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Karlheinz Deschner und seine große KRIMINALGESCHICHTE DES CHRISTENTUMS Leben · Werke · Wirkungen Zum Erscheinen von Band 9 im Juli 2008 Rowohlt 001-064 Deschner C&B 22.08.08 20:43 Uhr Seite 3

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Karlheinz Deschnerund seine große KRIMINALGESCHICHTE DES CHRISTENTUMS

Leben · Werke · Wirkungen

Zum Erscheinen von Band 9im Juli 2008

Rowohlt

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Mit der vorliegenden Broschüre informiert der Rowohlt Verlag über den neunten, den vorletzten Band der Kriminalgeschichte des Christentums undüber den Autor.

Der Verlag dankt Alfred Schwarz (1904–1988) für seine generöse Förderungdes Autors und seiner Familie während der langen Entstehungszeit dieses zehn-bändigen Werkes.

Seit Anfang der neunziger Jahre steht der Unternehmer Herbert Steffen alsMäzen und Freund tatkräftig zu seinem Wort, den Autor Karlheinz Deschner«mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu fördern, das ist mein größtesBestreben». So wurde auch das vorliegende Begleitheft nur dank der Großzü-gigkeit des Sponsors Steffen ermöglicht. Im Geiste Deschners gründete HerbertSteffen 2004 die sehr schnell einflussreich gewordene «Giordano Bruno Stif-tung», die 2007 zum ersten Mal den «Deschner-Preis» verlieh – an den britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins (siehe Seite 43).

Umschlagfoto: Michael HudlerBilder im Text: Gabriele Röwer Seite 2, 6, 17, 22, 25; Matthias Einwag Seite 64; die Bildlegenden stammen aus Deschners Aphorismenbänden «Nur Lebendiges schwimmt gegen den Strom», «Ärgernisse» und «Mörder machen Geschichte».

Herausgegeben von Hermann GieselbuschTypographie und Layout von Angelika WeinertDruck und Bindung CPI – Clausen & Bosse, LeckAlle Rechte an Texten und Bildern vorbehaltenPreisänderungen vorbehaltenRowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei HamburgAugust 2008

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Inhalt

«Es muss anders werden» 7Deschner im Interview mit der «Weltwoche»

Über den Autor 20

Die Bücher Karlheinz Deschners 24

Kriminalgeschichte des Christentums 30Übersicht über Band 1 bis 9

Inhaltsverzeichnis des 9. Bandes 34

«War Ignatius von Loyola verrückt?» 35Eine Leseprobe aus dem 9. Band

Karlheinz Deschner: «Ich liebe radikales Denken, das vernünftig ist» 43Gedanken über Sinn, Zweck und geeignete Kandidaten des Deschner-Preises

Richard Dawkins: «Im Einsteinschen Sinne bin ich ein tief religiöser Mensch» 51Dankesrede nach dem Erhalt des Deschner-Preises

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«Dass alle die Wahrheit suchen heißt nicht, dass es sie gibt.»

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«Es muss anders werden»

David Signer interviewt Karlheinz Deschner für die Züricher Zeitschrift «Die Weltwoche»*

David Signer: Herr Deschner, was ist der Kern des Chris-tentums?

Karlheinz Deschner: Die Frohe Botschaft mit derKriegsbemalung. Dazu gehören viele schöne Legenden, zumBeispiel das Märchen von der Auferstehung. Gehören vieleschöne Gebote, zum Beispiel das Gebot der Nächsten-, derFeindesliebe, das Gebot, nicht zu stehlen, nicht zu töten, unddie Klugheit, keines dieser Gebote zu halten. Christentum,das ist die Liaison eines Gesangsvereins mit einer Feuers-brunst.

David Signer: Aber was ist denn heute am Christentumnoch so schlimm? «Kriminalgeschichte des Christentums»heisst Ihr inzwischen achtbändiges Hauptwerk. Hat die Kir-che – zumindest in Westeuropa – nicht massiv an Einflussverloren?

Karlheinz Deschner: Zunächst: Ich beschreibe nicht dasbestehende, das gegenwärtige Christentum, sondern seineVergangenheit, also oft, aber oft auch nicht, etwas mehr oderweniger anderes. Heute jedenfalls noch kriminell im Chris-tentum sind die Auswirkungen seiner Ideologie, die vielenFolgen seines dogmatischen Wahnsinns, der sich ja nie mit

* ©by «Die Weltwoche», Zürich, Nr. 14/4. April 2007, Seite 54–57. Mit freundlicherGenehmigung

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dem blossen Glauben begnügt, der vielmehr missionieren,ausgreifen, erobern will. Heute noch kriminell im Christen-tum ist dessen desaströse Sexual- und Sozialmoral, seine Pra-xis, im Mutterschoss zu schützen, was man dann preisgibt imKrieg – als sammelte man in Weiberbäuchen Kanonenfutter.Aus den grossen Opfern der Armen für die Reichen macht eskleine Opfer der Reichen für die Armen. Was die Kirchenaber in Westeuropa verlieren oder zu verlieren scheinen, ge-winnen sie woanders, in «God’s own country» etwa, wieder.

David Signer: Geht heute nicht eine viel grössere Gefahrvom radikalen Islam aus?

Karlheinz Deschner: Was den Islam betrifft – seine eige-nen aggressiven Potenziale, verstärkt durch die sozioökono-mische Misere der Dritten Welt, einmal beiseite –, was denIslam betrifft, den man, wie einst Juden oder Kommunisten,bald nur noch in der Rolle des Bösen, ja fast des einzig gros-sen Bösen sieht, könnte diese Rolle gewissen westlichen Krei-sen nicht durchaus erwünscht, könnte von ihnen die islami-sche Gefahr nicht insgeheim gar noch geschürt worden sein?

David Signer: Aber es ist doch offensichtlich, dass vieleTerroristen heute ihre Morde islamisch legitimieren.

Karlheinz Deschner: Ja, nach der hier herrschendenöffentlichen Meinung. Doch eine Ende November publizierteweltweite Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung kommt zueinem andern Resultat. Als Hauptmotiv nämlich politischerGewalt – sie hat sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht –nennt die Studie nicht religiösen Fanatismus, sondern Armut,Misswirtschaft und Unterdrückung. Der religiöse Extremis-mus, darunter der islamische, nehme zwar zu, umfasse aberinsgesamt nur ein Viertel der terroristischen Gruppen. Ihrengrössten Anteil, 36 Prozent, stellen, wie eh und je, nationalis-tische Bewegungen.

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David Signer: Wie sehen Sie das Verhältnis Christentum–Islam–Judentum? Ist die Gewalt und die Ausschliessung derAndersdenkenden überall im Monotheismus angelegt, odergibt es Abstufungen?

Karlheinz Deschner: Alle drei monotheistischen Reli-gionen haben etwas Chauvinistisches. Etwas Gewalttätigesund Vergewaltigendes. Haben kraft ihres Auserwähltheits-dünkels einen Absolutheitsanspruch, der echte Toleranz vonvornherein ausschliesst.

David Signer: Was treibt Sie über all die Jahrzehnte zudieser unglaublichen Arbeit an? Empörung?

Karlheinz Deschner: Ja, was treibt mich? Schlicht undeinfach: das Unrecht. Ein himmelschreiendes Unrecht, jahr-tausendelang verpackt in pseudofromme Sprüche, in unver-schämte Lügen; nachzulesen in Dutzenden meiner christen-tumskritischen Bücher.

David Signer: Sie bezeichnen sich als Agnostiker – wasmeinen Sie genau damit?

Karlheinz Deschner: Als Agnostiker lasse ich die Fragenach Gott, nach Unsterblichkeit redlicherweise offen. Ich ver-neine sie nicht, obwohl für mich ein Nein hochwahrschein-lich ist. Denn vermute ich auch mit Shakespeare viele Dingezwischen Himmel und Erde, von denen unsere Schulweisheitnichts träumt, halte ich doch diese Frage mit Goethe für uner-forschlich, unser Gehirn für zu begrenzt. «Genauso gut», sagtDarwin, «könnte ein Hund über den Verstand Newtons spe-kulieren» – womit ich nichts gegen den Hund gesagt habenmöchte.

David Signer: Waren Sie früher gläubig? Wenn ja, wannund warum kam es zum Bruch?

Karlheinz Deschner: Gläubig war ich als Kind. Mitzehn wollte ich Priester werden. Mit elf schon nicht mehr.

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Mit fünfzehn las ich Nietzsche, als Student Schopenhauerund Kant. Das genügte für den Abschied vom Christentum.Einen letzten, doch nicht zu unterschätzenden emotionalenRest löschte für immer die Niederschrift von «Abermalskrähte der Hahn», grossenteils eine frühchristliche Dogmen-,partienweise eine vergleichende Religionsgeschichte; 25000Arbeitsstunden in fünf Jahren.

David Signer: Bedeutete die Reformation einen Fort-schritt, eine Humanisierung des Christentums?

Karlheinz Deschner: Nein, ganz und gar nicht. Sie be-deutet eine Fortsetzung seiner Verbrechen. Die Heiligenlegen-den zwar entlarvte Luther als Märchen. An den Bibellegen-den hielt er fest; am Teufelsglauben auch; am Hexenglauben;an der Ketzervertilgung; am Antisemitismus, am Kriegs-dienst, an der Leibeigenschaft, den Fürsten. Man nennt es:Reformation.

David Signer: Und in der Schweiz? War Zwingli besser?Karlheinz Deschner: Zwingli, der zeitweilige päpstliche

Feldpfaffe, wollte zwar nicht mit Luther verwechselt werden,verbat sich gar, dass ihn «die Bäpstler luterisch nennind»,war aber so selbständig nicht, zumal in der Praxis. WieLuther sich hinter den Fürstenstand steckte, so er sich hinterden Zürcher Rat, die autonome Stadtrepublik. Wie Lutherbekämpfte er die Bauernunruhen, wie Luther ging er gegendie Täufer vor, wie Luther (und alle echten Christen) trat erfür den Krieg ein. Wie Luther spaltete er das Land und fiel,ungleich allerdings dem Wittenberger, in Helm und Harnischgegen die Innerschweizer Katholiken. Schliesslich war erlängst der Meinung, «die Kirche könne bloss durch Blut er-neuert werden, nicht anders». Blut schmeckt ihnen immer ambesten, vor allem das der andern.

David Signer: Und Calvin?

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Karlheinz Deschner: Ach, dieser extrem unsinnliche,immer kränkelnde, bleichwangige, schwarzgekleidete Asket,der weder eine Empfindung für die Natur noch für die Kunstnoch Gefallen an Frauen, der überhaupt keine Lebenslust zuverspüren schien, nichts als unersättliche Gier nach Macht,das unerbittliche Durchsetzen seiner «Lehre», seiner theokra-tischen Diktatur – nichts als eisiger Fanatismus, systemati-sche Bespitzelung, Bestrafung, Einmischung ins Persönlichste,Privateste. Allein die ungeheure Niedertracht, mit der er Mi-chael Servet, den einstigen Mitreformer, den Arzt, den Natur-philosophen, wegen einer sogenannten Lehrdifferenz erst imKerker schinden, dann auf dem Scheiterhaufen unsäglichgrauenhaft eine halbe Stunde lang buchstäblich lebendig bra-ten liess, bis der entsetzlich Schreiende nur noch wie eineschwarze verkohlte Masse am Pfahl hing – noch zweihundertJahre später bekennt Edward Gibbon, der grosse Geschichts-schreiber und Aufklärer, diese eine Opferung habe ihn «tiefererschüttert als die Tausende auf dem Scheiterhaufen derInquisition», deren Grundgedanken Calvin übrigens über-nommen hat.

David Signer: Ist eine atheistische Gesellschaft automa-tisch eine bessere Gesellschaft?

Karlheinz Deschner: Nein. Durchaus nicht. Aber eineGesellschaft ohne «Gott», ohne Mythen, ohne militanteLügenreligionen als Basis, scheint mir erstrebenswerter. Ichweiss zwar nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird.Aber mit Lichtenberg weiss ich: Es muss anders werden,wenn es gut werden soll.

David Signer: Sind die Fälle von Pädophilie ein neueresPhänomen, oder gehört das zur Kirche?

Karlheinz Deschner: Natürlich ist Pädophilie da nichtsNeues. Das gibt es in der Kirche, seit es die Kirche gibt, ja

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schon früher, schon in urchristlicher Zeit. Liest man die Brie-fe des Paulus, die echten und die sechs gefälschten, so findetman da, wie auch sonst im Neuen Testament, jederlei Art vonsexuellen «Sünden».

