Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

213
THEOLOGISCHE FORSCHUNG WISSENSCHAFTLICHE BEITRAGE ZUR KIRCHLICH-EVANGELISCHEN LEHRE ------- 2 ------- !(ERYGMA UND MYTHOS DISK USSIONEN UND STIMMEN DES IN- UND AUSLANDES H€R߀RT R€ICH . G.M.ß.H.

Transcript of Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

Page 1: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

THEOLOGISCHE FORSCHUNG WISSENSCHAFTLICHE BEITRAGE ZUR KIRCHLICH-EVANGELISCHEN LEHRE

------- 2 -------

!(ERYGMA UND MYTHOS

DISK USSIONEN UND STIMMEN

DES IN- UND AUSLANDES

H€R߀RT R€ICH . €V~NG€LlSCH€R V€RL~G • G.M.ß.H. H~MßURG~VOLKSDORF

Page 2: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

Dem Weltrat der Kirchen

in Gent

Page 3: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

THEOLOGISCHE FORSCHUNG WISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE

ZUR KIRCHUCH-EVANGEUSCHEN LEHRE

HERAUSGEBER: DR. THEOL. HANS-WERNER BARTSCH

ZWEITE VERÖFFENTLICHUNG

KERYGMA UND MYTHOS Ein theologisches Gespräch

II. BAND

9 4

H € R B € R T R € I C H · € V~ N G € LI S C H € R V € R L ~ G G. m. b. H. H~MBURG=VOLKSDORF

Page 4: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

KERYGMA UND MYTHOS

II. Band

Diskussionen und Stimmen zum Problern

der Entmythologisierung

Mit Beiträgen von Prof. D. K. Bartb, Pfr. Dr. H.-W. Bartscb, Prof. Dr. F. Buri, Prof. D. Dr. R. Bultmann, Dr. Chr. Hartlieh und Dr. W. Sachs, Prof.D.W.G.Kümmel,Prof.D.A.Oepke,Prof.Dr.R.Prenter,

Pfr. H. Sauter t, Prof. D. E. Stauffer

Hc:;rausgegeben

von

Dr. theol. Hans-Werner Bartsch

9 4

H€R߀RT R€1CH · €V}{NG€LISCH€R V€RL}{G G.m.b.H. H 7'\ M ß UR G- VOLKS 0 0 R F

Page 5: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

Zweite Auflage 195oi

Alle Rechte vorbehalten bei Herbert Reich • Evangelischer Verlag GmbH.

Gesamtherstellung:

Buchdruckerei Frankenstein GmbH, Leipzig C 1 (III/18/127) - 5000/126/53

Page 6: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

VORWORT

Die Diskussion um das Entmythologisierungsprogramm Bultmanns ist in einer Weise weitergeführt, die es vollends unmöglich macht, die Beiträge vollständig ge­sammelt zu veröffentlichen. Nicht nur in Zeitschriftenaufsätzen, sondern auch in Monographien hat sich die Diskussion vollzogen, die schon ihres Umfanges wegen die Aufnahme in einen Sammelband unmöglich machen. So ist es das Bestreben dieses Bandes, lediglich die vorwärtstreibenden Stimmen der Diskussion hier zu vereinigen, ~m so einen überblick auch für den zu ermöglichen, der nicht die Mög­lichkeit hat, die Einzelarbeiten sich ~u beschaffen. Eine bibliographische übersieht bemüht sich, etwas umfassender ein Bild des Umfangs der Diskussion zu geben, ohne jedoch bei dem ständigen Fortschreiten der Debatte auf restlose Vollständig­keit Anspruch erheben zu können. Vor allem ist es die ausländische Literatur, die in steigendem Maße der Diskussion Raum gibt.

Drei Punkte erscheinen der Erwähnung wert. Da ist zuerst die Wendung zu nennen, die die Diskussion durch das Eingreifen der Schweizer freisinnigen Theo­logie genommen hat. Der Beitrag von F. Buri gibt davon einen Eindruck. In ihrer Bedeutung wird diese Wendung unterstrichen durch di.e Dissertation U. Neuen­schwanders. Die von hier aus erfolgte Stellungnahme geht von systematischen Ge­sichtspunkten aus. Das führt die Diskussion notwendig in einen ;nderen Bereich und läßt das Problem unter anderen Aspekten sehen. Von hier aus wird zugleich die Frontverschiebung verständlich, die sich in der Diskussion innerhalb ·der Schweiz vollzogen hat. Während in Deutschland die Anerkennung der Proble­matik in ihrer grundsätzlichen Bedeutung für die Verkündigung der Kirche in den theologischen Schulen zu finden ist, die ihre wesentlichen Anregungen von der dialektischen Theologie empfingen, ~ögen sie sich auch gerade in der Beurteilung des Problems entweder von Karl Barth oder mit ihm von Bultmann distanziert haben, so ist in der Schweiz das Programm der Entmythologisierung von der so­genannten freisinnigen Theologie aufgenommen und in einer ganz bestimmten Ab­wandlung gegen eine "Neuorthodoxie" verfochten worden, die ihrerseits in Karl Barths Schülern und Freunden ihre Hauptvertreter hat. Der Grund dafür ist darin zu suchen, daß durch die Verlagerung des Problems in den Raum der Systematik die Begriffe nicht mehr literarische Begriffe sind, sondern selbst systemati~ch gefüllt verstanden sind. Das gilt besonders für den grundlegenden Begriff "Mythos". Weil

Page 7: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

6

er systematisch verstanden ist, fällt der Begriff Kerygma mit unter die Rubrik "Mythos", und die von F. Buri erhobene Forderung wird von daher verständlich. Die von hier aus erfolgte Bejahung des Programms und die Kritik, die dahin zielt, daß das Programm selbst nur noch nicht hundertprozentig durchgeführt ist, wird innerhalb der deutschen Theologie keine Zustimmung fi~den, aber die Diskussion mit der Schweizer freisinnigen Theologie wird zu einer Klärung beitragen. Zu­gleich wird von hier aus verständlich, daß die Vertreter und Freunde der dialek­tischen Theologie sich von Bultmanns Pro'gramm absetzen, da es unter diesen Vor­aussetzungen verstanden ist. Von hier aus ist sowohl das Votum Karl Barths selbst zu verstehen, wie auch der Beitrag 0. Cullmanns und die Schrift von W. Klaas. Es wird von hier aus dann aber auch die Korrektur als notwendig erkannt werden, die in Deutschland besonders eindrücklich von W. Sachs und Chr. Hartlieh vorge­tragen wird. Dies erscheint als die zweite wichtige Erscheinung innerhalb der Debatte, die sich kurz als die Rückführung der Diskussion auf das Gebiet der Exegese charakterisieren läßt. Von daher wird erneut die im r. Band abgedruckte

' Diskussion zwisd1en Schniewind und Bultmann als der Kern der Debatte er-kennbar.

Der dritte Punkt, der Beachtung verdient, ist die ~irchliche Stellungnahme, die sich mit zunehmender Schärfe gegen das Programm der Entmythologisierung wen­det. Dabei erscheint unbewußt die genannte Verlagerung der Diskussion mitzu­spielen. Soweit es diesen Voten um ein Festhalten von Lehrgegenständen geht, hat sich die Ablehnung von der Diskussion einer rechten Auslegung des Neuen Testa­mentes zu einer Ablehnung der Ergebnisse dieser Auslegung um ihrer dogmatischen Bedeutung willen verlagert. In diesem Zusammenhang ist die eindeutig ablehnende Stellungnahme E. Stauffers von besonderer Bedeutung, da hier die Haltung man­cher kirchlicher Voten in ihrer eigentlichen Motivierung getroffen ist. Der Rahmen, in dem Stauffers Votum zuerst laut wurde, der deutsche Pfarrertag in Neustadt 1949, zeigt, ,daß er die Stellungnahme zumindest eines großen Teils .der Pfarrerschaft wiedergibt. Da" die kirchliche Stellungnahme noch durchaus im Fluß ist, und alle Stimmen bisher noch über den Status des Vorläufigen nicht hinausgekommen sind, ist auf eine Aufnahme dieser Voten verzichtet worden. Sie würden erst dann von wirklicher Bedeutung werden, wenn das Problem auf die Frage der rechten Aus­legung .des Neuen Testaments zurückgeführt ist. So meinen wir auch der Kirche am besten damit zu dienen, daß wir in der erreichbaren Vollständigkeit die wissenschaft­liche Diskussion vorlegen und damit zugleich die Warnung verbinden, daß mit Ver­ketzerungen der Kirche selbst nicht gedient sein kann, ebenso wenig wie mit einem radikalen Rückzug in eine konservative Haltung, sondern allein mit der echten Be­mühung um das rechte Verständnis des Charakters der neutestamentlichen Botschaft, mit einer Bemühung um eine dogmacisch unbelastete Auslegung. Sehr zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang die Entschließung der Generalsynode der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche, die hier wiedergegeben sei:

"Die Genetalsynode der Vereinigten Evangelisch - Lutherischen Kirche Deutsch­lands hat sich bei ihrer vierten Tagung in Flensburg am 27. April 1952 durch drei

Page 8: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

7

Vorträge theologischer Lehrer über die mit dem Namen Rudolf Bultmann ver­bundenen Probleme einer ,Entmythologisierung des Neuen Testamentes' berichten lassen. Diese Vorträge1 haben deutlich gezeigt, daß es sich bei den hier aufgeworfenen Fragen um die Mitte der christlichen Verkündigung handelt.

In großer Sorge si.eht die Generalsynode die Gefahr, daß die Heilstaten Gottes in Lehre und Verkündigung zurückgedrängt, verflüchtigt und zuletzt preisgeg.eben werden. Es ist und bleibt der Auftrag der Kirche, die großen Taten Gottes zu bezeu­gen, wie sie in der Menschwerdung Jesu Christi, in seinem Tod und in seiner Auf­erstehung geschehen sind.

Die Generalsynode kann in dieser Stunde nicht im einzelnen zu der theologischen Auseinandersetzung über die ,Entmythologisierung' Stellung nehmen. Sie bittet die Bischofskonferenz der Vereinigten Kirche2, die entscheidenden Fragen einer Klärung zuzuführ.en. Sie bittet Bischöfe und Lehrer der Kirche, dazu zu helfen, daß in Predigt und Unterweisung das Wort Gottes recht ausgelegt und den Menschen unserer Tage nahegebracht wird" 3,

Die Stellungnahme ist um so bedeutsamer, als alle drei Referate eine klare Ent­scheidung gegen Bultmanns Programm nahelegten und in der mündlichen Diskussion eine in dieser Richtung gehende Entschließung als wünschenswert ersdlien. Wenn die Synode dennoch nichts anderes tat, als die Arbeit zur Klärung des Problems zu emp­fehlen, so hat sie in dieser Beschränkung einmal dem Rechnung getragen, daß das Programm Bultmanns selbst aus dem Bemühen um die rechte Ausrichtung der Ver­kündigung erwachsen ist; zum andern der Tatsache, daß die Diskussion noch durch­aus im Fluß ist. In ähnlicher Weise entschied sich der württembergische Landes­kirchentag, der von der Tübinger Fakultät eine Stellungnahme erbat. Und noch kon­sequenter vielleicht ist die erste Stimme der Kirche in diesem Gespräch, mit der das ganze Gespräch begann, das Gutachten der hessischen B. K. aus dem Jahre 1942. Dort wird an der Frage der Kirchengemeinschaft die Bedeutung dogmatischer Ent­scheidungen für diese Frage zum Problem (s. u. S. 42 ff.). Wenn man sich erinnert, daß dies zu einer Zeit geschah, da aktuelles Bekennen gefordert war, so wird es um so deutlicher, wie unser Problem die Kirche erneut mit Dringlichkeit vor die Frage stellt, was kirchentrennend ist und wie sie sich selbst als Kirche verstehe~ will.

Es muß noch offengelassen werden, ob die Weiterführung der Diskussion die Herausgabe eines dritten Bandes notwendig macht. Es ist das Bestreben des Herausgebers und des Verlages, das Problem, das sich als so brennend für die Ver­kündigung der Kirche erwiesen hat, in seinem ganzen Umfang den Lesern darzu­stellen. Es läßt sich noch nicht sagen, ob die erst beginnende Diskussion im angel­sächsischen Lager wesentliche neue Gesichtspunkte beibringen wird. Zugleich sei

1 Prof. D. G. Merz, Prof. D. W. Künneth, Erlangen und Prof. D. H.-D. Wendland, Kiel. 2 Damit ist die genannte Vereinigte Ev.-Luth. Kirche Deutschlands gemeint. 3 Informationsblatt für die Gemeinden in den nieder2eutschen lutherischen Landeskirchen

1. J ahrg. S. 15 8. In der gleichen Nummer findet sich ein knapper Bericht über die drei Referate von G. Merz.

Page 9: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

8

betont, daß die Reihe, deren zweiter Band hiermit vorgelegt wird, für Mono­graphiep. zur Diskussion offensteht unbeschadet der jeweiligen Haltung der Ver­fasser. Zunächst bedeutet dieser Band insofern einen Abschluß, als Bultmanns Bei­trag die bisherige Diskussion mit einer abschließenden Stellungnahme verarbeitet.

Der Band selbst sei ein Dankesgruß an das Department of Inter-Church-Aid des Weltkirchenrates und an die Schweiz, dem Land, in dem dieser Band seinen Abschluß finden durfte.

Sahms, im Juli 1952

Page 10: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

INHALT

I. DISKUSSION IM VORFELD

E. Stauffer: Entmythologisierung oder Realtheologie? .....

H.-W. Bartsch: Die neutestamentliche Theologie in der Entscheidung

Anmerkungen zu 0. Culhn.anm Christus und die Zeit . · . . . . . . .

II. DIE ERSTE STIMME ZUR DISKUSSION

Seite

H. Sautet: Für und wider die Entmythologisierung des Neuen Testamentes . • • . . . 4 I (Auf Veranlassung der kurhessischen Bekennenden Kirche)

III. DIE DISKUSSION INNERHALB DER SYSTEMATISCHEN THEOLOGIE

R.'Prenter: Mythos und Evangelium ............... .

F. Buri: Entmythologisierung oder Entkerygmatisierung der Theologie . K. Barth: Abdruck aus Dogmatik III, 2, Seite 53I-537 ........ .

IV. DIE RÜCKFÜHRUNG DER DISKUSSION IN DAS GEBIET DER EXEGESE

I02

Chr. Hartlieh und W. Sachs: Kritische Prüfung der Haupteinwände Barths gegen Bultmann I I 3 Chr. Hartlieh und W. Sachs: Thielickes Ansätze zur Lösung des Entmythologisierungs-

problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 26

V. STIMMEN AUS DER NEUTESTAMENTLICHEN THEOLOGIE

W. G. Kümmel: Mythische Rede und Heilsgeschehen im Neuen Testament . I 53 A. Oepke: Entmythologisierung des Christentums? Thesen . . . . . . . . . . I7o

VI. ABSCHLIESSENDE STELLUNGNAHME BULTMANNS

R. Bultmann: Zum Problem der Entmythologisierung. 179 Bibliographische Übersicht . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . 209

Page 11: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS
Page 12: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

I

DISKUSSION IM VORFELD

Page 13: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS
Page 14: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ETHELBERT STAUFFER

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER REALTHEOLOGIE?

Oberarbeitete Fassung eines Vortrages, der auf Einladung des Vorstandes der deutschen Pfarrervereine im September I949 auf dem Deutschen Pfarrertag

in Neustadt an der Haardt gehalten wurde.

I

Wir beginnen mit einigen Sätzen aus Rudolf Bultmanns Schrift: Neues Testa­ment und Mythologie.

1. "Das Weltbild des Neuen Testaments ist ein mythisches ... die Erde ist nicht nur die Stätte des natürlich-alltäglichen Geschehens, sondern sie ist auch der Schauplatz des Wirkens übernatürlicher Mächte . . . In das natürliche Geschehen und in das Denken, Wollen und Handeln des Menschen greifen die übernatür­lichen Mächte ein, Wunder sind nichts Seltenes." (Abdruck in "Kerygma und My­thos" Bd. I [1948] ed. H. W. Bartsch S. 15.)

2. "Dem mythischen Weltbild entspricht die Darstellung des Heilsgeschehens, das den eigentlichen Inhalt der neutestamentlichen Verkündigung bildet ... als die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn ... Sein Tod am Kreuz, den er wie ein Sünder erleidet, schafft Sühne für die Sünden der Menschen ... Der Auferstandene ist zum Himmel erhöht worden zur Rechten Gottes; er ist zum ,Herrn' und ,König' gemacht worden ... " (S. 15f.)

3· "Das alles ist mythologische Rede und ... für den Menschen von heute un­glaubhaft, weil für ihn das mythische Weltbild vergangen ist." (S. 16.)

4· (Das Weltbild des modernen Menschen) "ist durch die Wissenschaft bestimmt; und es behl'lrrscht die Menschen vermöge der Schule, der Presse, des Radio, des Kino und überhaupt der Technik." (S. 18 Anm.)

5. "Es handelt sich aber gar nicht nur um die Kritik, die vom naturwissenschaft­lichen Weltbild ausgeht, sondern ... im Grunde noch viel mehr um die Kritik, die aus dem Selbstverständnis des modernen Menschen erwächst." (S. 19.)

6. " ... nur die Kritik am Neuen Testament kann theologisch relevant sein, die mit Naturnotwendigkeit aus der Situation des modernen Menschen erwächst." (S. 20.)

7· " ... daß er infolge der Schuld seines Ahnherrn dazu verdammt sei, dem To­desschicksal eines Naturwesens verhaftet zu sein, kann er (der moderne Mensch) nicht verstehen, da er Schuld nur als verantwortliche Tat kennt und delihalb die F,rbsünde als eine mit Naturkraft fortwirkende Krankheit für ihn ein untersitt­licher und unmöglicher Begriff ist." (S. 20.)

8. " ... Jesus Christus (ist) als Gottes Sohn, als ein präexistentes Gottwesen eine mythische Gestalt." (S. 44.)

Page 15: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

14 ETHELBERT STAUFFER

9· "Die Wunder des Neuen Testaments sind damit (durch die Kenntnis der Kräfte und Gesetze der Natur) als Wunder erledigt." (S. 18.)

10. (Der moderne Mensch) "kann ... auch die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung durch den Tod Christi nicht verstehen." (S . .2.0.)

11. " •.• neben dem historischen Ereignis des Kreuzes steht die Auferstehung, die kein geschichtliches Ereignis ist." (S. 44.)

I 2.. (Für den Historiker) "reduziert sich das Osterereignis auf (die) visionären Erlebnisse (der Jünger)." (S. p.)

13. "Der christliche Osterglaube ist an der historischen Frage nicht interessiert." (S. p.)

14· (Ein) "mirakulöses Naturereignis wie die Lebendigmachung eines Toten -,ganz abgesehen von der Unglaubwürdigkeit überhaupt - kann (der moderne Mensch) nicht als ein ihn betreffendes Handeln Gottes verstehen." (S . .2.1.)

15. "Es ist ... nicht zu leugnen, daß im Neuen Testament die Auferstehung Jesu vielfach als ... Mirakel aufgefaßt wird ... So in den Legenden vom leeren Grabe und in den Ostergeschichten, die von Demonstrationen der Leibhaftigkeit des Auferstandenen berichten." (S. 48.)

16. "Die Auferstehung Christi aber - ist sie nicht ein schlechthin mythisches Ereignis?" (S:47.)

17. "Soll ... die Verkündigung des Neuen Testaments ihre Gültigkeit behalten, so gibt es gar keinen anderen Weg, als sie zu entmythologisieren." (S . .2..2..)

18. "An ihr (der Entmythologisierung) arbeitet die Theologie nicht erst seit heute. Vielmehr hätte alles bisher. Gesagte auch vor dreißig oder vierzig Jahren schon ähnlich gesagt sein können; und es ist eigentlich ein testimonium paupertatis für unsere theologische Situation, daß es heute wieder gesagtwerden muß." (S . .2.4.}

19. "Daß dies der Fall ist, liegt offenbar daran, daß die Entmythologisierung in der kritischen Theologie des 19. Jahrhunderts in nicht sachgemäßer Weise voll­zogen worden ist; in der Weise nämlich, daß mit der Ausscheidung der Mytho­logie audt das Kerygma selbst ausgeschieden wurde." (S . .2.4f.)

2.0. "Der Mythos will ... anthropologisdt - besser: existential interpretiert werden." (S . .2.3.)

.2.1. "Wenn man gelegentlidt beanstandet hat, daß ich das Neue Testament mit Kategorien der Heideggerschen Existentialphilosophie interpretiere, so madtt man sich - fürchte idt - blind für das faktisdt bestehende Problem. Ich meine, man sollte lieber darüber erschrecken, daß die Philosophie von sidt aus schon sieht, was das Neue Testament sagt." (S. 35.)

So weit Bultmann selbst.

II

Man kann auf diese Sätze in sehr verschiedener Weise antworten. 1. Man kann diese Thesen schrifttheologisch widerlegen und braucht dazu nur

einige Sätze des Neuen Testaments zu zitieren, wohlbekannte Sätze aus der Ge-

Page 16: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER REALTHEOLOGIE? 15

schichte ]esu, aus der Geschichte der Evangelien und aus der Geschichte des Auf­erstehungszeugniss~s.

Aus der Geschichte Jesu: Mt. 2, I I: Die Sterndeuter kamen und sahen, stürzten nieder und beteten an. L. 2, I 5 ff.: Die Hirten sprachen: Lasset uns hingehen und sehen die Geschichte,

die da geschehen ist. Sie fanden und sahen. Sie kehrten zurück und priesen Gott. L. 2, 29f.: Symeon spricht: Herr, nun lässest du deinen Knecht in Frieden

dahinfahren, denn meine Augen haben dein Heil gesehen. J. I, 39: Jesus spricht: Kommet und sehet. J. I, 46: Philippus spricht: Komm und sieh; J. 12, 2I: Die Hellenisten sprechen zu Philippus: Wir möchten gerne Jesum

sehen. J. I4, 8: Philippus spricht: Herr, zeige uns den Vater, und wir haben genug. Mt. II, 3f.: Der Täufer fragt: Bist du, der da kommen soll? Jesus anwortet:

Gehet hin und berichtet ihm, was ihr hier sehet und höret. J. 2, 11: Jesus vollbrachte das Weinwunder zu Kana und offenbarte seine Herr­

lichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn. M. I4, 9: Jesus spricht: Wo immer das Evangelium wird verkündigt werden in

aller Welt, da wird auch berichtet werden, was diese Frau getan hat, zu ihrem Gedächtnis.

Aus der Geschichte der Evangelienbildung: Ag. I, 2I f.: Petrus spricht: Einer der Männer, die mit uns zusammengekommen

sind während der ganzen Zeit, da der Herr Jesus bei uns aus- und einging, an­gefangen von der Johannestaufe bis zu dem Tage, da er uns entrückt wurde, soll ein Zeuge der Auferstehung werden mit uns zusammen.

L. I, I ff.: Lukas spricht: Viele haben eine Chronik der Begebenheiten, die unter uns geschehen sind, geschrieben - so wie es uns die Augenzeugen von Anfang an überliefert haben. Auch ich bin allem nachgegangen mit Akribie bis auf die älte­sten Zeugnisse und habe das alles in chronologischer Folge geschrieben, auf daß du, hochmögender Theophi.lus, die historische Zuverlässigkeit dessen erkennest, was du im Unterricht gehört hast.

1. J. I, Iff.: Der Verfasser spricht: Was am Anfang war, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir erblickt und mit unsern Händen betastet haben, was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir euch.

J. I, I4: Der Evangelist spricht: Wir sahen seine Herrlichkeit. 2. Pt. r, r6: Der Verfasser spricht: Wir folgen nicht ausgedachten Mythen,

wenn wir euch kundtun den Erdenweg Jesu Christi, vielmehr, wir sind zu Augen­zeugen geworden seiner Größe.

Aus der Geschichte des Auferstehungszeugnisses: J. 20, 8: Der Lieblingsjünger ging hinein, sah das Grab leer und glaubte. L. 24, 39: Der Auferstandene spricht zu den Jüngern: Sehet meine Hände und

Füße an, betastet mich und sehet.

Page 17: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

16 ETHELBERT STAUFPER

J. 20, 27f.: Er,spricht zu Thomas: Komm mit deinem Finger hierher und sieh meine Hände, und komm mit deiner Hand und lege sie in meine Seite - und Thomas spricht: Mein Herr und mein Gott.

Ag. Io, 39: Petrus spricht: Wir sind Zeugen alles dessen, was Jesus getan hat im Lande der Juden und in Jerusalem, er, den sie dann ans Holz gebracht haben. Diesen hat Gott auferweckt am dritten Tage, und hat ihm verliehen, offenbar zu werden, nicht vor allem Volk, aber vor den Zeugen, die Gott designiert hatte, vor uns, die wir mit ihm aßen und tranken nach seiner Auferstehung von den Toten.

Ag. I3, 3of.: Paulus spricht: Sie haben ihn ins Grab gelegt, Gott aber hat ih~ auferweckt von den Toten. Er ist erschienen etliche Tage hindurch denen, die mit ihm hinaufgezogen waren von Galiläa nach Jerusalem und nun seine Zeugen sind vor dem Volk.

r. K. i 5, 4: Die Urgemeinde bekennt: Christus ist begraben. Christus ist auf­erw~ckt am dritten Tag.

I. K. I 5, 5 ff.: Die Urgemeinde berichtet: Der Auferstandene ist erschienen:

Dem Kephas zuerst sodann den Zwölfen danach mehr als 500 Brüdern danach dem Jakobus danach den Aposteln insgesamt.

(In dieser Zeugenreihe fehlen die Frauen, warum? Weil die Frau nach jüdischem Prozeßrecht nicht zeugnisfähig ist, s. bab. Schebuoth 4, I u. ö. "Zeuge" ist also in der Auferstehungstradition ein streng forensischer und kein enthuasiastisch ge­meinter Begriff.)

r. K. I5,. I7f.: Paulus spricht: Wenn Christus nicht (in dem durch das leere Grab und die Christophanien bezeugten Sinne!) auferstanden ist, dann ist unser Glaube nichtig, dann seid ihr noch in euern Sünden, dann sind die in Christus Entschlafenen verlorene Leute.

Was bedü1fen wir weiter Zeugnis? 2. Man kann Bultmanns Thesen dogmatisch prüfen. Dann kommt man rasch

und mühelos zu der Feststellung: Bultmanns Sätze stehen im Widerspruch zum Bekenntnis. Wir meinen damit das Apostolische Glaubensbekenntnis und sämtliche Bekenntnisschriften und Erklärungen, die auf dem Apostolicum fußen.

3· Man kann Bultmanns Kritik methodologisch kritisieren und feststellen: Das ist keine historische Kritik. Leopold von Ranke hat die alleinige Aufgabe des Ge­schichtsforschers bekanntlich schlicht und klassisch so formuliert: Der Historiker soll ermitteln, wie es eigentlich gewesen ist. Sein jüngerer theologischer Zeitgenosse Carl Holsten weiß es natürlich besser und schreibt: "Die historische Kritik" weiß um die "Herrschaft des Gesetzes der immanenten Entwicklung ... aus innerwelt­lichen Kausalitäten." Sie muß daher den "Schein des Transzendenten" zerstreuen und die Geschehnisse, von denen das Neue Testament berichtet, als "immanente Akte ... zu begreifen suchen" (Wortlaut und Orthographie genauer bei Stauffer,

Page 18: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER REALTHEOLOGIE? 17

Theologie des N.T., Anm. 53). Das war Anno 1868, gewiß naiv und ahnungslos, aber bei dem damaligen Stand der Erkenntnistheorie und Wissenschaftslehre viel­leicht noch verzeihlich. In unsern Tagen aber schreibt Rudolf Bultmann: Die Kritik am Neuen Testament muß aus der Situation des modernen Menschen er­wachsen (s.o. I, 6). Das ist keine historische Arbeitsweise mehr. Der Historiker fragt, wie es eigentlich gewesen ist, nicht, was gewesen sein kann oder wie es ge­wesen sein muß. Wer so fragt, der macht die Historie zur Hilfswissenschaft ir­gendeiner Dogmatik, einer Philosophie, einer Weltanschauung, jedenfall~ irgend­einer Überzeugung, die apriori feststeht und darum alles "von sich aus" (s.o. I, 21 ), alles im voraus und alles am besten weiß. Dann ist historische Arbeit nur noch eine Luxusbeschäftigung des Dogmatismus (das Wort Dogmatismus hier frei nach Kant gebraucht), und das, was man hier Kritik nennt, iSt in Wahrheit nur noch dogmatische Pseudokritik. Eine Geschichtswissenschaft, die so vorgeht, ist überfremdet und arbeitet mit heteronomen Kriterien. Echte Geschichtswissenschaft aber muß autonom sein und mit eigenen Kriterien arbeiten. Der echte Historiker weiß zunächst einmal gar nichts, er muß seine Quellen fragen, wie es denn nun gewesen ist; und ob er ehrlich gefragt hat, wird sich darin zeigen, daß er Ent­deckungen macht und Überraschungen erlebt. Was machen wir, wenn wir Über­raschungen erleben, die all unseren Erwartungen, die vielleicht all unsern Ober­zeugungen und wohl gar allem Wirklichkeitsverständnis unseres Zeitalters zu­widerlaufen? Wir sagen, wie ein großer Historiker in solchen Fällen zu sagen pflegte: "Das ist wohl möglich." Warum etwa nicht? Für den kritischen Histo­riker ist nichts unmöglich. Wir haben eine unbequeme Entdeckung gemacht, wir müssen umlernen. Nur der echte Historiker kann Entdeckung~n machen, der Pseu­dohistoriker weiß immer schon von sich aus, was möglich und unmögilch ist. Un· 'Sere Quellen sind nicht immer zuverlässig. Der gewissenhafte Historiker muß sie also kritisch befragen, wenn er feststellen will, wie es eigentlich gewesen ist. Wie machen wir das? Wir müssen fragen: Welches ist das älteste, das unmittelbarste, das unparteiischste, das einwandfreieste Zeugnis. Das sind die vier grundlegenden Fragen der klassischen Quellenkritik. So hat in .der Endabsicht schon Lukas gearbeitet, wir haben oben davon gesprochen (II, 1). Und Wilhelm Windelband hat in seiner be­rühmten Straßburger Rektoratsrede schon vor zwei Menschenaltern darauf hin­gewiesen, wie gerade die christliche Kirche um der Christusbotschaft willen immer wieder gekämpft hat un.d kämpfen mußte für die Autonomie der Geschichts­forschung un:d für ihren Primat in der christlichen Theologie und aller Wirklich­keitsdeutung. Wir haben in unserem dogmatischen Zeitalter allen Anlaß, diesen Kampf wieder au.fzunehmen.

4· Man kann Bultmanns Arbeitsweise chronologisch anfechten. Eine Voraus­·setzung seines Entmythologisierungsprogramms ist seine mythologische Deutung des Neuen Testaments. Eine Voraussetzung jener mythologischen Deutung aber ist die Bultmannsehe Herleitung der urkirchlichen Christologie aus dem gnostischen Mythos. Seine Hauptquelle für die Rekonstruktion des gnos.tischen Mythos aber ist das mandäische Schrifttum. Das mandäische Schrifttum aber ist ein Sam-

2 Kerygma. 2, Bd.

Page 19: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

18 ETHELBERT STAUFPER

melbecken des nachchristlichen Synkretismus mit christlichen Beimisch~ngen. Das hat Reitzenstein, der Urheber des Panmandäismus, seinerzeit verkannt, das haben aber Männer wie Schaeder, Peterson, Dölger, Lietzmann längst erkannt und erwiesen. Damit wird nun aber eine Prämisse der Bultmannsehen Thesen pro­blematisch, ja, das ist eine Hypothek, die nicht nur auf seinem Johanneskommen­tar lastet, sondern auch auf seinem neuen Buch über das Urchristentum im Rah-· men der antiken Religionen. "Die Chronologie ist das Auge des Historikers", pflegte Eduard Meyer zu sagen. Sie muß insbesondere das Auge des Religions­historikers sein. In diesem Sinne müssen wir fordern, daß für die Vorgeschichte, Herleitung und Deutung der neutestamentlichen Gedankenwelt nur solche Quellen· benutzt werden, die die Männer des Neuen Testaments nachweislich gekannt haben können. Wir haben jetzt Quellen genug. Wenn diese Forderung erfüllt ist, dann mag man über Entmythologisierungsprobleme debattieren.

5· Man kann Bultmanns Entwurf religionsgeschichtlich zurechtrücken und ein universales Geschichtsbild entwerfen, in dem die O:ffcrnbarung des Neuen Testa­ments als Ziel und Ende des antiken Mythos erscheint. (So z. B. Stau:ffer, Mythos und Epiphanie, in Christus und die Cäsaren, S. 11 :ff.)

6. Man kann Bultmanns Thesen geistesgeschichtlich erledigen und mit Leichtig­keit konstatieren, daß die Entmythologisierung religiöser Texte ein Lieblings­postulat der hellenistischen Religionsphilosophie ist. So hat die Stoa die griechi­schen Göttergeschichten, Phiion das Alte Testament, Origenes das Neue Testament more allegorico entmythologisiert. Bultmanns Entmythologisierungsverfahren ist .nur eine neue Abwandlung dieser uralten Methode, Geist vom Geiste Alexan-driens und nicht vom Geiste Wittenbergs. .

7· Man kann Bultmanns Thesen theologiegeschichtlich beleuchten. Die alte libe­rale Theologie und ihre T estamentsvollstreckerin, die formgeschichtliche Kritik, hat den historischen Gehalt der Evangelien mit ungeprüften Kriterien immer wei­ter reduziert, bis von Jesus so ungefähr nichts mehr übrig blieb als ein paar Zu­kunftsworte, die sich nicht erfüllt haben. Sie hat sodann im Bunde mit Kähler und seiner Schule erklärt: Der Glaube fragt ja gar nicht nach dem historischen Jesu:s, sondern nach dem geschichtlichen Christus. Und die theologischen Spatzen pfeifen es heute von allen Dächern: Wir fragen nicht nach dem sarkischen, sondern nach dem pneumatischen Christus, nicht nach der historischen Wirklichkeit Jesu Christi, sondern nach der theologischen Wahrheit der Evangelien, kurz: Der Glaube hat und braucht allein das apostolische Christuszeugnis. So weit die "historische" Kritik oder Pseudokritik. Ihr Endresultat ist, daß das Evangelium allen histori­schen Boden unter den Füßen verliert und damit schutzlos aller theologischen Willkür und Selbstherrlichkeit ausgeliefert ist. Und nun setzt die ideologische Kritik ein und löst das apostolische Christuszeugnis in existentialphilosophische Theorien auf, die Martin Heidegger nach Bultmanns eigenem Eingeständnis schon längst "von sich aus" gefunden hat. Die biblizistischen Schrittmacher Bultmanns aber protestieren umsonst: Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los. Wäh­rend sie noch Gespräche führen über Recht und Grenze der Entmythologisierung,

Page 20: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER REALTHEOLOGIE? 19

ist der Auflösungsprozeß bereits in sein Endstadium getreten, spriCht Bultmann selbst sChon ganz offen von "EntgeschiChtliChung". Die Situation ist grotesk genug. Gott hat uns alle zu einem überreiChen Festmahl geladen. Seine Theologen aber sChieben die Teller von siCh und ernähren siCh von synthetisChen Tabletten.

8. Man kann Bultmanns Thesen philosophiegeschichtlich kritisieren. Einst hat der große Protagoras die Maxime aufgestellt: Der MensCh ist das Maß aller Dinge. Bultmann hat diese Maxime übernommen, aber niCht nur kritiklos rezipiert, son­dern zugleich vulgarisiert und dadurch selber ad absurdum geführt. Denn seine Maxime lautet: Der moderne MensCh ist das Maß aller Dinge, das Maß auCh dessen, was im Neuen Testament Geltung haben soll.

9· Man kann Bultmanns Thesen erkenntnistheoretisch durChleuChten und kon­statieren: Bultmann mythologisiert das physikalisChe Weltbild in demselben Augenblick, in dem die moderne Physik siCh selber entmythologisieren will.

IO. Man kann Bultmanns Thesen existentialphilosophisch prüfen und die Frage stellen, was denn Heidegger selber zu dieser theologisChen Auswertung seiner Phi­losophie sagt.

Ir. Man kann Bultmanns Thesen kulturphilosophisch entkräften und fragen: Was treiben eigentliCh unsere Zeitgenossen, wenn sie "religiös" werden? Die Un­gebildeten treiben Astrologie und Okkultistik, die Halbgebildeten treiben Anthro­posophie, die ganz Gebildeten sChreiben BekenntnisbüCher über Hölderlin, Zeus oder Dionysos. Mythologie auf jeden Fall! Bultmann aber treibt Entmythologi­sierung, im Namen des modernen Denkens, im Dienste einer gegenwarts~ahen Verkündigung. Wenn wir Theologen einmal modern werden wollen, kommen wir immer eine Saison zu spät.

I2. Map. kann Bultmanns Thesen kirchengeschichtlich kritisieren und mit einem der geistvollsten KirChenhistoriker unserer Generation die Frage stellen: Sollen wir im Ernste glauben, daß die ganze KirChengesChiChte sich aufbaut auf den frommen Lügen der enthusiastisChen Urgemeinde?

I 3· Man kann Bultmanns Thesen. theologisch untersuChen und die Frage stellen: Was haben wir im Sinne des Neuen Testaments zu verkündigen: Anthropologie oder Christologie, genauer: E:Kistentialanalyse oder ChristusbotsChaft? Wozu man etwa Bultmanns Auslegung von J. I, 18 lesen mag.

14· Man kann Bultmanns Thesen kirchlich bewerten und einmal davon spreChen, wie das Entmythologisierungsprogramm siCh in der homiletisChen und kateCheti­sChen P~axis auswirkt. SChon hört man im Kreise der jungen Bultmanntheologen z. B. die Forderung, daß alle WundergesChiChten und sonstigen Mythentexte aus der Perikopenreihe verschwinden sollen. Der Gottesdienst soll "entkultet" werden, die "sture Verteidigung des leeren Grabes" soll eingestellt werden ...

15. Man kann Bultmanns Thesen endliCh auCh glaubensgeschichtlich kritisieren und einmal ganz illusionslos feststellen: Theologie wird niCht mehr gefragt. Theo­logie ist heute eine interne Angelegenheit der Berufstheologen. Was wird denn gefragt? Jesus Christus wird gefragt - bewußt oder unbewußt. Dafür ein paar Beispiele.· ..

Page 21: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

20 ETHELBERT STAUFPER

a) Im März I949 schreibt "Christ und Welt" zu einem Buch von Erich Müller­Gangloff (Vorläufer des Antichrist, I948): "In einem Augenblick, in dem wir uns an die Entmythologisierung der Geschichte machen, gewinnen wir plötzlich ein neues Verhältnis zur Geschichte •.• Das Buch bezeichnet die auch anderswo sich andeutende Wendung des christlichen Glaubens vom Begrifflichen und Abstrakten zum Realen und Konkreten."

b) Im Frühjahr I949 veröffentlicht die Chicago Daily News eine Geschichte Jesu in vierzig Fortsetzungen. The greatest story ever told. Die deutschen kirdl­lichen Blätter übersetzen die Titelzeile so: "Die bedeutendste Geschichte, von der jemals gesprochen wurde." Aber es ist hier nun einmal, nun endlich einmal, nicht von "Gesprächen" die Rede, sondern von einem Bericht, es heißt: "Die wichtigste Geschichte, die jemals erzählt worden ist."

c) Ungefähr gleichzeitig schreibt Dorothy L. Sayers für das englische Radio ihr Hörspiel "König Unbekannt", das jetzt auch in deutscher Übersetzung heraus­gekommen ist. Es ist die Geschichte J esu. Da sattelt ein Mann in großer Eile sein Pferd. Man ruft ihm nach: "Herr, wohin geht ihr?" Er antwortet nur: "Kana­J erusalem - gleichgültig, wohin - um J esus von N azareth zu suchen."

Noch einmal: Unsere Zeit fragt nach Jesus, mythologisch oder nicht. Oder sie fragt überhaupt nicht mehr.

111

Es sind sehr verschiedene Wege der "Bultmannkritik", die wir hier skizziert haben. All diese Wege haben ihr Recht. Viele von ihnen sind schon beschritten worden. Wir aber möchten heute einen ganz anderen Weg einschlagen.

Jesus Christus heißt im Neuen l'estament: Das Wort Gottes. Einst hat Gott ge­redet durch das Wort der Propheten. Dann aber hat er mit uns das entscheidende Wort gesprochen durch die Geschichte Jesu Christi - das Verbum Dei incarna­tum. Es ist nicht die einzige, wohl aber die primäre Aufgabe der theologischen Wissenschaft, diese Geschichte zu rekonstruieren, dieses Verbum Dei incarnatum unverfälscht, unverkürzt und unausgeschmückt herauszuarbeiten, nichts abzutun, aber auch nichts hinzuzutun. Es geht um das nudum factum. Es ist die primäre Auf­gabe unserer Predigt, dieses Verbum dei incarnatum zu verkündigen. Alles andere ist sekundär.

Von diesem Verbum Dei müssen die verba hominum klar· geschieden werden, omnium hominum verba! Von dem, was in der Geschichte J esu geschehen ist, muß das, was darüber gesagt oder gedacht worden ist, so scharf wie nur möglich abgesetzt werden. Es ist unbiblisch und gefährlich, das Neue Testament als Gottes Wort zu bezeichnen. Jesus Christus ist Gottes Wort. Die Evangelien aber und die Apostelbriefe sind Menschenwort über das Verbum Dei caro factum (Joh. 20,

3of.; r. Joh. I, I ff.). Dem Evangelisten Lukas ist das ganz selbstverständlich {Lk. I, r ff.). Er kommt nicht einmal auf den Gedanken, die Inspiration des Heili­gen Geistes für seine Evangelienarbeit in Anspruch zu nehmen - derselbe Lukas, der so gern vom Wirken des Heiligen Geistes spricht!

Page 22: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER REALTHEOLOGIE? 21

Die christologische Arbeit der Apostel und Evangelisten setzt sich fort in der christologischen Arbeit der Kirche, in der wir noch heute mitten inne stehen, alle zusammen, Bultmann und seine dogmatischen Gegner. Es ist etwas Großes, in dieser christologischen Arbeit der Jahrtausende zu stehen- comprehendere cum omnibus sanctis, quae sit latitudo et longitudo et sublimitas et profundum. Es ist eine kri­tische Arbeit. Denn wir müssen Stellung nehmen zu den mancherlei philosophischen oder weltanschaulichen Praemissen, theologischen oder mythologischen Denkfor­men, die im Laufe der Jahrtausende in der Christologie eine Rolle gespielt haben. Es ist eine hermeneutische Arbeit. Denn wir müssen verstehen, was mit diesen Denkformen gemeint ist, mehr, wir müssen mit den Aposteln, Kirchenvätern und Reformatoren zu begreifen versuchen, was Gott mit der Geschichte Jesu Christi uns sagen will. Es ist eine schöpferische, es ist unter Umständen sogar eine pneu­matische Arbeit (Joh. I6, uff.). Aber es ist immer sekundäre Arbeit. Die Theo­logia Prima hat es allein mit dem nudum factum zu tun, allein mit dem Verbum Dei incarnatum.

So kommt denn alles auf die richtige Grenzziehung zwischen dem Verbum Dei incarnatum und den verba hominum an. Diese Grenze geht mitten durch das Neue Testament hindurch. Darüber sind wir uns alle einig. Wo aber verläuft diese Grenze? Hier erhebt sich der Dissensus.

Rudolf Bultmann zieht die Grenzlinie sehr eng. Man kann das in seinem Jesus­buch von I926 (das jetzt in einem unveränderten Neudruck erschienen ist) stu­dieren. Bultmann bestreitet nicht, daß Jesus gelebt hat und unter Pontius Pilatus den Kreuzestod gestorben ist. Aber mehr kann man nach Bultmann über die Ge­schichte Jesu nicht sagen. Alles, was die Evangelien über Jesu Erdenleben noch sagen, ist nach Bultmann mehr oder minder unhistorisch, meist theologische Dich­tung oder Mythologie. Jesus erscheint in Bultmanns Jesusbuch nicht als das Ver­bum Dei incarnatum, sondern als der "Träger" des Gotteswortes, grundsätzlich nicht anders als die Propheten von Hehr. I, I. Aber auch die Wortüberlieferung der Evangelien geht nach Bultmann nur zum geringsten Teil auf den historischen Jesus zurück. Das meiste ist Gemeindetheologie. Und in dieser Gemeindetheologie, die die. vier Evangelien beherrscht, spielt nach Bultmann das mythologische Denken eine ganz entscheidende, eine höchst verhängnisvolle Rolle: das mythische Welt­bild, die mythische Darstellung des Heilsgeschehens, die Wundertätigkeit Jesu, die Legende vom Leeren Grab und der Leiblichen Auferstehunp Jesu. Das alles sind nach Bultmann älteste mythologische Deutungsversuche des Heilsgeschehens, die heute überholt sind und uns vor die hermeneutische Aufgabe einer existentialistischen Reinterpretation des Neuen Testamentes stellen.

Wie aber, wenn Rudolf Bultmanns Grenzziehung überholt wäre? Wenn wir heute von der GesdJichte Jesu sehr viel mehr und sehr viel anderes wüßten, als Bultmann in seinem Jesusbuch von I926 gelten lassen wollte? Wenn zu der fak­

. tischen Geschichte Jesu vieles gehörte, was Bultmann seinerzeit noch zur theolo~ giseben Dichtung und mythologischen Darstellungsform der Evangelisten rechnete?

Page 23: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

22 ETHELBERT STAUFPER

Wie, wenn z. B. die Wundertätigkeit Jesu und das Leere Grab am Ostermorgen zu dem nudum factum des Heilsgeschehens gehörte? Dann wäre hier gar nichts zu entmythologisieren. Denn entmythologisieren kann man nur ein Mythologumenon. Tatsachen muß man respektieren, selbst wenn man Theologe ist. Dann hätte der theologische Historiker diese Tatsachen zunächst einmal im Sinne der Theologia Prima ohne jedes weltanschauliche Wenn und Aber klarzustellen. Und später erst wäre die hermeneutische Aufgabe einer theologischen Interpretation jener Tat­sachen anzufassen und beispielsweise die Frage zu klären, ob diese Tatsachen mit angeblich mythologischen oder angeblich unmythologischen Kategorien verstanden sein wollen.

Hier scheint uns das Proton Pseudos des Bultmannsehen Entmythologisierungs­programms zu liegen. Sein hermeneutisches Unternehmen geht von einem falschen Ansatz aus. Bultmann ist der Erbe der alten liberalkritischen Schul­tradition und ihr radikalster Testamentvollstrecker. Er hat die Geschichte Jesu auf ein belangloses Minimum reduziert und behandelt alle sonstige Jesusüher­lieferung als Produkt der Gemeindechristologie. Das aber ist, wissenschaftsge­schichtlich gesehen, ein Anachronismus. Denn die zeitgeschichtliche Erforschung der Jesusüberlieferung hat uns die Augen dafür geöffnet, daß der historische Quellenwert und Tatsachengehalt der Evangelien wesentlich höher ist, als Bult­mann es wahr haben will. Lange genug hat man gegen die Evangelien operiert mit dem Argument, daß sie in allen möglichen kontrollierharen Angaben zeitgeschicht­licher Art geirrt haben und darum auch in ihren unkontrollierbaren Angaben wenig Glauben verdienen. Das Blatt hat sich gewendet. Heute wissen wir, daß die Evangelien in allen möglichen kontrollierharen Angaben zeitgeschichtlicher Art Recht haben, und wir tun darum gut, auch ihre hislang "unkontrollierbaren" Angaben nicht voreilig zu verwerfen.

Was bedeutet das für unsere theologische Gesamtarheit? Es bedeutet, daß wir die Weiterverhandlung über das Problem der Entmythologisierung vertagen müssen, bis wir zu einer einigermaßen vertretbaren Grenzziehung zwischen J esus­geschichte und Christologie gelangt sind - daß wir auf die hermeneutischen Ge­spräche über die Christologie oder Mythologie der Urkirche bis auf weiteres ver­zichten müssen und zunächst einmal alle Kräfte konzentrieren müssen auf die Klarstellung des Verbum Dei incarnatum im Sinne des nudun factum. Es ist gewisser­maßen Vorfeldarheit, die hier geleistet werden muß. Aber freilich, in dieser Vorfeld­arbeit fallen alle wesentlichen Entscheidungen.

Wie ist es zu dieser Wendung der Dinge gekommen? Es sind in den letzten fünfzig, vor allem aber den letzten fünfundzwanzig Jahren eine ganze Reihe überraschender Funde und Beobachtungen zur neutestamentlichen Zeitgeschichte und christlid1en Urzeit gemacht worden, die uns zwingen, unsere vulgär wissen­schaftlichen Vorstellungen von der Geschichte J esu grundlegend zu revidieren; Was sind das für Funde und Beobachtungen? Ich will versuchen, hier einen ganz kurzen überblick zu gehen über dieses erregende Stück Forschungsgeschichte, von

Page 24: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER REALTHEOLOGIE? 23

dem ich anderwärts etwas eingehender gesprochen habe1• Wir halten uns dabei nicht an die Reihenfolge der Entdeckungen, sondern an die Zeitfolge der Geschichte J esu. Wirkönnen nur im Protokollstil registrieren, ohne viel Kommentar. Aber wir den­ken, die Tatsachen reden ihre eigene Sprache. Es handelt sich dabei allermeist um Funde und Be~bachtungen, deren Auswertung noch gründlicher Erörterung bedarf. Die Arbeit ist noch in vollem Gang, und es ist nicht leicht, auf das Wenn und Aber zu verzichten, das den Leser auf all die Fragen hinweisen müßte, die hier noch zu prüfen und zu klären sind. Aber es muß mit dem generellen Vorbehalt genug sein, den wir hier mit großem Nachdruck voranstellen: Wir sprechen hier nur von der Infragestellung des vulgärkritischen Jesuspildes, noch keineswegs von einem ferti­gen neuen Bild der Geschichte Jesu.

IV

I. Luk. 2, I ff. setzt die Schatzung in die Tage des Königs Herodes, Josephus mindestens zehn Jahre später. Lukas spricht von einer Meldung Josephs und Marias in der Sippenheimat, der römische Bürgerzensus kennt nur die Meldung des Haus­herrn am Wohnort. Also ist Lukas unhistorisch? Schon Mommsen hat gewußt, daß Augustus für die gleichzeitige Schatzung in Gallien "vierzig Jahre gebraucht" hat. Der Kaiser hat das Ende des Zensuswerks gar nicht mehr erlebt! Und die Papyrus­funde der letzten beiden Menschenalter bezeugen für den römischen Provinzial­zensus mit kleinen lokalen Abwandlungen dasselbe Schatzungsverfahren, das Lukas voraussetzt.

2. Die Geschichte vom Stern zu Bethlehem in Mt. 2 ist nach Bultmann und vielen anderen eine fromme Legende. Schon Kepler hat diese Geschichte auf die Jupiter­bahn des Jahres 7 vor Christus bezogen. I 902 hat Spiegelberg eine ägyptische Pla­netentafel aus augusteischer Zeit publiziert, die die Jupiterbahn für die Jahre I7 vor bis 10 nach Christus präzis vorausberechnet. _Und 1925 hat Schnabel einen babylonischen Sternkalender für das Jahr 7 vor Christus entziffert, der die einzig­artigen Jupiterkonstellationen des Keplerjahres genau voraussagt. Wir besitzen jetzt also gewissermaßen den astronomischen Taschenkalender, mit dem sich die Sterndeuter Anno 7 auf den Weg gemacht haben.

3· Das Johannesevangelium ist nach Bultmann ein Produkt der syrischen Gnosis, nach Hirsch ein Literaturprodukt des zweiten Jahrhunderts, das erst nach I 50 p. C. fertig geworden ist. Die Ausgrabungen der Österreicher in Ephesus (seit 1898), die rechtsgeschichtlichen Untersuchungen über das Domitianische Verbannungssystem und die numismatischen Forschungen zur Flavierzeit haben die altkirchliche Über­lieferung über den Apostel Johannes in Ephesus bis jetzt nur bestätigt. Und der Papyrus Ryland (J. 18, 31. pf. 37f.) der 1935 gefunden wurde, beweist, daß das Johannesevangelium um uo, vielleicht schon vor Ioo, bis nach Kgypten gedrungen

1 s. E. Stauffer, Die Wunderberichte des Neuen Testaments (K. Froer, Ne~e Wege im: kirchl. Unterricht, 1949, S. 34ff.); Der Stand der Neutest. Forschung (L. Hennig, Theologie und Liturgie, 1952, S. rff.); Neue Wege der Lebenjesuforschung, 1952.

Page 25: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

24 ETHELBERT STAUFPER

war, und zwar, wie jene Stichprobe vermuten läßt, schon in der heute vorlitlgen-den Gestalt. ·

4· Anno 1947 sind in der Wüste Juda 11 Lederrollen aufgetaucht, die dort im neutestamentlichen Zeitalter vergraben sein dürften, darunter eine fast unversehrte Zwillingsschwester jener Rolle, die Jesus bei seiner Antrittspredigt in Nazareth in der Hand hatte (Luk. 4, 17). Die anderen Rollen enthalten aramäische und hebräische Texte, die allesamt so gut wie sicher aus vorchristlicher Zeit stammen und uns will­kommenen Aufschluß versprechen über die apokalyptische Gedankenwelt, in der Jesus aufgewachsen ist, vor allem aber über die Priestertradition, von der Johannes herkommt - ein neues Fragezeichen zu den Hypothesen über die gnostischen Wur­zeln des Urchristentums.

5· In M. 1, 13 steht der vielverkannte Satz von Jesu messianischer Herrschaft über die Raubtiere: "al ~~~ f.Uir:a r:ii:w {}TJf?lwv. Es gibt dazu eine überfülle religions­geschichtlicher Parallelen, mehr, als je ein Gelehrter zusammengestellt hat. Ist es deshalb ein Legendenmotiv, aus mythischer Tradition? Nein, alle terminologischen und quellenkritischen Indizien sprechen dafür, daß dieser Satz auf eine Andeu­tung Jesu zurückgeht.

6. In allen vier Evangelien erscheint der Begriff Menschensohn als entscheidende Selbstprädikation Jesu und Zentralbegriff seines mythischen Selbstzeugnisses. Er ist der Menschensohn im Sinne Daniels, Deuterojesaias und Henochs, der vom Himmel herabkommt, den Weg der Selbstentäußerung geht, sein Leben hingibt zum Lösegeld für die Vielen, zum Gottesthron erhöht wird und dereinst wieder­kommen soll auf den Wolken des Himmels. Alle Indizien, nicht zuletzt die tal­mudische Polemik und Zensur (s. u. 7c), sprechen dafür, daß Jesus diese Selbst­bezeichnung in diesem hochmythologischen Sinne tatsächlich gebraucht hat. So stehen wir nun vor einer Alternative, aus der uns auch kein Entmythologisierungs­akt mehr retten kann: Entweder war Jesus das Wunder der Weltgeschichte -oder er war ein armer Narr. Tertium non datur.

7· In J. 8 gipfelt das Selbstzeugnis Jesu in dem rätselhaften Ego eimi. "Wenn ihr den Menschensohn erhöht, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin" (8, 28). Diese prädikatlose Ichformel ist in der sonst so gern zitierten Gnosis ohne Beispiel. Der Kontext unseres Verses weist uns in das Alte Testament zurück. Im Alten Te11tament ist Ego eimi eine Formel göttlicher Selbstprädikation und Umschrei­bung des Jahvenamens (cf. Ex 3, 14 u. ä.). Sollte Ego eimi im Munde Jesu etwa soviel bedeuten wie "Ich bin Jahve"? Drei Beobachtungen sprechen für diese kühne Deutung:

a) J. 8 gehört noch in den Rahmen des Laubhüttenfestes. Im Ritual des Laub­hüttenfestes aber spielt eine Ichformel als Umschreibung des Jahvenamens eine Rolle. Ergo hat Jesus die Ichformel in J. 8 wohl im Sinne der Festliturgie ge­braucht (vgl. Sukka 4, 5 und 5 3a).

b) Die Juden wollen Jesus nach seinem dritten und letzten Ego eimi in J. 8, 58 steinigen, wie man einen Gotteslästerer steinigt.

Page 26: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER REALTHEOLOGIE? 25

c) Der Jerusalemer Talmud erklärt im Tone des Ketzergerichts: Wenn ein Mensch sagt, ich bin der Menschensohn, so lügt er. Wenn er sagt, ich bin Gott, so wird er es bereuen. Wenn er sagt, ich steige zum Himmel empor, so wird er es nimt vollbringen" (jTaan .2., 1). Das kann nur eine Polemik gegen Jesus sein. Denn es handelt sich hier um die drei höchsten Selbstprädikationen, die in der Geschichte Jesu eine Rolle spielen und in J. 8, .2.8 vereinigt sind: Menschensohn, Erhöhungs­prophetie, Ego eimi. Dazu stimmt überdies, daß die Talmudzensur jede Menschen­sohnprädikation und jede Ichformel aus der orthodoxen jüdischen Literatur aus­gerottet hat.

