Kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher bei mehr als vorübergehender Überlassung mit Erlaubnis

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Zitiervorschlag: Kielkowski, jurisPR-ArbR 3/2015 Anm. 1 ISSN 1860-1553 juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected] Der juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden. © juris GmbH 2015 Herausgeber: Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D. Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D. 3/2015 Erscheinungsdatum: 21.01.2015 Erscheinungsweise: wöchentlich Bezugspreis: 10,- € monatlich zzgl. MwSt. Inhaltsübersicht: Anm. 1 Umgehung des § 613a BGB beim Einsatz einer BQG und Teilanfechtung des dreiseitigen Vertrages Anmerkung zu LArbG Frankfurt, Urteil vom 10.06.2013, 16 Sa 1492/12 von Jacek Kielkowski, LL.M., RA, Noerr LLP, Frankfurt am Main Anm. 2 Grundrechtsverstoß durch überspannte Anforderungen an den Inhalt einer Berufungsbegründung Anmerkung zu StGH Stuttgart, Urteil vom 03.11.2014, 1 VB 8/14 von Priv.-Doz. Dr. Bernhard Ulrici, ULRICI Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Anm. 3 Kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher bei mehr als vorübergehender Überlassung mit Erlaubnis Anmerkung zu BAG, Urteil vom 03.06.2014, 9 AZR 111/13 von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP, Frankfurt am Main Anm. 4 Unzulässige Beeinflussung einer Betriebsratswahl durch Verwendung eines Gewerkschaftslogos auf Wahlunterlagen Anmerkung zu ArbG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 26.06.2014, 6 BV 11/14 von Dr. Till Sachadae, Akademischer Assistent, Universität Leipzig Anm. 5 Ablösungsprinzip bei Betriebsvereinbarungen Anmerkung zu LArbG Kiel, Urteil vom 24.09.2014, 6 Sa 93/14 von Marc-Oliver Schulze, RA und FA für Arbeitsrecht, AfA Rechtsanwälte, Nürnberg Anm. 6 Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Anbringung einer Videokamera-Attrappe im Außenbereich einer Klinik Anmerkung zu LArbG Rostock, Beschluss vom 12.11.2014, 3 TaBV 5/14 von Dr. Eugen Ehmann, Regierungsvizepräsident von Mittelfranken

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Zitiervorschlag: Kielkowski, jurisPR-ArbR 3/2015 Anm. 1ISSN 1860-1553

juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected] juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nichtauszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden.© juris GmbH 2015

Herausgeber: Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.

3/2015

Erscheinungsdatum:21.01.2015 Erscheinungsweise:wöchentlich Bezugspreis:10,- € monatlichzzgl. MwSt.

Inhaltsübersicht:

Anm. 1 Umgehung des § 613a BGB beim Einsatz einer BQG und Teilanfechtung desdreiseitigen VertragesAnmerkung zu LArbG Frankfurt, Urteil vom  10.06.2013, 16 Sa 1492/12von Jacek Kielkowski, LL.M., RA, Noerr LLP, Frankfurt am Main

Anm. 2 Grundrechtsverstoß durch überspannte Anforderungen an den Inhalt einerBerufungsbegründungAnmerkung zu StGH Stuttgart, Urteil vom  03.11.2014, 1 VB 8/14von Priv.-Doz. Dr. Bernhard Ulrici, ULRICI Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Anm. 3 Kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher bei mehr als vorübergehenderÜberlassung mit ErlaubnisAnmerkung zu BAG, Urteil vom  03.06.2014, 9 AZR 111/13von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP,Frankfurt am Main

Anm. 4 Unzulässige Beeinflussung einer Betriebsratswahl durch Verwendung einesGewerkschaftslogos auf WahlunterlagenAnmerkung zu ArbG Frankfurt (Oder), Beschluss vom  26.06.2014, 6 BV 11/14von Dr. Till Sachadae, Akademischer Assistent, Universität Leipzig

Anm. 5 Ablösungsprinzip bei BetriebsvereinbarungenAnmerkung zu LArbG Kiel, Urteil vom  24.09.2014, 6 Sa 93/14von Marc-Oliver Schulze, RA und FA für Arbeitsrecht, AfA Rechtsanwälte, Nürnberg

Anm. 6 Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Anbringung einerVideokamera-Attrappe im Außenbereich einer KlinikAnmerkung zu LArbG Rostock, Beschluss vom  12.11.2014, 3 TaBV 5/14von Dr. Eugen Ehmann, Regierungsvizepräsident von Mittelfranken

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Umgehung des § 613a BGB beim Einsatzeiner BQG und Teilanfechtung desdreiseitigen Vertrages

Leitsätze:

1. Durch den Abschluss eines dreiseitigenVertrags wird §  613a BGB jedenfalls dannnicht umgangen, wenn dem Arbeitnehmerfür den Fall eines Wechsels in eine Beschäfti-gungsgesellschaft die Begründung eines Ar-beitsverhältnisses mit einem Betriebserwer-ber nicht in Aussicht gestellt wird.

2. Eine Teilanfechtung des dreiseitigen Ver-trags, die ausschließlich auf die Beseitigungder Auflösung des bisherigen Arbeitsver-hältnisses gerichtet ist, ist ausgeschlossen.

Anmerkung zu LArbG Frankfurt, Urteil vom 10.06.2013, 16 Sa 1492/12von Jacek Kielkowski, LL.M., RA, Noerr LLP,Frankfurt am Main

A. Problemstellung

Der Einsatz von Beschäftigungs- und Qualifizie-rungsgesellschaften (BQG) kann für beide Ar-beitsvertragsparteien ein attraktives Mittel dar-stellen, um einen notwendigen Personalabbausozialverträglich und rechtssicher durchzufüh-ren: Die Arbeitnehmer werden nicht in die Be-schäftigungslosigkeit entlassen, sondern erhal-ten die Möglichkeit der Qualifizierung für eineAnschlussbeschäftigung bei Fortzahlung einerVergütung. Der Arbeitgeber kann mit einem si-cheren Abbau planen, ohne langwierige Kündi-gungsschutzverfahren befürchten zu müssen.

Dass die Rechtssicherheit jedoch schwindenkann, wenn der Eintritt in die BQG in einem en-gen Zusammenhang mit einem nachfolgendenBetriebsübergang steht, zeigt die Entscheidungdes LArbG Frankfurt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeiteines Aufhebungsvertrages sowie die Zulässig-keit der Teilanfechtung eines dreiseitigen Ver-trages. Der Kläger war bei der M beschäftigt.Nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzver-

fahrens über deren Vermögen wurde der Be-klagte zu 1) zum vorläufigen Insolvenzverwal-ter bestellt. Mit dessen Zustimmung vereinbar-ten M und deren Betriebsrat einen Interessen-ausgleich mit Namensliste, auf der auch der Klä-ger aufgeführt war. Aus diesem Interessenaus-gleich ergibt sich, dass bis zu dessen Abschlusskein Kaufangebot zur Übernahme des Betrie-bes vorlag und eine uneingeschränkte Über-nahme des Betriebs aus wirtschaftlichen Grün-den auch nicht möglich sei. Die vorhandenenKaufinteressenten hätten die Übernahme desBetriebs von der Durchführung einer tiefgrei-fenden Restrukturierung abhängig gemacht, sodass daher im Zuge des Restrukturierungspro-zesses ein erheblicher Teil der bisherigen Be-schäftigungsmöglichkeiten ersatzlos wegfalle.Weiterhin sah der Interessenausgleich vor, denvom Wegfall ihrer Beschäftigungsmöglichkeitbetroffenen Beschäftigten betriebsbedingt zumnächst möglichen Termin zu kündigen oder al-ternativ anzubieten, in eine BQG zu wechseln.

Am Tag nach der außerordentlichen Betriebs-versammlung, auf der der Beklagte zu 1) daraufhinwies, dass man mit Investoren im Gesprächsei, aber noch nichts entschieden wäre, wurdenan die Beschäftigten Vordrucke eines „dreiseiti-gen Vertrags“ verteilt, die eine einvernehmlicheBeendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Msowie die gleichzeitige Begründung eines befris-teten Arbeitsverhältnisses mit der „betriebsor-ganisatorisch eigenständigen Einheit“ P im un-mittelbaren Anschluss vorsahen. Der Kläger un-terzeichnete den dreiseitigen Vertrag innerhalbder ihm gesetzten fünftägigen Frist. Die Beklag-te zu 2) erwarb den Betrieb der M am Tag desÜbertritts des Klägers in die BQG. Später erklär-te der Kläger die Anfechtung des Aufhebungs-vertrages gegenüber der Beklagten zu 1) wegenarglistiger Täuschung und widerrechtlicher Dro-hung. Er gab gleichzeitig eine entsprechendeErklärung auch gegenüber der P mit dem Zusatzab, diese Erklärung betreffe nicht den Bestanddes Beschäftigungsverhältnisses mit der P. DerKläger ist ferner der Ansicht, seine Überlegungs-zeit zum Wechsel sei zu kurz bemessen gewe-sen und meint zudem, dass der Aufhebungs-vertrag wegen Umgehung der Vorschriften des§  613a BGB sowie der Vorschriften zur ord-nungsgemäßen Sozialauswahl unwirksam sei.

Die Klage hatte weder vor dem Arbeitsgerichtnoch vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg.

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Das LArbG Frankfurt lehnt die Unwirksamkeitdes Aufhebungsvertrages wegen fehlender Ein-räumung von Bedenkzeit ab, da eine solchegrundsätzlich nicht einzuräumen sei. Überdiesseien fünf Tage jedenfalls ausreichend.

Der Aufhebungsvertrag sei auch nicht aufgrundeiner Umgehung des §  613a BGB nach §  134BGB unwirksam. Grundsätzlich gewähre § 613aBGB keinen Schutz vor einvernehmlichen Been-digungen des Arbeitsverhältnisses. Unter Ver-weis auf die Rechtsprechung des BAG hält dasGericht fest, dass der Abschluss eines Aufhe-bungsvertrages mit einem Betriebsveräußererund damit zusammenhängend der Abschlusseines Arbeitsvertrages mit einer BQG trotz ei-nes anschließenden Betriebsübergangs wirk-sam sei, wenn die Vereinbarung auf das endgül-tige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus demBetrieb gerichtet sei. Eine unzulässige Umge-hung des §  613a BGB liege demgegenübervor, wenn der Aufhebungsvertrag die Beseiti-gung der Kontinuität des Arbeitsverhältnissesbei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsvertragesbezwecke, weil zugleich ein neues Arbeitsver-hältnis vereinbart oder zumindest verbindlichin Aussicht gestellt wurde. Diese Umstände ha-be der Arbeitnehmer näher darzulegen und ge-gebenenfalls zu beweisen. Fehle es an demgleichzeitigen Abschluss oder dem Inaussicht-stellen eines neuen Arbeitsvertrages, stelle sichder Aufhebungsvertrag für den Arbeitnehmerals ein zulässiges Risikogeschäft dar, weil nichtklar sei, ob der Betriebserwerber den Arbeitneh-mer übernehmen werde. Vorliegend sei jedocheine Weiterbeschäftigung weder im dreiseitigenVertrag in Aussicht gestellt worden, noch habeder Kläger im Einzelnen dargelegt, ob und wannihm im Einzelnen ein Arbeitsverhältnis in Aus-sicht gestellt wurde.

