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Kausalität und Adäquanz Die überwiegende Wahrscheinlichkeit unfallbedingter gesundheitlicher Störungen lic. phil. Gregor Steiger-Bächler 02-05-2011 Neuropsychologie-Basel

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Kausalität und Adäquanz

Die überwiegende Wahrscheinlichkeit unfallbedingter

gesundheitlicher Störungen

lic. phil. Gregor Steiger-Bächler

02-05-2011

Neuropsychologie-Basel

Fragestellung - UVGVorzustand

Traumatisches Ereignis

Posttraumatische Beschwerden

Verlauf

Ist-Zustand

02-05-2011Neuropsychologie-Basel

Vorbestehende Faktoren ?

Unfallfremde Faktoren ?

?

Zuständigkeit Zuordnung eines bestimmten Sachverhaltes zur Leistungspflicht

einer Sozialversicherung.

Klärung der Zuständigkeit der UV, bzw. Haftungsbeschränkung;wer zahlt die Heilungskosten, Taggelder, Rente?

UV ist nur zuständig, wenn der Gesundheitsschaden und seineFolgen (natürlich und adäquat) kausal auf ein Unfallereigniszurückzuführen sind.

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Grundsatz

Die Beurteilung der Kausalität erfolgt durch denGutachter !

Die Beurteilung der Adäquanz erfolgt durch denJuristen !

Diese Trennung muss eingehalten werden !

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Freie Beweiswürdigung Das Bundesrecht schreibt nicht vor, wie die einzelnen Beweis-

mittel zu würdigen sind. Für alle Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gilt der Grundsatz

der freien Beweiswürdigung. Alle Beweise und Dokumentationen müssen frei, umfassend und

pflichtgemäss gewürdigt werden. Für das Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass das Sozialver-

sicherungsgericht alle Beweismittel objektiv zu prüfen und da-nach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zu-verlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestat-ten.

Insbesondere darf es bei einander widersprechenden medizini-schen/neuropsychologischen Berichten den Prozess nicht erledi-gen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen und dieGründe anzugeben, warum es auf die eine und nicht auf die an-dere medizinische These abstellt.

Urteil 8C_577/2010 vom 25.10.201002-05-2011Neuropsychologie-Basel

Freie Beweiswürdigung

02-05-2011

Die zulässigen Beweismittel sind im UVG im einzelnen nicht als sol-che bezeichnet. Art. 12 VwVG (Verwaltungsverfahrensgesetz) ent-hält jedoch einen Katalog von Beweismitteln, der für den ganzenSozialversicherungsbereich Bedeutung hat:

Urkunden Auskünfte der Parteien Auskünfte oder Zeugnis von Drittpersonen Augenschein Gutachten von Sachverständigen

Aktennotiz

Abklärung durch eine Fachperson

Privat- / Parteigutachten

Gutachten im Auftrag von Versicherungen

Gutachten im Auftrag des GerichtesNeuropsychologie-Basel

Beweisgrad Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten Sachverhaltes genügt

nicht (BGE 115 V 142). Der Richter hat also jener Sachverhaltsschilderung zu folgen, die er

von allen möglichen Geschehensabläufen als die wahrscheinlich-ste erachtet (BGE 117 V 37).

Wenn z. B. das Vorliegen eines Unfalles (Art. 4 ATSG) nichterwiesen ist, kann der Versicherte keine Leistungen beanspruchen(BGE 116 V 140). Es besteht also eine Beweislosigkeit.

Möglich – wahrscheinlich – überwiegend wahrscheinlich

Der Beweis nach dem Beweismass der überwiegenden Wahr-scheinlichkeit gilt als erbracht, wenn für die Richtigkeit der Sach-behauptung nach objektiven Gesichtspunkten derart gewichtigeGründe sprechen, dass andere denkbare Möglichkeiten vernünfti-gerweise nicht massgeblich in Betracht fallen (BGE 130 III 321).

