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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg KARL-HEINZ BRAUN Franz Xaver Bischof, das Ende des Bistums Konstanz: Hochstift und Bistum Konstanz im Spannungsfeld von Säkularisation und Suppression (1803/03 – 1821/27 (= Münchener Kirchenhistorische Studien, Bd. 1) Stuttgart, Berlin, Köln 1989) Originalbeitrag erschienen in: Freiburger Diözesanarchiv 110 (1990) = 3. Folge, Bd. 42, S. 449-459

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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

KARL-HEINZ BRAUN Franz Xaver Bischof, das Ende des Bistums Konstanz: Hochstift und Bistum Konstanz im Spannungsfeld von Säkularisation und Suppression (1803/03 – 1821/27 (= Münchener Kirchenhistorische Studien, Bd. 1) Stuttgart, Berlin, Köln 1989) Originalbeitrag erschienen in: Freiburger Diözesanarchiv 110 (1990) = 3. Folge, Bd. 42, S. 449-459

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Franz Xaver Bischof, Das Ende des Bistums Konstanz. Hoch-stift und Bistum Konstanz im Spannungsfeld von Säkularisation

und Suppression (1803/03-1821/27 (= Münchener Kirchen-historische Studien, Bd. 1) Stuttgart –Berlin – Köln 1989).

Das Thema dieser 1988 von der staatlichen Theologischen Fakultät Luzernals Doktor-Dissertation angenommenen Arbeit geht zurück auf den ehemali-gen Luzerner Professor Dr. Manfred Weitlauff (heute Ordinarius für Bayeri-sche Landeskirchengeschichte in München). B.s Recherchen erstrecken sichkeineswegs nur auf die wenigen Jahre zwischen der Säkularisation des Hoch-stifts 1802/3 und der Suppression des Bistums durch die päpstliche Bulle„Provida Solersque" vom 16. August 1821, sondern präsentieren neben derenkritischer Würdigung im zeitlichen Kontext auch die Vorgeschichte (II. DasHochstift Konstanz zwischen Revolution und Säkularisation (1788-1803), S.65-190), ja sogar einen kurzen Abriß einer kleinen Konstanzer Bischofsge-schichte (S. 43-64). Ebenso sind in diese Arbeit Biographien der beiden letztenRepräsentanten des Bistums eingebaut, die des Konstanzer Fürstbischofs KarlTheodor Freiherr von Dalberg (1744-1817) (S. 110-141) und die seines Gene-ralvikars bzw. Bistumverwesers Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg(1774-1860) (S. 251 – etwa 314). B.s Buch wird auf diese Weise ungemeininformativ, dies jedoch um den Preis einer Langatmigkeit, die vom Leser einehohe Motivation verlangt. Darüber hinaus unterliegt B., der vor allem ausreichem Quellenmaterial schöpfen kann, der Versuchung, dieses möglichstbreit in den Text hineinzubauen; zusätzlich werden noch zahlreiche Texte inder Originalsprache im Anmerkungsapparat vorgestellt. Vier Quellentexteveröffentlicht er im Anhang II (S. 546-551). Ein ausführliches Personen- undOrtsregister schließt die Arbeit ab.

I. Auslöschen und Vergessen

B. leitet seine Arbeit mit einem Hinweis auf Wessenbergs nüchterne Grab-platte (zu korrigieren: keine Bronze–, sondern eine Messingplatte) ein. Diesewar jahrzehntelang mit dem Kirchengestühl bedeckt, so als wollte man dieErinnerung an Wessenberg, mit dem „die Konstanzer Bistumsgeschichte ihrenAbschluß gefunden" hat (S. 43), und an all das, was er in diesem Zusammen-

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hang bedeutet hat, auslöschen. B. evoziert zunächst, daß Wessenberg und dasletzte Domkapitel auch der Grund für die Auslöschung des Bistums waren,differenziert jedoch später den Kausalzusammenhang zwischen Errichtungder oberrheinischen Kirchenprovinz einerseits und der Suppression des Bis-tums und damit der Kaltstellung Wessenbergs und des Domkapitels anderer-seits, wenn er formuliert: „Die Gründe standen nicht in direkter Verbindungzueinander, doch wurzelten sie nichtsdestoweniger in einem gemeinsamenpolitisch-kirchenpolitischen Umfeld" (S. 486). Dies galt um so mehr, alsWessenberg in seiner Auseinandersetzung mit dem Heiligen Stuhl auch sehrzum Ärger der römischen Behörde und ihrer Sympathisanten zunächst vomgroßherzoglich badischen Hof kräftig unterstützt wurde.