8. In M. J, .2..2. hören wir von der jüdischen Theologenkommission, die aus Jeru­salem nach Galiläa kommt, um die Wundertätigkeit Jesu an Ort und Stelle zu untersuchen. Sie kommt zu dem gutachtlichen Ergebnis: Er tut Wunder- aber er tut sie in der Vollmacht des Teufels. Diese Nachricht findet eine überraschende Bestätigung durch Josephus, den Talmud und die jüdischen Stimmen bei Justin, Celsus, Tertullian, Pseudoklemens, Hieronymus u.a.m. überall dieselbe polemisme Behauptung: Jesus hat Wunder getan in der Vollmacht des Teufels. Aber überall audJ dasselbe realistische Eingeständnis: Jesus hat Wunder getan. Und darauf allein kommt es dem Historiker an. Er sieht sich nach den klassischen Regeln der Quellenkritik (s.o. II, 3) zu dem Schlusse gezwungen: Jesus hat nach dem grimmi­gen Zeugnis seiner grimmigsten Gegner viele und große Wunder getan.

9· ·Mit jener Feststellung ist die kritisme Arbeit an den einzelnen· W underberich­ten des Neuen Testaments freilich nodJ nicht abgeschlossen, sondern erst eröffnet. Aber auch in dieser Detailarbeit können uns neue Funde und Beobachtungen wei­terhelfen. Dafür zwei kleine Beispiele: In J. 5 hören wir von dem Heilungswunder am Teiche Bethesda. Kein antiker (griechischer, römischer oder jüdischer) Autor erwähnt diesen Teich. Also hat es diesen Teich vielleicht gar nicht gegeben, also ist die ganze Wundergesmichte von Joh. 5 vielleicht eine fromme Erfindung? So hat man sich gefragt. Inzwischen aber sind die Spuren des Teiches Bethesda und der herodianischen Badehallen von Joh. 5, .2. durch eine Reihe zufälliger Entdeckungen und planmäßiger Grabungen ans Licht gekommen, und zwar genau an der Stelle, an der die Jerusalemer Lokaltradition sie immer gesucht hat, im Raume des St. Annaklosters. Joachim Jeremias hat jetzt ausführlich darüber berichtet (Die Wie­derentdeckung von Bethesda, 1949). - In Mt . .2.1, 19 hören wir von der Ver­fluchung des Feigenbaumes, der im März keine Früchte aufwies. Kann ein Feigen­baum denn überhaupt so früh schon reife Früchte bringen? Man weiß zwar längst, daß es Frühfeigen gab, die schon vor Passah reif wurden. Aber kommt das hier in Betramt? Jawohl, denn die Frühfeige heißt auf hebräisch phag, im Plural phage, unsere Geschichte aber spielt im Umkreis von Bethphage, Bethphage heißt dem­nach Haus der Frühfeigen. Ergo war diese Gegend berühmt für genau die Feigen­sorte, wie sie Jesus nach Mt . .2.1 dort erwartet hat.

10. Die Einsetzung des Petrus zum Felsen der Kirme galt lange Zeit als früh­katholische Fiktion, so lange, als man nur über Mt. 16 debattierte. Sie ist aber historisch gesichert durch den Beinamen Kephas,. den Jesus nach M. 3, 16 dem

Page 27: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

26 ETHELBERT STAUFPER

Apostel Sirnon verliehen hat. Und was diese Namensverleihung bedeuten mußte, kann man aus spätjüdischen Texten lernen (s. Stauffer, ZKG I944)· Die sonstigen Nachrichten über Petrus aber rücken jetzt in ein ganz neues Licht durch mancherlei Funde und Beobachtungen zur Geschichte der Cathedra Mosis, der jüdischen Mär­tyrergräber und des römischen Petrusgrabe~ (zum letzten Punkts. jetzt Esplorazioni sotto la Confessione di San Pietro in Vaticano eseguite negli anni I940-I949· Rela­zione a cura di Ghetti, Ferrua, J osi, Kirschbaum, Prefazione di Mons. L. Kaas, I, II, Citta del Vaticano, I951)· ·

II. Die Geschichte vom Zinsgroschen habe ich in meinem Caesarenbuch numis­matisch analysiert. Gleichzeitig hat ein ausländischer Kritiker ihre historische Glaub­würdigkeit angezweifelt mit dem Argument: Sie kann gar nicht passiert sein, weil man Münzen mit Kaiserporträt im gelobten Lande des Bilderverbotes nie geduldet hätte. Man muß sich wundern, daß nach den Ausgrabungen von Dura-Europos noch jemand so zuversichtlich mit dein jüdischen Bilderverbot argumentiert. Hier jedenfalls ist diese Beweisführung gänzlich mißglückt. Denn erstens weiß der Numismatiker aus den Geschichten vom Barmherzigen Samariter, Schalksknecht, Brotwunder, von den Arbeitern im Weinberg, der Fußwaschung und der Tempel­steuer, daß Münzen mit Kaiserporträt massenhaft in Palästina umliefen, zweitens ~ind die numismatischen Angaben der Evangelien durch palästinische Münzfunde bestätigt worden, und drittens besitzen wir zahlreiche jüdische Aufstandsmünzen, die nichts anderes sind als überprägte Kaiserbildmünzen.

I2. In L. 22, 20 hören wir von einem zweiten Becher beim Abendmahl. Das galt früher einmal als unhistorische Zutat des Evangelisten. Seit Billerbeck spätestens kann jedermann wisseil., daß das jüdische Passahritual nicht nur zwei Becher vor­schrieb, sondern zur Zeit Jesu mindestens drei.

I 3. Die Zeichnung des Pilatusbildes in den Evangelien galt bisher als tendenziös. Das Studium der Pilatusmünzen, ihrer Symbolsprache und ihrer Chronologie führt uns zu dem Ergebnis, daß unsere Evangelien die politische Zwangslage des Pilatus im Frühjahr 32 aufs gerraueste erfaßt und wiedergegeben haben.

14· Das Grab Jesu lag nach Joh. I9, 20. 4I vor den Toren Jerusalems (vgl. Hehr. 13, uf.). Die heutige Grabeskirche aber liegt innerhalb eines Mauerringes, der durch gewisse antike Mauerreste bezeichnet wird. Wer hat falsch lokalisiert, das Evangelium oder die heutige Jerusalemer Lokaltradition? Niemand .. Denn das Heilige Grab liegt innerhalb der späteren (nachjesuanischen), aber außerhalb der älteren Ringmauer, wie aus vielerlei Indizien hervorgeht.

i:5. Die Nachricht vom Leeren Grab gilt vielen immer noch als eine apologetische Legende der Spätzeit. Sie ist aber schon vor und bei Pault.Js vorausgesetzt, wie man gegen Bultmann feststellen muß (Ag. 2, 24; I. Kor. 15, 4; Ag. I3, 29f.; 1. Kor. I 5, 4 ff.; Röm. 6, 4). Nach Mt. 28, I 5 ist die Nachricht vom Leeren Grab in der polemischen Form des Gerüchtes vom Grabesraub noch jahrzehntelang verbreitet worden. Das wird durch jüdische und römische Zeugnisse mehrfach bestätigt. Viel­leicht durch diesen jüdischen Nachrichtendienst, vielleicht auch durch eine direkte Meldung des Pilatus an die römische Reichsregierung mag ein verschärfter Erlaß gegen Leichenraub und Grabschändung veranlaßt sein, der uns auf einer Marmor-

Page 28: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER REALTHEOLOGIE? 27

tafel "aus Nazareth" auszugsweise erhalten ist und nach Schriftform und anderen Indizien aus der frühesten Kaiserzeit stammt. Die Echtheit der Inschrif,t, schon von Franz Cumont überzeugend vertreten, ist heute allgemein anerkannt. Die präzise Datierung hängt aufs engste mit der rechtsgeschichtlichen Interpretation zusammen und ist noch immer heftig umstr~tten. Augustus? Coponius? Caligula? Vespasian? Hadrian? Alle diese Ansätze stoßen auf fast unüberwindliche Schwierigkeiten. Am geringsten sind die Aporien bei einer Datierung in die Spätzeit des Tiberius. Dann aber spricht vieles dafür, daß wir hier ein römisches Originaldokument aus der ältesten Kontroverse um das Leere Grab vor uns haben, ganz im Sinne von Mt. 28, 15.

V

Es ist nicht leicht, so trocken zu bleiben. Aber wir wollen so nüchtern wie mög­lich die Schlußbilanz ziehen. Was hat die Lebenjesuforschung durch die Funde und Beobachtungen der letzten fünfzig Jahre zugelernt? Sieben Dinge, meine ich.

1. Daß die Evangelienkritik der liberalen Theologie und aller ihrer Mitläufer und Nachzügler sich bedenklich kompromittiert hat und kompromittieren mußte, weil sie mit weltanschaulichen Prämissen und unhistarischen Kriterien gearbei­tet hat.

2. Daß die Evangelienberichte historisch ernst genommen werden wollen, daß sie aber auch historisch ernst genommen werden dürfen und müssen.

3· Daß das Problem des Historismus, der Absolutheit Jesu und heilsgeschicht­lichen Bindung des Christusglaubens durch die historische Forschung in ein ganz neues Stadium eingetreten ist, von dem beispielsweise Martin Kaehler oder Ernst Troeltsch noch keine Ahnung haben konnten. Daß aber durch dieselbe historische Arbeit auch ganz neue Lösungsmöglichkeiten jenes Problems geschaffen sind, kann hier nur noch ausgesprochen, nicht mehr ausgeführt werden.

4· Daß wir künftig in der Evangelienkritik gar· nicht gewissenhaft. und behut­sam genug vorgehen können. Schon Hermann Gunkel hat es uns eingeschärft: Die historische Trad~tion bleibt in Geltung ,o lange, bis sie wirklich widerlegt ist. Wir können nach all den Funden und Beobachtungen der letzten Jahrzehnte gar nichts Besseres tun, als diese Maxime feierlich erneuern. Die Evangelienberichte bleiben in Geltung so lange, bis sie wirklich widerlegt sind. Wir werden nie so weit kommen, daß wir die Evangelienberichte Punkt für Punkt durch profanhistorische Argu­mente und Denkmäler sicherstellen können. Aber unsere wissenschaftliche und kirchliche Verantwortung macht es uns zur Pflicht, die Evangelienberichte historisch ernst zu nehmen, bis sie wirklich widerlegt sind. In dubio pro tradito! Und so warten wir denn auf die kommenden Widerlegungen, mit guter Ruhe und ein klein wenig Ironie.

5. Daß in der Geschichte Jesu tatsächlich Dinge geschehen sind, die man durch kein Entmythologisierungsverfahren aus der Welt schaffen kann. Ideengeschicht­liche Dokumente kann man entmythologisieren, r~algeschichtliche Tatsachen nicht.

Page 29: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

28 ETHELBERT STAUFFER

Mag unsere historische oder philosophische Schulweisheit nun zusehen, wie sie diese Tatsachen verarbeitet.

6. Daß diequaestioprima aller theologischen Forschung die Frage nach dem Ver­bum Dei incarnatum ist, das aber heißt, wissenschaftlich gesprochen: die Rekon­struktion der Geschichte Jesu mit den Mitteln der historischen Kritik. Klar, daß das "Ergebnis" dieser historischen Kritik und Rekonstruktionsarbeit immer hypothetisch sein wird. Aber gibt es in der theologischen Wisseru;chaft irgendwo sonst ein hypo­thesenfreies Feld? Ist etwa die exegetische Arbeit weniger hypothetisch als die Leben­jesuforschung? Gibt es etwas Hypothetischeres als die hermeneutischen Praemissen. und Thesen der Entmythologisierungstheologen? Wir können den Hypothesen im Raume der Wissenschaft nirgends entrinnen. Das ist manchem gewiß ein Skandalon, aber auch in diesem Skandalon ist die Sophia Gottes am Werk, die uns lehren und zwingen will, unsernGlauben nicht auf hypothetische Dinge zu gründen. Es gibt ein "Glauben, daß ... ", das uns in der historischen Arbeit nur immer problematischer­wird. Es gibt aber einen "Glauben an", der in dieser Arbeit nur immer mächtiger und reicher, freier und tiefer wird. Das ist der Glaube der Drei Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Es ist der Glaube an den Gott, der im Verbum Dei incar­natum zu uns spricht.

7· Noch einmal: Es ist im Augenblick alles im Fluß. Es kann nicht davon die· Rede sein, an die Stelle der alten, liberalkritischen securitas etwa eine neukonser­vative securitas zu setzen. Aber es geht etwas mit uns vor, wenn wir das Neue· Testament im Lichte der zeitgeschichtlichen Forschungsarbeit sehen lernen. Wir­werden Realisten, werden unabhängig von den ungezählten Postulaten und Vor­verständnissen der verschiedenen Schultheologien, mögen sie noch so tiefsinnig odet" populär, noch so fromm oder modern sein, wir werden so realistisch, daß wir schon fast nicht mehr als Theologen erscheinen. Und das ist vielleicht gar nicht so· schlimm - wenn wir an das denken, was wir oben in Satz II 1 5 von der geringen Nachfrage nach Theologie gesagt haben. Aber freilich, wir werden Realisten, weil uns die Welt des Neuen T.estaments in ihrer ganzen Realistik groß wird, farbig und anschaulich, lebendig und mächtig. Wir werden Realtheologen, wenn wir ein neues Wort wagen dürfen für diese neue Sache. Wir kommen heraus aus der Theo­logie der Begriffe und Formeln, die uns alle so kalt macht und unsere Hörer S(}

kalt läßt, und kommen hinein in eine Theologie der Tatsachen, wir treiben Real­theologie mit unseren Studenten, unseren Gemeinden, unseren Konfirmanden und unseren Primanern: Komm und sieh!

Page 30: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

HANS- WERNER BAR TSCH

DIE NEUTESTAMENTLICHE THEOLOGIE IN DER ENTSCHEIDUNG

(Oberarbeitete Fassung einer Erwiderung auf den Vortrag E. Stauffers, die im Dt. Pfarrerblatt 1949, S. 541 f. zuerst erschien)

Die Kritik, mit der E. Stauffer sich gegen Bultmann wendet, darf gerade darum nicht übersehen werden, weil sie sich nicht allein gegen die programmatische Schrift Bultmanns, auch nicht allein gegen die Arbeit Bultmanns überhaupt wendet, son­dern gegen die Linie neutestamentlich theologischer Arbeit, die St. als die Testa­mentsvollstreckerirr des alten auf der historischen Kritik basierenden Liberalismus bezeichnet, und die er einerseits in Martin Kaehler und seinen Schülern andrerseits in den Vertretern der gattungs- und formgeschichtlichen Forschung sieht1 • Es ist damit zwar eindeutig erwiesen, daß St.s Kritik weit im Vorfeld des zur Debatte stehenden Problems einsetzt und auch nicht wesentlich darüber hiJ;J.auskommen kann. Nicht das Problem selbst steht zur Debatte, sondern die Voraussetzungen, die zwei Menschenalter zurückliegen, auf deren Obernahme die theologische Arbeit am N.T. seither vorwärtsgetrieben worden ist. Daß St. das Problem aber als Er­gebnis dieser Entwicklung sieht, die unter dem Einfluß M. Kaehlers und der form­geschichtlichen Forschung vorangetrieben wurde, ist richtig, auch wenn er diese Feststellung mit einem negativen Vorzeichen versieht und darum seinen Angriff nicht gegen das Programm' Bultmanns allein, sondern gegen diese über zwei Men-schenalter hingehende Entwicklung richtet. ·

Wenn die Diskussion damit auf einen Punkt zurückgeworfen wird, der schon lange erledigt schien, so ist auch dies nicht unbedingt ein Schade, sondern vielleicht eine Notwendigkeit; denn was "die theologischen Spatzen von allen Dächern pfei­fen"2 ist damit noch lange nicht Allgemeingut der kirchlichen Verkündigung geworden. Ja, mancher "theologische Spatz" wird das, was er einst gepfiffen hat, im Amt später wohlweislich verschweigen. Die Stimmen der Kirche pfeifen zumindest weithin andere Töne, und in der Diskussion ist es des öfteren deutlich geworden, daß man durchaus nicht so aUgemein gewillt ist, mit der Erkenntnis Ernst zu machen, daß wir nur das apostolische Christuszeugnis brauchen. Es ist darum nur zu begrüßen, daß hier einmal mit aller wünschenswert~n Klarheit zum Ausdruck gebracht ist, was in zahlreichen kritischen Stimmen bis in die wissen­schaftliche Diskussion hinein verborgen im Hintergrund steht, daß es in unserer Diskussion nicht um irgendeine spezielle Frage der neutestamentlichen Forschung geht, sondern um die grundsätzliche Frage, wie wir das neutestamentliche Zeugnis zu verstehen haben, als Historie, die Heilsgeschiebe genannt wird, oder als Zeugnis, das nicht in dem Sinne an die Geschichte gebunden ist, daß wir auf seine histo-

1 s. o. s. 18.

2 ebenda.

Page 31: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

30 HANS-WERNER BARTSCH

rische Fundierung rekurrieren müßten. So hat St. durchaus recht, wenn er in seiner Kritik bis auf M. Kaehler zurückgreift. Seiner theologiegeschichtlichen Beleuchtung di:r Thesen B . .l ist durchaus zuzustimmen, wenn auch ·einige Korrekturen an­gebracht werden müssen, um den Gegensatz, der zur Diskussion steht, in der not­wendigen Klarheit erkennbar werden zu lassen.

So ist der Gegensatz historischer Jesus :geschichtlicher Christus nicht identisch mit dem Gegensatz sarkischer : pneumatischer Christus, wobei der letztgenannte Gegensatz recht fragwürdige, theologisch wenig präzise Theologumena bringt, mit denen: die neutestamentliche :Theologie ungern arbeitet. Ebenso könnte es leicht irre­führen, von der "theologischen Wahrheit der Evangelien" zu reden. Sir E.Hoskyns (The Riddle of the New Testament) dürfte es endgültig festgeste!lt haben, daß der Ursprung des neutestamentlichen Kerygmas die Botschaft ist: Jesus ist der Christus, und daß in aller Theologie, die das N. T. bringt, nichts hinzugetan, sondern dies nur entfaltet wird. Eine "theologische Wahrheit" ist also keinesfalls von dem neu­testamentlichen Zeugnis abzulösen. Der Gegensatz zwischen historischer Wirklich­keit und Gemeindetheologie, der die Diskussion zur Zeit des theologischen Libe­ralismus beherrschte - und wir fürchten1 daß dieser Gegensatz für den Leser und Hörer in der Formulierung St.s anklingen könnte -, ist für die gegenwärtige neu­testamentliche Theologie nicht mehr vorhanden.

Diese Korrekturen oder Klarstellungen sind notwendig, um den Ansatzpunkt klarzustellen, bei dem St.s Kritik einsetzt. Es geht allein um die Berechtigung des Satzes M. Kaehlers: "Der Glaube hat und braucht allein das apostolische Christus­zeugnis." (So faßt St. Kaehlers theologische Aussagen zu dem Problem sachlich rich­tig zusammen, ohne daß ich die Zitierung nachprüfen konnte. Falls es sich um ein direktes Zitat handelt, müßte es aus di:r Schrift "Der sog.enannte historische Jesus und der geschichtliche biblische Christus", Neudruck 1928, stammen.) Es geht darum, ob M.Kaehler mitRecht die Evangelien eine Urkunde über den Vollzug der kirchengrün­denden Predigt2 genannt hat oder nicht. Und es geht damit zugleich um das Recht der formgeschichtlichen Forschung, den Ursprung der evangelischen Überlieferung, ihren Sitz im Leben, in der Predigt zu sehen. Hier liegt die eigentliche Frage, die St. angesichts der Entwicklung, die an diesem Punkt begann und riun im Ent­mythologisierungsprogramm zu einem gewissen Abschluß gelangt ist, stellen zu müssen glaubt. Das eigentliche Interesse St.s liegt darin, diese Frage zu verneinen. Alle anderen Möglichkeiten der Kritik an Buhmann, die St. aufzählt, sind dem­gegenüber nicht entscheidend, wirke.n höchstens für die Verneinung der Frage gra­vierend. Es sei noch einmal festgestellt, daß St. mit der Zurückführung der Dis­kussion auf diesen Punkt den Kern mancher heftig ablehnenden Kritik gerade von kirchlicher Seite trifft. B.s Programm zeigt der Kirche, wohin die Konsequenzen führen, die aus der Bejahung der Theologie Kaehlers und der formgeschichtlichen Methode führen. Sollte sie zu dieser Linie neutestamentlich theologischer Arbeit

1 ebenda. 2 M. Kaehler, Der sogenannte historische Jesus usw. S. 2.2..

Page 32: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

DIE NEUTESTAMENTLICHE THEOLOGIE IN DER ENTSCHEIDUNG 31

bisher aus irgendwelchen anderen Gründen ihre Zustimmung gegeben haben, als aus der echten Überzeugung, daß in dieser Arbeit tatsächlich das urchristliche Zeug­nis wieder lebendig wird, so wäre allerdings das Programm Bultmanns die letzte Möglichkeit, zum Rückzug zu rufen, so wie es St. tut. Es wird an der Kritik St.s deutlich, daß gerade für die Verkündigung der Kirche die Entscheidung gegenüber dem Programm Bultmanns grundsäzlich zugleich eine Entscheidung gegenüber der Theologie M. Kaehlers und dem Grundansatz der formgeschichtlichen Forschung bedeutet, eine Diskussion in den Einzelheiten ausgenommen.

Um diese Entscheidung recht fällen zu können, ist es nun allerdings notwendig, die These Kaehlers in ihrem Wesen und in ihrer Motivierung richtig zu sehen. St. meint, daß das Problem des Historismus für Kaehler allein durch den da­maligen Stand der historischen Forschung erwachsen konnte; nach dem die Histo­rizität der meisten Berichte wesentlich ungesicherter war als heute. Er sieht also in der Theologie M. Kaehlers und in der formgeschichtlichen Methode, die ja in ihren Anfängen bis in diese Zeit zurückreicht, so etwas wie eine Flucht vor der histo­rischen Kritik. Das Zurückgehen auf das urchristliche Zeugnis als auf das Einzige, auf das es ankommt, ist für ihn ein Rückzug in ein sturmfreies Gebiet, das dl.e historische Kritik nicht mehr antasten kann; weil dieses Zeugnis bestehen bleibt, auch wenn sich die Berichte selbst als historisch nicht haltbar erweisen. Damit ist einmal der Ernst des Anliegens Kaehlers unterschätzt und zum anderen übersehen, daß der Ansatz der gattungsgeschichtlichen Forschung rein im Literarkritischen lag. Sicher war Kaehler dadurch beunruhigt, daß die historische Kritik immer stärker den Boden abgrub, auf dem nach damaliger Anschauung der Glaube beruhte, und sicher trieb ihn diese Überlegung dazu, zu postulieren, daß ein so leicht angreif­barer Boden nicht der Grund des Glaubens sein kann. Aber diese am Negativen erwachsenen Erkenntnisse führten dann zu der wesentlich weiter gehenden, daß jede Abhängigkeit von der historischen Forschung für den Glauben; ein Unding sei. Ihm wurde an der Ungewißheit, in die der Glaube durch die Abhängigkeit von einer im steten Fluß begriffenen historischen Forschung geriet, klar, daß diese Ab­hängigkeit als solche falsch sei, daß der Glaube und die Verkündigung der Kirche weder durch negative Erkenntnisse der Forschung beeinträchtigt, noch durch posi­tive Erkenntnisse eine Stütze finden darf. Sein Postulat war darum, daß es ein Christusbild geben muß, das jedem Bibelleser zugänglich ist und das zugleich von jeder historischen Forschung unabhängig ist. Dieses Christusbild fand er in dem verkündigten Christus. Das Postulat Kaehlers wendet sich also ebensosehr gegen die 3· These St.s, nach der "das Problem des Historismus, der Absolutheit Jesu und heilsgeschichtlichen Bindung des Christusglaubens durch die historische Forschung, in ein ganz neues Stadium eingetreten ist"\ wie es sich damals gegen die idestruktiven Auswirkungen der historischen Kritik wandte.

Es sei nur angemerkt, wie ,relativ doch auch bei St. die Sicherheit bleibt, mit der er sich auf die Berichte der Evangelien verläßt. Wie unangenehm etwa negative

1 s. o. s. 27·

Page 33: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

32 HANS-WERNER BARTSCH

Ergebnisse sein müssen, von denen nur eines hier kurz angeführt sei. G. Baldensper­ger: "Das leere Grab"1 stellt mit zureichenden .historisch kritischen Argumenten fest, daß die Geschichte vom leeren Grabe auf einer Verwechslung der Grabstätten beruhe .. Man mag dagegen einwenden:, daß hier der Historiker zu viel wissen will, aber die Arbeit zeigt auf jeden Fall, daß die historische Forschung in ihrem Fort­schreiten nicht unbedingt zu für die Verkündigung positiven Ergebnissen kommen muß, daß sie vielmehr die Position St.s eines Tages ebenso empfindlich erschüttern könnte, wie seinerzeit die kritische Forschung die Position des positiven Historis­mus erschütterte. Es könnte sein, daß eines Tages die historische Forschung wiederum in "ein gan:z neues Stadium" eintritt. Darum, aber eben nicht nur und nicht zuerst darum bleibt das Postulat M. Kaehlers auch gegenüber St. zu Recht best~hen.

Mit diesem Postulat stand Kaehler damals in dem gleichen Gegensatz zur libe­ralen Theologie, in dem heute Bultmann zu St. steht. Das mag erstaunen angesichts der Tatsache, daß St. sich gegen diese liberale Theologie wendet und in Kaehler, der formgeschichtlichen Forschung und ihren Vertretern die Testamentsvollstrecker dieser libera~en Theologie zu bekämpfen meint. Die Ablehnung der liberalen Theo­logie von seiten St.s darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei diesem Gegensatz nur um einen relativen Unterschied in der Beurteilung der Historizität der Berichte der Evangelien handelt; so wie auch der Gegensatz zwischen der da· maligen liberalen und konservativen Forschung nur auf diesem relativen Unter­.gchied beruhte. Im Grundsätzlichen, in der Beurteilung. des Charakters dieser Be­richte ist St. ebenso wie die alte konservative Forschung mit der liberalen Theo­logie einig. Alle sehen in ihnen zuerst Berichte eines Geschehens, die eben nichts anderes als Berichte sein wollen. Der Unterschied bricht erst in der Beurteilung der Zuverlässigkeit dieser Berichte auf. Demgegenüber ist der Gegensatz zwischen Kaeh­ler und Bultmann einerseits und St., der konservativen und liberalen Forschung <1ndrerseits grundsätzlicher Art. K. und B. wie die gesamte formgeschichtliche For­.schung sehen in den Evangelien zuerst das Kerygma, dort liegt nach ihrer Auf­fassung die Intention aller Perikopen, Die Ausrichtung dieses Kerygmas vollzieht sich auf verschiedene Weise, es treten mit der Zeit andere Intentionen hinzu, aber der Ansatz, von dem her die Entstehung der Berichte zu verstehen ist, ist im Kerygma zu suchen. Demgemäß entscheidet sich die Wahrheitsfrage nicht an der Historizität, sondern an der Botschaft selbst. Die gegenwärtige Verkündigung und der Glaube der Kirche beruhen auf der Entscheidung gegenüber dieser Botschaft, und die Verkündigung heute hängt an der rechten Ausrichtung dieser Botschaft entsprechend der Intention der ersten Zeugen. St. beharrt dagegen mit neuem Opti­mismus bei der Auffassung des Historismus. Er gründet seine theologischen Aus­sagen auf die Zuverlässigkeit, die Historizität der Berichte und lehnt mit aller wünschenswerten Klarheit den Satz ab, in dem er Kaehlers Auffassung zusammen­gefaßt sieht: "Der Glaube hat und braucht allein das apostolische Glaubenszeug­nis." Diese klare Ablehnung ist nur zu verstehen aus der Sicherheit, mit der St.

1 G. Baldensperger: Le Tombeau Vite, Paris I935·

Page 34: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

DIE NEUTESTAMENTLICHE THEOLOGIE IN DER ENTSCHEIDUNG 33

seine "Realtheologie" proklamieren zu können meint. Und damit ist die Kraft­probe gegeben: Hat dieser Satz Kaehlers heute nom die gleiche Kraft, die er­lösende, befreiende Kraft, die er damals ausübte, die immun machte gegen alle An­griffe historischer Kritik, die den festen Boden dieses Zeugnisses fühlen ließ, der nicht zu erschüttern war? Hat dieser Satz heute noch die gleiche Kraft, da For­sdlUngs- und Ausgrabungsergebnisse die historische Kritik weit weniger gefährlich erscheinen lassen, da eine neue Freudigkeit zu erstehen beginnt, sich der Faktizität wunderbarer Ereignisse autoritätsgläubig zu unterwerfen? Das ist die Frage, die der neutestamentlichen Theologie von St. gestellt ist, die er so klar und eindeutig stellt, weil er simer ist, daß die neuen Forschungs- und Ausgrabungsergebnisse, die er dann vorlegen kann, die Situation derart verändert haben, daß man diesen Satz Kaehlers getrost aufgeben kann, da er als Refugium vor der Vernichtung durch die historische Kritik seine Bedeutung verloren hat.

Vielleicht hätte St. noch den gewünschten Erfolg gehabt, wenn er zur Zeit Mar­tin Kaehlers diese Ergebnisse hätte vorlegen können. Damals hat m. W. Tholuck bekannt, daß es seinen Glauben erschüttern könnte, wenn nachgewiesen werden könnte, daß der Apostel Johannes, der Zebedaide, nimt der Verfasser des Johan­nes-Evangeliums gewesen ist. Vielleicht wäre es dann noch besser gelungen,Kaehler totzuschweigen, und die bedrängte konservati;ve Theologie hätte sich erfreut zur Realtheologie bekannt. Nun aber ist die neutestamentliche Theologie durch das Scheidewasser der historischen Kritik hindurchgegangen ohne diese Hilfe. Sie hat ihre Position finden müssen allerdings im Gegensatz zu einer Kritik, die alles in Frage stellte. Und sie hat in diesem Gegenüber· die Freudigkeit gefunden, zu be­kennen,· daß der Glaube an Christus so wenig durch kritische Infragestellung der Historizität neutestamentlicher Berichte und Aussagen erschüttert werden ka~n, wie er den Beweis historischer Fakten, von denen das N.T. zeugt, bedarf. Die For­schungs- und Ausgrabungsergebnisse, von denen St. berichtet, wird die neutesta­~entliche Forschung gerne und dankbar hinnehmen. Sie werden manme historische Skepsis ein wenig zurechtrücken. Sie werden - und das ist wichtiger, - manche literarischen Zusammenhänge klarer erkennen lassen, die Richtung dieses oder jenes Zeugnisses deutlicher machen. Aber sie werden den Glauben der Gemeinde und die Verkündigung ebensowenig fundieren können, wie die historisme Kritik ihn er­smüttern konnte. Aum die sensationellsten Entdeckungen können dies nicht, weil Glaube und Verkündigung nicht von dem historischen Erweis dieser oder jener Ge­schichten abhängen; sondern von dem Zeugnis der ersten Christen, weil sie sich gründen auf die Bibel als die Sammlung der kirchengründenden Predigt der ersten Christen. So hat Martin Kaehlers Satz heute noch die gleiche Kraft, weil er in erster Linie nicht eine Zuflucht war, allein in Abwehr gegen historische Kritik ge­sprochen, sondern weil er ans Licht brachte, daß das Jesusbild der Evangelien, als Christuszeugnis verstanden, ein tragfähiger Grund für den Glauben und die Ver­kündigung der Gemeinde ist, unabhängig von jeder historischen Kritik und qarum auch unabhängig von der Zufälligkeit der Forschungsergebnisse.

~ Kerygma. z. Bd.

Page 35: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

34 HANS-WERNER BARTSCH

Es ist demgegenüber erschütternd, in welchem Maße St.s Argumentation von diesen Ergebnissen abhängig ist, erschütternd, wie armselig er dastehen müßte, wenn zufällig dies alles nun eben nicht entdeckt oder erforscht worden wäre. Es ist ungewollt eine Rechtfertigung der liberalen Theologie, der man es ja nicht vor­werfen kann, daß sie dies alles noch nicht wußte, eine Rechtfertigung, weil St. ihren Grundsatz teilt, der die Abhängigkeit des Glaubens und der Verkündigung von der Historie feststellt.

Abschließend wäre festzustellen, um die Fragestellung zu präzisieren, daß sich die Frage nach der Berechtigung des Satzes Kaehlers, auf dem die weitere For­schung direkt oder indirekt fußt, und aus dem ebenso direkt oder indirekt unser Problem erwachsen ist, sich nicht an der Historizität der Berichte entscheidet, son­dern daran, welches in Wahrheit die Absicht der ersten Zeugen gewesen ist.,Diese Absicht, so ergab es aber die formgeschichtliche Forschung, ist die Predigt, die Aus­richtung des Kerygmas. Man kann hier St. den Vorwurf zurückgeben, den er gegen Bultmann erhebt, daß er sich zum Maß aller Dinge macht\ indem er den evange­lischen Berichten diktiert, was sie berichten wollen, anstatt, wie es die form­geschichtliche Forschung getan hat, erst einmal die Berichte selbst zu fragen, welches eigentlich ihre Intention ist. Den methodischen Grundsätzen, die St. Bult­mann entgegenhält2, wäre noch dieser hinzuzufügen, mit dem die gattungs­geschichtliche Forschung ihren Weg begann, als sie der Untersuchung des berich­teten Geschehens eine psychologische Untersuchung der Berichterstatter im Hinblick auf ihre Motive vorordnete. Eine historische Forschung, die diese Fragestellung beiseite schiebt, weil sie meint, bereits zu wissen, mit welchen Motiven der Bericht geformt ist, gerät in die Gefahr, darum das Bild zu verzeichnen, weil sie die Ur­kunden nach etwas befragt, das sie gar nicht berichten wollen oder können. Es wäre etwa dasselbe, als wollte ein späterer Literarhistoriker das oft so krause Deutsch unserer theologischen Bücher· nach dem Stil der deutschen Literatur unserer Zeit befragen.

In seiner eigenen Kritik stellt St. als den grundlegenden Dissensus zwischen ihm und Bultmann die Frage der Grenzziehung zwischen dem "verbum dei incarnatum" und den "verba hominum" hin. "Wo aber verläuft diese Grenze?" Hier erhebt sich nach St. der Dissensus3 • Im weiteren macht es sich, unsere bisherigen Beobach­tungen bestätigend, wieder geltend, daß St. unter dem verbum dei incarnatum alles das versteht, was zuverlässig auf Jesus selbst an Taten und Worten zurüdt­geht.

Diese Fragestellung erscheint aber als ganze zumindest in ihrer theologischen Bedeutung überholt. Es ist zwar so, daß sich viele Kritiker über den geringen Um­fang dessen ärgern, was nach Bultmanns Kritik (schon in seinem Buch "Geschichte der synoptischen Tradition") an historisch Zuverlässigem übrig bleibt. Aber es ist einfach ein Irrtum, anzunehmen, daß damit zugleich das Urteil über die Grenzlinie zwischen Gottes Wort und Menschenwort gefällt sei. Was diese Grenzlinie angeht,

1 s. o. s. 19· 2 S. O. S. 16f. 3 s. o. s. 21.

Page 36: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

DIE NEUTESTAMENTLICHE THEOLOGIE IN DER ENTSCHEIDUNG 35

geht sie in einem ganz anderen Sinne durch das ganze N.T. hindurch, nämlich so, daß alles ausnahmslos Menschenwort ist, nicht anders als irgendein anderes pro­fanes Dokument, aber als solches ist es ebenso . umfassend als Ganzes Zeugnis des geschehenen Gotteswortes, Zeugnis von dem eschatologischen Handeln Gottes in Christus. Um die Interpretierung dieses Zeugnisses geht es aber, einerlei ob die Wunder Jesu nuda factasind oder nicht. Sie wären ja auch als nuda facta in dem Sinne Mythos, als sie nicht als irgendein anzustaunendes Mirakel verstanden wer­den wollen, sondern (nach der Intention der Berichterstatter) gerade als facta von einem anderen Geschehen zeugen, nämlich von dem eschatologischen Handeln Got­tes in Christus. Es wird daran sichtbar, wie wenig es ausmacht, wo die Grenz­linie zwischen dem historisch Zuverlässigen und dem historisch nicht Haltbaren verläuft. Weil die Entmythologisierung daran einfach nicht interessiert ist, braucht sie nicht auf den Abschluß der Forschung zu warten, der zudem in unerreichbarer Ferne steht.

So sehr St. also im Recht ist, die Entscheidungsfrage zu wiederholen, vor die sich Kaehler gestellt sah, ob wir Glaube und Verkündigung auf die nuda facta gründen wollen, die insgesamt dann die Heilsgeschichte ergeben, oder auf das freie Zeugnis der ersten Christen von dem entscheidenden Handeln Gottes, und so sehr er im Recht ist, hier .den Kern eines großen Teils aller Kritik an Bultmann zu sehen, so ist er im Irrtum, wenn er meint, daß die letztgenannte Entscheidung in irgendeiner Form von dem Fortgang historischer Forschung beeinflußbar sei. Es ist gut, daß diese Entscheidungsfrage heute insofern echter gestellt und darum auch echter beantwortet werden kann, da sie nicht mehr in gleicher Weise unter dem Druck einer möglichen Destruktion der Geschichte steht wie zur Jahrhundertwende. So lassen wir uns erneut vor diese Frage stellen, und jeder Kritiker Bultmanns mag sich prüfen, ob seine Kritik nicht zuerst eine Stellungnahme zu dieser Frage involviert\

1 Wir haben bewußt auf eine Einzeldiskussion verzichtet, um den grundsätzlichen Dissensus klarer hervortreten zu lassen. Die Fragwürdigkeit der Einzelargumente sei nur an zwei Beispielen aufgezeigt:

r. ist die Wiedergabe von Luk. r,rff (S. 15) wenigstens an zwei Stellen falsch. Von einer chronologischen Folge, in der Luk. sein Evangelium schteiben will, ist nicht die Rede, und ebensowenig spricht er davon, daß .er Theophilus von der h i s t o r i s c h e n Zuverlässigkeit überzeugen will.

:z. ist die Forderung unberechtigt, daß zur Erklärung des N.T.s nur Quellen heran­gezogen werden dürfen, die die Männer des N.T.s nachweislich gekannt haben können (S. r8). Es hat eben nachweislich eine vorchristliche Gnosis gegeben, auf die wir mit gutem Recht auch aus nachchristlichen Zeugnissen rückschließen dürfen.

Page 37: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ANMERKUNGEN ZU 0. CULLMANN: CHRISTUS UND DIE ZEIT1

Wenn wir eine Auseinandersetzung mit dem Buch O.Cullmanns, das als Ganzes die Entfaltung einer Bultmann entgegengesetzten Position bedeutet, nur in der Form von Anmerkungen zu den Stellen vollziehen, in denen C. sich direkt mit Bultmanns Programm auseinandersetzt, und wenn wir zudem diese Anmerkungen an die Auseinandersetzung mit Stauffer anschließen, so geschieht dies deshalb, weil wir die grundsätzliche Position Cullmanns in Übereinstimmung mit der Stauffers sehen, mit der Einschränkung, daß C. mehr der formgeschid1tlichen Forschung verbunden ist. Seine theologisme Position kommt jedoch dadurch zum Aus­druck, wie er selbst einmal betont, daß auch ihm als Einteilungsprinzip der neu­testamentlichen Theologie die "Heilsgeschichte" der Grundabsicht der neutesta­mentlichen Verfasser am besten zu entsprechen scheint, und daß er sim an diesem Punkte mit Stauffer eins weiß2 • Es ist, wie es dann in der Entfaltung des Buches immer wieder hervortritt, die gleiche Stellungnahme zur Geschichte, die beide For­scher verbindet, wenn auch die positivere Stellungnahme zur formgeschichtlichen Schule Cullmann von Stauffer relativ unterscheidet. Dieser Unterschied bleibt je­doch relativ, wie seine Zustimmung zur formgeschichtlichen Methode in ganz ent­scheidender Weise begrenzt ist. Diese für Cullmann notwendige Begrenzung seiner Zustimmung ist ihm in der Beschäftigung mit Bultmanns Programm, in dem er mit Recht ebenso wie Stauffer die notwendige Konsequenz seiner formgeschichtlichen Betrachtungsweise der Evangelien sieht, erst deutlich geworden. Diese Begrenzung besteht darin, daß "die Geschichte doch insofern auf jeden Fall ihr Recht behalten muß, als eben jenes Glaubenszeugnis, das in der Evangelientradition zum Aus­druck kommt, die Geschichte selbst zum Gegenstand hat 3 • Diese Geschichte meint nam Cullmann aber Christus "in Ausübung der zeitlich sukzessiven heilsgeschicht­lichen Funktionen"". Und damit wiederum ist gemeint die Funktion Christi als Mittler der Schöpfung bis zu seiner Wiederkehr als Vollender und Mittler der Neuschöpfung .. Es ist somit die Wertung der Geschichte als Grundlage für den Glau­ben und die Verkündigung, die Cullmann von Bultmann scheidet und trotz aller Unterschiede mit Stauffer verbindet.

Es ist Cullmann zunächst ohne weiteres zuzugestehen, daß er mit seiner Dar­stellung die Auffassung der Urchristenheit von der Geschichte trifft. Es ist sein bleibendes Verdienst, das Geschid1ts- und Zeitverständnis der Urchristenheit als grundsätzlich unterschieden von dem des Griechentums dargestellt zu haben al~

1 2. Auflage, Zürich 1948. 2 op. cit. S. 2 I.

3 op. cit. S. 26 (KW:siv vom Verf.). 4 op. dt. S. 95 (Kursiv vom Verf.).

Page 38: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ANMERKUNGEN ZU 0. CULLMANN: CHRISTUS UND DIE ZEIT 37

ein lineares gegenüber dem zyklischen. Es ist aber zu fragen, ob an dem entschei­denden Punkt Bultmann nicht noch schärfer den eigentlichen Grund für dieses Verständnis der Geschichte und Zeit herausstellt, als es Cullmann tut. Zunächst ist es einfach ein Irrtum, wenn er das Programm Bultmanns mit vielen anderen Kri­tikern als das Programm der Loslösung des Kerns der Botschaft von mythologi­scher Einkleidung sieht1 • Es ist oft genug betont, daß es um Interpretation und nicht um Loslösung des "Übergeschichtlichen" vom Geschichtlichen - oder wie man es sonst nennen will - geht. Beides ist aber eben etwas Verschiedenes. Zum anderen übersieht Cullmann, daß auch Bultmann das Kerygma in keiner Weise von der Geschichte löst, daß er im letzten Grunde der Formulierung Cullmanns, daß das Kerygma die Geschichte selbst zum Gegenstand hat, durchaus zustimmen würde. Der Dissensus wird erst dort einsetzen, wo es um die Formulierung dessen geht, was diese Geschichte ist, die das Kerygma zum Gegenstand hat. Diese Ge­schichte ist nach Bultmann zunächst einmal "Gottes Tun, sein entscheidendes eschatologisches Tun", das ·Buhmann dann auch das "Heilsgeschehen" nennt, und von diesem Geschehen sagte er ausdrücklich: "es ist geschichtliches Geschehen in Raum und Zeit". Und weiter: "ist das Wort Gottes ... nüchterne Verkündigung der Person und des Schicksals Jesu von Nazareth in ihrer heilsgeschichtlichen Be­deutsamkeit"2. Weil Cullmann diese Umschreibung der Geschichte nicht genügt, darum erhebt sich sein Widerspruch einerseits, andrerseits tritt er immer wieder zutage als das Mißverständnis, Bultmann wolle lediglich irgendwelche "zeitlosen" Wahrheiten aus der vom Urchristentum berichteten Geschichte erheben. So meint er, Bultmann sehe die Heilsgeschichte als "entbehrlichen Rahmen" 3 wie andere Theologen dies etwa für die Ur- und Endgeschichte annehmen, nur daß Bultmann insofern konsequenter ist, als er diese Anschauung auf die gesamte Heilsgeschichte ausdehnt. Dagegen bedeutet der Verzicht Bultmanns, die Heilsgeschichte selbst kri­tisch darzustellen, auf sie hinter die Verkündigung der ersten Gemeinde zu rekur­rieren, nicht eine Mißachtung als "entbehrlicher Rahmen", sondern es ist lediglich die Anerkennung der Tatsache, daß wir hinter das Kerygma nicht zurückgreifen können, daß wir dem Heilsgeschehen nur in seiner Verkündigung begegnen.

Bultmann hebt nun den entscheidenden Ansatz für das urchristliche Zeit- und Geschichtsverständnis noch schärfer heraus als'Cullmann dies tut, insofern er diesen Ansatz in dem entscheidenden eschatologischen Handeln Gottes im Schicksal Jesu von Nazareth sieht und die Schau der Zeit und Geschichte, die das Urchristentum von daher bezeugt, streng von diesem Ansatzpunkt her versteht. Daß diese Zeit­und Geschichtsschau in der Darstellung einer mit der Mittlerrolle Christi für die Schöpfung beginnenden und mit seiner Mittlerrolle für die Neuschöpfung enden­den Heilsgeschichte begegnet, hat ja nicht seine Ursache darin, daß diese Geschichte als Heilsgeschichte in. jedem einzelnen Punkt al~ solche erkennbar ist, sondern diese Darstellung ist erwachsen aus einer Rück- und Vorwärtsschau von dem einen

1 op. cit. S. 2.5. 2 Kerygma und Mythos, Bd. PS. 52. 2.. Aufl. S. 48 (alle angeführten Zitierungen). 3 Cullmann op. cit. S. 83. k. u. M. PS. 52. 2 S. 48.

Page 39: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

38 HANS-WERNER BARTSCH

Punkt her, den Bultmann als Heilsgeschehen bezeichnet, dem Handeln Gottes in Jesus von Nazareth. Bultmanns Darstellung ist also nichts anderes als eine exi­stentiale Interpretation der von Cullmann dargestellten urchristlichen Zeit- und· Geschichtsauffassung. Damit wäre auch der Vorwurf zurückgewiesen, den Cull­mann ebenfalls mit. vielen anderen (Thielicke, Barth u. a.) erhebt, die Existential­philosophie Heideggers stehe in Wirklichkeit am Anfang des ganzen Unterneh­mens. Am Ende muß es doch Aufgabe einer jeden Interpretation und damit auch' der gegenwärtigen Verkündigung sein, das neutestamentliche Zeugnis mit den Be­griffen der Gegenwart auszurichten. Das ist aber das treibende Motiv, das wir am Anfang des Unternehmens Bultmanns sehen.

Diese Bemerkungen seien als das verstanden, was sie sein wollen, Anmerkungen zu einem Buch, das zwar als Ganzes bewußt im Gegensatz zu dem Programm Bultmanns gestaltet ist, dessen Diskussion sich jedoch für unser Problem auf diese Anmerkungen beschränken muß.

Page 40: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

II

DIE ERSTE STIMME ZUR DISKUSSION

Page 41: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS
Page 42: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

HERMANN SA UTER

FÜR UND WIDER DIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUEN TESTAMENTES

Zu Professor Bultmanns Aufsatz über "Neues Testament und Mythologie" in Heft 7 der Beiträge zur Ev. Theologie1

(Auf Veranlassung der kurhessischen Bek~nnenden Kirche)

Leitsätze

A. Den Wert der Ausführungen Bultmanns sehe iCh in folgendem:

1. NaChdem die religionsgesChiChtliChe SChule den Hintergrund des mythologi­sChen Denkens aufgewiesen hat, auf dem die n.t.liChen Aussagen erst voll ver­ständliCh .werden, ist eine dogmatisChe Besinnung darüber, welChe Folgerungen siCh daraus für unser eigenes Denken ergeben, unabweisliCh notwendig. Jeder VersuCh einer theologisChen Auslegung, einer pneumatisChen Exegese, der diese Frage über­springt, maCht siCh die Aufgabe zu leiCht. Wie immer die Frage auCh zu beantwor­ten sein mag, so haben die Ausführungen Bultmanns zum mindesten den Wert, die Fragestellung in ihrer ganzen SChwierigkeit aufgewiesen zu haben und mit einer geradezu befreienden Klarheit eine Not aufgezeigt zu haben, an der jeder leidet, der heute den Dienst der Verkündigung am Wort zu leisten hat.

2. Die Zielsetzung, die Mythologie des N.T .s niCht zu eliminieren, sondern zu interpretieren, ist m. E. die einzige MögliChkeit, der vorhandenen SChwierigkeiten Herr zu werden. Wie "positiv" das Ergebnis solCher Besinnung über den Inhalt des Mythos sein mag, auf jeden Fall setzt sie, wenn sie Interpretation sein will, einen Inhalt voraus, der niCht preisgegeben werden darf, und ist also sChon um des willen "positiv" zu werten.

3· Bei der DurChführung dieser Interpretation ergibt siCh wohl eine enge Ver­wandtsChaft mit philosophisChen AnsChauungen, aber um so bedeutsamer ist, ·daß der theologisChe und niCht philosophisChe Ansatzpunkt, nämliCh die Voraussetzung einer jenseitigen MaCht,· in einer feinen Linie durCh die ganze UntersuChung siCh immer deutliCher im UntersChied zur philosophisChen BetraChtung herausstellt. An­drerseits gibt gerade die Verwandtschaft mit der Existentialphilosophie Heideggers

1 Dieser Beitrag hat seine Bedeutung nicht nur als erste Stimme der Diskussion. sondern auch als erstes Bemühen der Kirche um das Problem. Im x. Band bezieht Thielicke sich ausführlicher auf das Gutachten der Hessischen Bekennenden Kirche. Wenn wir dieses Gutachten nunn1ehr der Sammlung einfügen, nachdem es xo Jahre ein verborgenes Dasein in hektographierten Exemplaren geführt hat, möchten wir damit zugleich darauf verweisen. daß das Gespräch von Anfang an als kirchliches Gespräch geführt wurde (Hsgb.).

Page 43: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

4:2 HERMANN SAUTER

in der Tat, wie Bultmann sagt, sehr zu denken (ähnlich wie manche Ergebnisse der Psychologie). Was Bultmann über die Freiheit eines entsicherten Lebens zu sagen weiß, das berührt unsere christliche Existenz viel tiefer als eine Dogmatik, die die objektivierenden Aussagen des N.T .s übernimmt, aber die Richtung ver­fehlt, in der überhaupt Wahrheit als Begegnung sich uns erschließen kann. Müssen wir nicht die Möglichkeit ins Auge fassen, daß die Bekenntnistreue keine Siche­rung ist gegen eine Festlegung, die dem Gehorsam gegen die Wahrheit im kon­kreten Lebensvollzug ausweicht?

B. Bei alledem bleibt aber hinsichtlich des Ausgangspunktes, der Zielsetzung und der Durchführung der Untersuchung folgendes zu erwägen:

I. Der Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Spannung zwischen mytho­logischem und wissenschaftlichem Denken. Bultmann ist der Meinung, daß diese Spannung beseitigt werden muß. Könnte es nicht sein, daß der Sinn der geistes­geschichtlichen Entwicklung ist, sie dadurch zu ertragen, daß die Bezogenheit beider Formen des Denkens aufeinander bewußt wird? Freilich wäre dann das mytho­logische Denken auch nur eine Denkform, aber doch diejenige, in der übersinn­liches allein ausgesprochen und die Innenseite der Dinge allein zum Ausdruck ge­bracht werden kann, ich möchte sagen, fast wie Raum und Zeit bekanntlich die Anschauungsformen unserer sinnlichen Wahrnehmung sind. Aber es wäre dann von tiefer geistesgeschichtlicher Bedeutung, daß die Menschheit zunächst die Denk­form entwickelt hat, in der eine Symbolsprache für Unaussprechbares geschaffen

-wurde, und daß, als die Zeit erfüllt war für die Erscheinung Jesu Christi auf Erden, zugleich die mythologische Sprache bereit war, um seine Erscheinung zu er­fassen. Man könnte und brauchte dann nicht die F~age, ob geistesgeschichtlich auch ohne das N.T. die Natur des Menschen hätte entdeckt werden können1), ab­zuweisen. Dabei ergibt sich gegenüber der Erscheinung J esu die seihe Reduzierung des mythologischen Denkens, die die ganze Bibel von dem außerbiblischen Denken unterscheidet, nämlich, daß nur gottmenschliche Begegnungen geschildert werden, lO daß es "für den frommen Bibelleser eine erbauliche Betrachtung der Bibel gibt, die von jeder wissenschaftlichen und historisch kritischen Betrachtung der Bibel unabhängig ist" 2• Da andererseits das wissenschaftliche Denken immer nur die Außenseite der Dinge erforscht und in dieser ErforsChung immer auf dem Wege bleibt und nie sich festlegen kann, so kann die Spannung ertragen werden, auch dann, wenn ein Ausgleich beider Denkformen nicht möglich ist.

2. Der Mythos bedarf dann freilich der Interpretation, um die Spannung zu ertragen, nicht um sie zu lösen. Die Interpretation bedeutet dann nicht, eine an­dere als die mythologische Sprache zu finden, in der die Inhalte des mythologi­schen Denkens auch ausgedrückt werden könnten, sondern nachzuweisen, warum die dem mythologischen Denken gegebenen Inhalte nicht anders verarbeitet wer-

1 K. u. M. P S. 3 5f 2 S. 33f. 2 (Alfr. Jeremias: Das Alte Testament im Lichte des alten Orients, 4· Aufl., S. n.)

Page 44: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

FÜR UND WIDERDIEENTMYTHOLOGISIERUNG DESNEUEN TESTAMENTES 4:3

den können als in der mythologischen Form, daß, ob auch das Ding an sich uns unzugänglich ist, es für uns in dieser Weise da ist, seinen Realitätsgehalt ent­hüllt, und der Glaube, wenn er im Mythos seinen Ausdruck findet\ ebensowenig selbstschöpferisch ist wie die "reine" Vernunft, die in Wirklichkeit geformt und nicht nur formend, empfangend und nicht produzierend ist. (Kritik Schlatters an Kant). So enthält und enthüllt der Mythos immer zugleich ein Stück echter Gnosis, das festgehalten werden muß, auch wenn es im Widerspruch zum wissenschaft· lichen Denken steht, damit der Glaube nicht nur Abstraktion wird. Aber die kri· tische Interpretation des Mythos hört deswegen nicht auf. Sie hält der gläubigen Hinnahme die Waage, damit der Mythos niemals um der Gnosis, sondern um der Begegnung mit Gott willen bewahrt wird.

3· Die befreiende Tat Gottes, die das eigentliche Sein erst möglich macht, ist das Heilsgeschehen in Christus. Aber wie jeder Mythos die Innenseite der Dinge zum Ausdruck bringt, so enthüllt sich auch das Heilsgeschehen in Christus nur, wenn wir genötigt sind, den inneren Zusammenhang von Tod und Auferstehung Christi von innen her zu erfassen. Das kann man aber nur, wenn man die Bezogenheit dieses Zusammenhangs auf uns selbst erfaßt. Daß das unter Zuhilfenahme mytho­logischer Denkformen möglich ist, gibt ihnen ein höheres Recht, zugleich aber wird, sobald dieser Zusammenhang erfaßt ist, die Auferstehung im mythologischen Rah­men ihrer Bezeugung echtes Ereignis.

Zusammenfassend: Mag auch die Berichterstattung der Apostel von dem Heils­geschehen durch das mythologische Denken geformt sein, so gibt es keine Möglich­keit einer rein historischen Form der Berichterstattung vom Heilsgeschehen; und die mythologische hat darin ihr Recht, daß sie die sachgemäße Form ist, um echte Erlebnisse der Gottesbegegnung zum Ausdruck zu bringen. Diese Erlebnisse haben einen Realitätsgehalt, der historisch gar nicht faßbar ist. Das wissenschaftliche Denken bewahrt uns davor, ihn massiv zu vergröbern, das mythologische Denken bewahrt uns davor, ihn abstrakt zu verflüchtigen, in der lebendigen Spannung bei­der Denkformen halten wir uns offen für das Geheimnis einer Begegnung, der mehr zugrunde liegt als das Kommen Christi in unser Denken,.nämlich das Kom­men Christi in unser Fleisch.

Erläuterungen zu den Leitsätzen

Erläuterungen zu AI.

Der erste Satz nimmt Stellung zu qer theologiegeschichtlichen Situation, in der wir uns gegenwärtig befinden. Die Situation, in der die Kirche heute ihren Kampf zu kämpfen hat, wird leicht so verstanden, als ob sie lediglich die Aufgabe habe, das Bekenntnis der Väter gegen eingedrungene Irrlehrer zu bewahren. Aber so ist die Situation nicht. Während sie genötigt ist, zu bekennen, haben sich die Voraus­setzungen, unter denen sie bekennt, gewandelt. Der Angriff stellt die Kirche vor

I K. u. M. 11 S. 23 2 S. zz.

Page 45: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

44 HERMANN SAUTER

die Frage, ob sie zu bekennen gewillt ist, die Wandlung in der theologiegesmicht­lichen Entwicklung stellt sie vor die Frage, ob sie zu bekennen fähig ist. Auf keinen Fall kann sie einfam das Bekenntnis der Reformation wiederholen. Sie würde sonst verleugnen, daß sie seit der Reformation eine Gesdlichte gehabt hat, die wie alle Gesmimte nicht ohne Ertrag gewesen sein kann.

