Partner im Frankfurter Büro von Mayer Brown und Leiter der deutschen Praxisgruppe Corporate/M&A. Er berät nationale und grenzüberschreiten-de M&A-Transaktionen, dabei sowohl öffentliche Übernahmen als auch private M&A- und Corporate-Projekte. In diesem Zusammenhang ist er in internationalen Teams mit anderen Experten von Mayer Brown häufig mit dem deutschen und ausländischen Investmentkontrollverfahren befasst. [email protected]

Dr. Stefan Glasmacher ist Associate im Düsseldorfer Büro von Mayer Brown und Teil der deutschen Praxisgruppe Corporate/M&A. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der Beratung zum deutschen und den europäischen Investmentkontroll verfahren. [email protected]

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6TH EUROPEAN CORPORATE M&A CONFERENCEApril 25, 2018 Villa Kennedy, Frankfurt am Main, Germany

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SPEAKERS SELECTION

Ulrik Horn, Global Tax Dept / M&A Tax Group, SAP SE Ben Husemann, Leiter M&A, BENTELER International AGPankaj Khanna, Head of Investments and Ventures, Siemens AGMarkus Kreitinger, Head of M&A / Corporate Development, GFT Technologies SECarsten Knecht, Head of M&A Legal / Group Legal Counsel, Messer GroupFabio Massimo Natalucci, Deputy Director Monetary and Capital Markets Department, International Monetary FundDr. Stefan Neuhaus, Corporate Director M&A, Henkel AG & Co. KGaASte�en Scholz, Head of M&A, TRUMPF GmbH & Co. KGChristian Schulze Grottho�, Head of Tax Structuring / Tax M&A, Boehringer Ingelheim Corporate Center GmbHJörg Wuttke, Chairman, Business and Industry Advisory Committee to the OECD’s China Task Force

THIS YEAR’S TOPICS

» An assessment of global financial stability risks » Disruption: The opportunities for innovation through M&A » Cross-border M&As: Global growth in times of deglobalization » China business at a crossroads: Drivers and obstacles of the Euro-Asian cooperation

» Shareholder activism and hostile takeovers: Preparing for defence » Digital transformation: Digitalization of the M&A process » Tax e�ciencies: Navigating through an ever-changing business environment

» Mittelstand and family businesses: The opportunities of M&As » Best practices in dealmaking: Secrets of successful transactions » Post merger integration: Integration as a key to generate sustainable value

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90 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE

1. Hintergrund und Zielsetzung

Im aktuellen Marktumfeld mit seinen zunehmend digitalen Herausforderungen ist das Fällen der richtigen Investitionsentscheidung eine entscheidende Voraus-set zung, um die Wettbewerbsfähigkeit eines Unter-neh mens nachhaltig zu sichern. Hierbei gilt es, anor-ganische und organische sowie digitale und analoge Investitionsmöglichkeiten auf Kosten und Nutzen unter Beachtung von Budgetbeschränkungen sorgfältig ge-geneinander abzuwägen. Jede Investitionsentscheidung muss sich hierbei letztlich an der durch sie geschaffenen Wertauswirkung messen lassen. Um Wertauswirkungen zu quantifizieren, sind regelmäßig Bewertungskalküle, insbesondere Kapitalwertkalküle, anzuwenden. Kern-heraus forderung in der Anwendung von Kapitalwert-kalkülen liegt in der sachgerechten Ableitung zukünf-tiger Zahlungsströme und der hierzu risikoäquivalenten Ermittlung von Kapitalkosten.

Zielsetzung der Kapitalmarktstudie für die Länder Deutschland, Österreich und Schweiz (DACH-Kapital-marktstudie)1 ist es, Unternehmenslenkern eine Orien-tierungshilfe bei der Ermittlung von Kapitalkosten durch einen entsprechenden Vergleich mit Marktdaten zu geben. So leitet die DACH-Kapitalmarktstudie auf Basis eines einzigartigen Datensatzes implizite Eigen-kapitalkosten aus zukunftsorientierten Gewinn schät-zungen börsennotierter Unternehmen und kapital-marktbasierten Renditeberechnungen ab. Dieser Ex-ante-Ansatz bietet eine Alternative zur üblichen historischen (Ex-post-)Ermittlung wesentlicher Kapital-kostenparameter. Neben den maßgeblichen Eigen-kapitalkosten parametern nach dem Capital Asset Pricing Model („CAPM“)2 – Basiszins, Betafaktor und (implizite) Marktrisikoprämie – bietet die DACH-Kapitalmarktstudie Aufschluss über implizite Gesamt-markt- und Branchenrenditen, historische Gesamt-markt- und Branchenrenditen in Form von Total

1 Die DACH-Kapitalmarktstudie wird von ValueTrust Financial Advisors SE (ValueTrust) zu-sammen mit dem Institut für Unternehmensrechnung und Wirtschaftsprüfung der Johannes Kepler Universität Linz und der finexpert GmbH (finexpert) halbjährlich zum 30. Juni und 31. Dezember veröffentlicht.

2 Vgl. Pratt/Grabowski, „Cost of Capital“, Wiley Finance, 5. Auflage, 2014, S. 189-201.

Implizite Eigenkapitalkosten in der DACH-Region: Führen gesunkene implizite Eigenkapitalkosten zu höheren Bewertungsniveaus?

Dr. Christian Büchelhofer & Marion Swoboda-Brachvogel (MSc), ValueTrust Financial Advisors SE

Shareholder Returns und eine Einschätzung zu den Bewertungsniveaus des Gesamtmarktes und einzelner Branchen anhand von Börsenmultiplikatoren.3 Da-rüber hinaus sind auf Basis des Datensatzes, der der DACH-Kapitalmarktstudie zugrunde liegt, individuelle Auswertungsmöglichkeiten und spezifische Detail ana-lysen für Unternehmen möglich.

2. Die Datenbasis

Die DACH-Kapitalmarktstudie beinhaltet alle Unter-nehmen aus den Indizes Composite Deutscher Aktien-index (CDAX; 542 Unternehmen), Wiener Börse Index (WBI; 63 Unternehmen) und Swiss Performance Index (SPI; 191 Unternehmen). Die Branchenklassifizierung dieser 796 Unternehmen wurde, wie Abbildung 1 zeigt, von finexpert vorgenommen

Es wurden Daten für den Zeitraum zwischen dem 31. Dezember 2011 und 30. Juni 2017 auf halbjähr-licher Basis erhoben und berücksichtigt. Die für die Analysen notwendigen Unternehmensdaten wurden vom Datenanbieter S&P Capital IQ bezogen. Zur Ableitung der Basiszinssätze wurden Daten der Deutschen Bundesbank und der Schweizer Nationalbank verwendet. Bezüglich der Zusammensetzung der Indizes wurde auf Daten der Deutschen Börse, Wiener Börse und der SIX Swiss Exchange zurückgegriffen.

3. Maßgebliche Parameter der Eigenkapital-kosten

Die zukunftsorientierte Ermittlung impliziter Eigen-kapital kosten basiert auf den Gewinnschätzungen für börsennotierte Unternehmen und Renditeberechnun-gen, die den Aktienkurs rechnerisch erklären. Diese Vorgehensweise wird im Gegensatz zum Rückgriff auf historisch realisierte Renditen als Ex-ante-Ansatz be-zeichnet. Im Rahmen des Ex-ante-Ansatzes wird ein Eigenkapitalkostensatz gesucht, der die Rendite er-

3 Die historischen Gesamtmarkt- und Branchenrenditen in Form des Total Shareholder Return sind nicht Bestandteil dieses Aufsatzes; für weitere Details und eine Definition des Total Shareholder Return siehe die DACH-Kapitalmarktstudie vom 30. Juni 2017, S. 59-60.

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9129. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE • REPORT

wartung der Marktteilnehmer repräsentiert. Es wird hier zu angenommen, dass die Schätzungen von Finanz-analysten die Erwartungen des Kapitalmarktes wider-spiegeln. Die maßgeblichen Eigenkapital kosten para-meter in Analogie mit dem CAPM sind der (risikolose) Basiszins, der Betafaktor und die Marktrisikoprämie.

3.1 Basiszinssatz

Der Basiszinssatz stellt die Verzinsung einer Anlage in (quasi)risikolose Wertpapiere dar und bildet im Rahmen des CAPM die Ausgangsgröße zur Ermittlung risiko-äquivalenter Kapitalkosten.

Der risikolose Zinssatz wird in der Bewertungstheorie und -praxis nach dem Svensson-Modell aus Kapital-marktdaten von kupontragenden Staatsanleihen ab-geleitet. Auf Basis der Renditen von Staatsanleihen mit unterschiedlichen Laufzeiten lässt sich eine Zinsstruk-turkurve für fiktive Nullkuponanleihen (Spot Rates) für einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren schätzen.

Die deutschen Bundesanleihen werden international als jene Anleihen eingestuft, die einer risikolosen Veranlagung am nächsten kommen. Aufgrund ihres nahezu sicheren Charakters (Rating von AAA gemäß S&P) erfüllen deutsche Bundesanleihen weitestgehend

Abb. 1 • Branchenklassifizierung der UnternehmenQuelle: Deutsche Börse, Wiener Börse, SIX Swiss Exchange, finexpert, ValueTrust Darstellung.

Rohstoffe und Chemie (43; 5%)

Finanzwesen und Immobilien (178; 22%)

Konsumgüter (96; 12%)

Telekommunikation (14; 2%)Industrielle Produktion (212; 27%)

Handel, Medien undDienstleistungen (67; 8%)

Pharma und Gesundheitsversorgung (64; 8%)

Informationstechnologie (107; 13%)

Energieversorger (15; 2%)

Abb. 2 • Historische Entwicklung der Basiszinssätze auf Grundlage von ZinsstrukturkurvenQuelle: S&P Capital IQ, Deutsche Bundesbank, Schweizer Nationalbank, ValueTrust-Berechnungen, DACH-Kapitalmarktstudie zum 30. Juni 2017, S. 13-15.

-1,0%

0,0%

1,0%

2,0%

3,0%

4,0%

5,0%

H1 H2

2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1

Deutschland Österreich Schweiz

3,78%

1,24%

2,75%

1,17%

3,86%

2,84%

1,67%

1,33%

2,25%

0,32%

1,79%

0,57%

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92 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE

das Kriterium der Risikofreiheit, weshalb auch gemäß Empfehlung der österreichischen Kammer der Wirt-schaftstreuhänder für die Ableitung des Basiszinssat-zes aus der Zinsstrukturkurve auf die von der Deut-schen Bundesbank veröffentlichten Daten abzustellen ist. Ebenso genießen von der Schweiz emittierte An-leihen ein AAA-Rating und werden von der Schweizer Natio nalbank als risikolos betrachtet.4

4 Bei einer Analyse des (risikolosen) Basiszinssatzes unterschiedlicher Länder sind unter-schiedliche Vorgaben in der Ermittlung und unterschiedliche Laufzeiten der zugrundelie-genden Staatsanleihen/Zinsstrukturkurven zu berücksichtigen. Nach dem aktuellen öster-reichischen Fachgutachten KFS/BW 1 ist der Basiszinssatz „unter Berücksichtigung der Laufzeitäquivalenz zum zu bewertenden Unternehmen aus der zum Bewertungsstichtag (Stichtagsprinzip) gültigen Zinsstrukturkurve abzuleiten“. Im Gegensatz dazu ist gemäß den Empfehlungen des deutschen Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) typisierend der ri-sikolose Zinssatz auf Basis eines zum Bewertungsstichtag gültigen Durchschnittswertes aus den täglichen Zinsstrukturkurven der letzten drei Monate abzuleiten. In der Berech-nung des Basiszinssatzes für Deutschland wurden die Vorgaben des IDW und in der Berechnung des Basiszinssatzes für Österreich die Vorgaben des KFS/BW1 beachtet. In der Schweiz gibt es keine generellen Richtlinien zur Ableitung des Basiszinssatzes. Die am meisten genutzten Basiszinssätze in der Unternehmensbewertung sind die Renditen der 10-jährigen Schweizer Bundesanleihen zum Stichtag sowie die aus dem Dreimonats-durchschnitt der Zinsstrukturkurven abgeleiteten Renditen (analog zum IDW). Im Rahmen dieser Studie folgt die Berechnung des Basiszinssatzes für die Schweiz den Vorgaben des IDW.