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Post hoc ergo propter hoc Die reine Tatsache, dass vor dem Unfall keine Beschwerden

bestanden, begründet nicht die Beschwerden nach dem Unfall.

(BGE 119 V 335 E. 2b/bb) Die Beweisregel ’Post hoc ergo propterhoc’ im Sinne der natürlichen Vermutung, Beschwerden müsstenunfallbedingt sein, wenn eine vorbestehende Erkrankung derWirbelsäule bis zum Unfall schmerzfrei war, ist unfallmedizinischnicht haltbar und beweisrechtlich nicht zulässig, sofern der Unfallkeine strukturellen Läsionen an der Wirbelsäule und namentlichkeine Wirbelkörperfrakturen verursacht hat.

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Natürliche KausalitätDie Leistungspflicht des Unfallversicherers setzt gemäss Art. 6 Abs.1 UVG voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetre-tenen Schaden gleichzeitig ein natürlicher und adäquater Kausalzu-sammenhang besteht.

Definition:Natürlich kausal sind alle Umstände, ohne deren Vorhandenseinder eingetretene Erfolg nicht als eingetreten oder nicht als in dergleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten gedachtwerden kann.

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Status quo sineSchicksalsmässiger Verlauf eines krankhaften Vorzustandes.

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Unfall Status quo sine

Leistungspflicht UVG-Versicherer

Bes

chw

erde

n

Zeit

Status quo anteTemporäre Verschlimmerung eines Vorzustandes.

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Unfall

Status quo ante

Leistungspflicht UVG-Versicherer

Bes

chw

erde

n

Zeit

Richtungsgebende Verschlimmerung

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Unfall

Bes

chw

erde

n

Zeit

Unfallfolgen

Richtungsgebende Verschlimmerung

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Unfall

Bes

chw

erde

n

Zeit

Unfallfolgen

Status quo ante / sine Der natürliche Kausalzusammenhang entfällt, wenn der Status

quo ante oder der Status quo sine erreicht sind.

Die Leistungspflicht ist auch für einen teilweisen Kausalzusam-menhang gegeben (UVG Art 36).

Zusammenwirken des Unfalls und der unfallfremdenFaktoren bedingen die Gesundheitsschädigung.

Wenn die Gesundheitsschädigung nur noch durch dieunfallfremden Faktoren bedingt ist, entfällt dieLeistungspflicht.

Erforderlich ist der Beweisgrad der überwiegenden Wahrschein-lichkeit.

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Conditio sine qua non Massgebende Ursachen im Rahmen des natürlichen Kausalzu-

sammenhangs sind alle Umstände, ohne deren Vorhandensein diegesundheitliche Beeinträchtigung nicht oder nicht in gleicher Wei-se oder nicht zur gleichen Zeit eingetreten wäre.

Es ist nicht erforderlich, dass ein Unfall die alleinige oder unmit-telbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist, sondern reicht esaus, dass das versicherte Ereignis zusammen mit anderen Fakto-ren für die Schädigung verantwortlich ist.

Mit anderen Worten ist der natürliche Kausalzusammenhang ge-geben, sobald der Unfall nicht weggedacht werden kann, ohnedass auch die eingetretene gesundheitliche Störung entfiele.

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Gelegenheits- / Zufallsursache (1) Nach der Rechtsprechung gehören zu den im Sinne von Art. 6 Abs. 1

UVG massgebenden Ursachen auch Umstände, ohne deren Vorhan-densein die gesundheitliche Beeinträchtigung nicht zur gleichen Zeiteingetreten wäre (Conditio sine qua non).

Eine schadensauslösende traumatische Einwirkung wirkt also selbstdann leistungsbegründend, wenn der betreffende Schaden auch ohnedas versicherte Ereignis früher oder später wohl eingetreten wäre, derUnfall somit nur hinsichtlich des Zeitpunkts des SchadenseintrittsConditio sine qua non war.