Unverkennbar, wenn auch mit leisen Tönen, beklagt B. das Ende desBistums Konstanz, „nachdem es rund 1200 Jahre lang Kristallisations- undAusstrahlungspunkt christlichen Lebens für den geschlossenen Kulturraumim Einflußbereich von Hochrhein und Bodensee gewesen war" (S. 43). Ineinem eigenen Abschnitt „Suppression oder Translation des Bistums Kon-stanz" (S. 500-513) zeigt B. die Implikationen der politischen Diplomatie auf,die schließlich die durch Staatsvertrag vom 7. Oktober 1818 vereinten südwest-deutschen Staaten für eine Suppression votieren ließen. Pius VII. konnte mitseiner Zirkumskriptionsbulle vom 16. August 1821 sich dieser Politik anschlie-ßen und die „Freiburger Kirchenprovinz" errichten. Für Rom bot sich aufdiese Weise problemlos die Beseitigung der oppositionellen Konstanzer Geist-lichen Regierung mit Wessenberg als deren Präsidenten an („Der tiefere Grundder Suppression des Bistums Konstanz dürfte vielmehr im Geist und im Kir-chenverständnis gelegen haben, welches Konstanz [und natürlich ihre Reprä-sentanten] symbolstark verkörperte...” 5.517]).

Man muß B.s Gesamturteil zustimmen: „Wenn man ferner die merkwürdi-ge Zurückhaltung des Heiligen Stuhls im Kampf gegen die Säkularisation (beiallem Verständnis für die äußerst schwierige Situation des Papsttums) erwägt,und sich den hartnäckigen Widerstand der Römischen Kurie gegen die Kon-kordatspolitik Dalbergs und Wessenbergs in einer Zeit höchster kirchlicherNot vergegenwärtigt, bleiben Fragen offen. Und wenn Papst Pius VII. imbekannten Breve vom 2. November 1814 an Dalberg die Zerschlagung derReichskirche als Zorngericht Gottes (ultricem manum Omnipotentis Dei)gedeutet und den Fürstprimas als den vornehmsten Fürsten und Repräsentan-ten des untergegangenen Heiligen Römischen Reiches nach dem Kaiser durchpauschale Vorwürfe und Beschuldigungen in unerhörter Weise gedemütigthatte, war dies ein Vorgang von tiefgreifender Konsequenz. Man muß hier diehistorischen Zusammenhänge sehen. Rom scheint alles daran gelegen zuhaben, zu verhindern, daß die ‚Deutsche Kirche' noch einmal eine durchVerfassung und Recht garantierte Eigenstellung mit einem gewissen Grad an

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Selbständigkeit erlangte. Die Erinnerung aber an Geist und Idee der altenReichskirche sollte (und mußte) durch diese Demonstration päpstlicherMachtvollkommenheit für immer ausgelöscht und vergessen sein. Von dahererscheint die gänzliche Auslöschung des Bistums Konstanz nur konsequent"(S. 517). Vor dem Hintergrund einer solch zielstrebig verfolgten Politik wirkendie Bemühungen der Konstanzer Bürgerschaft (seit 1817, S. 514) um einenVerbleib des Bischofssitzes in Konstanz rührend naiv.

Ergänzend hinzufügen sollte man auch noch jenen für die staatliche Admi-nistration wichtigen Grundsatz, wonach das neue kirchliche Gebiet auch derstaatlichen Verwaltungseinheit zu entsprechen hatte. Für ein LandesbistumBaden – hinzu kamen die Katholiken der Fürstentümer Hohenzollern-He-chingen und Hochzollern-Sigmaringen – wäre Konstanz schon geographischzu peripher gelegen; dessen Translation nach Freiburg hätte vermutlich jenenichtalemannischen Katholiken der badischen Teile der Diözesen Würzburg,Mainz, Speyer (und Straßburg) und des ebenso untergegangenen Wormsweniger befriedigt, zumal das Bruchsaler Generalvikariat (für die badischenKatholiken von Würzburg, Worms und Speyer) eine zur Konstanzer Verwal-tung und „Theologie" konträre Kirchenpolitik verfochten hatte, und geradedie Integration (auch hinsichtlich der Religiosität) so heterogener Gebiete imlebendigen Interesse der badischen Staatsbürokratie lag (vgl. S. 511).