Es zeigt sich zunächst, dass sich die Basiszinssätze in den betrachteten Ländern zum 30. Juni 2017 grundsätzlich noch immer auf einem historisch niedrigen Niveau be-finden. Eine Betrachtung der Entwicklung vom 30. Juni 2016 bis zum 30. Juni 2017 weist jedoch auf einen stei genden Trend der Basiszinssätze in den betrachteten Ländern – in der Schweiz von 0,19% auf 0,32%, in Deutschland von 0,91% auf 1,24% und in Österreich von 0,49% auf 1,33% – hin.

Die Renditeentwicklung der Staatsanleihen, die sich im historisch niedrigen Basiszinssatz widerspiegelt, hat ei-nen erheblichen Einfluss auf Investitions-, Transaktions-, und Finanzierungsentscheidungen in einem Unter neh-men. Im Rahmen der Unternehmensbewertung ist bei einer Abbildung des niedrigen Zinsniveaus auch der Einfluss ebendieses Zinsniveaus auf andere bewer-tungsrelevante Parameter, wie beispielsweise die Zah-lungsströme oder die Marktrisikoprämie, zu reflektie-

Abb. 3 • Marktwertgewichtete Gesamtmarktrendite und implizite Marktrisikoprämie DAX im ZeitverlaufQuelle: S&P Capital IQ, Deutsche Bundesbank, ValueTrust-Berechnungen, DACH-Kapitalmarktstudie zum 30. Juni 2017, S. 19.

9,4%8,6% 8,3% 8,3%

8,9% 8,5% 9,0% 8,6% 8,6%

11,8% 11,2%10,0%

9,0% 9,0% 7,6%7,1% 7,1% 7,1%

5,9% 5,8%7,0%

8,1% 7,6% 7,4%

H2

2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H10,0%

2,0%

4,0%

6,0%

8,0%

10,0%

12,0%

14,0%

Basiszinssatz Implizite Marktrisikoprämie Implizite Marktrendite (marktwertgewichtet)

Abb. 4 • Marktwertgewichtete Gesamtmarktrendite und implizite Marktrisikoprämie ATX im ZeitverlaufQuelle: S&P Capital IQ, Deutsche Bundesbank, ValueTrust-Berechnungen, DACH-Kapitalmarktstudie zum 30. Juni 2017, S. 21.

11,6% 11,3%

9,5% 9,5%8,8%

7,1%

8,4%7,3%

8,3% 8,1% 8,2% 8,3%

9,2%8,9%

7,3% 7,0%

6,0% 4,8%6,8% 5,6%

6,8%7,6% 7,2% 6,9%

H2

2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H10,0%

2,0%

4,0%

6,0%

8,0%

10,0%

12,0%

14,0%

Basiszinssatz Implizite Marktrisikoprämie Implizite Marktrendite (marktwertgewichtet)

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9329. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE • REPORT

ren; ansonsten kann es zu signifikanten Verzerrungen bei den Bewertungsergebnissen kommen.

3.2 Implizite Marktrisikoprämien

Die Marktrisikoprämie ist kein unmittelbar am Kapital-markt zu beobachtender Parameter, sondern – gemäß dem CAPM – die Differenz zwischen den empirisch zu beobachtenden Parametern Gesamtmarktrendite und Basiszinssatz.5 Zur Berechnung impliziter Gesamt-marktrenditen (und damit auch impliziter Kapitalkosten) sind grundsätzlich mehrere Grundmodelle, wie ins-besondere das Dividendendiskontierungsmodell, das Residualgewinnmodell oder das Gewinnkapitali sie-rungsmodell, anwendbar. Das Auflösen der Modelle nach den Gesamtmarktrenditen (=Eigenkapitalkosten) liefert die implizite Eigenkapitalrendite.6 Für die folgen-den Analysen wurde vereinfachend auf Jahres schei-benbasis eine Ausprägung des Residualgewinnmodells nach Babbel herangezogen.7

5 Im Grunde drehen sich damit sämtliche Diskussionen über die Höhe und Art und Weise der Ableitung nicht um die „richtige“ Marktrisikoprämie, sondern um die „richtige“ Gesamtmarktrendite.

6 Auf Basis dieser drei Grundmodelle wurde eine Vielzahl an Modellspezifikationen entwi-ckelt. Für weiterführende Details siehe bspw. Reese, 2007, „Schätzung von Eigenkapital-kosten für die Unternehmensbewertung“.

7 Vgl. Babbel, Challenging Stock Prices: Aktienpreise und implizite Wachstumserwartungen, in: Corporate Finance, Nr. 9, 2015, S. 316-323, insbesondere S. 319.

Gewinnprognosen basieren auf Analystenschätzungen. Für das prognostizierte Gewinnwachstum wurde ver-einfachend in Anlehnung an das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank eine typisierte Wachstums-rate von 2,0% p.a. unterstellt. Implizite Gesamtmarkt-ren diten wurden auf Basis der Indizes Deutscher Aktien-index (DAX), Austrian Traded Index (ATX) und Swiss Market Index (SMI) ermittelt.

In allen drei betrachteten Aktienmärkten sind die Gesamtmarktrenditen vom 30. Juni 2011 bis 30. Juni 2014 deutlich zurückgegangen, um sich in den Folgeperioden bis 30. Juni 2017 in einer Seitwärtsten-denz fortzuentwickeln. Über den gesamten Zeitraum vom 30. Juni 2011 bis 30. Juni 2017 sind die Gesamt-marktrenditen in Deutschland von 11,8% auf 8,6%, in Österreich von 11,6% auf 8,3% und in der Schweiz von 9,9% auf 6,8% gesunken. Ferner fällt auf, dass aufgrund des gleichzeitigen Rückgangs der Basis zins-sätze – insbesondere ab dem 30. Juni 2014 – die impli-ziten Marktrisikoprämien gestiegen sind: im Zeitraum vom 30. Juni 2014 bis 30. Juni 2017 von 5,8% auf 7,4% in Deutschland, von 4,8% auf 6,9% in Österreich und von 5,6% auf 6,5% in der Schweiz.8

Bei einer Betrachtung der aktuellen Entwicklung zeigt sich, dass die Gesamtmarktrenditen im ersten Halbjahr 2017 am österreichischen und deutschen Kapitalmarkt nahezu konstant geblieben sind; der moderate Anstieg des Basiszinssatzes hat zu etwas geringeren Markt-risikoprämien auf beiden Kapitalmärkten geführt. In der Schweiz hingegen ist auch im ersten Halbjahr 2017 die Gesamtmarktrendite gesunken (von 7,4% auf 6,8%), und dementsprechend hat auch die implizite Markt-risikoprämie einen Rückgang von 7,2% auf 6,5% zu verzeichnen.

8 Die impliziten Marktrisikoprämien liegen somit in der vom Fachausschuss für Unter-nehmensbewertung (FAUB) des IDW mit Beschluss vom 19. September 2012 empfohlenen Bandbreite der Marktrisikoprämie (vor persönlichen Steuern) zwischen 5,0% und 7,5%.

Abb. 5 • Marktwertgewichtete Gesamtmarktrendite und implizite Marktrisikoprämie SMI im ZeitverlaufQuelle: S&P Capital IQ, Schweizer Nationalbank, ValueTrust Berechnungen; DACH-Kapitalmarktstudie zum 30. Juni 2017, S. 23.

9,9% 9,4%8,9%

8,1% 7,9%7,3% 7,6% 7,2% 7,4% 7,2% 7,4%

6,8%8,5% 8,3%7,8%

6,7%6,1% 5,6% 6,6% 6,6% 6,7%

7,0% 7,2%6,5%

H22011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H10,0%

2,0%

4,0%

6,0%

8,0%

10,0%

12,0%

Basiszinssatz Implizite Marktrisikoprämie Implizite Marktrendite (marktwertgewichtet)

Es gilt: , mit

rt° = Gesamtmarktrendite (=Eigenkapitalkosten) in t

JÜt+1 = erwarteter Jahresüberschuss in der Folgeperiode

Pt = Marktkapitalisierung in tBt = Buchwert des Eigenkapitals in tg = prognostiziertes Gewinnwachstum

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94 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE

Anpassung der Betafaktoren und somit der unterneh-mensspezifischen Risikoprämien.10 Zur Berechnung der unverschuldeten Betafaktoren wurde die Anpassungs-formel nach Harris/Pringle11 unterstellt:

In einer Zweijahresbetrachtung beträgt das verschulde-te Markt-Beta aufgrund des Ausschlusses von statistisch insignifikanten Betas nicht 1,0, sondern liegt bei 0,98; der Anteil der Verschuldung am systematischen Risiko liegt bei ca. 16%, damit beträgt das unverschuldete Markt-Beta 0,82 in der Zweijahresbetrachtung. Im Zeit raum vom 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2017 wies die Finanz wesen- und Immobilien-Branche mit 1,06 das höchs te marktwertgewichtete, verschuldete Beta auf, die Branche Handel, Medien und Dienstleistungen hin-gegen das geringste verschuldete Beta mit 0,74. Der größte Beitrag der Verschuldung zum systematischen Risiko ist bei Energieversorgern zu beobachten: Das verschuldete Beta liegt hier bei 0,88 und das unver-schuldete Beta nur bei 0,56.

10 Die Verschuldung von Banken ist Teil des operativen Geschäftsmodells. Somit ist ein Unlevern des Betas in dieser Branche nicht möglich.

11 Vgl. Enzinger/Pellet/Leitner, „Debt Beta und Konsistenz der Bewertungsergebnisse“, in: RWZ, 7-8/2014, Art.-Nr.49, S. 212.

3.3 Beta-Faktoren nach Branchen

Der Beta-Faktor ist eine Maßzahl für das systematische Risiko einer Anlageklasse, wie beispielsweise einer Aktie oder einer Branche, im Vergleich zum Gesamtmarkt. Für den Gesamtmarkt liegt das verschuldete Beta – per Definition nach dem CAPM – bei 1,0. Der Betafaktor drückt somit aus, in welchem Maße das unternehmens-spezifische Risiko mit dem des Gesamtmarktes ver-gleichbar ist.

Im Rahmen der DACH-Kapitalmarktstudie wurde auf Branchen-Betas abgestellt, die als marktwertgewich-tetes Mittel der statistisch signifikanten Betafaktoren aller Unternehmen einer Branche gewonnen wurden. Die Ermittlung von Betafaktoren erfolgt üblicherweise durch eine lineare Regressionsanalyse, in der realisierte Renditen für ein Wertpapier gegen einen möglichst brei ten Aktienindex als Annäherung an das Markt-portfolio regressiert werden. Als Referenzindizes wur-den jeweils der CDAX, WBI und SPI verwendet.9 Unternehmensspezifische Risikoprämien nach dem CAPM erfassen neben dem Geschäftsrisiko auch das Verschuldungs- oder Kapitalstrukturrisiko. Der Beta-faktor für ein verschuldetes Unternehmen („verschul-deter Betafaktor“) ist insofern höher als jener für ein sonst identisches, aber unverschuldetes Unternehmen, weil er auch das Kapitalstrukturrisiko berücksichtigt. Daher erfordern Änderungen in der Kapitalstruktur eine

9 Zusätzlich ist der Zeitraum, für den die Daten zu erheben sind (Referenzzeitraum), festzu-legen und zu entscheiden, ob tägliche, wöchentliche oder monatliche Renditen (Rendite-intervall) heranzuziehen sind. Im Einklang mit der gängigen Bewertungspraxis wurden Beobachtungszeiträume von zwei Jahren mit der Regression wöchentlicher Renditen bzw. fünfjährige Beobachtungszeiträume mit der Regression von Monatsrenditen ermittelt. Für Details zum fünfjährigen Betrachtungszeitraum siehe die DACH-Kapitalmarktstudie zum 30. Juni 2017 S. 37.