Das LArbG Frankfurt hält auch eine Teilanfech-tung des Aufhebungsvertrages für unwirksam,obgleich die Anfechtungserklärung – wie bei ei-nem mehrseitigen Vertrag erforderlich – gegen-über beiden Vertragspartnern erfolgt sei. Un-ter Berufung auf die Rechtsprechung des BAG(Urt. v. 24.02.2011 - 6 AZR 626/09) sowie desBGH (Urt. v. 05.11.1982 - V ZR 166/81; Urt. v.05.04.1973 - II ZR 45/71) setze eine Teilan-fechtung voraus, dass der verbleibende Restnach Wegfall des angefochtenen Teils bei ob-jektiver, vom Willen der Beteiligten absehenderBetrachtung als selbstständiges, unabhängig

von den anderen Teilen bestehendes Rechtsge-schäft denkbar ist. Hierbei käme es nicht aufden Willen der am Rechtsgeschäft Beteiligten,sondern allein auf die objektive (gedankliche)Zerlegbarkeit des Rechtsgeschäfts an. Eine sol-che verneint das Landesarbeitsgericht im vor-liegenden Fall. Durch den Abschluss des dreisei-tigen Vertrages werde die Beendigung des bis-herigen Arbeitsverhältnisses untrennbar mit derBegründung des neuen Arbeitsverhältnisses beider Beschäftigungsgesellschaft verknüpft. Dieobjektive Interessenlage sei dadurch gekenn-zeichnet, dass die finanzielle Ausstattung derBeschäftigungsgesellschaft durch den bisheri-gen Arbeitgeber davon abhänge, dass die dahinwechselnden Arbeitnehmer zeitgleich freiwil-lig aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis aus-scheiden. Hierdurch erhalte der bisherige Ar-beitgeber Rechtssicherheit hinsichtlich der Be-endigung des Arbeitsverhältnisses. Eine Teilan-fechtung sei mit dieser Interessenlage nicht ver-einbar.

Auch widerspreche einer Teilanfechtung dasNebeneinanderstehen zweier Arbeitsverhältnis-se (mit dem bisherigen Arbeitgeber und derBQG). Der Arbeitnehmer könne bei Vorliegeneiner Vollzeitbeschäftigung nur eine Leistungs-pflicht erfüllen, so dass der Arbeitnehmer sichentscheiden müsse, an welchem Arbeitsverhält-nis er festhalten möchte. Bei der Teilanfech-tung eines dreiseitigen Vertrages hingegen wür-de für die Zukunft das Nebeneinanderbestehenvon zwei Arbeitsverhältnissen bewusst hinge-nommen, ohne dass für die Anfechtungsgeg-ner klar ist, gegenüber wem der Erklärende sei-ner Verpflichtung zur Dienstleistung gem. § 611BGB nachkommen wolle.

C. Kontext der Entscheidung

Der Entscheidung ist vollumfänglich zuzustim-men.

I. In Bezug auf die Frage der Umgehung derVorschriften des § 613a BGB knüpft die vorlie-gende Entscheidung ausdrücklich an die stän-dige Rechtsprechung des BAG an. Bereits mitseiner Entscheidung vom 10.12.1998 hatte dasBAG die rechtliche Zulässigkeit von BQG-Model-len im Grundsatz anerkannt und eine Umge-hung der Vorschriften des § 613a BGB bei Vorlie-gen eines Risikogeschäfts verneint (BAG, Urt. v.10.12.1998 - 8 AZR 324/97).

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II. Auf die Problematik, ob für das Vorliegen ei-nes Risikogeschäfts auf den konkreten, einzel-nen Arbeitnehmer abzustellen ist (LArbG Han-nover, Urt.  v. 18.02.2010 - 7 Sa 780/09; ähn-lich BAG, Urt.  v. 18.08.2005 - 8 AZR 523/04„konkrete Übernahmezusage“) oder ob es aufdie Gesamtbelegschaft und eine verdichteteÜbernahmewahrscheinlichkeit (so BAG, Urt.  v.18.08.2011 - 8 AZR 312/10) ankommt, gehtdas LArbG Frankfurt hingegen – offenbar man-gels eines entsprechenden substantiierten Vor-trages des Klägers – nicht näher ein. Auch mitdem Kriterium der Umgehung der Sozialaus-wahl, die das BAG in der Vergangenheit als einzusätzliches Kriterium für eine Umgehung derVorschriften des § 613a BGB herangezogen hat(vgl. BAG Urt.  v. 18.08.2005 - 8 AZR 523/04;Urt. v. 23.11.2006 - 8 AZR 349/06), setzt sichdas LArbG Frankfurt im Unterschied zu ande-ren Instanzgerichten (vgl. hier etwa ArbG Frei-burg, Urt. v. 09.05.2009 - 5 Ca 538/08; LArbGKöln, Urt. v. 11.12.2009 - 11 Sa 96/09) nicht aus-einander. Richtigerweise kann es auf die Fra-ge der Sozialauswahl in diesen Zusammenhangnicht ankommen, da § 613a Abs. 4 Satz 1 BGBvor Kündigungen wegen des Betriebsübergangsschützt, nicht jedoch vor der freiwilligen Beendi-gung des Arbeitsverhältnisses durch die Unter-zeichnung eines dreiseitigen Vertrags. Der Ar-beitnehmer gibt in diesem Fall seinen gesetzli-chen Kündigungsschutz (und damit die Schutz-vorschriften bezüglich der Sozialauswahl) selbstauf (so richtig Fuhlrott, NZA 2012, 549, 552) undwäre über die Anfechtungsvorschriften bei einervorsätzlich falschen Unterrichtung ausreichendgeschützt (vgl. Pils, NZA 2013, 125, 129, derdarauf hinweist, dass das BAG nach seiner Auf-fassung zwischenzeitlich von diesem Kriteriumabgerückt ist).

III. Neben der Umgehungsthematik sind vorlie-gend auch die Ausführungen des Gerichts zurFrage der Zulässigkeit der separaten Anfech-tung der Aufhebungsvereinbarung als Teil desdreiseitigen Vertrages besonders hervorzuhe-ben. Das Gericht stellt hier unter Verweis auf diezu einem Fall der Vertragsübernahme ergange-ne Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 24.02.2011- 6 AZR 626/09, BB 2011, 1855 mit Anm. Gliewe)zunächst mit Recht fest, dass die Anfechtunggegenüber beiden Parteien erklärt werden müs-se. Ähnlich wie bei einer Vertragsübernahmebedarf der dreiseitige Vertrag als einheitlichesRechtsgeschäft letztlich der Einbindung aller

Parteien, da ein Wechsel in die BQG nur bei vor-heriger Aufhebung des anderen Arbeitsvertra-ges möglich ist. Entsprechend muss für alle Par-teien Klarheit herrschen, ob und inwieweit daseinheitliche Rechtsgeschäft Bestand haben soll.

IV. Bisher höchstrichterlich nicht entschiedenist die Frage, ob eine isolierte Anfechtung desAufhebungsvertrages möglich ist. Das Landes-arbeitsgericht verneint diese Frage zu Recht. Ei-ne isolierte Anfechtung des Aufhebungsvertra-ges scheitert an der mangelnden Teilbarkeit desdreiseitigen Vertrages als einheitliches Rechts-geschäft. Das dürfte aber weniger daran liegen,dass – wie das Landesarbeitsgericht meint – derArbeitnehmer andernfalls zwei Leistungspflich-ten in zwei Arbeitsverhältnissen ausgesetzt wä-re. Denn das Beschäftigungsverhältnis ist re-gelmäßig gerade kein reguläres Arbeitsverhält-nis mit einer entsprechenden Leistungspflicht(vgl. hierzu Meyer, NZA 2002, 578, 580, sowieNatzel, NZA 2012, 650). Maßgeblich gegen ei-ne Anfechtung spricht vielmehr, dass BQG undAufhebungsvertrag einander zwingend bedin-gen. Die finanzielle Ausstattung der Beschäfti-gungsgesellschaft und hierbei insbesondere dieFörderung durch die Agentur für Arbeit hängtdavon ab, dass die in die Beschäftigungsge-sellschaft wechselnden Arbeitnehmer zeitgleichfreiwillig aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnisausscheiden (vgl. bezüglich der Fördervoraus-setzungen § 110 SGB  III). Das Bestehen einesArbeitsvertrages mit dem ehemaligen Arbeitge-ber schließt damit einen Eintritt in die BQG aus.Im Umkehrschluss müsste eine Anfechtung desAufhebungsvertrages den Verbleib in der BQGzwingend beenden, da dann die Bedingungenfür den Eintritt in die BQG nicht mehr vorlägen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die vorliegende Entscheidung zeigt einmalmehr, dass der Einsatz einer BQG eine geord-nete und endgültige Beendigung des Arbeits-verhältnisses mit dem Veräußerer sicherstellenkann, soweit gleichzeitig die Voraussetzungeneines Risikogeschäfts vorliegen. Angesichts derimmer noch nicht abgeschlossenen Entwicklungder höchstrichterlichen Rechtsprechung ist hierjedoch Vorsicht geboten. Betroffenen Arbeitge-bern ist zu empfehlen, entsprechende Rechts-unsicherheiten bezüglich der späteren Über-nahme durch mögliche Erwerber zu dokumen-tieren und auch in seiner sonstigen Kommuni-

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kation keinerlei Einschätzungen über Übernah-mewahrscheinlichkeiten abzugeben.

Als Alternative zum Einsatz einer BQG kommtauch ein Personalabbau nach dem sog. „Erwer-berkonzept“ in Betracht. Doch auch dieser istim Hinblick auf die Darlegungslast des Arbeitge-bers bei sich ggf. anschließenden Kündigungs-schutzverfahren problematisch. Hinzu kommt,dass viele Einzelheiten weiterhin noch nichthöchstrichterlich entschieden wurden und da-her ebenfalls in der Praxis für Rechtsunsicher-heit sorgen (vgl. ausführlich Fuhlrott, BB 2013,2042).

Die Entscheidung des LArbG Frankfurt bringtim Hinblick auf die Frage der Teilanfechtbar-keit der dreiseitigen Verträge Klarheit. Sie zeigt,dass es sich in der Praxis empfehlen wird, denuntrennbaren Zusammenhang zwischen Aufhe-bungsvertrag und Eintritt in die BQG in Form ei-ner ausdrücklichen Bedingung herauszustellen,um nachfolgende mögliche Anfechtungsthema-tiken zu vermeiden.

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Grundrechtsverstoß durch überspannteAnforderungen an den Inhalt einerBerufungsbegründung

Leitsätze:

1. Zur Wahrung des Justizgewährungsan-spruches (Art. 2 Abs. 1 LV und Art. 2 Abs. 1GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprin-zip aus Art. 23 Abs. 1 LV) dürfen keine un-zumutbaren Anforderungen an den Inhaltvon Berufungsbegründungen gestellt wer-den. Die Gerichte dürfen ein von der Verfah-rensordnung eröffnetes Rechtsmittel nichtdurch eine zu enge Handhabung der Vor-schriften über dessen Begründung ineffektivmachen.

