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Seite 45 Journal SA/SO, 14./15. OKTOBER 2017 A ls Gustav Kasel im Som- mer 1950 für einige Wo- chen zusammen mit sei- ner Frau Alice in Trier weilte, ging für ihn ein lange ge- hegter Wunsch in Erfüllung. Nach der Besichtigung des Karl Marx- Hauses schrieb er ins Gästebuch: „Als trierischer Architekt und Re- konstrukteur des Geburtshauses infolge der Rassentheorie des wahnsinnigen Hitler nach Palästi- na ausgewandert, kam ich nach 17jähriger Abwesenheit in das zer- störte Trier auf Besuch zurück. Ich fand zur Genugtuung das zerstör- te Haus wiederhergestellt vor und hoffe, daß es in Bälde zum Anden- ken an Triers größten Sohn als Museum Jahrhunderte überdau- ern wird.“ Eigentlich wollte Kasel schon früher nach Trier kommen, um die Eröffnung des Karl Marx- Museums am 5. Mai 1947 – dem 129. Geburtstag von Marx – mitzu- erleben. Daran hatte ihn vor allem ein von der französischen Militär- regierung nicht erteiltes Visum ge- hindert. Kasel verließ im November 1933 mit seiner Frau und den drei in Trier geborenen Töchtern Liese- lotte, Hannelore Betty und Ruth Trier und betrat im Dezember in Haifa erstmals Boden im „Gelob- ten Land“ – ursprünglich wollte man in die Schweiz oder USA emi- grieren. Mit einer kleinen Zei- tungsanzeige hatte sich Kasel von seinen Freunden verabschiedet. Direkt auf diesen Abschiedsgruß bezugnehmend, war im Trierer Nationalblatt zu lesen: „…und kein Hahn hätte mehr nach dem Mephisto-Jidden gekräht, wenn nicht der „Volksfreund“ Veranlas- sung gehabt hätte, diesem fiesen Moskowiter zum Abschied noch ein Denkmal in Form einer be- zahlten Kleinanzeige zu setzen. Mit den Fakten nahmen es die Na- tionalsozialisten nicht so genau und unterstellten auch, Kasel ha- be nach Moskau ausreisen wollen: „Das nötige Kleingeld wird der 400.000 Mark Umbau in der Brü- ckenstraße schon eingebracht ha- ben.“ Korrekt müsste von „Reichs- mark“ (1924-1948) gesprochen werden und die Umbaukosten des Hauses, das die SPD 1928 erwor- ben hatte, lagen bei etwas über 200.000 RM. Diffamierend ist auch die Nennung Moskaus als Exilort. Architekt Kasel hatte 1932 am Moskauer Marx-Engels-Institut Vorträge zur Rekonstruktion des Geburtshauses gehalten und erste Ergebnisse seiner aufschlussrei- chen Marx-Familienforschungen vorgetragen. Im Gegenzug dieser privat finanzierten Reise – die Moskauer konnten ihm nicht ein- mal eine Unterkunft anbieten – er- hoffte sich Kasel Dokumente, Bü- cher und Plakate für das geplante Museum in Trier, das wegen der Besetzung und Beschlagnahmung des Hauses durch die NSDAP im Frühjahr 1933 nicht mehr – wie ur- sprünglich zum 50. Todestag von Marx am 14. März 1933 geplant – eröffnet werden konnte. Schon vor 1933 hatten die Tri- erer Nationalsozialisten dem stadtbekannten SPD-Mann und engagierten Karnevalisten heftig zugesetzt. Kasel, den die Nazis we- gen dessen gescheiterter, aber mit Elan betriebenen Stadtratskandi- datur 1929 und seinem gewerk- schaftlichem Engagement als „Vollblut-Idioten“ bezeichneten, hatte sich ab 1928 intensiv mit der anspruchsvollen Rekonstrukti- onsaufgabe des 1727 erbauten Tri- erer Bürgerhauses befasst. Die Umbauarbeiten begannen 1930 und waren im Juli 1931 abge- schlossen. Kasel sah sich immer stärkeren Einschüchterungsver- suchen durch die NSDAP auch bei privaten Bauvorhaben ausgesetzt. Drei völkisch gestimmte Architek- ten klagten gegen den „Juden-Ar- chitekten“. Kasel gewann den Pro- zess in Berlin und resümierte: „Meine Ehre wurde gerettet, aber das Verfahren kostete mich 10.000 RM.“ Die Bürofenster des Archi- tekten wurden wiederholt mit Pla- katen verklebt, mit Farbe be- schmiert, S.A. Leute bezogen Pos- ten, um Kunden abzuhalten. Ende März 1933 wurde Kasel zusam- men mit weiteren Trierer Juden für einige Tage in „Schutzhaft“ ge- nommen. Während dieser Zeit er- hielt Kasels Frau einen Anruf eines Unbekannten, ihr Mann habe sich in der Zelle erhängt. Ein besonderes Ärgernis in den Augen der Trierer Nazis war das soziale Wohnbau-Projekt Zeug- hausstraße 27/28-Kloschinsky- straße 99/100, das die Baugenos- senschaft Trier-Nord zur Behe- bung der akuten Wohnungsnot initiiert und an Gustav Kasel ver- geben hatte – von ihm stammte der kostengünstigste Plan. Kasel hatte bei dem Frankfurter Archi- tekten Ernst May, den Bauhaus- Stil studiert. Der moderne, klare Stil der im Juli 1932 fertig gestell- ten Häuser mit Flachdächern, weißem glatten Putz und zur Stra- ße abgerundeten Ecken missfiel den Nazis – für sie war das reiner „Kulturbolschewismus“ und schon zwei Jahre nach der Schlüs- selübergabe musste die Bauge- nossenschaft auf Regierungsan- weisung die „marxistischen Flach- dächer in deutsche Dächer“ um- wandeln. Der deutsch-jüdische Architekt Gustav Kasel gilt als Rekonstrukteur des Karl-Marx-Hauses Der sozialdemokratische jüdische Architekt Gustav Kasel entwarf die Rekonstruktion des Karl-Marx-Hauses in Trier. Während der Nazizeit emigrierte er nach Palästina. 