1,06

0,98 0,97

0,910,93

0,74

1,05

0,86

0,79

0,88

0,78

0,70

0,62

0,75

0,68

0,92

0,56

0,5

0,6

0,7

0,8

0,9

1,0

1,1

Finanzwesen und

Immobilien

Rohstoffeund

Chemie

Konsumgüter Telekommu-nikation

IndustrielleProduktion

Handel, Medienund Dienst-leistungen

Pharma undGesundheits-versorgung

Informations-technologie

Energie-versorger

Verschuldet Links

Unverschuldet Rechts

0,98 Markt-Betaverschuldet

0,82 Markt-Betaunverschuldet

Abb. 6 • Betafaktoren nach Branchen (2 Jahre, wöchentlich) in der DACH-RegionQuelle: S&P Capital IQ, ValueTrust-Berechnungen, DACH-Kapitalmarktstudie zum 30. Juni 2017, S. 37.

βV = βU + (βU – βD) * mit:

βV = verschuldeter Betafaktor

βU = unverschuldeter Betafaktor

βD = Debt Beta

= Verschuldungsgrad zu Marktwerten

(Fremdkapital/Marktwert des Eigenkapitals)

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9529. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE • REPORT

4. Branchenrenditen und Bewertungsniveaus

In Ergänzung zur zukunftsorientierten Ermittlung impli-ziter Gesamtmarktrenditen erfolgte eine Ermittlung impliziter Marktrenditen auf Branchenebene. Dies bie-tet zum einen eine Alternative zur ex-post-Ermittlung der Eigenkapitalkosten mittels Regressionsanalysen nach dem CAPM und ermöglicht zum anderen einen Vergleich impliziter Marktrenditen auf Branchenebene mit branchenspezifischen Bewertungsniveaus anhand von Multiplikatoranalysen.

4.1 Implizite Branchenrenditen12

Die Berechnung der branchenspezifischen impliziten Marktrenditen erfolgte analog zur Berechnung der Gesamtmarktrenditen auf Basis des Residual gewinn-modells nach Babbel. Für das Gewinnwachstum wurde analog eine typisierte Wachstumsrate von 2,0% p.a. angenommen. Eine Umrechnung der impliziten ver-schuldeten Branchenrenditen in unverschuldete im-plizite Branchenrenditen basiert auf der folgenden

12 DACH-Kapitalmarktstudie zum 30. Juni 2017, S. 39-40.

Trotz gewisser zyklischer Schwankungen im Beobach-tungszeitraum sind die durchschnittlichen impliziten unverschuldeten Eigenkapitalkosten für alle Branchen seit Ende des Jahres 2011 signifikant gesunken. Eine Erklärung hierfür liegt unter anderem an in allen Ländern gesunkenen Basiszinssätzen, spiegelt aber zugleich die durchgängig niedrigeren impliziten Marktrisikoprämien wider.

Die Telekommunikationsbranche weist mit 4,3% zum 30. Juni 2017 die niedrigsten impliziten unverschulde-ten Eigenkapitalkosten auf; die höchsten hingegen sind bei der Pharma- und Gesundheitsversorgungsbranche mit 6,0% zu beobachten. In der Branche Handel, Me-dien und Dienstleistungen sanken die unverschuldeten Eigenkapitalkosten im Betrachtungszeitraum von 7,9% auf 4,7% und damit am stärksten im Branchenvergleich.

4.2 Multiplikator-Bewertung nach Branchen

Neben Kapitalwertkalkülen bildet die Multiplikator-Methode eine praktikable Möglichkeit zur Schätzung von Unternehmenswerten. Die Multiplikator-Methode stellt eine vergleichende Marktbewertung dar. Dem-nach ergibt sich der Wert eines Unternehmens als Produkt einer Bezugsgröße, wie Umsatz oder EBIT, eines Unternehmens mit dem entsprechenden Multi-plikator von Vergleichsunternehmen.

Im Rahmen der DACH-Kapitalmarktstudie wurden Um satz-Multiplikatoren, EBIT-Multiplikatoren, Kurs-Gewinn- Verhältnisse (im Folgenden auch „KGV“) und Kurs-Buchwert-Verhältnisse analysiert.13

13 Vgl. die DACH-Kapitalmarktstudie zum 30. Juni 2017, S. 62-67 und S. 75-93, für weitere Details zu Umsatz-Multiplikatoren, EBIT-Multiplikatoren und Kurs-Buchwert-Verhältnissen.

Abb. 7 • Marktwertgewichtete (unverschuldete) Branchenrenditen in der DACH-RegionQuelle: S&P Capital IQ, ValueTrust-Berechnungen; DACH-Kapitalmarktstudie zum 30. Juni 2017, S. 41-57.

2,0%

4,0%

6,0%

8,0%

10,0%

12,0%

14,0%

H22011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1

Finanzwesen und Immobilien Rohstoffe und Chemie Konsumgüter

Telekommunikation Industrielle Produktion Handel, Medien und Dienstleistungen

Pharma und Gesundheitsversorgung Informationstechnologie Energieversorger

4,7

6,0

5,7

4,8

7,7

4,3

5,9

5,35,5

Berechnungsweise12: = + ( –kf) * mit:

= verschuldete Eigenkapitalkosten

= unverschuldete Eigenkapitalkosten

kf = risikoloser Basiszinssatz

= Verschuldungsgrad zu Marktwerten (Fremdkapital/Marktwert des Eigenkapitals)

Anmerkung: Für Unternehmen der Branche Finanzwesen und Immobilien werden marktwertgewichtete verschuldete Renditen ausgewiesen.

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96 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE

Die hier betrachteten KGV-Multiplikatoren beziehen die Bezugsgröße aus einjährigen Analystenschätzungen zum Jahresüberschuss (sog. Forward-Multiplikatoren, im Folgenden „1yf“). Im Rahmen der Auswertung wur-den Ausreißer, die unter dem 5%-Quantil oder über dem 95%-Quantil bezogen auf die periodenspezifische Gesamtdatenbasis liegen, ausgeschlossen.

Die KGV-Multiplikatoren sind seit dem 31. Dezember 2011 in allen Branchen signifikant angestiegen. Das aggregierte Kurs-Gewinn-Verhältnis über alle Branchen beträgt zum 30. Juni 2017 in der DACH-Region 20,2x und erreicht somit das höchste Niveau im Betrach-tungszeitraum.

Das höchste branchenspezifische KGV mit 23,8x zum 30. Juni 2017 ist in der Pharma- und Gesund heits ver-sorgungsbranche zu beobachten, das niedrigste KGV mit 16,2x hingegen in der Finanzwesen- und Immo -bi lienbranche.

5. Zusammenfassung

Die wesentlichen Ergebnisse der DACH-Kapital-marktstudie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

• Die Basiszinssätze sind in allen drei DACH-Ländern seit 31. Dezember 2011 signifikant gesunken und befinden sich zum 30. Juni 2017 – trotz des Anstiegs seit 30. Juni 2016 – weiterhin auf historisch niedri-gen Niveaus. Im Rahmen der Unternehmensbewer-

tung ist bei einer Abbildung des niedrigen Zins-niveaus auch der Einfluss ebendieses Zinsniveaus auf andere bewertungsrelevante Parameter, bspw. die Zahlungsströme oder die Marktrisikoprämie, zu reflektieren; ansonsten kann es zu signifikanten Verzerrungen bei den Bewertungsergebnissen kommen.

• Über den gesamten Zeitraum vom 31. Dezember 2011 bis 30. Juni 2017 sind die impliziten Gesamt-marktrenditen in Deutschland von 11,8% auf 8,6%, in Österreich von 11,6% auf 8,3% und in der Schweiz von 9,9% auf 6,8% gesunken. Dies spie-gelt unter anderem den Rückgang der Basiszins-sätze wider.

• Der niedrigste unverschuldete Beta-Faktor ist über einen zweijährgen Betrachtungszeitraum bei Ener-gieversorgern (0,56) zu beobachten, das höchs-te unverschuldete Beta hingegen in der Pharma- und Gesundheitsversorgungsbranche (0,92). Das höchste verschuldete Beta hingegen weist die Finanz wesen- und Immobilienbranche mit einem Wert von 1,06 auf.

• Die impliziten unverschuldeten Eigenkapitalkosten sind im Betrachtungszeitraum in allen Branchen signifikant gesunken, wobei der stärkste Rückgang bei Unternehmen der Branche Handel, Medien und Dienstleistungen zu verzeichnen ist.

Abb. 8 • KGV-Multiplikatoren (1yf, Median) nach Branchen in der DACH-RegionQuelle: S&P Capital IQ, ValueTrust-Berechnungen, DACH-Kapitalmarktstudie zum 30. Juni 2017, S. 41-57.

16,2x

17,1x17,7x18,5x

20,8x19,6x

23,8x23,1x

16,7x

9,0x

12,0x

15,0x

18,0x

21,0x

24,0x

27,0x

30,0x

H22011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1 H2 H1

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BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE • REPORT

• Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse sind in allen Branchen im Betrachtungszeitraum hingegen deutlich ange-stiegen, was sich in einem aggregierten KGV für die DACH-Region von 20,2x zeigt. Die im Vergleich zu den Unternehmensgewinnen überproportionale Aktienmarktperformance in den vergangenen Jah-ren und die nun generell hohen Bewertungsniveaus sind – analog zum Modell nach Babbel – die Haupt-ursache für die rückläufigen impliziten Eigenkapital-kosten.

Die DACH-Kapitalmarktstudie zeigt, dass neben einer Verwendung historischer Renditen zur Ableitung we-sentlicher Kapitalkostenparameter auch die Heran-ziehung impliziter Renditen eine zusätzliche Orien-tierungshilfe für Unternehmenslenker bietet.14 Während implizite Renditen stichtagsbezogene Schätzungen sind und zukunftsorientierte Renditeveränderungen

14 Zur zunehmenden Bedeutung impliziter Eigenkapitalkosten in der Praxis der Unterneh-mensbewertung siehe auch Aders/Aschauer/Dollinger „Die implizite Marktrisikoprämie am österreichischen Kapitalmarkt“, in: RWZ, 6/2016, Art.-Nr. 47, und Aschauer/Dollinger „Die Ermittlung von Eigenkapitalkosten durch die empirische Messung von impliziten Branchenrenditen – ein alternatives Kapitalkostenkonzept?“, in: RWZ, 04/2017, Art.-Nr. 26.

im Zeitverlauf aufzeigen, ermöglichen historische Ren-diten die Ableitung langfristiger Renditebandbreiten. Beide Betrachtungsweisen werden berechtigterweise kontrovers diskutiert. Gerade die Kombination beider Betrachtungsweisen jedoch schafft Orientierung in Zeiten volatiler Kapitalmärkte.

Dr. Christian Büchelhofer ist Managing Director der ValueTrust Financial Advisors SE, einer Financial Advisory Firm mit dem Fokus auf Unternehmensbewertung und Corporate Finance Beratung. Dr. Büchelhofer berät bei Unternehmenstransaktionen, Restrukturierungen, Wertsteigerungsprogrammen und im Rahmen von Rechtsstreitig-keiten. [email protected]

Marion Swoboda-Brachvogel ist Director bei ValueTrust und leitet den Wiener Standort. Vor ihrer Tätigkeit bei ValueTrust war sie im Beteiligungsmanagement, im Investment Banking und in der Strategieberatung tätig. [email protected]

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98 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE

1. Einleitung

Im ersten Teil des Artikels wurde begrifflich und theoretisch in eine Thematik eingeführt, die auf nahe-zu allen Kapitalmärkten im Zusammenhang mit IPOs festzustellen ist: Underpricing. Zusammenfassend konn-te eine Übersicht der bislang vorliegen den Theorien zum Underpricing entwickelt werden. Da diese Theo-rien die Grundlage für den zweiten Teil des Artikels bilden, sei die Übersicht hier noch einmal dargestellt (Abb. 1).

Der zweite Teil fokussiert das Thema Underpricing auf dem deutschen Kapitalmarkt. Damit soll die theore-tische Fundierung auf die Belange der Zielgruppe der M&A Review ausgerichtet werden. Die forschungs-leitende Frage dabei ist, welche der Theorien zum Un-derpricing auf dem deutschen Kapitalmarkt wäh rend der letzten 20 Jahre zutreffen. Dazu werden im folgen-den zweiten Kapitel die empirischen Grundlagen vorge-stellt und aufbereitet. Das dritte Kapitel ist der Be-antwortung der forschungsleitenden Frage gewidmet.