Anders verhält es sich, wenn der Unfall nur Gelegenheits- oder Zu-fallsursache ist, welche ein gegenwärtiges Risiko, mit dessen Reali-sierung jederzeit zu rechnen gewesen wäre, manifest werden lässt,ohne im Rahmen des Verhältnisses von Ursache und Wirkungeigenständige Bedeutung anzunehmen.

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Gelegenheits- / Zufallsursache (2) Keine blosse Gelegenheitsursache liegt vor bei ungewöhnlichen Kau-

salverläufen, bei denen eine konstitutionelle Prädisposition einezentrale Rolle spielt. Die entsprechende Vulnerabilität zieht hier einebesondere Schadensneigung nach sich. Es braucht aber einer nichtalltäglichen und nicht beliebig austauschbaren - spezifischenweiteren Teilursache (Unfall), damit der verhängnisvolle Schadens-verlauf überhaupt in Gang kommt.

Wenn ein alltäglicher alternativer Belastungsfaktor zu annäherndgleicher Zeit dieselbe Gesundheitsschädigung hätte bewirken können,erscheint der Unfall nicht als kausal signifikantes Ereignis, sondernals austauschbarer Anlass; es entsteht daher keine Leistungspflichtdes obligatorischen Unfallversicherers.

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Latenzzeit bei HWS-DT Nach der Rechtsprechung zu Unfällen mit HWS-Schleudertrauma

müssen die Beschwerden in der Halsregion und an der Halswir-belsäule innert maximal 72 Stunden seit dem Versicherungser-eignis auftreten, damit die natürliche Kausalzusammehang be-jaht werden kann.

Diese Latenzzeit bezieht sich einzig auf die genannten Beschwer-den und hat nicht auch die weiteren zum typischen Beschwerde-bild eines Schleudertraumas gehörenden Beschwerden zum Ge-genstand (Urteil U 215/05 vom 30.1.2007)

Typische Beschwerden gemäss BGE 117 V 360 Erw. 4b Diffuse Kopfschmerzen – Schwindel, Konzentrationsstörun-gen – Gedächtnisstörungen – Übelkeit – Rasche Ermüdbar-keit – Visusstörungen – Reizbarkeit – Affektlabilität – De-pression – Wesensveränderung

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Zeitlicher Abstand Je grösser der zeitliche Abstand zwischen Unfall und Eintritt der

Beschwerden ist, desto strengere Anforderungen sind an dieWahrscheinlichkeit der natürlichen Kausalität zu stellen.

Aussagen über den Kausalverlauf bei kognitive Auffälligkeitenund/oder psychische Beschwerden, welche erst mehrere Monatenach dem Unfall auftreten, werden mit zunehmender Dauer zumUnfall immer schwieriger und hypothetischer.

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Degenerative Veränderungen Nicht nur bei der traumatischen Verschlimmerung eines klinisch

stummen degenerativen Vorzustandes (an der Wirbelsäule), son-dern auch bei erst nach dem Unfall einsetzenden degenerativenVeränderungen (der Wirbelsäule) ist in aller Regel ein Kausal-zusammenhang spätestens nach einem Jahr nicht mehr aus-gewiesen. (Urteil 8C_677/2007 vom 4.7.2008)

Unklar bei kognitiven, psychiatrischen oder demenziellen Er-krankungen.

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Adäquanz - Grundregel Rechtsprechungsgemäss kann von organisch objektiv ausgewie-

senen Unfallfolgen erst dann gesprochen werden, wenn die erho-benen Befunde mit apparativen/bildgebenden Abklärungen be-stätigt wurden und die hierbei angewendeten Untersuchungsme-thoden wissenschaftlich anerkannt sind. Ob eine organisch ob-jektiv ausgewiesene Unfallfolge vorliegt, beurteilt sich nach demim Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwie-genden Wahrscheinlichkeit.

Wird bei organischen Unfallfolgen (orangisches Substrat) die na-türliche Kausalität bejaht, spielt die Adäquanz praktisch keineRolle mehr: Es besteht die Leistungspflicht des UVG-Versiche-rers für diese Unfallfolgen!