1950 kehrte er in seine Heimatstadt zurück. VON FRANZ-JOSEF SCHMIT Familienfoto: Der Architekt Gustav Kasel mit seiner Frau Alice geborene Bender. Fotohinweis???????? Das Karl Marx Haus in Trier, gezeichnet von Gustav Kasel. Gustav Kasel vor einem von ihm entworfenem Haus in der Zeughausstraße in Trier. Foto: Archiv des Karl Marx-Hauses Gustav Kasel, 1883 in Trier gebo- ren, verließ nach der Mittleren Reife die Schule und wurde Mau- rermeister. Erste Einblicke in den Architektenberuf erhielt er im Tri- erer Büro von Peter Marx. 1904 ist Kasel Gasthörer an der Techni- schen Hochschule Darmstadt. Lehr- und Wanderjahre führen ihn nach Leipzig, Breslau und Bre- men. Zwischenzeitlich hatte er 1906 seinen Militärdienst in Darmstadt abgeleistet, wo zeit- weise auch sein Bruder Josef und seine Zwillingsschwester Emma studierten. Seit 1912 arbeitete Ka- sel in Trier als selbständiger Archi- tekt. Nach dem Weltkrieg schloss er sich mit J. Prior zusammen, mit Büro in der Paulinstraße 26. Die Praxisgemeinschaft befasste sich mit zahlreichen Projekten in Trier und der Eifel, wobei auf Kasel vor allem die Entwürfe zurückgehen. In Wittlich baute Kasel den Wein- keller und das große Ökonomie- gebäude des Weingutes Albertz. Mit der Bauausführung wurden grundsätzlich heimische Betriebe beauftragt. Dokumentiert sind Kasels Arbeiten, zu denen auch Entwürfe für den Neubau der Reichsbahndirektion, dem späte- ren Sitz der Gestapo Trier, und Umgestaltung des Porta-Nigra- Platzes zählen, in einem Band, der heute in der Stadtbibliothek Trier aufbewahrt wird. Im Stadtarchiv befinden sich zahlreiche großfor- matige Zeichnungen und Pläne, die Kasel für das Karl Marx-Haus- Projekt angefertigt und im Som- mer 1950 dem Archiv überlassen hatte – eine öffentliche Präsentati- on dieser beeindruckenden Vorar- beiten im Gedenkjahr 2018 zum 200. Geburtstag von Marx wäre si- cher eine Bereicherung der ge- planten Ausstellungen. Im Jahr 1920 heiratete Kasel die älteste Tochter des Wittlicher Tex- tilhändlers Josef Bender, in dessen Geschäft am Marktplatz überwie- gend Kunden vom Land einkau- fen. Für seine Schwiegereltern entwarf Kasel zahlreiche Möbel- stücke. Als Josef Bender und sein Sohn Paul 1938 Wittlich zunächst Richtung Köln verlassen mussten, wird das Mobiliar überwiegend verschleudert und zur Finanzie- rung der späteren Überfahrt nach Palästina genutzt. Kasels Schwie- gervater stirbt schon 1941, sein Schwager Paul kann sich nur mühsam als Taxifahrer durch- schlagen. In Jerusalem findet Ka- sel bei der britischen Mandatsre- gierung Arbeit in seinem Beruf. Nach Trier berichtete er vom Neu- anfang unter schwierigen Bedin- gungen: „Das Geld ist knapp, der Lebensunterhalt aber teuer. Das ist eine Folge des jüdisch-arabi- schen Krieges, den wir gottlob alle gesund überstanden haben. Aber es war eine verdammt schwere Zeit!... Ich habe in vier Wochen 22 kg abgenommen und einen Herz- schaden davongetragen. Also, ein alter ‚Heuschreck‘, der nicht mehr hüpfen kann! Unser Haus ist zu- sammengeschossen worden, doch, wir haben wieder eine Vier- zimmerwohnung.“ In seiner freien Zeit durchstreift Kasel die alten pittoresken Viertel Jerusalems, für deren Sanierung er – inzwischen Stadtbaumeister – zuständig ist, und fertigt Bleistift- zeichnungen an, die sogar in einer Ausstellung mit dem Titel „Wie die andere Hälfte lebt“ gezeigt wer- den. Kasel wird in einem Beitrag zur Ausstellung als „Prophet der Slums“ bezeichnet. „Vom Stand- punkt der Zeichenkunst doku- mentieren die Skizzen eine nahe- zu unheimliche Virtuosität. Ihr größtes Verdienst allerdings ist dokumentarischer Natur. Noch nie zuvor ist einer dieser Slums im Jerusalemer Jemeniten-Viertel so wirklichkeitsgetreu abgebildet worden.“ Leider müssen diese Ar- beiten Kasels als verschollen gel- ten – kein relevantes Museum in Israel konnte bislang zum Ver- bleib der Kasel-Zeichnungen et- was sagen. Gustav Kasel stirbt am 5. Januar 1955 an einer Herzembolie, wie seine Frau der früheren Prokuris- tin Irmina Dehen in Konz brieflich mitteilte. Biografisches über Gustav Kasel VON FRANZ-JOSEF SCHMIT Produktion der Seite: Inge Meyer