David Signer: Hängen die «Perversionen» von Priesternmit dem Zölibat zusammen?

Karlheinz Deschner: Leicht möglich. Doch der grössteTeil der Zölibatäre hat sich ums Zölibat überhaupt nicht ge-kümmert, hielt sich statt des ihm versagten EINEN WeibesFrauen oft haufenweise, die Klerikerehe löst gleichsam einKlerikerharem ab. Im 8. Jahrhundert ertappt der heilige Boni-fatius Geistliche mit vier, fünf, noch mehr Konkubinennachts im Bette. Später gibt es, in Basel, in Lüttich, Bischö-fe mit zwanzig, ja mit einundsechzig Kindern, wimmeln selbst Männerklöster von Frauen. Und Nonnen machen denHuren Konkurrenz. Im 13. Jahrhundert stöhnen sogar Päpsteüber die Verkommenheit des Klerus, nennen ihn sittenloserals die Laien, die Verderbnis der Völker, sehen ihn «verfaulenwie das Vieh im Mist». Im 15. Jahrhundert wirken auf dem Konzil von Konstanz, das Hus verbrennt, ausser dem Hei-ligen Geist auch siebenhundert öffentliche Nutten mit, nichtgerechnet jene, welche die Konzilsväter selber mitgebracht.

David Signer: Und die Päpste selbst?Karlheinz Deschner: Noch im selben Jahrhundert koi-

tiert Papst Sixtus IV., Erbauer der nach ihm benannten Six-tinischen Kapelle und eines hochprofitablen Bordells, mit sei-ner Schwester und seinen Kindern. Und führt 1476 das Festder Unbefleckten Empfängnis ein! Natürlich setzt sich dasklerikale Sextreiben nach den tridentinischen Reformen fort.Noch 1970 beklagt der katholische «Aktionskreis München»das geheime eheähnliche Verhältnis und die erzwungene «Un-wahrhaftigkeit» des katholischen Priesters.

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David Signer: Sind Sie also für die Abschaffung des Zöli-bats?

Karlheinz Deschner: Aber nein! Ich bin, wie die Päpste,durchaus für das Zölibat: Wer katholisch, wer katholischerKleriker sein will, der soll seinen Katholizismus auch ausfres-sen.

David Signer: Kann man sagen: Das Urchristentum wargut, aber was die Kirche daraus gemacht hat, ist schlecht?

Karlheinz Deschner: Ja, das glauben viele. Doch abge-sehen davon, dass nichts, absolut nichts im Christentum ori-ginell ist – vom Weihnachtsfest zur Himmelfahrt: lauter Pla-giate! –, bereits Band 1 der «Kriminalgeschichte» belegt aufnahezu hundert Seiten den Kampf des Frühchristentumsgegen die Juden.

David Signer: Sie sind selber der beste Beweis für dieLiberalität des Christentums. Im Islam hätten Sie längst eineFatwa am Hals.

Karlheinz Deschner: Und früher im Christentum einenBannfluch, einen Strick oder Feuer unterm Hintern – jahr-hundertelang! Heute, niemand täusche sich, verhütet nur dierelative Ohnmacht des Klerus, seine Gegner zu verbrennen.

David Signer: Leben wir in einer säkularen Gesellschaft,oder betrachten Sie die Religion immer noch/wieder vermehrtals wichtigen Faktor?

Karlheinz Deschner: Man braucht doch nur fernzuse-hen, um zu erleben, wie man Kirchen und Kirchenführer, zu-mal Päpste, hofiert, welchen Raum man ihnen gönnt – undwelche Kommentare! Wie geht es da erst hinter den Kulissenzu …

David Signer: Inwiefern reiht sich der aktuelle Papst inIhre Geschichte ein?

Karlheinz Deschner: Indem er in allem Wesentlichen

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die Politik seiner Vorgänger fortsetzen dürfte, nicht zuletzt ih-re entsetzliche Sexualrepression, deren Opfer es, fürchte ich,noch geben wird, solange Menschen leben werden und ster-ben. Das Vermächtnis seiner Vorgänger ist beschrieben inmeiner fast 1400-seitigen «Politik der Päpste im 20. Jahrhun-dert».

David Signer: Könnte Benedikt XVI. diese unselige Tra-dition durchbrechen, wenn er wollte?

Karlheinz Deschner: Es ist nicht so wichtig, wer an derSpitze der Kurie steht, wie man oft glaubt. Denn bei allerMachtfülle, der papale Handlungsspielraum ist begrenzt. Istabhängig schon von dem ganzen tradierten bürokratisch-hierarchischen Apparat, von politischen, von theologischenStrömungen, von Richtungskämpfen innerhalb der Kurie undausserhalb in der Bischofskirche. Faktisch ist der scheinbareAutokrat an allen Ecken und Enden gebunden, sind Entschei-dungen oft schon entschieden, bevor sie durch ihn spruchreifwerden. Und dabei ist der Papst selten imstande, die Extremezu integrieren, er wird oft nur Vollzugsorgan dieser oder jenerSeite. Kurz, der Vatikan erweist sich für seinen höchstenHerrn als eine Zwangsjacke.

David Signer: Lassen sich die Opfer des Christentumsbeziffern?

Karlheinz Deschner: Zählt man zu seinen direktenOpfern – Heiden, Juden, Muslime, «Ketzer», Hexen, India-ner – die indirekten dazu, etwa die der grossen Kriege desletzten Jahrhunderts, wozu alle christlichen Kirchen eindring-lich und immer wieder aufgerufen haben, sind es mit Sicher-heit mehrere hundert Millionen Menschen; von den Tieren zuschweigen.

David Signer: Moment mal! Sie schieben die Opfer derbeiden Weltkriege der Kirche in die Schuhe? Das kommunis-

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tische Regime der Sowjetunion war atheistisch, und auch dieNazis waren gegen die Kirche. Christen waren mehrheitlichauf der Opferseite oder stellten sich gegen die totalitärenRegimes.

Karlheinz Deschner: Das stimmt ja fast alles. Trotz-dem, das ist doch die Schande, haben die Kirchen, die katho-lische, die protestantische, die orthodoxe, hat der Klerus mitden kriegführenden Regimes kollaboriert, engstens und aufallen Seiten.

David Signer: Was war zum Beispiel die Rolle des Papstesim Ersten Weltkrieg?

Karlheinz Deschner: Pius X., rabiat antislawisch, hatÖsterreich geradezu in den Ersten Weltkrieg getrieben. Undauch Kardinalstaatssekretär Merry del Val hoffte unmittelbarvor Ausbruch des Infernos, die Monarchie werde, wörtlich,«bis zum Äussersten gehen». Dafür gibt es eindeutige Doku-mente. Und Tausende und Abertausende von Brechreiz erre-genden «Feldpredigten» hetzen jetzt bald, röhren förmlichvor Kriegsbrunst, vor Mordrausch. Sie feiern das millionen-hafte Krepieren als «Völkerfrühling», «Pfingststurm», nen-nen das Kugelsausen «Messgesang», die Kanonen «Sprach-rohre der rufenden Gnade», den Schützengraben «Grotte vonGethsemane», das Schlachtfeld «Golgatha», den Augenblickdes Schlachtens «la minute divine». Und die Christen warendabei, aber sie waren Opfer und Täter. Beides!

David Signer: Und im Zweiten Weltkrieg?Karlheinz Deschner: Nun, vorher hatte das Papsttum

erst alle faschistischen Banden, in Italien, Deutschland, Spa-nien, die allerscheusslichsten in Kroatien, von Anfang anunterstützt und mit an die Macht gebracht. Und zu Beginndes Zweiten Weltkriegs drohte Pius XII. den «MillionenKatholiken in den deutschen Heeren»: «Sie haben geschwo-

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ren, sie müssen gehorsam sein.» Er hämmerte ihnen ein, dassder «Führer» das legale Oberhaupt der Deutschen sei undjeder sündige, der ihm den Gehorsam verweigere. DieserPapst brachte, noch mitten im Krieg, nicht nur wärmste Sym-pathie für Deutschland zum Ausdruck, sondern auch, wört-lich, «Bewunderung grosser Eigenschaften des Führers». Ja,er lässt diesem gleich durch zwei Nuntien übermitteln, erwünsche, wiederum im Wortlaut, «dem Führer nichts sehnli-cher als einen Sieg»!

David Signer: Warum? Angst, Anpassung? Oder verfolg-te die Kirche eigene Ziele?

Karlheinz Deschner: Pius XII. – Besitzer eines Privat-vermögens von achtzig Millionen in Gold und Valuten – hoff-te, was das Papsttum im Ersten Weltkrieg mit Habsburg unddem deutschen Kaiser nicht erreicht hatte, nun im ZweitenWeltkrieg – 25 000 Tote täglich, Tagesumsatz zwei Milliar-den Mark – mit Hitler zu erreichen, das alte Grossziel Roms:die Katholisierung des Balkans und die Unterwerfung derrussisch-orthodoxen Kirche.

David Signer: Wie reagierte die russisch-orthodoxe Kir-che?

Karlheinz Deschner: Nun, sie trat sofort an die Seiteder atheistischen Sowjetunion, an die Seite Stalins. Denn esgeht da immer, ob katholisch, evangelisch oder russisch-orthodox, in Wahrheit nur um eines, um die Macht, dieMacht, die Macht. Und so rief man die Bevölkerung zur akti-ven Unterstützung Stalins auf, hielt Bittgottesdienste für denSieg der Roten Armee. Ein Konzil von 46 Bischöfen wünsch-te «unserm vielgeliebten Chef Josef Stalin noch zahlreicheLebensjahre».

David Signer: Macht Religion automatisch blöd? Oderkann sie den Menschen auch «veredeln»?

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Karlheinz Deschner: Ich weiss nicht, vielleicht «ver-edelt» sie sogar manchmal; vor allem solche, die auch vonallein «edler» geworden wären. Doch die guten Christen sindam gefährlichsten, man verwechselt sie mit dem Christentum.Und partiell «blöd» machen absurde Glaubensvorstellungenimmer.

David Signer: Sie sind ein Kämpfer gegen kitschige Lite-ratur, den American Way of Life und Grausamkeit gegenTiere. Speisen sich diese verschiedenen Offensiven aus einergemeinsamen Quelle?

«Ungetrübte Liebe – wie ich sie für mei-nen Hund empfindeund er, so hoffe ich,für mich.»

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Karlheinz Deschner: Ja, ich meine schon: aus einemempfindsamen Sensorium, einem heftigen Abscheu sowohlvor dem Unechten wie dem Unrechten.

David Signer: Apropos Amerika: Schätzen Sie Religionals wichtigen Faktor in Bushs Politik ein?

Karlheinz Deschner: Aber ja! Bei der für Frommes,Frömmlerisches besonders anfälligen Mentalität vieler Ame-rikaner versteht sich das fast von selbst. Was den Präsidentenpersönlich angeht, halte ich ihn durchaus für beschränktgenug, dass er das, was er an «Religiösem» von sich gibt,auch glaubt. Einerseits. Andererseits halte ich ihn für charak-terlos genug, dass er es nicht glaubt. Ohne seine Beschränkt-heit unterschätzen zu wollen, erscheint mir Letzteres sogarwahrscheinlicher.

David Signer: Was würden Sie einem Kind antworten,das angesichts einer Kirche fragt, was das sei?

Karlheinz Deschner: Mit Nietzsche: die Gruft und dasGrabmal «Gottes». Die versteinerte Erinnerung an etwas, dases höchstwahrscheinlich nie gegeben hat.

David Signer: Sie haben Ihr Leben einem immensumfangreichen Werk gewidmet. Würden Sie es wieder somachen?

Karlheinz Deschner: Anders würde ich es, zumindestda und dort, schon machen wollen, besser nämlich, formalbesser! Und am liebsten hätte ich nicht gegen etwas gekämpft– so notwendig die Bekämpfung des Christentums ist –, son-dern für etwas: für die Befreiung der Tiere. Denn was wirihnen seit ungezählten Jahrtausenden angetan haben, Wesen,die so empfinden wie wir, so sich freuen, so leiden wie wir,nur auf die Welt kommen zu lassen, um sie dann schlachtenund essen zu können, ist das grösste Verbrechen der Mensch-heitsgeschichte, unsagbar abscheulich. Ich denke jeden Tag

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daran, oft, doch ich darf nicht zu oft daran denken, ichwürde verrückt werden.

David Signer: Beschäftigt Sie – als jemand, der vermut-lich nicht an das ewige Leben glaubt – die Vergänglichkeitund die Endgültigkeit des Todes?