II. Die letzten Repräsentanten des Hochstifts und des Bistums Konstanz

In einem Überblick über die Geschichte des Hochstifts Konstanz an derWende vom 18. zum 19. Jahrhundert geht B. auf kirchenrechtliche Strukturenund Persönlichkeiten ein, wie sie in den letzten Jahren wirkmächtig relevantwurden. Ausführlich zeigt B. die Verfassung des Domkapitels auf, zu dessenDignitäten Domprobst, Domdekan, Domkustos und Domkantor zählten unddas sich „als Garant der Fortexistenz bewährt und die Kontinuität von Hoch-stift und Bistum Konstanz gesichert hatte" (S. 72). Wertvoll sind die 18Biogramme der letzten Domkapitulare bzw. Domizellare (1802/03). Sie lassennicht nur etwas von der Bedeutung dieser Körperschaft ahnen, sondern zeigengleichzeitig, welch illustren Persönlichkeiten ihr angehörten.

Mit der Wahl Karl Theodor von Dalbergs zum Koadjutor im BistumKonstanz (18. 6. 1788) wurde ein letzter Höhepunkt eingeleitet. Ausführlichzeigt B. die politischen Hintergründe seiner Wahl auf (S. 81 -109), wie etwa denunmittelbaren „Einfluß der Kirchenpolitik Josephs II. auf die KonstanzerKoadjutorwahl" (S. 84), oder weist auf die Bedeutung des Fürstenbundes hin,dem Dalberg nach seiner Wahl in Mainz beigetreten war. Einleuchtend erschei-nen B.s Argumente gegen Aretins These, „daß Dalberg vom Konstanzer

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Domkapitel verpflichtet wurde, dem Fürstenbund beizutreten" (S. 98, Anm.119). Sorgfältig legt B. all diese Differenzierungen frei, die eine Wahl Dalbergserst ermöglichten. Nach B. bedeutete diese Weichenstellung „eine klare Absa-ge an die kaiserlich-österreichische Kirchenpolitik Josephs II. (1765-1790; seit1780 Alleinherrscher), in der das Domkapitel nicht zu Unrecht eine Gefahr fürdie Fortexistenz von Hochstift und Bistum Konstanz sah" und damit „gleich-zeitig eine Absage an die untertänige Devotion des Konstanzer FürstbischofsMaximilian Christoph von Rodt (1775-1800) gegenüber dem Erzhaus" undschließlich, weshalb das Domkapitel Dalberg favorisiert hatte, eine Absage andie „bedenkliche Mißwirtschaft und ,Schuldenpolitik` der fürstbischöflichenRegierung" (S. 81). Dalberg, der „das Hochstift Konstanz auch niemals nur alsAnhängsel seiner vielen Pflichten verstanden" (S. 149) hatte, erwies sich desVertrauens würdig, so daß das Domkapitel sich „mit größter Bereitwilligkeit"(24. 1. 1793, S. 147) seiner Politik anschließen konnte.

a) Karl Theodor Freiherr von Dalberg

Neben all diesen kirchenpolitischen und kirchenrechtlichen Fragestellun-gen fällt B.s Interesse an biographischen Fakten und Daten auf. Am deutlich-sten zeigt sich dies an seinen Ausführungen über Dalberg und Wessenberg.Ausführlich versucht B. beiden Persönlichkeiten gerecht zu werden. Dies dientm. E. hauptsächlich zur Zurückweisung jener vorkritischen Urteile, die ihneneine Redlichkeit in ihrem Handeln absprachen, so etwa Kurienkardinal Miche-le di Pietro (1727-1821), der Dalberg in einem Gutachten als ein „blindesWerkzeug höllischer Umtriebe" (134 f.) bezeichnete. Dem kann das UrteilJohann Michael Sailers aus dem Jahr 1801 entgegengestellt werden: „NurUnwissende, blinde Eiferer und böse Menschen hassen oder lästern ihn"(S. 140).

Für die biographischen Daten über Dalberg kann B. auf die Arbeiten von A.Freyh und K. Rob zurückgreifen. B. zeichnet Dalberg nüchtern und mitwohltuender Sachlichkeit, die keineswegs selbstverständlich ist (im Gegensatzdazu: K. M. Färber, Kaiser und Erzkanzler. Carl von Dalberg und Napoleonam Ende des Alten Reiches. Die Biographie des letzten geistlichen Fürsten inDeutschland (= Studien und Quellen zur Geschichte Regensburgs, Bd. 5, hg.von den Museen und dem Archiv der Stadt Regensburg, Regensburg 1988).