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Seite 45JournalSA/SO, 14./15. OKTOBER 2017

Als Gustav Kasel im Som-mer 1950 für einige Wo-chen zusammen mit sei-ner Frau Alice in Trier

weilte, ging für ihn ein lange ge-hegter Wunsch in Erfüllung. Nachder Besichtigung des Karl Marx-Hauses schrieb er ins Gästebuch:„Als trierischer Architekt und Re-konstrukteur des Geburtshausesinfolge der Rassentheorie deswahnsinnigen Hitler nach Palästi-na ausgewandert, kam ich nach17jähriger Abwesenheit in das zer-störte Trier auf Besuch zurück. Ichfand zur Genugtuung das zerstör-te Haus wiederhergestellt vor undhoffe, daß es in Bälde zum Anden-ken an Triers größten Sohn alsMuseum Jahrhunderte überdau-ern wird.“ Eigentlich wollte Kaselschon früher nach Trier kommen,um die Eröffnung des Karl Marx-Museums am 5. Mai 1947 – dem129. Geburtstag von Marx – mitzu-erleben. Daran hatte ihn vor allemein von der französischen Militär-regierung nicht erteiltes Visum ge-hindert.

Kasel verließ im November 1933mit seiner Frau und den drei inTrier geborenen Töchtern Liese-lotte, Hannelore Betty und RuthTrier und betrat im Dezember inHaifa erstmals Boden im „Gelob-ten Land“ – ursprünglich wollteman in die Schweiz oder USA emi-grieren. Mit einer kleinen Zei-tungsanzeige hatte sich Kasel vonseinen Freunden verabschiedet.Direkt auf diesen Abschiedsgrußbezugnehmend, war im TriererNationalblatt zu lesen: „…undkein Hahn hätte mehr nach demMephisto-Jidden gekräht, wennnicht der „Volksfreund“ Veranlas-sung gehabt hätte, diesem fiesenMoskowiter zum Abschied nochein Denkmal in Form einer be-zahlten Kleinanzeige zu setzen.Mit den Fakten nahmen es die Na-tionalsozialisten nicht so genauund unterstellten auch, Kasel ha-be nach Moskau ausreisen wollen:„Das nötige Kleingeld wird der400.000 Mark Umbau in der Brü-ckenstraße schon eingebracht ha-ben.“ Korrekt müsste von „Reichs-mark“ (1924-1948) gesprochenwerden und die Umbaukosten desHauses, das die SPD 1928 erwor-ben hatte, lagen bei etwas über200.000 RM. Diffamierend ist auchdie Nennung Moskaus als Exilort.Architekt Kasel hatte 1932 amMoskauer Marx-Engels-InstitutVorträge zur Rekonstruktion desGeburtshauses gehalten und ersteErgebnisse seiner aufschlussrei-chen Marx-Familienforschungenvorgetragen. Im Gegenzug dieserprivat finanzierten Reise – dieMoskauer konnten ihm nicht ein-mal eine Unterkunft anbieten – er-hoffte sich Kasel Dokumente, Bü-cher und Plakate für das geplanteMuseum in Trier, das wegen derBesetzung und Beschlagnahmungdes Hauses durch die NSDAP imFrühjahr 1933 nicht mehr – wie ur-sprünglich zum 50. Todestag vonMarx am 14. März 1933 geplant –eröffnet werden konnte.

