Juristische Methodik (Einführung)

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Juristische Methodik - Einführung - 1. Grundelemente der Rechtsanwendung Eine Rechtsfolge ergibt sich aus Rechtsnorm und Sachverhalt. Die Rechtsnorm beschreibt abstrakte Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen. Tatbestandsmerkmale sind die Voraussetzungen für das Eintreten der Rechtsfolge. 2. Subsumtion Bei der Subsumtion wird die Rechtsnorm auf den Sachverhalt angewendet, die abstrakten Tatbestandsmerkmale der Norm werden mit den konkreten Informationen des Sachverhaltes abgeglichen Die Tatsachen im Sachverhalt müssen in eine abstraktere Form gebracht werden, die Tatbestandsmerkmale der Rechtsnorm müssen mit Leben gefüllt werden Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Rechtsnorm und Lebenssachverhalt 3. Tatbestandsmerkmale Kumulative Tatbestandsmerkmale müssen gleichzeitig erfüllt sein. Fehlt auch nur eine Voraussetzung, tritt die Rechtsfolge nicht ein. Beispiel: Einigung und Übergabe bei der Eigentumsübertragung (§ 929 BGB ) Alternative Tatbestandsmerkmale lösen die Rechtsfolge bereits aus, wenn auch nur eine Voraussetzung erfüllt ist. Beispiel: Geschäftsunfähigkeit bei nicht vollendetem siebenten Lebensjahr oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit (§ 104 BGB ) 4. Rangfolge der Rechtsnormen Verfassungsrecht (Grundgesetz und Landesverfassungen) Formelles Gesetz (vom parlamentarischen Gesetzgeber im vorgeschriebenen Verfahren erlassenes Gesetz) Rechtsverordnung (von der Exekutive aufgrund einer Ermächtigung in einem formellen Gesetz erlassene Regelung) Satzung (Rechtsnorm, die von einem Rechtsträger auf Grundlage der ihm vom Staat verliehenen Satzungsautonomie erlassen wurde) Gewohnheitsrecht (es entsteht durch langdauernde Übung, der Überzeugung der Beteiligten, dass die Übung rechtlich geboten ist und der rechtssatzmäßigen Formulierbarkeit) 5. Normenkonkurrenzen und Normenkollisionen Eine Normenkonkurrenz liegt vor, wenn mehrere Rechtsnormen auf denselben Sachverhalt zur Anwendung kommen können. Eine Normenkollision liegt vor, wenn Rechtsnormen für den gleichen Sachverhalt sich widersprechende Rechtsfolgen vorsehen. Regeln zur Auflösung von Normenkollisionen: Höherrangiges Recht bricht niederrangiges Recht (lex superior derogat legi inferiori) Bundesrecht bricht Landesrecht (Art. 31 Grundgesetz ) Begriff (Rechtsnorm) Definition (wenn nicht evident) Subsumtion (Schlussfolgerung) Ergebnis (Rechtsfolge)

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Eine Einführung in die Rechtsanwendung und die juristische Methodik

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Juristische Methodik- Einführung -

1. Grundelemente der Rechtsanwendung Eine Rechtsfolge ergibt sich aus Rechtsnorm und Sachverhalt.

Die Rechtsnorm beschreibt abstrakte Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen.

Tatbestandsmerkmale sind die Voraussetzungen für das Eintreten der Rechtsfolge.

2. Subsumtion Bei der Subsumtion wird die Rechtsnorm auf den Sachverhalt angewendet, die abstrakten Tatbestandsmerkmale

der Norm werden mit den konkreten Informationen des Sachverhaltes abgeglichen

Die Tatsachen im Sachverhalt müssen in eine abstraktere Form gebracht werden, die Tatbestandsmerkmale der Rechtsnorm müssen mit Leben gefüllt werden Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Rechtsnorm und Lebenssachverhalt

3. Tatbestandsmerkmale Kumulative Tatbestandsmerkmale müssen gleichzeitig erfüllt sein. Fehlt auch nur eine Voraussetzung, tritt die

Rechtsfolge nicht ein. Beispiel: Einigung und Übergabe bei der Eigentumsübertragung (§ 929 BGB)

Alternative Tatbestandsmerkmale lösen die Rechtsfolge bereits aus, wenn auch nur eine Voraussetzung erfüllt ist. Beispiel: Geschäftsunfähigkeit bei nicht vollendetem siebenten Lebensjahr oder krankhafter Störung der Geistestätigkeit (§ 104 BGB)