Insonderheit aber hat die jüngste Phase in der Entwicklung, die religions­geschichtlime Schule, nicht einfam willkürlich eine neue Situation geschaffen, son­dern sie hat auf Tatsachen aufmerksam gemacht, die das kirdtliche Dogma in eigenartiger Weise beleuchten. Es ist einerlei, wo einem der religionsgeschimtliche Hintergrund der Bibel zum erstenmal begegnet. Es kann auch die theologische Ar­beit sich darauf konzentrieren, die Eigenart biblischen Denkens gegenüber dem mythologischen Denken auf heidnischem Boden so scharf wie möglim herauszu­arbeiten, es bleibt dom die Situation verändert; wenn man einmal gesehen hat, daß mythologisches Denken in- und außerhalb der Bibel trotz aller Verschiedenheit in der Durmführung strukturverwandt sind. Alfred Jeremias berichtet\ als die ersten Sätze aus dem Sintflutbericht des Gilgamesmepos ins Englische übersetzt waren, die von der Taube handelten, die nach der Sintflut aus dem Kasten herausgelassen wurde, da sei die Nachricht, daß die "babylonische Vorlage" des biblischen Sintflutberich­tes entdeckt war, wie ein Lauffeuer von England aus durch die christliche Welt ge­gangen. Mit Remt! Denn irgendwie hat sich etwas in der Würdigung des bibli­schen Sintflutberichtes geändert, wenn es andere Sintfluterzählungen gab, die ver­wandte Züge enthalten. Nun gehört der Aufsatz von Bultmann zunächst einfach hinein in. die Reihe der Bemühungen, den Ertrag religionsgeschimtlicher Forschun­gen dogmatism zu verarbeiten. Er muß in diesem Rahmen gesehen werden, und hat in diesem Rahmen ein so gutes Recht wie jede Besinnung, die auf Grund neuer,· bisher nicht gesehener Tatsachen angestellt wird. Es liegen in der religions­geschimtlichen Smule nicht neue Ideen vor, mit denen der übermütige Mensch sich selbst künstlime Probleme schafft, sondern es liegen echte Beobachtungen vor, die zu deuten, zu verarbeiten und dogmatisch auszuwerten eine schwere, noch nimt bewältigte und in ihrem Ergebnis noch ungewisse Aufgabe ist. Der Beitrai, den Bultmann liefert, bringt aber aus dem Grunde in besonderer Weise eine Anregung. oder auch Aufregung, weil er sich nicht mit der Taube Noahs, sondern mit.der Auf­erstehung Christi beschäftigt, und also in das Zentrum unserer Verkündigung vor­stößt. An sich ist die Leugnung der Auferstehung Christi in der Theologiegeschichte nichts Neues, sie ist bereits vom Rationalismus vollzogen, das Neue ist die Be­obachtung, daß das mythologische Denken Erlebnisse nach bestlimmten Struktur­gesetzen objektiviert. Es muß von vornherein zugegeben werden, daß der Begriff der Geschichtlichkeir, den wir im abendländischen Denken entwickelt haben, auch für die Bibel in dieser W ejse nicht vorhanden ist, daß im Gegenteil überhaupt

. nichts Geschimtliches vom mythologischen Denken so dargestellt wird, wie es sich

1 Das Alte Testament im Lichte des alten Orients, 4· Auf!., s: 134, A. 1.

2 Geschichtlichkeit im Sinne der Historizität.

Page 46: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

.FÜR UND WIDERDIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUEN TESTAMENTES 45

dem Photographen darstellt, sondern in einem Rahmen, der nach unserer Einstel­lung vielleicht im besten Falle als Wiedergabe ultravioletter Strahlen, vielleicht aber auch als Ei~bildung erscheint. Fällt aber der Begriff der Geschichtlichkeit in unserem Sinne dahin, sobald wir einmal die Strukturgesetze mythologischen Den­kens und Darstellens gesehen haben, so können wir davon die Darstellung, ich be­tone die Darstellung (während von der Sache selbst erst späterhin zu reden sein wird) der Auferstehung nicht ausnehmen. Auf jeden Fall gehört die Berichterstat­tung über die Auferstehung in den Rahmen mythologischen Denkens hinein, ist also keine historische Berichterstattung in unserem Sinne. Das letztere ist einfach schon literarkritisch festzustellen, aber dieser literarkritischen Feststellung gegen­über ist der Hinweis auf die Strukturgesetze mythologischen DenkeRs keine Er~ schwerung, sondern eine Hilfe, weil wir jetzt leichter Berichterstattung uad Sache voneinander trennen können. Auf keinen Fall kann man einfach den Auf­erstehungsbericht aus dem Zusammenhang, in dem er erscheint, herauslösen, und die in drei Stockwerke geteilte Welt, von Himmel, Erde und Totenreich, die räum­liches Schema darstellt, an einigen Punkten fallen lassen, und an anderen festhal­ten, sondern unsere Stellung muß dem Ganzen des mythologismen Denkens gegen­über eine einheitliche sein. Es gibt keine mythologischen Elemente verdunkelnder und entstellender Art, und also auch keine Operationen, um nur einige Schönheits­fehler des mythologischen Denkens wegzuamputieren, sondern es gibt nur eine totale Umstellung, bei der entweder das Ganze des mythologischen Denkens eine neue Würdigung oder aber eine völlige Verwerfung erfährt. Und der Wert des Bultmannsehen Aufsatzes in dieser Hinsicht besteht darin, die Alternative in dieser Radikalität gestellt zu haben, in der ein Ausweichen nicht möglich ·ist.

Diese Ausführungen beleuchten aber nicht nur die Situation, in der sich die Wis­~enschaft befindet, sondern zugleich diejenige, in der sich die christliche Gemeinde befindet. Wir müssen uns davor hüten, zu meinen, es sei die Theologie, die hier künstlich eine Not geschaffen habe. Im Gegenteil wird sich vielleicht zeigen, daß sie eine Hilfe ber~itgestellt hat, wenn ganz wo anders, als von der Theologie aus, der Zwiespalt zwischen biblischem und abendländischem Denken zum Bewußtsein gebracht wird, und eine neue Weltanschauung von der Voraussetzung ausgeht, daß der biblische Mythos ein für allemal erledigt sei. In jeder Konfirmandenstunde er­leben wir, daß das biblische Zeugnis gerade an der Stelle in seiner Wirkung ge­hemmt ist, an der es wahrscheinlich in einem mythologisch denkenden Zeitalter eindrucksvoll gewesen ist. Wir brauchen nur beim Markusevangelium anzufangen, und an die Stelle zu kommen, wo die Taube vom Himmel escheint, und wir spüren, daß eine solche Geschichte nicht unmittelbar redet, während sie es doch im Sinne des Markus tun sollte. Deuten wir sie aber als Erlebnis, so deuten wir sie um, denn sie will nicht ein Erlebnis, sondern, wie wir religionsgeschichtlich belehrt werden, eine Theophanie des Geistes zum Ausdruck bringen. Ganz allgemein ge­sagt: auch die wertvollste Exegese, denken wir etwa an den Namen Frey, unter­scheidet sich von der Exegese der Reformatoren einfach dadurch, daß sie einer großen Kunst bedarf, um über Anstöße hinwegzuführen, die die Reformatoren so

Page 47: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

46 HERMANN SAUTER

gar nicht empfanden. Aber die Menge der Worte ist in der Exegese nur ein Zeichen einer Verlegenheit. Wenn die Exegese nicht nur Hinweis, sondern eine Kunst ist, ohne die die Schrift nicht verstanden werden kann, ich· meine als Unterweisung zur Errettung, so ist das reformatorische Schriftprinzip hinfällig. Die Frage aber, wie unser Geochlecht ein unmittelbares Verhältnis zur Schrift gewinnt, fällt zu­sammen mit der Frage, wie der Anstoß des mythologischen Denkens überwunden wird. Darum wird Bultmann recht gesehen haben, wenn er eben dies als die Auf· gabe ansieht, die unserem Geschlecht gestellt ist. M. E. kann man sogar den Satz, daß jedes Geschlecht eine besondere theologische Aufgabe bekommt, damit be­gründen, daß die Parusie des Herrn ausgeblieben ist. Daß es aber die besondere Aufgabe unseres Geschlechtes ist, das Verhältnis von Mythos und Geschichte zu klären, bedeutet dann zuletzt nichts anderes, als daß gerade dieses Geschlecht in solcher Besinnung erst wieder begreifen soll, was es heißt, eschatologisch, d. h. auf das Ende hin zu leben.

Er läute r u n g zu A 2.

Der zweite Sa~z bezieht sich auf eine ganz andere Fragestellung als der erste, nämlich auf die Fage, unter welchen Voraussetzungen überhaupt noch auf dem Boden der Kirche eine Gemeinsamkeit vorhanden ist. Es ist die Frage, ob es die uns von Gott gegebene Aufgabe ist, das "damnamus" (wir verdammen) der Kir­chengeschichte fortzusetzen. Diese Frage bezieht sich freilich nicht nur auf Bult­mann, sondern auf die Voraussetzungen der Bekennenden Kirche überhaupt. Wenn die Freunde Hiobs in der logischen Entwicklung ihrer Voraussetzungen zu einer Verurteilung Hiobs genötigt sind, so hätte die der Wahrheit widersprechende Folgerung, den gerechten Hiob für einen Gottlosen zu erklären, sie zwingen müs­sen, die Voraussetzungen ihres zum Widerspruch mit der Wirklichkeit führenden Denkens zu ändern. Auch ein jeder Physiker muß ja dasselbe tun, wenn er Be­obachtungen macht, die von den Voraussetzungen seines Denkens aus nicht da sein dürften, aber doch unzweifelhaft vorhanden sind. Wenn das Damnamus der Augustana, im Widerspruch zur Wirklichkeit, die Calvinisten von der Gemein­schaft der Kirche ausschließt, so ist die Zurücknahme dieses Verdammungsurteils in der Variata ein der Wahrheit entsprechendes Verfahren, so verächtlich und schwächlich es auch erscheinen mag, und so wenig die Zeit für eine solche Korrek­tur reif war. Wenn sich in der Gegenwart ergeben sollte, daß die konsequente Durchführung des d~gmatischen Denkens, das die Zugehörigkeit zur Kirche von der Zustimmung zu bestimmten Fixierungen des Dogmas abhängig macht, Men­schen aus .der Kirche ausschließt, die dem Herrn Christus angehören wollen, so bleibt wiederum keine andere Wahl als die Voraussetzungen dieser Art von Schlußverfahren zu ändern. Zum Thema der Jungfrauengeburt sagt Schlatter in seiner Dogmatik"(§ 81, S. 332): "Der Satz, Gottes Geist habe Jesus geschaffen, hat auch dann gesicherte Begründung, wenn wir dem poetischen Schaffen der Christen­heit einen großen Anteil an der Fassung über die Geburt Jesu zuschreiben." Und in einer Anmerkung dazu Nr. 189, S. 587, heißt es: "Der Satz über die Geburt Jesu

Page 48: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

FÜR UND 'WIDER DIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUENTESTAMENTES 4 7

soll aussprechen, warum sich die Gemeinde unter Jesus stellt und sich glaubend mit ihm als ihrem Herrn verbindet. Sie tut dies deshalb, weil er das Werk Gottes ist. Wenn ein Bekennender mit dieser Absicht des Bekenntnisses einig ist, kann ich meinerseits nicht dazu raten, ihm die kirchliche Gemeinschaft zu verweigern, auch wenn er keine Aussage über die Weise, wie sie Gottes Wirken in der Erzeugung Jesu vollzogen habe, abgibt, oder das Wunder hier nicht für genügend beglaubigt hält. Die Kirche muß die Gemeinschaft des Glaubens von der der Theologie un­terscheiden lernen." Man kann die Tragweite eines solchen Grundsatzes kaum überschätzen. Man kann auch der Konsequenz nicht ausweichen, diesen Grundsatz auch dann anzuwenden, wenn sich ergeben sollte, daß dieselben Bedenken, die sich gegen die geschichtliche Bezeugung der Jungfrauengeburt richten, in einem neuen Zusammenhang erscheinen, in dem sie auch die geschichtliche Bezeugung der Auferstehung treffen. So ungeheuerlich der Satz zunächst erscheinen mag, daß überhaupt kein dogmatischer Satz als solcher die kirchliche Gemeinschaft begrün­det, so muß er ernsthaft ins Auge gefaßt" werden.

Prüfen wir doch.'einmal ohne Voreingenommenheit, das heißt: in der inneren .Bereitschaft, unsere Entscheidung noch offen zu lassen, was sich auf diese Weise ergeben würde. Findet die Kirche wirklich darin ihre Einheit, daß Menschen über­zeugt sind, dies oder das sei so oder so gewesen? Ist es nicht richtig gesehen, daß in Wirklichkeit die Kirche immer mir einig sein kann in der Bedeutung der Sache? Nun scheint es zwar, daß, wenn das geschichtlich Gegebene selbst zweifelhaft wird, damit auch seine Bedeutung hinfällt. Das rechtfertigt die Leidenschaft, mit der Bultmann widersprochen worden ist. Aber kann dieser Widerspruch auch die Behauptung Bultmanns treffen, daß auf jeden Fall der Inhalt des N.T.s Verkündi­gung vom Heilsgeschehen ist? Gibt man einmal zu, daß in der Tat das Verhältnis von Mythos und Geschichte ungeklärt ist, so kann man nicht leugnen, daß in die­ser Notlage Bultmann den einzig möglichen Weg beschritten hat, um zu theologi­schen Aussagen zu kommen. Nicht die Einzelheiten, sondern die Wendung selbst ist auch angesichts der Entwicklung der kritischen Forschung so bedeutsam, daß man geradezu von einer Umkehr der kritischen Forschung zur Theologie reden darf.

Die- Kirche hat in ihrer Anfangszeit die Gefahr, ihre Verkündigung in einen Mythos zu verflüchtigen,' gebannt durch die Berufung auf den ins Fleisch gekom­menen Christus. Läuft die Richtung dieser Abwehr parallel mit dem, was Bult­mann existentiale Interpretation des Mythos nennt oder nicht? Hatte die Leiden­schaft in der Bekämpfung der Häresien in der alten Kirche eine Berechtigung, wenn sie nicht eine existentielle Leidenschaft gewesen wäre? Hatte die Berufung auf den Fleisch gewordenen Christus einen Sinn, wenn sie nicht im Unterschied zu den Häresien den Menschen existentiell in der Leidenschaft des um sein Heil be­sorgten Menschen berührte? Ich glaube, man braucht die Fage nur so zu stellen, und man sieht ein, daß der Begriff der existentialen Interpretation tatsächlich im~ stande ist, die Richtung zu gewinnen, man kann auch sagen wiederzugewinnen, in der die Kirche zu aller Zeit ihrem Ursprungtreu ihren Weg gegangen ist.

Page 49: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

48 HERMANN SAUTER

Es muß in der Christenheit genügen, im Unterschied zu allem Dogmatismus die Richtung festzulegen, in der wir uns bewegen. Denn wenn sich unser Denken und Leben um Christus bewegt, so ist es aus seiner eigenen Bahn herausgeschleudert. Alles andere sind Fragen der Theologie und nicht solche des die kirchliche Einheit begründenden Glaubens.

Man wird vielleicht einwenden, daß diese Sätze den Aufbau einer bekennenden Kirche unmöglich machen, oder allgemeiner gesagt, die Verkündigung des Heils­geschehens deshalb an eine bestimmte Geschiehtsauffassung gebunden sei, weil sie in den mit einem bestimmten Geschichtsbild verbundenen Sakramenten sich aktualisiert. Die Taufe muß doch Tod und Auferstehung Christi abbilden, das Abendmahl muß doch das Bindeglied sein zwischen dem für uns gestorbenen und dem kommenden Christus. Und in der Tat, den Sakramenten gegenüber ist die Weigerung Bultmanns, sich auf ein bestimmtes Geschichtsbild festzulegen, besonders peinlich, trotzdem er den V ersuch macht, auch den Sakramenten in seiner existentialen Interpretation des Mythos einen Platz zu geben. Obwohl wir also festhalten, daß an der Deutung der Sakramente sich die Stellung der Kirche in der Geschichte entscheidet, also ·die Frage von Mythos und Geschichte aktuell wird, müssen wir vorschnelle Urteile vermeiden, weil die Sakramentsnot nicht erst an der Bultmannsehen Deutung entsteht, sondern schon vorher jeden Ruhm einer bekennenden Kirche hätte zunichte machen können. Wohl sind wir gebunden an Augustana VII, aber wenn wir darin mehr sehen woll­ten als eine Abgrenzung und Richtungsfestlegung, würden wir übersehen, daß die Not, in die uns unsere Verkündigung und Sakramentsverwaltung bringt, damit keineswegs behoben wird. Läßt sich nun vermuten, daß eben diese Not in dem unge­klärten Verhältnis von Mythos und Geschichte ihren tiefsten Grund hat, so könnte vielleicht ein Verurteilen an diesem Punkte auf uns selbst zurückfallen. Weder die moralisierende noch die dogmatisierende Auslegung der Schrift, mit der wir die Schwierigkeiten des mythologischen Denkens umgehen, erreichen den Menschen so, daß er ein unmittelbares Verhältnis zu den Sakramenten hat, und die symbolisierende Umdeutung ist im besten Falle von der Wahrheit gerade so nah oder weit entfernt wie die Bultmannsche, denn sie geht von derselben gebrochenen Stellung zum Mythos aus. Ob sie oder die Bultmannsehe existentielle Deutung aber eher zu einer gebroche­nen Stellung des Menschen führt, würde über das relative Recht der Bultmannsehen Deutung entscheiden. - Ich erinnere mich, gehört zu haben, daß Guardini in einer V ortragsreihe einmal über Kierkegard als christlichen Denker gesprochen haben soll, mit der Begründw1g, daß die christliche Existenz mit der Taufe als dem Gebrochensein des alten Menschen gegeben sei. Wenn ein Katholik so von der Taufe reden kann, sollten wir es nicht auch können? Was aber das Abendmahl anlangt, so ist es gerade Bultmann, der uns Johan~ 17 als Abendmahlsgebet verstehen gelehrt hat, und es wird eben nicht nur die Kraft zur Ausscheidung, sondern auch der Spannungsbogen der Abendmahlsgemeinde genau zusammenfallen mit der existentiellen Frage, ob sie in der Welt, nicht von der Welt ist, ob sie das Abendmahl feiert mit dem. Rufe der Didache: "Es komme die Gnade und es vergehe diese Welt."

Page 50: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

FÜR UND WIDERDIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUEN TESTAMENTES 49

Erläuterung zu A 3

Der dritte Satz bezieht sich auf die F1;a.ge nach dem Verhältnis von Theologie und Philosophie in der gegenwärtigen Auseinandersetzung. Angenommen, Bultmann hätte seine Auseinandersetzung mit Heidegger in der Zeitschrift für systematische Theologie niedergelegt, ohne sie in Beziehung zu bringen zu der Frage der Entmytho­logisierung des N.T., so würde m.E. ein einfacher Landpfarrer daraus zweierlei ent­nommen haben. Erstens hätte er etwas erfahren von der Bedeutsamkeit der Philo­sophie Heideggers, und zweitens hätte er erfahren, wie etwa die Theologie auch dieser Philosophie gegenüber das Heilsgeschehen in Christus vertreten könnte. Wenn nun für Bultmann als dritter Faktor hinzukommt, daß ihm diese Philosophie im Zusam­menhang der Frage nach einer Entmythologisierung entgegenkommt, so k~nnte dieses Entgegenkommen doch einfach darin seinen Grund haben, daß, sobald erst einmal die Frage der Entmythologisierung ernsthaft gestellt ist, wir uns eben durch diese Frage­stellung aus dem geschützten Raum eines sauber abgegrenzten theologischen Bezirkes herausbegeben haben auf ein Grenzgebiet, auf dem Theologie und Philosophie in gleicher Weise zuständig sind. Ich kann das hinsichtlich der Philosophie nicht genü­gend beurteilen, hinsichtlich der Psychologie glaube ich es klar zu sehen. Man berücksich­tige doch auch umgekehrt, daß Karl Heim in seinem Buche "Glauben und Denken", S. 107-127, in seiner Erörterung über das Dasein des' Ich in der Welt die Oberwin­dung des Ichmythos durch Heidegger heranzieht, um bei aller schließliehen Abgren­zung seinen Begriff der Ichdimension davon abzuleiten. Der Verdacht ist angesichts der Geistesbewegung in Philosophie und Psychologie nicht von der Hand zu weisen, daß wir in eine lebensfremde Sackgasse geraten sind, weil wir versäumt haben, in der Anthropologie weiterzukommen, daß daher unsere kirchliche und theologische Selbst­sicherheit noch ganz anders erschüttert werden muß, damit uns wieder Gottes Wort anvertraut werden kann, daß unsere christliche Existenz vielleicht nur eine Schein­existenz, unsere christliche Welt nur eine Scheinwelt ist, unsere eigene Gläubigkeit nur ein Bewußtseinsakt und nicht ein Lebensakt ist, weshalb wir tatsächlich in die Ver­legenheit kommen, uns nur über Bewußtseinsinhalte zu streiten. Wenn da eine Philo­sophie oder Psychologie uns über den toten Punkt hinausführt, oder doch wenigstens an ihn heranführt, so ist sie uns willkommen um unserer eigenen Unfähigkeit willen, mit unserer Theologie zu einer christlichen Existenz zu gelangen. Es ist notwendig, zu einer Entmythologisierung zu kommen. Das heißt, es besteht eine Not, die gewendet werden muß. In einer Not kann sich aber einmal das Verhältnis von Theologie und Philosophie umkehren und ·die Philosophie uns eine Hilfe leisten. Allerdings gibt auch Bultmann nur Bewußtseinsinhalte.Aber es ist seine Ehrlichkeit, daß er nichtmehr gibt als er hat, und doch darum ringt, ein Christ zu sein. Unehrlich aber wäre es, wenn wir vorgeben, mehr zu haben, nämlich einen Aqferstehungsglauben, und dann tat­sächlich doch nicht imstande wären, diesen Glauben zu realisieren, so daß er also doch nur ein bloßer Bewußtseinsakt wäre. Man wolle doch ja nicht überhören, was Bult­mann in dieser Hinsicht über die Zwiespältigkeit einer Lebensführung sagt, die prak­tisch vom wissenschaftlichen Weltbild bestimmt ist, während wir theoretisch das

" 'Kervgma. Bd. z

Page 51: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

50 HERMANN SAUTER

mythologische festhalten. Die Widerlegung Bultmanns wäre leicht ZU geben, wenn sie durch das Leben im Auferstehungsglauben gegeben würde, aber umgekehrt greift der Angriff Bultmanns so tief, weil er nicht nur theoretisch von Problemen der neu­testamentlichen Forschung her, sonden auch praktisch von unserer Lebensführung her den Zwiespalt aufdeckt, in dem wir uns befinden.

Man kann auch nicht sagen, wenn schon von der Philosophie her die Hilfe erwartet wird, um die bei der Entmythologisierung entstehende Lücke zu schließen, warum dann nicht auch von den Deutschen Christen oder von der Anthroposophie? Das kann weder formal noch inhaltlich richtig sein. Formal nicht, weil Bultmanns Ver­fahren eine Reduzierung ist, nicht eine Auffüllung, inhaltlich nicht, weil die Richtung dieses Verfahrens in Obereinstimmung mit der Richtung bleibt, in der das Kreuz auf Golgatha uns als Richtungspunkt gesetzt ist, nämlich, nicht die Welt zu verklären, sondern sie zu überwinden. Man kann nicht zu gleicher Zeit Kierkegard und Hegel als christliche Denker ansprechen, wohl aber zu gleicher Zeit, wie man es bei Kierke­gard tut, Hegel als den Vater des Marxismus bezeichnen, wie das Letztere ja von Schlatter geschehen ist\ Es ist ein ähnlicher Richtungsunterschied, der eine Abgren­zung gegen die Deutschen Christen etwa nicht zugleich Bultmann treffen läßt.

Gerade die Bultmannsehe Stellungnahme bewahrt in besonderer Weise die Kraft zur Ausscheidung in sich, ohne die freilich die Kirche ihren eschatologischen Charakter verliert, ja man möchte beinahe sagen, sie gewinnt diese Kraft der Ausscheidung von innen her zurück, weil sie sich nicht mit dogmatischen Proklamationen begnügt, son­dern von innen her ein Verständnis für die Stellung der Gemeinde in der Geschichte erarbeitet.

Seitdem das Wort in der Schrift steht: "Lasset euch nicht berauben durch die Philo­sophie", gibt es in der christlichen Gemeinde eine Bewegung, die sich instinktiv da­gegen wendet, von der Philosophie her sich bestimmen zu lassen. Wessen beraubt uns die Philosophie Heideggers? Bultmann sagt, diese Philosophie will uns zur angst­bereiten Obernahme des Lebens aus der Verlorenheit an die Welt zurückrufen. Sie beraubt uns also allenfalls einer Sicherheit, durch die wir uns diese angstbereite Obernahme des Lebens ersparen wollen. Umgekehrt aber, ·was gibt uns die christliche Verkündigung? Ist es nicht so, daß jedes christliche Wort von der Gemeinde, wie sie ist, falsch verstanden wird, nämlich als Sicherung, die die angstbereite Obernahme des. Lebens uns erspart? Wenn wir an die Kriegszeit denken, müssen wir nicht dauernd gegen das Mißverständnis kämpfen, als ob die christlichen Vorstellungen dazu da seien, dem Menschen Sicherungen zu geben? Wird nicht zuletzt auch die Botschaft von der Auferstehung in das Sicherungsbedürfnis des Menschen einbezogen, und damit

·um ihren Sinn gebracht? Wir erleben also, daß ~ine Philosophie auf das Todschicksal bezogen ist, die ehristliehe Gemeinde aber ihm auszuweichen sucht, und das alles, weil das Selbstverständnis des Menschen nicht durch Tod und Auferstehung bestimmt ist, mithin könnte eine Gemeinde, die sich, ohne es zu ahnen in welchem Maße, von der

1 Die philosophische Arbeit, S. zo6.

Page 52: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

FÜR UND WIDERDIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUEN TESTAMENTES 51

Philosophie hat berauben lassen, durch die Wendung in der Philosophie (und Psycho­logie) zu sich selbst zurückfinden.

Und wiederum, das Neue bei Bultmann liegt darin, daß diese Philosophie gerade in die Lücke eintritt, die entsteht, wenn wir das mythologische Denken nicht einfach übernehmen können. Jede entstehende Lücke ist die Einbruchsstelle eines fremden Geistes, und die eben genannte ist die Einbruchss.telle für den fremden Geist gewesen, gegen den sich die bekennende Kirche wendet, und der die eschatologische Spannung preisgibt. Um diesen fremden Geist zu bannen, muß die Ursache behoben werden, aus der die Lücke entstanden ist. Ob das gelungen ist, muß sich daran beweisen, daß das Leben wiedergewonnen wird, welches wir verloren hatten. Einen andern Maß­stab gibt es nicht. Vielleicht kann man von da aus erst ermessen, in welchem tiefen Sinne Bultmann in der Richtung der bekennenden Kirche sowohl im Ansatz wie in der Durchführung eine Hilfe ist.

Dies alles schien mir zur Würdigung Bultmanns gesagt werden zu müssen, bevor wir uns der anderen Frage zuwenden, ob in seiner Interpretation des mythologischen Denkens nicht vielleicht doch Gesichtspunkte übersehen sein könnten, die ein posi­tiveres Verhältnis zum mythologischen Denken möglich machen, als es bei Bultmann zu finden ist. Die Rückzugslinie Bultmanns stellt immer noch eine christliche Position dar, wenn auch eine sehr schmale; es wird nun -die Frage sein, ob es gelingt, sie zu verbreitern. .

Erläuterung zu BI

Der erste Satz des zweiten Teiles bezieht sich auf die Frage, ob uns die christlichen Bewußtseinsinhalte nur zufällig in der Form des mythologischen Denkens zuerst ent­gegengetreten sind oder nicht. Bultmann sagt auf Seite 34f. {F S~37): "Die Frage ist nicht die, ob dieNaturdes Menschen ohne dasNeue Testament entdeckt werden könne. Denn faktisch ist sie freilich nicht ohne das Neue Testament entdeckt worden; es würde die moderne Philosophie ja gar nicht geben ohnedasNeue Testament,ohneLuther, ohne Kierkegard. Aber damit ist nur ein geistesgeschichtlicher Zusammenhang bezeichnet, und das Existenzverständnis der modernen Philosophie erhält seine sachliche Begrün­dungnicht durch seinen historischen Ursprung. Umgekehrt beweist die Tatsache, daß der neutestamentliche Glaubensbegriff säkularisiert werden kann, daß die christliche Existenz nichts Mysteriöses, nicht Supranaturales ist." Hier liegt ein schwacher Punkt, wenn nicht eine Lücke in der Argumentation Bultmanns vor. Johann Georg Hamann sagt einmal':" Wann wird der Mensch glauben, daß die Vorsehung sich bis auf unsere Haare erstreckt; und weder ein Wort unserem Munde noch ein Buchstabe unserer Fe­der entfährt, ohne daß der Herr es wisse? Incredibilie, sed verum, und dem ungeachtet kommt es uns vor, <h).ß nuser:e Kinde1:1gedanken weniger wert seien als die Sperlinge und fruchtlos und von ungefähr fallen. Unglaube ist das erste Element unserer verkehrten Denkungsart." Es gibt keine zufälligen geistesgeschichtlichen Zusammenhänge, son­dern dieselbe Vorsehung, die nach Hamanns Wort für die Federführung Professor

1 Briefwechsel mit Jakobi, herausgegeben von Gildemeister, S. 370.

Page 53: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

52 HERMANN SAUTER

Bultmanns angenommen werden darf, hat sich auch der Feder der Apostel bedient. Und sowenig die Probleme der Entmythologisierung der Eitelkeit der Professoren entspringen, so wenig rue mythologische Rede der Beschränktheit der Apostel. Freilich wird man die mythologische Form des Denkens nicht als die für die Ausrichtung der biblischen Botschaft sachgemäße erkennen können, wenn man sie mit dem wissen­schaftlichen Denken auf eine Ebene bringt, als ob die eine die andere ablösen könne. Vielmehr hat das mythologische Denken eine Tiefendimension, die das wissenschaft­liche Denken nie erreichen kann, weil es nach dem Sinngehalt der Dinge und Ereig­nisse fragt. Es ist freilich gut, wenn einem die Frage nach dem Wahrheitsgehalt des mythologischen Denkens nicht erst bei Bultmann begegnet, sondern etwa schon dem Alten Testament gegenüber im Lichte desAlten Orients, wie ja derTiteldes zitierten Buches von Alfred Jeremias lautet. Jeremias formuliert von vornherein so, daß der Wert des mythologischen Denkens deutlidJ.er zum Vorschein kommt als bei Bult­mann. Er sagt S. 5: Der prophetisch-apokalyptische Stil der biblischen Erzählungen ist durchaus mythisch ... Die biblischen Erzähler bedienen 'sich des Mythos für ihre Geschichtsschreibung. Der Mythos im engeren Sinne (in dem er allein hier in BetramJ; kommt} ist eine Geistesschöpfung ersten Ranges. Er ist die Erzählurig eines himm­lischenVorgangs, der in einer bestimmten logischen Reihe von Motiven abläuft und der sim bildhaft im wirklichen Geschehen wiederspiegelt. Innerhalb der Geistes­geschichte des alten Orients erfüllt er die folgenden drei Aufgaben:

1. Er gibt der großen Weltenlehre vom kommenden Erretter, wie sie uns in Sumer zum ersten Male geschlossen entgegentritt, "die Dogmen". Die imaginativ im Kreis­laufgeschehen des Kosmos geschauten Vorgänge gelten als Offenbarungen, die mit der Heilserwartung parallellaufen und auf sie hindeuten.

2. Er dient als Pradttmantel für Heroen, denen m~n das Bringen der neuen Zeit zutraut, und schafft die mythisme Sage und die religiöse Legende.

3· Er gibt der gesmriebenen Geschichte den prophetischen Stil und erhebt das wirk­liche Gesmehen "auch wenn es unter Umständen an sich unbedeutend ist, in das Jen­seitige".

In der Darstellung von Jeremias handelt es sich also bei dem mythologischen Den­ken um eine bestimmte Ausdrucksform, in der die Wirklichkeit erfaßt wird. Man kann sie ungesmichtlich nennen, vielleimt aber tut man gut, sie sinngeschichtlich zu nennen, weil sie den Sinngehalt der Dinge zum Ausdruck bringen will. Der Zugang zu dieser Art des Denkens eröffnet sich aber einfach dadurch, daß man den Unter­schied zum wissenschaftlichen Denken klar herausarbeitet. Man erwäge, wie sich etwa eine Besprechung des Schöpfungsberichtes im Konfirmandenunterricht darstellt, wenn man vorher die Konfirmanden diesen Unterschied erfassen läßt. Die Konfir­manden sitzen etwa im Gemeindehaus. Sie sollen erzählen, wie etwa ein Maurer­meister dieses Haus beschreiben würde. Daraufhin sollen sie sagen, wie etwa ihr eige­ner Großvater dieses selbe Haus besdJ.reiben würde, der bei seinem Bau dabeigewesen ist und die Erweckung miterlebt hat, der dieses Haus seine Entstehung verdankt. Nun

Page 54: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

FÜR UND WIDER DIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUENTESTAMENTES 53

müssen sie selbst sagen, welche von beiden Darstellungen, die des Maurermeisters oder die des Großvaters, recht hat. Sie werden nie etwas anderes antworten, als daß beiderecht haben, sie sind auf den Unterschied der Betrachtung aufmerksam gewor­den. Nun kann offen gesagt werden, daß eine Darstellung, die den Sinngehalt der Dinge erfassen will, in der Beobachtung der Dinge fehlerhaft sein kann (daß der Großvater über das Material nicht so genau Bescheid weiß wie der Maurermeister) und doch in sich wahr ist, daß aber umgekehrt eine Darstellung, die die Dinge nur von außen betrachtet, wie der Maurermeister es tut, nie den Sinngehalt der Dinge er­fassen kann, weil sie ohne innere Beteiligung erfolgt. Wenn die Argumentation dieses einfältigen Schulbeispiels richtig ist, so kann das mythologische Denken gar nicht durch das wissenschaftliche abgelöst werden, und der Mythos hat dann allein schon als Denkform eine tiefere Bedeutung, als Bultmann zugibt. Gerade weil wir im mytho­logischen Denken, im Unterschied zur orthodoxen oder auch liberalen Auffassung und in Übereinstimmung mit der religionsgeschichtlichen Schule, zunächst .nur eine Ausdrucksform sehen, können wir ihren bleibendenWert eben als Ausdrucksform viel besser würdigen als vorher. Wir würden also in diesem Stück, wenn auch wider seinen Willen, Bultmann zu danken haben, daß er uns ein viel positiveres Verhältnis zum mythologischen Denken möglich gemacht hat, als er selbst für seine Person wahr­haben will .

. Dabei ist aber noch nicht berücksichtigt, daß die Bibel selbst eine besondere Art von Entmythologisierung vollzieht. Alfred Jeremias beschreibt sie, wie bereits in dem vorangestellten Leitsatz erwähnt, als Reduzierung des mythologischen Denkens auf gottmenschliche Begegnungen. Es wäre hinzuzufügen, daß es sich immer um Begeg­nungen handelt, in denen Gott mit; dem Menschen handelnd redet, und redend han­delt. Das gilt auch und gerade von den Auferstehungsberichten der Bibel im Unter­schied zu späteren Darstellungen der Auferstehung in der apokryphen Literatur. Es genügt also nicht; das mythologische Denken als Ausdrucksform eines Sinngehaltes zu verstehen, sondern man muß es in der biblisch reduzierten Form als Ausdruck eines bestimmten Erlebnisgehaltes ansehen. Und hier ist nun die mythologische Rede voll­ends unentbehrlich; wie man den Erlebnisgehalt eines Sonnenaufgangs nur dadurch zum Ausdruck bringen kann, daß man unwissenschaftlich von der aufgehenden Sonne redet, so den Erlebnisgehalt des biblischen Denkens -nur dadurch, daß man sich der mythologischen Ausdrucksform bedient, die wir vorfinden. Handelte es sich um einen Nachtspuk, so könnte die Wissenschaft, indem sie ihn' aufklärt, ihn auch vertreiben, aber keine Wissenschaft vertreibt den Erlebnisgehalt des Sonnenaufganges, im Gegen­teil, sie unterstreicht ihn, und das bedeutet in Hirtsicht auf das mythologische Denken, daß dieselbe Aufhellung der religionsgeschichtlichen Hintergründe, die uns das Hei­dentum liefert, zuletzt nur die Einzigartigkeit des biblischen Denkens im Unterschied zum menschlichen Denken überhaupt unterstreicht. Es ist ja nicht zufällig, daß in der Situation des Missionars das biblische Denken diesen Dienst tut, das Heiden­tum von innen her zu überwinden, den die wissenschaftlich~ Aufklärung eben nicht tut, und hier studiert werden kann, warum nicht zufällig das Christentum nicht in

Page 55: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

HERMANN SAUTER

der Form einer abgewandelten Philosophie, sondern in derjenigen des mythologischen, aber biblisch und nicht philosophisch auch wieder reduzierten Denkensan den Men­schen herantritt.

Wir sind es Bultmann schuldig, zu fragen, ob wir mit diesen Ausführungen ihm gerecht geworden sind. Er hat seine eigene Auffassung deutlich abgegrenzt gegenüber der liberalen, nach der der Sinngehalt des Mythos sich zu relißiös-sittlichen Ideen verflüchtigt, und der religionsgeschichtlichen, bei der es einen symbolischen Wert be­hält alsAusdruck eines mystischenErlebens, und demgegenüber den Ereignischarakter des Mythos herausarbeitet. Sein Nachweis ist überzeugend, daß in früheren Versuchen der Entmythologisierung etwas Entscheidendes übersehen worden ist, aber zu fragen ist, ob es genügt, einen neuen Gesichtspunkt einzuführen und die früheren Gesichts­punkte fallen zu lassen. Es ist von dem Bultmannsehen Versuch aus nicht deutlich zu sehen, wie die Erlösung auf die Schöpfung bezogen bleibt, wenn der Sinngehalt des Mythos nicht ebenso bewahr~ wird wie sein Ereignischarakter, ebenso, ob der christ­liche Kultus noch eine Begründung hat, wenn der Erlebnisgehalt des Mythos gegen seinen Ereignischarakter zurücktritt. Mithin, was den Kritikern Bultmanns gegen­über zu sagen war (unter A 1) muß nun auch Bultmann gegenüber festgehalten wer­den, nämlich daß man entweder das Ganze des mythologischen Denkens neu wür­digen kann oder aber ganz verveden muß.

In dieser Alternative ist der (im Leitsatz B i ausgesprochene) Gedanke, in einer gewissen, im einzelnen vielleicht sehr fragwürdigen, und noch nicht genügend durch­dachten Analogie zu der kantischen Vernunflkritik, den Mythos als eine Ausdrucks­form zu würdigen, nicht mehr als ein Versuch. Man wird vielleicht ja doch sagen müssen, daß mit diesem Versuch gerade das eine Begründung erfährt, was Bultmann hinsichtlich des Ereignischarakters des Mythos ohne weitere Begründung tut, nämlich in dieser Beschränkung die mythologische Begriffssprache beizubehalten. Geht man der Frage nach, warum das gar nicht anders sein kann, so kommt man m. E. zu einem Ergebnis, das sich ebensogut auf das Ganze des mythologischen Denkens anwenden läßt. Der Mythos objektiviert ein Geschehen, welches das Ich gar nicht als Din.g in der Welt erlebt, sondern als Ich in einerneuen Dimension, eben indem es so objekti­viert, kommt es zu seinem eigentlichen Leben. Daß es eben dieses Le~en nicht ohne Sprache, und wiederum die Sprache nicht ohne Vorstellungen, und wiederum Vor­stellungen nicht ohne Objektivierung haben kann, schafft eine ähnlich unlösliche Verbundenheit von Sprache und Sache hinsichtlich der Innenseite der Dinge wie die­jenige von Wahrnehmung und Anschauungsformen unserer Vernunfl. Darum kann Bultmann, wo er zum Kerygma übergeht, nur·mythologisch reden, darum kann die Philosophie, auch dann, wenn sie zu einer Seinsanalyse fortschreitet, nur nachträglich in allgemeine Formeln transponieren, was der Mythus vorher in konkreter Beziehung erschlossen hatte (woher wüßte sie sonst wohl von einem Unverfügbaren als in einer letzten abgeschwächten Erinnerung an den Mythus), darum kann aber auch der histo­rische Tatbestand, wie er sich der kritischen Forschung darstellt, allenfalls Korrektur des mythischen Denkens sein, nicht aber dieses Denken selbst um seinen Inhalt bringen.

Page 56: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

FÜR UND WIDER DIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUEN TESTAMENTES 55

Wir stehen damit vor der zweiten Frage, woher das mythologische Denken seine Inhalte gewinnt.

Er:läuterung zu B 2

Der zweite Leitsatz des zweiten Teiles bezieht sich auf die Frage, woher der Glaube seine Inhalte gewinnt? Bultmann sagt: "Im Mythos findet der Glaube Aus­druck, daß die bekannte und verfügbare Welt, in der der Mensch lebt, Grund und Ziel nicht in sich selber hat, daß vielmehr ihr Grund und ihre Grenze außerhalb des Bekannten und Verfügbaren liegen, und daß dieses Bekannte und Verfügbare stän­dig von den unheimlichen Mächten, die ihm Grund und Grenze sind, durchwaltet und bedroht ist"\ Eine Begründung, woher der Glaube diese Inhalte gewinnt, gibt Bultmann nicht. Wahrscheinlich ist das auch von seinem Standpunkt aus nicht nötig. Anders aber steht es, wenn an der Analogie zur Vernunftkritik etwas Wahres sein sollte. Denn diese Analogie ist insofern bedenklich, als eine ihre eigene Welt schaf­fende Innerlichkeit sich ebenso von der Wahrheitsfrage frei machen würde, wie eine ihre eigene Welt schaffende reine Vernunft es getan hat. Deshalb ist hier die Frage nicht abzuweisen, wie sich dem Glauben selbst der Vorgang darstellt, durch den er entstanden ist?

Nun hat Bultmann zwar nicht in seinem Aufsatz, aber doch in der Beantwortung einiger Fragen, die ihm der Bruderrat vorgelegt hat, einige Sätze gesagt, die hierher­gehören. Nämlich r. zum Selbstverständnis des Menschen: "Man sieht, daß das Ich gar nicht, wie die psychologistische Auffassung meint, als ein in sich ge5chlossenes Subjekt existiert, sondern daß das Ich in seiner Existenz das psychische Subjekt tran­szendiert,- was ja schon Kierkegards Satz besagt, daß Mensch sein heißt: ein Ver­hältnis zu sich selbst haben. Ich als existierendes Selbst bin zugleich ,innerhalb' und ,außerhalb' meiner. Zu meinem Ich gehört z.B. meine Vergangenheit, meine Schuld; sie steht außerhalb meiner als eine mich im Jetzt bedrohende, verführende, überwäl­tigende Macht ... Die mich bedrohenden Mächte sind nicht etwa fiktive Projektionen subjektiver seelischer Verfassungen, wie eine psychologistische Anthopologie meint, sondern ,reale Mächte'." Ferner z.zurGottvorstellung: "Natürlich behaupte ich nicht, daß Gott eine fiktive Personifikation subjektiver Seelenzustände ist, und zwar ist Gott außer mir noch in einer anderen Weise, als etwa meine Vergangenheit und meine Schuld außer mir sind ... Gott ist außer mir, sofern er mir - und zwar mich in meiner Existenz umwandelnd - begegnet." Und 3· zur Frage der Auferstehung: "Eine Vision ist in Wahrheit nie ein völlig innermenschlicher Vorgang, sondern sie trägt ihren Grund als präsente Realität in sich. In ihr kommt die ihr vorausgegangene Begegnung zu ihrer Reife, uri~ so wird sie selbst zur neuen Begegnung ... So können uns ja auch im Traum die Augen über uns selbst geöffnet werden, kann unser schla­fendes Gewissen geweckt werden. Es ist töricht, vom Standpunkt des Psychologismus aus, Träume und Visionen als Produkte des Subjekts zu bezeichnen, vielmehr begeg­nen in ihnen reale Mächte. ,Imaginär' war die Schau der Jüng.er, insofern sie den Gegenstand ihrer Schau in die räumliche, den Sinnen unterworfene Welt projizierten.

1 K. u. M. Bd. Il S. 23. 2 S. 22.

Page 57: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

56 HERMANN SAUTER

Damit ist aber der Gegenstand ihrer Schau noch kein imaginärer. Auch mein durch das Wort geweckter Glaube ist gar nicht ein völlig innermenschlicher Vorgang, so wenig wie dies meine auf den Freund gerichtete Liebe ist. Er hat ja sein Woran, seinen Gegenstand! Freilich steht dieser nicht ,neben' oder ,hinter' ihm, sondern er wirkt als Realität in ihm" 1 •

An diesen Sätzen fällt zunächst auf der Widerspruch gegen den Psychologismus. Bultmann widerspricht der wissenschaffliehen Auffassung genau an dem Punkt und in dem Maße, als er selbst als Glaubender, um mit Kierkegaard zu reden, leidenschaft­lich interessiert ist. Und zwar ist dabei, wie die Dinge liegen, gerade die Frage nach dem Selbstverständnis des Glaubens als psychologischem Vorgang die entscheidende. Denn wenn der Glaube als innerseelischer Vorgang, wie er doch der Psychologie von ihren Voraussetzungen aus erscheinen muß, zu erklären wäre, so hörte er damit auf. Es ist also hier ein Punkt gegeben, wo der Glaube der Wissenschaft eine Grenze setzt. Ob freilich im einzelnen die Auffassung Bultmanns für eine solche Grenzziehung ausreicht, ist eine andere Frage. Ich selber muß gestehen, daß ich nicht verstehe, wieso sie es sein könnte. Es will mir vielmehr scheinen, als ob zwar die Bultmannsehen Unterscheidungen deutlich mad1en, wie kompliziert dieses Ding, das wir "Ich" nen­nen, in Wirklichkeit ist, daß wir aber doch dabei immer nur mit uns selbst beschäftigt bleiben. Es müßte denn gezeigt werden, was das für ein Vorgang ist, den die Bibel damit beschreibt, daß Gottes Wort an den Menschen ergeht.

Wir müssen bei dem, worum es hier geht, damit rechnen, daß es psychologisch immer nur als eine höhere Art von Bewußtsein und Übertragung dieses Bewußtseins auf andere, als eine Art synthetischen Vermögens, widerstreitende Seelenkräfte in Einklang zu bringen, erscheinen kann, Aber im Selbstverständnis des Glaubens er­scheint es eben nicht so, und ~ur im Glauben ist es vorhanden; das Verständnis der Psychologie verhält sich zu seinem Vorhandensein, wie die Biologie zum Leben, die es verstehen möchte, aber nicht schaffen kann.

Dabei unterliegt das Bewußtsein, von Gott angeredet zu sein, der Zweideutigkeit einer subjektiven Täuschung. Zinzendorf hat diese Zweideutigkeit im Auge in einigen Ausführungen über das "Es .ist·mir so", z. B.: "Es ist ein sehr einfältiges Wort, das ,es ist mir so'. Aber es drückt die ganze Sache der Seher aus. Ich bleibe dabei. Die ganze Sache der Seher war: ihnenwar so, und es traf zu." Ferner: "Das ,es istmir so', ist die einzige Realität. Das andere ist dem Zweifel und Selbstbetrug unterworfen und muß sorgfältig prävakiert (in acht genommen) werden. Aber wenn wir das ,es ist mir so' gar wegnehmen, so wird der Mensch ein skeptisches Wesen, das endlich nicht weiß, ob's wirklich existiert oder nicht. ,Und endlich.' Wenn ein Mensch, nach dem es ihm ist, redet und handelt, so kommt eine Art zu handeln heraus, daraus ein Mensch von seinem Urzusammenhange überzeugt wird" 2• Wie seltsam, daß der Mensch·, um von

1 Diese Äußerungen fielen im Zusammenhang einer ersten Debatte innerhalb der Hessischen BK und einer ebenfalls von der BK im März 1943 nach Stuttgart einberufenen Konferenz (Hsgb.).

2 Zitat nach Otto Herpel, Eberhard Arnold Verlag 1925, S. 88f

Page 58: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

FÜR UND WIDER DIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUENTESTAMENTES 57

seinem Urzusammenhange überzeugt zu werden, ein scheinbar so subjektiver ist, und doch diese absolute Subjektivität die einzige Realität ist.

Wenn wir aber recht sehen, durchläuft der Vorgang, daß Gottes Wort an den Menschen ergeht, drei Stufen: Die erste Stufe, gleichsam den Vorhof, wo der Mensch von dem Gottesgedanken sich bestimmen läßt, Gottes Wort im Herzen bewegt; die zweite, gleichsam das Heiligtum, wo Gottes Wort als Berufung an ihn ergeht, und er sich unter Gottes Realität beugt; die dritte, gleichsam das Allerheiligste, wo er Gottes Wort als einen an ihn in einer bestimmten Situation ergehenden Auftrag oder an ihn ergehenden Aufschluß vernimmt. Und erst auf dieser dritten Stufe ist jene Be­ziehung zur Wirklichkeit Gottes erreicht, auf der Gott dem Glaubenden als durch ihn Wirkender erscheint, denn erst auf dieser Stufe tritt der Mensch aus seiner Inner­lichkeit heraus und im Auftrag Gottes handelnd in die Welt ein. Nur a~f dieser Stufe könnte das Erleben der Menschen der Bibel so nacherlebt werden, daß der Realitätsgehalt ihrer Vorstellungen dem Glaubenden sich unmittelbar erschlösse. Das Wort an den Kämmerer im Buche Jesaja, im Wort des Philippus und in dem Wort, das den Philippus auf die Straße nach Gaza stellt, das sind die drei Stufen; auf jeder der drei Stufen kommt die Realität Gottes in einem höheren Grade zum Bewußtsein, aber auf jeder der drei Stufen ist das Bewußtsein der Realität Gottes nur im Rahmen des mythologischen Denkens gegeben. Lassen wir uns hier durch den Psychologismus streitig machen, daß die Apostelgeschichte eine Fortsetzung hat, und für den Glauben nacherlebbar ist, so verlieren wir in dem seihen Maße den Zugang zur Bibel.

Und zwar fällt die eigentliche Entscheidung auf der dritten Stufe. Es gibt eine ganze Literatur, die von der wissenschaftlichen Theologie gar nicht ausgewertet wird, die uns aber vor die Frage stellt, ob wir damit. rechnen, daß das Eingehen des Wortes Gottes in den Menschen auch im Sinne der dritten Stufe nicht auf die

·Menschen der Bibel beschränkt bleibt. Ich nenne hier nur als Beispiele das Büchlein von Paul DorsCh "Unsere Verbindung mit der ewigen Heimat" (Calwer Verlag) und "Erfahrungen einer auf den Herrn wartenden Christin" (Buchdruckerei Bechauf, Bielefeld). Namentlich das letztere Büchlein ist merkwürdig, einmal als Zeugnis eines UIJ.ter Geistesleitung stehenden Menschen, zum anderen wegen des Berichtes über den Bauern Vignes in Vialas, dessen Wort Kraftwirkungen in sich trägt, durch die das Innere der Menschen offenbar wurde und Kranke ohne Berührung geheilt wurden. Die Frage, inwiefern 'die "Fortsetzung der Apostelges?lichte" nicht eine Fortsetzung der Offenbarung, sondern ein Hinweis auf die abgeschlossene Offen­barung ist, mit aller Zweideutigkeit eines solchen ist, kann hier unerörtert bleiben. l-Iier geht es darum: Wer nicht den Mut hat, den Widerspruch gegen den Psychologis­mus bis zu diesem Punkte auszudehnen, wo er auch hinsichtlich der dritten Stufe das Selbstbewußtsein des Glaubens, von Gott gewirkt zu sein, gegen den psychologistisch selbstverständlich möglichen Einwand verteidigt, bleibt auf halbein Wege stehen; wagen wir aber diesen Widerspruch, so erscheint uns das ganze mythologische Den­ken in einem neuen Lichte. Es enthält ein gnostisches Element, eine Beziehung des Glaubens auf die Wirklichkeit, die dem wissensraftliehen Denken gar nicht zugäng-

Page 59: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

58 HERMANN SAUTER

lieh ist. In dieser Einschränku~ behält es sein Recht, auch wenn es tim übrigen der Korrektur durch das wissenschaftliche Denken unterworfen bleibt.

Ich weiß nicht, ob es zutrifft, daß eine Brücke durch einen auf die Schwingungs­verhältnisse der Brücke abgestimmten Geigenton zum Einsturz gebracht werden könne, wohl aber sollten wir damit rechnen, daß ein aus dem Urwort heraus ergehen­desWortdem M~nschen gegeben sein könne, das eben um dieser ionersten übereinstim­mung mit dem Urwort willeneine Kra:A:wirkung hat, die andere Worte nicht haben, daß es Eingebungen gibt, durch die der Mensch, wenn er ihnen folgt, und, wie Zinzen­dorf sagt, von seinem Urzusammenhange überzeugt wird, anders der Wirklichkeit gegenübersteht als der ihr lediglich ausgelieferte Mensch. Kögel sagt einmal:

Wer den Ton gefunden, der im Grund gebunden hält den Weltgesang, hört im Großen, Ganzen keine 'Dissonanzen, lauter Übergang.

Muß nicht dieses Wort, das sich auf das Weltverständnis beschränkt, erweitert wer­den, indem wir sagen: Wer das Wort gefunden, das alle Dinge trägt und bewegt, der darf es so sprechen, daß es die Dissonanzen löst, und also nicht nur die Welt ver­stehen, sondern auf sie wirken? Wie dem nun aber auch sein mag, jedenfalls erschei­nen diese eben berührten Dinge in einem besonderen Lichte, wenn wir sie in dem Zu­sammenhang der in der gesamten Geistesgeschichte und nun auch durm die Analyse des mythologischen Denkens in der Theologie vollzogenen Überwindung des naiven Realismus sehen. Sollte nicht diese ganze kritische Operation, die uns zunächst als eine Gefährdung des Glaubens erscheint, weil sie den Dogmatismus unmöglich macht, den einzigen Sinn haben, uns auf das Urgegebene um so nachdrücklicher hinzuweisen, nämlim das als Eingebung in den Menschen eingehende Wort, das als solches in seiner Wirkung auf die Welt kra:A:geladen ist? Was die Entdeckung der Radio­aktivität in der Physik bedeutet, nämlich die Auflösung des Begriffes der starren Materie, das könnte vielleicht einmal die Entdeckung eines Bauern Vignes in Vialas in der Theologie bedeuten, und wie sich in der Physik an Stelle eines starren Welt­bildes die ganze Welt als Licht, d. h. als elektromagnetische W elle1 erweist, so könnte in der Theologie einmal das alles bewegende Wort als das einzig Gegebene erscheinen, freilich so, daß nun nicht mehr Welt und Bewußtsein auseinanderfallen, sondern der Mensch als Mitder für die Bezogenheit des Wortes auf die Welt mitten inne steht. Nicht das Denken, sondern die Intuition steht am Anfang aller Erkenntnis, nicht die Spaltung von Ich und Welt, die die Welt zum Gegenstand macht, am Anfang unserer Einwirkung auf die Welt, sondern das Ineinanderfallen beider, welches das Wesen dessen ausmacht, wofür wir in der Theologie keinen anderen Namen haben als den des Wunders. Weder die Intuition noch das Wunder kann durch die kritische Analyse

1 Neuberg, Das Weltbild der Physik, S. 82.

Page 60: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

FÜR UND WIDER DIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUEN TESTAMENTES 59

-des mythologischen Denkens getroffen sein, sondern nur ihre nachträgliche Verarbei­tung; mithin könnte man umgekehrt sagen, daß, aufs letzte gesehen, gerade diese kri­tische Analyse wird dazu beitragen müssen, erst recht die zugrunde liegende Ur­gegebenheit zu erfassen.

Wiederum sind wir Prof. Bultmann schuldig, zu fragen, ob diese Ausführungen ihm gerecht geworden sind? Es kann m. E. nicht bezweifelt werden, daß sein Ent­mythologisierungsversuch anders ausgefallen wäre, wenn er sich nicht von dem kritischen Leitgedanken der Unausweisbarkeit des Glaubens hätte leiten lassen. Von -dieser Voraussetzung aus müssen die soeben vorgetragenen Ausführungen als ein nachträglicher V ersuch erscheinen, durch ein Hintertürchen einen unkontrollierbaren Supranaturalismus, eine sich selbst gegenüber unkritische GJäubigkeit wieder ein­zuführen. Darum muß ausdrücklich gesagt werden, warum das nicht gemeint ist. Das sehr ernste Anliegen der Nichtausweisbarkeit des Glaubens geht doch dahin, den Glauben vor der Selbsttäuschung zu bewahren, die dann- entsteht, wenn er die Be­weise seiner Richtigkeit in der Hand zu haben meint. Der Glaubende bewahrt sich vor Selbsttäuschung nur durch Verzicht auf jede von außen her kommende Garantie. Aber ist damit ausgeschlossen, daß der Glaube, indem er diesen Verzicht leistet, nicht nur das eigentliche Leben gewinnt, sondern zugleich a~ch in diesem eigentlichen Leben Erlebnisse hat, die, eben weil sie nicht zur Bedingung gemacht sind, das Leben im Glauben immer wieder als ein Geschenk erscheinen lassen? Ist mit der Wendung, -die im Menschen vorgeht, wenn er zum Glauben kommt, nicht auch das Anliegen der Nichtausweisbarkeit des Glaubens gegenstandslos, weil eben nur der Ungläubige Garantie sucht? Wenn mein kleiner Junge sagt, er habe Gott gebeten, daß eine am Himmel stehende Wetterwolke nicht regne, solange bis die Mutter im Garten fertig ist, und hält das Ausbleiben des Regens für eine Gebetserhörung, so ist solcher Glaube wahrscheinlich ·sehr ichbezogen. Diese Geschichte ist unwirklich, obwohl sie sich wirklich ereignet hat, weil sie dem Ich gestattet, seine eigene Scheinwelt auszubauen, wenn aber der Prälat Be~gel bei einem Hagelwetter an das Fenster seines Hauses tritt und betet: "Halte inne, Vater!" und das Hagelwetter hört auf, so ist eine solche Geschichte wirklich, auch wenn sie nur erfunden wäre, weil wir annehmen, daß sie nur geschehen kann, weil der Handelnde seine Ichbezogenheit überwunden hat, oder wie Bultmann sagt, zum eigentlichen Leben gekommen ist. Mithin mag wohl die Wissenschaft die Vorstellungsinhalte des Glaubens kritisieren, die gebotene Selbst­kritik des Glaubens richtet sich nicht gegen die Vorstellungsinhalte, sondern gegen die undialektische Beziehung, in der das! noch nicht zum eigentlichen Leben gekom­meneIch zu seinen vermeintlichen Glaubensinhalten steht. Dem Glauben, der durch -den V erzieht auf jede Garantie hindurchgegangen ist, muß das Wort gelten, daß ihm nid1ts unmöglich ist, daß wir die Bitten haben, die wir in seinem Namen bitten, und vor allem aber, daß auch dann, wenn uns die Geister untertan sein sollten, wir uns darüber nicht freuen, sondern darüber, daß unsere Namen im Himmel geschrieben -sind (Luk. 10, 20).