B.s Auswahl an biographischen Daten, die er kritisch auswertet, ergibt einsympathisches Bild dieses aufgeklärten und kulturvollen Fürsten. Gleich beiseinem Eintreffen als neuer Statthalter von Erfurt packt Dalberg selbst beimFeuerlöschen mit an (S. 114), er engagiert sich besonders im Bildungs– undSozialwesen (S. 115), verkehrt mit Größen deutschen Geistes wie Goethe oder

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Schiller. „Ich habe wenige Menschen gefunden, mit denen ich überhaupt sogern leben möchte als mit ihm. Er hat mir meinen Geist entzündet, und wie esscheint, auch ich den seinen," schreibt Schiller 1790 (S. 118). In diesemZusammenhang wundert es nicht, von Dalbergs reicher schriftstellerischerTätigkeit zu erfahren. „Seine Doppelmitgliedschaft bei Freimaurern und Illu-minaten" (S. 120), „kaum mehr als die gebräuchliche Form gesellschaftlichenLebens und edler Menschlichkeit im Sinne der Zeit" (G. Schwaiger, zit. S. 120)war 1816 für die römische Kurie ein gefundenes Fressen. Was diese eigentlich„im Sog des Gothaer und Weimarer Kreises" (S. 120) bedeutete, wäre nochgenauer zu untersuchen, zumal jene Freimaurerei in Italien (und anderenromanischen Ländern) etwa, welche den Kurialen vor Augen gestanden habenmag, keineswegs Dalbergs Ideale repräsentiert haben könnte.

Im großen und ganzen orientiert sich B. in der Beurteilung Dalbergs an denForschungen von H. Raab, K. 0. von Aretin, G. Schwaiger und R. Reinhardt.Dalbergs Engagement für Reichsverfassung und Reichskirche, „für derenRettung er bis 1806 unermüdlich und ohne auf persönliche Rücksichten zuachten kämpfte" (S. 127), wird positiv gewertet. Dem Gesamturteil B.s, Dal-berg gehöre „zu den herausragenden Gestalten seiner Zeit", kann man ohneMühe zustimmen (S. 139-141). Zutreffend bleibt das Wort von R. Reinhardt:„Wer die Geschichte nur von ihrem Erfolg her zu beurteilen gewohnt ist, dermag Dalberg mit einer Handbewegung abtun; er möge ihm aber wenigstens dieLauterkeit seines Wollens zugestehen" (zit. S. 140 f.).

b) Ignaz Heinrich Freiherr von Wessenberg

Ebenso engagiert wie bei Dalberg, zeichnet B. das Bild Wessenbergs, dessengeschichtliche Erinnerung wie bei Dalberg über ein Jahrhundert hinwegbisweilen einseitig tradiert wurde. Das Urteil von A. Rösch, dem späterenGeneralvikar in Freiburg, aus dem Jahr 1908, wonach „der Geist eines Wessen-berg nicht Leben, sondern hundertfältig Tod und Ruinen hervorgebracht" (zit.S. 251) habe, deutet B. zu Recht als Äußerung, die „auf dem Höhepunkt der,Modernismus`-Krise niedergeschrieben" wurde und „in ihrer vernichtendenKritik wohl unübertroffen" (ebd.) sei. Ergänzt werden sollte, daß Rösch knapp20 Jahre später (Hermann von Vicari im Dienste der Konstanzer und Freibur-ger Kurie: FDA 55 (1927), S. 295-361) Wessenberg vorsichtiger angeht. Nochminutiöser als bei Dalberg geht B. einzelnen Daten im Leben Wessenbergsnach. Neben viel Bekanntem aus der Literatur kann er hierbei auch auf Quellenzurückgreifen und so manches zurechtrücken, so z. B. das Datum von Wessen-bergs Amtsantritt. Das im Anschluß an Beck und Gröber auch von mirangenommene Datum von Wessenbergs Amtsantritt ist auf den 20. April (statt