Im vierten Kapitel wird neben einer Zusammenfassung dieses Beitrags „laut darüber nachgedacht“, wie eine Reduktion des Underpricing in der Praxis erreicht werden kann.

2. Empirische Grundlagen

Gegenstand des zweiten Kapitels ist es, das empirische Design für die Beantwortung der forschungsleitenden Frage zu erläutern. Zunächst werden im ersten Unter-gliederungspunkt die methodischen Grundlagen dargelegt.

2.1. Methodisches Vorgehen

Basis der empirischen Auswertungen ist die Primär-marktstatistik der Deutsche Börse AG.1 In dieser Statistik sind alle IPOs der Frankfurter Wertpapierbörse ent-halten. Andere Börsenplätze in Deutschland haben für den Primärmarkt keine Relevanz, da es sich hierbei, wie

1 Vgl. Deutsche Börse: Primärmarktstatistiken – Downloads (www.deutsche-boerse-cash-market.com/dbcm-de/instrumente-statistiken/statistiken/primaermarktstatistiken/down-loads-primaermarktstatistiken, Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ).

Underpricing – Erklärungsansätze für den deutschen Kapitalmarkt – 2. Teil

Dr. Markus Hofmaier, FOM München, Tobias Winterhalter, HypoVereinsbank/UniCredit Bank AG & Prof. Dr. Florian Wiedemann, FOM München

beispielsweise bei der Börse Stuttgart, um klassische Sekundärmarktbörsen handelt. Es wurden nur Neu-emissionen deutscher Unternehmen herangezogen, die im Zeitraum von 01.01.1997 bis 30.06.2017 an der Frankfurter Börse als IPO emittiert wurden. In Summe handelt es sich um 574 IPOs.2 Überdies wurden Daten von Bloomberg verwendet.3

Im ersten Schritt wurden die Daten daraufhin unter-sucht, ob es einen Unterschied macht, ob für die Berechnung des Underpricing der erste Kurs am Sekundärmarkt herangezogen wird oder das Under-pricing mit dem Schlusskurs der Aktie am ersten Handelstag berechnet wird. Wie im ersten Teil dieses Beitrags erwähnt, wird dieser Punkt in der Literatur nicht einheitlich gelöst.

Anschließend wurde das ermittelte Underpricing um die Marktperformance eines Vergleichsportfolios – des DAX 100 – bereinigt (marktbereinigtes Under pricing). Die Marktperformance wird berechnet als Wer te-ntwicklung zwischen dem Ende der Zeichnungs frist und dem ersten Handelstag. In der Praxis ist dies eine Spanne von zwei bis fünf Tagen, wobei der Durch-schnitt bei 3,88 Tagen liegt.4 Um eine einheitliche Berechnung zu ermöglichen, wird für diesen Artikel eine Spanne von vier Tagen zugrunde gelegt.

Schließlich wurde das Underpricing ins Verhältnis zum Emissionsvolumen gesetzt, um damit möglicherweise zu eingehenderen Erkenntnissen zu gelangen.

Damit ist das methodische Vorgehen dieses Beitrags erläutert. Im folgenden Gliederungspunkt werden die empirischen Daten während des Untersuchungszeit-raums dargelegt und gemäß der vorgestellten Methodik aufbereitet.

2.2. Datenbasis

Abbildung 2 zeigt das Underpricing für den Zeitraum vom 01.01.1997 bis 30.06.2017. In der ersten Spalte

2 Für die Auswertungen wurden davon acht IPOs aufgrund fehlender Daten nicht berück-sichtigt.

3 Vgl. Bloomberg Terminal: Historische Preise (HP), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ.4 Vgl. Hunger: IPO-Underpricing im Kontext einer vertikalen Marktsegmentierung,

Dissertation, 2005, S. 108.

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9929. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE • REPORT

steht das Jahr, in welchem die Aktie an der Frankfurter Börse eingeführt wurde. Die zweite Spalte gibt die Anzahl der IPOs für das betreffende Jahr an. Gegen-stand der dritten Spalte ist der Wert für das Underpricing, der als Differenz zwischen dem Emissionskurs und dem ersten Sekundärmarktkurs berechnet wurde. In der vier-ten Spalte ist das Underpricing im Verhältnis zum Schlusskurs der Aktie am ersten Handelstag dargestellt. Die letzte Spalte soll wie angekündigt die absolute Differenz der beiden Werte näher beleuchten.5

5

Das durchschnittliche Underpricing bezogen auf den ersten Sekundärmarktkurs beträgt 30,85% und bezo-gen auf den Schlusskurs der Aktie am ersten Handelstag 33,05%. Es ergibt sich daraus eine durchschnittliche Differenz zwischen beiden Werten in Höhe von 2,20%.6

5 Vgl. Deutsche Börse: Primärmarktstatistiken – Downloads (www.deutsche-boerse-cash-market.com/dbcm-de/instrumente-statistiken/statistiken/primaermarktstatistiken/down-loads-primaermarktstatistiken, Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ); Bloomberg Terminal: Historische Preise (HP), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ.

6 Die Werte ergeben sich nicht durch eine einfache Addition der jeweiligen Spalten, sondern durch Multiplikation mit der Anzahl an IPOs pro Jahr und Division des Gesamtergebnisses durch 566.

Gleichgewichtsgeleitete Erklärungsansätze Ad-hoc-Erklärungshypothesen

• Gleichgewichtsmodell von Rock• Ex-ante-Unsicherheit-Theorie• Signalling-Thesen

Konzentration auf Folgeemissionen Anteil von Altaktionären Beteiligung von Venture-Capital-Firmen Reputation der Emissionsbanken Informationsvorsprung der Emissionsbanken

• Institutionelle Rahmenbedingungen Prospekthaftung Kurspflegemaßnahmen

• Behavioral Finance Herdenverhalten/Kaskadenmodell Stimmungsinvestoren

• Sonstige Theorien Monopolstellung der Emissionsbanken Speculative Bubble Hot Issue Market Prospect Theory Institutional Allocation Marktsegmentierung

Abb. 1 • Theorien zum Underpricing im ÜberblickQuelle: Eigene Darstellung

Jahr des IPO Anzahl an IPO Underpricing (bezogen auf den ersten Kurs)

Underpricing (bezogen auf den Schluss-Kurs)

Differenz

1997 22 24,38% 27,91% 3,53%

1998 61 63,90% 69,75% 5,85%

1999 142 42,94% 45,35% 2,41%

2000 133 44,74% 48,43% 3,69%

2001 20 2,08% 1,25% -0,83%

2002 5 -0,16% -0,44% -0,28%

2004 5 0,90% 0,36% -0,55%

2005 19 9,39% 8,44% -0,94%

2006 66 5,29% 5,36% 0,06%

2007 40 5,03% 5,50% 0,46%

2008 3 7,57% 15,52% 7,95%

2009 1 12,82% 11,03% -1,79%

2010 9 2,50% 2,35% -0,15%

2011 8 2,69% 2,36% -0,32%

2012 5 5,74% 9,34% 3,60%

2013 4 1,49% 0,95% -0,55%

2014 4 3,60% -3,18% -6,78%

2015 11 2,89% 2,10% -0,79%

2016 3 6,37% 6,33% -0,04%

2017 5 5,60% 4,66% -0,94%

Summe 566 30,85% 33,05% 2,20%

Abb. 2 • Underpricing von IPOs in Deutschland 1997–2017Quelle: Eigene Darstellung

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100 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE

Betrachtet man die Jahre mit deutlich größeren Unter-schieden, so erkennt man, dass einzelne Ausreißer zu diesen Ergebnissen geführt haben.

Was insbesondere auffällt, sind die charakteristisch unterschiedlichen Werte in allen Spalten für die Jahre 1997–2000 und ab 2001. Während das durchschnitt-liche Underpricing für diesen ersten Zeitraum bezogen auf den ersten Kurs 46,04% und bezogen auf den Schlusskurs 49,58% betrug, waren es seitdem nur noch 4,72% bezogen auf den ersten Kurs und 4,61% bezo-gen auf den Schlusskurs. Überdies wurden 63% der IPOs zwischen 1997 und 2000 an die Börse gebracht, also in einer Periode, die gerade mal 19% des gesam-ten Zeitraums ausmacht. Während der ersten vier Jahre wurden pro Jahr im Schnitt fast 90 Unternehmen neu gelistet. Anschließend waren es noch nicht einmal 13 pro Jahr. Im Jahr 2003 fand beispielsweise kein einziges IPO in Deutschland statt.

Abbildung 3 ergänzt die bisherigen Daten um das marktbereinigte Underpricing.7

7 Vgl. Deutsche Börse: Primärmarktstatistiken – Downloads (www.deutsche-boerse-cash-market.com/dbcm-de/instrumente-statistiken/statistiken/primaermarktstatistiken/down-loads-primaermarktstatistiken, Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ); Bloomberg Terminal: Historische Preise (HP), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ.

Auch bezüglich der Differenzen zwischen Underpricing und marktbereinigtem Underpricing kann festgehalten werden, dass es für manche Jahre oder Zeiträume zu deutlichen Unterschieden im Vergleich zum Durch-schnittswert von -0,07% oder -0,02%, je nach Be-rechnungsart, kommt. Vergleicht man dies allerdings mit der Anzahl der IPOs in den betreffenden Jahren (beispielsweise im Jahr 2016) und betrachtet man die Einzelfälle für sich, so erkennt man, dass die vergleichs-weise hohen Differenzen dieser Jahre auf die jeweils geringe Anzahl von IPOs zurückzuführen sind, womit die jährlichen Resultate anfälliger für Ausreißer werden.

Der erste Sekundärmarktkurs ist für einen Emittenten letztlich der relevante. Dem Verkäufer geht es nicht um die Frage, wie sich ein Aktienkurs nach der Bör sen-einführung im Auf und Ab des Börsenhandels ent-wickelt. Vielmehr ist es in diesem Zusammenhang interessant, ob der Emissionskurs zu niedrig angesetzt wurde und folglich Ressourcen nicht vollumfänglich ge-nutzt wurden. Will man zusätzlich die aus Käufersicht relevante Frage berücksichtigen, ob das IPO wirklich ein gewinnbringendes Investment war, ist das Underpricing um die Marktperformance einer Vergleichsanlage zu bereinigen. Es muss berücksichtigt werden, dass ein Investor eine Vergleichsanlage tätigen könnte.

Jahr des IPOs

Underpricing (bezogen auf den ersten Kurs)

marktber. Underpricing (bezogen auf den ersten Kurs)

Differenz Underpricing (bezogen auf den Schlusskurs)

marktber. Underpricing (bezogen auf den Schlusskurs)

Differenz

1997 24,38% 24,74% 0,36% 27,91% 28,62% 0,71%

1998 63,90% 63,57% -0,33% 69,75% 69,71% -0,04%

1999 42,94% 43,00% 0,05% 45,35% 45,46% 0,11%

2000 44,74% 44,88% 0,15% 48,43% 48,70% 0,27%

2001 2,08% 2,42% 0,34% 1,25% 1,62% 0,37%

2002 -0,16% -0,66% -0,50% -0,44% -1,63% -1,19%

2004 0,90% 1,29% 0,39% 0,36% 0,65% 0,30%

2005 9,39% 8,77% -0,61% 8,44% 7,79% -0,65%

2006 5,29% 5,06% -0,23% 5,36% 5,22% -0,14%

2007 5,03% 4,51% -0,53% 5,50% 4,61% -0,88%

2008 7,57% 8,48% 0,91% 15,52% 16,41% 0,89%

2009 12,82% 11,01% -1,81% 11,03% 10,67% -0,36%

2010 2,50% 1,34% -1,16% 2,35% 1,20% -1,15%

2011 2,69% 2,11% -0,58% 2,36% 1,30% -1,06%

2012 5,74% 5,35% -0,39% 9,34% 7,63% -1,71%

2013 1,49% 0,38% -1,11% 0,95% -0,42% -1,36%

2014 3,60% 3,25% -0,35% -3,18% -2,58% 0,60%

2015 2,89% 2,32% -0,57% 2,10% 1,03% -1,06%

2016 6,37% 8,37% 2,00% 6,33% 8,62% 2,30%

2017 5,60% 6,62% 1,02% 4,66% 5,97% 1,31%

Summe 30,85% 30,78% -0,07% 33,05% 33,03% -0,02%

Abb. 3 • Underpricing versus marktbereinigtes Underpricing 1997–2017Quelle: Eigene Darstellung

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10129. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE • REPORT

Führt man sich zusätzlich die geringen Differenzen zwi-schen erstem Sekundärmarktkurs und Schlusskurs vor Augen, so ergibt sich als Schlussfolgerung, dass in den folgenden Ausführungen nur noch mit dem markt-bereinigten Underpricing, bezogen auf den ersten Sekundärmarktkurs, gearbeitet wird.