Das Anliegen der Nichtausweisbarkeit des Glaubens wird also an einer falschen Stelle zur Geltung gebracht. Die historische Untersuchung, woher das mythologische

Page 61: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

60 HERMANN SAUTER

Denken seine Inhalte gewinnt, führt uns nicht zu Ergebnissen, die den Glauben histo­risch oder psychologisch verständlich machen, sondern an eine verschlossene Pforte;· diese Pforte öffnet sich, wenn wir bereit sin.d, die Wirklichkeit Gottes, wie sie uns im mythologischen Denken verhüllt, und wie könnte sie anders als verhüllt entgegen­tret~n, experimentell zu erfahren. Die Erfassung der Wirklichkeit, die sich im Glau­ben vollzieht, bleibt unter der Kontrolle des wissenschaftlichen Denkens, enthält aber selbst nicht nur ein Seinsverständnis, sondern auch ein gnostisches Element, und die Objektivierung, die das mythologische Denken vollzieht, entspricht dieser Wirk­lichkeit. Daß sie an der Wirklichkeit Gottes vorbei dogmatisierend zum Aufbau einer Scheinwelt dienen kann (ähnlich wie das Gesetz im Alten Testament) ändert nichts daran, daß sie gc:nau der Hingabe des Glaubens entsprechend den Zugang zur Wirklichkeit eröffnet. Dieser Zugang zur Wirklichkeit ist ein Geschenk wie der Glaube selbst, und der Hybris entgegengesetzt, mit der der Mensch sich unter l3eru­fung auf die Bibel glaubt Gottes bemächtigen zu können, aber eben als Geschenk doch auch im Widerspruch zum wissenschaftlichen Denken, als ob das wissenschaft­liche Denken wenigstens negativ über das Maß unseres Glaubens verfügen könnte, während es doch nur die Richtung verlegen kann, in der der Gläubige immer in Ge­fahr bleibt sich zu versteigen, nämlich nicht bei dem zu bleiben, was ihm in seiner konkreten Existenz wirklich von Gott gegeben ist.

Die rigorose Ablehnung jedes gnostischen Elementes im Mythos, wie sie Bultmann einfach voranstellt, kann also nicht richtig sein oder doch nur insofern, als der Glaube Erkenntnisse immer nur unter dem Kreuze hat, als ape Erkenntnisse eine veränderte Stellung zur Wirklichkeit zur Voraussetzung haben, aber wenn wir den Kritikern Bultmanns gegenüber geltend machten, daß nicht die Vorstellungsinhalte selbst, sondern die Intention, die Richtung, in der sich unser Denken bewegt, üb~r unsere Zugehörigkeit zur Gemeinde entscheidet, dann müssen wir diesen zweiten Gesichts­punkt nun ebenfalls auch Bultmann gegenüber festhalten. Es mag ein jeder in der Kritik geschichtlicher Dinge so weit gehen, wie ihn sein Wahrheitssinn treibt, es muß aber .doch die Intention festgehalten werden, den Glauben auf die Wirklichkeit zu beziehen; wenn er nur eine Haltung wäre, vielleicht eine durch Gottes Eingreifen gewonnene Haltung, so könnte er schließlich doch nicht anders, als im luftleeren Raum existieren.

Nun existiert der Glaube als Erfassung der Wirklichkeit in der konkreten Be­ziehung auf Kreuz urid Auferstehung Christi. Wir stehen daher vor der Frage, wie davon zu reden ist.

Erläuterung zu B 3

Der dritte Leitsatz des zweiten Teiles bezieht sich auf die Frage, wie von Kreuz und Auferstehung Christi zu reden sei. Wir gehen vielleicht am besten aus von der Auffassung Bultmanns: "Das Osterereignis als die Auferstehung Christi ist kein historisches Ereignis; als historisches Ereignis ist nur der Osterglaube der· ersten Jünger faßbar. Der Historiker kann seine Entstehung bis zu einem gewissen Grade

Page 62: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

FÜR UND WIDER DIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUEN TESTAMENTES 61

begreiflich mamen durm Reflexion auf die ehemalige persönliche Verbundenheit der Jünger mit Jesus: für ihn reduziert sich das Osterereignis auf ihre visionären Erleb­nisse. Der christliche Osterglaube ist an der historismen Frage nicht interessiert; für ihn bedeutet das historisme Ereignis der Entstehung des Osterglaubens wie für die erstenjünger dieSelbstbekundung desAuferstandenen, dieTat Gottes, in der sich das Heilsgeschehen des Kreuzes vollendet" 1 • Mithin kommen wir zu einer Theologie des "als ob". Freilich seien alle Deutungen des Kreuzes, die sim auf Grund des mytholo­gischen Denkens ergeben, ebenfalls abzuleh~en. Trotzdem aber solle dann doch Kreuz und Auferstehung, wie sie im Glauben der Jünger aufeinander bezogen sind, un­mythologisch eine Beziehung zu unserer Existenz in ihrer V erlorenheit an die Welt behalten. Man darf wohl fragen, ob dieser entmythologisierte Glaube leistet, was er leisten soll; und wenn er es nicht leistet, sollte das nicht vielleicht daran liegen, daß Bultmann ein Zwischenglied ausläßt, auf das es gerade ankommt, nämlich daß der Glaube in dem geschimtlichen Christus realisiert sieht, worum es ihm angesichts der Verlorenheit des Menschen zu tun ist? Warum soll das Kreuz Christi als Tat Gottes gewertet werden2, aber nicht auch als Tat Christi? Warum soll es nur für die ersten Verkündiger gelten, daß sie das Kreuz als das Kreuz des historischen Jesus ver­stehen3, nicht aber für uns? Warum soll die Verbundenheit der ersten Jünger mit Jesus nicht reproduzierbar sein? Wenn sie es wirklich nicht wäre, dann wäre un­S{'r Glaube ein anderer als der der ersten Jünger; wenn im Glauben nicht die Gleich­zeitigkeit hergestellt wäre, könnte auch Christus nie Gegenwart sein, wie doch Bult­mann in seiner Weise annimmt4 •

Der Mensch soll sich selbst verstehen in seiner Verlorenheit an die Welt des Ver­fügbaren, und soll diese Verlorenheit überwinden dadurch, daß er das ungesicherte Leben, das aus dem Unsicht~aren, Unverfügbaren lebt, gewinnt. Wer hindert uns daran, im Glauben zu sehen, daß diese Oberwindung in Christus geschehen ist? Das Fragliche ist ja gerade, ob sie in mir selbst gesmehen ist oder geschehen wird, und an­gesichts dieser Fragwürdigkeit, die ich in mir selbst wahrnehme, rette ich mich in Christus hinein als den, in dem es gesmehen ist, und identifiziere mich mit ihm in der Gleichzeitigkeit des Glaubens. ja, ich kann sagen, daß ich nicht weiß, ob ich mich selbst recht verstehe, es sei denn, daß ich mich in Christus verstehe. Ist aber das Kreuz .erst einmal in seiner Bezogenheit auf meine Existenz von innen her geschaut, so ist es .das auch in seiner Bezogenheit auf Gott. Das befreite Leben soll verstanden werden als ein Leben in der Hingabe an das Unverfügbare~ Wieweit es zu dieser Befreiung bei mir selbst gekommen ist, das mag wiederum fraglich sein, aber in dem geschicht­lichen Christus darf im das Leben als ein Gott dargehrachtes Opfer ansehen, in das ich mich einschließe. Und so kann ich aum dem letzten Schritt nicht ausweichen und die Auferstehung als das von Gott dargebrachte Opfer ansehen, vorausgesetzt, daß sie mir bezeugt ist.

Wir stellen uns hier noch einmal versuchsweise auf den Standpunkt der radikalen Kritik und nehmen an, diese Bezeugung fehle. In Wirklichkeit habe die Rätselhaftig-

1 K. u. M. Bd. P 51. 12 S. 46f. 2 a. a. 0. S. 48{44. 8 a. a. 0. S. 47/43· 4 a. a. 0. S. 46{42f.

Page 63: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

62 HERMANN SAUTER

keit.des Todes Jesu mit'allem, was die Jünger dabei verloren, im Unterbewußtsein weitergewirkt, und sich in Visionen umgesetzt. Von diesen Visionen aus sei dann die Deutung des Todes Jesu entstanden, nach der er als die von Christus vollbrachte Tat erscheint. So gewiß diese Deutung möglich ist, eines wäre dazu immerhin zu sagen~ in diesem Falle läge dann doch nicht eine Projektion eines geschichtlichen Ereignisses ins Mythologische vor, sondern an diesem einen Punkt im Gegenteil zunächst die Schaffung eines nicht mythologischen Geschichtsbildes. Denn daß Jesus seinen Tod gewollt habe, kann man doch nicht eine mythologische Rede nennen. Nun mag man bis in alle Konsequenzen annehmen, daß die Jünger gar nicht fähig waren, einenge­schichtlichen Vorgang anders als in mythologischen Ausdrucksformen zu verarbeiten: ist die Deutung des Kreuzes richtig, die es als Tat Jesu sieht, so ist auch die Auf­erstehung geschichtliches Ereignis, die den Grund zu dieser Deutung legt. Hätte eine Vision die Jünger verleitet, etwas in Jesus hineinzulegen, was nicht in ihm war, so fehlte ihrem Glauben jeder Realitätsgrund, und daran ändert sich dann nichts da­durch, daß man die Entstehung dieses Glaubens als Gottes Tat bezeichnet. War es aber in ihm, wenn auch zunächst den Jüngern unverständlich, so ist der Vorgang, durch den es ihnen aufgeschlossen wurde, nicht anders als eine geschichtliche Begeg­nung 'zu be:z;eichnen, in welchen Formen sie sich auch vollzogen haben mag.

Wir sind aber zu dieser Argumentation veranlaßt worden, weil wir dem Seins­verständnis, so wie es Bultmann entwickelt hat, gefolgt sind. Es ist eigentümlich, daß wir gerade von diesem Seinsvertsändnis bis an den Punkt geführt werden, wo nun alles darauf ankommt; wie sich nun das Heilsgeschehen darstellt, und dann am ent­scheidenden Punkt uns nicht auf geschichtliche Vorgänge beziehen dürfen, obwohl doch die Nichtausweisbarkeit des Glaubens durchaus gewahrt bleibt, insofern diese Vorgänge nur für den Glauben als geschichtliche faßbar sind. Mag auch die Wieder­gabe dieser Vorgänge vom mythologischen Denken geformt sein, so bedeutet doch die Weigerung, an diesem Punkte die mythologische Sprache zu gebrauchen, nicht weniger als einen Verzicht auf eine Deutung de5 Lebens Jesu in seiner Beziehung auf Gott und auf unser eigenes Sein im Seinsverständnis Bultmanns. Dann wird aber nachträglich auch fraglich, ob dieses Seinsverständnis wirklich den bedrohlichen Cha­rakter angenommen hat, wo es um Sein oder Nichtsein geht, und vor allem, ob wirk­lich die Auferstehung der Angelpunkt sein kann, an dem Gott einsetzt, um uns aus der Welt herauszuheben, ob nicht doch, so gerne wir herausgehoben sein möchten, wir in das Verlorensein an die Welt verhaftet bleiben, und wir uns nur täuschen, wenn wir im Widerschein der Auferstehung, wie ihn der Osterglaube der ersten Jünger uns bietet, meinen, wir hätten die Sache, und haben in Wirklichkeit nur die Idee davon. Umgekehrt aber, wenn an dem von Bultmann entwickelten Seinsver­ständnis etwas Richtiges ist, führt es uns tiefer hinein in das Christusgeschehen, als Bultmann zugeben will. Ja, wir haben, wenn wir genau zusehen, unser Seinsver­ständnis nur deshalb, weil wir uns in Wirklichkeit nur in Christus selbst nchtig ver­stehen, das heißt scheinbar in den geschichtlichen Jesus hineinprojizieren, nach dem Selbstverständnis des Glaubens aber aus ihm heraus gewinnen, was uns errettet. Die Auferstehungsbotschaft wirkte in einer mythologisch denkenden Welt dynamisch,

Page 64: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

FüR UNDWIDER DIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUEN TESTAMENTES 63

weil sie einen geschichtlichen Realgrund hatte; in einer vom wissenschaftlichen Den­ken geformten Welt genügt das nicht. Wennaber das Seinsverständnis richtig ent· wickelt wird, dann wird sich die Richtigkeit dieser Entwicklung eben darin zu be­weisen haben, daß die vom mythologischen Denken geformte Verkündigung zu reden anfängt, weil dann der dem wissenschaftlichen Denken verhüllte geschichtliche Realgrund, das Heilsgeschehen als wirkliches Geschehen wieder hervortritt. Der Dogmatismus ist immer ein Vorübergehen an der Sache selbst, ob er nun die Auf­erstehung Christi realistisch bejaht oder sie entmythologisierend verneint. Wir kön­nen den Glauben weder gegenständiich noch nicht gegenständlich haben, sondern nur in dem echten zu uns selber kommen, wenn in der Hingabe an das gehörte Wort die Vernunft gefangen genommen wird unter den Gehorsam Christi und die Gleich­zeitigkeit mit Christus erreicht wird. Bultmann nimmt ein Geschehen Gottes durch Christus mit den Jüngern und mit uns an, aber nicht ein Geschehen Gottes mit Christus. Aber eines bedingt das andere. Darum ist eine Lücke, die sich nur durch die Auferstehung Christi schließt.

Wo liegt nun die Grenze der Obereinstimmung mit Buhmann? Wir sind davon ausgegangen, daß das mythologische Denken uns ein Geschichtsbild in unserem Sinne unmöglich macht. Bultmann bleibt hinsichtlich der Geschichte deshalb bei·einem ignoramus ignorabimus stehen und rekurriert auf eine, ich möchte sagen, ins Philo­sophische übersetzte praxis . pietatis. Wir meinten aber die allgemeinen Gesichts­punkte, die wir über das mythologische Denken gewonnen hatten, schlössen zwar in Anwendung auf die Botschaft von der Auferstehung den naiven Realismus, der sich auf das leere Grab beruft, als verbindliche Vorstellung aus, wohl aber ermöglichen sie uns, die dahinterstehende W'irklichkeit zu erfassen, freilich im Unterschied zu Bultmann erst dann, wenn sich uns dadurch die Innenseite des Lebens Jesu erschlossen hat. Diese Erschließung ist nicht das Werk der Apostel, sondern das Werk des Auf­erstandenen selbst und ist genau in dem Maße Realität, als sie uns diesen Dienst tut.

Es ist vielleicht aufs Ganze gesehen nur ein ganz feiner Unterschied zu Bultmann vorhanden. Auch für Bultmann ist das Wort die einzige Realität. Und auch darin müssen wir ihm zustimmen: man kann den Glauben an Gottes Wort nicht durch historische UntersuchÜng feststellen wollen1 • Aber nun fährt Bultmann fort: "Das Wort. der Verkündigung begegnet als Gottes Wort, dem gegenüber wir nicht die Legitimationsfrage stellen können, sondern das uns nur fragt, ob wir es glauben wollen oder nicht. Es fragt uns aber so; daß es, indem es uns gebietet, an Tod und Auferstehung Christi als das eschatologische Geschehen zu glauben, uns die Möglich­keit des Verständnisses unserer selbst eröffnet" 2• Nun halten wir inne und fragen, ob damit alles gesagt ist und meinen, indem es uns das Verständnis Jesu so auf­schließt, daß wir uns in ihm verstehen können, verhilft es uns zu dem Bestehen bei Gehofftem (vmJqux(Jt> B'J.nt~olk8vwv) Hb. II,I bei dem wir die Wirkung des Wortes von Stufe zu Stufe erfahren.

1 a. a. 0. S. 50/46. 2 ebenda.

Page 65: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

64 HERMANN SAUTER

Sagen wir, daß die ganze wunderbare Vorstellungswelt des Neuen Testamentes nur dazu da ist, uns zur angstbereiten Übernahme des Daseins aus der Verlorenheit an die Welt zu helfen, so glauben wir von Bultmann gdernt zu haben, und haben die Verschiebung korrigiert, in die uns der naive Realismus gebracht hatte. Aber die angstbereite Übernahme des Daseins bedeutet im Ansmluß an den gesmimtlimen Christus dann aum nimts anderes als die Bereitsmaft zum Gleimgestaltetwerden mit dem Tode Christi, welffies keinen Sinn hätte, wenn der Tod Christi nur in der Deu­tung der Jünger, und nimt aum im Leben Jesu selbst als seine Tat auf seine Auf­erstehung bezogen gewesen wäre. Es ist smließlim dom Gottes Barmherzigkeit ge­wesen, daß er uns den Sprung ins Dunkle nimt zugemutet hat, ohne uns Jesus zu geben. Daß wir die daraus sim ergebende Vorstellungswelt benutzt haben, um an dem eigentlimen Leben vorbeizugehen, ist unsere Smuld, daß diese Vorstellungswelt ihren Realitätsgehalt dem ersmließt, der sim ihr überläßt, gibt dem Satze Bultmanns über die Verschiedenheiten der Auffassungen hinweg. eine übergreifende Bedeutung, daß im konkreten Lebensvollzug sim wie die Teilhabe am Kreuz J esu, so aum die Teilhabe an seiner Auferstehung erweist1•

* Der Zusammenfassung ist nimts weiter hinzuzufügen als vielleimt ein persön­

limes Wort. Es redet hier ein theologismer Außenseiter, nom dazu in der ungesmütz­ten Situation eines Mensmen, der sim in der theologismen Begriffssprame nimt sicher fühlt, der Stellung nimmt, ohne Heidegger oder Althaus selbst gelesen zu haben, usw. Aber man kann von einem Pfarrer i.m Amte nicht mehr erwarten, als eine Rechenschaft darüber, wie er bestimmte Anregungen der wissensmaftlichen Theo­logie, wie sie ihn gerade im Zusammenhang seines Amtes beschäftigt haben, ver­arbeitet hat. Die Aufforderung, das zu tun, ist von außen an mich herangetreten. Natürlich bezieht der Pfarrer in solchem Falle eine bestimmte Stellung. Die apo­diktische Ausdrucksweise erklärt sim nicht aus der eitlen Meinung, gegen einen theologismen Lehrer in die Schranken treten zu wollen; im habe nicht damit rechnen können, daß eine private Kußerung über den privaten Rahmen hinaus verwendet werden würde, sondern es sollte nur für meine eigene Person zunächst so be­stimmt wie möglich die Verarbeitung des Buches vollzogen werden. SeitdC?U zum erstenmal der junge Student vor der Nötigung stand, die Theologie Professor Bult­manns zu verarbeiten, und das war vor zwanzig Jahren, hat mir das Wort von Bru­der Thimme entsmeidend geholfen, daß die Wissenschaft als Korrektiv unentbehr­lich sei. Das heißt: der Glaube wird gewonnen unabhängig von der wissenschaft­limen Arbeit, wenn wir uns genötigt sehen, uns Christus auszuliefern, wetil eine Ver­weigerung der Hingabe an ihn gleichbedeutend wäre mit einer Leugnung der Reali­tät Gottes und mit der Selbstbehauptung gegen Gott. In dieser Haltung kann die wissensmaftliche Arbeit ohne Kngstlimkeit vollzogen werden, als ob sie den Glau­ben gefährden könne, es kann jeder Einwand ernst genommen werden, ja es kann

Page 66: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

FÜR UND WIDER DIE ENTMYTHOLOGISIERUNG DES NEUEN TESTAMENTES 65

streckenweise ertragen werden, daß Glauben und Denken sim zur Zeit nimt ver­einbaren lassen. Wenn aber der Glaube sim an die Wissensmaft verlieren wollte, dann allerdings muß bedamt werden, daß mehr als jeder wissensmaftliche Einwand das Wort ZU fürmten ist: Im will zunichte mamen die Weisheit der Weisen und den Verstand der Verständigen will im verwerfen. (x. Kor. x,19.) Aber vielleimt könnte ja aum in der Theologie sich etwas ähnlimes ereignen wie jene ergreifende Begeg­nung von Wissensmaft und smlimter Gläubigkeit, die Neuberg in dem Bümlein: Das Weltbild der Physik, S. 112, zitiert, wo der junge Physiker seiner Mutter, der einfamen serbismen Bäuerin, von den großen Erkenntnissen der Physik berimtet, und die Mutter antwortet: Denke darüber nam, mein Sohn, Gott hat seit der Er­schaffung seine Botsmaften von Stern zu Stern und von den Sternen zu den Mensmen gesandt und sim dabei genau derselben Methode bedient, welche der Mensch, den göttlichen Methoden namahmend, ZU befolgen beginnt, wenn er die Elektrizität be­nutzt, seine Botschaft einem entfernten Freunde zu senden. Deine Lehrer, welche dir diese Erkenntnis übermittelten, sind so weise wie die Propheten.

l Kerygma, Bd. z.

Page 67: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS
Page 68: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

III

DIE DISKUSSION INNERHALB DER SYSTEMATISCHEN

THEOLOGIE

Page 69: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS
Page 70: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

REGIN PRENTER, AARHUS

MYTHOS UND EVANGELIUMl

Der Konflikt zwischen der Gestalt, die die christliche Botschaft heute annimmt und ihrem von allen histor1schen Veränderungen unabhängigem Wesen ist kein neues Problem. Jede Generation nimmt an seiner Lösung auf ihre Weise Teil. Damit das Evangelium nicht das Aussehen eines Anachronismus bekommt, muß es in gewissem Sinne der Sprache und den Ideen der Gegenwart angepaßt werden. Die meisten Debatten in der Geschichte christlichen Denkens haben hier ihren Ursprung. Was war tatsachlich der Grund, daß die Ketzer nach neuen Aussagen suchten, wenn nicht das Bedürfnis, die Botschaft in der Sprache ihrer Zeit und ihrer Denkungsart angepaßt darzubieten? Und was veranlaßte die Orthodoxen, sich gegen diese neuen Formulierungen zu wehren, wenn nicht das Empfinden, daß bei dem Versuch, die evangelische Botschaft in der zeitgemäßen Sprache und Denkungsart auszulegen, nicht nur die äußere Fo.rm, sondern auch die Substanz selbst geändert würde? Es war der Verdacht, daß die zeitgemäße Sprache und das Denken der Gegenwart nicht mehr Diener der evangelischen Botschaft waren, sonderndaß im Gegenteil das Evangelium auf das Prokrustes-Bett des modernen Denkens gelegt wurde, bis es folgsam sagte, was die zeitgenössischen Denker schon gesagt hatten.

Wenn man die konkreten Formulierungen, die das Problem zu jeder Epoche annimmt, beiseite läßt, stellt man fest, daß es sich immer gleich bleibt: Wie kann man diese Alternative vermeiden, die so absolut unvermeidbar erscheint: ent­weder die biblische Botschaft verkündigen, aber so, daß sie dem modernen Men­schen vollkommen unverständlich und gleichgültig bleibt, oder sie in der Sprache der Zeit verkündigen, daß sie auf die Probleme der Gegenwart antwortet, jedoch verbunden mit der Gefahr, daß von der Substanz der Botschaft etwas verloren geht? Gerade diese Alternative hat in den theologischen Konflikten zu jeder Zeit die Trennung zwischen den liberalen und orthodoxen Tendenzen hervorgerufen Es ist offenbar nicht leicht, über dieser Alternative einen "dritten Standpunkt" zu finden, der die theologische Substanz unverkürzt mit modernen Formu­lierungen verbindet und so dem unfruchtbaren Gegensatz. zwischen Orthodoxen und Liberalen ein Ende setzt. Dies ist aber die Aufgabe der evangelischen Theologie.

Die Suche nach einem solchen "dritten Standpunkt", der dieser doppelten Anforderung gerecht wird, ist das theologische Problem RudolfBultmanns, wenn er versucht, das Evangelium zu entmythologisieren: Bewahren des Kerygmas des N.T.s und dennoch Verkündigung in der Sprache der Gegenwart. Er hat dieses Programm in früheren Schriften angezeigt; programmatisch formuliert hat er es

1 Aus Revue De Theol. Et De Phi!. XXXV, 194 7, S. 49ff .. Vorlesung, gehalten im Februar 194 7 an der theologischen Fakultät der Universität Lausanne und an derjenigen von Straßburg. Im Original fran%ösisch, Übers. vom Hsgb.

Page 71: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

70 . REGIN PRENTER

in dem Aufsatz "Neues Testament und Mythologie'',! der in Deutschland und Dänemark verhältnismäßig große Aufmerksamkeit erweckt hat, allerdings weniger in den andern nordischen Ländern.

Bultmann sucht über dem Gegensatz zwischen Orthodoxie und Liberalismus einen dritten Standpunkt zu finden. Indem er bittet, auf alle verjährten Vor­stellungen zu verzichten, schließt er sich der liberalen Theologie an. Indem er aber die Ausscheidung aller Mythologie, wie sie von der liberalen Theologie vorgeschlagen wird, kritisiert, verteidigt er die Sache der Orthodoxie, da er er­kennt, daß mit der Ausscheidung der Mythologie zugleich das Kerygma preis­gegeben wird. Das Evangelium entmythologisieren will heißen, daß das Gewand der mythologischen ~ilder, in welchem das Evangelium uns begegnet, existential ausgelegtwerden soll2• Dieses Programm sollte dem Gesamtproblem derBpoche Genüge tun; denn einerseits ist die Existentialphilosophie gerade die Form des Selbstverständnisses, das unsre Zeit von sich selbst hat, andrerseits ist es nach Ansicht Bultmanns die eigentliche Absicht des Evangeliums selbst, ein Existenz­verständnis zu geben und nicht eine Mythologie. Dieses Programm erscheint außerordentlich verführerisch. Ist es jedoch durchführbar? Alles hängt von der Antwort auf zwei entscheidende Fragen ab. Zunächst: Ist es Bultmann gelungen, eine systematische Entmythologisierung durchzuführen, oder bleibt noch ein Rest Mythologie, den die existentiale Interpretation nicht beseitigen kann, und welches ist der Platz-dieses Restes im Kerygma des N.T.s? Die andere Frage: Erreicht diese existentiale Auslegung der Mythologie den Gottesbegriff und den des Mens·chen im N.T.? Man muß sich hüten, über diese Fragen zu leicht hin­wegzugehen, wenn man das Entmythologisierungsprogtamm Bultmanns beur­teilen will.

Wir werden diese Fragen nacheinander wieder aufgreifen.

Ist Bultmann die Entmythologisierung methodisch gelungen? Er hat dem Problem ins Auge gesehen. Er fordert selbst3, daß die Entmythologisierung gründlich geschehe, ohne daß der geringste Rest verbleibt. Man kann das Problem nicht durch "Auswahl und Abstriche" lösen, das wäre eine Halbheit. Bultmann sieht aber selbst am Ende, daß ein Rest 'bleibt, das Wissen um einen handelnden Gott4. Diese Inkonsequenz hängt an dem Verständnis, das man von dem Begriff Mythos wie von der Entmythologisierung selbst hat. Dabei müssen wir auch ein wenig verweilen. Erst wenn diese Begriffe geklärt sein werden, werden wir Stellung nehmen können und sehen, ob am Ende eine Entmythologisierung

1 K. u. M. Bd. 11 u. 2S. 15ff. 2 1m Französischen immer: interpretation existentielle. Zum Verständnis der Unterscheidung

zwischen "existentiell" und "existential" sei die knappe Erklärung von G. Bornkamm an­geführt: "Existentiale Interpretation ist eine Auslegung, die nach dem Verständnis von mensch­licher Existenz in einem Text fragt. Der Begriff stammt von Martin Heidegger ... Existentiell ist dagegen ein Reden und Hören in eigener, konkreter Betroffenheit." Die Zeichen der Zeit 1951.

3 a. a. 0. 1S. 2.2.. 2S. 2.1. 4 a. a. 0. 1S. 52.. 2S. 48.

Page 72: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHOS UND EVANGELIUM 71

möglich ist und bejahendenfalls, ob sie dazu beitragen kann, den Konflikt zwischen dem Streben nach Gegenwartsnähe der Verkündigung und dem Be­wahren der Substanz des Evangeliums, zu lösen.

Die Gedanken Bultmanns über die Mythologie des N.T.s und über die Ent­mythologisierung sind sehr verwickelt und man kann die Inkonsequenz in ihnen nur verstehen) wenn man die verschiedenen Komponenten seiner Gedanken ge­sehen hat.

Seiner Ansicht nach hat die Mythologie des N.T.s, um deren Auslegung es sich handelt, einen doppelten Ursprung: der eine, gewissermaßen auf die Form bezogene, ist das mythische Weltbild, der andere, der stärker die Substanz betrifft, liegt in der Notwendigkeit, die Erlösung in Christus konkret innerhalb dieses Weltbildes zu verkündigen. ·

Zu diesem mythischen Weltbild gehört z. B. die Vorstellung der in drei Stufen geteilten Welt: Himmel, Erde, Hölle, deren mittlere, die Erde, zum Kampfplatz der Mächte der beiden anderen, der En'gel und Dämonen, Gottes und der Teufel, geworden ist. Und dieser Kampf findet sein Ende in einer Weltkatastrophe, die dem von den Mächten des Bösen beherrschten Aon ein Ende setzt und nach dem letzten Gericht den neuen Aon, in dem Gott allein herrschen wird, herbeiführen wird. Der Mensch findet sich in diesen Kampf einbezogen, denn der Teufel wie auch Gott können auf ihn durch Mittel übernatürlicher Kräfte einwirken, welche ihm jeweils durch die Zauberei oder durch die Sakramente vermittelt werden.

DiesemWeltbild ist eine mythologische Vorstellung der Erlösung hinzugefügt. Nach der Annahme der jüdischen Apokalypsen und der gnostischen Systeme ist Jesus Christus tatsächlich ein präexistentes göttliches Wesen, das Mensch ge­worden ist, um für die Sünden der Menschheit zu bezahlen und um ihr die Bot­schaft der Errettung durch seinen Tod und seine Auferstehung zu bringen. Durch die Sakramente, die Taufe und das Abendmahl wird den Gläubigen die Kraft für ihr neues und wahrhaftes Leben, das Geistesleben, gegeben.

Dieser Zweiheit in der Mythologie des Weltbildes und der Religion entspricht auch bei Bultmann ein doppeltes Motiv, an dieser Entmythologisierung zu arbeiten. Wenn die Mythologie ein bestimmtes Weltbild enthält, ist sie eo ipso unangemessen, unglaubhaft für die, die dieses Weltbild ablehnen. Nun ist es aber eine Tatsache, daß ein Mensch oder eine Epoche ihrWeltbildsich nicht aussuchen. Es ist ein Erbteil, das das bewußte Denken von allen vergangeneo Jahrhunderten erhält. Wir, die wir gegenwärtig leben und deren Weltbild durch die Naturwissen­schaften bestimmt ist, können nicht einfach ohne ein sacrificium intellectus, wel­ches· unredlich wäre, das mythische Weltbild, das dem N.T. eigen ist, annehmen. So kommt es, daß die Kritik, ausgehend vom Weltbild, das uns durch unsre historische Situation und die Naturwissenschaften gegeben ist, sich einer Reihe von Bildern des N.T.s bemächtigt. Diese sind einfach erledigt, weil sie einem vergangeneo Weltbild angehören. Das gilt beispielsweise für die Vorstellung von der Himmelfahrt Christi, seinem Niederfahren zur Hölle, für den Glauben an Geiste rund Dämonen, für die Wunder wie die eschatologischen Bilder der End-

Page 73: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

72 REGIN PRENTER

katastrophe. Die moderne Wissenschaft hat mit diesen Bildern, die unannehmbar sind, Schluß gemacht. Man kann nicht auf der einen Seite elektrisches Licht und einen Radioapparat gebrauchen und auf der andern Seite an solche Vorstellungen glauben 1•

Sicher ist aber das Bild, das wir uns von der Welt machen, nicht allein durch die Physik bestimmt, sondern auch durch die Psychologie. Diese, - ob sie idealistisch oder materialistisch ist - sieht den Menschen als unabhängige Per­sönlichkeit und nicht als das Schlachtfeld himmlischer und dämonischer Mächte. Der "Geist" und die Sakramente, von denen die Mythologie spricht, sind darum unverständlich. Ebenso ist es mit den Ideen der Sühne durch Stellvertretung und der Auferstehung, die als Befreiung vom Tode verstanden wird. Die moderne Psychologie betrachtet den Menschen entweder als ein Produkt seiner natürlichen Kräfte (Naturalismus) oder als eine Kreatur, die für ihre eigenen Handlungen verantwortlich ist (Idealismus). In beiden Fällen aber ist die Idee einer ein­gegebenen Kraft, die seine ethische Qualität verwandeln könnte, absurd. Ebenso ist der Gedanke eines Märty~ers, der für einen anderen den Tod erleidet, unvoll­ziehbar. Für die naturalistische Philosophie ist die Auferstehung Unsinn, weil der Tod das natürliche Ende des Lebens ist. Für die Philosophie ist die einzige ewige Existenzmöglichkeit die, die aus dem Innersten seiner eigenen Natur ent­springt und nicht die physische Auferstehung eines anderen Wesens 2•

So müßte ein guter Teil des N.T.s entfernt werden, nur, weil unser Weltbild von dem des N.T.s grundverschieden ist. Nach Bultmann ist dies aber weder der einzige noch der wichtigste der Gründe, die eine Entmytholngisierung notwendig machen. Denn die Mythologie des N.T.s entspringt nicht allein dem Weltbild, sondern ebenso der Lehre einer realen Erlösung, dem Christus-Ereignis. Diese Lehre aber ist das Zentrum der Mythologie, demgegenüber das Weltbild nur den Rahmen ausmacht. Versteht man aber die Mythologie von ihrem Zentrum her, so sieht man auch, daß der Mythos nicht dazu da ist, um ein Weltbild zu geben. In dem Maße, wie der Mythos von der Erlösung spricht, -nicht nur das N. T. spricht davon - ist sein Ziel existentiell und nicht kosmologisch. Wenn aber die Erlösung im Mittelpunkt steht, wie in den dem Christentum verwandten Mythen der jüdischen Apokalyptik und des Gnostizismus, dann ist damit bereits im Mythos selbst ein Grund zur Entmythologisierung gegeben, d. h. zur Beseiti­gung des Kosmologischen und für die Möglichkeit einer existentialen Inter­pretation. Außerdem sieht Bultmann diesen Grund noch verstärkt durch Wider­sprüche kosmologischer Art, die die Mythologie des N.T.s enthält: Der als Opfer gestorbene Christus steht dem toten Christus als kosmisches Ereignis ver­standen gegenüber; der Christus als Messias der- Juden steht dem Christus als neuer Adam gesehen entgegen; die Kenosis des präexistenten Gottessohnes den Wundern des Messias als Zeichen der Macht, die Präexistenz der wunderbaren Geburt usf.3

1 a. a 0. 1 u. 25. 1 8. 2 a. a. 0. 15. 19. 25 20.

Page 74: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHOS UND EVANGELIUM 73

Verweilen wir einen Augenblick, um zu sehen, was die Begriffe Mythos und Entmythologisierung, mit denen wir uns bis jetzt befaßt haben, genauer bedeuten. Wir bemerken zunächst einen eigentümlichen Widerspruch, der anscheinend mit der Natur des Mythos zusammenhängt: er ist gleichzeitig kosmologisch und existentiell verstanden. Im ersten Teil der Beweisführung Bultmanns ist das mythische Weltbild so wesentlich, für die Mythologie so unerläßlich, daß ein­fach der Wandel des Weltbildes die Entmythologisierung notwendig macht. Im Gegensatz hierzu scheint im zweiten Teil der Beweisführung das Weltbild etwas, Zufälliges zu sein. Die wahre Intention des Mythos ist nicht kosmologisch, sondern existentiell. Darum enthält der Mythos selbst bereits den Grund für eine Entmythologisierung.

Aber wo ist dann die Wahrheit? Bilden die kosmologische Tendenz, das my­thische Weltbild einen so integrierenden Bestandteil des Mythos, daß er ver­schwinden muß, wenn die Wissenschaft seine kosmologischen Aussagen zerstört? Ist es nicht vielmehr so, daß die nicht kosmologische, sondern existentielle Auf­fassung der menschlichen Beziehung zu den Mächten des Guten und Bösen, -so konkret; daß man sie sich bildhaft vorstellt, -das Wesentliche ist, derart, daß der Mythos, seiner kosmologischen Aussagen beraubt, existential seinem tieferen Sinn gemäß interpretiert werden kann? Bultmann scheint mit beiden Antworten zu operieren, je nachdem sie zweckmäßig sind. Im Kampf gegen die orthodoxe Theologie, die sich jeder Entmythologisierung widersetzt, erscheinen ihm die kosmologischen Aussagen derart entscheidend für die ganze Mythologie, daß es für einen modernen Menschen einfach unehrlich wäre, auch nur den geringsten Teil davon festzuhalten. Entweder alles oder nichts, weder "Auswahl", noch "Abstriche" I Mit der Kosmologie verschwindet eine derartige Mythologie. Wenn Bultmann aber, im Gegensatz dazu, die existentiale Interpretation der Mythologie diskutiert, hat die Glocke einen anderen Klang. Wenn er eine wirk­liche Interpretation und keine Eliminierung vornehmen will, wie es der Ent­mythologisierungsversuch der liberalen Theologen tat, den er selbst kritisiert, ist er natürlich verpflichtet, festzuhalten, daß der Mythos seinem Wesen nach auf eine existentiale Interpretation begründet ist. Denn, wenn es nicht in der Natur des Mythos liegt, eine Deutung der Existenz anstatt einer Kosmologie zu geben­m direktem Gegensatz zu der vorher als wesentlich gegebenen Deutung -, dann ist eine existentiale Interpretation keine Interpretation sondern eine Eliminierung.

So geht der "dritte Standpunkt", den Bultmann im Gegenüber zur Orthodoxie und zum Liberalismus einzunehmen sich müht, über in eine wankende und dunkle Auffassung des Begriffs der Mythologie und der' Entmythologisierung. Wenn er die Orthodoxie angreift, wird in seinen Augen die Kosmologie und das Weltbild des Mythos zum Wesentlichsten, so daß allein schon die Existenz des modernen Weltbildes es verbietet, den Vorstellungen des N.T.s ihren ursprünglichen Wert zurückzugeben, darum Entmythologisierung! Zum Henker mit aller Mytho­logie! Die von Bultmann eingenommene Position ist typisch liberal: Die Wissen­schaft wird als Argument in theologischen Fragen verwandt. Wenn er aber im

Page 75: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

74 REGIN PRENTER

Gegensatz dazu die liberale Theologie angreift, wird die Mythologie plötzlich existentiell und ist nicht mehr kosmologisch, da es ja der Natur des Mythos ent­spricht, die Stellung des Menschen im Gegenüber zu den guten und bösen Mäch­ten ins Auge zu fassen. Damit erlaubt sie eine existentiale Interpretation, die nicht eine unter anderen ist, sondern die gerade die tiefsten Intentionen des Mythos erfaßt. Das ist offensichtlich eine .orthodoxe Haltung. Denn was nimmt sich die Orthodoxie anderes vor als eine Interpretation des soteriologischen Mythos, die seinem Gehalt entspricht gegenüber allen liberalen. Abweichungen der Meta­physik und Kosmologie? Wenn Bultmann aber so von Entmythologisierung spricht, sollte er in Wahrheit, wenn er logisch wäre, nicht von Entmythologi­sierung sprechen, denn, was der Mythos als Zentrales aussagen will, bleibt in der Tat in der existentialen Interpretation erhalten, ein ziemlich wichtiger mytho­logischer Rest: Der Begriff des handelnden Gottes.

Aber damit ist natürlich nicht die Mythologie im alten Sinne, d. h. die mytho­logische Kosmologie gerechtfertigt. Der Begriff "Entmythologisierung" paßt einfach nicht zu dieser Art der Interpretation. Es handelt sich in Wahrheit nicht um die Frage eineJ: "Entmythologisierung", dagegen sehr wohl um ein Problem, das man "Entkosmologisierung" nennen könnte, das Problem der Aufhebung der mythischen Metaphysik zugunsten einer existentialen (soteriologischen) Inter­pretation des Mythos.

Die von Bultmann eingenommene Position ist also doch nicht eine dritte über dem Liberalismus und der Orthodoxie, sondern lediglich eine Position, die zwi­schen Orthodoxie und Liberalismus wechselt, liberal gegenüber der Ortho­doxie und orthodox gegenüber dem Liberalismus. Hierin liegt der Grund für seine Inkonsequenzen. Daher kommt es auch, daß der Begriff der Entmytho­logisierung selbst nicht der Lösung des Problems entspricht, die Bultmann auf­zeigt, nämlich der Trennung zwischen dem, was innerhalb der evangelischen Botschaft zeitbedingt ist, und was ihr Wesen ausmacht. Denn, um den Begriff der Entmythologisierung hier anwenden zu können, müßte man ihn derart fassen, daß er systematisch angewandt werden kann. Die Begriffe "Entmythologisierung" und "Mythologie" müßten so klar sein, daß sie unmißverständlich sind in bezug auf das Wesen des Kerygmas und des Mythos. Andernfalls ist ein Widerspruch im Reden von der Entmythölogisierung möglich.

Das ist es nun, was bei Bultmann unterlaufen ist. Die beiden Begriffe: "Ent­mythologisierungH und "Interpretation des Mythos" (im Gegensatz zur Eli­minierung) sind unvereinbar: Entweder man scheidet die Mythologie aus, dann interpretiert man sie nicht; oder man interpretiert auch den Mythos, aber dann kann man dies nicht eine Entmythologisierung nennen; denn jede Interpretation hat als letztes Ziel, den wesentlichen Gehalt ihres Objektes in. das rechte Licht zu rücken. Um systematisch zu sein, muß eine wahrhafte Entmythologisierung immer die ganze Mythologie ausscheiden wie es die liberale Theologie getan hat. Aber ist die "Interpretation" Bultmanns nicht gerage eine Eliminierung? Ist sein Standpunkt nicht trotz allem der der Liberalen, so daß er zuletzt doch eine Ent-

Page 76: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHOS UND EVANGELIUM 75

mythologisierung des Evangeliums vornimmt? Wir werden es sehen, wenn wir versuchen, auf die zweite Frage eine Antwort zu finden.

* Entspricht die existentiale Interpretation der Mythologie des N.T.s, wie Bult-

mann sie mit Hilfe der Kategorien der Existenzphilosophie unternimmt, tatsäch­lich der Situation von Gott und Mensch, wie sie im Kerygma des N.T.s zu finden ist; oder geschieht hier im letzten Grunde doch eine Eliminierung des Wesens des Kerygmas? Das ist die entscheidende Frage, wenn man sich ein Urteil über das ganze Programm Bultmanns und über seine ganze Theologie bilden will.

Entsprechend der Vorstellung, die Bultmann sich von der Mythologie des N. T.s macht, seiner Kosmologie (das mythische Weltbild) wie seiner Soteriologie (die Heilslehre), bietet Bultmann auch seine existentiale Interpretation in zwei Etappen. Im Blick auf die mythische Kosmologie erscheint das christliche Seins­verständnis als existentielle Interpretation der Kosmologie. Im Blick auf die mythisch-eschatologische Heilslehre ist es eine existentielle Interpretation des Todes und der Auferstehung Jesu gemäß ihrer "geschichtlichen Bedeutsamkeit".

Entspricht es wirklich der Botschaft des N.T.s, ein christliches Seinsverständnis verbunden mit dem Gedanken, daß Jesu Tod und Auferstehung (welcher Art diese auch verstanden sein mögen I) die historische Grundlage und die Bedingung selbst für dieses Seinsverständnis sind? Bultmann meint "Ja". Aber diese Annahme ist gewagt.

Nach dem christlichen Seinsverständnis ist der Mensch an die Welt des Todes und der Vergänglichkeit gebunden, dies jedoch nicht als Unterwerfung unter die Materie verstanden, die der spiritualistische Gnostizismus bekämpft. Wenn der Mensch "Fleisch" ist, will das nicht bedeuten, daß er ein Sklave seiner sinnlichen Natur ist, sondern, daß er über seine Existenz mit Hilfe von Mitteln herrschen wili, über die er verfügt. Der Mensch wiii sich nicht im Glauben gänzlich der Zukunft hingeben, die von außen auf ihn zukommt, sondern, indem er die Mög­lichkeiten seines eigenen Lebens nutzt, indem er die Welt, über die er verfügt, beherrscht,' will er sich zum Herrn seiner eigenen Zukunft machen. Darum ist der Mensch ohne Glauben den Sorgen ausgeliefert 1• Es ist die Existenz der Verlorenheit, nicht entsprechend dem wahren menschlichen Sein. Gerade dann verliert der Mensch die Eigentlichkeit seiner Existenz, wenn er sich an die konkrete Welt hängt und meint, seine Zukunft zu sichern. Denn die wahr­hafte Existenz des Menschen ist der Glaube, die Hingabe an die wahre Zukunft, an das Unsichtbare, das "Unverfügbare". Die wahre Existenz ist eine Entwelt­lichung, Befreiung von allem, was sichtbar und verfügbar in der Welt ist. Es ist die bedingungslose Hingabe an Gott als an den, der allein in jedem Augenblick dem Menschen seine Zukunft gibt. Diese Existenz im Glauben ist es, die -gemäß Bultmann -in der Eschatologie des N.T.s durch die beiden Äonen

Page 77: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

76 REGIN PRENTER

bezeichnet ist. Der Glaube ist das Kommen des neuen Äon. Der Geist ist die neue Möglichkeit eines Lebens im Glauben 1•

Aber wie geschieht nun der Übergang von der nicht eigentlichen Existenz im Unglauben zu der eigentlichen Existenz im Glauben? Die Antwort dürfte nicht schwer erscheinen. Denn, wenn man den Glauben als die Kategorie der eigent­lichen Existenz verstanden hat, gemäß der Existenzphilosophie, muß man auch den Übergang von einer Existenz zur anderen gemäß dieser Philosophie verstehen. Dies führt dazu, zu sagen, daß der Mensch über seine eigene Existenz entscheidet, so bald er es erwählt, seine Existenz nicht von dem ausgehend zu verstehen, dessen er sich selbst durch die konkrete Welt versichert, sondern, wenn er auf dem Weg der Wahrheit, des Unbere<;henbaren und der unverfügbaren Zukunft es erwählt> jede Sicherheit aufzugeben und sich dem Leben auszuliefern mit allem, was es an Ungewissem und Aleatorischem enthält. Der Übergang von der nicht eigent­lichen Existenz ist die Glaubensentscheidung des Menschen, die existentielle Entscheidung. Bultmann sagt dies auch: "Der ,Geist' wirkt nicht als eine Natur­kraft, und er ist nicht zum Besitz des Glaubenden geworden, sondern er ist die faktische Möglichkeit des Lebens, die im Entschluß ergriffen werden muß"2' Der Glaube ist die "natürliche" Haltung des Menschen und nicht eine mysteriöse oder übernatürliche Fähigkeit 3 •

Aber dieses Verständnis des Glaubens als einer existentiellen Entscheidung: stellt Bultmann vor ein schwieriges Problem. Ist innerhalb dieses Verständnisses. des Glaubens letzten Endes Platz für das Heilsereignis, das Christusereignis? Wenn der Glaube als eigentliche Existenz des Menschen verstanden wird, bildet er dann nicht als solcher eine für den Menschen mögliche Existenzform? Und was. wird dann aus dem eschatologischen Heilsgeschehen?

In Wirklichkeit gelingt es Bultmann nicht, diese bedenkliche Frage zu lösen und die Lösung, die er anbietet, ist nicht zufriedenstellend. Denn es versteht sich von selbst, daß man von dem Ausgangspunkt existentialer Interpretation nur zu einem existentialistischen Ergebnis kommen kann. Wenn man die Mytho­logie des N.T.s existential auslegt, muß man es von Grund auf tun. Und die Dinge liegen so, daß der Begriff der Erlösung der Anschauung der Existentiaisten vollkommen fremd ist, er ist ihnen unangemessen. Darum kann Bultmann trotz aller Anstrengungen innerhalb seiner existentialen Interpre­tation keinen Platz für das Heilsereignis finden. Das Heil, von dem er spricht,. ist nicht das wahre Heil, es ist einfach ein Bestandteil der existentiellen Ent-· scheidung des Menschen.

In seinem Bemühen geht Bultmann von folgender Position aus: Es kann mög­lich erscheinen, das christliche Existenzverständnis zu säkularisieren, d. h. es vom Christusereignis zu lösen. Die existentialistischen Philosophien von Jaspers, Heidegger und Kamlab sind in Wahrheit Säkularisationen. Aber der entscheidende Punkt ist, daß die menschliche Existenz in ihrer Eigentlichkeit nicht ohne das.

2 a. a. 0. 1S. 33· 2S 3I. 3 a. a. 0. 1S. 37· 2S. 34·

Page 78: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHOS UND EVANGELIUM 77

Christusereignis erkannt werden kann. Der entscheidende Punkt ist, zu wissen, ob der Mensch selbst seine eigentliche Existenz erlangen kann, oder ob seine Verlorenheit an die Uneigentlichkeit so vollkommen ist, daß er aus eigener Kraft, einfach durch die Kenntnis seiner wahren Existenz sich nicht aus der V erlorenheit retten und zu seinem eigentlichen Leben kommen kann; Während die Philosophie dies für möglich hält, ist es nach dem N.T. unmöglich. Das N.T. hält die Ver­lorenheit, die Sünde für derart vollständig, daß der Mensch von sich aus nicht zu seiner wahren Existenz ge}angen kann. Denn die Sünde des Menschen mani­festiert sich bereits darin, daß er seine eigene Existenz sichern will, anstatt sich der Unsicherheit der Zukunft preiszugeben. Dies gilt auch für die "Entschlossen­heit" Heideggers und die "Hingabe" Kamlahs. Wenn ein Mensch- nach dem Verständnis des N.T.s -sich seiner Sünde bewußt ist, kann er seine eigentliche Existenz nur als eine Gabe empfangen. Und gerade dies ist das Heil in Christus, daß Gott dem Menschen seine wahre Existenz anbietet. Allein in solchem Empfangen seiner eigentlichen Existenz, in der Sündenvergebung, kann der Mensch sich von sich selbst, von seiner nicht eigentlichen Existenz befreien. Aber der Mensch kann die Sündenvergebung nicht durch irgendeinen Entschluß bekommen. Diese Vergebung ist ein Akt göttlicher Liebe zum Menschen. "Das in Christus sich ereignende Geschehen ist also die Offenbarung der Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst, indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe befreit"l.

Es scheint so, als ob Bultmann hier gleichzeitig die existentiale Interpretation und die Notwendigkeit des Heils unter~ringt. Aber es scheint nur so. Die Lösung, die er vorschlägt, enthält einen inneren Widerspruch, der durch eine logische Überlegung offensichtlich wird. Denn entweder muß die Sündenvergebung als ein wirkliches Ereignis verstanden werden - dann ist die existentielle Stellung des Problems umgeworfen; oder aber die existentielle Stellung des Problems ist immer bestimmend - und in diesem Fall sind die Begriffe "Erlösung" und "Christus-Ereignis" in einem uneigentlichen Sinn verwandt und sind in Wahrheit nur Elemente der existentiellen Entscheidung. Es gibt keine dritte Möglichkeit.

Wenn nur durch einen Akt göttlicher Liebe, - einem wirklichen Ereignis, -der Mensch seine eigene Existenz erlangen kann, dann entsprechen die Begriffe "eigentlich" und "nicht eigentlich" nicht niehr den Möglichkeiten unserer Exi-

. stenz, und die Grundlage der Existenzphilosophie ist aufgegeben. Denn die Existenz ist die Lebensmöglichkeit, die der Mensch sich selbst durch seine Ent­scheidung schafft. Sagen, daß der Mensch seine wahre Existenz nicht schaffen kann, weil er sich von der Verlorenheit in die Uneigentlichkeit nicht lösen kann, heißt nicht mehr existentiell, sondern mythologisch reden. Der Begriff der Sünde als eines Urteils, dessen sich der schuldige Mensch nicht einfach durch den Über­gang in seine eigentliche Existenz entledigen kann, wie der Begriff der Gnade im Sinne eines streng genommen göttlichen Aktes sind Begriffe der mytho-

1 a. a. 0. 1S. 4Z- 2S. 39·

Page 79: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

78 REGIN PRENTER

logischen und nicht der existentiellen Philosophie. Wenn das "Nicht-Eigentliche" als eine Möglichkeit der menschlichen Existenz verstanden ist, liegt es in seiner Natur, daß der schuldige Mensch es annehmen kann, um daraus eine "wahre" Existenz zu machen. Gemessen an den Maßstäben der existentialistischen Philo­sophie ist der Gedanke, daß der Mensch seine eigene Existenz nur als Gabe empfangen kann, ebenso mythologisch wie derjenige des Einblasens des pneuma in die Tiefe der Seele.

Wenn es sich darum ernsthaft um die Frage des Heils und der Gabe des ewigen Lebens handelt, ist· der existentielle Ausgangspunkt grun~sätzlich zugunsten des m'ythologischen aufgegeben. Dies hat Bultmann jedoch in Wahrheit nicht getan. Wenn man genauer beobachtet, bemerkt man, daß das, was Bultmann vom Heil und von Christus aussagt, nur ein metaphorischer Ausdruck für die existentielle "Entscheidung" ist.

Die Kreuzigung .Christi wird im N.T. als eschatologisches Ereignis angesehen, das die Wende der Äonen kennzeichnet und durch die Taufe und das Abendmahl vergegenwärtigt wird. Darum, so denkt Bultmann, darf dieses Ereignis nicht mythologisch, sondern muß geschichtlich verstanden werden. Die eschatolo­gische Lehre kennzeichnet die "geschichtliche Bedeutsamkeit", die zum Kreuz als historischem Ereignis hinzugehört. Man wird den Unterschied zwischen deß Worten "historisch" und "geschichtlich" erkennen. Das erste kennzeichnet die Kreuzigung als Ereignis der Vergangenheit, das zweite unterstreicht seine Be­deutung für meine gegenwärtige Existenz als "Geschicklichkeit". "Die mytho­logische Rede will im Grunde nichts anderes als eben die Bedeutsamkeit des histo­rischen Ereignisses zum Ausdruck bringen. Das historische Ereignis des Kreuzes hat in der ihm eigenen Bedeutsamkeit eine neue geschichtliche Situation geschaf­fen; die Verkündigmig des Kreuzes als des Heilsereignisses fragt den Hörer, ob er sich diese Bedeutung aneignen, ob er sich mit Christus kreuzigen lassen will."l. Dieser Satz ist äußerst wichtig; denn er zeigt, was Bultmann in Wahr­heit unter Erlösung versteht.

Nach Bultmann bedeutet die Tatsache, daß die Kreuzigung Heilsgeschichte ist, daß sie eine geschichtliche Bedeutsamkeit hat, die über die eines bloßen Ereignisses der Vergangenheit hinausgeht. Aber welcher Art tritt diese Bedeut­samkeit in meine Existenz? Sie fragt mich, ob ich sie mir aneignen will, ob ich mich mit Christus kreuzigen lassen will. Das heißt aber doch, daß das geschicht­liche Ereignis der Kreuzigung nur die Bedeutung eines Beispiels hat. (Bultmann weist jeden Satisfaktions- oder Opferged~ken als mythologisch zurück.) Die Kreuzigung repräsentiert die eigentliche Existenz des Menschen und fragt mich, ob ich eben diese Existenz ergreifen will. Der Glaube an den Gekreuzigten ist also dem mittelalterlichen Ausdruck gemäß als imitatio Christi verstanden. Dai Kreuz Christi, so wird gesagt 2, ist ein geschichtliches Geschehen, das seinen Ursprung in dem historischen Ereignis, das die Kreuzigung darstellt, hat.

1 a. a. 0. 1S. 47· 2S. 43 2 ebenda.