4. Rangfolge der Rechtsnormen Verfassungsrecht (Grundgesetz und Landesverfassungen)

Formelles Gesetz (vom parlamentarischen Gesetzgeber im vorgeschriebenen Verfahren erlassenes Gesetz)

Rechtsverordnung (von der Exekutive aufgrund einer Ermächtigung in einem formellen Gesetz erlassene Regelung)

Satzung (Rechtsnorm, die von einem Rechtsträger auf Grundlage der ihm vom Staat verliehenen Satzungsautonomie erlassen wurde)

Gewohnheitsrecht (es entsteht durch langdauernde Übung, der Überzeugung der Beteiligten, dass die Übung rechtlich geboten ist und der rechtssatzmäßigen Formulierbarkeit)

5. Normenkonkurrenzen und Normenkollisionen Eine Normenkonkurrenz liegt vor, wenn mehrere Rechtsnormen auf denselben Sachverhalt zur Anwendung

kommen können.

Eine Normenkollision liegt vor, wenn Rechtsnormen für den gleichen Sachverhalt sich widersprechende Rechtsfolgen vorsehen.

Regeln zur Auflösung von Normenkollisionen:

Höherrangiges Recht bricht niederrangiges Recht (lex superior derogat legi inferiori) Bundesrecht bricht Landesrecht (Art. 31 Grundgesetz)

Begriff(Rechtsnorm)

Definition(wenn nicht evident)

Subsumtion(Schlussfolgerung)

Ergebnis(Rechtsfolge)

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Die spätere Norm verdrängt die frühere Norm (lex posterior derogat legi priori)

Die speziellere Norm geht der allgemeineren vor (lex specialis derogat legi generali)

6. Unterscheidung der Rechtsnormen Antwortnormen liefern zu einer Fragestellung eine abstrakte Rechtsfolge. Beispiel: wurde ein Kaufvertrag

geschlossen, ist der Verkäufer verpflichtet, die Sache dem Käufer zu übergeben und ihm das Eigentum zu übertragen (§ 433 Abs. 1 BGB)

Hilfsnormen werden herangezogen, um ein Tatbestandsmerkmal der Antwortnorm zu definieren oder näher zu bestimmen. Beispiel: § 90 BGB definiert den Begiff der „Sache“

Gegennormen stehen der grundsätzlichen Rechtsfolge der Antwortnorm entgegen, indem sie diese ausschließen, einschränken, nachträglich wegfallen lassen oder die Durchsetzbarkeit der Rechtsfolge verhindern. Beispiel: § 935 Abs. 1 BGB steht § 932 BGB entgegen. Hier wäre § 935 Abs. 2 BGB eine Gegen-Gegennorm zu § 935 Abs. 1 BGB, da die Anwendbarkeit der Gegennorm wiederum beschränkt wird.

7. Auslegung der Gesetze Bei Zweifeln über den Inhalt einer Rechtsnorm ist diese auszulegen. Hierzu hat die klassische Methodenlehre,

die insbesondere auf Friedrich Carl von Savigny zurückgeht, vier Auslegungselemente entwickelt:

Auslegung nach dem Wortlaut (grammatische oder philologische Interpretation) – Diese Auslegung orientiert sich am Wortlaut der Rechtsnorm. Hier ist in erster Linie der juristische Sprachgebrauch maßgeblich, bei Fachbegriffen aus anderen Bereichen (z.B. Medizin, Technik, Wirtschaft) ist das dort gebräuchliche Wortverständnis entscheidend. Zur Auslegung können Fachbücher, Wörterbücher oder Lexika herangezogen werden.

Historische Auslegung – Sie gliedert sich in zwei Elemente: zum einen erforscht sie die geschichtliche Situation, die der Gesetzgeber bei Erlass der Norm vorgefunden hat und zu regeln beabsichtigte. Zum anderen betrachtet die genetische Interpretation die Entstehungsgeschichte einer Rechtsnorm. Dabei wird der Weg der Norm bis zur aktuellen Fassung nachgezeichnet. Aus Änderungsgesetzen, Gesetzesbegründungen und der Entwicklung von Gesetzentwürfen (Gesetzesmaterialien) werden Erkenntnisse gewonnen.

Teleologische Auslegung – Sie erforscht den Sinn und den Zweck einer Rechtsnorm. Hierbei ist aber nicht der subjektive Regelungswille des Gesetzgebers maßgeblich, sondern der objektiv in der Rechtsnorm zum Ausdruck kommende Zweck. Der Gesetzeswortlaut entfaltet mit dem voranschreitenden Zeitablauf ein Eigenleben und entfernt sich mehr und mehr vom ursprünglichen Willen des Gesetzgebers.