Karlheinz Deschner: Ja. Diese Fragen beschäftigenmich. Ich bin alt. Es wird dunkel – und Licht ist meine Lieb-lingsfarbe. Doch lieber möchte ich in tausend Zweifeln ster-ben als um den Preis der Lüge in der Euphorie* …

19«Es muss anders werden»

* Dazu eine persönliche Anmerkung Karlheinz Deschners: So lese man auch meinen,oft verkürzt zitierten, Aphorismus nicht gegen den Strich: «Von Zweifel zu Zweifel,ohne zu verzweifeln. Im Grunde bin ich ein aus lauter Zweifeln bestehender gläubi-ger Mensch.» – Denn woran «glaube» ich? «Je älter ich werde, desto mehr glaubeich, dass die kleinste Hilfe oft mehr taugt als der größte Gedanke.» («Ärgernisse»,Rowohlt 1994) – Und: «Ich glaube an den Triumph des Unkrauts über die Chemie.»(Lenos 1985). – Somit glaube ich (wie ausführlich dargelegt in dem fast hundertsei-tigen Aufsatz «Warum ich Agnostiker bin», Kiepenheuer & Witsch 1977, wiederabgedruckt in «Oben ohne», Rowohlt 1997), mit allem, was ist, einbezogen zu seinin den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen.

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Über den Autor

Karl Heinrich Leopold Deschner wurde am 23. Mai 1924 inBamberg geboren. Sein Vater Karl, Förster und Fischzüchter,katholisch, entstammte ärmsten Verhältnissen. Seine MutterMargarete Karoline, geb. Reischböck, protestantisch, wuchsin den Schlössern ihres Vaters in Franken und Niederbayernauf. Sie konvertierte später zum Katholizismus.Karlheinz Deschner, das älteste von drei Kindern, ging zurGrundschule in Trossenfurt (Steigerwald) von 1929 bis 1933,danach in das Franziskanerseminar Dettelbach am Main, woer zunächst extern bei der Familie seines Tauf- und Firmpa-ten, des Geistlichen Rats Leopold Baumann, wohnte, dannim Franziskanerkloster. Von 1934 bis 1942 besuchte er inBamberg das Alte, Neue und Deutsche Gymnasium als Inter-natsschüler bei Karmelitern und Englischen Fräulein. ImMärz 1942 bestand er die Reifeprüfung. Wie seine ganzeKlasse meldete er sich sofort als Kriegsfreiwilliger und war –mehrmals verwundet – bis zur Kapitulation Soldat, zuletztFallschirmjäger.Zunächst fernimmatrikuliert als Student der Forstwissen-schaften an der Universität München, hörte Deschner1946/47 an der Philosophisch-theologischen Hochschule inBamberg juristische, theologische, philosophische und psy-chologische Vorlesungen. Von 1947 bis 1951 studierte er ander Universität Würzburg Neue deutsche Literaturwissen-

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schaft, Philosophie und Geschichte und promovierte 1951mit einer Arbeit über «Lenaus Lyrik als Ausdruck metaphysi-scher Verzweiflung» zum Dr. phil. Einer im selben Jahrgeschlossenen Ehe mit Elfi Tuch entstammen drei Kinder,Katja (1951), Bärbel (1958) und Thomas (1959 bis 1984).Von 1924 bis 1964 lebte Deschner auf einem früheren Jagd-sitz der Würzburger Fürstbischöfe in Tretzendorf (Steiger-wald), dann zwei Jahre im Landhaus eines Freundes in Fisch-brunn (Hersbrucker Schweiz). Seitdem wohnt er in Haßfurtam Main.Karlheinz Deschner hat Romane, Literaturkritik, Essays,Aphorismen, vor allem aber religions- und kirchenkritischeGeschichtswerke veröffentlicht. Auf über zweitausend Vor-tragsveranstaltungen hat Deschner im Laufe der Jahre seinPublikum fasziniert und provoziert.1971 stand er in Nürnberg «wegen Kirchenbeschimpfung»vor Gericht.Seit 1970 arbeitet Deschner an seiner großangelegten «Krimi-nalgeschichte des Christentums». Da es für so unruhige undbeunruhigende Geister wie ihn keine Posten, Beamtenstellen,Forschungsstipendien, Ehrensolde, Stiftungsgelder gibt, warihm die ungeheure Forschungsarbeit und Darstellungsleis-tung nur möglich dank der selbstlosen Hilfe einiger Freundeund Leser, vor allem dank der Förderung durch seinengroßherzigen Freund und Mäzen Alfred Schwarz, der dasErscheinen des ersten Bandes im September 1986 noch mitge-feiert, den zweiten Band aber nicht mehr miterlebt hat, seit-her des deutschen Unternehmers Herbert Steffen.Im Sommersemester 1987 nahm Deschner an der UniversitätMünster einen Lehrauftrag wahr zum Thema «Kriminalge-schichte des Christentums».Für sein aufklärerisches Engagement und für sein literari-

21Über den Autor

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22 Über den Autor

sches Werk wurde Karlheinz Deschner 1988 – nach Koeppen,Wollschläger, Rühmkorf – mit dem Arno-Schmidt-Preis aus-gezeichnet, im Juni 1993 – nach Walter Jens, Dieter Hilde-brandt, Gerhard Zwerenz, Robert Jungk – mit dem Alter-nativen Büchnerpreis und im Juli 1993 – nach Sacharow undDubcek – als erster Deutscher mit dem International Hu-manist Award. Im September 2001 erhielt Deschner denErwin-Fischer-Preis des Internationalen Bundes der Konfes-sionslosen und Atheisten, im November 2001 den Ludwig-Feuerbach-Preis des Bundes für Geistesfreiheit, Augsburg,2004 den Wolfram-von-Eschenbach-Preis des Bezirks Mittel-franken, 2006 den Premio letterario Giordano Bruno, Mi-

«Mein Jenseits? Die Landschaft; vom Baum vor mir bis zumHimmel darüber.»

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lano. Im selben Jahr wurde Deschner als auswärtiges Mit-glied in die Serbische Akademie der Wissenschaften und Kün-ste gewählt, 2007 der zu seinem 80. Geburtstag durch dieGiordano Bruno Stiftung ins Leben gerufene «Deschner-Preis» erstmals in einem Festakt in der Aula der UniversitätFrankfurt am Main dem britischen Evolutionstheoretikerund Religionskritiker Richard Dawkins verliehen.Um die «Kriminalgeschichte des Christenums» geht es – pround contra – in dem 70minütigen Videofilm von RicardaHinz und Jacques Tilly mit dem Titel «Die haßerfülltenAugen des Herrn Deschner». Zu beziehen über: Humanisti-scher Verband Deutschlands, Wallstraße 61–65, 10179 Berlin.

Ein dokumentarisches Porträt des Religions- und Kirchenkri-tikers Deschner von Peter Kleinert und Marianne Tralau istals DVD mit dem Titel «Im Grunde bin ich ein aus lauterZweifeln bestehender gläubiger Mensch» lieferbar. Zu bezie-hen über Alibri-denkladen, Postfach 10 0361, 63703 Aschaf-fenburg, Tel.: +049 (0)60 21 – 5817 34 oder 01520 – 9 865998; Fax +049 (0)60 21 – 5 8145 60; E-Mail: [email protected]

23Über den Autor

• Begegnen Sie dem Autor und seinem Werk im Internet: www.deschner.info

Bücher über Deschner: Bärbel und Katja Deschner (Hg.): «Sie Oberteufel!» Briefe an Karlheinz Deschner. Mit einem Nachwort von Hermann Gieselbusch. Hamburg: Rasch und Röhring Verlag 1992. 660 Seiten, gebunden.Hans Reinhard Seeliger (Hg.): Kriminalisierung des Christentums? KarlheinzDeschners Kriminalgeschichte des Christentums auf dem Prüfstand. Freiburg imBreisgau: Verlag Herder 1993. 320 Seiten, kartoniert.Hermann Gieselbusch und Michael Schmidt-Salomon (Hg.): «Aufklärung ist Ärger-nis …» Karlheinz Deschner – Leben, Werk, Wirkung. Aschaffenburg: Alibri Verlag2006. 350 Seiten, kartoniert.

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Die Bücher Karlheinz Deschnersin zeitlicher Reihenfolge

Von Karlheinz Deschner herausgegebene Sammelwerke mit eigenen undBeiträgen anderer Autoren sind gekennzeichnet durch Kursivschrift.

1956 Die Nacht steht um mein Haus. Roman1957 Was halten Sie vom Christentum? 18 Antworten auf eine

Umfrage1957 Kitsch, Konvention und Kunst. Eine literarische Streit-

schrift1958 Florenz ohne Sonne. Roman1962 Abermals krähte der Hahn. Eine kritische Kirchenge-

schichte von den Anfängen bis zu Pius XII.1964 Talente, Dichter, Dilettanten. Überschätzte und unter-

schätzte Werke in der deutschen Literatur der Gegenwart1965 Mit Gott und den Faschisten. Der Vatikan im Bunde mit

Mussolini, Franco, Hitler und Pavelic1966 Jesusbilder in theologischer Sicht1966 Das Jahrhundert der Barbarei1968 Wer lehrt an deutschen Universitäten?1968 Kirche und Faschismus1969 Das Christentum im Urteil seiner Gegner, Band 11970 Warum ich aus der Kirche ausgetreten bin1970 Kirche und Krieg. Der christliche Weg zum Ewigen Leben1971 Der manipulierte Glaube. Eine Kritik der christlichen

Dogmen1971 Das Christentum im Urteil seiner Gegner, Band 21974 Das Kreuz mit der Kirche. Eine Sexualgeschichte des

Christentums

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1974 Kirche des Un-Heils. Argumente um Konsequenzen zu ziehen

1977 Warum ich Christ/Atheist/Agnostiker bin1981 Ein Papst reist zum Tatort. Flugschrift1982 Ein Jahrhundert Heilsgeschichte. Die Politik der Päpste im

Zeitalter der Welt?kriege, Band 11983 Ein Jahrhundert Heilsgeschichte. Die Politik der Päpste im

Zeitalter der Weltkriege, Band 21985 Nur Lebendiges schwimmt gegen den Strom. Aphorismen1986 Die beleidigte Kirche oder Wer stört den öffentlichen Frie-

den? Gutachten im Bochumer § 166-Prozeß1986 Kriminalgeschichte des Christentums, Band 1: Die Früh-

zeit – Von den Ursprüngen im Alten Testament bis zumTod des hl. Augustinus (430)

25Die Bücher Karlheinz Deschners

«Meine Skepsis bewahrt mich davor, Fanatiker zu werden – wovor noch kein Glaube geschützt hat.»

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1987 Opus Diaboli. Fünfzehn unversöhnliche Essays über dieArbeit im Weinberg des Herrn

1988 Kriminalgeschichte des Christentums, Band 2: Die Spät-antike – Von den katholischen «Kinderkaisern» bis zurAusrottung der arianischen Wandalen und Ostgoten unterJustinian I.