Page 80: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHOS UND EVANGELIUM 79

Dieses Verständnis des Kreuzes Christi als Heilsgeschichte ist völlig den Kate­gorien der Existenzphilosophie angepaßt. Die zur Vergangenheit gehörige Kreu­zigung ist nur eine Illustration für die Entscheidung in meiner eigenen Existenz, eine Illustration, die als konkrete Inspiration wirkt - eine unerläßliche Inspira­tion, in der gleichen Weise, wie der Prototyp Christus Schleiermachers für den Sieg des göttlichen· Gewissens über das Gewissen der Welt unerläßlich war! -auf meine gegenwärtige existentielle Entscheidung, von der gläubigen Existenz her gesehen. Ist der Glaube auch als existentielle Entscheidung verstanden, in­spiriert durch das geschichtliche Beispiel der Kreuzigung Christi? Aber, was ist dann von der Vergebung der Sünden als der Gabe der Existenz geblieben? Nichts I Daß Gott den Sündern durch die Kreuzigung Christi die Vergebung anbietet, weist doch nur darauf hin, daß das Motiv für die existentielle Ent­scheidung nicht vom Menschen selbst kommt, sondern daß es ihm von außen durch ein geschichtliches Ereignis gegeben ist. Innerhalb dieser Konzeption bedeutet die Befreiung von derVergangenheitzugleich die Vergebung der Sünden und die Gnade. Der Mensch befreit sich von der Verlorenheit nicht selbst aus eigener Kraft, sondern er empfängt dazu die Kraft durch das geschichtliche Bei­spiel Christi in seiner "Bedeutsamkeit" (man sieht, wie nahe dieser Begriff dem "Prototyp" Schleiermacher-s ist). Aber dennoch ist der Glaube eine existentielle Entscheidung, dennoch ist die angebotene Existenz eine Möglichkeit der Exi­stenz selbst. Darum unterstreicht Bultmann so stark, daß die Erlösung nicht mythologisch, sondern nur geschichtlich verstanden werden darf.

Aber versteht das Kerygma des N. T.s tatsächlich so die Lehre vom Tod -Christi als Heilsgeschichte?

In gleicher Weise ist die Auferstehung existentiell verstanden. Nach Bultmann ist die Auferstehung kein "beglaubigendes Mirakel", das als historische Tat­sache anzuerkennen wäre, sondern eine eschatologische Tatsache, die nur für den Glauben da ist. Aber was bedeutet dies? Es muß existentiell verstanden werden. Diese eschatologische Tatsache kennzeichnet unsre Erlösung durch Christus, dar­gestellt in der Taufe, gelebt in unserm Leben (man sieht von neuem die Linie der imitatio) als "kämpfende Freiheit von der Sünde, Ablegen der Werke der Finsternis'~ I. Die Auferstehung als existentielle Wirklichkeit ist nur der Glaube an die Erlösung durch das Kreuz, der die christliche Lehre entstehen läßt. Ostern ist nur das~ Bild der Auferstehung des Glaubens, die Form der eigenen Existenz, die aus der Begegnung mit der christlichen Lehre geboren ist. Dieses Verständnis der Auferstehung bleibt völlig im Rahmen der Existenzphilo­sophie. Die Auferstehung ist hier derart spiritualisiert, daß sie zur Genesis der existentiellen Entscheidung in der Begegnung mit der Lehre wird. Selbstver­ständlich ist eine solche Vermittlung zwischen einer historischen Episode wie der Kreuzigung und ihrer gegenwärtigen Wirksamkeit in meiner existentiellen Ent­scheidung notwendig. Wenn ein historisches Ereignis eine "geschichtliche" Be-

1 a. a. 0. 1S. 49· 2S. 45f.

Page 81: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

80 REGIN PRENTER

deutsamkeit für meine Existenz annehmen soll, muß es verkündigt werden. Aber war dies wirklich die Intention des neutestamentlichen Kerygma, wenn es ver­kündigt, daß Jesus Christus am dritten Tage aus dem Grabe auferstand nach der Schrift? Ist dies wirklich eine Interpretierung des Kerygmas, oder ist es nicht vielmehr eine Eliminierung seiner gesamten Substanz?

* Wir haben gesehen, daß das Programm der Entmythologisierung keine der

beiden entscheidenden Bedingungen für die Ausführung erfüllte. Die Entmytho­logisierung kann systematisch nicht durchgeführt werden, ohne die ganze Mytho­logie und infolgedessen das ganze christliche Kerygma zu eliminieren. Die Be­griffe der Entmythologisierung und der existentialen Interpretation der Mytho­logie schließen einander aus. Und die angekündigte existentiale Interpretation der christlichen Mythologie ist dem neutestamentlichen Kerygma nicht konform. Das Heilsgeschehen, ist nicht als wirkliches Ereignis verstanden, sondern es ist so weit spiritualisiert, daß es nur noch metaphorischer Ausdruck für das Beson­dere des christlichen Existenzverständnisses ist. Es kennzeichnet die existentielle Entscheidung als nicht allein von innen her motiviert, sondern begründet durch die Kreuzigung Jesu als ein geschichtliches Beispiel, das man nicht entbehren kann. Die Lehre des Kerygmas von der Vergebung der Sünden, die die Urkirche als paradoxes Ereignis verstand, ist hier zu einer existentiellen Moral der "imi­tatio" reduziert. Würde Bultmann diese Interpretation vielleicht nicht aner­kennen? Das würde beweisen, daß er nicht die Konsequenzen aus dem zieht, was er sagt; denn, wenn man seinen Gedanken tiefer nachgeht, so ist es dies, was er sagt, und nichts anderes.

Man kann also sagen, daß das Programm der Entmythologisierung Bultmanns "erledigt" ist. Das Problem jedoch bleibt: die Spannung zwischen dem Zeit­bedingten und dem unveränderlichen Gehalt des Kerygmas, zwischen dem libe­ralen und orthodoxen Gesichtspunkt. In Wahrheit sind wir nicht viel weiter gekommen; denn es ist besser, das Problem nicht zu lösen versuchen, als sich durch eine trügerische Lösung täuschen zu lassen. Wir werden zweifellos auch nicht zu jenem wunderbaren dritten Standpunkt kommen, wo sich Liberalismus und Orthodoxie zu einer höheren Einheit verbinden. Unsre Generation wird zweifellos nicht über den Dialog zwischen liberaler Theologie und der Orthodoxie hinausgelangen. Es wäre jedoch schon ein gutes Stück Wegs zurückgelegt, wenn ein solcher Dialog wirklich stattgefunden hätte, während wir bisher nur einen Pseudodialog hatten, ausgehend von dem liberalen Standpunkt Bultmanns.

* Der Dialog ist damit jedoch nicht zu Ende; denn eine Reihe von Fragen, die

uns unterwegs begegneten, müssen noch einma! näher untersucht werden. Es handelt sich zum Beispiel um die Beziehung zwischen der Mythologie, Kosmo­logie und Soteriologie wie zwischen der Mythologie; der Philosophie und d~r Theologie.

Page 82: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHOS UND EVANGELIUM 81

Wir haben gesehen, daß Buhmann, um die Notwendigkeit der Ent­mythologisierung zu begründen, mit einem zwiespältigen Begriff der Mytho­logie arbeitet. Soweit das Weltbild, die kosmologische Seite, für den Mythos von Bedeutung war, war dieses Bild derart sekundär, daß der Mythos nicht allein eine existentiale (soteriologische) Interpretation erlaubte, sondern selbst darauf hinzielte.

Welches sind nun die gegenseitigen Beziehungen, dieser Größen: Weltbild, Mythologie und Soteriologie? Ist es zunächst sicher, daß jede Art mythologischer Ausdrucksweise ein bestimmtes Weltbild impliziert? Daß kosmologische Mythen existieren, ist eine Tatsache. Ebenso haben tatsächlich mehrere Mythologien kos­mologischen Charakter, z. B. die gnostischen Mythen der Loskaufung, der Er­lösung, die Bultmann so nahe an den Ursprung des Christentums rückt; das ist offensichtlich.

Bultmann hat allerdings einige richtige Bemerkungen gemacht, wenn er sagt, daß der Mythos in sich die Tendenz birgt, sich von der Kosmologie zu entfernen, um sich der Soteriologie zu nähern. Dies läßt sich offensichtlich auf die Mytho­logien anwenden, die uns in bezug auf das Christentum und seine Umwelt inter­essieren. Aber die im Mythos enthaltene Kosmologie ist nicht unabhängig. Ihre Hauptaufgabe ist es nicht, den Zusammenhang oder Ursprung der Welt zu er­klären, eine Aufgabe, die der Philosophie zufällt. Sobald das kosmologische Inter­esse überwiegt, stehen wir der Philosophie und nicht der Mythologie gegenüber. Bei diesem Übergang fehlt es offensichtlich an Klarheit. Die Philosophie, - so wissen wir es von Plato, - hat oft den Mythos für ihre Kosmologie benutzt. Aber, wenn das kosmologische Interesse vorherrscht, handelt es sich nicht mehr um eine Frage der eigentlichen Mythologie, sondern der Philosophie in mytho­logischer Form. Die wahre Absicht des Mythos ist es nicht, ein Weltbild zu geben, sondern die Erlösung zu bringen. Von seinem Ursprung an ist der Mythos mit dem Kultus verbunden und seine kosmologischen Elemente dienen nicht dazu, die Rätsel zu erklären, sondern dem Menschen die unerläßliche göttliche Kraft zu vermitteln. Man könnte es auch so ausdrücken: Der .M,ythos enthält nicht notwendig ein bestimmtes Weltbild, obwohl er kosmologische Bestandteile enthält; er enthält dagegen ein bestimmtes Gottesbild und von daher enthält er auch einen bestimmten Begriff vom Menschen. Darum ist für den Mythos nicht sein Weltbild, sondern sein Gottesbegriff entscheidend. Das trifft vor allem für die christliche Mythologie zu, die.ein sicheres Gottes­bild gegeben hat.

So ist die christliche Mythologie nicht an ein bestimmtes Weltbild gebunden. Es ist schließlich bezeichnend, - im Vergleich mit den anderen gnostischen Mythen, -daß gerade in der christlichen Mythologie die kosmologische Seite (die Erklärung der Welt durch die Metaphysik) fast vollständig eliminiert ist, während die gnostischen Systeme voll von kosmologischen Spekulationen über die Äonen sind. Dank dieser so bezeichnenden Zurückhaltung in der Kosmo­logie ist die christliche Mythologie den Umwandlungen, die die Wissen-

6 Kerygma, Bd. •·

Page 83: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

82 REGIN PRENTER

schaft für das Weltbild und die Weltgeschichte gebracht hat, nicht unter­worfen. Kopernikus hat die christliche Kirche nicht dazu bringen können> den Auferstehungstag abzuschaffen.

Dagegen ist es für die christliche Mythologie entscheidend, ein bestimmtes Gottesbild festzustellen, nämlich das christliche Gottesbild. Und das macht die Entmythologisierung des Evangeliums unmöglich. Die Fortschritte der Wissen­schaft können wohl das ändern, was die schwedische Theologie "das Kleid der Idee" nennt (im Gegensatz zum "Grund der Idee") aber es ist nichts geändert an der Tatsache, daß Gott - wenn dies der Gott sein soll, von dem das Evan­gelium spricht, -nur mythologisch verkündigt werden kann. Das "Kleid" kann sich ändern, das gilt für die kosmologischen Nebenbegriffe der Mythologie. Auf jeden Fallläßt das N. T. uns darüber aber nicht im Unklaren, daß das Kleid der Idee nicht die mythische Wirklichkeit selbst zum Ausdruck bringen kann. Gott wohnt in einem Licht, da niemand hinzukommen kann (I. Tim. 6, x6), hier er­kennen wir's nur stückweise und in einem Spiegel (I. Cor. 13, a), und wenn Gott beschrieben wird, verheimlicht man nicht, daß es nur ungeschliffene Bilder sind (Apoc. 4, ;-x x). So hat Bultmann auf das Ganze gesehen, eine recht alltägliche Aufgabe unternommen, wenn er uns lehrt, daß Begriffe wie Auferstehung, Höllen­fahrt, Geist, Sakramente, Loskaufung usw. unannehmbar sind. Der·Mythos maßt es sich aber nicht an, eine Kosmologie zu bringen, die bis zum letzten Buchstaben anzunehmen ist. Weiterhin ist es wichtig, zu wissen, daß nicht nur die Mythologie auf eine symbolische Sprache zurückgreift. Dies ist auch der Fall bei der von Bultmann bewunderten Existenzphilosophie. Ihre symbolische Sp~ache, die oft so schwer verständlich ist, - denken wir an Heidegger, - weist häufig auf Phänomene, die nicht dem Weltbild entsprechen, das die 11J.oderne Wissen­schaft bietet. Als Beispiel sei nur der Begriff der historischen Existenz ge­nannt,. der wissenschaftlich gemessen ebenso mytholqgisch ist wie die Auf­erstehung Christi.

Aber verfährt die moderne Wissenschaft nicht. auch in gleicher Weise? Wenn sie bis zu ihren letzten Grundbegriffen zurückgeht, ist der Begriff, den sie sich von den Phänomenen macht, soweit ich es verstehe, nicht mehr mechanistisch, son­dern man könnte eher sagen, mythologisch.

Die symbolische Sprache der Mythologie kann diese also nicht außer Kraft setzen, da ja der Bereich ihrer Wirklichkeit nicht anders als mythologisch be­griffen werden kann. Und nach dem Geist des christlichen Evangeliums kann sich Gott nur mythologisch offenbaren. Eine Entmythologisierung des Evan­geliums würde also das Gottesbild verfalschen~

Welches ist also, zusammengefaßt, das Ergebnis der Entmythologisierung? Es ist einfach dies, daß das Bild Gottes von einem Begriff oder einem Gefühl von Gott ersetzt ist. Die Entmythologisierung ist in diesem Sinne kein neuer Gedanke und die . Geschichte christlichen Denkens verzeichnet zwei sehr wich­tige Tendenzen, die weittragende Folgen gehabt haben.

Wenn die Mythologie verschwindet, tritt die Metaphysik an ihre Stelle. Diese

Page 84: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHOS UND EVANGELIUM 83

Tendenz der scholastischen Theologie mit allen ihren Konsequenzen ist ein Bei­spiel der Entmythologisierung. Die Theologie Luthers ist im Gegensatz dazu eine ungeheure Remythologisierung. Von daher ist seine Vorliebe für die un­geschliffenen Bilder der frühen Christenheit und seine Verachtung für alle Künste der Metaphysik zu verstehen. Die Mythologie bewahrt in der Tat das Bild Gottes als das eines lebendigen und handelnden Wesens, das wahre Bild Gottes, wie es die Bibel und das Evangelium bietet, wie es sich in der Fleischwerdung Jesu Christi darstellt. Die Beziehung zwischen der Mythologie und der Geschichte, diese Abhängigkeit, die das Rätsel der neutestamentlichen Heilsgeschichte aus­macht, hält an dem Bild Gottes selbst fest, das einen integrierenden Bestandteil des Evangeliums bildet. Das Evangelium verkündigt Jesus nicht als einen Meister oder als Beispiel. Es verkündigt ihn als einen wirklichen Akt der &yamj Gottes, die er den Menschen darbietet. Durch ihn handelt Gott selbst mit uns. Aber man kann es nur sagen, indem man Mythos und Geschichte miteinander verschmelzen läßt: Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Im gleichen Augenblick, da man den Mythos abschafft, wird Christus zu einem Meister und Beispiel und das Gottesbild wird ein anderes, das eines fernen, nicht handelnden, majestätischen Gottes. Er ist dann nicht mehr der Gott, der Geschichte wurde.

In der nachreformatorischen Theologie haben wir das Beispiel einer anderen Entmythologisierung, die unvorhergesehene Folgen gehabt hat.

Wenn die Mythologie verschwindet, tritt das Gefühl an ihre Stelle. In einer aus­gezeichneten Studie (ersthienen in "For Kirke og KultUr, 1936) betitelt "Kristen Mythologi?"von Einar Molland und Axel L. Johnson, einer Studie, die uns über die Probleme Mythos und Mythologie mehr lehrt als Buhmann, wird gezeigt, wie die nachreformatorischen Choräle dauernd das Bemühen verraten, die Mythologie zugunsten der Psychologie abzuschaffen. Die Himmelfahrt und die Auferstehung werden darin z. B. zu Ereignissen, die in der Seele vor sich gehen. Im Ganzen zeigt die pietistische Bewegung eine solche Tendenz zur Entmytholo­gisierung. Hier wird sichtbar, wie die Entmythologisierung, wenn sie nicht in der Metaphysik endet, notwendig zur Psychologie führt. So enthält in Wirklich­keit auch Bultmanns Entmythologisierung einen Teil Psychologie, unter der existentialistischen Terminologie versteckt. Für ihn, wie auch für Emanuel Hirsch werden Kreuzigung und Auferstehung als eschatologische Ereignisse zu Tat­sachen in der "Seele" oder in der "Existenz". Zudem bewirkt diese Psychologi­sierung eine Entstellung des Bildes Gottes. Gott ist nicht mehr der lebendige, handelnde, herrschende und barmherzige Gott, sondern der Gegenstand eines religiösen Gefühls, die Inspiration der existentiellen Entscheidung.

Die Mythologie, Philosophie und Theologie finden sich also in dieser. auf­einander bezogenen Stellung. Die· Theolögie trennt sich zunächst durch die Mythologie von allen philosophischen und metaphysischen Problemen. Die "Welt" und ihre Erklärung sind der Philosophie überlassen. Aber außerdem ver­sperrt die Mythologie auch der Philosophie und Metaphysik den Zugang zur Theologie. Die Mythologie hält die Wacht vor dem christlichen Gottesbild.

6*

Page 85: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

8,4 REGIN PRENTER

Damit die Substanz des Evangeliums sich nicht in der Metaphysik oder Psycho­logie verflüchtigt, muß die Mythologie noch verstärkt werden. Daß diese Remy­thologisierung neue Probleme enthält, ist eine andere Sache. Aber eine ehrliche und gewissenhafte atheistische Philosophie und ein orthodoxes, gleichfalls ehr­liches und gewissenhaftes Christentum sind einem Kompromiß vorzuziehen, -trotz aller Probleme, die ihre Unvereip.barkeit stellen, -der weder Christentum noch Existenzphilosophie ist. '

Page 86: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

•• FRITZ BUR!, BASEL.

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER

ENTKERYGMATISIERUNG DER THEOLOGIE

Seit 10 Jahren wird in der protestantischen Theologie wieder einmal das Pro­blem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, d. h. die Frage, ob und wie man die Botschaft des Neuen Testaments von ihrer mytho­logischen Form befreien dürfe, aufs heftigste diskutiert. Anlaß zu dieser Dis­kussion gab diesmal der 1941 erschienene Aufsatz des bekannten Marburger Theologen Rudolf Bultmann, "Neues Testament und Mythologie". Was Bultmann darin ausführt, das scheint. heute vielen, wie das vor 100 Jahren ebenso heiß umstrittene "Leben Jesu" von David Friedrich Strauß, die Auflösung der Theo­logie in Philosophie zur Folge zu haben. Nicht nur die mythologische Form werde hier preisgegeben, sondern mit dieser auch ihr Inhalt: das Kerygma, d. h. die Heilsbotschaft von Gottes erlösendem Handeln in Christus. Andere dagegen meinen, in Bultmanns Mythosverständnis die Methode gefunden zu haben, die es einem möglich mache, heute überhaupt noch Theologe sein und das Evan­gelium verkündigen zu können. Im Unterschied zu Strauß und seinen Nach­fahren betont denn auch Bultmann selber, daß es ihm nicht um die Beseitigung des Kerygmas von der einmaligen Heilstat Gottes gehe, sondern vielmehr gerade um dessen rechtes Verständnis. Seine Entmythologisierung wolle nicht eine Ent­kerygmatisierung der Theologie sein.

Dieses Festhaltenwollen am Kerygma ist es denn auch, was ihn bis jetzt vor einer völligen Verketzerung durch die Heilsgeschichtstheologen bewahrt hat. Aber gerade dieser Kredit bei der heutigen sog. kerygmatischen Theologie kommt Bultmann teuer zu stehen. So klar und eindeutig nämlich sein Aufweis ist, daß die Form, in welcher das N.T. von Gottes Heilstat in Christus redet, eine für uns unhaltbar gewordene Mythologie darstellt, so unklar und zweideutig werden seine Ausführungen, wenn er nun trotzdem an der Exklusivität der Heilstat Gottes, als einer einmal in Jesus Christus geschehenen, festhalten will. Die Un­haltbarkeiten, in die er darüber gerät, können in der Tat nicht befriedigen. Gerade durch Bultmann sehen wir uns daher vot die Frage gestellt, ob man sich mit dessen entschiedenen Gegnern um des Kerygmas willen besser überhaupt nicht auf die Entmythologisierung einlassen solle- oder ob man- wenn sich das als unmöglich erweist -über ihn hinaus; um der Wahrheit des Evangeliums will~n, die Entmythologisierung _als Entkerygmatisierung der Theologie zu Ende führen müsse.

Um auf diese Entscheidungsfrage heutiger Theologie antworten zu können, wollen wir uns I. Das Wesen der Bultmannsehen Entmythologisierung nach Anliegen und Durch­führung

Page 87: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

86 FRITZ BURI

in Kürze vergegenwärtigen. Es sind hauptsächlich drei Anliegen, die Bultmann mit seiner Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung verfolgt.

Erstens ergibt sich ihm die Notwendigkeit einer Befreiung der christlichen Pre­digt von der Mythologie des N.T.s aus der Berücksichtigung der Tatsache, daß unser Weltbild im Unterschied zu demjenigen des N.T.s durch die neuzeitliche Wissenschaft bestimmt ist, und daß das Selbstverständnis des modernen Menschen derart beschaffen ist, daß ihm das im N.T. verkündigte Heilsgeschehen als ein Fremdkörper erscheinen muß. "Welterfahrung und Weltbemächtigung", erklärt Bultmann, "sind in Wissenschaft und Technik so weit entwickelt, daß kein Mensch im Ernst am neutestamentlichen Weltbild festhalten kann und festhält''. Und in bezug auf das Selbstverständnis: Der moderne Mensch "versteht sich nicht so eigentümlich' geteilt, wie das N.T. den Menschen sieht, so daß fremde Mächte in sein inneres Leben eingreifen könnten. Er schreibt sieh die innere Einheit seiner Zustände und Haltungen zu und nennt einen Menschen, der diese Einheit durch den Eingriff dämonischer oder göttlicher Mächte gespaltet wähnt, schizophren".

Dabei fällt es Bultmann nicht ein, das N.T. um seiner uns als Mythologie er­scheinenden Form willen abzuwerten oder gar unser modernes Weltbild und Selbstverständnis zu verabsolutieren. Irrsonderheit weiß er um die Möglichkeit, "daß in ein!'!m vergangenen mythischen Weltbild Wahrheiten wieder neu ent­deckt werden, die in einer Zeit der Aufklärung verloren gegangen waren", und es geht ihm, wie wir sehen, gerade darum, daß wir uns· in unserem Selbstver­ständnis durch das N.T. in Frage stellen lassen. Aber das ist nur dann in Wahr­heit möglich, wenn dabei die Tatsache nicht außer acht gelassen wird, daß unser wissenschaftliches Weltbild und unser einheitliches Selbstverständnis nun einmal zu unserer, nicht beliebig vertauschbaren, geschichtlichen Situation gehören, und daß deshalb eine Repristinierung der Mythologie des N.T.s für uns ausgeschlos­sen ist. Soll das neutestamentliche Kerygma uns noch etwas zu sagen haben, dann muß es schon aus diesem Grunde entmythologisiert werden.

Dazu kommt aber für Bultmann noch ein zweites Moment. Die Notwendigkeit einer Entmythologisierung ergibt sich nach ihm nicht erst aus der Berücksichti­gung unserer geistigen Situation, sondern schon aus dem Wesen des Mythos selber. Wohl könne der Mythos als ein primitives, vorwissenschaftliches Welt- und Ge­schichtsbild aufgefaßt und dann als solches von einem weiterentwickelten Stand­punkt aus auch abgelehnt werden. Aber sein "eigentlicher Sinn" liege gar nicht darin, "ein objektives Weltbild zu geben", sondern in ihm komme zum Aus­druck, "wie sich der Mensch in seiner Welt versteht." Als Ausdruck von Selbst­verständnis wolle der Mythos gerade nicht auf sein Weltbild, sondern vielmehr auf das darin sich aussprechende Selbstverständnis hin verstanden werden. Oder in Bultmanns eigenen Worten: "Der Mythos will nicht kosmologisch, sondern anthropologisch - besser: existential interpretiert werden." Solche existentiale Interpretation aber ist Entmythologisierung; denn das Weltbildliehe spielt hier keine gegenständliche Rolle mehr.

Diese sich schon aus dem formalen Wesen des Mythos ergebende Notwendig-

Page 88: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER ENTKERYGMATISIERUNG D. THEOLOGIE 87

keit der Entmythologisierung verstärkt sich für Bultmann noch, wo er dessen Inhalt. in Betracht zieht. Seinem Inhalt nach ist der Mythos religiös; denn "er redet von der Macht oder den Mächten, die der Mensch als Grund und Grenze seiner Welt und seines eigenen Handeins und Erleidens zu erfahren meint," und von denen er, dadurch, daß er sich in die Abhängigkeit dieser überweltlichen Mächte begibt, von den bekannten weltlichen Mächten Freiheit, d. h. Erlösung erhofft. Aber, weil der Mythos, so argumentiert nun Bultmann weiter, "vom Unweitlichen weltlich, von den Göttern menschlich" redet, verdeckt und hemmt er zugleich jene seine eigentliche Bedeutung. Der mythische Mensch müßte, wenn er seiner eigentlichen Absicht, vom Unweitlichen zu reden und vom Weltlichen frei zu werden, genügen wollte, sich der Uneigentlichkeit seines Redens und Umgehens mit dem Letzten bewußt werden. Und so schließt Bultmann, daß der Mythos "das Motiv zur Kritik seiner selbst, d. h .. seiner objektivierenden Vor­stellungen" in sich selber enthalte, sodaß also die Entmythologisierung jeden­falls auch in seinem Inhalt begründet sei.

Bultmann ist sich bewußt; mit dieser in der geistigen Situation des modernen Menschen wie im Wesen des Mythos begründeten Notwendigkeit einer Ent­mythologisierung grundsätzlich nichts Neues, sondern höchstens in der augen­blicklichen theologischen Lage etwas Ungewohntes zu fordern. Er erinnert denn auch daran, daß die kritische Theologie des 19. Jahrhunderts sich bereits mit dieser Aufgabe befaßt hat, und daß man diese Arbeit nicht ungestraft wegwischen könne. Das Kerygma, dem man heute durch die Abwendung von der liberalen Theologie dienen wolle, werde dadurch nur unverständlich. Aber ebensowenig wie er die heutige unkritische Repristinierung der Mytho~ogie des N. T.s billigen kann, will er etwas mit jener Entmythologisierung zu tun haben, wie sie von der früheren liberalen Theologie vollzogen wurde. In ihr sei nämlich mit dem Mythos zugleich auch das Kerygma preisgegeben worden. Wie bei Harnack aus der Heilsbotschaft von dem "entscheidenden Handeln Gottes in Christus" eine allgemeine, grundsätzlich auch ohne Christus zu gewinnende, ewige, zeitlose Wahrheit geworden sei, so habe auch die religionsgeschichtliche Schule kein Ver­ständnis für die Heilsgeschichte gehabt.

Und das ist nun eben das dritte AnliegenBultmanns: Durch die Entmytholo­gisierung soll der "Kerygma-Charakter" der neutestamentlichen V er kündigung nicht genommen, sondern gerade sichergestellt werden. Ebensosehr wie gegen eine für den modernen Menschen unverständliche Verwendung der neutestament­lichen Mythologie wendet er sich gegen eine Umwandlung der Person Jesu als des "entscheidenden Heilsereignisses" in einen, bloßen religiös-ethischen Lehrer oder in ein geschiehtloses KultsymboL Das wäre Eliminierung, aber nicht Inter­pretation des Mythos. Bultmann aber geht es darum, daß durch seine "entmytho­logisierende Interpretation" "die Wahrheit des Kerygmas als Kerygma für den nichtmythologisch denkenden Menschen" aufgedeckt werde.

Sehen wir nun zu, wie er dieses Programm, dessen Ausführung er als die Auf­gabe einer ganzen Generation bezeichnet, selber in Angriff nimmt. Das beste

Page 89: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

88 FRITZ BUR!

Beispiel für seine Durchführung der drei genannten Anliegen stellen sein großer Kommentar zum Johannesevangelium und seine Theologie des N.T.s dar. Die Grundlinien seines Unternehmens, um deren Erkenntnis es uns hier geht, werden aber auch schon in jenem Aufsatz sichtbar, auf den wir uns bisher bezogen haben.

Die Konsequenz des ersten Anliegens einer Berücksichtigung des wissenschaft­lichen Denkens und des einheitlichen Selbstverständnisses des modernen Men­schen liegt - trotz der soeben noch vernommenen Betonung der in Christus geschehenen Heilstat Gottes -in einer völligen Aufhebung der traditionell christ­lichen Heilsgeschichtsvorstellung. "Erledigt" ist mit dem Wegfall des mythischen Weltbildes das ganze neutestamentliche Heilsdrama von der Geburt des Gottes­sohnes bis zur Höllen- und Himmelfahrt und seiner endzeitliehen Wiederkunft. -Diese Wiederkunftsetwartung ist, wie Bultmann sagt, "erledigt" auch durch "die einfache Tatsache", "daß Christi Parusie, nicht, wie das N.T. erwartet, alsbald stattgefunden hat, sondern daß.die Weltgeschichte weiterlief- und- wie jeder Zurechnungsfähige überzeugt ist -weiterlaufen wird." "Erledigt" ist durch die Naturwissenschaft der ganze Geister-, Dämonen- und Wunderglaube des N.T.s. "Schlechterdings fremd und unverständlicl;:t" ist für den modernen Menschen, "was das N.T. vom Geist und von den Sakramenten sagt", religiös und ethisch unmöglich "die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung durch den Tod Christi", unglaubwürdig und bedeutungslos Jesu Auferstehung ... , um n~r einige der von Bultmann behandelten Beispiele zu erwähnen.

Sofern es sich hier um gegenständliche Aussagen über unabhängig von unserem Verstehen erfolgtes angebliches Heilsgeschehen handelt, gehört diese ganze neu­testamentliche Mythologie für uns ohne "Auswahl und Abstriche" der Ver­gangenheit an. Und Bultmann unterläßt es nicht, den Theologen und Prediger nachdrücklich daran zu erinnern, daß er in dieser Sache "sich und der Gemeinde und denen, die er für die Gemeinde gewinnen will, absolute Klarheit und Sauber­keit" schuldig sei.

Gerade auf dem Hintergrund dieser Warnung erscheint es aber auch um so verantwortungsschwerer, wenn Bultmann nun von seinem zweiten Anliegen, dem Bemühen um ein rechtes Verständnis des Mythos her, durch eine existen­tiale Interpretation der neutestamentlichen Mythologie zu einem Ersatz für die hin­fällig gewordene Heilsgeschichte .zu gelangen versucht. Was als gegenständliche Aussage erledigt ist, das wird hier bedeutsam als Ausdruck der Möglichkeit menschlichen Selbstverständnisses. "Auch diese Mythologien", sagt Bultmann in Anwendung seines Mythosbegriffs auf das N.T., "haben ihren Sinn nicht in ihren objektivierenden Vorstellungen, sondern müssen auf das in ihnen liegende Existenzverständnis hin, d. h. existential, interpretiert werden." Nicht unwesent­lich ist, daß Bultmann sich zu dieser entmythologisierenden existentialen Inter­pretation des N.T.s nicht nur durch das Wesen des Mythos im allgemeinen, sondern auch speziell durch das N.T. selber legitimiert hält. Einerseits rufe die in ihren einzelnen Ausformungen in sich widersprüchliche Mythologie des N. T.s nach einer solchen Entmythologisierung und anderseits läge, besonders bei Paulus

Page 90: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER ENTKERYGMATISIERUNG D. THEOLOGIE 89

und im Johannesevangelium, bereits innerhalb des N.T.s existentiale Interpre­tation des Kerygmas vor. Nach Anleitung dieser neutestamentlichen Selbstaus­legung will nun Bultmann seine existentiale Interpretat!on des Kerygmas voll­ziehen. In exemplarischer Weise tut er dies in unserem Aufsatz so, daß er vor allem an Hand des Apostels Paulus, aber auch mit Berufung auf J ohannes das mythologische Weltbild und Heilsgeschehen auf zwei sich darin ausdrückende gegensätzliche Möglichkeiten menschlichen Selbstverständnisses hin auslegt. Er bezeichnet die eine als "das menschliche Sein außerhalb des Glaubens" und die andere als "das menschliche Sein im Glauben."

Für die erste Möglichkeit, hinter welcher die Mythologie von der Gefallen­heit der Schöpfung durch Adams Sünde steht, ist kennzeichnend das Verfallen­sein an die Welt. Dieses Verfallensein erwächst aus dem Versuch, sich im Sicht­baren und scheinbar Verfügbaren zu sichern, und hat zur Folge "Sorge" und "Sich-Rür...men", aber auch Streit und Angst, jene Angst, von der Bultmann sagt, in ihr wolk "jeder an sich und dem Seinen festhalten ", "in dem geheimen Gefühl, daß ihm alles, auch sein eigenes Leben entgleitet."

Den Gegensatz dazu bildet die zweite Möglichkeit des Gelöstseins von allem weltlich Verfügbaren, der Entweltlichung im Sinne des "Haben als hätte man nicht" von. Röm. 7, 2.9ff. Sie läßt im Vertrauen zur Liebe Gottes Vergebung erfahren und führt zum Freiwerden von der Angst, zum Offensein für den An­dem- zur Liebe und wird so als "im Glauben erschlossene faktische Möglich­keit eines neuen Lebens" verstanden. Darin glaubt Bultmann die existentielle Bedeutung des eschatologischen Heilsdramas erfaßt zu haben. Am vollkommen­sten scheint ihm im N.T. Johannes diese existentiale Entmythologisierung der Enderwartung vollzogen zu haben, indem hier- ohne daß äußerlich etwas anders geworden wäre- im neuen "Weltverhältnis" des Glaubenden "das Zukunfts­leben schon. Gegenwart ist."

Über dieser existentialen, entmythologisierenden Interpretation des neutesta~ mentlichen Seinsverständnisses, in der Bultmann ohne Zweifel ein Meister ist, muß er sich aber doch fragen, ob sich bei ihm hier nun nicht doch auch gerade das ereignet habe, was er der früheren liberalen Entmythologisierung vorwirft, daß nämlich mit dem Mythos zugleich das Kerygma abhanden gekommen sei bzw. daß sich die Botschaft von der entscheidenden Heilstat Gottes in Christus in eine allgemeine menschliche Möglichkeit aufgelöst habe - nur jetzt nicht im Sinne des Idealismus, sondern der Existenzphilosophie.

Bultmann verhehlt sich diese Gefahr nicht, die sein Anliegen des Festhaltens am Kerygma aufs stärkste tangiert. Er anerkennt, daß Karl Jaspers in seiner Transponierung von Kierkegaards Interpretation des christlichen Seins in die Sphäre der Philosophie und Martin Heidegger in seiner existentialen Analyse des Daseins um diese Situation des Menschen in der Entscheidung zwischen Verfallenkönnen und Eigentlichwerden wissen, daß vor ihnen Wilhelm Dilthey und der Graf Paul Yorck von Wartenburg um ein solches "Christentum ohne Christus" gewußt haben, und er weiß, welche Konsequenzen sein philoso-

Page 91: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

I-

90 FRITZ BURI

phischer Schüler Wilhelm Kamlah aus dieser Position gezogen hat. Denen gegen­über, die ihm rum Vorwurf machen, daß er "das N. T. mit Kategorien der Heideggerschen Existenzphilosophie interpretiere", ruft er aus: "Ich meine, man sollte lieber darüber erschrecken, daß die Philosophie von sich aus sieht, was das N. T. sagt."

Aus diesem offenbar auch ihn überkommenen Erschrecken über den drohenden Verlust und die Auflösung der Theologie in Philosophie heraus rekurriert nun Bultmann an diesem Punkte aufs entschiedenste auf das Heilsereignis in Christus, um zu erklären, eben in der Ausrichtung auf dieses Heilsereignis bestehe der Unterschied zwischen N. T. und Theologie einerseits und 1"eder Art von philo­sophischem Daseinsverständnis andererseits: Wohl wisse auch die Philosophie um V erfallenheit und Eigentlichkeit als menschlicher Möglichkeiten; aber während die Philosophie "die prinzipielle Möglichkeit" des Eigentlichwerdens "schon für eine faktische" halte und sich darin täusche, weil "in der Verfallenheit jede Be­wegung des Menschen eine Bewegung des verfallenen Menschen sei", rede das N. T. und wisse der christliche Glaube "von einer Tat Gottes, welche die Hin­gabe, welche den Glauben, welche die Liebe, welche das eigentliche Leben des

. Menschen erst möglich macht." Aus dem Wissen um diese Heilstat Gottes her­aus, welche allein die Verfallenheit des natürlichen Menschen zu überwinden im­stande sei, könne der Weg des philosophischen Eigentlichwerdens in der ent­schlossenen Übernahme seines Verfallenseins nur als radikale Eigenmächtigkeit, als die Sünde bezeichnet werden.

Bei diesem Urteil muß sich aber Bultmann selber fragen, "ob damit der Ent­mythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung eine Grenze gesetzt sei, ob wir hier vor einem Mythos stehen."- So endet denn, wie nicht anders zu erwarten, die Durchführung der schon in sich gegensätzlichen Anliegen Bultmanns im Offenbarwerden der Problematik seiner unter. Fe&thillten am Kerygma ver­suchten· Entmythologisierung.

Deshalb haben wir nun im weiteren Verlauf unserer Verfolgung des hier ein­geschlagenen Weges,

II. die Schwierigkeiten, in die Bultmann bei seiner Entmythologisierung gerät, und deren Ursachen

besonders ins Auge zu fassen.

Von einer ersten Schwierigkeit haben wir schon gesprochen, und wir müssen sie hier nur noch als solche in ihrem Wesen festhalten, bevor wir weiter zusehen, wie Bultmann sie zu beheben versucht. Diese Schwierigkeit besteht in dem V er­hältnis seiner existentialen Interpretation des Kerygmas zum philosophischen Selbst­verständnis. Eigentlich sollte hier von den beiden ersten Anliegen der Bultmann­seheu Entmythologisierung und ihrer Durchführung aus kein Widerspruch zwi­schen Theologie und Philosophie bestehen- und besteht faktisch auch keiner. Denn sowohl gegen seine Berücksichtigung des wissenschaftlichen Denkens und

Page 92: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNGODERENTKERYGMATISIERUNGD. THEOLOGIE 91

des einheitlichen Selbstverständnisses des modernen Mensch~n, wie gegen seine Auffassung des Mythos als Ausdruck von Existenzverständnis, wie auch gegen seine, die objektive Heilsgeschichte ausschaltende,.existentiale Interpretation der neutestamentlichen Verkündigung wird von philosophischer Seite her kein Ein­wand erhoben werden können. Im Gegenteil: er schlägt hier einen Weg ein, den die Philosophie in ihrem Verhältnis zur Überlieferung schon immer gegangen ist, und den die von Bultmann besonders berücksichtigte Existenzphilosophie heute recht eigentlich zum Bewußtsein gebracht hat. Und so ist denn auch das Resultat grundsätzlich hier wie dort nicht verschieden. Trotz der inhaltlichen Verschieden­heit der "Selbstbehauptung" eines Kamlah oder Heideggers "Übernahme der Geworfenheit" von Bultmanns Seinsverständnis des Glaubens handelt es sich hier wie dort doch um Selbstverständnis. Diese grundlegende formale Gemein­schaft wird erst da aufgehoben, wo Bultmann sich dem philosophischen Selbst­verständnis gegenüber plötzlich doch auf die Heilstat Gottes in Christus als Er­möglichungsgrund des christlichen Selbstverständnisses beruft. Damit bricht er aber nicht nur die Möglichkeit eines Gespräches des Theologen mit dem Philo­sophen ab, sondern er gerät durch dies~n Rückfall in die Mythologie auch in Widerspruch zu seinen eigenen Voraussetzungen.

Aber nun gehört Bultmann nicht zu jenen Theologen, die es hier einfach dar­auf ankommen lassen und meinen, es genüge, "die Botschaft auszurichten", letz,. lieh unbekümmert darum, ob andere und sie selber sie verstehen und ehrlicher­weise daran glauben können. Er sieht das Problem, das hier vorliegt und nimmt es ernst. So macht er sich denn daran, auch "das Christusgeschehen", insofern das N. T. davon in mythologischer,Weise redet, existential zu interpretieren. Dar­über gerät er aber nur in eine neue, nicht minder große Schwierigkeit, daß sich ihm nämlich nun das Kerygma von der Heilstat Gottes in ein bloßes menschliches Selbstverständnis aufzulösen droht. Anders als so wird man das, was er über ,,Kreuz" und "Auferstehung" ausführt, kaum beurteilen können.

In bezug auf das Kreuz Christi will er dabeibleiben, daß es als stellvertretendes Sühnopfer des sündlosen Gottesso4nes für unsere Sünde eine von uns "nicht nachvollziehbare" Mythologie darstelle, die übrigens innerhalb des N. T.s "gar nicht besage, was sie besagen soll". Denn es gehe dem N. T. nicht bloß um ein Abtun des V ergangenen, sondern auch um die Ermöglichung eines neuen Seins. Diese Wirkung aber bekomme das Kreuz dann, wenn wir es nicht gegenständlich mythologisch, sondern existential, d. h. in seiner "Bedeutsamkeit" verstehen, und das heiße: "das Kreuz Christi als das eigene übernehmen", "sich mit Christus kreuzigen lassen". Es sind wiederum paulinische Stellen vom Sterben und Auf­erstehen mit Christus, an denen Bultmann erläutert, worin dieser "konkrete Lebensvollzug" des Kreuzes bestehe, und wie er sich in der Gegenwart in einem Freiwerden von der Welt und einem Freiwerden zur Liebe erlösend auswirkt.

Aber so eindrücklich gerade auch diese Auslegungen sind, so müssen wir uns doch fragen, ob es sich denn darin um etwas anderes handelt, als um jene "Ent­weltlichung", die er uns bereits als Möglichkeit eines "christlichen Existenzver-

Page 93: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

92 FRITZ BURI

ständnisses ohne Christus" bei früherer Gelegenheit entwickelt hat. Neu hinzu­gekommen ist hier nur die ausdrückliche Bezugnahme dieses Selbstverständnis auf die Heilstat Gottes als dessen Ermöglichungsgrund. Aber handelt es sich darin wirklich noch um "die entscheidende Heilstat Gottes" - oder ist das "Christusgeschehen" nicht doch "eliminiert oder durch Interpretation seines an­stößigen Geschehens-Charakters entkleidet", wenn es "Heilsereignis" nur inso­fern ist, als es nur der historische Ursprung des christlichen Selbstverständnisses sein soll, der dadurch wieder je gegenwärtig wird, daß seine Verkündigung den Hörer fragt, ob er sich so verstehen solle oder nicht? Was ist das anderes, als die von Bultmann gegenüber den früheren liberalen Entmythologisierungsversuchen abgelehnte Aufdeckung einer allgemein menschlichen Möglichkeit?

Das wird noch deutlicher in seiner Behandlung des "Osterereignisses". Während die Kreuzigung Jesu von Nazareth schließlich doch noch "ein historisches Er'­eignis" darstellt, das in seiner Bedeutsamkeit zu verstehen ist, kann es sich hier nach Bultmann nicht um ein historisches Ereignis handeln. "Als historisches Ereignis", sagt er, "ist nur der Osterglaube der ersten Jünger faßbar". Als "supra­naturales Mirakel" der "Rückkehr eines Toten in das diesseitige Leben" ist das Reden von der Auferstehung für uns unvollziehbare Mythologie. Wir können also nicht auf Grund der Auferstehung als eines objektiven Faktums an die Heils­tat Gottes im Kreuz glauben, sondern umgekehrt: "das Reden von der Auf­erstehung Christi" ist nach ihm "Ausdruck von der Bedeutsamkeit des Kreuzes". Auferstehung ist also der mythologische Ausdruck für die in der "Entwelt­lichung" erfahrene Erlösung. Für Bultmann vollzieht sich das Osterereignis nicht objektiv im Sichöffnen des Grabes, sondern es ereignet sich im Selbstverständnis der Jünger, die im konkreten Lebensvollzug das Kreuz als Sieg erfahren- und nun weiter überall da, wo unter der Einwirkung des hier entsprungenen Wortes der Verkündigung ein Entsprechendes geschieht. "Dieses Wort also ist es", meint er, was "zum Kreuz ,hinzukommt<, und es als Heilsgeschehen verständlich macht; indem es Glauben fordert, indem es die Frage an den Menschen richtet, ob er sich als Mitgekreuzigten und damit als Mitauferstandenen verstehen will."

Von diesem Wort sagt er, daß es "selbst zum eschatologischen Heilsgeschehen" gehöre. Und darin zeigt sich nun· noch eine dritte Schwierigkeit in Bultmanns Theologie: Die Beziehung zwischen historischer 'Forschung und W ortverkündigung. Für den Historiker ist das Kreuz kein Heilsereignis und die Auferstehung über­haupt kein Ereignis. Wie der Historiker ohne den Glauben im Kreuz Christi nur das menschliche Scheitern eine~ verfehlten Unternehmens sehen kann, so redu­ziert sich für ihn das "Osterereignis" auf visionäre Erlebnisse der Jünger, die aus deren persönlicher Verbundenheit mit Jesus erwachsen sind. Erst indem das Kreuz in seiner "Bedeutsamkeit" verstanden wird, werde es zum Heilsereignis. So aber werde der Gekreuzigte im N. T. verkündigt -"nicht" so, "daß sich der Sinn des Kreuzes aus seinem historischen - durch historische Forschung zu reproduzierenden -Leben erschlösse", sondern "als der Gekreuzigte, der zugleich der Auferstandene ist". Im Unterschied zu dem historischen Ereignis

Page 94: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNGODERENTKERYGMATISIERUNG D. THEOLOGIE 93

bezeichnet nun Bultmann das in dieser Heilsbedeutung gesehene Kreuz- und, als deren mythologischer. Ausdruck, auch die Auferstehung als ein ,,geschicht­liches Geschehen", oder -im Blick auf seine entweltlichende Wirkung auch als "eschatologisches Ereignis". Einerseits gibt er zwar zu, daß wir vom Kreuz ,,als historischem Ereignis nur durch historischen Bericht" wissen können, und betont auch, daß der, in welchem Gott die We!i. mit sich versöhnt hat, "ein wirklich historischer Mensch sei." Deshalb sei das Wort Gottes .,nüchterne Verkündigung der Person und des Schicksals Jesu von Nazareth in ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutsamkeit." Anderseits erklärt er dann aber doch, der Glaube sei am histo­rischen Ereignis nicht interessiert, und es wäre falsch, ,,den Glauben an Gottes Wort durch historische Untersuchung begründen zu wollen." Allein im Wort der Verkündigung begegne uns der Auferstandene. Dieses Wort aber ,,begegnet als Gottes Wort, dem gegenüber wir nicht die Legitimationsfrage stellen können, sondern das uns nur fragt, ob wir es glauben wollen oder nicht."

Wenn an diesen Ausführungen etwas klar ist, so dies, daß hier eine ausge­sprochene Unklarheit herrscht. Dadurch, daß Bultmann sich dafür auf den not­wendigen "Argernis"-Charakter des Evangeliums beruft und sich auf dessen ,,Nichtausweisbarkeit" etwas zugute hält, und schließlich daraus das eschatolo­gische Heilsereignis macht, wird diese Unklarheit nicht behoben, sondern zum Prinzip gemacht.

Wo liegen die Ursachen zu diesen auswegslosen Schwierigkeiten, in die Bultmann mit seiner so klar begonnenen Entmythologisierung gerät? Sie liegen, kurz gesagt,in einem dreifachen Mißverständnis: in einem Mißverständnis des philosophischen Selbstverständnisses, in einem Mißverständnis des Wesens des Mythos im allge­meinen und seiner Verwendung im N. T. im besonderen, und in einem Miß­verständnis des Schicksals der mythologischen Eschatologie des N. T.s in der Geschichte.

Zum ersten: Bultmann mißversteht das, was er als philosophisches Selbstver­ständnis gegenüber dem Kerygma des N. T.s abgrenzt, und zwar in zwiefacher Weise. Einmal deshalb, weil er meint, das Wissen um die Verfallenheit, das er auch dem Philosophen zu billigt, stelle keinen Weg aus dieser V erfallenheit heraus dar, sondern es führe im Gegenteil nur noch auswegsloser in sie hinein, wenn man im Wissen um die Verfallenheit einen Weg zu ihrer Überwindung zu sehen meint. Das wäre richtig, wenn es sich darin um einen objektivierbaren Zustand handelte, wie dies beispielsweise in dem Mythos von der gefallenen, in der Gewalt böser Dämonen befindlichen Welt, der Fall ist. Aber nun geht es doch Bultmann gerade nicht um solche Mythologie, sondern um deren existentiale Interpretation als Ausdruck von Selbstverständnis. Im Selbstverständnis aber ist das Innewerden der Verfallenheit etwas anderes als das Nichtwissen um diese Verfassung. Wäh­rend hier das Nichtwissen eine tiefere V erfallenheit bedeutet, bildet deren Ione­werden eben .gerade den Anbruch eines neuen Selbstverständnisses eigentlicher Existenz. In seiner Entmythologisierung des Christusgeschehens versteht es Bult­mann selber so. Dort interpretiert er Kreuz und Auferstehung als mythologischen

Page 95: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

94 FRITZ BURI

Ausdruck der Möglichkeit eines neuen, erlösten Selbstverständnisses. Hier aber, wo es sich um das philosophische Selbstverständnis handelt, spricht er demselben jede Möglichkeit ab, zur Eigentlichkeit zu kommen, weil das N. T. auf Grund seiner mythologischen Anthropologie behauptet, daß ·"der Mensch selber ganz und gar verfallen" sei. Als ob existentiale Interpretation etwas anderes wäre, wenn sie vom Philosophen als wenn sie vom Theologen ausgeübt wird! · Diese Unterscheidung ist aber nicht nur formal~ sondern auch inhaltlich un­berechtigt. Wohl gibt es philosophisches Selbstverständnis, das, wie z. B. bei Heidegger, in seinem transzendenzlosen Trotz als "frevelhafte" "Eigenmächtig­keit" zu beurteilen ist. Aber gibt es etwa solche Eigenmächtigkeit nicht auch in der Theologie, nicht auch gerade noch bei Buhmann, wenn er plötzlich so merk­würdig objektiv heilsgeschichtlich bestimmt, wo allein der Auferstandene uns begegnen, d. h. wie Gottes Heilstat sich ereignen könne! Wohl ist es so, wie er sagt: "Soll die radikale Eigenmächtigkeit, in der sich der Mensch die Möglichkeit seines eigentlichen Lebens als eines Lebens in der Hingabe verschließt, als Sünde verstanden werden, so muß es dem Menschen offenbar möglich sein, seine Exi­stenz überhaupt als Geschenk zu verstehen."-Hat denn Bultmann keine Ahnung davon, wie gerade Karl Jaspers heute von diesem Geschenkcharakter eigentlichen Daseins spricht und dafür legitimerweise den Begriff der Gnade verwendet?

Weil Bultmann nicht um diese Gnade der Existenz weiß oder nicht darum wissen will, muß er dann aus seiner gnadenlosen Existenz zu jener immer noch mythologischen Gnade der Heilstat Gottes in Christus kommen, deren existen­tiales Verständnis ihn in solche Schwierigkeiten hineinbringt, daß er dem Philo­sophen als Mythologe und dem Heilsgeschichtsstheologen als Philosoph er-scheinen muß. · ·

Zweitens: Was Bultmann vom Wesen des Mythos im allgemeinen und von der Heilsmythologie des N. T.s im besonderen sagt, ist wohl richtig vom Standpunkt des modernen Menschen aus, der auf Grund seiner Wissenschaft und seines ein­heitlichen Selbstverständnisses nicht mehr im Mythos lebt. Wo der Mythos aber noch ungebrochen in Kraft steht und geglaubt wird, da wird er durchaus nicht bloß als in seiner Gegenständlichkeit uneigentlicher Ausdruck von Selbstver­ständnis verstanden, sondern da wird mit ihm in seiner ganzen massiven Ob­jektivität gerechnet. Der Mythengläubige weiß ·nichts von dem "eigentlichen Sinn des Mythos", wie Bultmann ihn versteht.

Und das gilt nun vor allem auch für das N. T. Bultmann selber gibt von dieser ungebrochenen Mythologie am Eingang seiner Schrift unter dem Titel "Das mythische Weltbild und das mythische Heilsgeschehen im N. T." ein ganz aus­gezeichnetes Bild. Ebenso richtig ist seine Feststellung, daß sich diese ganze eschatologische Mythologie des N. T.s in einem Punkte grundlegend von den Kultmythen griechischer öder hellenistischer Götter unterscheidet, nämlich darin, daß der Erlöser hier nicht nur eine. mythische Gestalt ist, sondern "zugleich ein bestimmter historischer Mensch, Jesusvon Nazareth", dessen Schicksal "nicht nur ein mythisches Geschehen, sondern zugleich ein Menschenschicksal" ist. Daß

Page 96: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER ENTKERYGMATISIERUNG D. THEOLOGIE 95

hier "Historisches und Mythisches" so "eigentümlich verschlungen" sind, hängt aber aufs engste zusammen mit der von Bultmann ebenfalls hervorgehobenen Naherwartung des Endes bzw. der Auffassung, daß durch Kreuz und Aufer­stehung der Anbruch des neuen Aeon entscheidend zum Durchbruch gekommen sei. Das Charakteristische der neutestamentlichen Eschatologie besteht in der Tat darin, daß hier die eschatologische Mythologie aktualisiert, historisiert worden ist.

Das ist aber etwas anderes als das, was Bultmann mit seinem Begriff der "Ge­schichtlichkeit" meint. Im N. T. wird der eschatologische bzw. -wo er helleni­siert wird - der gnostische Mythos nicht im Bultmannsehen Sinne existential nterpretiert, indem er seiner Gegenständlichkeit entkleidet und nur noch als Ausdruck von Selbstverständnis ernstgenommen würde, sondern im Gegenteil: was Buhmann, in seiner Weise richtig, als das neutestamentliche Selbstverständnis der Entweltlichung und des Freiwerdens zur Liebe im Vertrauen auf die Liebe Gottes schildert, das geschieht im N. T. auf Grund des als objektives Ereignis vorausgesetzten Heilsgeschehens. So kritisiert Bultmann z. B. mit Recht an Barth, daß es nicht angehe, "alles Mythologische aus I. Kor. 15 fortzuschaffen"; aber wenn er dann selber Barths "gewaltsame Interpretation" als Beweis dafür an­führt, wie "fatal" es sei,. daß Paulus "das Wunder der Auferstehung durch Auf­zählung der Augenzeugen als historisches Ereignis sicherstellen" solle, dann ist dies nicht für den Apostel, der eben noch ungebrochen mythisch denkt, sondern für die Art von Bultmanns Exegese eine "fatale" Sache. Nicht in einem existential zu deutenden Wort von der Liebe und Versöhnung Gottes, sondern- so fremd uns das erscheinen mag- in dem Sühnopfer Jesu und in seiner den Anbruch der Gotteswelt bewirkenden Auferstehung erfahrt der Mensch im N. T. das Heil als Wirklichkeit. Was uns hier als Mythologie erscheint, ist für ihn nicht Aus­druck von Selbstverständnis, sondern sein Selbstverständnis basiert auf jenem als Wirklichkeit vorausgesetzten mythischen Geschehen. Bultmann kehrt die Beziehung nur deswegen um, weil jene zur Naherwartung historisierte eschato­logische Mythologie, wie er selber zugibt, sich als Täuschung erwiesen hat, wäh­rend das christliche Selbstverständnis, wie Bultmann ebenfalls zeigt, grundsätzlich auch ohne jene Mythologie möglich ist. · ·

Damit haben wir aber auch den Zugang gefunden zur Lösung der dritten Schwierigkeit, in die sich Bultmann bei der Durchführung seiner Entmythologi­sierung verwickelt. Die Ursache der Unklarheit im Verhältnis von historischer Forschung und Wortverkündigung, insbesondere die unmögliche Behauptung, das Kerygma sei an der historischen Forschung nicht interessiert, obschon es seinen Ursprung in einem historischen Ereignis hat, ist darin zu suchen, daß er sich die Konsequenzen des Schicksals der neutestamentlichen Enderwartung in der Geschichte nicht voll zum Bewußtsein zu bringen vermag. Wohl weiß er darum, daß die neutestamentliche Enderwartung durch ihre Nichterfüllung in der Ge­schichte "erledigt" ist, und daß jeder spätere Versuch einer Wiederholung der­selben gegen seinen Willen selber "Kri~ik am N. T." bedeutet. Aber weil Bult-

Page 97: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

96 FRITZ BURI

mann in dieser Endgeschichte, wie er anderwärts geschrieben hat, nur ein "mit· geschlepptes mythologisches Requisit" glaubt sehen zu dürfen, so sieht er nicht ein, daß durch dessen Infragestellung auch das sich darin aussprechende Selbst­verständnis mitbetroffen ist. Wird aber das neutestamentliche Kerygma ohne modernisierende existentiale Umdeutung in seiner objektiv mythologischen, historisch ursprünglichen Gestalt genommen, dann kann man der Folgerung nicht ausweichen, daß es durch den tatsächlichen Geschichtsverlauf radikal in Frage gestellt ist. Ohne verwischende Zweideutigkeit kann man dann nicht mehr von einer in Kreuz und Auferstehung geschehenen Heilstat Gottes reden, weil das, was damit hätte eingeleitet werden sollen, der Anbruch des Endgeschehens, sich eben nicht ereignet hat. Wohl ist das Nichteintreten des Endes, d. h. das Weiterlaufen der Geschichte, zum Anlaß und zur Ermöglichung der Entstehung des christlichen Kerygmas geworden; aber gerade deswegen kann und darf man sich nicht verhehlen, daß es dort und hier etwas je ganz anderes ist. Nur unter Absehen von der historischen Sehweise kann jetzt noch von einem Kerygma auf Grund einer Heilstat Gottes in Christus die Rede sein, - bzw. weil Bultmann an einem solchen Kerygma festhalten will, kommt er zu jener mit historischer Forschung unvereinbaren Verkündigungstheorie. Die Behauptung eines histo­risch nicht erkennbaren eschatologischen Geschehens im Ergehen des Wortes ist nur ein letzter Ersatz für das nichteingetretene, im N. T. verkündigte Heils­geschehen1. Das Kerygma ist ein letzter Rest von inkonsequenterweise noch fest-gehaltener Mythologie. ·

Mit dieser Kritik an Bultmann sifi:d die Anliegen, die er mit seiner Entmytho­logisierung gegenüber der mythengläubigen Reaktion in der Theologie der Ge­genwart vertritt, nicht außer Kraft gesetzt -im Gegenteil: seine Ablehnung dieser Art kerygmatischer Theologie ist dadurch nur noch verstärkt worden, aber dies nun allerdings so, daß sich uns auch seine Art, am Kerygma festhalten zu wollen, als "nicht nachvollziehbar" herausgestellt hat, so daß wir jetzt noch

III. die Entkerygmatisierung der Theologie als Konsequenz der Entmythologi­sierung Bultmanns und ihre Auswirkung

.kurz zu umreißen haben. Eine erste Konsequenz unserer bisherigen Ausführungen besteht darin, daß wir

erklären: Es gibt weder eine Möglichkeit noch eine Notwendigkeit eines Kerygmas von einer Heilstat Gottes in Christus im Sinne der eschatologischen Mythologie des N. T.s. Es besteht dazu keine Möglichkeit nach dem, was wir uns von Bult­mann im allgemeinen über die Unvereinbarkeit des mythologischen Weltbildes und Heilsgeschehens des N. T.s mit dem wissenschaftlichen Denken und der Ein­heitlichkeit des Selbstverständnisses des modernen Menschen haben in Erinne­rung rufen lassen. Aber nach der Einsicht in seine historisch unzulässige Ein­tragung unserer modernen Auffassung des Mythos als Ausdruck von Selbst-

1 Vgl. meinen Aufsatz "Das Problem der ausgebliebenen Parusie" in Schweiz. Theol. Um­schau 1946, S. 98-uo.

Page 98: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODER ENTKERYGMATISIERUNG D, THEOLOGIE 97

Verständnis in das noch ganz objektiv mythologisch denkende N. T. und nach der Erkenntnis der geschichtlichen Problematik der neutestamentlichen Eschato~ ogie, deren Nichtanerkennung die Ursache von Bultmanns Festhalten am Kerygma bildet, sehen wir auch keine Möglichkeit mehr, in dieser Weise von einer einmalig in Christus geschehenen Heilstat Gottes zu reden.