Wie angekündigt werden nun noch die empirischen Daten des Underpricing ins Verhältnis zum Emissions-volumen gesetzt. Hierfür wurden vier Kategorien von Emissionsvolumina gebildet. In Erwartung eines zu-sätzlichen Erkenntnisgewinns aufgrund der erwähnten charakteristischen Datenlage für die Zeiträume von 1997–2000 und 2001–2017 erfolgt die Darstellung der Ergebnisse in zwei Tabellen.8 9

Bei der Analyse der Ergebnisse fällt zunächst auf, dass für beide Zeiträume weder die Emissionen mit dem höchsten noch diejenigen mit dem geringsten Volumen das höchste Underpricing erzielen, sondern diejenigen in den jeweils mittleren Kategorien. Während jedoch für 1997–2000 in der Kategorie > 10 Mio. das durch-schnittlich höchste Underpricing zu verzeichnen war, trifft dies im darauffolgenden Zeitraum für die Kate-gorie > 100 Mio. zu.

Damit sind die empirischen Vorarbeiten abgeschlossen, um sich im folgenden Kapitel der Beantwortung der forschungsleitenden Frage widmen zu können.

8 Vgl. Deutsche Börse: Primärmarktstatistiken – Downloads (www.deutsche-boerse-cash-market.com/dbcm-de/instrumente-statistiken/statistiken/primaermarktstatistiken/down-loads-primaermarktstatistiken, Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ); Bloomberg Terminal: Historische Preise (HP), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ.

9 Vgl. Deutsche Börse: Primärmarktstatistiken – Downloads (www.deutsche-boerse-cash-market.com/dbcm-de/instrumente-statistiken/statistiken/primaermarktstatistiken/down-loads-primaermarktstatistiken, Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ); Bloomberg Terminal: Historische Preise (HP), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ.

3. Erklärungsansätze des Underpricing für den deutschen Kapitalmarkt

Gegenstand von Kapitel drei ist die Beantwortung der Frage, welche der Theorien zum Underpricing auf den deutschen Kapitalmarkt während der letzten 20 Jahre zutreffen. Gemäß dem Überblick über die Theorien in Abbildung 1 gliedern sich diese grundsätzlich in gleich-gewichtsgeleitete Erklärungsansätze und Ad-hoc-Erklärungshypothesen. Wesentlich für die Ex-ante-Unsicherheit-Theorie als Vertreter der gleichgewichts-geleiteten Erklärungsansätze ist die Höhe des mit ei-nem IPO verbundenen Risikos. Unterstellt man nun, dass ein hohes Emissionsvolumen für eine gute Repu-tation des Emittenten und damit für ein geringes Risiko steht, so lässt sich aus den vorhandenen Daten aus Abbildung 4 und 5 die Ex-ante-Unsicherheit-Theorie für den deutschen Kapitalmarkt nicht bestätigen. Auch wenn weitere Untersuchungen zu einem solchermaßen monokausalen Zusammenhang angebracht erscheinen, ist es bemerkenswert, dass sowohl für die Phase von 1997–2000 als auch für den Zeitraum danach ausge-rechnet die Kategorie mit dem geringsten Emissions-volumen das geringste Underpricing aufweist. In bei-den untersuchten Zeiträumen zeigen die beiden mittle-ren Kategorien (Emissionen zwischen < 1 Mrd. EUR und > 10 Mio. EUR) das höchste Underpricing. Das ver-meintliche Risiko bei kleinen Emissionen wird somit nicht durch ein entsprechend hohes Underpricing ent-lohnt.

Auch die Theorie der Konzentration auf Folgeemissio-nen innerhalb der Signalling-Thesen als weiterer gleich-gewichtsgeleiteter Erklärungsansatz lässt sich mit den Daten von Abbildung 4 und 5 für den deutschen

Emissisionsvolumen Anzahl Underpricing

> 1 Mrd. EUR 4 28,22%

> 100 Mio EUR 57 32,28%

> 10 Mio EUR 284 49,96%

< 10 Mio EUR 13 26,19%

Emissisionsvolumen Anzahl Underpricing

> 1 Mrd. EUR 14 4,75%

> 100 Mio EUR 53 5,36%

> 10 Mio EUR 91 4,99%

< 10 Mio EUR 50 3,54%

Abb. 4 • Underpricing nach Emissionsvolumen 1997–2000Quelle: Eigene Darstellung

Abb. 5 • Underpricing nach Emissionsvolumen 2001–2017Quelle: Eigene Darstellung

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102 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE

Kapitalmarkt nicht bestätigen. Gemäß dieser Theorie würden risikolose Unternehmen bewusst ein Under-pricing in Kauf nehmen, um ihre Stärke zu demonstrie-ren und damit bei Folgeemissionen einen höheren Emissionserlös zu erzielen. Für beide der angegebenen Zeiträume kann jedoch festgehalten werden, dass die Emittenten mit der höchsten Reputation nicht das höchste Underpricing vorweisen. Ein Signalisieren von Stärke durch ein hohes Underpricing gemäß der Theorie kann aufgrund dieser Daten allein empirisch nicht verifiziert werden. Nichtsdestotrotz wird eine Verfei-nerung der hier verwendeten durchschnittlichen Werte etwas später in diesem Beitrag zumindest eine diffe-renzierte Interpretation der Ergebnisse zulassen.

Ein weiterer gleichgewichtsgeleiteter Erklärungsansatz ist die Reputation der Emissionsbanken. Um diese für den deutschen Kapitalmarkt zu untersuchen, wurden die Konsortialführer eines IPOs analysiert. Als Daten-quelle dient eine Bloomberg-Rangliste der Emissions-banken gemäß ihrem weltweit platzierten Emissions-volumen.10 Unterteilt wird hier in drei Reputations-Kategorien, beginnend mit der höchsten Reputation absteigend. Der Einordnung in die entsprechende Kate-gorie liegt die Annahme zugrunde, dass die Banken, die weltweit das größte IPO-Volumen platziert haben, die höchste Reputation besitzen. Abbildungen 6 und 711 12

10 Vgl. Bloomberg Terminal: Aktienemissionen, 2000 u. 2016, League Tables (LEAG): 401 Globale Aktienemissionen (30.12.2000), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ.

11 Vgl. Deutsche Börse: Primärmarktstatistiken – Downloads (www.deutsche-boerse-cash-market.com/dbcm-de/instrumente-statistiken/statistiken/primaermarktstatistiken/down-loads-primaermarktstatistiken, Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ); Bloomberg Terminal: Historische Preise (HP), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ; Bloomberg Terminal: Aktienemissionen, 2000, League Tables (LEAG): 401 Globale Aktienemissionen (30.12.2000), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ.

12 Vgl. Deutsche Börse: Primärmarktstatistiken – Downloads (www.deutsche-boerse-cash-market.com/dbcm-de/instrumente-statistiken/statistiken/primaermarktstatistiken/down-loads-primaermarktstatistiken, Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ); Bloomberg Terminal: Historische Preise (HP), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ; Bloomberg Terminal: Aktienemissionen, 2016, League Tables (LEAG): 401 Globale Aktienemissionen (30.12.2000), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ.

zeigen sowohl die Anzahl der IPOs als auch das Under-pricing für jede Kategorie, wiederum unterteilt in den Zeitraum 1997–2000 und 2001–2017.

Betrachtet man die Ergebnisse in beiden Abbildungen, so lässt sich festhalten, dass in der Tat diejenigen Emis sionsbanken, die in die Kategorie mit der höchsten Reputation eingeordnet wurden, das geringste Under-pricing aufweisen. Für 1997–2000 lässt sich auch für die weiteren Kategorien festhalten, dass die Höhe der Reputation mit der Höhe des Underpricing negativ korreliert ist. Von 2001 bis 2017 hat sich jedoch die Rangordnung in den unteren beiden Kategorien um-gedreht. Damit konnte die Theorie der Reputation der Emissionsbanken für den deutschen Kapitalmarkt zwar nicht vollumfänglich verifiziert werden. Zumindest ein „verisimilitude“ gemäß der wissenschaftstheoretischen Grundlagen von Popper13 lässt sich rechtfertigen.

Die nächste hier zu untersuchende Theorie spricht zwar auch das Thema Reputation an, allerdings nicht die Reputation der Emissionsbanken, sondern die der ver-schiedenen Marktsegmente der Börse. Wie in Ab-bildung 1 dargestellt, handelt es sich hier um einen Vertreter der Ad-hoc-Erklärungshypothesen. Demnach sollte mit steigenden Anforderungen des jeweiligen Marktes das Underpricing zurückgehen. Die Unter su-chungen hier beziehen sich auf die beiden Segmente „Regulierter Markt“ und „Open Market“ (bis Oktober 2005: „Freiverkehr“) an der Deutschen Börse in Frank-furt. Die jeweiligen Untersegmente (beispielsweise Prime Standard, General Standard oder Scale) fließen nicht gesondert in die Analyse mit ein. Da die Un-terteilung in Regulierten Markt und Open Market erst

13 Vgl. Popper: Objektive Erkenntnis, 2. Aufl., Hamburg 1974.

Abb. 6 • Underpricing nach Reputation der Emissionsbank 1997–2000Quelle: Eigene Darstellung

Abb. 7 • Underpricing nach Reputation der Emissionsbank 2001–2017Quelle: Eigene Darstellung

Kategorie Anzahl IPOs Underpricing

Top 10 - international 110 33,42%

Top 10 - Deutschland 115 41,61%

Rest 172 46,83%

Kategorie Anzahl IPOs Underpricing

Top 10 - international 110 4,05%

Top 10 - Deutschland 115 4,61%

Rest 97 4,38%

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10329. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE • REPORT

seit November 2007 besteht, werden die IPOs vor diesem Datum entsprechend ihrer damaligen Börsen-plätze den aktuellen Segmenten zugeordnet. Zusätz-lich wird der „Neue Markt“ in die Überlegungen mit einbezogen, da es sich hier bis in das Jahr 2003 um ein wesentliches Marktsegment für IPOs gehandelt hat.

Auch hier werden die empirischen Ergebnisse in zwei Abbildungen jeweils für die Perioden bis und ab dem Jahr 2000 dargestellt. Neben dem Durchschnittsergeb-nis sind die Ergebnisse zusätzlich nach Emissionsvolu-men gegliedert.14 15

Für die Durchschnittswerte kann festgehalten werden, dass der Einfluss des Marktsegments auf das Under-pricing für den deutschen Kapitalmarkt bestätigt wer-den kann, wobei bisweilen deutliche Ausreißer zu erkennen sind. Vor allem der hohe Wert für das Underpricing im Regulierten Markt bei einem Emis-sionsvolumen über 1 Mrd. im Zeitraum 1997–2000 sticht heraus. Wenn man allerdings die Einzeldaten genauer betrachtet, so lässt sich dies durch eine ein-zelne Emission mit einem Underpricing von über 100% bei einer Grundgesamtheit von nur drei Emissionen erklären.

Zwei Aspekte gilt es in diesem Zusammenhang beson-ders zu erwähnen: Zum einen schaffen es auch kleine Firmen durch die Wahl eines Marktes mit einer guten Reputation, ihr Underpricing zu reduzieren. Damit ließe

14 Vgl. Deutsche Börse: Primärmarktstatistiken – Downloads (www.deutsche-boerse-cash-market.com/dbcm-de/instrumente-statistiken/statistiken/primaermarktstatistiken/down-loads-primaermarktstatistiken, Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ); Bloomberg Terminal: Historische Preise (HP), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ.

15 Vgl. Deutsche Börse: Primärmarktstatistiken – Downloads (www.deutsche-boerse-cash-market.com/dbcm-de/instrumente-statistiken/statistiken/primaermarktstatistiken/down-loads-primaermarktstatistiken, Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ); Bloomberg Terminal: Historische Preise (HP), Zugriff 05.09.2017, 17:06 MEZ.

sich eine Rangordnungsthese dergestalt begründen, dass für die Höhe des Underpricing das Marktsegment wichtiger ist als das Risiko des Unternehmens.