1989 Dornröschenträume und Stallgeruch. Über Franken, dieLandschaft meines Lebens

1990 Woran ich glaube1990 Kriminalgeschichte des Christentums, Band 3: Die Alte

Kirche – Fälschung, Verdummung, Ausbeutung, Vernich-tung

1991 Die Politik der Päpste im 20. Jahrhundert1991 Der Anti-Katechismus. 200 Gründe gegen die Kirchen

und für die Welt (mit Horst Herrmann)1992 Der Moloch. Zur Amerikanisierung der Welt1994 Die Vertreter Gottes. Eine Geschichte der Päpste im

20. Jahrhundert1994 Ärgernisse. Aphorismen1994 Kriminalgeschichte des Christentums, Band 4: Frühmittel-

alter – Von König Chlodwig I. (um 500) bis zum TodeKarls «des Großen» (814)

1994 Was ich denke1995 Weltkrieg der Religionen. Der ewige Kreuzzug auf dem

Balkan (mit Milan Petrovic)1997 Kriminalgeschichte des Christentums, Band 5: 9. und

10. Jahrhundert – Von Ludwig dem Frommen (814) biszum Tode Ottos III. (1002)

1997 Oben ohne. Für einen götterlosen Himmel und eine pries-terfreie Welt. Zweiundzwanzig Attacken, Repliken undandere starke Stücke

1998 Die Rhön. Heidnisches und Heiliges einer einsamen Land-schaft

1998 Für einen Bissen Fleisch. Das schwärzeste aller Ver-brechen

1999 Kriminalgeschichte des Christentums, Band 6: 11. und

26 Die Bücher Karlheinz Deschners

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12. Jahrhundert – Von Kaiser Heinrich II., dem «Heili-gen» (1002) bis zum Ende des Dritten Kreuzzugs (1192)

1999 Zwischen Kniefall und Verdammung. Robert Mächler –Ein gläubiger Antichrist

1999 Memento! Kleiner Denkzettel zum «Großen Bußakt» desPapstes im Heiligen Jahr 2000

2002 Kriminalgeschichte des Christentums, Band 7: Das 13.und 14. Jahrhundert – Von Kaiser Heinrich VI. (1190) zuKaiser Ludwig IV. dem Bayern (†1347)

2003 Mörder machen Geschichte. Aphorismen2003 Musik des Vergessens. Über Landschaft, Leben und Tod

im Hauptwerk Hans Henny Jahnns2004 Kriminalgeschichte des Christentums, Band 8: Das 15.

und 16. Jahrhundert – Vom Exil der Päpste in Avignon biszum Augsburger Religionsfrieden

2007 Poeten und Schaumschläger. Von Jean Paul bis Enzensber-ger. 24 Aufsätze zur Literatur und Literaturkritik. Miteinem Vorwort von Ludger Lütkehaus

2008 Kriminalgeschichte des Christentums, Band 9: Mitte des16. bis Anfang des 18. Jahrhunderts – Vom Völkermord inder Neuen Welt bis zum Beginn der Aufklärung

27Die Bücher Karlheinz Deschners

• Bücher Karlheinz Deschners wurden und werden übersetzt ins Arabische, Englische, Französische, Griechische, Italienische, Niederländische, Norwegische,Polnische, Serbokroatische, Spanische.

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28 Anzeige

Hermann Gieselbusch / Michael Schmidt-Salomon (Hrsg.)«Aufklärung ist Ärgernis…»

Karlheinz DeschnerLeben, Werk, Wirkung350 Seiten, Fotos, kartoniert, Euro 18.- / ISBN 3-86569-003-3

Im Mai 2004 feierte der «bedeutendste Kirchenkritiker des 20. Jahrhunderts» (Wolfgang Stegmüller) seinen 80. Geburtstag. Doch obwohl Deschners Schaffen alsHistoriker und Literat stets große öffentliche Aufmerksamkeit erreichte, gab es bis-lang keine Monographie, die Leben, Werk und Wirkung des unermüdlichen Autorsdarstellte. Der Sammelband, zu dem zahlreiche prominente Autorinnen und Autoren bei-gesteuert haben, hat den Anspruch, diese Lücke zu schließen und die verschiedenenAspekte von Deschners publizistischem Wirken zu beschreiben und zu bewerten:seine Kirchenkritik, seine literarischen Werke und Aphorismen, seine literaturkriti-schen Arbeiten, sein Engagement für Tierschutz und seine politisch-moralischenAuffassungen.Eine Zeittafel und eine Bibliographie machen das Buch zudem zu einem unentbehr-lichen Hilfsmittel für alle, die sich wissenschaftlich mit Karlheinz Deschner ausein-andersetzen.

Michael Schmidt-SalomonAuf dem Weg zur Einheit des Wissens

Die Evolution der Evolutionstheorie und die Gefahren von Biologismus und KulturismusSchriftenreihe der Giordano Bruno Stiftung, Bd. 146 Seiten, geheftet, Euro 5.- / ISBN 3-86569-200-1

Vom Virus des GlaubensDeschner-Preis 2007Redebeiträge von Richard Dawkins, Karlheinz Deschner, Michael Schmidt-Salomon und Franz M. WuketitsSchriftenreihe der Giordano Bruno Stiftung, Bd. 242 Seiten, Fotos, geheftet, Euro 5.- / ISBN 3-86569-201-6

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29Anzeige

«Aufklärung ist Ärgernis; wer die Welterhellt, macht ihrenDreck deutlicher.»

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Kriminalgeschichte des Christentums

Übersicht über Band 1 bis 9

Band 1: Die FrühzeitVon den Ursprüngen im Alten Testament bis zum Tod des hl. Augustinus (430)Einleitung zum Gesamtwerk: Über den Themenkreis, die Methode, das Objektivitätsproblem und die Problematik aller Geschichtsschreibung

1986 erschienen, 544 Seiten, gebunden, W 24,- (D) und rororo 19969/ W 12,90 (D)

Band 2: Die SpätantikeVon den katholischen «Kinderkaisern» bis zur Ausrottung der arianischen Wandalen und Ostgoten unter Justinian I.

1988 erschienen, 688 Seiten, gebunden, W 24,– (D)und rororo 60142/ W 12,95 (D)

Band 3: Die Alte KircheFälschung, Verdummung, Ausbeutung, Vernichtung

1990 erschienen, 720 Seiten, gebunden, W 24,– (D)und rororo 60244/ W 12,90 (D)

Band 4: FrühmittelalterVon König Chlodwig I. (um 500) bis zum Tode Karls «des Großen» (814)

1994 erschienen, 624 Seiten, gebunden, W 24,– (D)und rororo 60344/ W 11,50 (D)

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Band 5: 9. und 10. JahrhundertVon Ludwig dem Frommen (814) bis zum Tode Ottos II I. (1002)

1997 erschienen, 704 Seiten, gebunden, W 27,– (D)und rororo 60556/ W 12,50 (D)

Band 6: 11. und 12. JahrhundertVon Kaiser Heinrich II., dem «Heiligen» (1002), bis zum Ende des Dritten Kreuzzugs (1192)

1999 erschienen, 656 Seiten, gebunden, W 27,– (D)und rororo 61131/ W 12,90 (D)

Band 7: 13. und 14. JahrhundertVon Kaiser Heinrich VI. (1190) zu Kaiser Ludwig IV. dem Bayern (1347)

2002 erschienen, 576 Seiten, gebunden, W 29,90 (D)und rororo 61511/ W 12,90 (D)

Band 8: 15. und 16. JahrhundertVom Exil der Päpste in Avignon bis zum Augsburger Religionsfrieden

2004 erschienen, 528 Seiten, gebunden, W 29,90 (D)und rororo 61670/ W 12,90 (D)

Band 9: Mitte des 16. bis Anfang des 18. JahrhundertsVom Völkermord in der Neuen Welt bis zum Beginn der Aufklärung

2008 erschienen, 460 Seiten, gebunden, W 29,90 (D)

31Kriminalgeschichte des Christentums

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Deschners Essays

1997 erschienen,384 Seiten, gebundenW 19,90 (D)

Aus dem Inhalt :Warum ich Agnostiker bin · Gerichtsgutachten: Die beleidigte Kirche oder Wer stört den öffentlichen Frieden? · Ich brauche keinGottesbild · Über Kaiser Julian, genannt «der Abtrünnige» · Die Konfession der Zukunft : die Konfessionslosigkeit · Die Frommen und die Freudenmädchen · Was wir von Jesus wirklich wissen undwas dann kam · Antwort auf die Frage: Sind wir Deutsche nochChristen?

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«Es ist das Beste und Umfassendste, was bisher über dieses Thema geschrieben wurde. Mich beeindruckt nicht nur der groß-artige Stil, sondern auch die Akribie der Dokumentation. Dadurchwird das Buch solide und glaubwürdig.Niemand kann von ‹unbewiesenen Behauptungen› sprechen. KeinHistoriker, Publizist oder wer immer über dieses Thema schreibenwill, wird künftig an diesem Werk vorbeigehen können. Es bleibt das Standardwerk!»Prof . Dr . Huber t Mohr ,Mediäv is t und Ki rchenhis tor iker

1991 erschienen, 1392 Seiten, gebunden W 37,50 (D)

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Inhaltsverzeichnis des 9. Bandes

1. Kapitel: Amerikanischer Holocaust oder «Missions-frühling zu Beginn der Neuzeit»

2. Kapitel: Die Reformation erfaßt die Schweiz. Zwingli und Calvin

3. Kapitel: Die Gegenreformation beginnt. Das Konzil von Trient. «Sacrosancta Tridentina synodus» (1545–1563)

4. Kapitel: Ignatius von Loyola (1491–1556). Ein tränen-reicher Visionär macht Weltpolitik

5. Kapitel: Der Konfessionalismus beginnt

6. Kapitel: Weltweite Jesuitenagitation

7. Kapitel: Wittelsbacher und Habsburger als Träger der Gegenreformation und der Kölner Krieg

8. Kapitel: Staatsterror im Westen. Die Niederlande, Frankreich,England und Schottland im späteren 16. Jahrhundert

9. Kapitel: Die Schlammschlacht vor dem großen Krieg. Vom publizistischen Schlachtfeld zum militärischen

10. Kapitel: Der Dreißigjährige Krieg beginnt

11. Kapitel: Worum kämpfte man im Dreißigjährigen Krieg?

12. Kapitel: Pax Christiana oder «Christliche Lebensführung»nach dem Jahrhundertkrieg

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Leseprobe aus Band 9

«Das Geistliche Tagebuch» oder war Ignatius von Loyola verrückt?

Aufgezeichnet zwischen dem 2. Februar 1544 und dem 27.Februar 1545, geht es dabei u. a. um eine Art «Autorisation»der Satzungen der Gesellschaft Jesu, zunächst vor allem umdie Besitz-, die Einkommensfrage. Ignatius, seit 1541 ersterOrdensgeneral, hatte die Statuten verfaßt und wirbt nunhartnäckig um Zustimmung der göttlichen Majestät höchst-selbst …

Unverkennbar, gewiß: es geht im «Geistlichen Tagebuch»schon bald viel weniger um das zunächst dominierende«Sachthema», die Armutsfrage, um einen Voll-, Teil- oderNichtbesitz der Gesellschaft Jesu, als natürlich um Ignatius;um die Demonstration seiner Tröstungen, Schauungen, Erhe-bungen, das schier endlose Notieren seiner «Kontakte» mitder Himmelscrew, wobei Ignatius glaubt, je bewegter, exzen-trischer sein Seelenleben, je reicher seine Tränenströme und jehäufiger, desto sicherer Gottes Einverständnis. Ja, so glaubter beinah bis zuletzt, bis er, Ironie der Geschichte, meint, daßes ganz anders, daß er von einer völlig falschen Vorstellungausgegangen ist.

Das Erstaunlichste jedoch: wie frappierend kühl dieser ex-orbitante Seelenaufruhr in der Regel registriert, behauptetwird, was insbesondere das Tränentabellarium zeigt. Alleindas Wort «Tränen» erscheint im «Geistlichen Tagebuch»

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hunderte und aberhunderte von Malen, Sinnentsprechendeswie «Weinen», «Schluchzen», «Wasser in den Augen» nochgar nicht berücksichtigt.

Der Zeitraum des Tagebuchs umfaßt 390 Tage. Nichtgeweint hat sein Schreiber an 45 Tagen, geweint an 319Tagen; davon im Oktober, November und Februar 1545 anjedem Tag. (An 26 Tagen macht er keine Angaben zur Sache.)

Nun heißt das, wenn Ignatius weint, nicht, er habe mal einpaar Krokodilstränen zerdrückt; gewöhnlich strömt es da wieaus unerschöpflichen Quellen, kommt es zu «vielen Tränen»,«innigen Tränen», zu «heftigem Tränenvergießen», zu «einergroßen Fülle von Tränen», einer «noch viel grösseren Füllevon Tränen», zu «vielen andauernden Tränen», «fast unun-terbrochenen Tränen», «Tränen im Übermaß», rinnen «vonneuem so viel Tränen und in einer so großen Fülle und mit soviel Schluchzen und geistlichen Wonnen, daß ich, auch nach-dem ich es schon dem Vater vor unserer Herrin, den Engelnusw. dargebracht hatte, immer noch weiter die gleichen Trä-nen usw. hatte.»

Zeitweise weint Ignatius sechs- bis siebenmal am Tag.Schon der bloße Klang von Jesu Namen reißt ihn zu wasser-reicher Rührung hin. Ebenso die Vorstellung, er wäre jüdi-scher Abkunft und dem Herrn stammverwandt! Das Brevierkann er manchmal vor Tränenblindheit kaum beten. Undselbst als er 1550 zu sterben glaubt, zerfließt er in Tränen –vor lauter Glück. Hatte er ja, behauptet er, «eine so großeFröhlichkeit und eine so große geistliche Tröstung darüber,sterben zu müssen …» Doch als es im Sommer 1556 wirklichernst wird, hört sein Pfleger nach unruhigen Stunden gegenMitternacht aus dem Zimmer des Sterbenden immer nur dieWorte «Ay, Dios» (Oh, Gott), was doch nicht so glücklichklingt.