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2. März) 1802 zu verlegen (S. 265). Zu fragen bliebe, ob Wessenberg wirklichsein vom 26. 12. 1813 datiertes Rücktrittsgesuch an Dalberg abgesandt hat. DaB. sich dabei auch nur auf das Konzept des Schreibens berufen kann, bleibt fürihn die Situation „letztlich nicht geklärt" (S. 274). Wessenbergs endgültigeAmtsenthebung geschah durch Dalberg auf Druck von Rom am 25. Januar1815. Da dessen Ersatz, Domkapitular Johann Nepomuk von Roll, dieses Amtnie antrat (I. H. von Wessenberg, Meine Erlebnisse: Unveröffentlichte Manu-skripte und Briefe, hg. von K. Aland und W. Müller, Bd. I/1, Freiburg – Basel– Wien 1968, S. 73), „übertrug Dalberg am B. September 1815 die Generalvika-riats- und Provikariatsvollmachten nunmehr auch offiziell der KonstanzerGeistlichen Regierung in corpore unter gleichzeitiger Bestätigung Wessen-bergs als vorsitzenden Präsidenten und Reinigers als Direktor des GeistlichenRegierungskollegiums" (S. 275). Faktisch wird man hierbei sogar von einerkontinuierlichen Tätigkeit Wessenbergs sprechen können. Schon am 4. 11.1813 hatte Dalberg Wessenberg zu seinem „Koadjutor und Koadministratorauf Lebenszeit ernannt, verbunden mit dem Wunsch der künftigen Nachfolge"(S. 276). Nach der Genehmigung dieses Planes durch den Großherzog am 22.B. 1815, willigte das Domkapitel am 12. 9. ein (zur Problematik S. 277), so daßDalberg am 23. 9. 1815 auch den Papst um die Bestätigung bat. Von Rom kamjedoch nie eine Antwort (S. 277). Nach Dalbergs Tod (10. 2. 1817 in Regens-burg) wählte das Domkapitel „am 19. Februar Wessenberg einstimmig zumKapitularvikar und Bistumsverweser. Doch Papst Pius VII. erklärte gegenjedes Herkommen – die Wahl eines Kapitularvikars bedurfte der römischenBestätigung nicht – mit dem Breve vom 15. März 1817 aus schwerwiegenden,jedoch nicht näher bezeichneten Gründen (ob gravissimas causas) die Wahl fürnull und nichtig" (S. 278). Auch Wessenbergs Romreise in der zweiten Jahres-hälfte 1817 brachte ihm keine Rechtfertigung, sondern in den Augen der Kuriesogar die Bestätigung ihrer Kritik und Skepsis. B. erarbeitet diesen Abschnitt(438-474) an Hand der Quellen aus dem Generallandesarchiv Karlsruhe, demArchiv für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten, Vatikan, undsogar dem Luzerner Nuntiaturarchiv, Vatikan. Der Rezensent kann sich hier-bei nicht zurückhalten darauf hinzuweisen, daß ihm in den Jahren 1979 bis1981 und 1988 wiederholt diese Luzerner Nuntiaturbestände als nicht benutz-bar von den Mitarbeitern des Vatikanischen Geheimarchivs vorenthaltenwurden, während erfreulicherweise B. in den Jahren dazwischen diese konsul-tieren konnte.

Trotz B.s gewissenhafter und sehr ausführlicher Recherchen bleiben für dieForschung noch Fragen offen, deren Beantwortung jedoch keineswegs zu B.sAufgabenstellung gehörte, wie zum Beispiel: Wie steht es um den Einfluß derErweckungsbewegung (S. 307) oder des Pietismus? Mit welchen Quellen istWessenbergs Engagement bei der Rottenburger Bischofswahl belegt (S. 279)?

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Welche Rolle spielte Wessenberg im Karlsruher Parlament (S. 280)? – Ferner seianzumerken, daß Wessenbergs Titelverzeichnis von K. Aland 1957 (S. 282)noch ergänzt werden kann: K. Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deut-schen Dichtung aus den Quellen, hg. von der Akademie der Wissenschaften derDDR, Zentralinstitut für Literaturgeschichte, ab Band XVI von HerbertJacob, 2. ganz neu bearbeitete Auflage, Berlin 1938 – 1985.