Schon vor 1933 hatten die Tri-erer Nationalsozialisten demstadtbekannten SPD-Mann undengagierten Karnevalisten heftigzugesetzt. Kasel, den die Nazis we-

gen dessen gescheiterter, aber mitElan betriebenen Stadtratskandi-datur 1929 und seinem gewerk-schaftlichem Engagement als„Vollblut-Idioten“ bezeichneten,hatte sich ab 1928 intensiv mit deranspruchsvollen Rekonstrukti-onsaufgabe des 1727 erbauten Tri-erer Bürgerhauses befasst. DieUmbauarbeiten begannen 1930und waren im Juli 1931 abge-schlossen. Kasel sah sich immerstärkeren Einschüchterungsver-suchen durch die NSDAP auch beiprivaten Bauvorhaben ausgesetzt.Drei völkisch gestimmte Architek-ten klagten gegen den „Juden-Ar-chitekten“. Kasel gewann den Pro-zess in Berlin und resümierte:„Meine Ehre wurde gerettet, aberdas Verfahren kostete mich 10.000RM.“ Die Bürofenster des Archi-tekten wurden wiederholt mit Pla-katen verklebt, mit Farbe be-schmiert, S.A. Leute bezogen Pos-ten, um Kunden abzuhalten. EndeMärz 1933 wurde Kasel zusam-men mit weiteren Trierer Juden füreinige Tage in „Schutzhaft“ ge-nommen. Während dieser Zeit er-hielt Kasels Frau einen Anruf einesUnbekannten, ihr Mann habe sichin der Zelle erhängt.

Ein besonderes Ärgernis in denAugen der Trierer Nazis war dassoziale Wohnbau-Projekt Zeug-hausstraße 27/28-Kloschinsky-straße 99/100, das die Baugenos-senschaft Trier-Nord zur Behe-bung der akuten Wohnungsnotinitiiert und an Gustav Kasel ver-geben hatte – von ihm stammteder kostengünstigste Plan. Kaselhatte bei dem Frankfurter Archi-

tekten Ernst May, den Bauhaus-Stil studiert. Der moderne, klareStil der im Juli 1932 fertig gestell-ten Häuser mit Flachdächern,weißem glatten Putz und zur Stra-ße abgerundeten Ecken missfielden Nazis – für sie war das reiner„Kulturbolschewismus“ undschon zwei Jahre nach der Schlüs-selübergabe musste die Bauge-nossenschaft auf Regierungsan-weisung die „marxistischen Flach-dächer in deutsche Dächer“ um-wandeln.

Der deutsch-jüdische Architekt Gustav Kaselgilt als Rekonstrukteur des Karl-Marx-HausesDer sozialdemokratischejüdische Architekt GustavKasel entwarf dieRekonstruktion desKarl-Marx-Hauses in Trier.Während der Nazizeitemigrierte er nachPalästina. 1950 kehrte er inseine Heimatstadt zurück.

VON FRANZ-JOSEF SCHMIT

Familienfoto: Der Architekt Gustav Kasel mit seiner Frau Alice geborene Bender. Fotohinweis????????

Das Karl Marx Haus in Trier, gezeichnet von Gustav Kasel.