36 Leseprobe aus Band 9

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Mit wahrer Passion weint Ignatius bei der Messe, die ihmohne mindestens dreimaliges Weinen trocken, geradezuandachtslos erscheint, für die er daher auch besonders langebraucht, während er die Messe aller andren durch eine amAltar aufgestellte Sanduhr kontrolliert.

Ihn selbst begünstigt der Himmel beim Zelebrieren nichtselten so, daß man den Erschöpften vom Altar auf sein Zim-mer tragen muß; daß er sehr oft die Sprache, manchmal auchdas Bewußtsein verliert (schon am 9. Februar 1544 gleichzweimal hintereinander); daß er gelegentlich vor Schwächekaum aufstehn, vor Tränenfluten nicht mehr sehen kann –«Tränen und Augenschmerzen wegen so vieler», heißt esbereits im vierten Tagebucheintrag; und am 4. März sagt ersich «wegen des sehr (spürbaren) beträchtlichen Schmerzes… wegen des Weinens in dem einen Auge … wie es doch bes-ser wäre, die Augen zu erhalten».

Andererseits freilich kräftigen ihn all die «innern Anmu-tungen», die «Tröstungen» derart, daß «sein Haupt vonhimmlischem Glanze verklärt» war, ja die Hausgenossensahen ihn «bisweilen … wenn er die Messe las, vor dem Alta-re schweben» (Erb). «Ergreifenden Aufschluß über diese weihevollen Stunden gibt uns das Tagebuch des Heiligen»(Huonder SJ).

In der «spirituellen» Tradition ist die «Tränengabe» wohl-bekannt, zuweilen sogar nach diversen Modi, nach Tränen-Arten systematisiert. Schließlich weint schon Jesus (Lk. 19,41; Jh. 11, 34 f.). Und auch Paulus fordert, zu weinen mit denWeinenden (Röm. 12, 15). Doch Ignatius stellt alles Diesbe-zügliche im frühen Mönchtum, im frommen Mittelalter, inder Mystik in den Schatten. Allein zwischen dem 2. Februarund dem 12. März 1544 verzeichnet er 158 mal Tränen oderWeinen. Nach zwei Monaten allerdings scheinen zumindest

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Loyolas diaristische Kräfte verzehrt, notiert er beinah nurnoch eine halbe Zeile oder weniger pro Tag, beispielsweisevom 1. bis 30. September:1. «Vor der Messe mit vielen Tränen, und in ihr ohne sie.»2. «Vor der Messe mit vielen Tränen, in ihr mit einigen.»3. «In der Messe viele Tränen, und danach mit ihnen.»4. «Vor der Messe und nach ihr und in ihr mit großer Fülle

von Tränen.»5. «Ohne sie».6. «Vor der Messe und in ihr mit vielen Tränen.»7. «Ohne sie.»8. «Vor der Messe und in ihr mit vielen Tränen.»9. «Mit einigen Tränen.»

10. «Vor der Messe, in ihr und nach ihr viele Tränen.»11. «Vor der Messe, in ihr und nach ihr viele Tränen.»12. «Dasselbe.»13. «Vor und in ihr mit vielen Tränen.»14. «Dasselbe.»15. «Dasselbe.»16. «Dasselbe.»17. «In der Messe und nach ihr mit vielen Tränen.»18. «Vor und in ihr viele Tränen.»19. «Vor, in ihr und nach ihr viele Tränen.»20. «Vor und in ihr viele Tränen.»21. «Vor der Messe viele.»22. «Vor der Messe große Fülle davon.»23. «Vor der Messe große Fülle davon, und in ihr mehrmalsmit ihnen.»24. «Nach der Messe spät Tränen.»25. «Vor der Messe große Fülle davon.»26. «Vor der Messe und in ihr viele Tränen, und nach ihr mitihnen.»

38 Leseprobe aus Band 9

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27. «Vor und in ihr mit vielen.»28. «Vor und in ihr mit vielen.»29. «Vorher mit vielen, und in ihr mit ihnen.»30. «Vor und in ihr mit vielen.

Nun läßt die gratia lacrimarum, dies degoutante Dauer-flennen uns heute wohl weniger an «Gunst», an «Gnade»,«Gottgewirktheit» als an den Psychiater denken. Schließlichhatte schon der Arzt des Heiligen ein Verbot zu weinen aus-gesprochen – übrigens mit Erfolg! Der Verfasser der Autobio-graphie «Bericht des Pilgers», Luis Consalves da Câmara,überliefert sogar, grotesk genug, Ignatius habe «jetzt vielmehr Tröstung» erfahren, «ohne zu weinen, als er vorherhatte.» Konnte er aber aufhören damit, sobald er wollte,konnte er nicht auch nach Belieben beginnen?

Zu den Tränenströmen kamen die Visionen, Visionen fastwie Fliegenschwärme, trinitarische Visionen, Eucharistie-,Schöpfungs-Visionen, «alle Arten von Visionen», bescheinigtDiego Laynez, einer der ersten Genossen des Ignatius, aucheiner seiner besonderen Vertrauten und später selber General;ja, im 20. Jahrhundert behauptet Jesuit Kempf, mit Imprima-tur, daß Ignatius «fast täglich Erscheinungen des Heilandesund seiner heiligen Mutter gewürdigt wurde.»

Erscheinungen, Visionen, Schauungen, Gesichte sind einweltweit verbreitetes, in unterschiedlichsten Kulten und Kul-turen seit Jahrtausenden bekanntes (reflexiv psychogenes,psychosomatisches) Phänomen, dessen so verschiedenartiggeprägte wie motivierte Spielarten von blankem Betrug oderbloß Halluzinativem bis zum induzierten Irresein reichen.

Ignatius selbst spricht von «Vision», von «Schau»,«Schauung», «Heimsuchung», ihm «offenbart», ihm «zeigt»sich, «stellt» sich etwas «dar», ihm steht «vor Augen», vorden «äußeren», den «inneren», es bleibt oft offen. Immer

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wieder auch kann er – versteht sich «außerhalb der natür-lichen Kräfte» – etwas «sehen» und «verspüren». Nur unsselber offenbart er gewöhnlich nichts …

Schade. Gerade derlei hätten wir ganz gern erläutert be-kommen. (…)

Was so bestehen bleibt, ist die stets von neuem behaupteteVielzahl ihm generös von Gott gewährter Einsichten undErkenntnisse samt seiner Unfähigkeit oder seinem Unwillen,sie darlegen zu können beziehungsweise zu wollen. Offenbargeht es ihm vor allem um das möglichst tränenselig dezenteAuftrumpfen mit der Fülle seiner Jenseits-Kontakte, zumalseiner visuellen Kommunikationen.

Im autobiographischen «Bericht des Pilgers» renommierter geradezu mit «der Leichtigkeit, Gott zu finden» und versi-chert, «jedesmal und zu jeder Stunde, daß er Gott findenwolle, finde er ihn. Und daß er auch jetzt viele Male Visionenhabe … Und dies geschehe ihm oft, wenn er dabei sei, überDinge von Wichtigkeit zu sprechen; und dies lasse ihn zurBestätigung kommen.»

Ignatius hatte, wieder nach eigener Bezeugung, «vieleVisionen», während er die Messe las. Und hatte «sie auchsehr oft», als er «die Satzungen verfaßte». Im «Bericht desPilgers» lesen wir: «Das meiste waren Visionen, die er zurBestätigung der Satzungen sah; und zuweilen sah er GottVater, zuweilen die drei Personen der Dreifaltigkeit, zuweilendie Muttergottes, die Fürsprache einlegte …»

Der General hat zwar gelegentlich «viel Zutritt zumVater», der sich ihm dann auch «am meisten offenbarte».Weitaus häufiger aber begegnet er Jesus, dem Gebieter seinerCompañía de Jesús …

Auch in seinen «Exerzitien» hält der Heilige jeden Exerzi-tanten an: «Riechen und schmecken mit dem Geruch und

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dem Geschmack den unendlichen Duft und die unendlicheSüßigkeit der Gottheit …»

Nun haben bekanntlich die christlichen Theologen einprobates Rezept, diese Süßigkeit zu steigern, Süßes süßernoch zu machen. Rieten ja bereits antike Kirchenväter, Ter-tullian, Cyprian, Laktanz, um nicht weiter zurückzugehen,die himmlische Lust noch lustvoller, die ewige Seligkeit nochseliger zu schmecken – durch den Blick auf das Elend der Ver-dammten in der Hölle: welch edel christliche, christ-katholi-sche Wollust doch! Wie denn, auf der Höhe des Mittelalters,auch Thomas von Aquin generös animiert: «Damit den Heili-gen die Seligkeit besser gefalle (magis complaceat) und sieGott noch mehr dafür danken, dürfen sie die Strafen derGottlosen vollkommen (perfecte) schauen».

Die systematische Anleitung zum intensiveren Genuß die-ses spezifisch geistlichen Blickes und Glücks gibt nun aberder, der, nach dem Jesuiten Tondi, menschliche Größe mitden «Handlungen eines Geistesgestörten» verbindet, dernach dem Ex-Jesuiten Hoensbroech wie kein anderer «After-mystiker und pathologischer Hysteriker war»: Ignatius vonLoyola.

In seinen «Exerzitien» besteht die Fünfte Übung in einereingehenden Grübelei über die Hölle (und noch heute mußjeder Jesuit zweimal im Leben vierzig Tage und jedes Jahracht Tage an diesen Übungen teilnehmen)…

Zum Beispiel gleich nach dem Zubettgehen, «wenn ichbereits einschlafen will, für die Dauer eines Ave Maria an dieStunde denken, in der ich aufstehen muß und wozu …» Unddann, beim Aufwachen: «Ohne den einen oder anderenGedanken Raum zu geben, gleich auf das achten, was ich inder ersten Übung um Mitternacht zu betrachten michanschicke, indem ich mich in Verwirrung über meine so vie-

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len Sünden bringe.» Dabei ist natürlich «jegliche Erwägungvon Freude und Fröhlichkeit hinderlich.» Also: «Nicht anDinge von Gefallen und Fröhlichkeit denken wollen, wie vonHerrlichkeit, Auferstehung usw.» «Nicht lachen noch etwassagen, was zum Lachen bewegt.» Und selbstverständlich:«Das Fleisch züchtigen, nämlich indem man ihm spürbarenSchmerz zufügt, was man tut, indem man Bußhemden oderStricke oder Eisenstäbe über dem Fleisch trägt, indem mansich geißelt oder verwundet, und andere Arten von Strenghei-ten.»

Dies alles im Kampf gegen die Sünde, gegen Satan, derselbstredend auch Ignatius versucht. So zeigt sich ihm häufigam hellichten Tag ein sehr schönes Ding, das ihn überausvergnügt, ihm große Tröstung bringt, ein glänzendes Etwas in«Gestalt einer Schlange», wie mit vielen Augen strahlend,aufdringlich, stunden-, tagelang. «Und je häufiger er es sah,um so mehr wuchs die Tröstung; und wenn ihm jenes Dingentschwand, mißfiel ihm dies.» Er hatte die Schlangenvision,«deren Geheimnis», so Juan Alonso de Polanco, seit 1547Sekretär der Gesellschaft, Ignatius nicht erklärt, in Manresa,Paris, in Rom, registriert solch teuflisches Dazwischenfun-keln aber selten.

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Der Deschner-PreisIm Mai 2004 gab die von Herbert Steffen gegründete Giordano Bruno Stif-tung bekannt, mit dem Namen und im Geiste Karlheinz Deschners werdesie künftig den «Deschner-Preis» verleihen. Zum ersten Mal wurde dieserPreis an Richard Dawkins verliehen. In der Preisbegründung heißt es, mitseinen wegweisenden, evolutionstheoretischen Werken, vor allem auch mitseinem religionskritischen Buch «Der Gotteswahn», habe Dawkins in her-ausragender Weise zur Stärkung des säkularen, wissenschaftlichen undhumanistischen Denkens beigetragen.Der Festakt fand am 12. Oktober 2007 in der für das zusammengeströmtePublikum viel zu kleinen Aula der Johann Wolfgang Goethe-Universität inFrankfurt a. M. statt. Als erster Redner trug Karlheinz Deschner seineGedanken über den Preis seines Namens vor. Die Veranstaltung endete mitder auf Englisch gehaltenen Dankesrede des Preisträgers Richard Dawkins.