Interessant ist B.s Einordnung von Wessenbergs kirchenreformerischemDenken. „Den Konstanzer Generalvikar mit plakativen Verweisen auf die fürihn wieder und wieder bemühten Anschauungen des sogenannten ,Episkopa-lismus`, ,Febronianismus`, ,Josphenismus` und ,Gallikanismus` zu reduzieren,geht nicht an; noch weniger, ihn als Einzelfall zu isolieren. Wessenberg hat sichmit keiner dieser Bewegungen identifiziert, wenn auch die Einflüsse nichtbestritten werden. Denn in Wirklichkeit steht hinter Wessenbergs ‚Reform-Katholizismus' erasmianischer Prägung das bereits genannte ekklesiologischeProblem des rechten Verhältnisses der Befugnisse von Papst/Nuntiatur undKonzil/Episkopat" (S. 287).

Zum Problem von Wessenbergs bisweilen sturer Ablehnung gegen verbrei-tete Formen der Volksfrömmigkeit formuliert B.: „Keinerlei Verständnisbrachte der Generalvikar auf für die bunte Vielfalt an mitgetragenen Fahnen,Kreuzen, Bildern, und geradezu ein Greuel war ihm ‚türkische' Musik undSalut schießende Reiterei sowie die zahlreichen Zerstreuungsmöglichkeiten anden Wallfahrtsorten. Hier griff er resolut durch" (S. 309). Weniger theologischorientierte Sichtweisen aus der Volkskunde verstehen diese Bestrebungenentweder neutral (wie K. Schmalfeldt, Sub tuum praesidium confugimus.Unsere Liebe Frau in der Tanne zu Triberg: FDA 108 [1988], S. 5-302) odernegativ (E. Kimminich, Religiöse Volksbräuche im Räderwerk der Obrigkei-ten. Ein Beitrag zur Auswirkung aufklärerischer Reformprogramme amOberrhein und in Vorarlberg (= Menschen und Strukturen. Historisch-sozial-wissenschaftliche Studien, hg. von H. Haumann, Bd. 4, Frankfurt am Main –Bern – New York – Paris 1989, S. 204: „Selbst wenn man sich, wie an Wessen-bergs Erneuerungsvorschlägen zu beobachten war, über die Notwendigkeitsinnbildlicher Religionsausübung Gedanken machte, entbehrte der konstru-ierte Ersatz jedweder religiöser Symbolkraft"; oder S. 203: „...daß eine künst-liche geschaffene Kultur populären Bedürfnissen nicht entsprach..., daß vorallem die Konfrontation theoretisch formulierter Idealvorstellungen herr-schender Schichten mit den Bedürfnissen der Bevölkerung den Ausschlag zumWandel religiöser Feste gegeben hat." B.s Äußerung, wonach „der Widerstandgegen die Verordnung des Konstanzer Generalvikars oftmals weniger von denGläubigen, als vielmehr aus der Priesterschaft genährt und getragen wurde, daßsich Annahme oder Ablehnung am Wollen und an der pastoralen Klugheit ebender Seelsorger entschied" (S. 313), scheint mir affirmativ richtig zu sein. Dies

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müßte jedoch dahingehend ergänzt werden, daß die Rezeption gewisser Re-formansätze tatsächlich von einer gewissen Akzeptanz in der Bevölkerung ab-hängig war und ist; insofern ist dies nicht nur eine Frage der Vermittlung. DieAkzeptanz kann andererseits durchaus auch als ein Zeichen von Mündigkeitoder Unmündigkeit je nach Fallbeispiel gewertet werden.