Zum anderen zeigen gerade IPOs mit den höchsten Emissionsvolumina im regulierten Markt das höchste Underpricing, was ein gleichsam diametraler Wider-spruch zur Theorie wäre. Begründen kann man dies damit, wenn man, wie weiter oben bereits angespro-chen, die Marktreputationshypothese zusätzlich um die Signalling-Theorie ergänzt. Große Unternehmen signa-lisieren ihre Stärke durch die Kombination von einem bewusst hohen Underpricing einerseits mit dem Markt-segment mit der höchsten Reputation andererseits. Für diese Kombination bestätigen die empirischen Daten folglich die Theorie der Konzentration auf Folge emis-sionen.

Nachdem das negative Underpricing für Emissionen < 10 Mio. EUR geradezu ins Auge sticht, sei auf dieses Ergebnis noch explizit eingegangen. Wenn man nur das durchschnittliche Ergebnis von -8,25% betrachtet, könnte man annehmen, dass für diese Gruppe die Erstemissionen generell zu teuer ausgegeben wurden. Bei der Einsicht der Detaildaten ist jedoch zu erkennen, dass ein einziges IPO mit einem Underpricing von rund -85% das Ergebnis verfälscht. Wird dieses IPO nicht berücksichtigt, liegt das Underpricing für Unterneh-men mit Emissionsvolumina unter 10 Mio. EUR im Regulierten Markt bei 1,28%. Gleichwohl ist auch dieser Wert eine Bestätigung für die Theorie der Marktsegmentierung.

Zusätzlich zu den angegebenen empirischen Daten lässt sich konstatieren, dass eine weitere Ad-hoc-

Underpricing (Anzahl) nach Emissionsvolumen

Segment Anzahl Underpricing > 1 Mrd. EUR > 100 Mio EUR > 10 Mio EUR < 10 Mio EUR

Regulierter Markt 78 16,48% 36,63% (3) 5,35% (18) 18,50% (49) 21,58% (8)

Open Market (Freiverkehr) 4 37,85% – – 37,85% (4) –

Neuer Markt 276 54,57% 8,53% (1) 44,63% (39) 56,93% (231) 32,05% (5)

Underpricing (Anzahl) nach Emissionsvolumen

Segment Anzahl Underpricing > 1 Mrd. EUR > 100 Mio EUR > 10 Mio EUR < 10 Mio EUR

Regulierter Markt 122 2,86% 4,95% (13) 4,75% (52) 2,33% (48) -8,29% (9)

Open Market (Freiverkehr) 73 6,19% 1,01% (1) – 6,66% (32) 5,94% (40)

Neuer Markt 13 9,43% – -0,56% (1) 10,55% (11) 7,19% (1)

Abb. 8 • Underpricing nach Marktsegment 1997–2000Quelle: Eigene Darstellung

Abb. 9 • Underpricing nach Marktsegment 2001–2017Quelle: Eigene Darstellung

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104 M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

REPORT • BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE

Erklärungshypothese, der Ansatz der Monopolstellung der Banken, für den deutschen Kapitalmarkt im Zeit-raum von 1997 bis 2017 als nicht maßgeblich einzu-schätzen ist. Grundsätzlich ist zwar die Inanspruchnah-me eines Finanzdienstleisters die übliche Vorgehenswei-se. Es wurden alle Emissionen im deutschen Kapital-markt während des Untersuchungszeitraums von einer oder zumeist mehreren Banken (Konsortium mit einem Konsortialführer, auch Bookrunner genannt) an die Börse gebracht. Dabei waren allerdings mehr als fünf-zig unterschiedliche Banken beteiligt, angefangen von den klingenden oder nicht mehr klingenden Namen des internationalen Investmentbanking wie Goldman Sachs oder Lehman Brothers über diverse deutsche Landesbanken bis hin zu landläufig eher unbekannte-ren Namen wie equinet Bank. Selbst wenn man nicht von der strengen Lesart eines Monopols mit nur einem einzigen Anbieter ausgeht, kann im deutschen Kapital-markt von einem Banken-Monopol nicht die Rede sein.

Das Gleichgewichtsmodell von Rock, die Kurspflege-maßnahmen der Emissionsbanken, der Informations-vorsprung der Emissionshäuser, die Prospect-Theorie so-wie die Theorien der Beteiligung von Venture-Capital-Firmen und der Institutional Allocation lassen sich mathematisch beziehungsweise mit dem vorhandenen Datenmaterial für den deutschen Kapitalmarkt nicht auf ihre Plausibilität überprüfen.

Die sehr spezielle Datenlage der Periode von 1997 bis 2000 wurde bereits mehrfach erwähnt und in den bisherigen Analysen berücksichtigt. In eine Phase, die lediglich 19% des gesamten Untersuchungszeitraums ausmacht, fallen mehr als 63% aller IPOs. Bei der Charakterisierung eines Hot Issue Market im ersten Teil des Beitrags wurde eine „ansteigende“ Emissionstätigkeit als maßgeblich angegeben. In Hinblick auf eine sol-chermaßen qualitative Kategorisierung erscheint die Bezeichnung „hot“ für die Marktphase zwischen 1997 und 2000 beinahe untertrieben. Auch das zweite Definitionskriterium für einen Hot Issue Market – ein

hohes Underpricing – liegt hier auf der Hand. Markt-bereinigt ist die Höhe des Underpricing während der ersten vier Jahre um mehr als den Faktor 10 höher als anschließend (46,08 versus 4,44%). Die Hypothese des Hot Issue Market wird daher für den deutschen Kapitalmarkt für den Zeitraum von 1997 bis 2000 als bestätigt erkannt.

Wenn man auf Google „dotcom“ eingibt, bekommt man als ersten Vorschlag „dotcom blase“. Gerade der hier betrachtete Zeitraum zwischen 1997 und 2000 gilt als Boomphase dieser Blase. Das extreme Underpricing während dieser Zeit wurde gerade dargelegt, so dass auch die Speculative-Bubble-Theorie für den deutschen Kapitalmarkt für die Spanne von 1997 bis 2000 an-er kannt wird. Zu erwähnen ist freilich, dass eine trennscharfe Abgrenzung zur Hot-Issue-Theorie nicht möglich erscheint.

Gleiches ist für diesen Zeitraum für die beiden Theorien der Behavioral Finance zu konstatieren. Wer selbst wie zum Teil die Autoren während dieser Zeit aktiv im Finanzgeschäft tätig war und mitbekommen hat, wie immer mehr Menschen der Goldgräberstimmung ge-folgt und auf den Börsenzug aufgesprungen sind, ohne die Risiken der Einzelinvestments im Detail zu be-trachten, dem ist auch heute noch die Einzigartigkeit dieser Zeit präsent. Vor allem wird er sich an die Wucht des Themas erinnern, wie es zur Blüte des Neuen Mark-tes die Gespräche an Stammtischen und bei Smalltalks jeglicher Couleur dominiert hat. Die hohe Anzahl der IPOs lockte aufgrund der anschließenden Kursgewinne Investoren in den Markt, die sich vorher noch nie (und anschließend nie wieder) mit dem Thema Aktien be-schäftigt hatten. Weitere Unternehmen versuchten daraufhin, die hohe Nachfrage nach Börsengängen für sich zu nutzen. Deshalb werden für den Zeitraum 1997–2000 für den deutschen Kapitalmarkt auch die Hypothesen des Herdenverhaltens und der Stimmungs-investoren als bestätigt identifiziert.

Speculative Bubble

Stimmungsinvestoren

Herdenverhalten

Hot Issue Market

Reputation der Emissionsbanken

Marktsegmentierung

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

Abb. 10 • Bestätigte Erklärungsansätze für das Underpricing 1997–2017Quelle: Eigene Darstellung

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10529. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

BEWERTUNG UND KAPITALMÄRKTE • REPORT

Damit wurden alle Theorien aus Abbildung 1 mit dem vorhandenen Datenmaterial konfrontiert und die for-schungsleitende Frage dieses Beitrags beantwortet. Das folgende Kapitel vier fasst die Ergebnisse noch einmal zusammen und erlaubt sich darüber hinaus, aus den gewonnenen Erkenntnissen über Anregungen für Emis-sionskandidaten nachzudenken.

4. Zusammenfassung und Anregungen

Die Ausführungen des dritten Kapitels haben gezeigt, dass nicht jede Theorie für den deutschen Kapitalmarkt im betrachteten Zeitraum anwendbar ist. Abbildung 10 gibt einen Überblick über die verifizierten Erklärungs-ansätze.

Gleichzeitig bleibt festzuhalten, dass auch die Gültig-keit der genannten Theorien lediglich raum- und zeit-begrenzt festgestellt werden konnte. Vor allem gilt es anzuerkennen, dass das Underpricing kein monokau-sales Phänomen ist, sondern sich als vielschichtiges Konstrukt mit gegenseitigen Wechselwirkungen dar-stellt. Beschränkt man sich auf einen einzigen Erklä-rungsansatz, wird man der Komplexität der Thematik nicht gerecht.

Zum Schluss dieses zweiteiligen Beitrags sei wie ange-kündigt auf die Frage eingegangen, wie ein Unter-nehmen an die Börse gebracht werden kann, ohne Bestandteil einer Underpricing-Statistik zu werden. Denn genau darum geht es primär aus der Sicht des Verkäufers: einen möglichst hohen Verkaufspreis zu erzielen. Und noch ein Grund spricht dafür: Ein IPO bietet gegenüber klassischer M&A die Option, die (Eigen-)Kapitalausstattung des Unternehmens zu er-höhen. Gerade Verkäufer von selbst gegründeten oder von generationenübergreifend in Familienbesitz be-findlichen Unternehmen möchten die Zukunft der Familienhistorie sowie die Arbeitsplätze langjähriger Wegbegleiter gesichert wissen. Je geringer das Under-pricing, desto mehr Eigenkapital für das Unternehmen und damit desto besser die Zukunftsaussichten.

Um zu verhindern, dass wesentliche Teile des finanziel-len Erfolgs eines IPO nicht dem Emittenten zufließen, wurden mittlerweile sogar auf legislativer Ebene ent-sprechende Vorkehrungen getroffen. In Taiwan sind bei-spielsweise institutionelle Investoren vom Bieterprozess bei bestimmten IPOs ausgeschlossen, was zu einer Reduktion des Underpricing um 4% führt.16

Da es in Deutschland keinerlei solcher Vorschriften gibt, verbleibt als mögliche Alternative für ein Unter-nehmen, sich für den Verhandlungsprozess mit den Emissionsbanken entsprechend zu positionieren. Dies

16 Vgl. Kao/Chen: The Benefit of Excluding Institutional Investors from Fixed-Price IPOs: Evidence from Taiwan, in: Emerging Markets Finance and Trade, 42 (2006), Nr. 6, S.5-24.

beinhaltet im Extremfall, die Platzierung und Zuteilung der Anteile selbst vorzunehmen. Zusätzlich zum Under-pricing würde man sich damit die entsprechenden Gebühren an die Banken sparen. Dies sind jedoch nicht die einzigen Gebühren. Erfahrungswerte zeigen, dass Unternehmen als ungefähre Richtgröße von Kosten von vier bis sieben Prozent des Emissionsvolumens für die Zulassungsgebühr und für die Honorierung von An wälten, Banken, Wirtschaftsprüfern, Kommu nika-tions agenturen und sonstigen Beratern ausgeben müssen.17

Diese Kosten haben Unternehmen so oder so und für den finanziellen Erfolg eines IPO sind sie ohnehin zweit-rangig, da Underpricing für ein IPO die wesentliche Kostenkomponente darstellt.18 Folgender Aspekt wäre daher in diesem Zusammenhang höchst interessant: Inwieweit beeinflusst die Mandatierung einer Emis-sionsbank das Nachfrageverhalten der Investoren und damit den Emissionserlös? Um hier zu wissenschaftlich belastbaren Aussagen gelangen zu können, müsste man Unternehmen finden, die zunächst eigenmäch-tig versucht haben, ihre Anteile am Kapitalmarkt zu platzieren, um schließlich doch Banken damit zu beauf-tragen. Oder umgekehrt. Sollte unter den Lesern jemand entsprechende Erfahrungen aufweisen, kann er sich gerne mit den Autoren in Verbindung setzen. Sofern sich daraus statistisch verwertbare Theorien ableiten lassen, würden wir an gleicher Stelle darüber berichten.