Über dieses zunächst negative Ergebnis brauchen wir aber nicht zu erschrecken, weil in dem Moment, wo wir uns von diesem Exklusivitätswahfi frei machen, unsere Augen auch frei werden für die Heilswirklichkeit des Selbstverständnisses eigentlicher Existenz, auf die uns gerade Bultmann an Hand heutiger Existenz­philosophie aufmerksam macht. Wenn wir uns diese Möglichkeit nicht, wie es bei Bultmann noch der Fall ist, durch eine apologetische Brille und durch Ver­allgemeinerung immer möglicher V erzerrungen trüben lassen, sondern mit einem Philosophen wie Karl Jaspers des Geschenk-Charakters dieser Mögli~hkeit als unverfügbarer Gnade inne werden, dann haben wir hier ein reichliches Äquivalent für den gefürchteten Verlust gefunden. Wir benötigen jetzt nicht mehr einen Heilsmythos, um zu einer Heilswirklichkeit zu gelangen, sondern von erfahrener Heilswirklichkeit aus sind wir in der Lage, Heilsmythologie zu verstehen.

Damit ist eigentlich auch schon die zweite Folgerung gezogen. Das Heils­geschehen besteht nicht, wie Bultmann wenigstens der Philosophie gegenüber betont, in einer einmalig geschehenen Heilstat in Christus, sondern darin, daß es sich ereignen kann, daß Menschen sich in ihrer Eigentlichkeit so verstehen können, wie es im Christusmythos zum Ausdruck gekommen ist. Wenn die Ver­kündigung dieseS Mythos auch bewirken kann, daß Menschen auf diese Heils­möglichkeit aufmerksam werden, daß ihnen ihre Zerstörerische Verfallenheit an die Welt zum Bewußtsein kommt und sie zu jener anderen Einstellung sich selber und der Welt gegenüber fähig werden, die Bultmann an- Hand des N. T .s als "Entweltlichung" beschreibt, so vollzieht sich doch das Heilsgeschehen eben in diesem Bereich jeweiligen Selbstverständnisses - und hat sich nicht irgend ein­mal außerhalb desselbenund unabhängig davon vollzogen. Deshalb ist das Heils­geschehen weder auf das N. T. oder die Bibel noch auf die christliche Gemeinde eingeschränkt. Nicht an einem Punkt in der Geschichte hängt das HeiL Soweit das N. T. es so sagt, ist es für uns nicht mehr nachvollziehbare mythologische Rede.

Wohl entspringt in dieser vom N. T. behaupteten Einmaligkeit seines Heils­geschehens das in der heutigen Theologie und auch bei Bultmann viel zitierte paulinische Skandalen, der Ärgernis-Charakter des Evangeliums. Aber diese tat­sächlich ein Ärgernis darstellende Behauptung der Einmaligkeit des Heils­geschehens ist wiederum nichts anderes als eine Folge des ungebrochenen my­thischen Denkens des N. T.s. Von unserem "gebrochenen" Verhältnis zum Mythos aus können wir nur sagen, daß in dieser behaupteten Einmaligkeit der Unbedingtheitscharakter des hier sich aussprechenden Selbstverständnisses zum Ausdruck kommt. Solche Unbedingtheit ist aber nicht etwas Einmaliges, sondern· charakterisiert jeden Entschluß. Auch die Unbedingtheit des Entschlusses enthält in sich ein Ärgernis - das Ärgernis nämlich, daß man trotz der Einsicht in die

7 Kerygma, Bd. •·

Page 99: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

98 FRITZ BURI

Geschichtlichkeit seiner Erkenntnis es mit ihr mit ganzem Einsatz wagen muß. Hier liegt das wirkliche "Ärgernis" unserer Existenz, das wir uns nicht durch ein mytho:logisches Pseudo-Ärgernis verdecken lassen dürfen.

Eine dritte Konsequenz, die wir hier noch zu formulieren haben, besteht in der Einstdlung zu Geschichte und Verkündigung. Bei aller kritischen Einstellung zur Geschichte bekommt man bei Bultmann - wie übrigens auch bei anderen Theologen - gelegentlich den Eindruck, daß die historische Skepsis nur den Zweck hat, dem in der kirchlichen Verkündigung ergehenden Wort Gottes Raum und seinem"Anspruch" "gehorsamen Glauben" zu verschaffen. Wir können und dürfen uns aber nicht durch ein Wort in Anspruch nehmen lassen, dem gegen­über wir nicht mehr nach seiner Legitimation fragen dürfen. Gerade wenn wir etwas um die Geschichte wissen, die hinter dem in der jeweiligen Verkündigung uns treffenden Wort steht, werden wir uns davor hüten, in diesem Worte etwas anderes als Menschenwort zu sehen. Wie sollte aus dem Ausdruck menschlichen Selbstverständnisses, den wir in der neutestamentlichen Mythologie nach Bult­mann vor uns haben, plötzlich etwas ganz anderes, nicht mehr der historischen Fragestellung Zugängliches, werden können? Daß hieße doch einfach, sich irgend­einer historischen Zufälligkeit ausliefern.

Damit aber, daß wir auch das Wort der Verkündigung der gewissenhaften geschichtswissenschaftliehen Prüfung unterstellen, liefern wir den Glauben nicht, wie Bultmann fürchtet, der doch immer relativ bleibenden Wissenschaft aus. Wofür oder wogegen ich mich zu entscheiden habe, das ist ja nicht etwas, das mir· von außen als ein Fremdes gegenübertritt. Sondern wogegen oder wofür ich mich zu entscheiden habe, das bin immer ich selber, wozu nun allerdings alles gehört, was ich verstehen kann. Was aus der Geschichte in meinen Verstehens­bereich getreten ist, was für Möglichkeiten des Selbstverständnisses sich mir hier erschließen, und wie dadurch meine Einstellung zu meinem Schicksal sich wan­delt -das gehört jetzt zu mir. Und hier habe ich mich zu entscheiden, ob ich der sein will, der ich bin. Hier verfehle ich meine eigenste Möglichkeit - oder komme zu mir selber. Hier erfahre ich Unheil oder Heil.

Aber mit einem Kerygma von einer einmal geschehenen Heilstat hat dies grundsätzlich nichts mehr zu tun. Nicht im Kerygma begegnet mir der Aufer­standene, sondern was mit der Osterbotschaft gemeint sein könnte, das vermag ich aus meinem Zu-mir-selber-kommen, um das ich als ein Geschenk weiß, zu verstehen. Und nur aus solchem Selbstverständnis heraus kann ich selber weiter andern von Ostern reden.

Die von Bultmann abgelehnte Heilsgeschichtstheologie, aber auch Bultmann selber mag vor solcher Zuendeführung der Entmythologisierung als Entkerygma­tisierung zurückschrecken. Tatsächlich aber ist dies der Weg, wie heute über­ha~pt noch christliche Theologie möglich ist. Von dieser Auswirkung soll hiet zum Schluß noch ein Wort gesagt sein.

Zum ersten ist erst mit der Entkerygmatisierung der Theologie das Verhältnis zum Mythos eindeutig und klar geworden. Weder wird in einer entkerygmati-

Page 100: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG ODERENTKERYGMATISIERUNG D. THEOLOGIE 99

sierten Theologie, wie in der Heilsgeschichtstheologie, ein dem heutigen Men­schen unverständliches mythologisches Kerygma verkündigt, noch wie bei Bult­mann ein entmythologisiertes Kerygma hinterher wieder in mythologischer Weise zu einem Kerygma erhoben, so daß man, entgegen seiner eigenen Forderung, gerade hier nicht weiß, woran man jetzt eigentlich ist, - sondern: befreit von jedem falschen kerygmatischen Anspruch kann jetzt die Mythologie des N. T.s wahrhaft existential verstanden werden, d. h. als symbolkräftiger Ausdruck des Selbstverständnisses eigentlicher Existenz, an dem mir in Wahrheit ein entspre­chendes neues Selbstverständnis meiner selbst aufgehen kann.

Während bei Bultmann nicht recht klar wird, inwiefern es bei ihm nicht um Eliminierung oder doch um Eliminierung des Mythos geht, haben wir keinen Grund, vom Mythos zu abstrahieren. Wie könnten wir ohne Mythen von den letzten Dingen reden? Wir wären ein armes Geschlecht, wenn uns diese Bilder­welt verlorengehen würde. Darum muß es uns, wie um ihre rechte Interpretation, so auch um ihre Überlieferung überhaupt gehen. Von falschen Ansprüchen be­freit, kann uns die christliche Mythologie als das dienen, was sie eigentlich ist: als Ausdruck von existentiellem Selbstverständnis - sich bezeugend an uns und weiterzeugend durch unsere Auslegung. Damit ist Sinn und Aufgabe der Predigt und des Kultus bezeichnet.

In diesem Rahmen ist nun zweitens auf die Bedeutung des Christusmythos als Ausdruck für eine besondere Art von Selbstverständnis hinzuweisen. Wir möchten mit Bultmann den wesentlichen Inhalt dieses Mythos ebenfalls in jenem Frei­werden von der Welt und von uns selber durch die Hingabe an jene Macht sehen, die uns im Scheitern unseres Sorgens und Verfügenwollens begegnet -einem inneren Freiwerden, das alles andere als Weltflucht und Selbstgenügsam­keit bedeutet, sondern ein Offensein für die Welt und Hingabe an die uns darin Begegnenden. Indem aber gerade auch diese freimachende Möglichkeit als nicht in unserer Verfügung stehendes Geschenk, und bei allem eigenen Sich-entschließen und Verhalten als Gnade erfahren wird, enthüllt sich uns darin der letzte geheim­nisvolle Grund alles Seins als Liebe - um sich in diesem Kundwerden freilich nun erst recht als Geheimnis zu erweisen. Denn wir werden daraus nicht -wie eine frühere, von Bultmann mit Recht kritisierte, liberale Theologie es tat -eine universale Zweckbestimmtheit konstruieren, so wenig wir hier ein Kerygma von der einmaligen Heilstat der Liebe Gottes aufstellen können. Nur da, aber da immer wieder, wo in uns jene unheimliche Krise des Innewerdens des in Sorge-verfallen und des in Liebe Eigentlich-werden-können sich zu unserem Heile vollzieht, ist Christus Wirklichkeit, ist Christus ins Fleisch gekommen zum Sterben und Auferstehen. In diesem Sinne hat der Apostel Paulus sein eigenes Dasein als Kerygma gelebt. ,,Wir tragen allezeit das Sterben des Herrn Jesu an unserem Leibe, auf daß auch das Leben des Herrn an unserem Leibe offenbat werde" (z. Kor. 4, Io)l.

1 Vgl. dazu meinen Aufsatz: "Christus gestern und heute", Schweiz. Theol. Umschau 1948. S. 97-II7.

7*

Page 101: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

100 FRITZ BUR!

Mit dieser Begründung der Heilswirklichkeit in unserer transzendenzbezogenen Existenz sind wir nun drittens auch instand gesetzt zu einer sachgemäßen Ein­stellung zur Historie. Wir brauchen jetzt nicht mehr in Sorge zu sein, daß uns durch die historische Forschung etwas Unersetzliches genommen werden könnte, und wir haben es deshalb auch nicht nötig, bewußt oder unbewußt, offen oder versteckt, ihren Methoden und Resultaten auszuweichen oder sie umzubiegen. Gewiß wird unser Selbstverständnis immer bestimmt sein durch unsere geschichtliche Situation und gehört dazu als wesentlich die ·Überlieferung, in der wir stehen und die Art, wie wir sie verstehen. Aber nicht außer­halb unserer Existenz, sondern in ihr ereignet sich das Entscheidende. Und deshalb kann unsere Existenz durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte immer nur bereichert und geklärt werden. Nicht umfassend genug kann diese Begegnung mit der Überlieferung geschehen, wenn nicht Einseitig­keit und Verarmung eintreten soll.

Das zeigt sich auch gerade bei Bultmann, wenn er aus seinem dogmatisch mit­bedingten Skeptizismus heraus der Persönlichkeit des historischen J esus so wenig Gewicht beimißt. Wenn erz. B. dessen Reichgottesverkündigung und vor allem seinem eschatologisch bedingten Handeln, einschließlich deren Scheitern an der Geschichte, mehr Beachtung schenkte, so würde seine "Entweltlichung" noch einen etwas anderen, nicht bloß auf die lutherische Rechtfertigungslehre zu­geschnittenen Charakter empfangen. Es würde sich dann zeigen, daß wirkliche eschatologische Existenz · noch etwas anderes ist, als ein getröstetes Sichab­finden mit seiner und der Welt Möglichkeiten, nämlich ein über alle Menschenmöglichkeiten hinausgehendes und deshalb in keiner Gestalt zur Ruhe kommendes Sinnverlangen. Erst von hier aus wäre eine wirkliche Auseinandersetzung mit der existenzphilosophischen Seinsfrömmigkeit mög­lich, der Bultmann auf seine Weise auch verfallen ist und von der er sich deshalb vergeblich zu distanzieren versucht.

Damit soll zum Schluß nur hingewiesen sein auf die konkrete Aufgabe, die heute einer entkerygmatisierten Theologie zukommt. Wenn sie sich auch durch keine Berufung auf ein -wie immer zu interpretierendes - Kerygma von einer geschehenen Heilstat von Philosophie unterscheidet, sondern gemeinsam mit dieser an das Selbstverständnis des Menschen appelliert, so . ist doch ·dies ihr Besonderes, daß sie aus der Fülle ihrer Überlieferung, vor allem aus deren Ur­sprm1gszeit, auf Möglichkeiten eines eigentlichen Selbstverständnisses hinweisen kann, die in dieser symbolkräftigen Art für uns anderswo kaum zu finden sind und die erfahrungsgemäß von denen, welche mit diesem Stoff nicht vertraut sind, sonst übersehen oder - um der Gestalt willen, in welcher sie ihnen in kerygma­tischer Theologie entgegentreten -mißverstanden und abgelehnt werden. Über der Beschäftigung mit dieser sinnvollen Aufgabe haben wir dann gar keine Zeit, uns mit der müßigen Frage zu beschäftigen, inwiefern wir uns etwa damit noch von Philosophie unterschieden, um eine Existenzberechtigung zu haben - aber auch keinen Anlaß zu solchem Disput, weil einer Theologie, die dem Menschen

Page 102: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNGODERENTKERYGMATISIERUNG D. THEOLOGIE 101

etwas zu sagen hat von dem, was ihn als Mensch angeht, noch nie ihr Daseins­recht abgesprochen worden ist.

Daß uns Rudolf Bultmann zu solcher entkerygmatisierter Theologie reiches Material erschlossen hat und uns auch - wenigstens ein Stück weit - diesen Weg führt, dafür sind wil; ihm dankbar und möchten ihm auch durch diese Aus­einandersetzung, obschon sie ihn nicht in allen Teilen freuen. wird, diesen Dank bezeugen.

Page 103: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

KARL BARTH

(Abdruck aus Dogmatik III, 2, Seite SJI-37)1

R. Bultmann "entmythologhüert" das Osterereignis, indem er es interpretiert als "die Entstehurig des Glaubens an den Auferstandenen, in dem die V erkün­digung ihren Ursprung hat" (a. a. 0. S. 66)2• Das wirdfreilich so nicht gehen: die Entstehung des Glaubens an dep Auferstandenen kommt zustande durch dessen geschichtliche Erscheinung, und diese als solche, nicht die Entstehung des Glaubens an ihn, ist das Osterereignis. Aber Bultmann gibt sich ja offen Rechen­schaft darüber, daß die neutestamentlichen Zeugen selbst es anders gesagt haben als er. Und man muß zum Ruhm seiner Darstellung sagen, daß sie jedenfalls die zentrale, die unentbehrliche Funktion des Osterereignisses für das neutestament­liche Denken und Reden nachdrücklich ans Licht gestellt hat. Wogegen man sich wundem darf, daß dieses Ereignis in dem im übrigen in mancher Hinsicht auf­schlußreichen Buch von W. G. KümmeZS überhaupt keine Erwähnung findet. Kann man das Verhältnis von Verheißung und Erfüllung im N.T. darstellen, ohne die Ostertexte auch nur zu berühren? Kann man dann die wichtige und richtige These, daß das Reich Gottes bei den Synoptikemin der Person Jesu als bereits gegen­wärtig gesehen und nun doch noch ~rwartet wird, wirklich einsichtig machen? Dieselbe Frage richtet sich aber doch auch an das Buch von 0. Cullmann, in welchem dieAuferstehungJesu erst ganz zuletzt (S. zosf.) in einem speziellen Zu­sammenhang auftaucht, während sie für seine Konstruktion des neutestament­lichen Geschichts- und Zeitbegriffs keine konstitutive Bedeutung zu haben scheint.

Man darf sich also- das ist ein weiterer Vorbehalt, der der Datstellung von 0. Cullmann gegenüber anzumelden ist-das neutestamentliche Zeitdenken jeden­falls nicht so vorstellen, als hätte die urchristliche Gemeinde zunächst einen be­stimmten Zeitbegriff- die aufsteigende Linie mit ihrer Folge von .Äonen - im Sinn gehabt und dann in diese geometrische Figur das Christusgeschehen als die wahre Mitte dieser Linie. gewissermaßen eingetragen. Sondern es war jene beson­dere Erinnerung an eine durch eine besondere Geschichte gefüllte besondere Zeit, es war die Nötigung, der sie ihr Denken von dorther unterworfen sah, welche ihr Zeitdenken in seiner Eigentümlichkeit formte und in Bewegung setzte. Dafr ihr

1 Der hier mit freundlicher, wenn auch widerstrebend gegebener Erlaubnis des Verfs. ab­gedruckte Abschnitt aus seiner Dogmatik, bringt die Auseinandersetzung mit unserem Problem naturgemäß in dem ganz anderen Zusammenhang einer dogmatischen Darstellung und die Aus­einandersetzung ist dort fast mehr am Rande geführt. Der Abdruck in unserer Sammlung kann darum nur Verweis auf das große Werk selbst sein, da aus ihm heraus erst die wesentlichen Motive der Stellungnahme verständlich werden (Hsgb.).

z Bd. 11 S. 5of. (2S. 46f.). Die im Tel!;t gegebenen Verweise beziehen sich auf den ersten Druck von Bultmanns Aufsatz in Heft 7 der Beiträge zur Ev. Theologie. Wir fügen die entsprechen­den Seitenzahlen im Band!, x. Auf!., jeweils in Anm. bei, sowie in Klammern die der z. Auflage.

s Verheißung und Erfüllung, 1945·

Page 104: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ABDRUCK AUS DOGMATIK III 103

der Gott, der ihr der Vater ]esu Christi war -nicht in einer Anschauung ge­schiehts- und zeitloser Wahrheit, sondern in der Erinnerung an jene bestimmte Geschichte und Zeit -als der ßarit'J.eifr; ül:w alWvwv (1. Tim. I, 17) vor Augen stand, das formte und bewegte ihr Zeitdenken. Er --:im Ereignis jener bestimmten Zeit der König der Äonen- er war das Erste und Eigentliche, auf das die Ur­gemeinde blickte. Sie blickte von da erst auf die Äonen als solche. Das· ist es, was eine allzu absolute Fixierung der Geometrie ihres Zeitdenkens als bedenklich er­scheinen läßt. Ob es eine Geometrie dieses Denkens überhaupt gibt? Es ist nicht unmöglich, diß sie zu finden wäre, nur daß man die aus dem Unendlichen ins Un­endliche aufsteigende Linie nun doch noch nicht für das letzte Wort in dieser Sache halten möchte.

Aber eine andere Abgrenzung ist hier noch wichtiger, nämlich die gegenüber der bereits berührten Interpretation der Auferstehung Jesu durch R. Bultmann I.

Wir hörten: sie ist für Bultmann "die Entstehung des Glaubens an den Auf­erstandenen" - das und nur das. "Kann die Rede von der Aujersteh2tng Christi etwas anderes sein als der Ausdruck der Bedeutsamkeit des Kreuzes? Besagt sie etwas anderes als dieses, daß der Kreuzestod J esu nicht als ein mensch­liches Sterben ins Auge gefaßt werden soll, sondern als das befreiende Gericht Gottes über die Welt, das Gericht Gottes, das als solches den Tod ent­mächtigt?" (S. 63.) 2 Als Aufleuchten der Bedeutsamkeit des Kreuzes Christi ist sie freilich (mit diesem letzten Akt des eigentlichen Christusgeschehens zusammen), die "Tat Gottes", die den Glauben, die Verkündigung, die Kirche begründet - Bultmann kann auch sagen: "die Selbstbekundung des Auferstandenen" -und so das "eschatologische Heils geschehen" (S. 67)3 : aber eben diese Bedeu,tsam­keit des Kreuzes ist im Unterschied zu diesem selbst nicht in der Zeit, sondern jen­seits der Zeit zu suchen (S. 6x)4• Zu diesem eschatologischen Geschehen gehören außer dem Kreuz und der so verstandenen Auferstehung Jesu auch: "das dem Osterereignis entsprungene Wort der Verkündigung" (S. 67)5, die Kirche, "in der das Wort weiterverkündigt wird und innerhalb derer sich die Glaubenden als die ,Heiligen', d. h. als die in die eschatologische Existenz Versetzten sammeln" (S. 68)6, die Sakramente (S. 61f.)7 und vor allem: der "konkrete Lebensvollzug" der Glaubenden, ihr Teilhaben an Christi Kreuz und Auferstehen, in welchem sie in ihrem Verhältnis zu Sünde und Welt mit ihm sterben, um fortan in "kämpfender Freiheit" mit ihm zu leben (S. 62, 65)8• Das Alles nämlich, sofern dabei allerhand zeitliches Geschehen objektiv-undfür den Glauben dann auchsubjektiv-über­zeitlichen Inhalt und Charakter hat. "Eschatologisch" nennt Bultmann nämlich ein solches zeitliches und historisch feststellbares Geschehen, das zugleich eine nur dem Glauben erkennbare überzeitliche Bedeutung hat.

1 Vgl. zum Folgenden Walter Claas, Der moderne Mensch in der Theologie Rudolf Bult-manns, 1947.

2 a. a. 0. S. 47f. (44). 6 a. a. 0. S. 52 (48).

3 a. a. 0. S. 5I (47). 7 a. a. 0. S. 46 (42f.).

4 a. a. 0 S. 46 (42). 6 a .. a. S. 51 (47). 8 a. a. 0. S. 46, 49 (43).

Page 105: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

104 ·KARL BARTH

Also eben: Kreuzestod Jesu, der Glaube der ersten Jünger, ihr!! Verkündigung, die Gemeinde, die Sakramente, das Leben in der Nachfolge Jesu. Was aber nach Bultmann nicht zu. diesem eschatologischen Geschehen gehört, was vielmehr als "mirakulöses Naturereignis" (S. 34)1, als "beglaubigendes Mirakel" (S. 64)2 der durchgreifenden "Entmythologisierung" des N.T.s verfallen, d. h. was als irr­tümlich "objektivierender Vorstellungsgehalt" des christlichen Existenzverständ­nisses (S. 36)3 in dessen Wirklichkeit zurückinterpretiert werden muß, weil es als zeit- und raumerfüllendes Ereignis nicht verstanden und also auch nicht in seinem überzeitlichen Inhalt und Charakter erkannt werden kann - das ist das angebliche "objektive Faktum" der Lebendigmachung und des Lebendigseins des atn Kreuz gestorbenen Menschen Jesus, die Rückkehr dieses Toten in das dies­seitige Leben (S. 65)4 in den vierzig Tagen. Es kannein "Osterereignis" in diesem Sinn nur als der durch das mythische Weltbild jener Zeit bedingte und geformte Vorstellungsgehalt des urchristlichen Osterglaubens. gewürdigt werden, der für uns, die wir jenes Weltbild längst nicht mehr haben, nicht mehr maßgebend sein kann. Das wirkliche Osterereignis im Zusammenhang jenes eschatologischen Ge­schehens ist die durch kein zeitliches Geschehen, sondern allein durch die über­historisch-überzeitliche Tat Gottes begründete Entstehung des Osterglaubens der ersten Jünger. Dem Osterglauben der späterenKirehe und unserem Osterglauben bedeutet sie jedenfalls eine Tat Gottes: "die Tat Gottes, in der sich das Heils­geschehen des Kreuzes vollendet" (S. 67 )5• Wo bei Bultmann sich bewußt ist, daß er mit diesem Begriff die Grenze mythischer Rede selber schon streift oder über­schreitet, worüber er sich aber zu trösten weiß mit der Erwägung, daß das jeden­falls nicht mehr "Mythologie im alten Sinne" sei, weil es kein "mirakelhaftes supranaturales Geschehen" sei, was damit bezeichnet werde, sondern "ein ge­schichtliches Geschehen im Raum und in der Zeit" (S. 68)6•

Versuchen wir es zuerst, uns die Tragweite dieser Ansicht klarzumachen. Wenn sie im Recht ist, dann steht man bei der Exegese des Wortes Joh. I, I4 und bei der des noch viel explizierteren Wortes I. Joh. 1, I vor der Wahl: entweder ihnen die Beziehung auf den in den vierzig Tagen sein Leben Offenbarenden abzusprechen oder aber auch diese in beiden Zusammenhängen grundlegenden Aussagen aus dem Gebiet des relevanten Inhaltes des urchristlichen Glaubens und seiner Ver­kündigung zu verweisen und sie als mythologische Einkleidung des Vorgangs zu erklären, in welchem die ersten Jünger nach Jesu Tod durch unmittelbare gött­liche Einwirkung zur Erkenntnis von dessen Heilsbedeutung gekommen wären. Die Ostergeschichte ist dann nur die erste Glaubensgeschichte und die Osterzeit nur die erste Glaubenszeit. Und die Erinnerung an diese Geschichte und Zeit ist dann nur insofern eine Erinnerung an Jesus selber, als es diese Geschichte und Zeit war, in der die ersten Jünger über ihre Auffa-ssung von ihm und insbesondere von seinem Tode mit sich ins Reine kamen, in der sie das allerdings in einer durch das

1 a. a. 0. S. 21 (2o). 5 a. a. 0. S. 51 (47).

2 a. a. 0. S. 49 (45). 3 a. a. 0. S. 23 (zz). 6 a. a 0. S. 52 (48).

4 a. a, 0. S. 49 (45)

Page 106: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ABDRUCK AUS DOGMATIK III 105

mythische Weltbild ihrer Zeit aufs schwerste belasteten und darum für uns unver­bindlichen und praktisch unannehmbaren Weise getan haben. Er, Jesus selber, ist in dieser Geschichte und Zeit faktisch nur im Glauben seiner Jünger auf dem Plan. Die "Selbstkundgabe" des "Auferstandenen" spielt sich in ihnen selbst und nur in ihnen ab. Es geschah nichts zwischen ihm und ihnen; es kam nicht zu einer neuen und in ihrer Neuheit entscheidenden und grundlegenden Begegnung zwischen ihm und ihnen, in der dann ihr Glaube entstanden wäre. Nur sie waren in dieser Zeit. Er war es nicht. Sie waren allein- gewiß mit ihrem auf einmal (was dann "bedeuten" mag: durch die "Tat Gottes") entstanden~n Glauben, mit ihrem auf einmal möglichen und wirklichen Durchschauen des Geheimnisses des Kreuzes -aber allein. Ihr Glaube hatte keinen von seiner eigenen Wirklichkeit verschie­denen Gegenstand, keinen Grund, durch den er als Glaube allererst begründet ge­wesen wäre. Er stand souverän auf sich selber. Die "Tat Gottes" war identisch damit, daß sie glaubten. Und daß es geschah, daß sie glaubten, das ist der wirkliche Inhalt der Ostergeschichte, der Osterzeit, das der Inhalt der christlichen Verkün­digung, der Existenzgrund der Kirche und der Sakramente. Jesus selber war eben nicht auferstanden. In seinem einfältigen, über das alles hinausführenden Sinn ist· dieser Satz nicht zu halten.

Wir rechnen hier damit, daß gerade das Gegenteil richtig ist: Der Satz gÜt gerade in seinem einfältigen Sinn, und so und nicht anders ist er der Zentralsatz des ganzen neutestamentlichen Zeugnisses. Also: Jesus selber ist auferstanden und seinen Jüngern erschienen, und dies ist der Inhalt der Ostergeschichte, der Oster­zeit, des christlichen Glaubens und der christlichen Verkündigung damals und zu allen Zeiten, dies der Existenzgrund der Kirche und ihrer Sakramente, dies -wenn man es so nennen will- das "eschatologische Geschehen" in seiner offen­baren, in der österlichen Gestalt, dies die Tat Gottes - in der- Gott in der Herr­lichkeit seines fleischgewordenen Wortes zunächst dem Unglauben, dann in dessen Überwindung, dem Glauben der Jünger gegenüber trat, so daß sie mit ihrem Glauben nicht allein waren, so daß ihr Glaube durch ihn, in diesem Gegenüber, begründet, geweckt, geschaffen wurde - ihr Glaube, der nun doch erst sekundär darin bestand, daß sich Jesu Sterben und Auferstehen auch in ihrem Leben nach­bildete, gewissermaßen abschattete - primär aber darin, daß sie sich für solche halten und als solche verhalten durften, für die Jesus gestorben und auferstanden war. Er selbst für sie! Darum sind Jesus und seine Jünger im Osterereignis nicht einerlei, sondern zweierlei. Er selbst war mit ihnen in der Zeit: nun auch so, nun auch in dieser Zeit, jenseits der abgelaufenen Zeit seines Lebens von seiner Geburt bis zu seinem Tode, nun auch in dieser Offenbarungszeit. Das ist es, was damals geschehen ist. Wir meinen, daß man den Texten des N. T. höchste Gewalt antun muß, um es anders, um es so wie Bultmann zu sagen. -Aber wir wollen uns der Pi'licht nicht entziehen, über diese Feststellung hinaus kurz zu erklären, warum wir uns durch Bultmanns Darlegung nicht für überzeugt halten können.

Bultmann ist Exeget. Aber ich denke nicht, daß man exegetisch mit ihm dis­kutieren kann, weil er zugleich ein Systematiker von solchem Format ist, daß es

Page 107: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

106 KARL BARTH

wohl kaum einen Text geben dürfte, in dessen Behandlung nicht sofort gewisse Axiome seines Denkens so beherrschend sichtbar werden, daß an der Frage ihrer Gültigkeit schlechterdings alles sich entscheidet. Ich versuche im folgenden eine Stellungnahme zu den in diesem Zusammenhang wichtigsten seiner Axiome:

I. Ist es wahr, daß man einen theologischen Satz dann und nur dann als gültig bejahen kann, wenn er sich als ein echter Bestandteil des christlichen V erständ­nisses der menschlichen Existenz ausweisen kann? Bultmann verwirft den Satz, daß die Auferstehung Jesu in der Zeit und im Raume geschehen sei, darum, weil er dieses Postulat nicht erfüllt. Er erfüllt es in der Tat nicht. Gottes Handeln erscheint ja da "in unverständlicher Weise verflochten mit einem Naturgeschehen" (S. 34)1. Die sämtlichen Hauptsätze des christlichet;l Bekenntnisses erfüllen dieses Postulat auch nicht. Sie beziehen sich wohl alle auf die menschliche Existenz. Sie ermög­lichen und begründen deren christliches Verständnis, und so werden sie denn -abgewandelt -auch zu Bestimmungen der menschlichen Existenz. Sie sind es aber nicht von Haus aus. Sie bestimmen von Haus aus das Sein und Handeln des vom Menschen verschiedenen, des dem Menschen begegnenden Gottes: des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes. Sie sind schon darum nicht auf Sätze über das innere Leben des Menschen zu reduzieren. Und sie sind schon darum auch voll "Natur", voll Kosmos. So auch der Satz von der Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Die anthropologische Enge, in die Bultmann die systematische und mit ihr leider auch die exegetische Theologie verweist, ist ein Erbe von W. Herr­mann und weiter hinauf von Albr. Ritschl und Schleiermacher- ein Erbe, das man mit guten Gründen auch ausschlagen kann, um dann auch gegen die Auf­erstehung Jesu jedenfalls von hier aus keinen grundsätzlichen Einwand haben zu müssen.

2.. Ist es wahr, daß man ein angeblich in der Zeit geschehenes Ereignis dann und nur dann als wirklich geschehen anerkennen kann, wenn man in der Lage ist, nach­zuweisen, daß es ein "historisches Faktum" ist? -"historisch", d. h. feststellbar mit den Mitteln und Methoden und vor allem auch unter den stillschweigenden Voraussetzungen der modernen Wissenschaft? Dies ist Bultmanns Meinung. Er verwirft also den Bericht über die Ge~chichte der vierzig Tage, weil er ihren In­halt, soweit es sich um den lebendigen Jesus und nicht nur um die an ihn glauben­den Jünger handelt, nicht unter die "historischen Fakta" in diesem begrenzten Sinn des Begriffs einzureihen vermag. Er hat darin ganz recht: niemand vermag das. Er hat aber darin nicht recht, er macht damit einen unerlaubten Sprung, wenn er folgert, daß das Berichtete aus diesem Grund nicht geschehen sei. Kann sich nicht auch solche Geschichte wirklich ereignet haben, und kann es nicht eine legitime Anerkennung auch solcher Geschichte geben, die "historisches Faktum" zu nennen man schon aus Gründen des guten Geschmacks unterlassen wird, die der "Historiker" im modernen Sinn des Begriffs gut und gerne "Sage" oder "Le­gende" nennen mag, weil sie sich den Mitteln und Methoden samt den still-

1 a. a. 0. S. 21 (zo).

Page 108: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ABDRUCK AUS DOGMATIK III 107

schweigenden Voraussetzungen dieses Historikers in der Tat entzieht? Es hängt mit dem Sachgehalt der Bibel zusammen, daß sie zwar ein großer zusammen­hängender Geschichtsbericht.und nun doch von Anfang bis zu Ende voll ist von Berichten gerade über solche Geschichte, während sie verhältnismäßig sehr wenig "Historie" enthält. Die Schöpfungsgeschichte Gen. 1-2 z. B. ist ganz und gar solche Geschichte; die Ostergeschichte ist es fast ganz: mit einem schmalen "histo­rischen" Rand. Warum soll sie darum nicht geschehen sein? Es beruht auf einem Aberglauben, daß nur das "historisch" Feststellbare wirklich in der Zeit ge­schehen sein könne. Es könnte Ereignisse geben, die viel sicherer wirklich in der Zeit geschehen sind, als alles, was die "Historiker" als solche feststellen können. Wir haben Gründe, anzunehmen, daß zu diesen Ereignissen vor allem die Ge­schichte von der Auferstehung Jesu gehört. "Sie ist kein historisches Phänomen in dem Sinne der Weltgeschichte; sie ist aber ein geschichtliches Phänomen in <lern Sinne, daß sie sich in der Geschichte verwirklicht." Bultmann sagt das von <ler Kirche (S. 68)1. Eben das ist -in eminentem Sinn- von der Auferstehung J esu zu sagen.

3· Ist es wahr, daß die Feststellung des wirklichen Geschehenseins einer solchen kraftihres Inhalts der "historischen" Feststellung unzugänglichen -sagen wir es denn: einer solchen sagen- oder legendenhaften Geschichte nur den Charakter <les "blinden Akzeptierens" eines Mythologumens und also den Charakter eines Willküraktes, einer Erniedrigung des Glaubens zum Werk, eines abgezwungenen, unwahrhaftigen sacrificium intellectus haben könnte? So verklagt Bultmann (S. 24)2 -hier unter ausdrücklicher Beschwörung des Schattens von W.Herrmann -die, die zum wirklichen Geschehensein der Auferstehung Jesu nun dennoch Ja sagen. Muß man sich das gefallen lassen? Woher soll es denn ausgemacht sein, daß die Botschaft vom auferstandenen Christus durchaus das finstere Gesicht eines Glaubensgesetzes haben müsse, dem man sich, wenn überhaupt, dann nur in einer Art von intellektuellem Krampf unterwerfen könne? Im N. T. selbst jedenfalls hat sie den Charakter einer Freudenbotschaft, der man Glauben schenken darf: den Glauben sogar, den man gerade ihr selbst zu verdanken sich bewußt ist und das wirklich nicht nur darum, weil sie den Leuten damals - des allgemein herr­schenden mythischen Weltbildes wegen- angeblich so vielleichter einging als uns Heutigen. Reichlich "unglaubwürdig" (S. 34)3 scheint die Osterbotschaft ja doch schon damals nicht nur den Gebildeten auf dem Areopag, sondern schon dem ersten Jünger selbst erschienen zu sein. Es ist nicht abzusehen, warum sie nicht auch heute in Freiheit und Freude bejaht werden könnte. Wo sie anders denn als eine Sache der Freiheit und der Freude ausgerichtet wird, da wird sie eben falsch ausgerichtet. Das ist dann aber noch lange kein Grund, sie als eine Sache, die nur unter unwürdigem Gewissenszwang bejaht werden könne, zu verneinen.

4· Ist es wahr, daß es ein "unwiderruflich durch die Wissenschaft geformtes" modernes Denken, ein modernes Weltbild gibt, das dem "mythischen" in der Weise

1 a. a. 0. S. 52 (48). 2 a. a. 0. S. 17 (17). a a. a. 0. S. 21 (zo).

Page 109: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

108' KARLBARTH

entgegengesetzt und überlegen wäre, daß es uns in Sachen unseres Ja und Nein gegenüber den konkreten Inhalten der Bibel zum vornherein und unbedingt zu binden und zu verpflichten vermöchte? Wieder vertritt hier Bultmann die wohl­bekannte, die reichlich humorlose Marburger Tradition, laut derer das erste Gebot der Wahrhaftigkeit unweigerlich darin bestünde, daß man sich in dieser Hinsicht nur ja keine Freiheiten erlauben dürfe. "Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benützen, iri Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des N. T.s glauben" (S. 3 x)l. Wen schauderte da nicht? Aber wenn nun das mo­derne Weltbild in Wirklichkeit gar nicht so abgeschlossen, das moderne Denken so einheitlich gar nicht wäre, wie man es uns einst unter der Diktatur der Marburger Kant-Schule glauben machen wollte? Welche Kritik am N. T. erwächst nun eigentlich (S. 3 z )2 mitNotwendig keit "aus der Situation des modernen Menschen"? Und vor allem: wenn es nun unter bestimmten Voraussetzungen auch für diese und jene Radiobenützer usf. ein Gebot der Wahrhaftigkeit gäbe, das für sie bei allem Respekt vor den Errungenschaften der Ne~zeit noch zwingender wäre als das, sich den Forderungen des neuzeitlichen common sense unter allen und jeden Umständen zu unterziehen? Wenn sie'nun eben- nicht zu einer fides implicita gegenüber irgendeiner "Geister- und· Wunderwelt", wohl aber zum Glauben an den von den Toten auferstandenen Jesus Christus in heiterer Frei­heit rein faktisch Ja sagen dürften, gar nicht anders könnten, als eben dazu Ja zu sagen?

~. Ist es wahr, daß man einen Satz heute schon darum zu verneinen hat, weil er - oder so etwas Ähnliches wie er - auch im mythischen Weltbild der Ver­gangenheit seine Möglichkeit und seinen Ort hatte? Ist es wahr, daß er schon darum für uns nicht wahr sein kann? Ist es nicht eine Art von Katastrophenpolitik, wenn Bultmann uns zumutet, jenes mythische Weltbild entweder ganz oder dann eben gar nicht zu akzeptieren; als ob die Christenheit überhaupt den Auftrag hätte, Weltbilder zu akzeptieren oder zu verwerfen! Als ob sie hinsichtlich der ver­schiedenen Weltbilder nicht aus guten Gründen immer eklektisch gewesen wäre! Wir brauchen uns wirklich mcht auf jenes mythische Weltbild festzulegen. Man sollte aber auch niclit verkennen, daß jenes mythische Weltbild Elemente ent­hielt, von denen die urchristliche Gemeinde, indem sie von Jesus Christus zu zeugen hatte, mit Bedacht und mit gutem Recht Gebrauch machte, während sie in dem, was wir als unser modernes Weltbild zu kennen meinen, mit Unrecht ver­schwunden oder doch zurückgetJ;eten sind, so daß wir allen Anlaß haben, in be­stimmten Zusammenhängen mit bestem Gewissen "mythisch" zu reden, weil wir sonst, wenn wir uns allzu gründlich "entmythologisieren" würden, gerade von Jesus Christus nicht mehr zeugen könnten. Indem Bultmann (S. pf.)3 z. B. den Zusammenhang zwischen Sünde und Tod, den Begriff der Stellvertretung, die Be­ziehung zwischen Tod und Auferstehung als besonders störende und für uns "er-

1 a. a. 0. S. 18 (18). 2 a. a. 0. S. 19 (18). 8 a. a. 0. S. zof. (19f.).

Page 110: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ABDRUCK AUS DOGMATIKIII 109

ledigte" Elemente jenes mythischen Weltbildes bezeichnet, dürfte er doch selbst ein Beispiel dafür sein, wie man einem allzu schneidigen Fertigsein mit dem Ganzen jenes mythischen Weltbildes als Theologe richtig zum Opfer fallen kann. Die "Entstehung des Osterglaubens" in den erst~n Jüngern ist eine gute Sache. Man sollte uns aber nicht einreden wollen, daß das Zeugnis von dieser Sache das ab­handen gekommene "mythische" Zeugnis von dem von den Toten auferstandenen Jesus Christus in angemessener Weise er~etzen könne!

Ich meine damit die entscheidenden Gründe genannt zu haben, weshalb und in welchem Sinn wirtrotz Bultmann dabei bleiben müssen, die Auferstehung Jesu und seine Erscheinung als Auferstandener unter seinen Jüngern als eine wirkliche, zu ihrer besonderen Zeit geschehene Geschichte zu verstehen.

Page 111: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS
Page 112: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

IV DIE RÜCKFÜHRUNG DER DISKUSSION IN DAS GEBIET

DER EXEGESE

Page 113: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS
Page 114: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

CHRIST/AN HARTLICH UND WALTER SACHS

KRITISCHE PRÜFUNG

DER HAUPTEINWÄNDE BARTHS GEGEN BULTMANN1

Barth hat seineKritik an Bultni.ann in fünfPunkten ( vgl. S. I o6-I 09) zusammen­gefaßt, in welchen er diejenigen "Voraussetzungen" von Bultmanns Exegese nam­haft gemacht zu haben meint, die wegen ihrer Unbegründetheit abzulehnen seien. In dieser Art der Gegenargumentation t~;itt exemplarisch el.ne Bultmann~Kritik entgegen, welche es beinahe gefl.is'sentlich vermeidet, in einen kritisch-prüfenden Nachvollzug seiner exegetischen Arbeit und ihrer hermeneutischen Grundsätze einzutreten. Sie konzentriert vielmehr die Bestreitung von Bultmanns Position auf die Bekämpfung sogenannter Voraussetzungen seiner Exegese. Die Kritiker begründen das Recht zu einem solchen Vorgehen mit der Behauptung, der Exeget Bultmann habe bestimmte systematische Voraussetzungen, die für seine Exegese leitend seien und keineswegs anerkannt werden könnten. Wir prüfen nachfolgend die von Barth unter diesem Gesichtspunkt gegen Bultmann er­hobenen Einwände:

Hinsichtlich des ersten von Barth gegen Bultmann erhobenen Vorwurfs, wo­nach dieser seiner Exegese das unbegründete Postulat zugrunde lege, daß man einen theologischen Satz nur dann als gültig bejahen könne, wenn er sich als ech­ter Bestandteil des christlichen Verständnisses der menschlichen Existenz aus­weisen lasse, befindet sichBarthin einem nachweislichen Irrtum. Was er als un­begründetes Postulat der Exegese bei Bultmann finden will, ist in Wahrheit deren Ergebnis. .

Wie schon ein Blick in den methodischen Gang von Bultmanns programma­tischer Schrift über "N. T. und Mythologie" zeigt, geht Bultmann bei seiner Frage nach einer eventuellen existentialen Wahrheit neutestamentlicher mythologischer Vorstellungen in folgender Weise vor :

Bultmann stellt fest, daß im N. T. bis in zentrale Heilsaussagen hinein- vom Standpunkte eines modernen kritischenDenkensaus gesehen -"mythologische" Vorstellungen enthalten sind, d. h. Vorstellungen von Geschehnissen, die Unter der V erahtwortlichkeit eines kritischen Denkens unmöglich als wirklich behauptet werden können, Vorstellungen also, denen sonach keine Wahrheit von diesem Standpunkte aus zugesprochen werden könnte, sofern sie als objektiv-gegen­ständliche Aussagen genommen werden müßten.

Weit entfernt aber, daraufhin a priori zu postulieren, die Bibel müsse daher -wenn anders sie für uns noch von Wahrheitsbedeutung sein solle- in ihren theologischen Aussagen eine Wahrheit von anderer Art enthalten, als diejenige

1 Die folgenden Ausführungen über Barths und Thielickes Stellungnahme zur "Entmytho­logisierung" sind entnommen unserer (noch nicht abgeschlossenen) Aufsatzreihe ,.Einführung in das Problem der Entmythologisierung" in der Kirchlich-theologischen Halbmonatsschrift "Für Arbeit und Besinnung" (Stuttgart Quell-Verlag), 4· Jahrgang 1950, Heft 15/16, 18, 19, 21, 22, 24, und 5· Jahrgang 1951, Heft 15/16, 6. Jalugang 1952, Heft 4 u. 13.

8 Kerygma, Bd. >.

Page 115: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

114 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

ist, welche in objektiv-gegenständlich gemeinten Urteilen ausgesprochen wird, befragt Bultmann vielmehr die als mythologische Rede qualifizierten neutesta­mentlichen Aussagen, ob sie nicht eventuell eine andere Art von Wahrheit ent­halten, welche unabhängig ist von ihrem objektiv-gegenständlichen Charakter.

Seine Beantwortung dieser an die neutestamentlichen Texte gerichteten Frage gründet Bultmann auf folgende, seiner Meinung nach exegetisch erweisliche Tat­bestände:

Erstens: Gewisse neutestamentlich~ Mythologeme (objektiv-gegenständlich betrachtet) stimmen unter sich nicht zusammen in der Weise, daß gewisse Vor­stellungen von Heil und Heilsgeschehen unausgeglichen nebeneinanderstehen, sich teilweise überkreuzen oder sich gar widersprechen1•

Angesichts dieser Tatsache geht Bultmann nach folgendem allgemeinen herme­neutischen Prinzip vor: Liegen in, den Texten eines Autors bezüglich ein- und des~ seihen Gegenstandes und in derselben Hinsicht objektiv genommen unaus­geglichene, sich überkreuzende oder widersfreitende Vorstellungen vor, so ist - wenn die Unausgeglichenheit seiner Vorstellungsweise nicht auf Rechnung verschiedener nachweisbarer Entwicklungsstufen seines Denkens gesetzt werden kann- exegetisch der Versuch zu machen, die Ausführungen des Autors darauf­hin zu befragen, ob seinerseits eine erkennbare Intention vorliegt, die auf etwas ge­richtet ist, für das als solches die Verschiedenheit dieser zueinander unstimmigen oder widerstreitenden Vorstellungen unerheblich ist. Eine solche zu erfragende Intention könnte alsdann nur eine solche sein, die sich im Grunde auf die gegen­ständlichen Gehalte der einzelnen unausgeglichenen Vorstellungen nicht ver­pflichten kann und will. ·

Zweitens: Neutestamentliche Autoren - für Paulus und Johannes meint Bultmann dies in eingehenden Auslegungen nachgewiesen zu haben - durch­brechen den objektiv-gegenständlichen Gehalt ihrer "mythologischen" Vor­stellungen von der Art und Weise des Heils und der Heilsereignisse an entscheiden­den Stellen zugunsten einer existentialen Auffassung derselben, d. h. beide durch­brechen korrigierend ihre objektiv-gegenständlichen Vorstellungsgehalte jeweils dort, wo ein Weiterdenken in der Konsequenz derselben die Auffassung vom existentialen Charakter sowohl des Heils als auch der Heilsgeschehnisse beein­trächtigen oder aufheben würde2.

Drittens: Im N. T. liegt (zumindest in der paulinischen und johanneischen Prä­gung) eine Anschauung vom Glauben als der subjektiven Aneignungsweise des Heils vor, wonach dieser nicht anders wirklich sein kann, es sei denn als existen­tielle Umwandlung des Menschen, im Sinne einer in Verantwortlichkeit zu treffen-

1 V gl. Bultmann in "Kerygma und Mythos" Bd. I (I. A. 1948), S. 2.4, sowie unsere Ausführun-· gen über "Entmythologisierung durch existentiale Interpretation, erläutert an kosmologisch-an­thropologischen Begriffen des Paulus" und "Entmythologisierung durch existentiale Inter­pretation, erläutert an der paulinischen Auffassung vom Heilsgeschehen in Christus", a. a. 0_ 4· Jahrgang, Heft 2.2. bzw. Heft 2.4.

1 V gl. die Hinweise in unseren Anm. I genannten Darlegungen.

Page 116: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

KRITISCHEPRÜFUNGDERHAUPTEINW.ÄNDEBARTHSGEGENBULTMANN 115

den bestimmten Lebensentscheidung. Zeigt es sich, daß zugunsten dieses existen­tialen Moments in der Auffassung vom Glauben gewisse objektiv-gegenständliche Vorstellungen von der Art und Weise des Heils und des Heilsg!!schehens seitens des Autors jeweils dann durchbrochen werden, wenn in ihrer Konsequenz eine Gefährdung des existentiellen Charakters des Glaubens liegen würde, so muß dieses Moment (der existentiellen Entscheidung und der in ihr gesetzten bestimm­ten existentiellen Umwandlung) als dasjenige am Glauben erkannt werden, auf welches die Intention des Autors unbedingt gerichtet ist, währep.d ebenso mit exe­getischem Recht behauptet werden kann, daß der Autor seine objektiv-gegen­ständlichen Vorstellungsgehalte vom Heil und Heilsgeschehen sowie das auf sei gerichtete Fürwahrhalten faktisch auf die Bedingung der Übereinstimmung mit der existentialen Grundintention seiner Anschauung vom Glauben einschränkt - wie aus seinem fortgesetzten und korrigierenden D:urchbrechen der von ihm gebrauchten Vorstellungskomplexe im Dienste der ihn beherrschenden existen­tialen Grundintention seiner Auffassung vom Glauben geschlossen werden muß.

Viertens: Was dem Glauben als existentieller Entscheidung und Umwandlung die inhaltliche Bestimmtheit gibt, ist -wie Bultmann in seiner Analyse der pau H­nischen und johanneischen Glaubensauffassung erhoben zu haben meint- die Verkündigung des Wortes von der unbedingt vergebenden Liebe Gottes als des dem Menschen durch Christus eröffneten Heils,- ein Wort, das vonseitendes Hörers nur im Entweder-Oder von Ja oder Nein, das ist in der Weise einer exi­stentiellen Entscheidung angeeignet oder abgelehnt werden kann, indem er darauf sein Leben als ganzes gründen will oder nicht (so daß schon seine Rückfrage, mit welchem Rechte dies von ihm gefordert wird, seine negative Entscheidung be­deutet). Entscheidet er sich aber in gehorsamer Beugung unter dieses Wort, sein Leben als ganzes auf diese Verkündigung zu gründen, so ergreift er in dieser Ent­scheidung Heil -im Sinne eines Befreitseins zu einem Leben, welches der Not­wendigkeit enthoben ist, der Sünde zu verfallen, eine Notwendigkeit, die darin besteht, sich auf etwas gründen zu müssen, was seitens des Menschen aus dem Bereich seiner Verfügung durch eigene Leistung erbringbar ist.

Angesichts dieser exegetischen Tatbestände meint Bultmann aus den Texten die Frage bejahen zu können, ob im N. T. eine Wahrheit enthalten ist, die ver­schieden ist und unabhängig besteht von der objektiv-gegenständlichen Wahrheit seiner Aussagen über die Wirklichkeit von Heilsgeschehnissen, wie sie vom Stand­punkte eines modernen kritisch-verantwortlichen Denkens als mythologisch an­zusprechen sind.

Ist nämlich in der Auffassung der genannten neutestamentlichen Autoren der Glaube als die Aneignungsweise des Heils von existentialem Charakter und emp­fängt erals solcher seine Bestimmtheit durch das verkündigte Wort, sofern und soweit dieses existentiale Bedeutsamkeit hat (d. h. kraftseines Inhaltes eine neue Existenz in dem umrissenen Sinne begründet und ermöglicht), ist ferner die exi­stentiale Auffassung sowohl des Glaubens als auch der Verkündigung erwiesen als die diese neutestamentlichen Autoren unbedingt leitende Grundintention, so

8*

Page 117: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

116 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS'

folgt daraus die grundsätzliche Ablösbarkeit der in ihren Aussagen mitenthaltenen Behauptungen über das Wirklichgeschehensein bestimmter Heilsereignisse von der existentialen Bedeutsamkeit derselben.

Treten jetzt ~ infolge geänderter geistesgeschichtlicher Situation -die beiden b~i den neutestamentlichen Autoren noch ung!!schieder. enthaltenen Momente ihrer Aussagen in Widerstreit, nämlich so, daß das Fürwirklichhalten von als my­thologisch anzusprechenden Heilsgeschehnissen mit der existentiellen Aneignung der Verkündigung sich als unvereinbar erweist, so ist die Frage, wie im Sinne der neutestamentlichen Autoren dann entschieden werden muß, nach Bultmann mit exegetischem Recht dahingehend zu beantworten, daß im Sinne ihrer existentialen Grundintention alsdann das Fürwirklichhalten solcher Heilsgeschehnisse kritisch eliminiert werden kann und muß zugunsten des unbedingt festzuhaltenden exi­stentialen Charakters der Verkündigung und des Glaubens als deren existentieller Aneignungsweise - und dies auch dann, wenn ein solcher Widerstreit nicht in das Bewußtsein dieser Autoren selbst getreten ist bzw. treten konnte;

Zugleich wird begreiflich, wie Bultmann immer wieder betonen kann, daß der Maßstab dieser seiner kritischen "Entmythologisierung" durchaus ein neutesta­mentlicher sei, nämlich der existentialen Grundintention der neutestamentlichen Autoren selbst entnommen ist und daher keinesfalls von außen gewaltsam ihren Texten aufgezwungen wird.

Wer die Problemstellung Bultmanns unter diesem Gesichtspunkt durchdenkt, bemerkt schon hier, daß zwar Bultmanns Frage nach der Entmythologisierbarkeit des neutestamentlichen Kerygmas durch die bestimmte geistesgeschichtliche Situa­tion des modernen Denkens veranlaßt und ausgelÖst ist, die Grundlage ihrer p~­sitiven Beantwortung aber in der existentialen Grundintention der neutestament­lichen Autoren selbst gesetzt ist, -kurz: die Entmythologisierung des neutesta­mentlichen Kerygmas auf dem Wege kritischer existentialer Interpretation ist mög­lich, weil das Kerygma selbst im Grunde unmythologisch und existential gemeint ist.