2. Im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfah-ren erhalten diese Anforderungen eine be-sondere Tragweite, weil dort der Vorsitzen-de die Entscheidung über die Zurückweisungder Berufung gemäß § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGGallein treffen kann. Kommt es für die Prü-fung der Zulässigkeit der Berufung nicht aufdie Erfüllung formaler Kriterien an, sondernstehen materielle Rechtsfragen im Vorder-grund, ist für die Verwerfung einer Berufung

nach § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG regelmäßigkein Raum.

3. Eine offensichtlich unrichtige Anwendungvon Präklusionsvorschriften kann eine Ver-letzung des Grundrechts auf rechtliches Ge-hör (Art. 2 Abs. 1 LV i.V.m. Art. 103 Abs. 1GG) darstellen. Diese ist etwa dann anzu-nehmen, wenn im arbeitsgerichtlichen Beru-fungsverfahren unabhängig von dem in § 67Abs. 2 Satz 1 ArbGG genannten Kriterium derVerzögerung zusätzliche Anforderungen fürdie Zulassung neuer Angriffs- und Verteidi-gungsmittel aufgestellt werden.

Anmerkung zu StGH Stuttgart, Urteil vom 03.11.2014, 1 VB 8/14von Priv.-Doz. Dr. Bernhard Ulrici, ULRICIRechtsanwaltsgesellschaft mbH

A. Problemstellung

Nach §  64 Abs.  6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §  520ZPO bedarf das Rechtsmittel der Berufung auchim arbeitsgerichtlichen Verfahren der Begrün-dung. Die inhaltlichen Anforderungen an die Be-rufungsbegründung ergeben sich aus einer ent-sprechenden Anwendung des § 520 Abs. 3 Satz2 ZPO. Anzugeben sind neben (Nr. 1) den Be-rufungsanträgen: (Nr.  2) die Bezeichnung derUmstände, aus denen sich die Rechtsverlet-zung und deren Erheblichkeit für die angefoch-tene Entscheidung ergibt; (Nr. 3) die Bezeich-nung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel ander Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsa-chenfeststellungen im angefochtenen Urteil be-gründen und deshalb eine erneute Feststellunggebieten; (Nr. 4) die Bezeichnung der neuen An-griffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tat-sachen, auf Grund derer die neuen Angriffs-und Verteidigungsmittel nach §  531 Abs.  2ZPO zuzulassen sind. Dabei muss nicht notwen-dig zu allen diesen Punkten und auch nichtunter jedem erdenklichen Gesichtspunkt Stel-lung genommen werden. Vielmehr ist ausrei-chend, aber auch erforderlich, dass für jedenzum Gegenstand des Berufungsverfahrens er-hobenen Streitgegenstand in Auseinanderset-zung mit dem angefochtenen Urteil zumindestunter Bezug zu einem der drei in Nr. 2 bis 4 be-nannten Gesichtspunkte aufgezeigt wird, dassund warum eine abweichende Entscheidung er-wartet wird.

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Die sich hieraus für den konkreten Einzelfallergebenden Anforderungen werden in der Ge-richtspraxis trotz einheitlich geltender Prozess-ordnungen ganz unterschiedlich gehandhabt.Erfahrene Richter berichten davon, dass im bun-desweiten Durchschnitt ca. 2%, von einzelnenLArbG-Kammern aber bis zu 30% der Berufun-gen nach §  522 Abs.  1 ZPO verworfen wer-den. Geht man lebensnah davon aus, dass dieAnfälligkeit der Berufungskläger für Form- undFristmängel zwischen den einzelnen LArbG-Be-zirken und zwischen einzelnen LArbG-Kammernnicht in größerem Ausmaß schwankt, beruhtdie beschriebene statistische Abweichung vonBerufungsverwerfungen (insbesondere im Be-schlusswege) vor allem auf einer von einzelnenLArbG-Kammern besonders strengen Handha-bung der Anforderungen an die Berufungsbe-gründung. Dabei dürfte nicht ohne Relevanz sei-en, dass nach derzeit ganz h.A. im Falle der inder Praxis den Regelfall bildenden Berufungs-verwerfung durch Beschluss eine dritte Instanznicht eröffnet ist, d.h. über die LArbG-Vorsit-zenden nur der „blaue Himmel“ wacht, soweitdie Revisionsbeschwerde nicht ausnahmsweisedurch den erkennenden Richter selbst zugelas-sen wurde (hiergegen ausführlich Ulrici, NZA2014, 1245). Es fehlt in der Folge die vereinheit-lichende und kontrollierende Wirkung der Tätig-keit des BAG.

Diesen sich aus der Verweigerung einer Nicht-zulassungsbeschwerde ergebenden Missstandversucht der StGH Baden-Württemberg mit sei-ner nachfolgend zu besprechenden Entschei-dung für einen Einzelfall zu beheben, aber auchdarüber hinaus zu verringern, indem er verfas-sungsrechtliche Vorgaben für eine Beschluss-verwerfung formuliert.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit derVerfassungsbeschwerde gegen die Verwerfungihrer Berufung durch das Landesarbeitsgericht.Sie macht einen Verstoß gegen ihre Grundrech-te auf rechtliches Gehör, auf Gewährung effek-tiven Rechtsschutzes und auf Justizgewährungsowie gegen das Willkürverbot geltend.

I. Im Ausgangsverfahren machte die Beschwer-deführerin mit ihrer Klage vom Dezember 2012ursprünglich Ansprüche auf Nachzahlung ei-

nes Familienzuschlags für den Zeitraum Januar2009 bis Dezember 2011 geltend.

1. Mit Urteil vom 30.07.2013 hat das Arbeits-gericht die Klage abgewiesen. Im Tatbestanddes Urteils wurde als unstreitig dargestellt, dassdie Beschwerdeführerin ihre Ansprüche „im De-zember 2012 (…) schriftlich geltend“ gemachthat und daraufhin eine Nachzahlung rückwir-kend für den Zeitraum ab Januar 2012 erfolgtist. In den Entscheidungsgründen ließ das Ar-beitsgericht offen, ob der Beschwerdeführerinein entsprechender Anspruch zusteht. Jeden-falls sei er aufgrund der für das Arbeitsver-hältnis der Beschwerdeführerin geltenden Aus-schlussfristen der AVR des Diakonischen Werksverfallen, weil er nicht wie dort vorgesehen in-nerhalb von zwölf Monaten ab Fälligkeit schrift-lich geltend gemacht worden sei. Im Kammer-termin sei unstreitig gewesen, dass eine form-gerechte Geltendmachung nicht erfolgt sei.

2. Gegen dieses Urteil hat die Beschwerdeführe-rin fristgerecht Berufung eingelegt und begrün-det.

a) Sie hat sich auf drei Angriffe gestützt:

(1) Der den Monat Dezember 2011 betreffendeAnspruch sei nicht verfallen, weil er erst zum15.12.2011 fällig geworden und unstreitig mitAnwaltsschreiben vom 07.12.2012, d.h. inner-halb von zwölf Monaten, schriftlich geltend ge-macht worden sei.

(2) Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass je-denfalls für die Monate Oktober und Novem-ber 2011 ein Berufen der Arbeitgeberin aufdie Ausschlussfrist gegen § 242 BGB verstieße,weil die Beschwerdeführerin im Oktober 2012 inder Personalverwaltung wegen ihrer Ansprüchenachgefragt habe und ihr daraufhin eine verse-hentliche Nichtzahlung sowie eine Nachzahlungbestätigt worden seien. Hierdurch sei die Be-schwerdeführerin treuwidrig von der Beachtungder Ausschlussfrist abgehalten worden.

(3) Die Ausschlussfrist nach den AVR finde kei-ne Anwendung, weil aufgrund der besonderenStellung der Beschwerdeführerin vorrangig zuden AVR die Bestimmungen des LBesGBW gel-ten, welche zwar eine Verjährung, aber keineAusschlussfristen kennen.

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b) Die Arbeitgeberin hat die Verwerfung derBerufung als unzulässig beantragt und daraufverwiesen, dass sich die Berufungsbegründungmit dem angefochtenen Urteil nicht im Einzel-nen auseinandersetze, sondern lediglich denerstinstanzlichen Vortrag wiederhole. Überdiessei die Berufung jedenfalls unbegründet. So-weit das Arbeitsgericht im unstreitigen Tatbe-stand eine schriftliche Geltendmachung benen-ne, nehme es nicht auf den Anwaltsschriftsatzvom 07.12.2012, sondern auf die Klageerhe-bung vom 29.12.2012 Bezug; ausgehend hier-von seien die Ansprüche – wie vom Arbeitsge-richt zutreffend erkannt – verfallen. Das Schrei-ben vom 07.12.2012 enthalte keine Geltendma-chung, weil es nicht die Aufforderung zur Zah-lung eines bestimmten Betrages enthalte. EinBerufen auf die Ausschlussfrist sei auch für dieMonate Oktober und November nicht treuwid-rig; es sei falsch, dass Zahlungen nur versehent-lich unterblieben seien, der Beschwerdeführerinstünden die Zahlungen vielmehr gar nicht zu.

c) Mit Verfügung vom 10.12.2013 hob das Lan-desarbeitsgericht den Termin zur mündlichenVerhandlung auf und wies darauf hin, dass dieBerufungsbegründung nicht den gesetzlichenAnforderungen entspreche, weil sie sich „mitdem Begründungsgebäude des Arbeitsgerichtsnicht auseinandersetze“. Das Arbeitsgericht seiausgehend von dem im Urteil dargestellten ar-beitsvertraglichen Rahmen zum Verfall der An-sprüche gelangt. Die bloße Darstellung der ei-genen Rechtsansicht sei der falsche Ansatzfür eine Berufungsbegründung. Soweit die Be-schwerdeführerin neue Angriffs- und Verteidi-gungsmittel habe vorbringen wollen, fehle esan der Darlegung, warum diese zweitinstanzlichzuzulassen seien. Hierzu nahm die Beschwer-deführerin mit Schriftsatz vom 12.12.2013 Stel-lung. Mit Beschluss vom 19.12.2013 wurdedie Berufung unter Verweis auf die Verfügungvom 10.12.2013 verworfen. Ergänzend verwiesdas Landesarbeitsgericht darauf, dass die Be-rufungsbegründung für jede einzelne der tra-genden rechtlichen Erwägungen des Arbeitsge-richts darlegen müsse, warum sie unzutreffendsei. Hieran mangele es, weil eine kritische Wür-digung der Rechtsansicht des Arbeitsgerichtsfehle.

II. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.Nach Ansicht des StGH liegen eine Verletzungdes Justizgewährungsanspruchs sowie eine Ver-

letzung des rechtlichen Gehörs vor; ein Willkür-verstoß sei dagegen nicht festzustellen.