Systematische Auslegung – Sie gewinnt Erkenntnisse über den Inhalt einer Norm aus deren Stellung im Normengefüge, insbesondere aus der Struktur des Gesetzes, in das sie eingebettet ist. Die systematische Auslegung geht davon aus, dass Begriffe in einem Gesetz stets dieselbe Bedeutung haben. Sie betrachtet auch Überschriften aus Abschnitten und Kapiteln des Gesetzes. Diese sind zwar nicht unmittelbar geltendes Recht, erlauben aber möglicherweise Rückschlüsse auf die Bedeutung der Rechtsnorm.

Die Reihenfolge der Auslegungskriterien ist nicht zwingend vorgegeben, aber auch nicht beliebig. Es empfiehlt sich, stets mit dem Wortlaut der Norm zu beginnen, da er die Möglichkeiten der Auslegung begrenzt und die Auslegung in eine bestimmte Richtung lenken kann.

Der Rechtsanwender, der einen Fall zu entscheiden hat, darf eine aufgeworfene Frage nicht offen lassen. Es besteht Entscheidungszwang.

Der Entscheidungbegründung kommt tragende Bedeutung zu; sie wird danach beurteilt, ob sie

methodisch vertretbar und

überzeugend ist.

Die in der Begründung enthaltenen Argumente müssen schlüssig sein. Ein Gedanke muss auf den vorangehenden aufbauen und von der aufgeworfenen Frage logisch schlüssig zum Ergebnis hinführen.

Sachargumente müssen vollständig sein. Das bedeutet, dass wesentliche Gegenargumente nicht ausgeblendet werden dürfen. Auch diese müssen in die juristische Argumentation einbezogen werden.

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8. Auslegungshilfen und Argumentationstechniken Der Erst-recht-Schluss (argumentum a maiore ad minus oder argumentum a minore ad maius) schließt vom

Mehr auf das Weniger bzw. umgekehrt. Diese logischen Schlüsse gehen davon aus, dass in einer weitergefassten Regelung auch die weniger weitgehende enthalten ist.

Beim argumentum ad absurdum (Schluss vom absurden Ergebnis auf die falsche Auslegung) wird eine andere als die bevorzugte Auslegung geprüft, wobei dies zu einem untragbaren Ergebnis führt. Aus dem absurden Ergebnis der anderen Auslegung wird dann gefolgert, dass die vertretene Auslegung zu bevorzugen ist.

Die Analogie überträgt die Rechtsfolge einer Norm auf andere Tatbestände. Der tatsächliche Lebenssachverhalt wird hier hierbei von den Tatbestandsmerkmalen der Rechtsnorm nicht erfasst, ist aber soweit vergleichbar, dass eine entsprechende Rechtsfolge gerechtfertigt ist. Die Analogie kann als Rechtsanalogie (auch Gesamtanalogie genannt) erfolgen, bei der ein Rechtsgedanke des gesamten Gesetzes ermittelt wird, oder als Gesetzesanalogie (auch als Einzelanalogie bezeichnet), wobei der Regelungsgehalt einer einzelnen Norm berücksichtigt wird.

Der Umkehrschluss verhält sich zur Analogie genau umgekehrt. Bei ihm wird aus der Nichtanwendbarkeit einer Norm auf einen Sachverhalt geschlossen, dass gerade deswegen auch nicht die Rechtsfolge der Norm eintreten soll. Er unterstellt, dass der Gesetzgeber den zu entscheidenden Fall mit erfasst hätte, wenn er eine entsprechende Regelung hätte treffen wollen. Da er dies gerade nicht tat, wird er eine abweichende Rechtsfolge beabsichtigt haben.

Teleologische Reduktion bezeichnet die Beschränkung des Regelungsgehaltes einer Norm. Hierfür ist Voraussetzung, dass der Wortlaut einer Norm einen Tatbestand erfasst, der Sinn der Norm diesem Ergebnis aber entgegensteht. Bei der teleologischen Reduktion wird der Tatbestand eingegrenzt, so dass Sachverhalte zwar dem Wortlaut nach die Rechtsfolge auslösen würden, die Rechtsfolge aber dennoch nicht eintritt. Beispiel: wer versucht, sich selbst zu töten, erfüllt möglicherweise den Tatbestand des versuchten Mordes („...wer einen Menschen tötet...“ schließt auch den Selbstmörder ein). Im Wege der teleologischen Reduktion wird aber angenommen, dass der Sinn der Rechtsnorm nur Fälle erfassen soll, wo ein anderer Mensch zum Mordopfer wird.