Liegen keine organischen Unfallfolgen vor, ist die Adäquanz se-parat zu prüfen.

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Adäquanz - Grundregel

Liegen keine organischen Unfallfolgen vor, ist die Adäquanz se-parat zu prüfen.

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• Cervico-cephales Schmerzsyndrom • Druckdolenzen, Diskushernie• Einschränkung der HWS- und Schulterbeweglichkeit • Funktionelle segmentale Störungen • HWS-Streckhaltung • Lumbospondylogenes Syndrom • Milde traumatische Hirnschädigung, MTBI • Muskelreflexreduktionen • Myofasziale Befunde• Skoliose, Schonhaltung • Schulter-Arm-Syndrom• Thoracic-outlet-Syndrom, TOS• Verhärtungen und Verspannungen der Muskulatur• Zervikalsyndrom, Zervikobrachialsyndrom

Adäquanz - Definition Die Adäquanz setzt einen Kausalzusammenhang zwischen dem

Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden voraus. Das Ereignis hat dann als adäquate Ursache eines Erfolges zu

gelten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge undnach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, ei-nen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Ein-tritt dieses Erfolges also durch das Ereignis allgemein als be-günstigt erscheint.

Funktion einer Haftungsbegrenzung. Wertung von Indizien zur rechtlichen Zuordnung bestimmter

Funktionsausfälle zum Unfall. Gesamtwürdigung zur Abgrenzung haftungsbegründender und

haftungsausschliessender Faktoren.

Die Beurteilung der Adäquanz erfolgt durch den Juristen !

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SchweregradBanale / leichte Unfälle

Adäquanz nicht gegeben

Mittelschwere Unfälle Die Frage der Adäquanz lässt sich auf Grund des Unfaller-

eignisses alleine nicht schlüssig beantworten.

Weitere objektiv erfassbare Umstände, welche unmittelbarmit dem Unfall in Zusammenhang stehen, oder als direktebzw. indirekte Folgen davon erscheinen, müssen in eineGesamtwürdigung einbezogen werden.

Schwere Unfälle Adäquanz gegeben

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HWS / Psycho-Praxis (1) Besonders dramatische Begleitumstände oder besondere Ein-

drücklichkeit des Unfalls.

Die Schwere oder besondere Art der erlittenen Verletzungen, ins-besondere ihre erfahrungsgemässe Eignung psychische Fehlent-wicklungen auszulösen.

Ungewöhnlich lange Dauer der ärztlichen Behandlung.

Körperliche Dauerschmerzen.

Ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich ver-schlimmert.

Schwieriger Heilungsverlauf und erhebliche Komplikationen.

Grad und Dauer der physischen Arbeitsunfähigkeit.

(BGE 117 V 359)

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HWS / Psycho-Praxis (2)Präzisierende Adäquanzkriterien nach BGE 134 V 109

Fortgesetzte spezifische, belastende ärztliche Behandlung.

Erhebliche Beschwerden.

Erhebliche Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengun-gen.

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Take Home Message Kausalität und Adäquanz sind Bestandteil des UVG. Die Frage der Kausalität ist Sache der Gutachters, die der Adäquanz

des Juristen. Die Beurteilung der Kausalität erfolgt über den Beweisgrad der

überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Die reine Tatsache, dass vor dem Unfall keine Beschwerden be-

standen haben, begründet nicht die Beschwerden nach dem Unfall(Post hoc ergo propter hoc).

Der natürliche Kausalzusammenhang ist gegeben, sobald der Unfallnicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die eingetretenegesundheitliche Störung entfiele (Conditio sine qua non).

Der natürliche Kausalzusammenhang entfällt, wenn der Status quoante oder der Status quo sine erreicht sind.

Wird bei organischen Unfallfolgen die natürliche Kausalität bejaht,spielt die Adäquanz praktisch keine Rolle mehr.

Liegen keine organischen Unfallfolgen vor, ist die Adäquanz se-parat zu prüfen.

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