Karlheinz Deschner«Ich liebe radikales Denken, das vernünftig ist»

Gedanken über Sinn, Zweck und geeignete Kandidaten desDeschner-Preises

Sehr geehrter Professor Dawkins, sehr geehrte Damen und Herren!Stammt der Mensch vom Affen ab? Ja, aber, lehren manche,vom Affen aus der Arche Noah! Besonders Theologen lehrendies – einzige Experten freilich ohne Ahnung von ihrem For-schungsobjekt, dem ens entium doch, ens realissimum, ensperfectissimum, ens a se et cetera pp., tausend Namen gibt’sdafür, nur nicht es selbst, sagt der Preisträger und zählt sichin einem 7-Punkte-Spektrum der Wahrscheinlichkeiten vonGottes Existenz zur 6. Kategorie: «De facto atheistisch», mit

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(ich zitiere wieder) «starker Neigung» zur 7. Kategorie:«Stark atheistisch». Der Namenspatron des Preises dagegenist Agnostiker und als solcher einer derer, die dem Träger desPreises, gelegentlich selbst auch als Agnostiker auftretend,nicht ganz geheuer sind.

Nun bin ich, essentiell wohl oder übel das Resultat lebens-langer Geschichtsbetrachtung, in Argwohn eingeschweißtwie in eine zweite Haut, ist Skepsis für mich Anfang undEnde der Philosophie. Und eben deshalb stimme ich RichardDawkins zu, wenn er unter Agnostikern allerlei Wischi-waschigelichter nicht nur vermutet; viele klammheimlicheDreifaltigkeitsanbeter, nicht wenige auch jener, die aus demArche-Noah-Affen, einem der Mythologie entsprungenenTier – transsubstantiationsversiert, wie die Metamorphose-meister nun einmal sind – einen Affen aus Fleisch und Blutmachen möchten. Doch Gesindel, quallenweich und rück-gratlos, regt sich in jeder Ideologie. Und der echte Agnostikergleicht dem falschen so wenig wie der lebendige Affe demBibelprodukt.

Wir haben also – welche Toleranzbreite! – einen Approxi-mativ-Atheisten, der den Preis, freundlicherweise, empfängt;einen Agnostiker, dessen Namen er trägt; ja, und eine preis-vergebende eher atheistische Stiftung, die sich nach einemPantheisten benennt. Aber, meine Damen und Herren, dieberühmtesten Leute sind Pantheisten, Goethe, Spinoza, nichtminder berühmte sind Agnostiker, David Hume, (mit Ein-schränkung) Kant; Agnostiker auch Comte, Spencer, Darwin,Russell, Camus, die meisten Neukantianer und Positivisten.Ein faszinierender Atheist aus dem Land wieder unseres cele-bren Gastes ist Shelley, fulminanter Empörer gegen jedwedeKnechtung des Menschen. Neunzehnjährig schleudert er denEssay «The necessity of atheism» heraus, wird prompt von

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Oxford relegiert, von derselben Universität, an der heuteRichard Dawkins lehrt. Signalisiert es die Entwicklung? Odernaht, was noch Konvertit Chesterton, katholischer Antago-nist George Bernard Shaws, sich gut vorstellen konnte, einneues Zeitalter der Inquisition mit dem ganzen Apparat vonFolter und Scheiterhaufen?

Gehalten, sehr generell, ein paar «Gedanken zum Desch-ner-Preis» zu äußern, erfülle ich, mit Ihrer Einwilligung, denWunsch, indem ich, künftige Kandidaten im Blick – vielleichtetwas märchenhaft –, meinerseits drei Wünsche nenne.

Zunächst sollte selbstverständlich sein, dass man als Trä-ger dieses Preises Agnostiker nicht eliminiert. Agnostiker ste-hen Atheisten in vielem nah, auch ich bin Atheisten (falls sienicht, gar nicht so selten, Pfaffen auf ihre Weise sind) eng ver-bunden; dem kritischen Atheisten, der die Gottesidee alsunbegründbar und überflüssig ablehnt, wie Dawkins, nochmehr als dem dogmatischen, der sie assertorisch verneint.Doch praktisch lebe ich, lebt der Agnostiker, wie der Atheist,ja, es gibt Autoren, die sich als Atheisten und Agnostikerzugleich bekennen.

Laut Stiftungserklärung ehrt der Preis Personen oderGruppen, «die – wie der Namensgeber … – in besonderemMaße zur Stärkung des säkularen, wissenschaftlichen undhumanistischen Denkens und Handelns beitragen».

Nun verdankt die Menschheit der Wissenschaft viel. Dochwie ich nicht gottgläubig, nicht christgläubig, nicht islam-gläubig, nicht europagläubig bin, so auch nicht «wis-senschafts-gläubig». Nicht europagläubig übrigens, falls esirritiert, weil ich fürchte, dass anstelle eines deutschen, fran-zösischen, britischen Nationalismus ein weit größerer euro-päischer treten und die Geschichte des Vereinten Europanoch unglücklicher verlaufen könnte als die Geschichte jedes

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einzelnen europäischen Landes zuvor. Und dies nicht zuletztmit Hilfe einer Wissenschaft, die zum größeren Teil, direktoder indirekt, im Dienst des militärisch-industriellen Komple-xes steht und sich somit doch immer weniger, wie noch Teil-hard de Chardin glaubte, als Zwillingsschwester der Huma-nität erweist als, alles in allem, des Gegenteils.

Nicht «wissenschaftsgläubig» bin ich jedoch nicht, weilich gern ins Blaue schwärme, vernarrt wäre ins Ungewisse,die Agnosie vergötzte, oder gar, mit Nietzsche zu sprechen,das Fragezeichen selbst als Gott anbetete; auch durchausnicht wegen all der Fehler und Fehlschläge samt dem ganzenGewimmel von Widersprüchen und Inkonsequenzen, die esim Gefolge szientifischer Doktrinen schon gab und wahr-scheinlich immer geben wird. Nein, nicht «wissenschaftsgläu-big» bin ich bereits angesichts unserer Erkenntnisapparatur,weniger doch ein Erkenntnis- als ein Anpassungsorgan, so-mit «präformiert», «subjektiv», ein Denkvermögen, das vorallem begrenzt ist, nicht aus sich heraus kann, nicht aus sei-ner grundsätzlich beschränkten Potenz, nicht aus seiner spezi-ellen Position. Nicht «wissenschaftsgläubig» bin ich, weil dieses Denkvermögen von Teilerfahrungen abhängt, von per-spektivischen Schätzungen und Verschätzungen, von Schein-barkeiten, weil all unsere Theorien nur vorläufig, nur Hypo-thesen, mehr Funktionsbegriffe als Konstanten, weil selbst inder Physik fundamentale Fakten manchmal nur interpretato-risch zu deuten sind, ohne logische Evidenz. Und auch in derLogik, der Mathematik, gibt es unübersteigbare Erkenntnis-grenzen. Von den Moden der Geisteswissenschaften, diesenoft so ridikülen, so zeitbedingten Balletttänzen der Eitelkeitund des Opportunismus ganz zu schweigen. Erst recht zuschweigen von unserer Gebundenheit an eine bestimmteSprache, Kultur, Zeit, einen bestimmten Raum. Wissen wir ja

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auch keinesfalls, ob die uns bekannten «Naturgesetze» fürdas gesamte Universum gelten, ob sich nicht auch ganz ande-re Wertmaße und Seinssysteme denken lassen, unendlichviele, uns gar nicht vorstellbare.

Gewiss: «Es sind immer nur diejenigen, welche wenig wis-sen, und nicht die, welche viel wissen, die positiv behaupten,dass dieses oder jenes Problem nie von der Wissenschaftwerde gelöst werden.» Doch Darwin, der so schreibt (undsich selbst Agnostiker nennt), bekennt auch: «Ich fühlezutiefst, dass das Ganze zu geheimnisvoll für den menschli-chen Verstand ist. Genauso könnte ein Hund über den Ver-stand Newtons spekulieren …»

Kurz, ich wünschte, man verwehrte unseren Preis auchjenen nicht, die weder, so Hans Albert, der kritische Rationa-list, die «Illusion objektiver Gewissheit» verschleiern nochdie «Kollateralschäden» der Forschung, das, was diese –Ambivalenz des Fortschritts – unmittelbar und mittelbar undungeheuer genug schon ruiniert hat und noch ruinieren wird.(Prophezeier brauchen nur zurückzuschauen, die Vergangen-heit ist nie vergangen!)

Damit rücken, so vage wie knapp, die postmoderne Indu-striegesellschaft ins Blickfeld und mein zweiter, mir nochwichtigerer Wunsch.

Mehr kognitivistisch unterströmte Weltanschauungsgrup-pen charakterisiert häufig, zumal wenn sie akademisch uni-versitär dominiert sind und nicht an Armut leiden, dass sieviel lieber Philosophisches, Theoriegeprägtes thematisierenals Soziales, Gesellschaftskritisches, alltägliche Not. Dochhalte auch ich für weniger nötig, die Welt zum tausendstenMal zu interpretieren, als sie einmal – zum Positiven – zu ver-ändern. Denn: «Eine Philosophie, in der man zwischen denSeiten nicht die Tränen, das Heulen und Zähneknirschen und

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das furchtbare Getöse gegenseitigen allgemeinen Mordenshört, ist keine Philosophie», sagt nicht Marx, sondern Scho-penhauer.

Wir meinen immer, meine Damen und Herren, die Ära desKannibalismus sei längst vorüber. Tatsächlich frisst keineEpoche mehr Menschen als unsere. Tatsächlich sind heute diefatalsten Schlachtfelder nicht die tradierten, sondern jene, aufdenen man Kriege im Frieden führt, die globalen «Vernetzun-gen» der Industrie, was weniger geographische Frontenbetrifft als den uralten Kampf zwischen oben und unten, ehedieser dann doch wieder ins heiße Inferno übergeht.

Schon in der Antike, als man, zeit- und gebietsweise,bereits klug genug war, zwischen Handels- und Seeräuber-schiffen kaum zu unterscheiden, geißelte Mark Aurel die Ver-antwortungslosigkeit der Intellektuellen als eine Pest, weitgefährlicher als verpestete Luft. Doch was tun wir? Wirreden, wir reden, wir schreiben, machen bloße Worte. Unddie Mehrheit, die mit uns lebt, sie vergoldet Showmasters,Quatschonkels und -tanten, Ballspieler. Und wir alle, wir las-sen Hunderttausende, lassen Millionen Menschen indessenverhungern. Ja, müssten wir denn diesen nicht zuschreien,nach dem Eigentum derer zu greifen, die sie verhungern las-sen? Nach unserem?

Ein Aufwiegler taugt manchmal mehr als alle Abwieglerzusammen, und so sollten solche Aufwiegler, Aufwiegler, dieradikales Denken lieben, das vernünftig ist, bevorzugt Kandi-daten sein für diesen Preis.

Erst recht aber sollte der – mein dritter, ganz besondererWunsch – jene auszeichnen, die immer wieder eintreten auchund gerade für das am wenigsten geachtete, am meisten miss-brauchte, das schuld- und hilfloseste Geschöpf der Welt.Schon das erste Bibelblatt gibt es zum Schlachten, zum Ver-

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schlingen frei – und kein «Wort Gottes» war bis heute soerfolgreich wie diese furiose Fressofferte einer Religion, diedamit prahlt, alle Tieropfer abgeschafft zu haben, und dochmehr Tiere opferte als jede andere Religion, nur nicht mehrGott, sondern dem eigenen Bauch.

Schon das erste Tier, das auftaucht im Alten Testament,wird verteufelt. Schon der älteste Christ im Neuen Testamentwendet sich gegen das Tier. Noch heute starren uns in unge-zählten Christentempeln Tiere an, Tiergesichter, erbarmungs-los von irgendwelchen Heiligenquanten zerquetscht. Undnoch heute sanktionieren Päpste die Vivisektion!

Und wir? Wir Aufgeklärten? Humanisten? Wie verkehrenwir mit Tieren, der unbeweinten Kreatur? Am liebsten dochund lebenslang per Essbesteck! Mit Wesen, von denen Dar-win sagt, sie haben «dieselben Gemütsbewegungen» wie wir.«Für einen Bissen Fleisch», klagte bereits der treffliche Plut-arch. Leonardo da Vinci sah die Zeit kommen, «wo man aufden Mord von Tieren herabsehen werde wie jetzt auf denMord von Menschen.» Und keiner blickte tiefer als Tolstoi:«Solange es Schlachthäuser gibt, wird es auch Schlachtfeldergeben.»