1. Der Justizgewährungsanspruch sei ein we-sentlicher Bestandteil des Rechtsstaats. Er gel-te für die Ausgestaltung des gesamten Verfah-rens und umfasse den Zugang zu den Gerich-ten, die Prüfung des Streitbegehrens in einemförmlichen Verfahren sowie die verbindliche ge-richtliche Entscheidung. Ein Anspruch auf ei-nen Instanzenzug folge hieraus aber nicht. Wirdein Instanzenzug eröffnet, werde ein wirksamerRechtsschutz jedoch in allen Instanzen gewähr-leistet.

a) Der Justizgewährungsanspruch richte sichauch an den die Verfahrensordnungen anwen-denden Richter. Zwar sei es nicht Aufgabe desStGH, in einem Verfassungsbeschwerdeverfah-ren über die Richtigkeit der Auslegung und An-wendung des einfachen Rechts durch die Ge-richte zu befinden. Der StGH sei kein Revisi-onsgericht, sondern prüfe nur, ob die Rechts-anwendung Verfassungsrecht verletzt. Verfas-sungsrecht und nicht lediglich einfaches Pro-zessrecht werde aber verletzt, wenn ein Gerichtden Zugang zu den in den Verfahrensordnun-gen vorgesehenen Instanzen in einer aus Sach-gründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weiseerschwere. Es dürften insbesondere keine unzu-mutbaren Anforderungen an den Inhalt von Be-rufungsbegründungen gestellt werden. Das Ge-richt dürfe ein von der Verfahrensordnung er-öffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machenund für den Beschwerdeführer „leer laufen“ las-sen. Diese Anforderungen erhielten im arbeits-gerichtlichen Berufungsverfahren eine beson-dere Tragweite, weil dort der Vorsitzende dieEntscheidung über die Verwerfung der Beru-fung allein, also ohne Beteiligung der ehren-amtlichen Richter durch Beschluss treffen kann.Hinzu komme, dass gegen die Berufungsver-werfung durch Beschluss ein Rechtsmittel nurim Falle der Zulassung gegeben sei. Um derhierin angelegten Missbrauchsgefahr zu begeg-nen, bedürfe es einer Anwendung der genann-ten Vorschriften, die den Verfahrensgrundrech-ten der Rechtssuchenden in besonderer Wei-se Rechnung trägt. Bei einer Verwerfung derBerufung nach §  66 Abs.  2 Satz 2 ArbGG seizu beachten, dass die der Verfahrensbeschleu-nigung und Rechtsmittelvereinfachung dienen-de Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzen-den nach der Gesetzesbegründung darauf be-ruht, dass für eine Kammerentscheidung kein

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sachliches Bedürfnis bestehe, weil nicht materi-elle Rechtsfragen, sondern formale Kriterien imVordergrund stünden. Komme es damit für diePrüfung der Zulässigkeit der Berufung nicht aufdie Erfüllung formaler Kriterien an, sondern ste-hen – etwa bei der eine Analyse des erstinstanz-lichen Urteils erfordernden Prüfung der hinrei-chenden Auseinandersetzung mit der angegrif-fenen Entscheidung – materielle Rechtsfragenim Vordergrund, sei für eine Verwerfung nach§ 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG regelmäßig kein Raum.

b) Diese Grundsätze habe das Landesarbeitsge-richt im Rahmen seiner Verwerfung nicht aus-reichend beachtet. Nach §  520 Abs.  3 Satz2 Nr.  2 ZPO muss die Berufungsbegründungdie Umstände bezeichnen, aus denen sich dieRechtsverletzung durch das angefochtene Ur-teil und deren Erheblichkeit auf das Ergebnisder Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegrün-dung brauche für die Zulässigkeit aber wederschlüssig noch rechtlich haltbar zu sein. Erfor-derlich sei dagegen eine hinreichende Darstel-lung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfeh-lerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidungergeben soll. Der Berufungsführer habe die Be-urteilung durch den Erstrichter zu überprüfenund darauf hinzuweisen, in welchen Punktenund aus welchem Grund er das angefochteneUrteil für unrichtig hält. Es reiche nicht aus, dietatsächliche oder rechtliche Würdigung durchden Erstrichter mit formelhaften Wendungen zurügen oder lediglich auf das Vorbringen ers-ter Instanz zu verweisen. Diesen Anforderungenwerde die von der Beschwerdeführerin vorge-brachte Berufungsbegründung gerecht, was derStGH im Anschluss ausführlich unter Rückgriffauf die einschlägige Rechtsprechung des BAGund des BGH zur Auslegung von § 520 Abs. 3ZPO begründet.

2. Darüber hinaus habe das Landesarbeitsge-richt das rechtliche Gehör dadurch verletzt,dass es angenommen hat, dass für (vom Lan-desarbeitsgericht nicht näher spezifizierten)neuen Vortrag der Beschwerdeführerin nichtdargelegt worden sei, warum dieser zweitin-stanzlich zu berücksichtigen ist. Hierin liege ei-ne fehlerhafte Anwendung der Präklusionsvor-schrift des §  67 Abs.  2 ArbGG, welche – inso-weit anders als §  531 Abs.  2 ZPO – die Be-rücksichtigung von neuem zweitinstanzlichemVorbringen allein im Falle der unentschuldig-ten Verzögerung scheitern lasse, nicht dagegenan bestimmte Anforderungen binde. Dies füh-

re zur Gehörsverletzung. Präklusionsvorschrif-ten schränkten das rechtliche Gehör ein. IhreAnwendung unterliege daher einer besondersstrengen verfassungsgerichtlichen Kontrolle.

3. Zugleich werde der Justizgewährungsan-spruch durch die durch Sachgründe nicht ge-rechtfertigte Forderung nach einer Darlegungder Gründe für eine Berücksichtigung neuenVorbringens verletzt.

4. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot sei da-gegen nicht gegeben. Es fehle an einer „kras-sen Fehlentscheidung“. Das Landesarbeitsge-richt habe sich mit der Rechtslage auseinan-dergesetzt und eine – wenn auch knappe – Be-gründung für seine Annahme geliefert, warumdie Berufungsbegründung nicht den gesetzli-chen Vorgaben genüge.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung des StGH Baden-Württem-berg schafft Einzelfallgerechtigkeit und einen –soweit anhand der Entscheidung des StGH undohne vollständige Aktenkenntnis ersichtlich – indeutlichem Widerspruch zu den prozessualenVorgaben stehenden Beschluss des Landesar-beitsgerichts aus der Welt. Ihr Ergebnis (Auf-hebung des Verwerfungsbeschlusses) ist zu be-grüßen. Die Begründung vermag dagegen nichtdurchgängig zu überzeugen. Dies gilt insbeson-dere auch für den Versuch des StGH, der imArbGG „angelegten Missbrauchsgefahr“ für dieZukunft durch aus der Verfassung abgeleiteteVorgaben vorzubeugen.

I. Der StGH gründet seine Entscheidung aufdie gefestigten Formeln des BVerfG zu denVerfahrensgrundrechten (Justizgewährungsan-spruch und rechtliches Gehör). Wie das BVerfG(Urt.  v. 15.01.1958 - 1 BvR 400/51 - GRUR1958, 254, 255) verweist er hinsichtlich derenAnwendung darauf, keine (Super-)Revisionsin-stanz zu sein und daher nur Verfassungsverstö-ße und keine Verstöße gegen einfaches (Pro-zess-)Recht festzustellen. Allerdings zeigt derStGH nicht auf, wie er das eine vom anderentrennt. Die Verletzung des Justizgewährungs-anspruchs begründet er jedenfalls durchgängigund sehr detailreich unter Bezug auf die Recht-sprechung des BAG und des BGH damit, dassdas Landesarbeitsgericht §  520 Abs.  3 Satz 2ZPO unrichtig angewandt habe. Zu einem Ein-schreiten veranlasst sah sich der StGH trotz der

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Formel, er sei keine (Super-)Revisionsinstanz,letztlich wohl dadurch, dass das Landesarbeits-gericht durch (nach ganz h.A.) unanfechtbaren,sachlich aber falschen Beschluss entschiedenhatte und ein entsprechendes Vorgehen der be-treffenden Kammer des Landesarbeitsgerichtswohl alles andere als ein Einzelfall ist (die Be-schwerdeführerin verwies auf eine um das Acht-fache erhöhte Verwerfungspraxis der betreffen-den Kammer). Zur Beseitigung von grobem undüber den Einzelfall hinausreichendem Unrechtist der StGH letztlich doch (Super-)Revisionsin-stanz; auch dies liegt durchaus auf der Linie desBVerfG (vgl. die Selbsteinschätzungen von Ben-da und Limbach in: Bogs, Urteilsverfassungs-beschwerde zum BVerfG, 1999, S. 127  f. undS. 132 ff.).

II. Bei seinen Erwägungen trennt der StGH nichtausreichend den Gegenstand des angegriffenenVerwerfungsbeschlusses von der hierdurch aus-geschlossenen (Sach-)Entscheidung über dieBerufung.

1. Dies zeigt sich erstens in der Annahme ei-ner Gehörsverletzung durch fehlerhafte Anwen-dung einer Präklusionsvorschrift. Entgegen derAnnahme des StGH hat das Landesarbeitsge-richt keine Präklusionsvorschrift (fehlerhaft) an-gewandt. Es hat vielmehr lediglich formal ge-prüft, ob eine zweitinstanzliche Entscheidung,in deren Rahmen Präklusionsvorschriften dannangewendet werden könnten bzw. müssten, er-öffnet ist. Hierbei hatte das Landesarbeitsge-richt vorliegend verkannt, dass § 520 Abs. 3 ZPOüber § 64 Abs. 6 ArbGG nur entsprechende An-wendung findet und daher nicht unmodifiziertauf § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO verweist, weil der§  531 Abs.  2 ZPO verdrängende §  67 Abs.  2,3 ArbGG die Berücksichtigung neuer Angriffs-und Verteidigungsmittel nicht an das Vorliegenbereits in der Berufungsbegründung darstellba-rer Gründe bindet; inwieweit die Berücksichti-gung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittelzur dies ausschließenden Verzögerung führt, istim Zeitpunkt der Berufungsbegründung nichtabsehbar (vgl. §  67 Abs.  4 ArbGG; Klose in:Beck OK ArbR, Ed. 33, §  66 ArbGG Rn.  11;Germelmann in: Germelmann/Matthes/Prütting,ArbGG, 8. Aufl. 2013, § 64 Rn. 82).

2. Vor allem zeigt sich die unzureichende Tren-nung zwischen dem Gegenstand der Berufungs-verwerfung und der hierdurch verschlossenenSachentscheidung über den Gegenstand der

Berufung aber in den vom StGH postuliertenLeitlinien zur Ausübung des gerichtlichen Er-messens bei der Wahl zwischen der Verwer-fung durch Urteil oder durch Beschluss. Der Hin-weis des StGH, dass eine Beschlussverwerfungallein durch den Vorsitzenden regelmäßig aus-scheide, wenn nicht nur formelle, sondern auchmateriell-rechtliche Fragen zu behandeln sind,führt in die Irre. Die Prüfung, ob eine Beru-fungsbegründung den Anforderungen des § 520Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO entspricht, bezieht sichstets ausschließlich auf formelle und entgegender Annahme des StGH auch nicht ansatzwei-se auf materiell-rechtliche Gesichtspunkte (vgl.BAG, Beschl. v. 25.10.1979 - 5 AZB 43/79 - APNr. 1 zu § 77 ArbGG 1979). Es ist – wie der StGHin anderem Zusammenhang zutreffend darstellt– gerade nicht zu prüfen, ob die Berufungsbe-gründung schlüssig oder rechtlich überzeugendist. Vielmehr ist allein zu klären, ob sich der Be-rufungskläger mit der Entscheidung des Erstge-richts hinreichend auseinandergesetzt hat. Diesist eine rein formelle, prozessrechtliche Frageund keine des materiellen Rechts. Es erscheintdaher – entgegen der Annahme des StGH – auchkaum ermessensfehlerhaft, wenn ein Vorsitzen-der die ehrenamtlichen Richter an der entspre-chenden Prüfung nicht beteiligt. Sind die ehren-amtlichen Richter nicht ausnahmsweise selbstjuristisch gebildet, ist gegen die Erwartung, siekönnten zur richtigen Auslegung und Anwen-dung des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO kaum etwasbeitragen, wenig zu erinnern.