Gustav Kasel vor einem von ihm entworfenem Haus in der Zeughausstraße inTrier. Foto: Archiv des Karl Marx-Hauses

Gustav Kasel, 1883 in Trier gebo-ren, verließ nach der MittlerenReife die Schule und wurde Mau-rermeister. Erste Einblicke in denArchitektenberuf erhielt er im Tri-erer Büro von Peter Marx. 1904 istKasel Gasthörer an der Techni-schen Hochschule Darmstadt.Lehr- und Wanderjahre führen ihnnach Leipzig, Breslau und Bre-men. Zwischenzeitlich hatte er1906 seinen Militärdienst inDarmstadt abgeleistet, wo zeit-weise auch sein Bruder Josef undseine Zwillingsschwester Emmastudierten. Seit 1912 arbeitete Ka-sel in Trier als selbständiger Archi-tekt. Nach dem Weltkrieg schlosser sich mit J. Prior zusammen, mitBüro in der Paulinstraße 26. DiePraxisgemeinschaft befasste sichmit zahlreichen Projekten in Trierund der Eifel, wobei auf Kasel vorallem die Entwürfe zurückgehen.In Wittlich baute Kasel den Wein-keller und das große Ökonomie-gebäude des Weingutes Albertz.Mit der Bauausführung wurdengrundsätzlich heimische Betriebebeauftragt. Dokumentiert sindKasels Arbeiten, zu denen auchEntwürfe für den Neubau derReichsbahndirektion, dem späte-ren Sitz der Gestapo Trier, undUmgestaltung des Porta-Nigra-Platzes zählen, in einem Band, derheute in der Stadtbibliothek Trieraufbewahrt wird. Im Stadtarchiv

befinden sich zahlreiche großfor-matige Zeichnungen und Pläne,die Kasel für das Karl Marx-Haus-Projekt angefertigt und im Som-mer 1950 dem Archiv überlassenhatte – eine öffentliche Präsentati-on dieser beeindruckenden Vorar-beiten im Gedenkjahr 2018 zum200. Geburtstag von Marx wäre si-cher eine Bereicherung der ge-planten Ausstellungen.

Im Jahr 1920 heiratete Kasel dieälteste Tochter des Wittlicher Tex-tilhändlers Josef Bender, in dessenGeschäft am Marktplatz überwie-gend Kunden vom Land einkau-fen. Für seine Schwiegerelternentwarf Kasel zahlreiche Möbel-stücke. Als Josef Bender und seinSohn Paul 1938 Wittlich zunächstRichtung Köln verlassen mussten,wird das Mobiliar überwiegendverschleudert und zur Finanzie-rung der späteren Überfahrt nachPalästina genutzt. Kasels Schwie-gervater stirbt schon 1941, seinSchwager Paul kann sich nurmühsam als Taxifahrer durch-schlagen. In Jerusalem findet Ka-sel bei der britischen Mandatsre-gierung Arbeit in seinem Beruf.Nach Trier berichtete er vom Neu-anfang unter schwierigen Bedin-gungen: „Das Geld ist knapp, derLebensunterhalt aber teuer. Dasist eine Folge des jüdisch-arabi-schen Krieges, den wir gottlob allegesund überstanden haben. Aberes war eine verdammt schwereZeit!... Ich habe in vier Wochen 22

kg abgenommen und einen Herz-schaden davongetragen. Also, einalter ‚Heuschreck‘, der nicht mehrhüpfen kann! Unser Haus ist zu-sammengeschossen worden,doch, wir haben wieder eine Vier-zimmerwohnung.“

In seiner freien Zeit durchstreiftKasel die alten pittoresken ViertelJerusalems, für deren Sanierunger – inzwischen Stadtbaumeister –zuständig ist, und fertigt Bleistift-zeichnungen an, die sogar in einerAusstellung mit dem Titel „Wie dieandere Hälfte lebt“ gezeigt wer-den. Kasel wird in einem Beitragzur Ausstellung als „Prophet derSlums“ bezeichnet. „Vom Stand-punkt der Zeichenkunst doku-mentieren die Skizzen eine nahe-zu unheimliche Virtuosität. Ihrgrößtes Verdienst allerdings istdokumentarischer Natur. Nochnie zuvor ist einer dieser Slums imJerusalemer Jemeniten-Viertel sowirklichkeitsgetreu abgebildetworden.“ Leider müssen diese Ar-beiten Kasels als verschollen gel-ten – kein relevantes Museum inIsrael konnte bislang zum Ver-bleib der Kasel-Zeichnungen et-was sagen.

Gustav Kasel stirbt am 5. Januar1955 an einer Herzembolie, wieseine Frau der früheren Prokuris-tin Irmina Dehen in Konz brieflichmitteilte.

Biografisches über Gustav KaselVON FRANZ-JOSEF SCHMIT

Produktion der Seite:Inge Meyer