Ich danke Herbert Steffen für die generöse Stiftung diesesPreises, danke auch für die jahrelange großzügige Förderungmeiner Arbeit vor allem durch ihn und, erlauben Sie, daranzu erinnern, meinen toten Freund Alfred Schwarz sowiedurch viele selbstlose Leser. Ohne diesen Beistand gäbe es somanchen Band der «Kriminalgeschichte des Christentums»,gäbe es auch sonst mir Wichtiges nicht, etwa zur gerade skiz-zierten Thematik: «Für einen Bissen Fleisch», «Warum ichAgnostiker bin» oder «Ich brauche kein Gottesbild». Titelübrigens, von denen zumindest die letzten zwei zeigen könn-

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ten, wie nahe ihr Verfasser Ihnen, verehrter Herr Dawkins,ideell steht; dass er über das «Monster aus der Bibel» denktwie Sie, dass er auch Ihre anderen Gottesverwerfungen teilt,Ihre entgötternde Skepsis insgesamt; dass ihn aber wie fastnichts sonst Ihr Bekenntnis bewegt, dieser so trauriganrührende, in das Weltall hinausgestreute Zweifel: “Kannsein, dass wir die Musik des Universums nie verstehen wer-den.”

Was ich weniger teile, und keinesfalls aus Altersgründen,ist Ihr an sich ja so schöner, jugendlich beschwingter, fastmöchte ich formulieren inselwindfrischer Optimismus, wohlwissend, wie not er vielen tut. Doch schätze auch ich IhrenElan, Ihre Angriffigkeit, dazu das so gar nicht Vernunfteitle,wenig Professorale, das Unverblümte und oft so angelsäch-sisch Erzählfrohe Ihrer Textur und Ihre intellektuelle Redlich-keit. Ich habe von dem Naturforscher, als diesbezüglichgewiss recht taube Nuss, viel gelernt. Und es entzückte undentzückt mich zumal, wie der besonnene Gelehrte zuweilenbedeutende Dichter zitiert, bezaubernde Lyrik, magische,mystische gar.

Es freut mich sehr, dass Sie, Professor Richard Dawkins,der erste Träger des Deschner-Preises sind; ich gratuliereherzlich, gratuliere Ihnen, gratuliere uns, ich danke allen.

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© by Giordano Bruno Stiftung/Alibri Verlag. Der Abdruck erfolgt mit freundlicherGenehmigung nach Band 2 der «Schriftenreihe der Giordano Bruno Stiftung»: «VomVirus des Glaubens. Deschner-Preis 2007» (siehe Anzeige auf Seite 28)

• Begegnen Sie dem Autor und seinem Werk im Internet: www.deschner.info

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Richard Dawkins«Im Einsteinschen Sinn bin ich ein tief religiöser Mensch»

Dankesrede nach dem Erhalt des Deschner-Preises

Dr. Deschner, meine sehr geehrten Damen und Herren,es ist für mich natürlich eine große Ehre und ein großes Ver-gnügen, diesen Preis entgegenzunehmen, insbesondere imNamen von Karlheinz Deschner, vor allem auch von einerStiftung, die nach dem unsterblichen Giordano Brunobenannt wurde. Dr. Deschner ist ein Mann nach meinemHerzen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, von ihm gibt eskeine schmeichlerischen, hohlen Phrasen. Ich drücke ambesten aus, wie geehrt ich mich fühle, indem ich auf gleicheWeise antworte.

Ich muss mich dafür entschuldigen, den Vortrag auf Eng-lisch zu halten, aber leider ist mein Deutsch nicht gut genug,um auch nur die bisherigen Vorträge im Detail verstanden zuhaben. Ich konnte Dr. Deschners Rede nicht im Ganzen fol-gen [Anmerkung: Dawkins lagen englische Übersetzungender Redebeiträge vor, er konnte sich aber nicht sicher sein, obdie Redner nicht vielleicht doch spontan vom Vortragstextabgewichen waren], aber ich habe sein Gesicht beobachtetund niemand könnte seine tiefe und menschliche Aufrichtig-keit missverstehen. Es handelt sich also um eine herausragen-de Ehre, diesen Preis in Ihrem Namen zu empfangen.

Es gibt da noch einen anderen Preis, den Templeton-Preis.Er wurde, wie Sie wissen, von einem äußerst reichen Mann

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gestiftet, der sein Geld jedem Wissenschaftler gibt, der dazubereit ist, die Wissenschaft zu unterwandern und die wissen-schaftlichen Ideale zu verraten. Die einzige Vorgabe für denTempleton-Preis war, dass er in der Summe höher ausfallenmuss als der Nobelpreis. Aber ich bin hier, um Ihnen zusagen: Wenn man mir die Wahl ließe zwischen dem Temple-ton-Preis und dem Deschner-Preis, dann würde ich denDeschner-Preis nehmen.

Dr. Wuketits begann seine Rede mit einem Zitat aus «DieEntstehung der Arten» und er betonte, dass wir Darwins Ver-wendung des Begriffs «Schöpfer» nicht missverstehen sollten,wenn er sagt: «Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auf-fassung, dass der Schöpfer den Keim alles Lebens, das unsumgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form einge-haucht hat.» Diese Phrase «dass der Schöpfer» kommt in derersten Ausgabe von Die Entstehung der Arten interessanter-weise nicht vor. Sie wurde in späteren Ausgaben hinzugefügt,wahrscheinlich weil sich Darwin dem Druck der religiösenLobby beugte, vielleicht dem seiner Frau …

Dr. Schmidt-Salomon hat mir freundlicherweise einen Ent-wurf seiner Rede zukommen lassen und ich habe viel aus die-sem gelernt. Ich glaube, dass der Abschnitt, den ich besonderserhellend fand, es nicht in die endgültige Fassung geschaffthat [Anmerkung: Dawkins bezieht sich hier auf die Einlei-tung zum «Manifest des evolutionären Humanismus», diedas Phänomen der «halbierten Aufklärung» bzw. «Gleichzei-tigkeit des Ungleichzeitigen» behandelt]. Es hat mich jedochsehr gepackt, als er auf die gänzliche Unvereinbarkeit zwi-schen dem wissenschaftlichen Weltbild, das dem Entwurf undder Konstruktion eines modernen Passagierflugzeugs zugrun-de liegt, und der barbarischen Sichtweise, zu der ein ganzesWeltbild aus der Bronzezeit gehört, hinwies, das die Männer

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antrieb, die diese Wunderwerke der Wissenschaft entführtenund sie in zwei der größten Gebäude der Welt jagten, selbstWunderwerke einer wissenschaftsbasierten Technologie.

Es ist einfach, diese 19 Männer, die Mörder des 11. Sep-tembers 2001, als bösartige Barbaren zu betrachten. Das istdie Sichtweise von Bush. (Selbst heute kann ich mich nichtdazu überwinden, ihn «Präsident Bush» zu nennen.) In demhöllischen Rauch und Staub dieses schrecklichen Tagesglaubten fantasievolle Einbildungen das Gesicht des Teufelsausmachen zu können, Satan höchstpersönlich, die Personifi-zierung alles Bösen. Und das Gerücht verbreitete sich rasendschnell über das Internet. Aber ich hoffe niemanden zu belei-digen, wenn ich sage, dass diese 19 Männer nicht «böse»waren. Im Lichte ihrer Religion betrachtet waren sie recht-schaffen, gut, sie führten einen Anschlag für Allah aus undbegaben sich damit auf die Überholspur zum Paradies, indemsie für Allah den Märtyrertod starben.

Ein alarmierend hoher Anteil junger Muslime aus Groß-britannien ist ihrer Meinung. Wenn wir diese Zahlen hoch-rechnen, dann ist es wahrscheinlich, dass Millionen, zehnMillionen, vielleicht sogar Hunderte von Millionen Men-schen auf dieser Welt glauben, dass aus ihrem hochgeschätz-ten religiösen Glauben folgt, 3000 New Yorker Büroarbeiterzu ermorden, sei eine richtige, eine gute, eine pflichtbewussteTat gewesen. Sie glauben, dass die 19 Männer, die wir fürunverzeihliche Barbaren halten, die Verkörperung des Bösen,sich nun an den immerfließenden Strömen der Paradiesgärtenentspannen und von dunkeläugigen Jungfrauen bedient wer-den, die ihnen jeden Wunsch erfüllen.

Diese 19 Männer, und andere wie sie, waren nicht unge-bildet, nicht dumm, einige von ihnen hatten sogar eine Inge-nieurs-Ausbildung. Sie verstanden etwas von Mathematik,

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Fortsetzung auf Seite 56

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Physik, von der wissenschaftlichen Methode. Die Männer,welche die letzten Himmelfahrtskommandos in Großbritan-nien geplant hatten, waren Ärzte. Ihre Köpfe waren gefülltmit detailliertem Wissen über Anatomie, Physiologie, zellulä-re Biochemie. Sie kannten die genauen anatomischen Detailsder Arme und Beine, die sie von Körpern trennen wollten,einschließlich ihrer eigenen. Sie hatten gute Gehirne, die siedazu befähigten, schwierige medizinische Prüfungen zu beste-hen. Aber diese guten Gehirne waren vom Glauben «ent-führt» worden. Genau wie ein Passagierflugzeug, das vonTerroristen entführt wird.

Sie sind nicht dumm und sie sind keine unangenehmenMenschen. Nach den Bombenanschlägen vom 7. Juli 2005in London waren die britischen Zeitungen voll von erstaun-ten Äußerungen von Nachbarn und Bekannten der Attentä-ter. Das waren nette, anständige junge Männer, sie arbeitetenin Jugendvereinen und sie liebten es, Krocket zu spielen. Daswaren keine gesellschaftlichen Außenseiter, sondern freundli-che junge Männer. Die Sorte junger Männer, mit denen mangerne einen Abend verbringt. Aber wie nett sie auch gewesensein mögen, ihre Gehirne waren von einem schrecklichenParasiten entführt worden, von dem Virus des religiösenGlaubens.

Daniel Dennett, mein Kollege, benutzte ein Beispiel ausder Biologie, das ich ihm gewissenlos zurückstehlen werde,weil er nämlich zugibt, es zuerst von mir geklaut zu haben. Esist das Beispiel des so genannten Hirnwurms, der Larve einesEgels, der in Ameisen lebt. Er gräbt sich in das Gehirn derAmeise und fügt ihm eine kleine Wunde zu und wie Sie wis-sen, kann man das Verhalten eines Tieres verändern, wennman sein Gehirn verletzt. Und was dieser Egel tut, was dieserParasit tut, ist, dass er das Gehirn der Ameise verletzt und

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damit ihr Verhalten in einer Weise verändert, die dem Egelnutzt. Das bringt die Ameise dazu, statt in der Hitze desTages Zuflucht im Erdboden zu suchen – was das normaleVerhalten einer Ameise wäre –, an einem Grashalm hinauf zuklettern, wo sie von einem Schaf gefressen werden kann. Dasist genau das, was der Egel möchte, denn das Schaf ist derEndwirt im Lebenszyklus dieses Parasiten.

Die biologische Fachliteratur ist gefüllt mit solchen schö-nen, aus meiner Sicht schönen, Beispielen von Parasiten, dieihren Wirt entführen, die ihren Wirt zu ihrem eigenen Vorteilmanipulieren. Das menschliche Gehirn scheint leider eben-falls furchtbar anfällig dafür zu sein, auf diese Weise entführtzu werden. Religionen sind Meister der Entführungskunst.Ich weiß nicht, ich weiß es ehrlich nicht, ob sie absichtlich zudiesem Zweck von raffinierten Priestern geschaffen wurden,oder ob sie ihre Entführungseffizienz auf eine Weise ent-wickelt haben, die vergleichbar ist mit der darwinistischennatürlichen Selektion. Das ist eine interessante Frage, die icherst einmal beiseite lege. Die Tatsache bleibt bestehen, dassGehirne, die einwandfrei dazu in der Lage sind, ein Leben imhochtechnisierten 21. Jahrhundert zu führen, Gehirne, dieMathematik und Anatomie beherrschen, Ingenieurswesenund Physiologie, Gehirne, die zu einem netten und freundli-chen Verhalten im Stande sind, die einen Jungendclub leiten,Krocket spielen, dass diese Gehirne entführt werden könnenvon einem Gedankenvirus aus der Bronzezeit, der sie dazubringen kann, die furchtbarsten Taten zu begehen, die moder-ne Technologie noch umso schlimmer macht.