D. Auswirkungen für die Praxis

I. Trotz „Happy End“ für die Beschwerdeführerinruft die Entscheidung des StGH in Erinnerung,dass Berufungsbegründungen nicht leichtfertigunter Wiederholung des erstinstanzlichen Vor-trags gefertigt werden dürfen. Das Erforderniseiner nicht von einem juristischen Laien stam-menden Berufungsbegründung soll das Beru-fungsverfahren strukturieren und zugleich ei-ne unnötige Belastung der Gerichte durch aus-sichtslose Berufungen vermeiden. Wenn es ei-nem Berufungskläger trotz ausreichender An-strengungen nicht gelingt, eine den Anforderun-gen des §  520 Abs.  3 Satz 2 ZPO genügendeBerufungsbegründung zu fertigen, dann ist diesein sicheres Indiz dafür, dass das angefochteneUrteil auch nach nochmaliger Prüfung Bestandhaben wird, d.h. eine zweitinstanzliche Prüfungvon Anfang an nicht gerechtfertigt ist.

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II. Zugleich sensibilisiert die Entscheidung fürdas über rund 35 Jahre kaum beachtete Pro-blem, welches sich aus der ganz h.A. ergibt,dass gegen berufungsverwerfende Beschlüsseeine Nichtzulassungsbeschwerde nicht eröffnetsein soll: Da die Beschlussverwerfung durchden Vorsitzenden ohne Zulassung der Rechts-beschwerde im Falle der (vermeintlich) unzu-reichenden Berufungsbegründung den prakti-schen Regelfall bildet, fehlen für den von denVorsitzenden der Landesarbeitsgerichte anzule-genden Maßstab vielfach die Kontrolle (StGH:„Missbrauchsgefahr“) und die Vereinheitlichungdurch das BAG.

1. Mindern lässt sich dieser Missstand eben-so wie die durch Verweigerung der Nichtzu-lassungsbeschwerde ausgelöste Verletzung desArt.  3 Abs.  1 GG (vgl. dazu Ulrici, NZA 2014,1245, 1249 f.) zunächst dadurch, dass der Ge-setzgeber klarstellt, dass berufungsverwerfen-de Beschlüsse der Nichtzulassungsbeschwerdeunterliegen. Ebenso denkbar wäre, dass das zu-letzt auch vom BGH (Beschl.  v. 18.09.2014 -V ZR 290/13 - NJW 2014, 3583) betonte Prin-zip des zwischen Beschluss- und Urteilsverwer-fung gleichlaufenden Instanzenzugangs wie inder ZPO durch Eröffnung der Rechtsbeschwer-de unter den Voraussetzungen des § 574 Abs. 1ZPO gewährleistet wird. Allerdings – dies darfnicht übersehen werden – geben beide Wege imHinblick auf die vorrangig an Allgemeininteres-sen orientierten Zulassungsgründe (§ 72 Abs. 2ArbGG und § 574 Abs. 2 ZPO) nur ein stump-fes Schwert gegen die am Einzelfall orientier-ten Verwerfungen wegen unzureichender Beru-fungsbegründung.

2. Zu kurz greift dagegen der schon aus anderenGründen kritisierte Ansatz des StGH, welcherdas Ermessen des Gerichts bei der Wahl zwi-schen Beschluss- und Urteilsverwerfung anhandsachlicher Vorgaben (formelle oder materiellePrüfung) steuern will. Hierdurch ließe sich zwarggf. eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßendeUngleichbehandlung zwischen beiden Formender Verwerfung beseitigen. Unverändert wür-de aber keine Kontrolle und Vereinheitlichungder Auslegung des Prozessrechts durch das BAGin Ansehung der vom StGH formulierten Er-messensleitlinien stattfinden; der beschriebe-ne Missstand würde verringert und verlagert.Es würde aber nicht ausgeschlossen, dass Ver-fassungsgerichte erneut als (Super-)Revisions-

instanz angerufen würden, um eine missbräuch-liche, in der Fachgerichtsbarkeit unter Zugrun-delegung der h.A. von der Unanfechtbarkeit vonBeschlussverwerfungen aber nicht überprüfba-re Ermessensausübung zu korrigieren.

III. Wie kürzlich aufgezeigt wurde (Ulrici, NZA2014, 1245), spricht viel dafür, dass unabhän-gig von einer hoffentlich erfolgenden Klarstel-lung durch den Gesetzgeber bereits gegenwär-tig die Nichtzulassungsbeschwerde gegen beru-fungsverwerfende Beschlüsse statthaft ist. Hier-für spricht nicht zuletzt, dass hierdurch die Ver-fassungsgerichte von der Tätigkeit einer (Su-per-)Revisionsinstanz entlastet und überdies ei-ne bundeseinheitliche Handhabung der Anfor-derungen an eine Berufungsbegründung geför-dert werden. Andererseits darf nicht verschwie-gen werden, dass der Gang mit einer Nicht-zulassungsbeschwerde nach Erfurt, welcher al-lein aufgrund eines einzelnen Aufsatzes nochnicht zur Erschöpfung des Rechtswegs gehört,derzeit im Widerspruch zur ganz h.A. und ge-festigten Rechtsprechung steht. Er ist derzeitmit entsprechend großen Risiken und geringenChancen behaftet. Hinzu kommt, dass ein Gangnach Karlsruhe und/oder zu einem der Landes-verfassungsgerichte regelmäßig kostengünsti-ger ist. Schließlich erweist sich eine Verfas-sungsbeschwerde, hat man das angerufene Ge-richt erst mal dafür gewonnen, als (Super-)Revi-sionsinstanz tätig zu werden, als deutlich effek-tiver, weil sie eine inhaltliche Kontrolle der Ver-werfungsentscheidung selbst umfasst und an-ders als die Nichtzulassungsbeschwerde nichtlediglich auf die Feststellung des Vorliegens vonZulassungsgründen ausgerichtet ist.

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Kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher beimehr als vorübergehender Überlassungmit Erlaubnis

Orientierungssatz:

Ein Verstoß gegen das ab dem 01.12.2011geltende Verbot der nicht nur vorüber-gehenden Arbeitnehmerüberlassung in §  1Abs.  1 Satz 2 AÜG führt nicht gemäß §  10Abs. 1 Satz 1 AÜG zum Zustandekommen ei-nes Arbeitsverhältnisses zwischen dem Ent-leiher und dem Leiharbeitnehmer, wenn derVerleiher die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG er-forderliche Erlaubnis hat, seine Arbeitneh-

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mer Dritten zur Arbeitsleistung zu überlas-sen.

Anmerkung zu BAG, Urteil vom  03.06.2014,9 AZR 111/13von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA undFA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP,Frankfurt am Main

A. Problemstellung

Was passiert, wenn Arbeitnehmer länger als„vorübergehend“ – und damit unter Verstoß ge-gen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG – mit Erlaubnis über-lassen werden? Das AÜG beantwortet diese Fra-ge nicht, und seit der AÜG-Reform war die Ant-wort umstritten. Ende 2013 hat der Neunte Se-nat in einem Grundsatzurteil festgestellt, dassbei mehr als vorübergehender Überlassung mitErlaubnis kein Arbeitsverhältnis mit dem Entlei-her zustande kommt (BAG, Urt. v. 10.12.2013- 9 AZR 51/13). Im vorliegenden Verfahren hatder Senat das noch einmal bestätigt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin ist bei einem Personaldienstleis-tungsunternehmen als Krankenschwester ange-stellt. Der Personaldienstleister verfügt über ei-ne unbefristet erteilte Erlaubnis zur Arbeitneh-merüberlassung. Seit Beginn des Arbeitsver-hältnisses ist die Klägerin in einem Kranken-haus, das die Beklagte betreibt, als Leiharbeit-nehmerin tätig. Beide Unternehmen gehörendemselben Konzern an.

Die Klägerin vertritt die Auffassung und be-gehrte entsprechende gerichtliche Feststellung,dass zwischen ihr und der Beklagten ein Arbeits-verhältnis besteht. Ihr Einsatz bei der Beklagtensei nicht vorübergehend i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2AÜG. Die Beklagte nutze Arbeitnehmerüberlas-sung rechtsmissbräuchlich, um dauerhaften Ar-beitskräftebedarf zu – aus ihrer Sicht – günsti-gen Bedingungen zu decken. Der durch die Leih-arbeitsrichtlinie bezweckte Mindestschutz wer-de verfehlt.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht habendie Klage abgewiesen (LArbG Berlin-Branden-burg, Urt. v. 16.10.2012 - 7 Sa 1182/12; Zim-mermann, jurisPR-ArbR 6/2013 Anm. 2). Ein Ar-beitsverhältnis sei nicht nach § 10 Abs. 1 Satz1 AÜG i.V.m. §  9 Nr.  1 AÜG zustande gekom-

men, weil das Personaldienstleistungsunterneh-men über die erforderliche Erlaubnis verfügt ha-be. Eine analoge Anwendung der Regelungenscheide aus. Ein Arbeitsverhältnis ergebe sichauch nicht aus einer richtlinienkonformen Aus-legung der §§  1 Abs.  2, 10 Abs.  1, 9 Nr.  1AÜG, weil die Mitgliedstaaten nach der Leih-arbeitsrichtlinie Sanktionen vorsehen müssten,die „wirksam, angemessen und abschreckend“seien. Das Gebot der richtlinienkonformen Aus-legung gelte nur innerhalb der Grenzen richterli-cher Gesetzesauslegung. Der Gesetzeswortlautstehe aber einer Auslegung entgegen, dass beinicht vorübergehender Überlassung ein Arbeits-verhältnis mit dem Entleiher begründet werde.

Im Revisionsverfahren wies die Klägerin ergän-zend darauf hin, dass die Große Koalition ei-ne Gesetzesänderung beabsichtige, wonach beiÜberschreitung einer Überlassungshöchstdauervon 18 Monaten ein Arbeitsverhältnis zum Ent-leiher entstehe. Bis zur Umsetzung des Vorha-bens bleibe es der Rechtsprechung überlassen,eine Sanktionierung der verbotenen Dauerüber-lassung unter Einbeziehung dieser Planungenund unter Zugrundelegung der Leiharbeitsricht-linie vorzunehmen.

Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.Sehr knapp verweist der Senat auf sein Grund-satzurteil vom 10.12.2013. Dort sei eingehendbegründet, warum weder in direkter noch in ent-sprechender Anwendung des § 10 Abs. 1 Satz1 AÜG bei mehr als vorübergehender Überlas-sung kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher ent-stehe und warum auch die Leiharbeitsrichtli-nie kein anderes Ergebnis vorgebe. Der Hinweisder Klägerin auf den Koalitionsvertrag gehefehl. Absichtserklärungen in einem Koalitions-vertrag berechtigten Gerichte nicht, das gelten-de Recht außer Acht zu lassen. Im Übrigen seiim Koalitionsvertrag nicht vereinbart, dass einenicht mehr vorübergehende Überlassung zu ei-nem Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher führtund damit bei der Rechtsfolge einer Überlas-sung ohne Erlaubnis gleichgestellt werden soll.Nur bei „verdeckter” Überlassung durch Schein-werk- und -dienstverträge solle laut Koalitions-vertrag gesetzlich geregelt werden, dass über§  10 Abs.  1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnismit dem vermeintlichen Werkbesteller/Dienst-berechtigten zustande kommt.