Daß sich aber Glauben im Sinne des Fürwirklichhaltens von in Raum und Zeit geschehenen mythologischen Heilsereignissen und Glauben als existentielle Ati­eignungsweise des Heils widerstreiten, ist in der Tat Bultmanns Meinung. Über seine Begründung dafür wird im Eingehen auf die darauf bezüglichen Einwände Barths noch zu handeln sein.

Soviel haben indessen .unsere Darlegungen bereits erbracht: Der von Barth gegen Bultmann erhobene Vorwurf, er lege seiner Exegese unbegründeterweise das Postulat zugrunde, wonach ein Satz nur dann als theologischer anerkannt werden könne; wenn er sich als ein echter Bestandteil des christlichen V erständ­nisses der menschlichen Existenz ausweisen lasse, besteht keinesfalls zu Recht. Hat Bultmanns Exegese darin recht, daß die existentiale Grundintention in der Auf­fassung von Kerygma und Glaube bei den genannten neutestamentlichen Autoren unbedingt leitend ist, so kann er auch mit exegetischem Recht behaupten, daß im Sinne dieser neutestamentlichen Autoren ein Satz nur dann als theologisch anzu­erkenn~n sei, wenn er die existentiale Wahrheit und existentiale Objektivität der

Page 118: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

KRITISCHE PRÜFUNG DER HAUPTEINW ÄNDEBARTHS GEGEN BULTMANN 117

neutestamentlichen Verkündigung z~m Ausdruck bringt, d. h. zum Ausdruck bringt, daß und wie der Hörer seine Existenz zu verstehen habe. WiU also Barth diese Ansicht Bultmanns bestreiten, so muß er von seiner Meinung abgehen. Bult­mann nicht auf das Feld der Exegese folgen zu brauchen. Zugleich wird deutlich, welch befremdliches Mißverständnis Barth unterläuft, wenn er Sätze, die den nach Bultmanns Ansicht exegetisch nachgewiesenen existentialen Charakter der Ver­kündigung und ihrer Aneignung seitens des Menschen aussprechen, als Sätze übet das "innere Leben" des Menschen mißdeutet. Barth deutet hier die existen­tiale Wahrheit und existentiale Objektivität des Wortes zur bloßen Subjektivität von Erlebnissen um. Der Hörer des Wortes aber, der sich im Angesicht der Ver­kündigung von der. unbedingt vergebenden Liebe Gottes durCh Christus zur Wahrheit eines darauf gegründeten Lebens entscheidet, gründet sich auf ein ver­bum externum - freilich nicht im Sinne von für wirklich zu haltenden Heil­ereignissen, sondern auf ein ihm geschenktes W ott, das er nicht aus sich selbst er­zeugt, sondern das ihm in freier Gnade zugesprochen ist.

Wir gehen nunmehr auf den zweiten Einwand Barths ein, in welchem er Bult­mann vorwirft, dieser mache zu Unrecht die von der modernen historischen Wissenschaft entwickelten Kriterien für die Feststellung der Wirklichkeit von raumzeitlichen Ereignissen zu Kriterien der Wirklichkeit solcher Ereignisse über­haupt. Demgemäß müsse Bultmann das Wirklichgeschehensein eines Ereignisses z. B. von der Art der Auferstehung Jesu leugnen, weil dessen Wirklichkeit nach den erstgenannten Kriterien nicht unter die "historischen Facta" eingereiht wer­den könne.

Barth gesteht Bultmann ohne weiteres zu, daß die Auferstehung kein "histo­risches Faktum" sei. Das Ereignis der Auferstehung -so meint er -ist mit den ·Mitteln und Methoden der historischen Wissenschaft nicht feststellbar. Dem zu Trotz will jedoch Barth die Auferstehung als einen in Zeit und Raum wirklich geschehenen Vorgang anerkennen. Als Begründung führt Barth an: "Kann sich nicht auch solche Geschichte wirklich ereignet haben? --Es könnte Ereignisse geben, die viel sicherer in der Zeit geschehen sind als alles, was die Historiker als solche feststellen können" (oben S. 107).

Barth führt also gegen Bultmann die M öglicltkeit des Wirklichgeschehenseins der Auferstehung ins Feld.

Was versteht hier Barthunter Möglichkeit? Auch der Historiker fällt ja Mög­lichkeitsurteile, etwa vom Typ: Es ist möglich; daß Paulus in Spanien gewesen ist. Die quellenmäßige Überlieferung reicht zwar nicht hin zu dem assertorischen Ur­teil: Paulus ist in Spanien gewesen. Immerhin gibt es aber in der Überlieferung Hinweise, die die Möglichkeit einer Reise des Apostels nach Spanien nicht völlig ausschließen. Der Historik~;r bestimmt den Grad der Wahrscheinlichkeit der Reise nach den Regeln der historischen Kritik aus dem Quellenbefund und stellt dieses sein Urteil unter die Bereitschaft, es gegebenensfall (z. B. beim Auffinden neuer Quellen) zu revidieren. Wenn jemand auftreten würde mit der Behauptung: Ich glaube, daß der Apostel Paulus in Spanien gewesen ist, so muß er entweder in der

Page 119: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

118 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

Lage sein, dafür hinreichende Gründe beizubringen, oder er verstößt gegen die­jenige· Verantwortlichkeit, welche jeder sinngemäß übernimmt, der Wirklichkeits­urteile von dieser Art fällt, d. h. er urteilt in verantwortungsloser Willkür.

Indem Barth die Möglichkeit des Wirklichgeschehenseins der Auferstehung Bult­marin gegenüber ins Feld führt, will er aber offenbar nicht die mit den Mitteln und Methoden des Historikers feststellbare· Möglichkeit der Auferstehung zur Geltung bringen - denn damit würde ja auch er noch im Felde der historischen Wissenschaft operieren, deren Zuständigkeit in dieser Frage er doch ausdrücklich abweist.

Abgesehen von der historischen Möglichkeit in dem eben ausgeführten Sinne kann Barth mit "Möglichkeit" der Auferstehung dann nur die Denkbarkeif ihrer Wirklichkeit meinen: Es ist denkbar, daß die Auferstehung Jesu sich in Raum und Zeit ereignet hat, so wie es denkbar ist, daß Elia in einem feurigen Wagen genHimmelgefahren ist und Jona sich drei Tage im Fischbauch aufgehalten hat. Das heißt: Setze ich in Gedanken die bekannten Regeln der Naturerfahrung in diesen besonderen Fällen außer Kraft, so kann ich mir ihr Wirklichgeschehensein ohne Widerspruch denken.

Aber ein anderes ist es, die Möglichkeit des Wirklichgeschehenseins dieser Er­eignisse zu denken, ein anderes, die Wirklichkeit ihres Wirklichgeschehenseins zu behaupten. Denn offensichtlich gibt die bloße Denkmöglichkeit der Wirklichkeit eines Ereignisses in Raum und Zeit noch keinen hinreichenden Grund ab für die Behauptung seines Wirklichg( schehenseins. Vielmehr bedarf eine solche Wirklich­keitsbehauptung zu ihrer Begründung eines mehreren als der bloßen Möglich­keit, ein solches Ereignis unter gewissen Bedingungen als wirklich geschehen denken zu können.

Wenn also Barth immer wieder gegen Bultmann darauf insistiert, daß das Er­eignis der Auferstehung in Zeit und Raum geschehen sein könnte, und damit nichts anderes ins Feld führt, als daß es denkbar ist, daß die Auferstehung in Zeit und Raum wirklich geschehen sei, so verfehlt er augenscheinlich den eigentlichen Streitpunkt. Nicht die Denkmöglichkeit des Wirklichgeschehenseins "mytho­logischer" Ereignisse steht zwischen ihm und Bultmann in Frage, sondern die hin­reichende Begründbarkeit de_r Behauptung von der Wirklichkeit so gearteter Ge­schehnisse.

Daß man für die Behauptung des Wirklichgeschehenseins eines Ereignisses über die bloße Denkbarkeit desselben hinaus Gründe haben muß, scheint auch Barth zu empfinden, wenn er gegen Schluß seiner Auseinandersetzung mit Bultmann erklärt: "Wir haben Gründe ... " (oben S. 107). Er hätte diese Gründe anführen müssen, um seine Behauptung, daß die Auferstehung Jesu ein in Zeit und Raum wirklich geschehenes Ereignis sei, begründen zu können - die bloße Versiche­rung, er habe solche Gründe, genügt nicht:

Es bleibt also in dieser Hinsicht bei der immer wieder von Bultmann ausge­sprochenen Bitte, Barth möge endlich über seinen Begriff von Wirklichkeit bzw. von Geschichte Rechenschaft ablegen. Denn auch schon die Behauptung, die Auf-

Page 120: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

KRITISCHEPRÜFUNGDERHAUPTEINWÄNDEBARTHSGEGENBULTMANN 119

erstehung sei ein Ereignis von einer prinzipiell anderen Art raumzeitlicher Wirk­lichkeit, als die ist, welche mit den Mitteln und Methoden der historischen Wissen­schaft festgestellt werden kann, bedarf zu ihrer Begründung wiederum mehr als der bloßen Denkmöglichkeit einer solchen Wirklichkeit anderer Art - nämlich hinreichender Gründe für die Behauptung der Wirklichkeit einer solchen Art von

Solange also Barth hinsichtlich der Auferstehung Jesu als .eines in Zeit und Wirklichkeit. Raum geschehenen Ereignisses Wirklichkeitsurteile fällen will, muß er denjenigen Bedingungen Genüge leisten, unter denen sinngemäß Wirklichkeitsurteile als solche stehen h. d. die Mittel und Methoden angeben, mittels welcher solche Ur­teil ihre hinreichende Begründung finden können. Alle Unterscheidungsversuche von Historie und Geschi~hte (Metahistorie, Übergeschichte, dogmatische Facta u. dgl.) helfen hier nicht weiter, sondern verdecken nur den schwachen Punkt, daß hier die Wirklichkeit von Ereignissen in Raum und Zeit behauptet werden soll ohne hinreichende Begründung, wie sie von seiten eines verantwortlichen Denkens gefordert ist.

Auch G. Bornkamm bemerkt, daß Barth dem Ernst und Gewicht von Bultmanns Ein­wänden gegen die Aufstellung von unbegründeten Wirklichkeitsbehauptungen hinsichtlich "mythologischer" Geschehnisse nicht gerecht wird, wenn er nichts anderes dagegen geltend machen kann als die bloße Denkmöglichkeit der behaupteten Wirklichkeit: "Ich hoffe, Karl Barth darin mißverstanden zu haben. Denn darüber sollte doch kein Dissensus möglich sein, daß sich bei aller Bereitschaft zu einer echten Distanz zur Welt und also auch zu Wissenschaft und Weltbild der nun doch bestehende Ernst der Bultmannsehen Frage nicht durch die un­bekümmerte Gegenfrage erledigen läßt: Warum eigentlich nicht?" (G. Bornkamm in ,My­thos und Evangelium' [ = Theologische Existenz heute. N. F. Nt. 26]. S. 20/21 Anm.).

Bultmaiins Auffassung geht also dahin, daß, wer eine bestimmte Wirklichkeits­behauptung aufstellt oder nachvollzieht, dabei hinreichende Gründe haben muß, die die Wirklichkeitsbehauptung als solche begründen. Wird eine Wirklichkeits­behauptung ohne solche Gründe vollzogen (etwa unter der Forderung.eines "or­thodoxen" Glaubensbegriffes), so kann dies nur in Willkür geschehen, und das heißt: entweder in Selbsttäuschung oder in Unwahrhaftigkeit oder in bewußtem Opfer der Verantwortlichkeit im Bereich des Denkens und Urteilens. In jedem Falle ist ein derartiges Wirklichkeitsurteil willkürlich, d. h. ohne sachlich hin­reichende Gründe vollzogen, welche es zwingend machen. Es erfolgt in Selbst­täuschung, wenn derjenige, der ein derartiges Urteil fällt, sich über die Verant­wortlichkeit nicht im klaren ist, die sinngemäß jeder hinsichtlich der Begründung übernimmt, sofern er ein solches Wirklichkeitsurteil aufstellt. Unwahrhaftigkeit seitens der Urteilenden liegt dann vor, wenn er im Bewußtsein und unter grund­sätzlicher Anerkennung solcher Verantwortlichkeit sich ihrer im besonderen Falle dieses seines Urteiles entschlägt und seine Wirklichkeitsbehauptung im Bewußtsein ihrer unzureichenden Begründung aufstellt. Als ein sacrificium intellectus voll­zogen erfolgt ein Wirklichkeitsurteil unter ausdrücklicher Aufgabe dessen, was die Verantwortlichkeit im Bereich des Denkens hinsichtlich der Begründung dieses bestimmten Wirklichkeitsurteiles erfordert.

Page 121: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

120 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

All dies bestreitet Barth in seinem dritten Einwurf gegen Buhmann. Barth meint, das Urteil über das Wirklichgeschehensein der Auferstehung Jesu als eines in Zeit und Raum erfolgten Ereignisses trotz seiner Unbegründbarkeit mit den

' Mitteln und Methoden der Historie ."in Freiheit und Freude" nachvollziehen zu können, ohne dabei einem "Willkürakt" oder einem "abgezwungenen, unwahr­haftigen sacrificium intellectus" zu verfallen.

Darauf kann nur geantwortet werden, daß Barth sich hier in einer Selbst­täuschung befindet. Ist einmal erkannt, was an objektiv hinreichender Begründung zum Vollzug einer Wirklichkeitsbehauptung erforderlich ist, so vermag keine wie immer sonst motivierte Willensbereitschaft als Ersatz für fehlende Gründe ein­zutreten. Der Entschluß, sich einer Begründung und damit der Verantwortlich­keit meines Urteilens zu entschlagen und ihr zum Trotze eine unbegründete Wirk­lichkeitsbehauptungder genannten Art aufzustellen, fÜhrt alsdann nie und nimmer zu einem in Wahrhaftigkeit vollziehbaren Wirklichkeitsurteil, sondern nur zur willkürlichen Ignorierung meiner Denkverantwortlichkeit in dieser Hinsicht. Wird aber eine Glaubensauffassung statuiert, die vom Glaubenden den Entschluß ver­langt, gerade die Verantwortlichkeit des Denkens und das, was ihr zufolge zur Wahrheit eines Wirklichkeitsurteiles an Begründung erforderlich ist, willentlich außer acht zu lassen -zugunsten eines unbegründeten (also "blinden") Nachvoll­zugs bestimmter in der Bibel vorliegender Wirklichkeitsbehauptungen, so ist da­mit auch das Recht aufgegeben, überhaupt noch von der Wahrheit solcher Urteile bzw. von der Wirklichkeit dessen zu sprechen, was in ihnen behauptet wird. Denn die Ausdrücke "Wahrheit" bzw. "Wirklichkeit", mit Bezug auf Wirklichkeits­urteile gebraucht, verlieren abgelöst von den Bedingungen der Wahrheit von Ur­teilen, nämlich abgelöst von ihrer Begründung, den Sinn, den der Urteilende im Wahrheitsanspruch seines Wirklichkeitsurteils gerade setzt.

Man beachte die Struktur der "Begründung", mittels deren Barth die Wirklichkeit der Ereignisse der vierzig Tage bzw. die Wahrheit seiner Urteile darüber stützen will. Er meint: es ist denkbar, daß diese Geschehnisse wirklich seien, auch wenn wir mit unseren Mitteln und Methoden sie als solche nicht feststellen können, bzw. er meint: es ist denkbar, daß die Urteile über die Wirklichkeit dieser Ereignisse wahr sind, auch wenn wir mit den uns-ver­fügbaren Mitteln ihre Wahrheit nicht erweisen können. Statt aber richtig daraus zu folgern, daß wir aus solchen Denkmöglichkeiten weder behaupten dürfen, daß die fraglichen Ereig­nisse geschehen seien, noch daß sie nicht geschehen seien, bzw. nur behaupten dürfen, daß die Urteile darüber sowohl wahr als falsch sein können, will Barth daraus schließen, daß diese. Ereignisse wirklich geschehen sind bzw. daß die Urteile darüber wirklich wahr sind. Er ver­deckt hierbei den Punkt, auf den es eigentlich ankommt. Nicht das ist der springende Punkt zwischen ihm und Bultmann, daß es wirkliche Geschehnisse geben kann, die wir nicht fest­stellen können, bzw. daß es wahre Urteile über deren Wirklichkeit geben- kann, die wir als wahr nicht erweisen können, sondern es handelt sich allein darum, ob wir das Recht haben, denkmögliche Ereignisse, deren Wirklichkeit wir nicht feststellen können, als wirklich zu behaupten bzw. Urteile darüber, die wahr sein können, als wahr zu behaupten, obwohl wir sie nicht begründen könrien. Diese Leistung, für uns unfeststellbare Wirklichkeit als wirklich zu behaupten bzw. für uns unbegründbare Wahrheit als wahr zu behaupten, gehört für Barth offenbar zum Wesen des Glaubens. Bemerkenswert dabei ist, daß Barth den Glauben am Wissen orientier~, und zwar sowohl hinsichtlich der Art seiner Gegenständlichkeit als

Page 122: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

KRITISCHEPRÜFUNGDERHAUPTEINWÄNDEBARTHSGEGENBULTMANN 121

auch hinsichtlich der spezifischen Leistung desselben. Durch diese Orientierung des Glaubens am Wissen erscheint der Glaube als defizienter Modus des Tatsachenwissens (seine Gegen­stände sind mit unseren Mitteln und Methoden nicht feststellbar, aber grundsätzlich von der­selben Art wie die des Wissens: Tatsachen, zeiträumliche Geschehnisse -die Ereignisse der vierzig Tage, wie Barth sie auffaßt); die eigentliche Leistung des Glaubens ist also für Barth die, daß er in irgendeiner Weise die vom Standpunkte des Wissens fehlenden "Gründe" er­setzt. Ganz einfach: Gilt für das Wissen der Satz a posse ad esse non valet consequentia, so besteht nach Barths Ansatz die Valenz des Glaubens gerade darin, daß er sich von der bloßen Denkmöglichkeit zur Wirklichkeitsbehauptung erhebt. Ist Barth sich darüber im klaren, daß der so eingeschlagene Weg ihn festlegt: Sind die Gegenstände des Glaubens für uns unfest­stellbare Tatsachen, die Urteile des Glaubens für uns unbegründbare Wahrheiten, so müssen sich in weiterem Fortgang auch die von Barth hier nicht bezeichneten Gründe des Glauben.s von daher als in ihrem Charakter bestimmt erweisen und zu einer fides auctoritatis in de~ Sinne führen, daß wir an das Besserbegründetsein der Urteile anderer- der Evangelisten­-"glauben". Was kann das aber heißen? Soll alsdann der "Glaube" wiederum von der bloßen Denkmöglichkeit des Besserbegründetseins der Wirklichkeitsurteile der Evange­listen in einem unmöglichen Schluß zur Behauptung des tatsächlichen Besserbegründetseins derselben überspringen?- Dieser Sprung ist hier so wenig möglich wie in den oben auf­gewiesenen Fällen.

Wie könnte alsoBarthin diesem Zusammenhange von "Freiheit und Freude" sprechen, wenn er sich im klaren wäre, was die Verantwortlichkeit des Urteilens erheischt und was es bedeutet, ihr zuwider zu urteilen und zu leben! Empfindet Barth -so muß man hier rückfragen -gar nicht die Verantwortlichkeit im Be­reiche des Urteilens und die moralische Tragweite ihrer willkürlichen Aufgabe, oder enthält seine Auffassung des Glaubens als wesentliches Moment nicht doch gerade das willkürliche Sichentschlagen dieser Verantwortlichkeit? Im ersteren Falle können ihm in dieser Haltung alle diejenigen gewiß nicht in Freiheit und Freude folgen, die sich der Verantwortlichkeit ihres Denkens und Urteilens be­wußt sind; im letzteren Falle aber muß gefragt werden, ob eine Glaubensauf­fassung, die dieses sacrificium intellectus einschließt, wirklich die des N. T.s ist. Diese Frage aber kann nicht dogmatisch vorentschieden werden, sondern ist nur aus dem exegetischen Befund zu beantworten. Wie oben gezeigt, bestreitet Bult­mann aber die exegetische Richtigkeit einer Glaubensauffassung, die ein sacri­ficium intellectus dieser Art einschließt.

So steht also hier der Dogmatiker gegen den Exegeten. Ihr Streit kann somit ·wiederum nur auf dem Boden der richtigen Exegese entschieden werden. Wie überhaupt i.n einer Kirche, die sich auf das Wort gründet, eine Entscheidung dar­über, was Wahrheit oder Irrtum ist, ·nur im Rückgang auf die Schrift erfolgen kann -eine Verpflichtung, an die in der Auseinandersetzung um Bultmann nicht oft und nachdrücklich genug erinnert werden kann.

So sehr Bultmann mit Barth darin übereinkommt, daß die Botschaft von der Auferstehung Jesu auch heute in "Freiheit und Freude" bejaht werden kann, so sehr bestreitet er, daß es eine exegetisch richtige Verkündigung der Botschaft von der Auferstehung Jesu sei, wenn sie in Einheit mit der Forderung der Preisgabe der Verantwortlichkeit des Urteilens erfolge.

Page 123: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

122 CHRISTIAN HARTLICH UND W ALTER SACHS

Wie Bultmann meint exegetisch gezeigt zu haben, ist eine Glaubensauffassung schriftwidrig, die zur Suspension der Verantwortlichkeit des Denkens auffordert. Demgemäß bestreitet er, wie oben bereits ausgeführt, auch das exegetische Recht einer Auffassung der Botschaft, die das dem christlichen Kerygma eigentümliche Skandalon in die Gegensätzlichkeit zu den Erfordernissen setzt, die mit Verant­wortlichkeit und Wahrhaftigkeit des Denkens in bezug auf Wirklichkeitsurteile gegeben sind. Was der richtig verstandenen Botschaft gemäß Gott vom Menschen an Selbstpreisgabe fordert, hat mit bewußt unkritischen, verantwortungslosen Wirklichkeitsbehauptungen nichts zu tun. Der Hinweis darauf aber -und damit fassen wir bereits den vierten Einwand Barths ins Auge -, daß doch in neutesta­mentlichen Texten offensichtlich solche Wirklichkeitsurteile vorliegen, die von einem verantwortungsbewußten Denken heute nicht nachvollzogen werden können, reicht gewiß nicht hin, eine Auffassung vom Glauben exegetisch zu be­gründen, der zufolge die bewußt-unkritische Übernahme solcher Urteile zum Wesen des Glaubens gehören soll.

Im Gegenteil: Damit erhebt sich erst das exegetisch zu lösende Problem. Gehört einerseits kritische Verantwortlichkeit in der Begründung von Wirklichkeitsur­teilen zur Wahrhaftigkeitsverpß.ichtung unseres Denkens, so daß jede unkritische Naivität in Urteilen, die sich der Verpflichtung zu ihrer hinreichenden Begründung

I . nicht bewußt ist, ein für allemal unmöglich geworden ist, und läßt sich anderer-seits dartun, daß gerade solche unkritische Unbewußtheit im Vollzuge von Wirk­lichkeitsurteilen in biblischen Zusammenhängen gang und gäbe ist, so muß die Frage unausweichlich werden: ob der Intention der neutestamentliche!?- Glaubens­auffassung entsprochen ist, wenn nunmehr -nachdem diese Naivität unkritischer Unbewußtheit im Verlaufe der geschichtlichen Fortentwicklung des Denkens ver­loren und der Verlust als solcher erkannt ist -an ihre Stelle eine bewußte Unkritik gesetzt und gefordert wird. Das letztere tut die "orthodoxe" Glaubensauffassung, die einen Glaubensbegriff als schriftgemäß behauptet, der -was den Nachvollzug bestimmter biblischer Wirklichkeitsurteile angeht- den bewußten V erzieht auf die Erfordernisse verantwortlichen Denkens und damit der W ~hrhaftigkeit verlangt.

Zur Behauptung der Schriftgemäßheit einer solchen Glaubensauffassung muß bemerkt werden, daß die neutestamentlichen Autoren einen solchen bewußten Verzicht auf die Verantwortlichkeit des Urteilens weder vollzogen noch gefordert haben; denn wer noch in unkritischerUnbewußtheit bezüglich' der Notwendigkeit der hinreichenden Begründung von Wirklichkeitsurteilen lebt, kann einen solchen V erzieht in dieser Hinsicht weder vollziehen noch fordern.

Solche unkritische Unbewußtheitaber ist das Kennzeichen eines Lebens im Mythos. Mythisches Denken in seinem Unterschiede zum modernen wird primär nicht' be­stimmt durch den Inhalt der Vorstellungen, deren Gegenstände für wirklich gehalten werden, sondern durch den unbewußt-unkritischen Charakter, in dem dieses Fürwirk­lichhalten vollzogen wird!. Imgleichen ist "modernes wissenschaftliches Denken"

1 Der unbewußt-unkritische Charakter biblischer Wirklichkeitsurteile als Kennzeichen des Mythischen wurde schon rund ein halbes} aluhundert vor D. F. Strauß in der ,.Mythischen Schule"

Page 124: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

KRITISCHE PRÜFUNG DERHAUPTEINWÄNDE BARTHS GEGEN BULTMANN 123

nicht durch den Inhalt dessen gekennzeichnet, was in ihm über Natur und Welt geurteilt wird, sondern dadurch, daß kein Urteilen über diese Gegenstände Gel­tung beanspruchen darf, das nicht den Erfordernissen hinreichender Begründung genügt. Man verkennt den eigentlichen Differenzpunkt zwischen "mytho­logischem" und "modernem" Denken, wenn man die Inhalte der verschiedenen Weltbilder gegeneinander setzt und dabei darauf hinweist, daß das "moderne Weltbild" in gewisser Hinsicht "uneinheitlich", "unabgeschlossen" oder gerade heute in gänzlicher Umbildung begriffen sei. Datum geht es nicht; sondern der unüberbrückbare Unterschied zwischen modernem und mythischem Denken liegt in der Verschiedenheit von unbewußt-unkrittschem und bewußt-kritischem Ur­teilen -mögen auch die Ergebnisse, zu denen beispielsweise die moderne Natur­wissenschaft (wohlgemerkt auf Grund bewußt-kritischen Urteilens) kommt, inner­halb weniger Jahre wechselnde sein. Die einander ablösenden weltbildliehen Vor­stellungen der modernen Wissenschaft erheben sich als Hypothesen auf dem Grunde der kritischen Verantwortlichkeit des Denkens.

Damit ist der Sache nach auch der vierte Einwand Barths beantwortet. Er fragt: "Ist es wahr, daß es ein unwiderruflich durch die Wissenschaft geformtes moder­nes Denken, ein modernes Weltbild gibt, das dem ,mythischen' in der Weise ent­gegengesetzt und überlegen wäre, daß es uns in Sachen unseres Ja undNein gegen­über den konkreten Inhalten der Bibel zum vorhinein und unbedingt zu binden und zu verpflichten vermöchte? Wieder vertritt hier Bultmann die wohlbekannte, die reichlich humorlose Marburger Tradition, laut derer das erste Gebot der Wahrhaftigkeit unweigerlich darin bestünde, daß man sich in dieser Hinsicht nur ja keine Freiheiten erlauben dürfe" (oben S. 1o7f.).

In der Tat: es ist wahr, daß es ein "unwiderruflich durch die Wissenschaft ge­formtes" modernes Denken gibt in dem Sinne, daß keine Wirklichkeitsurteile mehr Geltung beanspruchen können, denen eine hinreichende Begründung mangelt. Diese Forderung ist keine humorlose Besonderheit der Marburger Schule, sondern ein Gebot der Verantwortlichkeit und Wahrhaftigkeit des Denkens, von der man sich allerdings keine Freiheit erlauben darf (es sei denn in der Weise des Humors, der schon als solcher keine Verbindlichkeit beansprucht).

Nicht wahr aber-geradeauch nach Bultmann -ist es, daß es ein modernes Welt­bild gibt, das dem mythischen in der Weise entgegengesetzt und überlegen wäre, daß es uns in Sachen unseres Ja und Nein gegenüber den konkreten Inhalten der Bibel z~m vorhinein und unbedingt zu binden und zu verpflichten vermöchte. Als grundsätzlich kritisches kennt das neuzeitliche Denken keine unbedingte Ver­pflichtung zum vorhinein auf ein inhaltlich bestimmtes Weltbild. Es wird daher im modernen Denken auch nicht das moderne Weltbild in seiner inhaltlichen Be­stimmtheit dem biblischen axiomatisch vorgeordnet, sondern allein seiner besseren Begründetheit wegen vorgezogen. Bündig ist also Barths Frage: "Welche Kritik

der Eichhorn, Gabler und G. L. Bauer erkannt. Vgl. unsere demnächst im Verlag von Mohr (P. Siebeck), Tübingen, erscheinende Untersuchung über den "Ursprung des Mythosbegriffes in der neueten Bibelwissenschaft".

Page 125: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

124 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

am N.T. erwächst nun eigentlich mit Notwendigkeit aus der Situation des mo­dernen Menschen?" dahingehend zu beantworten: Diejenige Kritik, die sich mit Notwendigkeit aus der Unbegründetheit biblischer Wirklichkeitsurteile ergibt. Was somit den Vorwurf unbegründeter Voraussetzungen Bultmanns anbetrifft, so folgt aus dem Dargelegten: Bultmann setzt (allerdings unmythisch und modern) nichts anderes voraus als kritische Verantwortlichkeit und Wahrhaftigkeit hin­sichtlich der Begründung von Wirklichkeitsurteilen. Diese Voraussetzung als einen "neuzeitlichen common sense" bezeichnen, heißt doch wohl ihren Ernst verkennen,

Was zum fünften Einwand Barths noch zu sagen bleibt, ist nur Folgerung aus dem bereits Dargelegten. Dieser -wiederu01 in Form einer Frage vorgebrachte­Binwand lautet in seinem hauptsächlichsten Stücke: "Ist se wahr, daß man einen Satz heute schon darum· zu verneinen hat, weil er - oder so etwas Ähnliches wie er -auch im mythischen Weltbild der Vergangenheit seine Möglichkeit und seinen Ort hatte? Ist es wahr, daß er schon darum nicht wahr sein kann? Ist es nicht eine Art von Katastrophenpolitik, wenn Bultmann uns zumutet, jenes mythische Weltbild entweder ganz oder dann eben gar nicht zu akzeptieren? Als ob die Christenheit überhauJt den Auftrag hätte, Weltbilder zu akzeptieren oder zu ver­werfen! Als ob sie hinsichtlich der verschiedenen Weltbilder nicht aus guten Gründen immer eklektisch gewesen wäre! Wir brauchen uns wirklich nicht auf jenes mythische Weltbild festzulegen! ... " (oben S. 1o8).

Dazu ist zu sagen, daß diese Einwände Bultmann gar nicht treffen. Wie dar­gelegt, wird ein "Satz" von Bultmann nicht deshalb als "mythologisch" charakte­risiert und verworfen, "weil er. im mythischen Weltbild der Vergangenheit seine Möglichkeit und seinen Ort hatte", sondern allein deshalb, weil er ein Wirklich­keitsurteil ohne zureichende Begründbarkeit enthält. Dieses Erfordernis hin­reichender Begründbarkeit, welches aus der Verantwortlichkeit des Denkens ent­springt, ist allein und ausschließlich das Kriterium für die Möglichkeit der An­erkenntnis eines jeden Satzes dieser Art - mag dieser Satz seinerseits im Rahmen eines vergangeneo mythischen oder des gegenwärtigen wissenschaftlichen Welt­bildes seine Stelle haben. Es ist keine Katastrophenpolitik Bultmanns, sondern nur strenge Konsequenz des Denkens, wenn er darauf hinweist, daß, wer diese Be­dingung der hinreichenden Begründbarkeit von Wirklichkeitsurteilen an einem Punkte aufgibt, sie damit überhaupt aufgibt und daß, wer sieatt einem Punkte anerkennt, sie in allen aufrecht erhalten muß. Der auch von anderer Seite. immer wieder gegen" Bultmann erhobene Vorwurf, daß er sich einseitig auf ein be­stimmtes "modernes" (oder vielleicht schon nicht mehr modernes) Welt bild fest­lege, ist also gegenstandslos. Bultmann legt sich auf gar keinWeltbildals solches fest, sondern nur auf die Forderung hinreichender Begründetheit von Wirklichkeits­urteilen. Wo er sich also gewisser Sätze und deren Folgerungen aus dem Zu­sammenhang des modernen Weltbildes argumentierend bedient, so geschteht es allein aus dem Grunde ihrer - seiner Ansicht nach .:.._ hinreichenden wissen­schaftlichen Begründetheit.

Page 126: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

KRITISCHE PRÜFUNG DER HAUPTEINWÄNDE BARTHS GEGEN BULTMANN 125

Rückblickend sei nochmals der im Zuge der Einwände Barths zutage getretene Hauptdifferenzpunkt bezeichnet:

Der entscheidende Punkt in der Auseinandersetzung ist ersichtlich die ver­schiedene Auffassung vom Wesen des Glaubens. Barth behauptet, daß es zum <:hristlichen Glauben gehöre, Urteile über das wirkliche Geschehensein von be­stimmten Ereignissen zu fällen, und zwar, wie er immer wieder betont, gerade auch über Ereignisse, die in Raum und Zeit geschehen sind. Barth behauptet weiter, daß die Wirklichkeit dieser Ereignisse von der besonderen Art sei, daß sie der Feststellung mit den Mitteln und Methoden der Wissenschaft entzogen ist, so daß also im christlichen Glauben Wirklichkeitsurteile zu vollziehen sind unter notwendiger Verzichtleistung auf die Begründung derselben als Wirklichkeitsur­teile. Womit eine Glaubensauffassung statuiert wird, die den Vollzug von un­begründeten Wirklichkeitsurteilen als wesentliches Moment enthält und damit - von der Verantwortlichkeit des Denkeils her gesehen - ein sacrificium in­tellectus in dieser Hinsicht einschließt.

Ist diese Glaubensauffassung Barths die des N.l'.s? Dies ist nunmehr die brennend gewordene Frage, die als solche aber nur exegetisch entschieden werden kann. Denn Bultmann bestreitet die Schriftbegründetheit von Barths Glaubens­auffassung.

Will also Barth sich nicht dem gleichen Vorwurf aussetzen, den er Bultmann gegenüber erhebt, nämlich seinerseits mit unbegründeten Voraussetzungen zu ar­beiten, so muß Barth sich bereit finden, mit Bultmann in die Exegese einzutreten. So ergibt sich, daß seine Bultmannkritik, die es geflissentlich vermeidet, sich auf einen kritisch-prüfenden Nachvollzug von Bultmanns Exegesen und ihren herme­neutischen Grundsätzen einzulassen, keinen Schritt weiterführt.

Page 127: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

CHRISTfAN HARTLICH UND WALTER SACHS

THIELICKES ANSÄTZE ZUR LÖSUNG DES

ENT MYTHOLOGISIER UNGSPROBLEMS

V Waren Barths Einwände auf eine Bestreitung vermeintlicher Voraussetzungen

gerichtet, welche Bultmanns Exegese unbegründeterweise zugrunde liegen sollten, so nimmt Thielicke das Gespräch1 ~it Bultmann auf der Basis einer gemeinsamen Voraussetzung auf: Thielicke erkennt ausdrücklich das Vorkommen von Mythen im N. T. an und damit die Notwendigkeit einer Entmythologisierung in der Weise, daß innerhalb der neutestamentlichen Aussagen eine Scheidung zu vollziehen ist zwischen mythologischer Schale und eigentlichem Offenbarungsgehalt.

Verglichen mit Barths verfehlter Bultmann-Kritik erweist sich Thielickes Streit­gespräch mit Bultmann als weit fruchtbarer für die Einsicht in die Struktur der Problematik von Mythologie und Offenbarung und in die prinzipiellen Möglich­keiten ihrer theologischen Bewältigung, weil sich Thielicke nicht nur negativ in der Bestreitung der Position Bultmanns bewegt, sondern zu einem eigenen Lösungsversuch schreitet. Gerade bei der positiven Entfaltung seines Stand­punktes muß zutage treten, ob es Thielicke gelungen ist, den seiner Ansicht nach theologisch notwendigen Ansatz zu einer richtigen Lösung des Entmythologisierungs­problems hinreichend zu begründen und gegenüber Bultmanns grundsätzlicher In­fragestellung eben dieses von Thielicke gewählten Ansatzes hinreichend zu sichern.

Dies ist. die Frage, in deren Prüfung wir nunmehr eintreten.

a) Das theologische Grundaxiom Thielickes und seine exegetische Fragwürdigkeit

Thielicke rechnet grundsätzlich mit dem Vorkommen von Mythen im N. T. Die vornehmste theologische Aufgabe - angesichts dieser Tatsache - besteht nach ihm darin, unter allen Umständen den geschichtlichen Charakter der Heils­ereignisse sicherzustellen. Und zwar: deren geschichtlichen Charakter verstanden als ihr Geschehensein in einer äußeren, d. h. "ganz abgesehen von unserem Be­wußtsein" vorhandenen Wirklichkeit. Um den "Realitätsrang" der Offenbarungs­fakten in diesem Sinne kämpft Thielicke mit Bultmann bzw. er bekämpft ihn, weil die von Bultmann unternommene Entmythologisierung des Kerygmas durch existentiale Interpretation diesen Realitätsrang der neutestamentlichen Heil~­

ereignisse eliminiere. Thielicke sieht damit den "strategischen Punkt" preis­gegeben, von dem aus "die Auflösung der Offenbarung in Philosophie" allein erfolgreich abgewehrt werden könne.

"Wir legen"- heißt es bei Thielicke in diesem Zusammenhange-"aber nun allen Wert darauf, zu zeigen, daß es in der Theologie nicht auf die Behauptung des Ereignischarakters .überhaupt, sondern auf den Rang dieses Ereignisses ankommt. Ist die neutestamentliche

1 V gl. H. Thielicke "Die. Frage der Entmythologisierung des N.T." in .,Kerygma und Mythos'" Bd. I s. (I. A. 1949)· I77ff., 2. A. s. l59ff.

Page 128: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

THIELICKESANSÄTZEZ.LÖSUNG D.ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEMS 127

Geschichte nur irgendeine hirtet dem christlichen Bewußtsein stehende Wirklichkeit, die obendrein in ihren hist.orischen Konturen kaum mehr faßbar ist, - oder ist sie nicht auch ganz abgesehen von unserem Bewußtsein das Ereignis schlechthin? Ist sie nicht das wunder­haft erschienene Licht, das ganz unabhängig ist vom Begreifen oder Nicht-Begreifen der Finsternis? Auf diesen Realitäts-Rang des Ereignisses der Offenbarung kommt schlechter­dings alles an." (Thielicke a. a. 0. S. 186, 2 S. 167, vergl. auch S. I8j, 188 u. ö.)

Daß die Heilsgeschehnisse objektive geschichtliche Faktizität in dem eben um­schriebenen Sinne haben: müss~nund durch keine Interpretation verlieren dürfen, - und daß entsprechend das Für-wirklich-Halten solcher Heilstatsachen das konstitutive Moment des Glaubens sei, auf dem alle seine weiteren Momente beruhen, - das ist Thielickes theologisches Grundaxiom, von dem er wie von einer Selbstverständlichkeit aus argumentiert. Mit dem Nachweis, daß in Bult­manns Entmythologisierung des Kerygmas durch existentiale Interpretation in "letzter Konsequenz" das so verstandene "geschichtliche Fundament" des Glau­bens aufgegeben sei, hält Thielicke die theologische Verfehltheit von Bultmanns Lösungsversuch für erwiesen.

Dieses Grundaxiom ist für Thielicke so selbstverständlich und beherrschend, daß er nicht die Notwendigkeit bemerkt, es gegenüber den Resultaten von Bult­manns Exegese zu sichern. Wer mit Bultmann über das Verhältnis von biblischen Mythen und biblischem Glauben diskutieren will, kann das Gespräch nicht ein­fach mit der Voraussetzung aufnehmen, daß das Für-wirklich-Halten von äußeren Heilsereignissen - als Heilstatsachen - das konstitutive Moment des Glaubens im neutestamentlichen Sinne sei, auf dem alle seine weiteren Momente beruhen. Eine solche Voraussetzung ist durch Bultmann doch gerade in Frage gestellt -und zwar nicht einfach in der Weise einer entgegengesetzten Behauptung, son­dern in der Form eines umfassend unternommenen exegetischen Nachweises. Das heißt: Bultmann tritt an die neutestamentlichen Texte nicht mit der Voraus­setzung oder dem Postulate heran, der Glaube im N. T. könne nicht ein Für­wirklich-Halt.en von M ythologemen sein, sondern Bultmann meint aus exegetischen Tatbeständen den Nachweis erheben zu können, daß das Für-wirklich-Halten von äußeren Heilsereignissen supranaturaler Art kein essentielles und konstitutives Moment am neutestamentlichenGlauben sei; vielmehr daß das Für-wirklich-Halten solcher äußeren Heilsereignisse nachweislich in der Funktion eines Ausdrucks­mittels stehe, nämlich im Dienste einer durchgängigen existentialen Grundinten­tion, von der aus jeweils bestimmte (zumeist von der Tradition und Zeitgeschichte vorgegebene) Vorstellungen und Vorstellungsgruppen über die Art des Heils­ereignisses in gewisser Hinsicht aufgenommen, jedoch gegebenenfalls auch wieder fallen gelassen, durchbrachen und korrigiert werden, - sofern etwa in der Kon­sequenz ihrer Sachgehalte eine Gefährdung oder Aufhebung des existentialen Charakters des Glaubens liegen würde. Mit anderen Worten: Bultmann meint den Nachweis erbracht zu haben, daß zumindest bei biblischen Theologen wie Paulus und Johannes der Gebrauch ihrer Vorstellungen über äußere Heilsereig­nisse eingeschränkt ist auf die Bedingung der Übereinstimmung mit dem existen­tialen Gehalte des Kerygmas und seiner existentiellen Aneignung im Glauben,

Page 129: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

128 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

auf welche beider Grundintention nachweisbar unbedingt gerichtet ist. Diesen Nachweis vom essentiellen Charakter der existentialen Grundintention und der nur akzidentiellen Stellung der jeweils für wirklich gehaltenen Heilsmythologeme im N. T hat Bultmann in seinem exegetischen Lebenswerk zu führen gesucht1•

Thielicke ist aber so· sehr Systematiker, daß er sich auch Bultmanns Exegese nicht anders geführt denken kann als auf dem Fundament bestimmter systema­tischer Voraussetzungen. In der Auffassung, welches die Voraussetzungen von Bultmanns Exegese sein sollen, unterscheidet sich Thielicke kaum von Barth. Unter diesem Gesichtspunkte gehört Thielickes Kritik an Bultmann demjenigen Typus an, der schon mit der Charakterisierung dieser angeblichen Voraus­setzungen Bultmanns als dem modernen immanent-geschlossenen Weltbild ent­sprungen eine Widerlegung Bultmanns geleistet zu haben meint. Die Methode dieser Bultmann-Kritik ist durch ein bestimmtes Schema ihres Vorgehens gekenn­zeichnet: Bultmanns Exegese - so argumentiert man - hat bestimmte Voraus­setzungen, nämlich bibelfremde, die dem modernen immanent-geschlossenen Weltbild verpflichtet sind. Deshalb leugnet Bultmann die äußere Wirklichkeit der biblischen Heilsfakten und charakterisiert ihre Behauptung als mythologisch. Also muß man die Allgemeinverbindlichkeit des modernen Weltbildes bestreiten, um sich dadurch das Recht zu schaffen, für andere Voraussetzungen zu optieren, auf Grund welcher es alsdann möglich ist, mit der Hl. Schrift die äußere Wirk­lichkeit der biblischen Heilsfakten zu behaupten. In der Option für solche Vor­aussetzungen, die es ihrerseits ermöglichen sollen, die Historizität der biblischen Heilsereignisse im Sinne von übersinnlich-sinnlichen Geschichtstatsachen zu be­haupten, sehen die theologischen Kritiker Bultmanns, die nach diesem Schema gegen ihn operieren, die wesentliche Leistung einer "gläubigen" Theologie, da nach ihrer Auffassung das Für-wahr-halten der äußeren Faktizität der Heils­geschehnisse das konstitutiv!! Moment des Glaubens ist, welches alle seine wei­teren - nämlich die existentiellen - Momente begründet.

Thielicke meint, der entscheidende Hinderungsgrund seitens des modernen Denkens bezüglich einer Anerkennung der Geschichtlichkeit der in der Bibel in Aussagen von mythologischer Form enthaltenen Heilsfakten liege in der unzu­lässigen modernen Verabsolutierung der Anschauung von der geschlossenen Immanenz der Welt. Dieser "säkulare Mythos" bilde auch für Bultmann die un­berechtigte Voraussetzung, von der aus er zu einer Aufgabe der geschichtlichen Tatsächlichkeit der biblischen Heilsereignisse getrieben werde.

Dieser Satz "von der in sich ruhenden Endlichkeit" sei aber unbegründet: "Es stimmt ja gar nicht, wie auch Bultmann anzunehmen scheint, daß die in sich ruhende Endlichkeit ein­fach eine unbestrittene weltbildliehe Tatsache der Modeme wäre und daß darum diese Mo­derne der Schau des alten Mythos kontradiktorisch widersprechen müsse" (a. a. 0. S. 206

1 V gl. hierzu unsere Ausführungen in den Abschnitten "Entmythologisierung durch existen­tiale Interpretation, erläutert an den kosmologisch-anthropologischen Begriffen des Paulus" und "Entmythologisierung durch existentiale Interpretation, erläutert an der paulinischen Auf­fassung vom Heilsgeschehen in Christus", "Für Arbeit und Besinnung" 4· Jahrg. (1950) S. 4911JI und 552ff., und die dort gegebenen Hinweise.

Page 130: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

THIELICKES ANSÄTZE Z. LÖSUNG D. ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEM 129

oben 2S. 185).- Wie Thi.elicke sogleich bemerkt, bilde zwar "die geschlossene Immanenz" eine "Arbeitshypothese der Naturwissenschaft", "in deren hypothetischem Rang immer noch wenigstens die theoretische Offenheit in die Transzendenz hinein zum Ausdruck kommt". Werde aber - so fährt Thielicke weiter fort - der bloß heuristische Charakter dieser Hy­pothese verkannt und die Arbeitsvoraussetzungder geschlossent)n Immanenz zum "Glau­benssatz" erhoben und damit absolut gesetzt, so führe das zur unberochtigten modernen "Mythologie" der in sich ruhenden Endlichkeit, die "den entscheidenden Hinderungs­grund" unseres Glaubens bilde (a. a. 0. S. 207. 2S. 186).

In diesen Darlegungen Thielickes ist jedoch der entscheidende Hinderungs­grund verkannt, der der von ihm angestrebten Repristination biblischer Mythen im Sinne von Tatsachenbehauptungen über supranaturale Wirklichkeit im Wege steht, - "nachdem unser aller Denken unwiderruflich durch die Wissenschaft geformt ist" (Bultmann, Kerygma und Mythos (1. A. 1948) S. 17). Ihm gegen­über ist zu wiederholen, was schon zur gleichsinnigen Bultmann-Kritik von Barth festzustellen war. Solche Wiederholung erweist sich aber als unumgänglich, wenn die Bultmann-Diskussion aus dem Stande pathetischer Gegendeklamationen und einer unzeitigen Flucht in ein verfrühtes Bekennerturn befreit und auf das Niveau einer wirklich sachlichen Auseinandersetzung gebracht werden soll. Wir be­trachten es als eine Hauptaufgabe bei der Ptüfung des gegenwärtigen Stand~s der Buhmann-Kritik, sie aus den verfahrenen Geleisen bloßer Antithetik heraus­zuführen und die Möglichkeit eines Gespräches vorzubereiten, das mit dem Ein­gehen auf die tatsächlich vorliegenden und entscheidenden Positionen und deren Begründungen beginnen kann.

Thielickes Versuch, den Streitpunkt zwischen dem modernen, durch die Wis­senschaft geformten Denken und der biblische Mythen repristinierenden Theo­logie auf die materiale Gegensätzlichkeit zwischen dem nach der Transzendenz hin offenen bibllschen Weltbild und einer sich unberechtigterweise solcher Transzendenz verschließenden säkularen Weltansicht der geschlossenen Immanenz zurückzuführen,.ist abwegig. Der Fehlgriff liegt auf der Hand: die Möglichkeit von Behauptungen über Tatsachen supranaturaler Wirklichkeit wird von einem durch die Wissenschaft bestimmten Denken nicht deshalb bestritten, weil dieses Denken dogmatisch auf den Satz festgelegt wäre, es gäbe nur natürliche, empi­:rische, immanente Wirklichkeit, sondern deshalb, weil für die Behauptung supra­naturaler "Tatsachen" prinzipiell eine hinreichende Begründung nicht möglich ist. Sie ist aber nicht deshalb unmöglich, weil es supranaturale, transzendente "Tatsachen" nicht geben könnte, sondern weil Behauptungen darüber nicht veri­fizierbar sind, d. h. bloß subjektiv bedingte Meinung vom objektiv bestimmten Urteil bezüglich der Wirklichkeit supranaturaler Gegenstände grundsätzlich nicht unterscheidbar ist. Mit Schärfe ist also zu betonen: erstens, daß die Behauptung von der Unmöglichkeit von "Tatsachen"-Behauptungen über supranaturale Wirk­lichkeit nicht identisch ist mit der Behauptung der ausschließlichen Wirklichkeit "naturaler", empirischer, immanenter Wirklichkeit; -zweitens, daß die durch­aus einzuräumende Denkmöglichkeit einer Wirklichkeit supranaturaler Ereignisse .als solche niemals einen hinreichenden Grund abgeben kann für die Behauptung

9 Kerygma, Bd. 2.

Page 131: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

130 <::HRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

der Wirklichkeit ("Tatsächlichkeit") solcher Ereignisse. Kurz: ob immanent­geschlossenes oder· nach der Transzendenz hin offenes W elt~ild - Behauptungen über Tatsachen des einen wie des anderen Bereiches müssen begründet werden, wenn anders der im Sinne einer Tatsachenbehauptung als solcher gelegene Anspruch aufrechterhalten wird, nicht bloß eine Behauptung über eine denkmögliche "Tatsache", sondern über die Wirklichkeit dieser Tatsache zu sein. Eine un­begründete Behauptung über eine "transzendente" Tatsache ist so viel wert wie eine unbegründete Behauptung über eine empirische Tatsache!

Es sei erlaubt, in diesem Zusammenhang an einige Grund-Sätze der Ontologie und El­kenntnistheorie über das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit zu erinnern, die der theologische Supranaturalismus ~~cller Zeiten ebenso beharrlich wie vergebens ignoriert: Aus der Denkmöglichkeit einer transempirischen Tatsache kann so wenig deren Wirklichkeit behauptet werden, wie aus der Denkmöglichkeit einer empirischen Tatsache deren Wirk­lichkeit behauptet werden kann. Ferner: Die Unmöglichkeit, pas Nicht-wirklich-seinsupra­naturaler Ereignisse zu beweisen, ist kein Rechtsgrund, ihre Wirklichkeit zu behaupten: die bloße Denkmöglichkeit der Wirklichkeit supranaturaler Ereignisse, die aus der Unmöglich­keit des Beweises ihrer Nichtwirklichkeit folgt, gibt nie und nimmer einen hinreichenden Grund ab für die Behauptung ihrer Wirklichkeit. Denkmögliche Wunder sind noch lange keine wirklichen Wunder! Der Schluß, daß der "Glaube" um so zuversichdicher dort Tat­sachen behaupten dürfe, wo die Wissenschaft die Möglichkeit solcher Tatsachen nicht be­streiten könne, ist der typische I:"ehlschluß supranaturalistischer Theologie, die immer dort ihre vorgeblich vom biblischen Glauben geforderten Tatsächlichkeitsbehauptungen an­siedeln will, wo.die kritische Verantwortlichkeit des Denkens sich solche versagen muß Das zeigt besonders deutlich die gleichfalls zum Rüstzeug supranaturalistischer Syllogistik gehörende Schlußweise, die (z. B. im Falle eines "Wunders") aus der Nichterklärbarkeit eines Ereignisses nach den jeweils bekannten Regeln der Erfahrung auf das tatsächliche Vor­liegen einer übernatürlichen Kausalität in diesem Falle schließen will, - wo doch mit Recht nur geschlossen werden kann, daß ein solches Ereignis nach nicht (bzw. noch nicht) be­kannten Ursachen geschehen ist.

Indessen: liegt das n(?r;n;ov 1/Jti!ifoc; einer Theologie, die biblische Aussagen als Tatsachenbehauptungen über supranaturale Wirklichkeit ausgibt, nicht gerade in der Übertragung des Tatsachenbegriffes auf biblische Aussagen mythischen Charakters?

Aus der exegetisch begründeten Einsicht, daß die neutestamentlichen Aussagen mythischen Charakters im Dienste einer Grundintention stehen, welche nicht die einer Behauptung von Tatsachen ist, - daß vielmehr diese vergegenständlichen­den (ver-tatsächlichenden) Aussagen der Explikation von Existentialem dienen, bestreitet Bultmann das exegetische Recht, mythischen Aussagen der Bibel den Sinn von Tatsachenbehauptungen zu vindizieren.

Dem Ansatz seiner Bultmann-Kritik entsprechend, die sich damit begnügt,. Bultmanns Ergebnisse an der axiomatisch zugrunde gelegten These vom histo­rischen Tatsachencharakter der biblischen mythischen Aussagen zu messen,. kommt es Thielicke nicht in den Sinn, auf die exegetische Begründung Bultmanns einzugehen, durch die ihm (bis zur Widerlegung) das Recht zu seiner axioma­tischen Voraussetzung bestritten ist.

Page 132: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

THIELICKESANSÄTZE Z.LÖSUNG D.ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEMS 131

Wer mythische Aussagen des N. T.s zu Tatsachenbehauptungen macht, löst sie damit -wie Bultmann gezeigt zu haben meint ---'-aus dem exegetisch nachweislichen funktionalen Zusammenhang mit der eigentlichen Intention ihrer Autoren und stellt sie unter dieSchärfe des modernen Tatsachenbegr?tfes, der ein Produkt wissen­schaftlichen. Denkens ist. Durch diese Fehldeutung werden diese Aussagen an das 111 esser einer Kritik geliefert, der sie notwendig erliegen müssen. Denn in Kon­kurrenz mit den Tatsachenbehauptungen eines kritisch-verantwortlichen Denkens muß zutage trvten, daß die unter solchem Gesichtspunktrepristinierten mythischen Aussagen hinter den Erfordernissen eines wissenschaftlichen Urteilens notwendig zurückbleiben.

Dem ursprünglichen Mythos fehlt der Begriff der "Tatsächlichkeit" im neu­zeitlichen, durch die Wissenschaft bestimmten Sinne und damit das Bewußtsein davon, was im Wahrheitsanspruch einer Tatsachenbehauptung als solcher liegt. Genuines Leben im Mythos macht Aussagen über Göttliches in naiver Unkritik. Es liegt unterhalb der Schwelle durchgreifender kritischer Reflexion über den Wert seiner Aussagen unter dem Gesichtspunkt ihrer "Objektivität". Die naive Unkritik des ungebrochenen Lebens im Mythos weiß noch nichts vom notwen­digen Aufeinander-bezogen-sein von Tatsachenaussage und prinzipieller V erifizier­barkeit des Behaupteten: die Wirklichkeitsbehauptungen des Mythos sind schwe­bend. In diesem ihrem schwebenden Charakter stehen die Wirklichkeitsaussagen des ungebrochenen biblischen Mythos im Dienste einer Intention, die nicht auf Tatsachen-Objektivität, sondern auf existentiale Objektivität, gerichtet ist.

Ist aber einmal erkannt, was zu einer Tatsachenbehauptung als solcher an Be­gründung gehört, s~ ist die unbewußt-unkritische Naivität eines Lebens im My­thos unwiederbringlich gebrochen. Nunmehr können "mythische" Aussagen nur noch nachvollzogen werden, entweder begleitet von bewußt-kritischer Reflexion über ihren objektiven Wert nach Maßgabe der für eine Tatsachenbehauptung als gültig erkannten Bedingungen ·- und alsdann ist eine mythische Aussage über Supranaturales jedenfalls als Tatsachen-Behauptung nicht mehr vollziehbar -oder in bewußter Unkritik. Mit anderen Worten: die so repristinierte mythische Aussage wird jetzt unter willentlicher Suspension der Erfordernisse eines kritisch­verantwortlichen Denkens als Tatsachenbehauptung aufgestellt und der Vollzug von "Tatsachenbehauptungen" dieser Art als die wesentliche Leistung des Glau­bens erklärt. Was also der Gläubige, der im ungebrochenen Mythos lebt, in un­bewußter Unkritik tut, das wird nunmehr durch eine Mythen repristinierende Theologie vom" Gläubigen" als ein in bewußter Unkritik zu Leistendes gefordert.