Der Glaube hat etwas Bizarres und inhärent Gefährliches.Er sagt, dass man etwas ohne Belege glauben soll. Underzählen Sie mir nicht, dass Ihr Glaube auf Belegen beruhe,denn wenn das so wäre, dann müssten Sie ihn nicht «Glaube»

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nennen, «Beleg» würde ausreichen. Natürlich glaube ich analle möglichen Dinge, von denen manche Leute meinen könn-ten, dass sie auf Glauben beruhten. Zum Beispiel die Liebemeiner Frau. Aber das beruht auf Belegen, subtilen Belegen,auf Hinweisen, einem Glänzen in den Augen, dem Timbreder Stimme. Man sieht die Belege jeden Tag seines Lebensund man erlangt allmählich Gewissheit. Das ist kein Glaube.Glaube ist sinnlos, wenn man Belege hat.

Wenn sich zwei Menschen innerhalb der Wissenschaftnicht einig sind, und natürlich sind wir uns manchmal nichteinig, dann liegt das an der Deutung von Belegen oder daran,dass es noch nicht genügend Belege gibt. Sie werden niemalseinen Wissenschaftler so etwas sagen hören: Ich glaube an x,weil ich ein Urknall-Theoretiker bin. Und wir Urknall-Theo-retiker glauben im Gegensatz zu Gleichgewichts-Theoreti-kern an x. In meinem eigenen Fachgebiet hört man niemalsjemanden sagen: Ich glaube an y, weil ich ein Gruppen-Selek-tionist bin. Und wir Gruppen-Selektionisten glauben daran.Wissenschafter sagen: Ich glaube dies und jenes, weil dieBelege in diese Richtung weisen. Ich bin ein Urknall-Anhän-ger, weil die Belege den Urknall stützen. Ich bin gegen Grup-penselektion, weil die Belege sie nicht bestätigen. Und glau-ben Sie bloß nicht, Wissenschaftler wären völlig davon über-zeugt, dass sie alles wissen. Wissenschaft ist nicht Szientis-mus. Unter Wissenschaftlern herrscht viel Uneinigkeit und esgibt reichlich Wissenschaftler, die zugeben, etwas nicht zuwissen. Es mag Vieles geben, das die Wissenschaft niemalsherausfinden kann. Aber lassen Sie bloß niemanden mit dervöllig unlogischen Idee davon kommen, nur weil die Wissen-schaft einige tiefe und rätselhafte Fragen nicht beantwortenkann, deshalb sei die Religion dazu in der Lage.

Ich denke, es war teilweise die Schuld von Einstein, weil er

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das Wort «Gott» so gerne als eine Art poetische Metaphergebrauchte, um die zutiefst rätselhaften und schönenGeheimnisse zu beschreiben, die das Universum noch für dieWissenschaft bereit hält. Zum Beispiel wollte Einstein mitseinen Worten «Gott würfelt nicht» ausdrücken, dass er nichtan die Heisenbergsche Unschärferelation glaubte. Als Ein-stein fragte: «Hatte Gott eine Wahl, als er das Universumerschuf?», meinte er: «Gibt es mehrere Möglichkeiten, wieein Universum sein könnte, oder nur eine?» Er benutzte«Gott» als Metapher für die tiefen Geheimnisse des Univer-sums. Er glaubte mit großer Bestimmtheit nicht an Gott. Ichzitiere Einstein: «Natürlich war es eine Lüge, was Sie übermeine religiösen Überzeugungen zu hören bekamen, eineLüge, die systematisch wiederholt wird. Ich glaube nicht aneinen persönlichen Gott und ich habe dies niemals verschlei-ert, sondern ich habe es deutlich ausgedrückt. Sollte es in miretwas geben, das man ‹religiös› nennen könnte, so ist das diegrenzenlose Bewunderung der Weltstruktur, so weit sie unse-re Wissenschaft enthüllen kann.» Im Einsteinschen Sinne binauch ich ein tief religiöser Mensch.

Die Leute werfen mir oft vor, dass ich es unterlasse, zwi-schen guter und schlechter Religion zu unterscheiden. Manwirft mir vor, ich würde jede Art von Religion angreifen undich solle mich besser auf die Extremisten konzentrieren, nichtauf den anständigen, moderaten, gemäßigten Mainstreamvon Bischöfen, Pfarrern und Mullahs. Vielleicht ist da etwasdran. Aber auf der anderen Seite finde ich, dass der anständi-ge, moderate Mainstream nicht ganz unschuldig ist. DieGehirne von Selbstmordattentätern wurden vielleicht unterdem Einfluss von Extremisten und skrupellosen Mullahs ent-führt. Jedoch wurden diese Gehirne im Kindesalter auf dieEntführung vorbereitet, als man ihnen beibrachte, dass Glau-

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be – die belegfreie Wahrheitsannahme – eine Tugend sei. Daslernten sie in Grundschulen. Und nicht von durchgeknallten,extremistischen Mullahs, sondern bei anständigen, modera-ten, gemäßigten Religionslehrern, Lehrer, die selbst keinerFliege etwas zu Leide tun würden. Die große Mehrheit derMenschen, denen man im Kindesalter beibringt, Glaube seieine Tugend, endet nicht als Selbstmordattentäter. Aber esbraucht ja auch nur ein paar. Und ohne Indoktrinierung imKindesalter über die Tugendhaftigkeit des Glaubens und überden bestimmten Glauben der jeweiligen Kultur, sei es derGlaube an Allah oder der Glaube an Jesus, hätten die späte-ren Entführungsversuche keinen Ansatzpunkt und würdenscheitern.

Kinder werden indoktriniert zu glauben, der Glaube seieine Tugend. Aber wo hat die Indoktrinierbarkeit der Kinderihren Ursprung? Ich denke, sie stammt in einem indirektenSinne aus unserer evolutionären Vergangenheit. Als Evoluti-onsbiologen fragt man mich oft, ob ich die evolutionärenVorteile der Religion erklären könne und es ist wahr, dass esDarwinisten Schwierigkeiten bereitet, irgendetwas Universel-les in unserer Spezies in evolutionären Begriffen zu erklären.Der Sexualtrieb ist zum Beispiel universell in der menschli-chen Spezies, obwohl ihn nicht jeder hat, zumindest teiltnicht jeder heterosexuelle Vorlieben. In derselben Art undWeise ist auch die Religion bei den Menschen universell.Obwohl nicht jeder von uns wirklich religiös ist, hatten alleKulturen früher oder später eine Religion. Es handelt sichalso um eine Herausforderung für Darwinisten zu erklären,warum Menschen diese Neigung zur Religiosität haben. Undich bevorzuge eine Erklärung, die mit dem Gehirn des Kindeszusammenhängt.

Ich bin ein Anhänger der so genannten Nebenprodukt-

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Theorie der Religion, laut der die Religion selbst keinerleibiologisch-darwinistischen Überlebensvorteil besitzt, sondernein Nebenprodukt einer psychischen Veranlagung darstellt,die auf eine andere Weise, auf einer anderen Ebene, einen bio-logischen Vorteil hat. Die Indoktrinierbarkeit im Kindesalter,die Leichtgläubigkeit im Kindesalter, könnte genau so einUrsprung, genau so eine psychologische Veranlagung sein,ein Ursprung, dessen Nebenprodukt die Religion ist. Kinder-gehirne sind so eingestellt, dass sie ihren Eltern und respek-tierten Älteren gehorchen und glauben. Wenn ein Kind nichtglauben würde, was ihm seine Eltern erzählen, dann würde essterben. Ein menschliches Kind ist in einer wilden Umweltverletzlich und muss auf Warnungen hören, nicht über Klip-pen zu springen und nicht in einem Fluss zu baden, in dem esvielleicht Krokodile gibt. Das Kindergehirn kommt also mitder Regel «glaube, was auch immer dir Eltern oder respek-tierte Ältere erzählen», vorprogrammiert auf die Welt.

Und das Problem mit einer solchen Faustregel bestehtdarin, dass sie leicht missbraucht werden kann, sie kanndurch Entführung missbraucht werden, sie kann durch Para-siten missbraucht werden. So wie es auch nicht möglich ist,einen Computer auf gute Dinge wie Textverarbeitung undTabellenkalkulation zu programmieren, ohne dass er gleich-zeitig, ganz automatisch, potenziell von einem Computer-virus dazu programmiert werden könnte, schlechte Dinge zutun. Es ist nicht möglich, einen Computer zu entwickeln, dergleichzeitig auf vielfältige Weise programmierbar ist und dernicht auch von einem Computervirus programmiert werdenkann. In derselben Art und Weise ist ein Kindergehirn, dasmit der Voreinstellung, alles zu glauben, was ihm ein Älterererzählt, auf die Welt kommt, anfällig für den Glauben anUnsinn, weil es keinen Mechanismus gibt – und wie sollte es

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auch einen geben! –, um das Sinnvolle wie «bade nicht imWasser mit den Krokodilen» von dem Sinnlosen zu trennen,wie etwa jeder religiösen Doktrin, die man sich vorstellenkann.

Ich möchte nicht mit einer negativen Bemerkungschließen, sondern auf eine erbaulichere Weise. Die Welt istein schöner Ort. Wir sind privilegiert, in ihr erwacht zu sein.Ich möchte die einleitenden Sätze eines meiner früherenBücher vorlesen, nicht «Der Gotteswahn», sondern «Der ent-zauberte Regenbogen»:

«Wir alle müssen sterben, das heißt, wir haben Glückgehabt. Die meisten Menschen sterben nie, weil sie nie gebo-ren werden. Die Männer und Frauen, die es rein theoretischan meiner Statt geben könnte und die in Wirklichkeit nie dasLicht der Welt erblicken werden, sind zahlreicher als dieSandkörner in der Sahara. Und unter diesen ungeborenenGeistwesen sind mit Sicherheit größere Dichter als Keats,größere Wissenschaftler als Newton. Das wissen wir, weil dieMenge an Menschen, die aus unserer DNA entstehen könn-ten, bei weitem größer ist, als die Menge der tatsächlichenMenschen. Und entgegen dieser gewaltigen Wahrscheinlich-keit gibt es gerade Sie und mich in all unserer Gewöhnlich-keit.

Auch in anderer Hinsicht haben wir Glück gehabt. DasUniversum ist über 100 Millionen Jahrhunderte alt. Nacheinem vergleichbar langen weiteren Zeitraum wird die Sonnezu einem roten Riesen angewachsen sein und die Erde ver-schlingen. Jedes dieser vielen hundert Millionen Jahrhundertewar zu seiner Zeit ‹das derzeitige Jahrhundert› oder wird essein, wenn seine Zeit kommt. Interessanterweise können sichmanche Physiker mit der Vorstellung von einer ‹wanderndenGegenwart› nicht anfreunden: Sie ist in ihren Augen ein sub-

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jektives Phänomen, für das sie in ihren Gleichungen keinenPlatz finden. Aber ich argumentiere hier durchaus subjektiv.Für mich – und ich nehme an, auch für andere Menschen –fühlt es sich so an, als ob die Gegenwart aus der Vergangen-heit in die Zukunft wandert, wie ein winziger Scheinwerfer-kegel, der an einem riesigen Zeitlineal entlangkriecht. Hinterdem Lichtkegel liegt alles im Dunkeln, in der Düsternis einertoten Vergangenheit. Und alles vor dem Lichtkegel liegt in derDunkelheit der unbekannten Zukunft. Die Chance, dassunser Jahrhundert gerade dasjenige ist, auf dem der Schein-werfer ruht, ist ebenso groß wie die Wahrscheinlichkeit, dassein zufällig in die Luft geworfener Pfennig auf eine ganzbestimmte, auf der Straße von New York nach San Franciscokrabbelnde Ameise trifft. Mit anderen Worten: Jeder von unsist mit überwältigend großer Wahrscheinlichkeit tot. (...)

Ich habe Glück, dass ich am Leben bin, und das gilt auchfür alle anderen. (...) Wir genießen ein Vorrecht, und diesesVorrecht besteht nicht nur darin, die Erde zu genießen. Wirhaben auch die Möglichkeit, zu verstehen, warum unsereAugen offen sind, warum sie in der kurzen Zeit, bevor sie sichfür immer schließen, etwas sehen.»

Ich danke Ihnen vielmals.

Deutsch von Andreas Müller

© by Giordano Bruno Stiftung/Alibri Verlag. Der Abdruck erfolgt mit freundlicherGenehmigung nach Band 2 der «Schriftenreihe der Giordano Bruno Stiftung»: «VomVirus des Glaubens. Deschner-Preis 2007» (siehe Anzeige auf Seite 28)

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«Leisetreter. Die einzigen, die ich liebe: die Katzen.»

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