17 Vgl. Handelsblatt Research Institute: Ist ihr Unternehmen reif für den Börsengang? (www.handelsblatt.com/downloads/10606908/4/ipo-leitfaden.pdf; Zugriff 27.01.2018, 18:43 MEZ).

18 Vgl. Ritter: The Costs of Going Public, in: Journal of Financial Economics, 19 (1987), S.269-281.

Dr. Markus Hofmaier hat an der LMU München Betriebs wirtschafts lehre studiert und für die Promotion ein Stipendium am Forschungsinstitut für Philo sophie Hannover er-halten. Nach Stationen im Finanzbereich war er national und international selbst-ständig im Investment-Banking tätig. Seit 2013 lehrt Dr. Hofmaier an verschiedenen privaten Hochschulen in München als freiberuflicher Dozent. [email protected]

Tobias Winterhalter arbeitet bei der HypoVereinsbank/UniCredit Bank AG im Bereich Corporate & Investment Banking. Hier ist er zuständig für die Produktentwicklung und den Vertrieb von strukturierten Anlagelösungen. Berufsbegleitend studierte er an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management (Schwerpunkt: Banking und Finance). [email protected]

Prof. Dr. Florian Wiedemann hat an der LMU München Betriebswirtschaftslehre stu-diert und an der Hochschule St. Gallen (HSG) promoviert. Nach Stationen als Director bei KPMG und als Geschäftsführer bei Duff & Phelps ist er seit 2016 selbstständig im Bereich Corporate Finance tätig und hat hierbei unter anderem verschiedene Start-ups bei Finanzierungsrunden begleitet. Seit 2017 lehrt er an der FOM Hochschule in Mün chen als Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finance. [email protected]

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VIII M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

M&A EVENTS • VERANSTALTUNGEN IM ÜBERBLICK

24.–25. AprilAugsburgEuropean Workshop on Merger IntegrationDer dritte European Workshop on Merger Integration findet zusammen mit den Jahrestagungen der Gesell-schaft für Post Merger Integration (GfPMI), der Deut-schen Gesellschaft für Qualität (DGQ) sowie der Bundes-vereinigung Repositionierung, Sanierung und Interim Management (BRSI) statt. Rund um die Schwer punkt-themen „Wachstum – Transformation – Qualität“ erwar-ten die Teilnehmer eine Abend veranstaltung mit Best-Practices-Vorträgen und einer Podiumsdiskussion sowie einen Tag mit zwölf interaktiven Workshops, in denen sie – auf Basis von Design Thinking – zusammen mit erfahrenen Praktikern aus den Bereichen Merger Inte-gration, Qualität und Repositionierung ihre eigenen, relevanten Themen bearbeiten können. Die ersten drei M&A-Review-Leser erhalten 10% Rabatt auf den Ticketpreis (Code: EWPMI2018)

http://ma-rev.de/ewmi2018

25. AprilFrankfurt/Main6. European Corporate M&A-ConferenceBei der European Corporate M&A-Conference treffen sich bereits zum sechsten Mal 250 ausgewählte M&A-Entscheider aus Deutschland und Europa.

http://ma-rev.de/europeancma

27.–28. Februar 2018WienM&A AkademieDie M&A-Akademie greift die neuesten Entwicklungen im M&A-Geschäft auf und analysiert deren Auswir-kungen auf die Praxis.

http://ma-rev.de/ma-akademie

21.–22. März 2018DüsseldorfMergermarket Germany Forum 2018Das Mergermarket Germany Forum kehrt im März 2018 nach Düsseldorf zurück. Die Veranstaltung richtet sich an CEOs, CFOs und Heads of M&A sowie an Bran-chenvertreter aus den Bereichen Private Equity, Invest-ment Banking, Corporate Finance.

http://ma-rev.de/mergermarket2018

4. AprilWienCommercial, Financial & Tax Due DiligenceIn diesem Seminar erfahren Sie, worauf bei der Vorbe-reitung und Durchführung einer Commercial, Financial & Tax Due Diligence zu achten ist.

http://ma-rev.de/duediligence

M&A-Konferenz 2018Am 31. Januar 2018 trafen sich ca. 120 Teilnehmer der diesjährigen M&A-Konferenz 2018 im Industrie-Club e.V. Düsseldorf. Wie bereits im letzten Jahr war die stark juristisch geprägte Veranstaltung, die von der Fach zeit schrift Betriebs-Berater ausgerichtet wurde, sehr gut besucht. Den Auftakt setzten Dr. Franz-Josef Schöne und Jens Uhlendorf, die in ihrer Präsenta-tion die „Hot M&A Legal Topics“ des Jahres 2017 vor-stellten. Die Schwerpunktthemen, die in der deutsch-sprachigen M&A-Fachliteratur des letzten Jahres gro-ßen Raum einnahmen, waren insbesondere Veröf-fent lichungen mit M&A-Bezug zum „Außen wirt-schaftsrecht“ sowie zur „Warranty & Indemnity Insu-rance“. Letzteres The ma gab sicherlich den Anlass, sich nochmals mit den Themengebieten „Bilanzgarantien“ und „Wissens zu rech nung beim Unternehmenskauf“ in-tensiv auseinanderzu setzen. Nach diesem gelunge nen Einstieg referierten und diskutierten hochkarätige Fachexperten zu den Fragestellungen in den Bereichen Corporate Venturing, Digitalisierung und Cyber-Risiken.

Aber auch Diskus sio nen über aktuelle Fachthemen wie zum Beispiel den Einsatz von Private Debt bei Akqui-si tionsfinanzierungen hatten Platz im Tagungspro-gramm. Einen sehr kurzweiligen Vortrag durfte das

RÜCKBLICK

Pub li kum zum Themengebiet Haf tungsfragen infolge Verhaltens- und Wissenszurechnung bei Unterneh-menskäufen von Dr. Klaus Marinus Hoenig anhören, in dessen Folge eine kurze, aber sehr interessante Diskussion unter den beteiligten Experten aus dem Publi kum entbrannte. Das Thema wird die M&A-Fachwelt auch in 2018 begleiten. Die nächste M&A-Konferenz des Betriebs-Beraters wird am 30. Januar 2019 stattfin den.

Die Teilnehmer folgten einer gelungenen Mischung aus Vorträgen und Diskussionen.

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JOBWECHSEL, KÖPFE, NEWS • PERSONALIA

IX29. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

mann seine Augen weiter offen nach Experten, sowohl im Steuer- als auch M&A-Bereich, und bleibt auf Wachstumskurs.

Dr. Gabriele Fontane wechselt zu Oppenhoff & Partner

Die Private-Equity-Spezialistin Dr. Gabriele Fontane schließt sich Oppenhoff & Partner an. Sie wech-selt von der Kanzlei Otto Mittag Fontane als Partnerin in das Frank-furter Büro der Sozietät. Mit dem Zugang treibt Oppenhoff den Aus-bau für nationale und internatio-nale Mandanten im Bereich Private Equity entscheidend voran. Gabriele Fontane berät seit 1994 in den Bereichen M&A/Private Equity und

Gesellschaftsrecht, mit einem Schwerpunkt auf MBO/ LBO-Transaktionen, wobei sie vornehmlich für Finanz-investoren/Private Equity Fonds oder beteiligte Manager tätig ist. Daneben berät sie auch bei Akquisitions finan-zierungen. Sie unterrichtet im Bereich Private Equity als Lehrbeauftragte an der Frankfurt School of Finance & Management in deren M&A-Studiengang.

ValueTrust baut Münchner Büro ausDr. Christian Büchelhofer verstärkt als Managing Director das Münch-ner Büro von ValueTrust. Büchelho-fer ist spezialisiert auf unabhängi-ge Transaktionsberatung und Wert-stei gerungsmanagement. Im Rah-men seiner rund fünfzehnjährigen Berufs- und Universitätskarriere konnte er umfassende Erfahrung in der Bera tung nationaler und inter-nationaler Mandanten mit Fokus auf Wert orientierung bei Akqui-

sitions- und Restrukturierungsvorhaben sowie Rechts-streitigkeiten und strategischen Fragestellungen sam-meln. Bei ValueTrust wird sich der promovierte Be-triebswirt vornehmlich auf den Ausbau der Aktivitäten in den Geschäftsbereichen Wertmanagement und Re-strukturierung fokussieren.

Weitere Personalia finden Sie auf: www.ma-review.de/personalia

KPMG Law gewinnt Dr. Dr. Boris SchilmarMit Dr. Dr. Boris Schilmar verstärkt ab dem 1. Februar 2018 ein ausge-wiesener M&A- und Restrukturie-rungsexperte die KPMG Law Rechts-anwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) am Standort Düsseldorf. Zu-sammen mit seinem Team wird er bei KPMG Law insbesondere den Wachstumsbereich des grenzüber-schreitenden deutsch-chinesischen M&A weiter vorantreiben. Schilmar kommt von Simmons & Simmons,

wo er seit 2014 als Partner in München und später in Düsseldorf tätig war, unter anderem als Mitglied des German Steering Committee und Leiter des China Desk. Zu seinen Schwerpunkten gehören Cross-Border M&A, komplexe Um- und Restrukturierungen, Konzern- und Akquisitionsfinanzierungen sowie die laufende gesell-schaftsrechtliche Beratung.

I-ADVISE AG verstärkt das Team Valuation ServicesI-ADVISE setzt ihr Wachstum im Bereich Unternehmensbewertung gezielt fort und erweitert das von Dr. Jochen Beumer geführte Team um Klaus Jürgens. Mit Klaus Jür-gens gewinnt I-ADVISE einen Ex-perten für den Bereich Unterneh-mensbewertungen, insbesondere in der Banken- und Versicherungs-branche. Jürgens war im Laufe seiner Karriere u.a. in einer Big4-Prüfungs- und Beratungsgesellschaft

sowie in einem Versicherungskonzern tätig. I-ADVISE ist spezialisiert auf Transaktionsberatung und Unter-nehmensbewertungen als Teil einer internationalen Allianz unabhängiger Beratungsgesellschaften, die Ak-quisitionsprozesse oder Unternehmensbewertungen begleitet.