III. Trennung

Eigens untersucht B. das Verhältnis von Konstanzer Geistlichen Regierungund Luzerner Nuntiatur unter Fabrizio Sceberas Testaferrata (S. 315-336).Dessen Tätigkeit wurde „zu Wessenbergs und auch des Bistums Konstanzschwerster Hypothek" (S. 319). In der hartnäckigen Observation der Kon-stanzer Geistlichen Regierung formuliert Testaferrata wiederholt seit 1805seine Forderung nach einer Trennung der Schweizer Quart vom BistumKonstanz (S. 345); nur dann könne die katholische Religion gerettet werden.Aus diesem Grund glaubte Testaferrata, er sei als päpstlicher Nuntius direkterSachwalter des Papstes (S. 334) und könne so auch in Konstanzer Bistums-angelegenheiten hineinregieren. Dalberg und Wessenberg wehrten sich dage-gen. Dalberg argumentierte („im wesentlichen von Kolborn” verfaßt [5.334]):„Nicht blos dem heiligen Petrus, sondern allen Aposteln hat Kristus dieGewalt zu lösen und zu binden gegeben" (zit. S. 335). Doch nicht nur denWühlereien des Luzerner Nuntius, sondern auch den verschiedenen staat-lichen Behörden kam eine kirchliche Neugliederung gelegen. Nach zähenVerhandlungen teilte am 30. August 1813 „Uri im Namen von 11 konstan-zischen Diözesankantonen dem Fürstprimas den Wunsch der Abtrennung derSchweizer Quart vom Bistum Konstanz mit. Gleichzeitig wurde er um Ein-willigung und Mithilfe gebeten. Luzern und Aargau hatten sich distanziertund nicht unterzeichnet" (S. 355). Mit dem Breve „Quod aliquantum" vom2. 11. 1814 (S. 399 – 401) an Dalberg hatte Pius VII. die Sache offiziell geregelt.Das Domkapitel, das von diesem Breve nichts wußte – zeitlebens hielt Dalberges geheim –, „appellierte an den Papst, sich dabei auf das kanonische Rechtberufend, welches für die Abtrennung eines Bistumsanteils auch die Einwilli-gung des Domkapitels vorschreibe" (S. 403). Pius VII. wies dies mit scharfenWorten zurück („Divini honoris zelo", S. 413). Faktisch änderte sich amProtest nichts, auch wenn der letzte Bistumsschematismus aus dem Jahre 1821„die Schweizer Quart als lediglich provisorisch abgetrennt" (S. 414) bezeich-nete. 1817 wurden dann schließlich die württembergischen (S. 415-427), 1817/21 die bayerischen (S. 427-430), 1819 die österreichischen Landkapitel von denjeweiligen staatlichen Behörden abgetrennt (S. 431-437). In der Folgezeitwundert es nicht, wenn das Konstanzer Domkapitel sich stärker an die

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großherzoglich badische Landesregierung anlehnte und dort um Schutz ihrerRechte nachsuchte (vgl. S. 469 ff.).

IV. Das Neue

Die südwestdeutschen Staaten Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt,Kurhessen, Hessen-Nassau und die Freie Stadt Frankfurt entwarfen in denFrankfurter Verhandlungen (1818) im wesentlichen das neue Kirchensystem.Deren Maxime lautete: „Es liege im Interesse eben dieser protestantischenRegierungen, der Kirche den staatlichen Schutz gegen die ,Usurpation derrömischen Curie' zu gewähren" (Wangenheim, zit. S. 477). Trotz des Protestesdes Heiligen Stuhles, der signifikant dort einsetzt, wo er um seinen Einflußbangte, jedoch weniger an einem Handlungsspielraum der einzelnen Bischöfestaatlichen Behörden gegenüber interessiert war, setzten sich die Regierungendurch. Sie gestalteten die neuen Kirchenverhältnisse nicht mehr nach national-kirchlichen Gesichtspunkten wie in der alten Reichskirche, sondern diminu-ierten die einzelnen Teilkirchen auf „Landesbistümer", B. spricht von einer„territorial gebundenen Staatskirche" (S. 474).

Die Zirkumskriptionsbulle „Provida Solersque" war ein erster Abschluß indiese Richtung. Ihr folgte die Ergänzungsbulle „Ad dominici gregis custo-diam" vom 11. April 1827, welche die Besetzung der höheren kirchlichenÄmter im Einverständnis mit den verschiedenen Staaten regelt. Leo XII. erließin seinem Breve „Re sacra" sogar noch weitere Zugeständnisse an den prote-stantischen Landesherrn, wonach das Domkapitel schon bei der Erstellungeiner Kandidatenliste für den neu zu besetzenden Bischöflichen Stuhl nur demGroßherzog genehme Kandidaten berücksichtigen dürfe. Nur 50 Jahre spätertraute sich die päpstliche Diplomatie nicht mehr, ihren Freiburger Kirchen-männern (bei der Erzbischofswahl 1868 ff.) die Existenz dieses Breves zugestehen, geschweige dessen Anwendung zu akzeptieren (vgl. Karl-HeinzBraun, Hermann von Vicari und die Erzbischofswahlen in Baden. Ein Beitragzu seiner Biographie (= Forschungen zur Oberrheinischen Landesgeschichte,Bd. XXXV, Freiburg – München 1990), S. 272-303).