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C. Kontext der Entscheidung

Das BAG bestätigt sein Grundsatzurteil vom10.12.2013 (BAG, Urt.  v. 10.12.2013 - 9 AZR51/13). Bei dauerhafter Überlassung mit Erlaub-nis kommt kein Arbeitsverhältnis zwischen Ent-leiher und Leiharbeitnehmer zustande. Die Ent-scheidung ist richtig. Selbst wenn man Rechts-missbrauch, eine symbiotische Arbeitnehmer-überlassung, erblicken möchte: Rechtsmiss-brauch führt zu keinem Vertragsschluss. An ei-ner gesetzlichen Grundlage für die Entstehungeines Arbeitsverhältnisses fehlt es aber de le-ge lata. Da die Fiktion eines Arbeitsverhältnis-ses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher zueinem Eingriff in die Vertragsfreiheit und Be-rufsfreiheit des Entleihers führt (Art.  2 Abs.  1GG, Art.  12 Abs.  1 GG), ist eine hinreichendbestimmte gesetzliche Grundlage erforderlich.Nur eine solche Grundlage kann den Eingriff le-gitimieren.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Koalitionsvertrag lässt offen, ob eine Über-schreitung der Höchstdauer zivilrechtliche Fol-gen hat. Darauf weist der Senat in den Ent-scheidungsgründen zutreffend hin. Vor Ende2015 ist wohl nicht mit Inkrafttreten einer neu-en Regelung zu rechnen. Bis zur Umsetzung ei-nes solchen Vorhabens ist die Entstehung einesArbeitsverhältnisses zum Entleiher bei mehrals vorübergehender Überlassung mit Erlaubnisausgeschlossen und zwar auch bei rein konzern-interner Arbeitnehmerüberlassung.

Gewisse Unsicherheit in der Praxis schafft der-zeit ein neuer Weg, den jüngst die Vierte Kam-mer des LArbG Stuttgart gegangen ist: Sie istder Auffassung, dass im Falle eines Schein-werkvertrages trotz bestehender Überlassungs-erlaubnis ein Arbeitsverhältnis zwischen Leih-arbeitnehmer und Entleiher zustande kommt(LArbG Stuttgart, Urt.  v. 03.12.2014 - 4 Sa41/14). Es stelle widersprüchliches Verhaltendar, wenn sich Drittfirma und Einsatzunter-nehmen auf die Überlassungserlaubnis beru-fen, obwohl sie ausdrücklich einen Werkvertraggeschlossen und nicht „offen“ Arbeitnehmer-überlassung vereinbart haben. Die Unterneh-men hätten ihre Vertragsbeziehung selbst alsWerkvertrag eingeordnet und das AÜG geradenicht angewandt. Dann könnten sie sich nunauch nicht auf die Erlaubnis berufen. Die Drit-te Kammer desselben Gerichts hat gerade erst

anders entschieden (LArbG Stuttgart, Urt.  v.18.12.2014 - 3 Sa 33/14). Bislang liegt die Ent-scheidung der Vierten Kammer nur als Presse-mitteilung vor. Die Revision ist zugelassen.

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Unzulässige Beeinflussung einerBetriebsratswahl durch Verwendungeines Gewerkschaftslogos aufWahlunterlagen

Orientierungssätze zur Anmerkung:

1. Werden auf einem Wahlausschreiben zurBetriebsratswahl (ähnlich wie bei einemBriefkopf) Name und Logo einer Gewerk-schaft angebracht, ist darin eine unzulässi-ge Wahlbeeinflussung zu sehen, welche zurAnfechtbarkeit führt.

2. Eine Beeinflussung des Wahlergebnis-ses kann in einem solchen Fall regelmäßigschon deshalb nicht ausgeschlossen wer-den, weil infolge der Gestaltung des Wahl-ausschreibens einzelne Kandidaturen unter-blieben sein könnten.

3. Werden Name und Logo einer Gewerk-schaft auf anderen Wahlunterlagen ange-bracht, verstößt der Wahlvorstand hier-durch ebenfalls gegen seine Neutralitäts-pflicht.

Anmerkung zu ArbG Frankfurt (Oder), Beschlussvom  26.06.2014, 6 BV 11/14von Dr. Till Sachadae, Akademischer Assistent,Universität Leipzig

A. Problemstellung

Die Wahl des Betriebsrats ist an demokrati-schen Grundsätzen ausgerichtet. Als Leiter die-ser Wahl ist der Wahlvorstand verpflichtet, eineneutrale Rechtsposition einzunehmen und alleVorschlagslisten gleichrangig zu behandeln. Dievorliegende Entscheidung befasst sich mit derFrage, ob diese Verpflichtung verletzt ist, wennder Wahlvorstand auf diversen WahlunterlagenLogo und Namen einer Gewerkschaft anbringt.

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B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In einem Betrieb mit über 670 Arbeitnehmernwurde eine Betriebsratswahl durchgeführt. Beidieser erließ der Wahlvorstand ein Wahlaus-schreiben, auf dessen Vorder- und Rückseiteder Name und das Logo einer Gewerkschaft an-gebracht waren. Daneben fand sich auf demWahlausschreiben ein vom DGB publizierterSlogan zur Beteiligung an Betriebsratswahlen.Auf der zwei Wochen später erfolgten Bekannt-machung der gültigen Wahlvorschläge warenebenfalls Gewerkschaftsname, Logo und derSlogan in gleicher Weise angebracht worden.Ferner enthielt das Anschreiben des Wahlvor-stands, mit dem er die Briefwahlunterlagen ver-sandte, ebenfalls eine derartige Gestaltung mitGewerkschaftsnamen, Logo und Slogan. Rundacht Tage vor Durchführung der Betriebsrats-wahl tauschte der Wahlvorstand das Wahlaus-schreiben und die Bekanntmachung der gülti-gen Vorschlagslisten gegen inhaltlich gleichlau-tende Schreiben aus, auf denen die gewerk-schaftsbezogenen Angaben nicht angebrachtwaren. Mehrere Wahlberechtigte gingen gleich-wohl von einer unzulässigen Wahlbeeinflussungaus und machten formell ordnungsgemäß dieUnwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend.

Das ArbG Frankfurt (Oder) lehnte eine Nichtig-keit der Wahl ab, gab jedoch dem Anfechtungs-antrag statt. Mit der Anbringung des Gewerk-schaftslogos auf dem Wahlausschreiben undden weiteren Unterlagen habe der Wahlvor-stand gegen wesentliche Vorschriften über dasWahlrecht und das Wahlverfahren verstoßen.Aus dem ungeschriebenen Grundsatz der Chan-cengleichheit der Wahlbewerber – der für jededemokratische Wahl Geltung beanspruche – fol-ge, dass jeder Wahlbewerber die gleichen Mög-lichkeiten im Wahlkampf und im Wahlverfah-ren und damit die gleichen Chancen im Wett-bewerb um die Wählerstimmen haben müsse.Dies bedinge, dass der Wahlvorstand als fürdie Einleitung und Durchführung der Betriebs-ratswahl verantwortliches Organ bei der Aus-übung seines Amtes alles zu unterlassen ha-be, was den Ausgang der Wahl und Chancen(möglicher) Bewerber im Wettbewerb um Wäh-lerstimmen im Verhältnis zu den Chancen an-derer beeinflussen könnte. Den Wahlvorstandtreffe daher eine Neutralitätspflicht. Wegen die-ser habe der Wahlvorstand bei der Ausübungseines Amtes insbesondere auch jede Form vonSympathiebekundungen für einzelne Bewerber

oder Vorschlagslisten bzw. diese unterstützen-de Gewerkschaften zu unterlassen. Gegen die-se Verpflichtung habe der Wahlvorstand durchdie Anbringung von Gewerkschaftsnamen und-logo auf den Wahlunterlagen verstoßen, weilhierdurch die Wahl unzulässig beeinflusst wor-den und damit ein zur Anfechtung berechtigen-der Wahlfehler gegeben sei.

Dabei stehe die Neutralitätspflicht auch nichtim Widerspruch zur Garantie der koalitionsmä-ßigen Betätigung aus Art.  9 Abs.  3 GG. Zwarwerde hiervon auch die Wahlwerbung durchBeschäftigte oder durch die im Betrieb vertre-tenen Gewerkschaften erfasst. Jedoch erfahredie grundsätzliche Zulässigkeit der koalitions-fördernden Betätigung im Vorfeld von Betriebs-ratswahlen aus den Grundsätzen des Wahl-rechts und der dargestellten NeutralitätspflichtEinschränkungen für solche Beschäftigte, diedas Amt des Wahlvorstands ausüben. Hier gel-te es, die Koalitionsfreiheit in Einklang mit denGrundsätzen demokratischer Wahlen zu brin-gen, was im Ergebnis dazu führe, dass die allge-meine Zulässigkeit von Gewerkschaftswerbungin Bezug auf den Wahlvorstand insoweit be-schränkt sei, als sie dem Grundsatz der Chan-cengleichheit der Wahlbewerber widerspräche.

Der in der Gestaltung der Wahlunterlagen lie-gende Wahlfehler sei auch nicht durch den Aus-tausch der Wahlausschreiben und der Bekannt-machung der Vorschlagslisten geheilt worden,weil es sich insoweit nicht um eine Berichtigungi.S.d. § 19 Abs. 2 BetrVG handele. Der erst kurzvor dem Wahltermin erfolgte Neuaushang oh-ne förmlichen Neuerlass und die Setzung einerNachfrist zur Einreichung von Wahlvorschlägengenüge hierfür schon deshalb nicht, weil da-durch möglichen nachteiligen Folgen des Feh-lers nicht hinreichend entgegengewirkt werde.

Schließlich könne eine Beeinflussung des Wahl-ergebnisses schon deshalb nicht ausgeschlos-sen werden, weil infolge der Gestaltung desWahlausschreibens einzelne Kandidaturen un-terblieben sein könnten. Bei flüchtiger Lektü-re des Wahlausschreibens durch einen durch-schnittlichen Leser habe der Eindruck entstehenkönnen, die Information stamme von der Ge-werkschaft. Hierdurch habe für – in der Betriebs-verfassung unerfahrene – Mitarbeiter alleindurch die Gestaltung des Schreibens die Fehl-vorstellung entstehen können, die Beteiligungan der Wahl oder die Betätigung im Betriebs-

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rat setze eine Gewerkschaftsmitgliedschaft vor-aus. Ein solcher Geschehensablauf erscheineals nicht so fernliegend, dass mit hinreichenderSicherheit ausgeschlossen werden könne, dassbei neutraler Gestaltung des Wahlausschrei-bens keine weitere erfolgversprechende Kandi-datur erfolgt wäre.