Rödl & Partner expandiert weiter in ÖsterreichDer Standort Wien wird mit neuen Geschäftsfeldern deut lich ausge-baut, ein weiterer Standort in Linz wird demnächst eröffnet. In Wien werden die bereits bestehenden Bereiche Wirtschaftsprüfung und Tax Compliance (Business Pro cess Outsorcing) um Steuerspezial be-ratung und M&A-Beratung er-gänzt. Der Steuerberater und Jurist Dr. Andreas Baumann übernahm Anfang des Jahres die Geschäfts-

führung für diesen neuen Bereich, dessen Team bereits sieben Fachexperten zählt. Auch in Zukunft hält Bau-

Dr. Dr. Boris Schilmar

Dr. Andreas Baumann

Dr. Gabriele Fontane

Dr. Christian Büchelhofer

Klaus Jürgens

RÜCKBLICK

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X M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

BUNDESVERBAND M&A • AKTUELLES, MITGLIEDER, EVENTS

VERGANGENE VERANSTALTUNGEN

KOMMENDE VERANSTALTUNGEN

Arbeitskreis Nachfolge: M&A Dinner

München Veranstalter: BM&A, Baker Tilly Roelfs Zielgruppe: Corporates, BeraterThema: M&A Dinnner

TÜV Süd: „Bewertung und Monitoring von Investitionsprojekten“

München Veranstalter: TÜV Süd Zielgruppe: Investoren, Banken, Versicherungen, Asset Management-Gesellschaften, Generalunternehmer, Projektsteuerer, Bauherren und Einrichtungen der öffentlichen HandThema: Bewertung und Monitoring von Investitionsprojekten

Arbeitskreis IT M&A

München, Hogan Lovells International LLP Veranstalter: BM&A, Repräsentanz von Quebec, Rödl & Partner Zielgruppe: Corporates, Berater, IT-Verantwortliche und Projektmanager, Juristen mit IP oder ICT DD Fokus, ICT Zukäufer und (Strategische) InvestorenThema: Deutsch-Kanadische Transaktionen vor dem Hintergrund des CETA-Vertrages mit Fokus auf den deutschen Mittelstand

Arbeitskreis Cultural Change & HR: Agile Piloten erfolgreich gestalten und auf die Organisation

übertragenTimmermann Partners Veranstalter: BM&A, Timmermann PartnersZielgruppe: HR Directors, Geschäftsführer, Inhaber und Experten auf EinladungThema: „Agile Piloten“

Schmalenbach Arbeitskreis M&A

Wolfsburg, Volkswagen AGVeranstalter: BM&A Zielgruppe: geschlossene Veranstaltung für Mitglieder des ArbeitskreisesThema: Horizontaler Wissenstransfer zwischen hochrangigen M&A-Verantwortlichen aus großen und mittelständischen Unternehmen, insbesondere M&A-Directors

Arbeitskreis Cultural Change & HR: How to become a Change Leader

München, Timmermann Partners Veranstalter: BM&A, Timmermann Partners Zielgruppe: HR Directors, Geschäftsführer, Inhaber und Experten auf EinladungThema: How to become a Change Leader

FINANCE Roundtable M&A

Frankfurt, F. A. Z.-RedaktionsgebäudeVeranstalter: FINANCE-MagazinZielgruppe: geschlossene Veranstaltung ausschließlich für M&A-Verantwortliche und Geschäftsführer großer und mittelständischer UnternehmenThema: Strategie und Prozessführung

Arbeitskreis Cultural Change & HR: Raum für Innovationen: „Innovationsnester“

HamburgVeranstalter: BM&A, Pelzer & AP Zielgruppe: Strategieverantwortliche Vorstände, Geschäfts-führer, Inhaber und Experten auf Einladung, HR-Leiter, Projektmanager, Investoren, BeraterThema: „Innovationsnester“

Workshop M&A-Kommunikation

Frankfurt, Herbert Smith FreehillsVeranstalter: BM&AZielgruppe: Leiter M&A-Kommunikation & Heads of Communication, CorporatesThema: Shareholder Activism und die Macht der Kommunikation

1. MAR

19. APR

23. APR

25. APR

13. JUN

13. MAR

14. MÄR

6. APR

19. APR

Nachbericht AK UnternehmensbewertungAm 31. Januar fand in München die konstituierende Sit-zung des Arbeitskreises Unternehmensbewertung des BM&A und der EACVA statt. Hierzu trafen sich in den Räumen von Rödl & Partner rund 50 Teilnehmer, um sich

über Themen rund um die Unternehmensbewertung und Kaufpreisfindung auszutauschen. Prof. Dr.-Ing. Kai Lucks (Vorsitzender des BM&A) gab einen spannenden Einblick in die vielfältigen Situationen innerhalb eines M&A-Prozesses, zu denen Unterneh-

Weitere Informationen zu den Veranstaltungen des Bundesverbands M&A: www.bm-a.de/de/veranstaltungen

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XI29. Jahrgang • M&A REVIEW 3/2018

BUNDESVERBAND M&A • AKTUELLES, MITGLIEDER, EVENTS AKTUELLES, MITGLIEDER, EVENTS • BUNDESVERBAND M&A

liegen Ihre Tätigkeitsschwerpunkte und was zeichnet Ihr Unternehmen aus?Oberender ist eine Unternehmensberatung im Healthcare-Bereich mit Schwerpunkten in der Strategie-,

Sanierungs- und M&A-Beratung. Wir begleiten Transaktionen als Käufer- und Verkäuferberater (einschließlich der PMI) insbesondere im Bereich Krankenhaus, Reha und Pflege. Darüber hinaus begleiten wir internationale Investoren bei DD-Prüfungen im deutschen wie internationalen Gesundheitswesen.

sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen und Trends? Die wirtschaftlichen Herausforderungen insbesondere für Leistungserbringer sind so groß, dass

Übernahmen häufig aus einer Sanierungs- oder Insolvenzsituation heraus passieren. Zugleich tun sich kommu-nale Träger schwer, private Investoren zu akzeptieren. Bei Medizinprodukten und MedTec dagegen haben deutsche Firmen sehr gute Chancen, Partner zu finden. Dieser Markt entwickelt sich sehr dynamisch.

sind Sie Mitglied im Bundesverband M&A?Wir suchen den Austausch mit Investoren und anderen Beratern und wollen dadurch in dem Nischenmarkt

der M&A-Beratung im Gesundheitswesen neue Partnerschaften entwickeln. Insbesondere ist uns wichtig, Partner für Teile der DD zu finden, die wir selbst nicht abdecken. Darüber hinaus wollen wir mit Investoren in Kontakt kommen, um über die Attraktivität des Healthcare-Bereichs zu diskutieren.

WO

WARUM

WIR FRAGEN • MITGLIEDER ANTWORTEN

WO

Oberender & Partner Elsenheimerstr. 59, 80687 MünchenTel.: [email protected] www.oberender-online.deBranchenschwerpunkte: Healthcare, Krankenhaus, Reha, MedizintechnikUnternehmensgröße: 50 Mitarbeiter an 2 Standorten Ansprechpartner: Dr. Thomas Rudolf, Executive Board Member

mensbewertungen erstellt werden, und wie die Lücke zwischen den Kaufpreiserwartungen von Käufern und Verkäufern, zum Beispiel durch die Berücksichtigung von Syner giepotenzialen, geschlossen werden kann. Auf die unterschiedlichen Perspektiven, die M&A-Bera-ter und Wirtschaftsprüfer im Rahmen von M&A-Trans-aktionen einnehmen können, und welche Unterschiede es zwischen Preisen und Werten geben kann, ging Stefan Herrmann (Partner, Rödl & Partner) ein. Zudem stellte er vor, wie Kaufpreisklauseln in Unternehmens-kaufverträgen üblicherweise gestaltet sind und wie die Ergebnisse der Due Diligence in der Kaufpreisfindung Berücksichtigung finden. Auf eine spannende Reise in die Bewertung neuer Geschäftsmodelle im Zeitalter der Digitalisierung führte die Teilnehmer Christian Plath (Partner, EY). Er hob her-vor, welche erweiterten Anforderungen die Trans for-mation von Geschäftsmodellen durch die Digitalisie-rung an die Bewertung stellt. Nur die umfassende Be-trachtung aus vielen Blickwinkeln sowie die Analyse der Wert-, Kosten- und Risikotreiber entlang der Wertschöpfungskette führt hier zum Erfolg. Zudem zeigte Herr Plath auf, wie im Nachgang der Erfolg einer Transaktion (z.B. anhand des Monitorings der Syner-gieimplementierung) mittels eines Dashboards nach-vollzogen werden sollte.

Professor Werner Gleissner (Vorstand, FutureValue Group AG) schilderte eindrucksvoll die Erfordernisse an eine transaktionsorientierte Bewertung und deren Doku mentation für Vorstände, Aufsichtsräte und Ge-schäftsführer aus Compliance-Sicht (Business Judge-ment Rule nach § 93 AktG). Ein weiterer Schwerpunkt seines Vortrages lag in der angemessenen Berück sich-tigung von Chancen und Risiken in der Unternehmens-bewertung (Rating, Insolvenzrisiken etc.) und wie eine Transaktion Einfluss auf das Ertrags-Risiko-Profil haben kann. Sein Fazit: Es gibt viel Handlungsbedarf, um die verschiedenen (gerade in den letzten Jahren ent wickel-ten) Methoden der Unternehmensbewertung mög-lichst effizient und sachgerecht für den Zweck der Bewertung im Kontext von M&A-Projekten zu nutzen.

In den nächsten Treffen des Arbeitskreises sollen die-se verschiedenen Themen aufgegriffen werden, um daraus einen Praxisleitfaden für Unternehmens be wer-tungen im Rahmen von Transaktionen zu entwickeln. Interessenten, die aktiv am Arbeitskreis Unterneh-mensbewertung mitwirken möchten, sind herzlich eingeladen, sich an Frau Sieglinde Schütz vom BM&A ([email protected]) zu wenden.

Stefan Herrmann

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VORSCHAU • IMPRESSUM

XII M&A REVIEW 3/2018 • 29. Jahrgang

VORSCHAUM&A REVIEW 4/2018 am 24. März

Recht und Steuern

Notwendigkeit von Post Closing Claim Management

Recht und Steuern

Auswahl des Schiedsrichters bei M&A-Streitigkeiten

Recht und Steuern

Schiedsgerichtsbarkeit im Zusammenhang mit Merger-Control-Verfahren

Herausgeber:Prof. Dr. Christoph Schalast, Frankfurt School of Finance & Management

www.ma-review.de

Redaktion: GoingPublic Media AGStefan Schneider (Projektleitung), Laura UhdeHofmannstr. 7a, 81379 MünchenTel.: 089-2000 339-0, Fax [email protected]

Beirat:Prof. Dr.-Ing. Kai Lucks, Bundesverband Mergers & Acquisitions e.V. Prof. Dr. Helmut Pernsteiner, Johannes Kepler Universität Linz Prof. Dr. Ingo Saenger, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Publikationsorgan:Bundesverband M&A e.V.Hofmannstr. 7a, 81379 MünchenTel.: 089-2000 339-40, Fax [email protected], www.bm-a.deVorstandsvorsitzender: Prof. Dr.-Ing. Kai Lucks

Verlag:GoingPublic Media AGHofmannstr. 7a, 81379 MünchenTel.: 089-2000 339-0 , Fax [email protected]

Vorstand: Markus Rieger

Objektleitung:Markus Rieger

Abonnementverwaltung:GoingPublic Media AGAbo-Verwaltung M&A REVIEWHofmannstr. 7a, 81379 MünchenTel.: 089-2000 339-0, Fax [email protected]

29. Jahrgang 2018, Nr. 3 (März)

Bezugspreise:Jahresabonnement: 426 EUR inkl. MwSt., zzgl. 12 EUR Versandkosten (Ausland: 16,80 EUR)Online-Jahresabonnement: 298 EUR inkl. MwSt.Kennenlern-Abonnement (3 Ausgaben): 60 EUR inkl. MwSt. und VersandkostenOnline-Kennenlern-Abonnement (3 Ausgaben): 60 EUR inkl. MwSt.Einzelheft: 40 EUR inkl. MwSt. und Versandkosten

Abonnementskündigungen sind nur mit einer Frist von 21 Tagen zum Ende eines Bezugsjahres möglich.

Erscheinungstermine 2018:27.01.2018 (1-2/2018), 24.02.2018 (3/2018), 24.03.2018 (4/2018), 28.04.2018 (5/2018), 26.05.2018 (6/2018), 30.06.2018 (7-8/2018), 25.08.2018 (9/2018), 29.09.2018 (10/2018), 27.10.2018 (11/2018), 24.11.2018 (12/2018), 26.01.2019 (1-2/2019)

Titelbild:© Mellimage – stock.adobe.com

Layout & Realisation:Text & Design, Zielstattstr. 117, 81379 MünchenTel.: 089-20355923, [email protected]

Lektorat:Magdalena Aderhold, visavis media, Bayreuth, www.visavis-media.de

Druck:Joh. Walch GmbH & Co. KG, Im Gries 6, 86179 Augsburg

Haftung und Hinweise:Artikeln, Empfehlungen und Tabellen liegen Quellen zugrunde, welche die Redaktion für verlässlich hält. Eine Garantie für die Richtigkeit kann allerdings nicht übernommen werden. Bei unaufgefordert eingesandten Beiträgen behält sich die Redaktion Kürzungen oder Nichtabdruck vor.

Nachdruck:© 2018 GoingPublic Media AG, München. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne schriftliche Geneh migung der GoingPublic Media AG ist es nicht gestattet, diese Zeitschrift oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Unter dieses Verbot fallen auch die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Internet und die Vervielfältigung auf CD-ROM.ISSN: 1616-0878, ZKZ 03485

IMPRESSUM

Der vorliegenden Ausgabe 3/2018 der M&A REVIEW liegt eine Werbebeilage der Verlag C. H. Beck oHG bei.

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