V. Details

Auf S. 259, A. 53 muß es Heinrich von Sbrik heißen.Zu Johann Valentin Heimes, S. 126, A. 108 könnte man erwähnen:

K.-H. Drobner, Johann Valentin Heimes (1741-1806). Weihbischof in Wormsund Mainz. Politiker und Seelsorger am Ausgang des Alten Reiches (= Pader-

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borner theologische Studien, Bd. 18), Paderborn — München — Wien — Zürich1988.

Zu Hermann von Vicari: B. gibt unter Berufung auf das Geistliche Ratspro-tokoll (S. 294) als Datum der Ernennung von Vicaris zum Wirklichen Geistli-chen Rat den 29. Mai 1802 an. Im Ernennungsdokument hatte Dalberg diesejedoch schon am 24.5. 1802 vollzogen (EAF, NB 3/2; ebenso ersichtlich aus derAngabe eben dieses GRprot, EAF, Ha 268, S. 1386: „Meersburg, d. 24 May").S. 542: besser Vicari statt Vikari. Ergänzend zu S. 285: Beim Tod Wessenbergsinteressierte sich der Münchener Nuntius Flavio Chigi dafür, ob dieser auch alsgläubiger Katholik gestorben sei. Von Vicari konnte ihn beruhigen. Wessen-berg habe die heiligen Sakramente „rite et devote" empfangen. Der greise Erz-bischof hatte in seiner übervorsichtigen und ängstlichen Art dem BeichtvaterWessenbergs sogar das Mandat gegeben, dahingehend zu wirken, daß Wessen-berg „omnia quae contra canonicam obedientiam contraque ecclesiam et S. Se-dem Apostolicam verbis vel factis commisisset revocaret". Doch sei der Beicht-vater vom Arzt daran gehindert worden. (Von Vicari an Chigi, Friburgi, 28. B.1860: Archivio Segreto Vaticano, Archivio della Nunziatura di Monaco, 89).

Wessenbergianer würde ich nicht einfach als treue Anhänger Wessenbergsbezeichnen (S. 304). Gerade die badischen Revolutionwirren und die Synoden-bewegung haben gezeigt, daß sich viele auf Wessenberg zwar beriefen, um ihreForderungen an den Mann bringen zu können, in ihren Anliegen jedoch vielweiter gingen als Wessenberg selber. Sicher ist beiden Gruppen, Wessenberg-anhängern und Wessenbergianern, eine Ablehnung ultramontaner Theologiewie Praxis gemeinsam.

Zu Johann Baptist Ignaz Häberlin könnte man ergänzen: R. Bäumer, ZurGeschichte der Pfarrei St. Martin, besonders: Die Pfarrei unter Pfarrer Häber-lin 1789 – 1810: St. Martin in Freiburg i. Br. Geschichte des Klosters, der Kircheund der Pfarrei, hg. vom Kath. Pfarramt St. Martin, München – Zürich 1985,S. 273 – 280.

Den Ausführungen B.s folgen in einem ersten Anhang ein Überblick über„Die finanzielle und personelle Situation des Bistums Konstanz in den letztenJahren seines Bestehens" (S. 540-545), in einem II. Anhang vier markanteDokumente aus dem Schriftwechsel zwischen den Konstanzern und derrömischen Behörde.

Mit Quellen geht B. überhaupt sehr sorgfältig um. Darüber hinaus scheintähnlich wie bei seinen biographischen Angaben Ausführlichkeit für ihn einewichtige Maxime zu sein. Zahlreiche freilich bedeutende Quellen werden imText nicht nur vollständig wiedergegeben, sondern in wichtigen Passagen inder Originalsprache im Anmerkungsapparat wiedergegeben (besonders S. 274–286, S. 351 -372, 382-403, 409-423). Dieser Ausführlichkeit hätte es nichtbedurft.

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Ein Personen- und ein Ortsregister helfen bei der Suche nach bestimmtenSachverhalten. Aufgelockert wird die Arbeit durch sechs Abbildungen. Ge-zeigt werden neben den beiden Konstanzer Hauptrepräsentanten Dalberg undWessenberg deren Widersacher Nuntius Testaferrata. Sailer ist wohl der Nähezu Wessenberg wegen abgebildet. Darüber hinaus folgen noch zwei Karten,eine mit den Besitzungen des Hochstifts Konstanz, und die andere mit denGrenzen des Bistums Konstanz.

Alles in allem legt B. eine bemerkenswerte Arbeit vor, auf die man nicht nurwegen ihre immensen Materialfülle noch lange zurückgreifen wird.

Karl-Heinz Braun