C. Kontext der Entscheidung

Das Bestehen einer Neutralitätspflicht ist imHinblick auf Wahlvorstände in Rechtsprechungund Literatur bisher kaum thematisiert worden.Vielmehr bezogen sich entsprechende Diskus-sionen in erster Linie auf den Arbeitgeber. FürLetzteren wird eine Neutralitätspflicht überwie-gend bejaht, wobei jedoch deren dogmatischeHerleitung im Einzelnen umstritten ist (BAG, Be-schl. v. 04.12.1986 - 6 ABR 48/85 Rn. 21 und 30;Homburg in: Däubler u.a. (Hrsg.), BetrVG, § 20Rn. 1 und 4; Maschmann, BB 2010, 245, 250).Im Kern wird die Neutralitätspflicht primär damitbegründet, dass zugunsten oder zulasten ein-zelner Vorschlagslisten wirkende Handlungendes Arbeitgebers (z.B. durch finanzielle Unter-stützung einer Wahlzeitung) die freie Entschei-dung der Wähler und damit auch die Erfolgs-aussichten der einzelnen Wahlbewerber beein-flussen könnten. Daher habe sich der Arbeitge-ber derartiger Einflussnahmen zu enthalten undstattdessen, sowohl hinsichtlich der Betriebs-ratswahl an sich als auch hinsichtlich der einzel-nen Kandidaten bzw. Vorschlagslisten Neutrali-tät zu wahren (vgl. Homburg, in: Däubler u.a.,BetrVG, § 20 Rn. 1; Maschmann, BB 2010, 245,250).

Eine solche Neutralität ist fraglos auch im Hin-blick auf Wahlvorstände geboten. Schließlichobliegt diesen die Leitung und Durchführungder Wahl. Diese Funktion ist mit besonderer Ver-antwortung verbunden, weil der Wahlvorstandessentielle Entscheidungen zu treffen hat undzugleich – insbesondere im Rahmen der Stimm-auszählung – theoretisch Zugriff auf eine Reihesensibler Informationen hat, die teilweise sogarvom Wahlgeheimnis umfasst sind. Dadurch istbei der Wahl ein besonderes (Vorschuss-)Ver-trauen in die Integrität des Wahlvorstands erfor-derlich.

Verhält sich jedoch ein einzelnes Wahlvor-standsmitglied oder gar der gesamte Wahl-vorstand nicht neutral, sondern zeigt sich zu-gunsten bestimmter Wahlbewerber bzw. Vor-

schlagslisten parteiisch, kann dieses Vertrauenin die Rechtschaffenheit der Wahlleitung Scha-den erleiden und Wähler von der Stimmabga-be abhalten. Darüber hinaus befindet sich derWahlvorstand durch seine wahlleitende Funk-tion in der Lage in besonderer Weise auf dasAbstimmungsverhalten der Wähler Einfluss zunehmen, weil etwaige „offizielle“ Aushängedes Wahlvorstands am Schwarzen Brett einenanderen Stellenwert haben als von „bloßen“Wahlbewerbern verteilte Informationsmateria-lien (LArbG Nürnberg, Beschl.  v. 20.09.2011 -6 TaBV 9/11 Rn.  109). Deshalb ist von einemWahlvorstand insoweit ein besonderes Maß anZurückhaltung und Neutralität an den Tag zu le-gen und von ihm zu verlangen, dass er sich jeg-licher Bevorteilung oder Benachteiligung ein-zelner Wahlbewerber bzw. Vorschlagslisten ent-hält.

Trotz dieser Gesichtspunkte erscheint es nichtgeboten, eine in den Wahlvorschriften nicht ex-plizit angelegte „Neutralitätspflicht des Wahl-vorstands“ zu statuieren, um mit deren Verlet-zung die Anfechtbarkeit der Wahl zu begrün-den. Bevorzugt oder benachteiligt ein Wahlvor-stand durch eine Handlung eine der Vorschlags-listen bzw. einzelne Wahlbewerber, ist darinnämlich regelmäßig bereits ein Verstoß gegenden Grundsatz der Chancengleichheit zu sehen(vgl. BAG, Beschl. v. 06.12.2000 - 7 ABR 34/99Rn. 29). Dieser ist Teil des auch für die Betriebs-ratswahl geltenden Grundsatzes der Gleichheitder Wahl (vgl. Fitting, BetrVG, § 14 Rn. 18, undKlein in: Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 118) undführt bei Verletzung ebenfalls zur Anfechtbar-keit, sofern sich der Fehler auf das Ergebnis aus-gewirkt haben kann (BAG, Beschl. v. 06.12.2000- 7 ABR 34/99 Rn.  30). Da der Wahlvorstandals wahlleitendes Organ auch der Einhaltungder Wahlgrundsätze verpflichtet ist, besteht mitder Pflicht zur Wahrung des Grundsatzes derChancengleichheit bereits ein hinreichendes In-strument, um die Neutralität des Wahlvorstandszu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund istdie Statuierung einer „eigenständigen Neutra-litätspflicht“ nicht notwendig. Vielmehr erweistsich diese bei näherer Betrachtung als Pendantdes Grundsatzes der Chancengleichheit (bezo-gen auf die Neutralitätspflicht des Arbeitgebersebenso: Maschmann, BB 2010, 245, 250). Die inder Entscheidung selbst aus dem Grundsatz derChancengleichheit herausgearbeitete Neutrali-tätspflicht stellt insoweit also kein Novum dar,sondern liefert nur eine andere Umschreibung

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für ohnehin vom Wahlvorstand zu beachtendePflichten.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung führt zwar nicht zu einerVerschärfung der an die Arbeit des Wahlvor-stands zu stellenden Anforderungen, weil sichdie herausgearbeitete „Neutralitätspflicht“ oh-nehin schon aus den vom Wahlvorstand einzu-haltenden Wahlgrundsätzen ergab. Jedoch un-terstreicht der Beschluss welche zentrale Be-deutung demokratische Grundprinzipien auchbei der Betriebsratswahl besitzen und verdeut-licht, wie wichtig es ist, als Wahlvorstand ei-ne neutrale Position einzunehmen. Dies gilt ins-besondere dann, wenn einzelne Wahlvorstands-mitglieder – was zulässig ist – zugleich als Wahl-bewerber kandidieren. Letzterenfalls gilt es fürdie betroffenen Personen ihr Wahlvorstandsamteinerseits und ihre Aktivitäten als Wahlbewer-ber andererseits strikt voneinander zu trennen.Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Wirk-samkeit der eigentlich von den Wahlvorstands-mitgliedern zu fördernden Betriebsratswahl ge-fährdet wird.

5

Ablösungsprinzip beiBetriebsvereinbarungen

Orientierungssätze zur Anmerkung:

1. Für Betriebsvereinbarungen gilt das Ab-lösungsprinzip. Dieses gilt auch dann, wenndie ältere Betriebsvereinbarung für die Ar-beitnehmer günstiger war. Das Ablösungs-prinzip ermöglicht nicht jede Änderung.Wenn in bereits bestehende Besitzständeder Arbeitnehmer eingegriffen wird, sind dieGrundsätze der Verhältnismäßigkeit und desVertrauensschutzes zu beachten.

2. Der Inhalt von Betriebsvereinbarungenkann von den Gerichten nicht auf seineZweckmäßigkeit überprüft werden. Auch ei-ne ablösende Betriebsvereinbarung unter-liegt nur einer Rechtskontrolle nach Maßga-be höherrangigen Rechts.

3. Gesundheitliche Einschränkungen einzel-ner Arbeitnehmer, die den Betriebspart-nern regelmäßig unbekannt sind, müssenbeim Abschluss einer für eine gesamte Be-

legschaft geltenden Betriebsvereinbarungnicht berücksichtigt werden.

4. Es steht im Ermessen des Betriebs-rats, zur Erhaltung von Arbeitsplätzen in ei-nem Bereich verschlechterte Arbeitsbedin-gungen in einem anderen Bereich zu akzep-tieren.

Anmerkung zu LArbG Kiel, Urteil vom 24.09.2014, 6 Sa 93/14von Marc-Oliver Schulze, RA und FA für Arbeits-recht, AfA Rechtsanwälte, Nürnberg

A. Problemstellung

1. Steht es im Ermessen der Betriebsparteien,durch eine neue Betriebsvereinbarung Arbeits-bedingungen der Arbeitnehmer zu verschlech-tern, ohne dass es dabei auf Zweckmäßigkeits-erwägungen ankommt?

2. Müssen mögliche gesundheitliche Belastun-gen einzelner Arbeitnehmer außerhalb der Vor-schriften des Arbeitsschutzes beim Abschlusseiner Betriebsvereinbarung berücksichtigt wer-den?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Ein Produktionsmitarbeiter streitet mit seinemArbeitgeber darüber, ob auf sein Arbeitsverhält-nis weiterhin eine Betriebsvereinbarung zur Ar-beitszeit aus dem Jahre 2002 oder eine dieseablösende Betriebsvereinbarung aus dem Jahr2013 anzuwenden ist. Im Betrieb werden 950Arbeitnehmer beschäftigt, 700 davon in der Pro-duktion. Es ist ein dreizehnköpfiger Betriebsratgebildet. In fünf Hallen (Hallen 6, 7, 8, 26 und61) werden Bremsbeläge produziert, der Klägerarbeitet ausschließlich in der Halle 26.

Bis Mai 2013 wurde in der Halle 26 aufGrundlage einer Betriebsvereinbarung aus demJahr 2002 in einem Vollkonti-Schichtmodell imRhythmus 6/4 gearbeitet. Im Rahmen eines Eini-gungsstellenverfahrens schlossen die Betriebs-parteien im Jahr 2013 eine neue Betriebsver-einbarung zur Arbeitszeit ab, nach der ab Mai2013 im Rhythmus 6/3 gearbeitet wird. Dasneue Schichtsystem wurde zunächst in allenBereichen und Hallen eingeführt. Nach kurzerZeit wurde, mit Ausnahme der Halle 26, wie-der zum System 6/4 zurückgekehrt. Die tarifli-

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che Arbeitszeit wurde durch die Arbeit im 6/3-Rhythmus nicht überschritten, gleichwohl ver-schlechterten sich die Arbeitsbedingungen desKlägers. Er musste danach arbeitstäglich eineStunde länger und im Jahr bis zu 35 Tage mehrarbeiten.

Nach Auffassung des Klägers war die neu abge-schlossene Betriebsvereinbarung unverhältnis-mäßig, da sie aufgrund der bei ihm eingetre-tenen gesundheitlichen Folgen die Grenze derZumutbarkeit überschritten hätte. Da der Be-triebsrat anlässlich des Abschlusses der neuenBetriebsvereinbarung sinngemäß geäußert ha-be, er habe die Halle 26 geopfert, um die Arbeit-nehmer einer anderen Halle vor einem Arbeits-platzabbau zu bewahren, sei die Betriebsver-einbarung rechtsunwirksam. Im Ergebnis wollteder Kläger feststellen lassen, dass auf sein Ar-beitsverhältnis weiterhin die Betriebsvereinba-rung aus dem Jahr 2002 mit dem Schichtrhyth-mus 6/4 anzuwenden ist.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht habenseine Anträge zurückgewiesen, jeweils mit derBegründung, dass die Betriebsvereinbarungaus dem Jahr 2013 die alte Betriebsvereinba-rung aus dem Jahr 2002 vollständig abgelösthat. Die Revision wurde nicht zugelassen. Dieeingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurdezurückgewiesen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung hält sich im Rahmen derRechtsprechung des BAG zum Ablösungsprin-zip, wonach die jüngere Betriebsvereinbarungdie ältere ablöst, selbst wenn die ältere Be-triebsvereinbarung für die Arbeitnehmer güns-tiger war (vgl. zuletzt BAG, Urt. v. 15.01.2013- 3 AZR 705/10). Wenn allerdings in bereits be-stehende Besitzstände der Arbeitnehmer einge-griffen wird, sind die Grundsätze der Verhältnis-mäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu be-achten, so dass insbesondere Betriebsverein-barungen, die Versorgungsansprüche aus ei-ner früheren Betriebsvereinbarung einschrän-ken, einer entsprechenden Rechtskontrolle un-terliegen (vgl. BAG, Urt. v. 15.01.2013 - 3 AZR169/10).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung arbeitet deutlich heraus, dassdie Betriebsparteien einen sehr weiten Gestal-

tungsspielraum haben. Solange die tariflichenund gesetzlichen Rahmenparameter eingehal-ten werden, können – auch im Vergleich zu einerfrüheren Betriebsvereinbarung – erheblich ver-schlechternde Regelungen getroffen werden.Dabei kommt es nicht darauf an, ob entspre-chende Änderungen geboten oder zweckmäßigwaren. Dem Betriebsrat kommt deshalb einesehr hohe Verantwortung zu. Er sollte auch im-mer sorgfältig prüfen, ob Koppelungsgeschäf-te, die bestimmte Arbeitnehmergruppen gegen-über anderen bevorzugen, darstellbar sind oderinnerhalb der Belegschaft Unfrieden hervorru-fen können. Auch wenn das Gericht vorliegendlapidar ausführt, dass der Schutz vor Gesund-heitsgefahren durch die Vorschriften des Ar-beitsschutzes hinreichend gewährleistet ist, istund bleibt es Aufgabe des Betriebsrats, dies zuüberprüfen und bei zu befürchtenden gesund-heitlichen Nachteilen darauf hinzuweisen.

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Kein Mitbestimmungsrecht desBetriebsrats bei Anbringung einerVideokamera-Attrappe im Außenbereicheiner Klinik

Leitsatz:

Das Anbringen der Attrappe einer Videoka-mera im Außenbereich eines Klinikgebäu-des erfüllt offensichtlich keinen Mitbestim-mungstatbestand i.S.d. § 87 BetrVG.

Anmerkung zu LArbG Rostock, Beschluss vom 12.11.2014, 3 TaBV 5/14von Dr. Eugen Ehmann, Regierungsvizepräsi-dent von Mittelfranken

A. Problemstellung

Löst die Anbringung der Attrappe einer Video-kamera ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87Abs. 1 Nr. 1 BetrVG aus?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beteiligten streiten um die Notwendigkeiteiner Einigungsstelle im Zusammenhang mitder Attrappe einer Videokamera, welche die Be-teiligte zu 2) am Hinterausgang des von ihr be-triebenen Klinikgebäudes anbringen ließ, ohne

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vorher die Zustimmung des Betriebsrats (Betei-ligter zu 1)) einzuholen.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebs-rats stattgegeben, eine Einigungsstelle einzu-richten. Dies begründet es damit, dass nicht voneiner offensichtlichen Unzuständigkeit der Eini-gungsstelle gemäß §  99 Abs.  1 Satz 2 ArbGGauszugehen sei. Ein Mitbestimmungstatbestandnach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG könne nicht vonvornherein ausgeschlossen werden.

Das LArbG Rostock als Beschwerdeinstanz gehtdagegen davon aus, dass das Anbringen der At-trappe einer Videokamera im Außenbereich ei-nes Gebäudes offensichtlich keinen Mitbestim-mungstatbestand i.S.d. § 87 BetrVG erfüllt.

Eine offensichtliche Unzuständigkeit i.S.d. § 99ArbGG sei dann gegeben, wenn bei fachkun-diger Beurteilung durch das Gericht auf fest-gestellter Tatsachengrundlage sofort erkennbarsei, dass ein Mitbestimmungsrecht unter kei-nem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kom-me.

Im vorliegenden Fall scheide ein Mitbestim-mungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG be-reits auf den ersten Blick ersichtlich aus, daeine Kameraattrappe jedenfalls objektiv nichtgeeignet sei, das Verhalten oder die Leistungder Arbeitnehmer zu überwachen. Der Sinn undZweck von §  87 Abs.  1 Nr.  6 BetrVG bestehedarin, das allgemeine Persönlichkeitsrecht desArbeitnehmers vor Eingriffen durch anonymetechnische Kontrolleinrichtungen zu schützen.Derartige Eingriffe seien von einer Attrappe er-sichtlich nicht zu erwarten.

Auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1Satz 1 BetrVG sei nicht ersichtlich. Die Anbrin-gung der Attrappe einer Videokamera im Au-ßenbereich entfalte schon auf den ersten Blickkeine Auswirkungen auf das innerbetrieblicheZusammenleben der Arbeitnehmer. Die Arbeit-nehmer könnten den betroffenen Eingang nachwie vor betreten und verlassen, ohne neuenzusätzlichen Regelungen des Zusammenlebensunterworfen zu sein, die vom Betriebsrat mit-gestaltet werden könnten (vgl. zu diesen As-pekten BAG, Beschl.  v. 10.04.1984 - 1 ABR69/82 Rn. 16, betreffend ein elektronisches Zu-gangskontrollsystem mit codierten Ausweiskar-ten, auf denen keine Daten dazu erfasst wur-den, wer das Gebäude durch welchen Ausgang

betritt oder verlässt). Denn durch die Attrappewerde gerade nicht kontrolliert, wer das Gebäu-de wann durch den betroffenen Eingang betrittoder verlässt.

Zwar sei dem Betriebsrat zuzugestehen, dassin der Literatur unter Hinweis auf den umfas-senden Schutz der Persönlichkeitsrechte der Ar-beitnehmer vereinzelt eine weitergehende Aus-legung zum Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1Nr.1 BetrVG vertreten wird (so bei Klebe in:Däubler/Kittner/Klebe/Wedde, BetrVG, 14. Aufl.,§ 87 Rn. 57). Auch nach dieser Ansicht sei esjedoch erforderlich, dass eine objektiv tatsäch-lich vorgenommene Kontrolle festzustellen sei(Klebe, a.a.O., § 87 Rn. 58). Daran fehle es beider Attrappe einer Videokamera. Denn diese seinicht in der Lage, eine tatsächliche Kontrollwir-kung auszuüben und könne die Persönlichkeits-rechte der Arbeitnehmer daher objektiv nichttangieren.

C. Kontext der Entscheidung

Die adäquate rechtliche Bewertung von Kame-raattrappen fällt Rechtsprechung und Litera-tur seit jeher schwer. Einigkeit besteht weitge-hend darüber, dass §  6b BDSG (Beobachtungöffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elek-tronischen Einrichtungen) auf Kameraattrappennicht anwendbar ist (Scholz in: Simitis, BDSG,8.  Aufl., §  6b Rn.  41, m.w.N.; Brink in: Wolff/Brink, Datenschutzrecht, §  6b BDSG Rn.  90,m.w.N.; Wiegand in: Gierschmann / Saeugling,BDSG, § 6b Rn. 31, m.w.N.). Der Schutzbereichdes Rechts auf informationelle Selbstbestim-mung ist schon deshalb nicht berührt, weil kei-ne personenbezogenen Daten erhoben werden(Scholz in: Simitis, BDSG, § 6b Rn. 28).

Denkbar – und von der Rechtsprechung ver-schiedentlich so gesehen – ist es jedoch, dassder von einer Attrappe ausgehende Anpas-sungs- und Überwachungsdruck zu einem Ein-griff in das allgemeine Persönlichkeitsrechtführt, der zivilrechtliche Beseitigungs- und Un-terlassungsansprüche nach sich zieht (so LGBonn, Urt.  v. 16.11.2004 - 8 S 139/04 in ei-nem Streit zwischen zwei Grundstücksnach-barn; ablehnend dagegen AG Schöneberg,Urt.  v. 30.07.2014 - 103 C 160/14; im An-wendungsbereich des Wohnungseigentumsge-setzes differenzierend nach den Umständen

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des Einzelfalls BGH, Urt. v. 21.10.2011 - V ZR265/10).

Im Bereich des Arbeitsrechts hat das LArbGMainz in Parallelverfahren, die dasselbe Unter-nehmen betreffen, Arbeitnehmern Schadens-ersatz bei einer Verletzung des Persönlich-keitsrechts durch eine Videoüberwachung zu-gesprochen, die tatsächlich stattgefunden hatte(LArbG Mainz, Urt. v. 23.05.2013 - 2 Sa 540/12:650 Euro; LArbG Mainz, Urt. v. 23.05.2013 - 2 Sa12/13: 850 Euro).

Der vorliegenden Entscheidung ist zuzustim-men. Wenn real keine Überwachung stattfin-det, ist für ein Mitbestimmungsrecht gemäߧ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG von vornherein keinRaum. Im Rahmen des Mitbestimmungstatbe-standes nach §  87 Abs.  1 Nr.  1 BetrVG kannzwar durchaus erwogen werden – so auch derVortrag des Beteiligten zu 1) –, dass eine Ka-meraattrappe geeignet sein kann, das Verhal-ten der Arbeitnehmer und die Ordnung im Be-trieb zu steuern. Dies gilt umso mehr, wenn –so der weitere Vortrag des Beteiligten zu 1) –sich die Beteiligte zu 2) tatsächlich geweigerthaben sollte, die Belegschaft darüber aufzuklä-ren, dass es sich um eine Attrappe handelt.Würde man diese Überlegungen ausreichen las-sen, um den Mitbestimmungstatbestand zu be-jahen, käme es allerdings dazu, dass Mitbe-stimmungsrechte an das bloße subjektive Ge-fühl von Betroffenen anknüpfen würden, einerÜberwachung zu unterliegen (so die auf das Be-triebsverfassungsrecht übertragbare Argumen-tation von Wiegand in: Gierschmann/Saeugling;BDSG, § 6b Rn. 31, zur Begründung dafür, war-um das allgemeine Persönlichkeitsrecht durcheine bloße Attrappe nicht verletzt werde). Auchbesteht der Schutzzweck des Mitbestimmungs-tatbestandes nicht darin, ein bestimmtes Infor-mationsverhalten des Arbeitgebers (hier die In-formation darüber, dass es sich um eine Attrap-pe handelt) zu erzwingen. Schließlich würde esden Anwendungsbereich von § 87 Abs. 1 Nr. 1BetrVG überdehnen, wenn jede Maßnahme, diezu einer psychischen Zwangswirkung bei betrof-fenen Arbeitnehmern führen kann, schon ausdiesem Grund ein Mitbestimmungsrecht auslö-sen würde.

D. Auswirkungen für die Praxis

Aus betriebsverfassungsrechtlicher Sicht ist dasAnbringen von Kameraattrappen auf der Ba-

sis dieser Entscheidung für den Arbeitgeberrisikolos. Allerdings erscheint es nicht ausge-schlossen, dass einzelne betroffene Arbeitneh-mer zumindest versuchen, zivilrechtliche Unter-lassungsansprüche geltend zu machen. Je nachden Umständen des Einzelfalls erscheint dabeiein Erfolg nicht von vornherein ausgeschlossen.