Daraus erhellt: eine Theologie, die die Aussagen mythischen Charakters der Bibel unter den Gesichtspunkt der Tatsachenbehattptung stellt undin dieser Hinsicht auf den Objektivitätscharakter dieser Aussagen ~insistiert, denaturiert zwangsläufig deren ursprünglichen Sinn. Die Situation, in die sie sich damit begibt, ist ausweglos. Da diese Theologie einerseits, vom modernen Denken bestimmt - dem sie nicht ent­rinnen kann-, erkennen muß, daß Beha~tptungen über sttpran:aturale Tatsachen, gerade wenn sie als Supplemente eines sonst w·issenschaftlichen Weltbildes eingeführt

Page 133: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

132 CHRISTIAN HARTLICH UND W ALTER SACHS

werden, als solche bestimmten Bedingungen der hinreichenden Begründung genügen müssen, die aber wegen des mythischen Charakters dieser "Tatsachen"-Behaup­tungen unerfüllbar sind, - und da diese Theologie andererseits a~er meint, die mythischen Aussagen als Tatsachenbehauptungen keinesfalls preisgeben zu dürfen, weil sie in solcher Preisgabe zugleich eine Preisgabe des eigentlichen Objektivitäts­grundes des christlichen Glaubens besorgt, so statuiert sie in dieser Zwangslage dnen Glaubensbegriff, der als ein "Glauben an Tatsachen" in sich unmöglich ist. Sind nämlich die Gegenstände des Glaubens "Tatsachen", die man als solche entwed~r wissen oder in gradweiser Abstufung ihrer Wahrscheinlichkeit nur vermuten kann (nämlich nach Maßgabe der hinreichenden bzw. nicht-hinreichenden Be­gründbarkeit darauf bezüglicher Behauptungen), so gibt diese Theologie dem Glauben notwendig den Charakter eines vor sich selbst ungenügenden Wissens. Im Bewußtsein dieses Ungenügens soll dann der "Glaube" aus eigenem Ent­schlusse als seine spezifische Leistung. das zuschießen, was zum Wissen über die behaupteten Tatsachen fehlt!

Im Rückblick auf die bisherigen Darlegungen ist also die eingangs gestellte Frage zu verneinen, ob es Thielicke gelungen ist, die Ausgangsposition seiner Kritik an Bultmann hinreichend zu begründen und diesem gegenüber zu :sichern.

Seine bereits genannten axiomatischen Voraussetzungen beherrschen auch Thielickes Versuch, prinzipielle Gesichtspunkte für "di(\ grundsätzliche Aus­einandersetzung der Kirche mit der Mythologie" aufzustellen.

b) Thielickes Unterscheidungsaufgaben und die Frage ihrer grundsätzlichen Lösbarkeit

Gemäß seinem Ansatz, daß die geschichtliche Faktizität der biblischen Heils­ereignisse im Sinne einer äußeren Tatsächlichkeit von der Theologie unter allen Umständen sicherzustellen sei, bestimmt Thielicke den hermeneutischen Grund­satz zur Auslegung biblischer Mythen dahingehend, daß diese "auf das reale heilsgeschichtliche Geschehen hin" zu interpretieren seien, welches sie "in mytho­logischer oder mythologisierender Spraahe weitergeben" (a. a. 0. S. 198f. 2178f.). Wie das näherhin verstanden werden soll, zeigen die Unterscheidungsaufgaben, die Thieliake der exegetischen Einzelarbeit stellt, und die Beispiele, die er im Hinblick auf ihre Lösung gibt:

"Rs müssen in der exegetischel'l Einzelarbeit folgende Grenzen fest abgesteckt werden: x. zwischen denjenigen. Mythen, die schlechrhia unahlösbare Ausdrucksformen transzen­denter Inhalte sind, einerseits(~. B. Schöpfungs'bericht, Sündenfallgeschichte u. ä.) und der legendären Ausschmückung oder der mythologischen WucherUl'lg der R'tlligionsgeschichte andererseits; 2. zwischen der bildliehen Verdeutlichung eines geschichtlichen Tatbestandes einerseits (Jungfrauengeburt als BHd der gesc/tichtlichtm Tatsache der Gottessohflschaft- S~hlatter --,-) und dem direkten geschichtlichen Bericht andererseits, der trotz der scheinbar mythischen Form in seiner di~ekten Historizität zu verstehen ist (z. B. einem großen Teil der Wunder; ferner der Auferstehungsgeschichte, obwohl auch innerhalb deren zu unterscheiden ist: auf welche Seite z. B. gehört das leere Grab?). - Oft wird bei alledem die Einzel-Scheidung

Page 134: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

TRIBLICKESANSÄTZE Z.LÖSUNG D.ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEMS 133

nicht klar und wohl niemals in einem consensus communis vollzogen werden können. Das entbindet aber nicht von der Aufgabe als solcher." (a. a. 0. S. I99 2S. I79 bzw. 2.09 2S. I 8 8.)

Zu Punkt I wäre beiläufig zu fragen: Was versteht Thielicke unter schlechthinniger Un­ablösbarkeit eines transzendenten Inhalts von seiner mythischen Ausdrucksform, wenn er dafür als Beispiel den Schöpfungsbericht anführt? Denn allein das Vorliegen mindestens zweierSchöpfungsberichtein der Bibel, die offenbar demselben "transzendenten Inhalt" in verschiedener Form Ausdruck geben, zeigt doch, daß dieser identische Inhalt an eine be­stimmte mythische Ausdrucksform nicht gebunden und somit von ihr ablösbar ist. Ist das Beispiel so zu verstehen, daß nicht eine bestimmte mythische Ausdrucksform als unablös­bar behauptet ist, sondern nur die mythische Ausdrucksform als solche? (vgl. auch die Aus­führungen Thielickes a. a. 0. S. 2.09 2S. I88).

Wichtiger erscheint uns die unter Punkt 2 bezel.chnete Unterscheidungsaufgabe, hinsichtlich deren Durchführbarkeit folgende Fragen an Thielicke zu richten sind. Wie. die Aufgabenstellung zeigt, wird innerhalb biblischer Aussagen mythischen Anscheins ein grundsätzlicher Unterschied gemacht zwischen Aussagen, die als direkte Wiedergabe einer geschichtlichen Faktizität von supranaturaler Art rein vom Obfekt her bestimmt sind, und solchen, die auf einen supranaturalen geschicht­lichen Tatbestand in der Weise der bildliehen Verdeutlichung bezogen sind. Zur Lösung der Unterscheidungsaufgabe ist also ein Kriterium nötig, woran sich er­kennen läßt, ob urid inwieweit eine biblische Aussage supranaturalen Inhaltes in der Weise der Wiedergabe rein vom Objekt her bestimmt oder subjektiv bedingt ist, insofern sie nämlich Momente bildliehet Verdeutlichung enthält.

Da es aber keine Kriterien der obfektiven Tatsachenfeststellung mit Bezug auf supranaturale Wirklichkeit als solche gibt, wie denkt sich Thielicke die grund­sätzliche Möglichkeit der Lösbarkeit seiner Aufgabe, -wenn er nicht bereits im voraus wenigstens für gewisse Aussagen dieser Art (für welche? und mit wel­chem Recht für diese?) die rein objektive Bestimmtheit setzt, d. i. ihren Wieder­gabecharakter voraussetzt?

Zur näheren Präzisierung sei das von Thielicke selbst gegebene Beispiel der Jungfrauengeburt herangezogen. Mit Schlatter, dessen Behandlung des Berichtes von der Jungfrauengeburt er als vorbildlich heranzieht (a. a. 0. S. zo8 2S. 187), führt er die Vorstellung von der Jungfrauengeburt als Beispiel einer bildliehen Ver­deutlichung des geschichtlichen Tatbestandes der Gottessohnschaft an. Das besagt offenbar: die Jungfrauengeburt im Sinne der Zeugung des Sohnes durch den Hl. Geist in einer Jungfrau hat tatsächlich nicht stattgefunden. Tatsächlich statt­gefunden hat vielmehr allein die Gottessohnschaft Jesu Christi (im Sinne eines nicht näher bestimmten Abkunftverhältnisses des Sohnes vom Vater). Dieser geschichtliche Tatbestand der Gottessohnschaft wird - nach Thielicke - im biblischen Bericht von der Jungfrauengeburt in der Weise bildlieber Verdeut­lichung vorgestellt; er ist somit der "geschichtlich-faktische Hintergrund", wel­cher der bildliehen Vorstellung von der Jungfrauengeburt zugrunde liegt. Nun kann aber auch die Vorstellung von der Gottessohnschaft im Sinne eines Abkunft­verhältnisses ihrerseits wiederum als bildliehe Verdeutlichung der Vorstellung des göttlichen Ursprunges Jesu Christi aufgefaßt werden; denn die Abkunftsvor-

Page 135: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

134 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

stellungist im Verhältnis zur Ursprungsvorstellung als der abstrakteren insofern die konkretere, als sie das in seinem Wie unbestimmte Ursprungsverhältnis de5 näheren als· Abkunftverhältnis bestimmt, mithin die Ursprungsvorstellung ver­deutlicht. Somit ist zunächst zu fragen, warum Thielicke nicht auch die Vor­stellung von der Gottes-Sohnschaft als bildliehe Verdeutlichung der "geschicht­lichen Tatsache" des göttlichen Ursprunges Jesu Christi auffaßt, und sodann, warum Thielicke nicht auch die Vorstellung vom göttlichen Ursprung Jesu Christi als bildliehe Verdeutlichung der Tatsache der absoluten Differenz des realen Seins Jesu Christi von jedem menschlichen Sein auffaßt, d. h. der Tatsache, die er selbst mit den Worten umschreibt, "daß das Sein Jesu Christi realiter ein anderes ist als das unsere" (a.a.O. S. 208 2S. 187). Verhält sich doch die Vor­stellung vom göttlichen Ursprung zur Vorstellung von der absoluten Differenz des realen Seins Jesu Christi von jedem menschlichen Sein wiederum wie die konkre­tere zur abstrakteren Vorstellung. Endlich: da nun überhaupt keineVorstellungvon einer übersinnlichen Tatsächlichkeit prinzipiell als direkte Wiedergabe derselben festgestellt werden kann, somit jede Vorstellung dieser Art notwendig auch als bildhafte Verdeutlichung einer relativ zu ihr abstrakteren Vorstellung aufgefaßt werden kann, -wie will Thielicke bei der Durchführung der von ihm gestellten Unterscheidungsaufgabe zu den von ihm angestrebten "festen Grenzen" kommen können, wenn er nicht bereits thetisch im voraus eine bestimmte Vorstellung als direkte Wiedergabe fixiert? Tut er dies aber, nach welchem Prinzip will er dabei verfahren?

Thielicke müßte - nach dem Ansatz seiner Aufg!lbenstellung - jeweils die innerhalb eines bestimmt~n biblischen Vorstellungskreises (z. B. des christologischen) relativ abstrak­teste Vorstellung wegen dieser ihrer relathrenAbstraktheit als diejenige erklären, die, ohne Momente bloß bildhafter Verdeutlichung zu enthalten, als Bezeichnung des geschichtlichen Tatbestandes aufzufassen sei, der den anderen konkreteren Vorstellungen dieses Vorstel­lungskreises als deren "geschichtlicher Hintergrund" zugrunde liegt, ~ weil sonst diese Vorstellungen überhaupt nicht auf ein "reales heilsgeschichtliches Geschehen hin" inter­pretiert werden könnten. In diesem Falle träte wiederum Thielickes axiomatische Voraus­setzung zutage, wonach die in biblischen Mythen enthaltene Wahrheit unter allen Um­ständen in irgendeiner Weise auf Tatsachen bezogen sein müsse. Nur mittels dieser axio­matischen Voraussetzung könnte er in diesem Zusammenhange einer p,Enißaatr; Eir; illl.o yivor; entgehen, die aus der relativ höchsten Abstraktheit einer Vorstellung schließen wollte, die in ihr vorgestellte supranaturale Wirklichkeit bestehe tatsächlich, - wo doch aus der Übereinstimmung verschiedener konkreterer Vorstellungen in einer abstrakteren Vor­stellung nurderen gemeinsamer Vorstellungskem, nicht aber ein realer Geschehenskern ent­nommen werden könnte.

Muß von Thielickes Ansatz aus -- wenn er nicht bereits stillschweigend thetisch eine be­stimmte biblische Vorstellung als direkte Wiedergabe eines supranaturalen geschichtlichen Tatbestandes fixiert- nicht jeweils die abstrakteste Vorstellung aus einem biblischen Vor­stellungskreis als diejenige übrigbleiben, der Wiedergabecharakter zugeschrieben werden muß? Ein merkwürdig widersprüchliches Ergebnis! Denn der behauptete Wiedergabe­charakter einer solchen Vorstellung streitet gerade mit ihrer Abstraktheit: als "direkt-hist0-rischer Bericht" müßte sie doch gerade durch Konkretheit ausgezeichnet sein.

Dieses Prinzip, an biblischen mythischen Vorstellungen die konkreteren Bestimmtheiten suf Kosten einer mythischen bildhaften Vorstellungswei.se zu. setzen und den in ihnen ent-

Page 136: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

TRIBLICKESANSÄTZE Z.LÖSUNG D. ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEMS 135

halteneo identischen abstrakteren Vorstellungsgehalt entweder als direkte Aussagen über einen historischen Tatbestand oder wenigstens als BeZeichnung eines tatsächlichen geschicht­lichen Hinter-Grundes zu erklären, scheint allerdings stillschweigend die christologischen Aussagen mancher Dogmatiker zu bestimmen. Läßt sich doch die Tatsache nicht verkennen, daß gerade in der Christologie die konkreteren biblischen Vorstellungen der Zeitbedingtheit preisgegeben und die abstrakteren festgehalten werden in dem Sinne, daß deren Inhalt als das wirklich geschehene Ereignis oder als der reale geschichtliche Hintergrund behauptet wird; welche in den konkreteren Vorstellungen in der Weise zeitbedingter Veranschau­lichung vorgestellt werden.

c) Thielickes Ansatz zu einer erkenntnistheoretischen Begründung der Objektivität biblischer mythischer Vorstellungen

Die Voraussetzung, daß den biblischen Aussagen mythischen Charakters unter allen Umständen eine objektive Bedeutung im Sinne ihres Bestimmtseins von einer bewußtseinstranszendenten Gegenständlichkeit her zukommen müsse ("Die heils­geschichtliche Faktizität muß der entscheidende scopus der Verkündigung in allen mythisch geschauten Berichten der Bibel sein"- a. a. 0. S. 209, 2S. r88), führt Thielicke zu einer originellen Erkenntnistheorie des mythischen Denkens und Vorstellens. Unter Aufnahme eines Gedankenganges der HBK versucht Thielicke durch eine Art erkenntnistheoretische Überlegung die mögliche "Objektivität" mythischer Vorstellungen begreiflich zu machen. Danach soll der supranaturale Gegenstand mythischer Vorstellungen - als deren "reales Fundament" - sich zum mythischen Vorstellungsvermögen analog verhalten wie nach Kant das Ding an sich zu unserem kategorial bestimmten Wahrnehmungsvermögen.

"Dieses reale Fundament affiziert sozusagen das mythologische Denken ähnlich, wie bei Kant das Ding an sich unse:r kategorial bestimmtes Wahrnehmungsvermögen affiziert. Es steht also wirklich ein Realitätsgrund hinter der mythisch entstehenden Erscheinung. Damit ist der Mythos - wenn uns ein zugespitzter Ausdruck gestattet ist - nicht die Objekti­vierung eines spukhaften subjektiven Erlebens, sondern die Subjektivierung (die geistige Aneignung) eines objektiven Heilsereignisses,-- -. Der Mythos umschreibt folglich mit seinen subjektiven, der menschlichen V a.rstellung entnommenen Mitteln etwas durchaus Bewußtseins-Transzendentes, das auch unabhängig von der Mfizierung der Jünger und Zeugen seine Realität behält" (a. a. 0. S. 197f 2S. 177).

Verstehen wir Thielicke recht, so soll hier durch eine Analogie die Möglichkei von Objektivität "mythischer" Vorstellungen im Sinne von auf übersinnliche Gegenstände bezogenen Behauptungen verständlich gemacht werden, nämlich: So, wie das kategorial bestimmte menschliche Wahrnehmungsvermögen den Grund einer möglichen Objektivität seiner Vorstellungen darin hat, daß es vom Ding an sich ( d. h. dem abgesehen von seiner Wirkung auf uns unbekannten und unerkennbaren Objekt) Eindrücke - Affektionen - empfangen kann: so kann das mythische Vorstellungsvermögen (als das menschliche Bild-Vermögen) den Grund einer möglichen Objektivität seiner Vorstellungen darin haben, qaß es vom ~upranaturalen Gegenstande (als einem ebenfalls abgesehen von seiner Einwirkung auf uns unbekannten und unerkennbaren Objekte) affiziert werden "kann".

Page 137: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

136 CHiuSTIA.N HARTLICH UND WALTER SACHS

Diese Analogie versagt jedoch am entscheidenden Punkte, und die prinzipielle Bedeutung dieses Versagens scheint uns von Thlelicke nicht gesehen.

Während niemand Kant wird bestreiten wollen, daß es tatsächlich Sinnlichkeit als menschliches Vermögen gibt, d. i. als reale Möglichkeit des tatsächlichen Affiziertwerdens von Gegenständen, welche wir freilich abgesehen von dieser Binwirkung auf uns in ihrem An-sich-sein nicht bestimmen können: der proble­matische Punkt bei Thieli<:kes Erwägung der möglichen Objektivität mythischer Vorstellungen ist doch gerade das Vorliegen einer Rezeptivität des menschlichen Bild-Vermögens, d. h. der realen Möglichkeit des Ernpfarrgens von Affektionen von seiten supranaturaler Objekte. Mit anderen Worten: erst der Nachweis der Tatsache der,Rezeptivität des menschlichen Bild-Vermögens (als einer Art "über­sinnlicher" Sinnlichkeit) gäbe das Recht, von einer möglichen Objektivität mythischer Vorstellungen zu sprechen, die nach Art des Verhältnisses des mensch­lichen Wahrnehmungsvermögens zu seinem Gegenstande zu denken sei. Es müßte nachweisbar sein, daß das mythische Vorstellungsvermögen tatsächlich ein rezep­tives, aufEindrücke (Affektionen) vonseitensupranaturaler Objekte reagierendes Vorstellungsvermögen ist, um die mögliche Objektivität mythischer Vorstel­lungen durch die Analogie mit der möglichen Objektivität unserer Wahrneh­mungen erläutern zu können, d. h. um die Analogie überhaupt mit Recht an­wenden zu können. Weil Thielicke diesen Nachweis nicht erbringen kanp, leistet seine "Analogie" nicht, was sie ihm leisten soll. Das Recht, ein mythisches Vor­stellungsvermögen (etwa dasjenige der biblischen Autoren) als "übersinnliche" R..ezeptivität im eben bestimmten Sinne anzusprechen, wäre nur dann gegeben, wenn das Vorkommen von Affektionen seitens supranaturaler Objekte grund­sätzlich feststellbar wäre, also eine Entscheidung darüber prinzipiell möglich wäre, ob bei der Behauptung des Vorliegens einer vom supranaturalen Gegenstande her empfangenen Affektion des Bildvermögens ein tatsächliches oder nur ein­gebildetes Mfiziertsein vorliegt. Diese Entscheidung brauchte nicht in jedem Einzelfalle vollziehbar zu sein (wie sie entsprechend ja auch nicht bei jeder be­haupteten Wahrnehmung möglich ist), aber die grundsätzliche Möglichkeit, sie treffen zu können, müßte aufgewiesen sein. Und nur auf Grund dieses Aufweises könnte ein mythisches Vorstellungsvermögen als Rezeptivität (Sinnlichkeit) an~ gesprochen und eine mögliche Objektivität seiner Vorstellungen nach Analogie derjenigen des menschlichen Wahrnehmungsvermögens verständlich gemacht werden. Für die "sinnliche" Sinnlichkeit des Wahrnehmungsvermögens ist dies bei Kant - zumindest dem V ersuche nach - geleistet: Thielicke spricht nicht .umsonst vom kategorial bestimmten Wahrnehmungsvermögen.

Das Wesentliche bei Kant ist dies, daß durch die nachgewiesene Anwendbarkeit der Kate­gorien auf die Sinnlichkeit sine Entscheidung nicht nur darüber grundsätzlich möglich ist, ob bei der jeweiligen Behauptung einer Wahrnehmung im Sinne einer vom Objekt her emp­fangenen Affektion ein tatsächliches oder nur vermeintliches Affiziertsein vorliegt, sondern auch gerade darüber, ob der Mensch überhaupt Sinnlichkeit als Vermögen des Affiziert­werdens durch Gegenstände hat oder es nur zu haben vermeint. Daß der Mensch Sinnlich-

Page 138: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

THIELICKESANSÄTZE Z.LÖSUNG D.ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEMS 137

keit als die Möglichkeit solchen Mfiziertwerdens sich nicht nur in der Einbildung zu­schreibt, sondern sie tatsächlich hat, ist durch Erfahrung entschieden: seine Sinnlichkeit ist Erfahrungstatsache, und die prinzipielle Möglichkeit ihrer Feststellung ist nach Kant mit dem Nachweise der grundsätzlichen Möglichkeit von Erfahrung erbracht. Im Beispiel: be­haupte ich etwa das Vorliegen einer objektiv bedingten Affektion, indem ich über die Aus­sage meines bloß subjektiven Zustandes ("mir ist warm") hinausgehend erkläre: "Der heiße Ofen macht mir warm",- so kann prinzipiell über die Richtigkeit meiner Behauptung eine Tatsachenfeststellung entscheiden (etwa ob Feuer im Ofen ist u. dgl.), d. h. es gibt Empirie als Methode der objektiven Feststellung über das Vorliegen von bloß vermeintlichem oder wirklichem Affiziertsein durch das Objekt, - mag auch das Objekt selbst abgesehen von den \Virkungen, die es in unserer Sinnlichkeit hervorruft, nicht erkennbar sein und insofern "Ding an sich" bleiben. Weil tatsächliches Mfiziertsein durch Objekte im fortlaufenden Kontext der Erfahrung festgestellt werden kann und wird, schreiben wir uns als Menschen generell Sinnlichkeit als reales Vermögen begründetermaßen zu.

Will Thielicke nun eine Empirie, d. h. eine Methode der Feststellung supranaturaler Af­fektionen behaupten? Vermutlich nicht. Indessen ist dann nicht einzusehen, was ihm seine Analogie noch leisten soll. Jedenfalls das Entscheidende leistet sie nicht, die mögliche Ob­jektivität auf supranaturale Wirklichkeit bezogener - mythischer - Vorstellungen .ver­ständlich zu machen. Denn die bloße Denkmöglichkeit, daß mythische Vorstellungen auf Affektionen beruhen könnten, ist reine Spekulation, - ganz abgesehen von dem Einwand, den Thielicke sich selbst macht: wie nämlich - vorausgesetzt, daß das mythische Vor­stellunngsvermögen ein auf Affektionen reagierendes VermÖgen sei:- dann "dem theologi­schen I teresseRechnung getragen wird, die mythisch umhüllteOffenbarungaus demMythen­strom der allgemeinen Religionsgeschichte herauszuheben" (a. a. 0. S. 197; 2S. 177). In der Tat: wenn Mythen als solche auf supranaturaler Affektion beruhen, dann dürfte es schwer fallen, heidnischen Mythen ein geringeres Maß von "Objektivität" zuzuschreiben als den biblischen. Auch die heidnischen Mythen müßten alsdann auf den realen Gescheh'enskern, "der hinter der mythischen Erscheinung verborgen liegt", hin interpretiert werden, -es sei denn, daß Thielicke seine Theorie der Affektion des mythischen Vorstellungsvermögens auf biblische Mythen einschränken wollte: eine eigenartige Modifikation der Inspirationslehre die die Theologie heute doch nicht ohne Gründe verlassen hat.

Diese durch und durch spekulative Konstruktion· des biblischen mythischen Vorstellungsvermögens als einer Art "sensorium" ist bei Thielitke nur als Kon­sequenz seiner dogmatischen petitio principii zu begreifen, wonach den "my­thischen" Aussagen der Bibel um jeden Preis Objektivität im Sinne der geschicht­lichen Tatsächlichkeit gesichert werden müsse, eine Voraussetzung, die - wie oben gezeigt -exegetisch von höchster Fragwürdigkeit ist.

Zu solcher Sicherung sieht sich Thielicke durch die Alternative gedrängt: wenn den biblischen.heilsgeschichtlichen Aussagen mythischen Charakters keine äußere Wirklichkeit transsubjektiven, vom Bewußtsein ganz unabhängigen Geschehens entspreche, so bestehe keine Möglichkeit mehr, der "Philosophiewerdung der Botschaft" zu entgehen, d. h. diesen biblischen Aussagen könne dann "Wahr­heit" nur noch im Sinne des "zeitlosen Geltens" eines ideellen Gehaltes zukom­men, womit die Geschichtlichkeit des Offenbarungsereighisses preisgegeben sei Ob die Voraussetzungen, die dieser Alternative zugrunde liegen, zu Recht be­ste~en, wird weiter zu prüfen sein.

Page 139: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

138 CHRISTIAN HARTLICH UND W ALTER SACHS

d) Die Unmöglichkeit, das Problem der Entmytlwlogisierung durch Unterscheidung

von ,mythischen' und ,historischen' Aussagen im N.T. zu lösen

Die bisherigen Ausführungen reichen hin, um zu der Einsicht· zu führen, daß der von Thielicke unternommene Versuch einer Lösung des Mythosproblems im N.T. an der inneren Gebrochenheil seines Ansatzes scheitern muß:

Thielicke rechnet einerseits mit dem Vorkommen von Mythen im N.T., d. h. er nimmt an: nicht alles, was im N.T. an Eretgnissen supranaturaler Art als wirklich geschehen ausgesagt wird, ist auch wirklich geschehen. Ein grundsätzlicher und genereller Rückgriff auf das autoritative ,Es steht geschrieben' kommt .für Thie­licke also nicht in Frage, -"so gewiß eben wirklich zeitbedingte Mythen und Anschauungen den Kern der Botschaft umhüllen" (a. a. 0. 1S. 194, 2S. 174). -Andererseits muß - das ist Thielickes immer wiederkehrendes Grundaxiom -der Glaube supranaturale Fakten zur Grundlage haben, wenn er überhaupt eine objektive Basis haben soll. Darin liegt: es muß nach Thielicke bestimm­bare ntliche Aussagen über Supranaturales geben, denen Wirklichkeit entspricht. So konzentriert sich das Problem der Entmythologisierung für Thielicke auf die Frage der Grenzziehung zwischen solchen Aussagen des N.T.s, die mythisch sind, weil ihnen keine supranaturale Wirklichkeit entspricht, und solchen Aus­·sagen, die insofern historisch sind, als ihnen supranaturale Wirklichkeit entspricht - sei es, daß diese Wirklichkeit in den fraglichen Aussagen direkt (in Form der ,Wiedergabe') oder indirekt (in der Weise ,bildlicher Verdeutlichung') bezeichnet ist. Thielicke setzt mit dieser seiner Fragestellung also notwendig die Möglich­keit eines Kriteriums voraus, nach dem er die in der Bibel ungeschieden vor­liegenden Aussagen über supranaturale Faktizität dahingehend unterscheiden kann, ob sie mythisch oder historisch sind. ·

Es gilt zu bemerken, daß Thielicke mit der grundsätzlichen Einsicht, daß in der Bibel "wirklich zeitbedingte Mythen und Anschauungen den Kern der Botschaft umhüllen", nach der Logik seines Ansatzes das onus probandi übernimmt, aus der Gesamtheit der in Frage stehenden biblischen Berichte mythischen Anscheins jeweils denjenigen zu bestimmen,, ,der trotz der scheinbar mythischen Form in seiner direkten Historizität zu verstehen ist" (a. a. 0. S. 199, 2S. 179). .

Vollends liegt Thielicke diese Beweislast ob im Streitgespräch mit einem Partner, der­wie Bultmann - den Mythosbegriff in grundsätzlicher Einheitlichkeit dahingehend faßt, wonach Aussagen über supranaturale Fakten ihrer Unverifizierbarkeit wegen als subjektiv­bedingte Meinungen und Vorstellungen zu gelten haben. Wollte man aber diesem Stand­punkte gegenüber die Denkmöglichkeit supranaturaler Fakten -etwa in der Form, daß für Gottes Allmacht alle Dinge möglich seien- in die Waagschale werfen, so entgeht man da­durch nicht der Beweislast, das Wirklichsein dieser abstrakten Möglichkeit iin einzelnen Falle nachzuweisen, -so wahr eben die Behauptung der Wirklichkeit eines Faktums ihrem Sinne nach mehr meint als die Behauptung der bloßen Möglichkeit desselben.

Da nunAussagen über supranaturale Wirklichkeit nicht verifiziert. werden können, d. h. da es keine gültigen Kriterien gibt, um zwunterscheiden, welche Aussagen dieser Art wahr und .welche falsch sind, so ist das Problem des Mythischen im N.T., so, wie Tltülicke es stellt, nämlich als die Frage nach der Obfektivität von. Tatsachen-

Page 140: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

THIELICKES ANSÄTZE Z.LÖSUNGD.ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEMS 139

behauptungen supranaturalen Inhalts unlösbar. Gerade die Instanz, die Thielicke mit diesem Ansatz des Problems anrufen möchte, gibt es nicht. Unter dem Ge$ichts­punkt der T atsächlichkeit des in ihnen Behaupteten sind Aussagen supranaturalen Inhalts als wahr oder falsch nicht zu unterscheiden/ Jede Bestimmung, die Thielicke -dahingehend trifft, daß eine bestimmte ntliche Aussage supranaturalen Inhalts mythisch bzw. historisch sei, kann daher kein Ergebnis begründeter Unterschei­dung sein - denn dieses würde ein dafür hinreichendes Kriterium voraussetzen -, sondern nur ein Akt unbegründeter Setzung, der rein thetisch das •voraus­nimmt, was von Thielicke seinem Ansatz gemäß durch eine begründete Unter­scheidung zu leisten wäre.

Daß Thielicke die Unterscheidung darüber, welchen bestimmten biblischen Aussagen mythischen Anscheins supranaturale Faktizität entspricht und welchen nicht, gar noch der "exegetischen Einzetarbeit" zuweisen will, kann doch nur auf einer Täuschung darüber be­ruhen, was "exegetische Einzelarbeit" in dieser Hinsicht überhaupt bedeuten kann.

Einzelarbeit, d. h. durch die materielle Besonderheit einer ndichen Aussage bedingte und geleitete Arbeit kann es doch in der Hinsicht gar nicht geben, in der alle Fälle notwendig gleichgelagert sind, nämlich insofern, als jede bestimmte Aussage über supranaturale Fakten unter dem Gesichtspunkt ihrer Objektivität gleichwertig bzw. gleichunwertig ist und bleiben muß, d. h. grundsätzlich sowohl wahr wie falsch sein kann.

Exegetische Einzelarbeit als exegetische kann erst recht nicht eine Entscheidung darüber fällen, ob einer ntlichen Aussage über ein supranaturales Faktum supranaturale Wirklichkeit entspricht oder nicht. Während zum Urteil über den Wahrheitscharakter empirisch-histo­rischer Tatsachenbehauptungen sicher auch der Exeget beitragen kann, so ist dies im Falle von Aussagen über supranaturale Tatsachen prinzipiell ausgeschlossen. Exegetische Einzel­arbeit an Aussagen supranaturalen Inhalts kann wohl darüber Feststellungen treffen, welche Bedeutung eine bestimmte Aussage im ganzen der Aussagen des N.T.s hat,- etwa ob sie zentral ist, welcher Traditionsschicht sie angehÖrt, bei welchen ntlichen Autoren sie aus­drücklich oder unausdrücklich vorkommt u. dgl.; sie kann gegebenenfalls religionsver­gleiChend etwas darüber ausmachen, ob die fragliche Aussage in anderen Religionen mehr oder weniger analog vorhanden ist. Jedoch alle diese Feststellungen über eine solche Aus­sage vermögen niemals ein Urteil zu begründen, welches den Schritt macht über die in der Aussage gegebene Vorstellung hinaus rur Behauptung der Wirklichkeit des in ihr vor­gestellten supranaturalen Faktums. Da Aussagen über supranaturale Gegenständlichkeit als solche nicht verifizierbar sind, d. h. weder als wahr noch als.falsch erwiesen werden kön­nen, so ist es eih Ungedanke, zu erwarten, daß in der exegetischen Einzelarbeit Momente ermittelbar wären, die auch nur etwas über die Wirklichkeit supranaturaler Gegenstände indizieren könnten.

Es besteht kein Widerspruch zwischen dem hier geführten Nachweis der Unmöglichkeit, die von Thielicke geforderte Unterscheidung zwischen mythischen und supranatural-histo­rischen Aussagen des N.T.s auf dem Wege der exegetischen Einzelarbeit zu treffen und unserer in diesen Darlegungen immer .;..,ieder betonten Auffassung, wonach über das Recht der von Bultmann geübten Entmythologisierung durch existentiale Interpretation letztlich nur auf dem Wege der Exeges~ entsc':lieden werden könne. Denn Entmythologisierung durch existentiale Interpretation, wie Bultmann aus exegetischen Gründen sie fordert und durchführt, verlangt überhaupt keine Unterscheidung der im N.T. vorliegenden Aussagen supranaturalen Charakters unter dem Gesichtspunkt, ob sie insofern wahr oder falsch seien, als ihnen supranaturale Wirklichkeit entspreche oder nicht; sondern Entmythologisierung in Bultmanns Sinne bedeutet - worüber sogleich noch Näheres zu sagen sein wird - gerade die Einsicht, daß ntEche Aussagen dieser Art dem Gesichtspunkt der Tatsachenwahrheit

Page 141: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

140 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

gar nicht unterworfen werden dürfen, - wenn anders die kerygmatische Wahrheit erfaßt werden soll, welche diese Aussagen zum Worte Gottes macht, das mich meiner Existenz nach in Anspruch nimmt. Es bedeutet soinit eine wesentliche Verschiebung des von Bult­mann gestellten Problems, wenn Thielicke ohne Eingehen auf Bultmanns exegetische Be­gründung dieses seines Standpunktes die Frage der Entmythologisierung zur Feststellungs­frage von solchen biblischen Aussagen macht, denen supranaturale Wirklichkeit entspricht bzw. nicht entspricht, - ganz abgesehen davon, daß, wie gezeigt, mangels dafür vor­handener Kriterien solche supranaturale Tatsachenfragen nicht zu entscheiden sind.

Jv.J;an kann dieser Auffassung, wonach Behauptungen über supranaturale Fakten als solche unverifizierbar und daher unter dem Gesichtspunkte von "wahr" oder "falsch" nicht zu unterscheiden sind, auch keineswegs mit dem Argument entgegentreten, diese Ansichten~­springe einem bestimmten erkenntnistheoretischen (etwa kantischen) Standpunkt. Sie ent~ springt gar keinem besonderen erkenntnistheoretischen Standpunkt, sondern fußt auf der einfachen Erwägung, daß eben mit der Behauptung der Wirklichkeit einer Tatsache keines­falls schon die Wirklichkeit der behaupteten Tatsache garantiert ist. Woraus folgt, daß es über die bloße Behauptung der Wirklichkeit einer Tatsache hinaus eines mehreren bedarf, um sich der Wirklichkeit des Behaupteten zu versichern: nämlich der Begründung derj3e­hauptung. Diese Auffassung könnte also allein durch den geführten Nachweis widerlegt werden, da11 man in der Tat über hinreichende Kriterien verfügt, um bezuglieh der Behaup­tung von supranaturalen Fakten die bloß subjektiv-bedingte Behauptung von der objektiv­bestimmten Behauptung begründetermaßen zu unterscheiden. Die bloße Denkmöglichkeit, es könne Kriterien für die Begründung einer solchen Unterscheidung geben, genügt nicht: es bedarf des Aufweises des wirklichen Vorhandenseins solcher Kriterien im methodischen Gebrauch!

Mangels dafür vorhandener Kriterien verfährt Thielicke bei seinen Behaup­tungen über supranaturale Faktizität bzw. Nicht-Faktizität in der Tat thetisch­ohne daß dem Leser erkennbar würde, nach welchem Prinzip er bei diesen the­tischen Entscheidungen vorgeht. Zwei ntliche Aussagen über supranaturale Er­eignisse werden von ihm a priori aus dem Bereich der biblischen Mythen aus­gegrenzt und als wahre, objektive Aussagen über supranaturale Fakten definiert: das Wunder der Fleischwerdung und das Wunder der Auferstehung.

Die Vorstellung von der Gottmenschheit Jesu Christi ist nach Thielicke die axiomatische Grenze aller Entmythologisierung; sie darf unter keinen Umständen als mythisch oder zeitbedingt erkannt werden. Die Aussage über die Gottmensch­heit Jesu Christi muß als ein objektives Tatsachenurteil über ein supranaturales Geschehnis aufgefaßt werden. In dieser Hinsicht grenzt Thielicke sein eigenes Unternehmen einer Entmythologisierung gegenüber dem Versuch Bultmanns in folgenden Sätzen ab: .

. ,,Niemand möge jedenfalls den höchst irrigen Eindruck mitnehmen, dieser außerordent­lich prominente Versuch Bultmanns sei für ihn ,erledigt'. Die· Frage, die Bultmann stellt, ist es jedenfalls keineswegs, auch nicht für den schlichtesten Praktiker. In der Frage der Ent­mythologisierung des N.T.s spiegelt sich ja schließlich und endlich die Frage, was zeit­bedingt und was ewig, was ,menschlich' und was ,göttlich' an der Offenbarungsquelle des N.T.s sei. Daß an vielen Punkten di11 Scheidelinie gefunden werden muß, ist klar, so gewiß eben wirklich zeitbedingte Mythen und Anschauungen den Kern der Botschaft umhüllen."

,.Daß aber diese Scheidelinie nicht verstanden werden darf als eine prinzipielle und durch­gängige Grenze zwischen Göttlichem und Menschlichem, ist ebenso klar. Denn das Wunder der Fleischwerdung besagt doch, daß Gott die Grenze zum Menschen durchbrochen, daß

Page 142: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

TRIBLICKESANSÄTZE Z. LÖSUNG D. ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEMS 141

er den Abgrund überbrückt und den Cherub hinweggeräumt habe. ,An Gebärden ist er als ein Mensch erfunden.' ,Er ist versucht gleichwie wir!"'

"Stößt nicht jede Entmythologisierung, so gewiß sie auf die Scheidung zwischen Ewigem und Zeitbedingtem, zwischen Göttlichem und Menschlichem hinauswill, schließlich auf diese gottgewollte Grenze, wo sie nicht mehr weiterfragen darf? Diese Grenze ist das Ge­heimnis des Gottmenschen" (a. a. 0. S. 194, 2S. 174).

Ist mit dieser apriorischen Ausgrenzung der Vorstellung der Gottmenschheit Jesu Christi aus dem Bereich des Mythischen im N.T. indessen wirklich das ge­wonnen, was Thielicke seinem Ansatz nach zur Lösung des Entmythologisie­rungsproblems braucht? Ist aus ihr auch nur ein Kriterium abzuleiten für die Beurteilung des ,mythischen' bzw. ,historischen' Charakters wenigstens solcher ntlicher Vorstellungen, die die Vorstellung der Gottmenschheit zwar als Kern mitenthalten, jedoch in Form näherer, konkreterer Bestimmtheit? Wie steht es mit der Reichweite dieser Ausgrenzung? - auch darüber läßt Thielicke grund­sätzliche Ausführungen vermissen.

Falls diese Ausgrenzung so aufgefaßt werden muß, daß zwar das "Daß" der Mensch­werdung Tatsache, das "Wie" derselben Geheimnis ist, so kann daraus offenbar kein Ge­sichtspunkt der Beurteilung des mythischen bzw. historischen Charakters von Vorstellungen entnommen werden, welche das "Wie" der Menschwerdung näher bestimmen. Wie will dann Thielicke sein negatives Urteil über die Tatsächlichkeit der Jungfrauengeburt be­gründen, wonach diese Vorstellung eine bloß" bildliehe Verdeutlichung" der Tatsache- des "Daß"- der Menschwerdung Jesu Christi sei? Gemäß dieser seiner Beurteilung der Jung­frauengehurt dürfte Thielickes Redeweise von der mit der Menschwerdung gesetzten "gott­gewollten" Geheimnisgrenze wohl so zu verstehen sein, daß zwar die abstrakte Tatsächlich­keit der Menschwerdung grundsätzlich der EntmythoJ.ogisietung entzogen sei, jede kon­krete Vorstellung über das "Wie" der Menschwerdung prinzipiell wenigstens entmytho­logisiert werden könnte. Auch in diesem Falle wäre mit der thetischen Ausgrenzung des ab­strakten "Daß" der Menschwerdung aus dem Bereich des Entmythologisierbaren kein handhabbares Prinzip gewonnen für die von Thielicke angestrebte Erkenntnis des mythi­schen oder bistorisehen Charakters konkreterer Vorstellungen vom "Wie" der Mensch­werdung.

Sollte aber der Ausdruck von der mit der Menschwerdung gesetzten "gottgewollten" Geheimnisgrenze so zu verstehen sein, daß sowohl das "Daß" wie auch das "Wie" der Menschwerdung Geheimnis ist, d. h. daß bezüglich der christologischen Aussagen des N. T. die Grenze zwischen gottgewirkten Fakten und bloß menschlichen Vorstellungen überhaupt geheim ist, so wäre für den Bereich dieser Aussagen damit schon die Frage nach der Lös­barkeit des Entmythologisierungsproblems, welches Thielicke doch gerade als die Frage nach der Grenzziehung zwischen bloß subjektiv-bedingten ("mythischen") und objektiv­bestimmten (supranatural-"historiscben") Aussagen ansetzt, überhaupt sinnlos gemacht. Bei solchem Umfange des Geheimnisses könnte von Thielicke hinsichtli~b einer bestimmten christologischen Aussage - z. B. der Jungfrauengeburt- weder deren subjektives Bedingt­sein (in der Weise bildlieber Verdeutlichung) noch deren objektives Bestimmtsein (in der Weise direkter Wiedergabe) behauptet werden1.

1 Die Tendenz zum Rückzug auf das "Geheimnis" begegnet immer wieder in den Beiträgen zur Entmythologisierungsfrage. Die Statuierung des Geheimnisses in diesem Zusammenhang zweckt darauf ab, die Entmythologisierungsfrage als Frage abzuweisen - zumindest für· die Aussagegruppei:t, die als in den Bereich des Geheimnisses fallend definiert werden. So behauptet man etwa binsichtlich der christologischen Aussagen nicht nur deren Ununterscheidbarkeit bin-

Page 143: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

142 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

Bei dem unprinzipiellen Charakter dieser Ausführungen Thielickes bleibt es nur möglich, Vermutungen über die Gründe auszusprechen, die ihn b~i seiner thetischen Ausgrenzung der Menschwerdung aus dem Bereich des Mythischen im N.T. bestimmt haben könnten. Es liegt nahe anzunehmen, daß Thielicke diese Heils-"Tatsache" der Entmythologisierung deshalb definitorisch entzieht, weil sie seiner Ansicht nach zum Minimum dessen gehört, was der Glaube an Tat­sachenbehauptungen zu vollziehen hat, um nach Thielicke überhaupt noch als christlicher Glaube gelten zu können. Geht diese Vermutung nicht fehl, so wäre es der Sache dienlich gewesen, wenn Thielicke diese seinen Ausführungen zu7" · grunde liegende Glaubensautfassung explizit gemacht hätte, zumal ja gerade eine solche Auffassung vom Glauben als einem zu leistenden Vollzuge von Tatsachen­behauptungen von Bultmann exegetisch in Frage gestellt ist. Dadurch wäre ein­mal Klarheit darüber erreicht worden, welches Minimum von facta credenda Thielicke voraussetzt und mit welchem exegetischen Recht er dies tun will. Zugleich hätte von vornherein Klarheit auch darüber bestanden, daß Thielicke gar nicht in eine echte Auseinandersetzung mit Bultmann eintritt, weil er - vor­bestimmt durch eben diese seine Auffassung vom Glauben- das Problem der Entmythologisierung unter einem Gesichtspunkt in Angriff nehmen muß, der nach Bultmann gerade nicht die Frage der Entmythologisierung leiten kann und darf, - und daß Thielicke, da er Bultmann nur in dessen Ergebnissen kritisiert, dessen Begründungen aber nicht prüfend nachvollzieht, den eigentlichen Streit­punkt verfehlen muß.

Der eigentliche Streitpunkt ist die Frage nach dem Wesen des Glaubens, wie es vom N. T. her zu verstehen ist.

Setzt man das primäre Moment am Glauben, welches alle seine weiteren Mo­mente trägt, in das "F ür;.wahr-halten" im Sinne des Vollzuges von Tatsachen­behauptungen über äußere transzendente, supranaturale Faktizität, so ist damit ein Ansatz von entscheidender Bedeutung gemacht, dessen Recht sich keineswegs, ·wie es für Thielicke der Fall zu sein scheint, von selbst versteht. Diesem Ansatz liegt die Meinung zugrunde, dem N.T. zufolge bestehe das Verhältnis des Menschen zur Botschaft zuerst in einer Beziehung von der Art der Erkenntnis.

Denn wer Tatsachen behauptet bzw. sie behaupten soll, nimmt grundsätzlich Intention auf Erkenntnis, - gerade auch dann, wenn er sogleich die faktische Unbegründbarkeit dieser Tatsachenbehauptungen einräumt. Der Grundcharakter des Erkenntnisverhältnisses bleibt also auch dann erhalten, wenn Glauben als der Vollzug von Behauptungen über supranaturale Fakten im Bewußtsein ihrer Unbegründbarkeit verstanden wird.

sichtlich dessen, was an ihnen auf Rechnung bloß menschlicher Vorstellungsweise zu setzen, und was durch die supranaturale Faktizität selbst bestimmte Vorstellung ist, - sondern man begründet diese Ununterscheidbarkeit mit Aussagen über eine supranaturale Tatsächlichkeit, etwa die Menschwerdung sei von Gott als Vorgang so gewollt, daß die sie bezeichnenden neutestamentlichen Aussagen nicht unter dem Gesichtspunkt von "mythisch" und "supranatural­historisch" unterschieden werden dürften. Hier zeigt sich, daß die Geheimnistheologie im Grunde nur eine Theologie der supranaturalen Fakten ist, denen sie die Kappe des Geheimnisses aufsetzt.

Page 144: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

THIELICKESANS.ÄTZE Z. LÖSUNG D.ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEMS 143

Eine solche Auffassung ist aber von Bultmann so umfassend und so grund­sätzlich in Frage gestellt, daß es in der Auseinandersetzung mit ihm nicht angeht, ohne ausdrückliche Rechtfertigung gegenüber seiner Bestreitung die Position dieser Glaubensauffassung einfach wieder zu beziehen und zugrunde zu legen. Gerade wer mit uns bemÜht ist, seine endgültige Stellungnahme im Streite um die Entmythologisierung von dem Gewichte der Argumente abhängig zu machen, sieht sich bei einem solchen Verfahren der "Widerlegung" im Stiche gelassen. Bultmann gewinnt doch seine Auffassung vom Glauben, -über deren Recht allerdings letztlich nur exegetisch befunden werden kann - im Zuge von Be­gründungen. Ihre Hauptmomente seien im folgenden wenigstens insoweit aus­geführt, als zur Bezeichnung dessen nötig ist, worauf eine Auseinandersetzung mit Bultmann unter allen Umständen hätte eingehen müssen:

Erstens: Versucht man es, die Eigentümlichkeit des Mythos, wie er auch in . der Bibel begegnet, von einem Denken her zu erfassen, welches selbst nicht mehr · mythisch ist, - und das ist die Situation eines von der Wissenschaft bestimmten Denkens, - so tritt zunächst die fundamentale Verschiedenheit der mythischen Aussage zu einem Denken hervor, welches sich in bewußter Verantwortlichkeit unter der Norm der Erkenntniswahrheit vollzieht. Wird der biblische Mythos unter diesem- wie sich sogleich zeigen wird - fiir sein Verständnis unzuläng­lichen Gesichrspunkt der Erkenntnis betrachtet, so scheinen in ihm Aussagen vor­zuliegen über äußere "transzendente", "supranaturale" "Gegenständlichkeit", sei es, daß er überhaupt transzendente Gegenstände beschreibt, sei es, daß er einen supranaturalen Faktor in einer sonst "empirischen" Geschichte als wirksam aus­sagt. Mythische Aussagen unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnis aufzufassen, ist zunächst unvermeidlich, weil für ein nicht mehr mythisches Denken im Sinne jeder Aussage, welche der Form nach etwas über Gegenstände (welcher Art auch immer) aussagt, der Gesichtspunkt ihrer Erkenntniswahrheit mitgesetzt ist, d. h. der Bezug auf die Frage, ob diese Aussage als wahr oder falsch, als begründet oder unbegründet zu erweisen ist und demgemäß mit dem Anspruch auf Er­kenntniswahrheit vollzog;en werden kann oder nicht.

Zweitens: Aussagen über "Transzendentes", "Supranaturales", wie sie dem Mythos eigentümlich sind, erweisen sich aber unter dem Gesichtspunkt der Erkenntniswahrheit als wertlos, weil sie - wie oft betont - prinzipiell ~m­verifizierbar sind und Verifizierbarkeit eine Aussage unter dem Gesichtspunkt der Erkenntniswahrheit allein legitimiert. Unter diesem Gesichtspunkt bedeutet die Qualifikation einer Aussage als "mythisch" somit ein negatives Urteil: sie ist in Verantwortlichkeit 1,:mter der Norm der Erkenntniswahrheit nicht vollzieh­bar bzw. nachvollziehbar. Das berühmte und berüchtigte "Erledigt", das Bult­mann zu zentralen christlichen Heilsmythologemen spricht, ist unter diesem Ge­sichtspunkt der Erkenntniswahrheit gesprochen und unter diesem Gesichts­punkt unvermeidlich.

Die beste Bestätigung für die Fruchdosigkeit eines Bemühens, biblische mythische Aus­sagen unter den Kategorien der Erkenntniswahrheit sicherzustellen, sind Thielickes Aus-

Page 145: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

144 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

führungenübet das Verhältnis von Auferstehungstatsache und Auferstehungsglauben, die von uns in dem Abschnitte "Die Unmöglichkeit, dem Verhältnis vo11 Auferstehungstat­sache und Auferstehungsglauben das Modell der Erkenntnisbeziehung zugrunde zu legen" noch behandelt werden.

Drittens: Das eigentlicheVerständnisbiblischer mythischer Aussagen fängt nach Bultmann gerade an ·mit der Einsicht, daß diese Aussagen dem Gesichtspunkt der Erkenntniswahrheit nicht unterstellt werden dürfen, wenn anders ihr Sinn erfaßt werden soll. Läßt qie Exegese erkennen, daß die mythischen Vorstellungen und Vorstellungsgruppen im N.T. in der Funktion gebraucht sind,. existentialer Wahrheit Ausdruck zu geben, so ist die Sachangemessenheit einer Auslegung prinzipiell zu bestreiten, in der solche Aussagen dem \Vahrheitsbegriff im Sinne der Erkenntniswahrheit unterworfen werden. Wer also- fehlgeleitet durch ein Mißverständnis ihrer Aussageform - die biblischen mythischen Aussagen über "Transzendentes", "Supranaturales" unter den Begriff der Objektivität im Sinne der Erkenntnis bringt, indem er sie als Tatsachenbehauptungen interpretiert, fil­tert sie damit schon durch eine Schematik, bei der das Wesentliche dieser Aussagen ausgeschieden wird, nämlich die Einheit des existenti;uen Sinnes, welcher sie leitet. Die mythischen Aussagen über Transzendentes, Supranaturales werden dadurch aus ihrem funktionalen Zusammenhang herausgerissen und isoliert als Tatsachenbehauptungen behandelt. Eine Auslegung, die in dieser Weise ge­waltsam verfährt, indem sie den mythischen Aussagen den Charakter der Tat­sa.chenbehauptung unterschiebt, verkehrt deren ursprünglichen Sinn und macht die Aufnahme ihrer kerygmatischen Wahrheit unmöglich. Denn

Viertens: der Mißgriff einer solchen Interpretation betrifft nicht nur die zu Tatsachenbehauptungen gestempelten Aussagen über Transzendentes und Supra­natu~ales, sondern präjudiziert auch in entscheidender Weise die Auffassung vom Wesen des Glaubens, der nunmehr unvermeidlich zu einem Für-wahr-halten von äußeren Tatsachen in der Weise unverifizierbarer Behauptungen über supra­naturale Fakten gemacht wird. Zu der aufgewiesenen inneren Unmöglichkeit eines solchen Für-wahr-haltens tritt nunmehr die Frage nach dem exegetischen Recht, mit der eine solche Auffassung vom Glauben behauptet werden kann. In der Tat: was heißt Glauben im Sinne des N.T.,- das ist die Frage, vor die Bultmann jeden seiner Kritiker zuerst stellt.

e) Die Unmöglichkeit, dem Verhältnis von Auferstehungstatsache und Auferstehungs­glauben das Modell der Erkenntnisbeziehung zugrunde zu legen.

Einen ganz neuen Ansatz hinsichtlich der Begründung nimmt Thielicke bei seinem V ersuch, für die Vorstellung der Auferstehung die Tatsächlichkeit zu sichern. Er denkt sich das Verhältnis von Auferstehungstatsache und subjektiver Aneignung derselben ganz nach der Art und Weise, wie sich in der Erkenntnis­beziehung eine an sich bestehende äußere Tatsache zu einer sie in ihrer Tat­sächlichkeit unmittelbar auffassenden Subjektivität verhält. So sei im Falle des Glaubens an das Auferstehungsfaktum jede subjektive Bestimmtheit auf seiten des

Page 146: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

THIELICKESANSÄTZE Z.LÖSUNG D.ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEMS 145

Glaubenden ausgeschlossen: das brutum factum dieser Tatsache bestimme rein von sich her das glaubende Subjekt -"ohne Einschaltung meiner produzieren­den Subjektivität - im Gegenteil so, daß meine Subjektivität (als des zum Glauben Überwundenen) dadurch produziert wird" (a. a. 0. S. 192, 2S. 172).

In diesem Sinne erklärt Thielicke, ohne das brutum factum der Auferstehung könne es keine Begegnung mit Christus geben: ·

"Erst das Faktum der Auferstehung läßt es zu einer wirklichen Begegnung mit Christus kommen, während er sonst. eine unentschlüsselbare, sinnlose Gestalt bleibe und deshalb gar nicht Gegenstand einer wirklichen Begegnung werden könnte. Noch prägnanter: die von Bultmann gemeinte Begegnung ist nicht Ursache des Auferstehungsglaubens, sondern um­gekehrt ist die Auferstehung Ursache einer Begegnung mit Christus. Nun erst, d. h. auf Grund des Faktums kann ich sagen: Mein Herr und mein Gott" (a. a. 0. S. 192, 2S. 172)1

An keiner Stelle tritt Thielickes Grundaxiom, wonach dem Glauben unter allen Umständen "Objektivität" in dem Sinne zu sichern sei, daß er auf dem Fundament äußerer, bewußtseinsunabhängiger, für sich bestehender Tatsachen aufruhen müsse,so drastisch hervor, wie in diesen und den weiterenAusführungen, die er über das Verhältnis von Auferstehungstatsache und Auferstehungsglauben macht.

Die Absicht dieser Darlegungen ist nicht mißzuverstehen. Dem Verhältnis von Auferstehungstatsache und Auferstehungsglauben (als deren subjektiver An­eignungsweise) soll offenbar eine solche Unmittelbarkeit gesichert werden, daß dabei kein Raum bleibt für die Einschaltung einer mythenbildenden produ­zierenden Subjektivität. Zu diesem Zwecke behauptet Thielicke für die Be­ziehung des Auferstehungsglaubens auf die Auferstehungstatsache eine solche Unmittelbarkeit, wie sie in der Erkenntnisbeziehung dann vorliegt, wenn dne unmittelbare Bestimmtheit vom Objekt her die rein passive Subjektivität "über­windet" ("produziert"). Auf diese Weise- meint Thielicke offenbar- sei die Objektivität des Auferstehungsglaubens am besten zu sichern. ·

1 Wie steht es mit der exegetischen Begründetheit der von Thielicke hier zum Grundsatz er­hobenen Glaubensauffassung, wonach die Begegnung mit Christus im wunderhaften Faktum der Auferstehung gegründet sein müsse? Wird diese Auffassung nicht gerade schon in der Thomas-Geschichte, auf welche Thielicke sich doch wohl durch die aufgenommenen Bekenntnis­worte bezieht, als die Haltung des Unglaubens gekennzeichnet? Der Skopus dieser Geschichte ist doch der, daß der Glaube, dem das Heil verheißen ist, unabhängig sein soll vom Ereignis des Auferstehungswunders. Die Glaubensbegegnung mit Christus, der die Seligpreisung (Job. 20, 29b) gilt, darf keinesfalls das gesehene oder fürwahrgehaltene wunderhafte Auferstehungs­ereignis zur conditio sine qua non haben: "Der echte Osterglaube ist von leiblichen Erschei­nungen des Auferstandenen nicht abhängig. Sie sind für ihn unwesentlich. - Der echte Glaube bedarf des sichtbaren Wunders nicht. - Diesem von aller Wunderbestätigung unabhängigen Glauben gehört die Seligpreisung.- Mit dem kühnen Wort (Job. 20, 29b), das von aller historischen Quälerei befreit, erreicht das Evangelium einen letzten Höhepunkt". (Strathmann, das Evang. nach Joh., Göttingen 1951, N.T. Deutsch Bd. 4, S. 26o; vgl. auch Bultmann, Job. Komm., Göttingen 1941 (2. Aufl. 1951), S. 537f. - zu der Anrede: Mein Herr und mein Gott siehe Buhmann, Ev. Theol. II. Jahrg. S. 3).

to Kerygma, Bd. 2.

Page 147: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

146 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

Thielicke teilt also mit der Orthodoxie die Auffassung, daß der Glaube auf dem Funda­mente äußerer supranaturaler Heilstatsachen gegründet sein müsse. Der Weg der traditio­nalen Begründung dieser Auffassung kann aber von ihm nicht beschritten werden - weder in der Form eines Rückgriffes auf die Autorität der Bibel (denn in ihr sind Mythen ent­halten) noch in der Weise eines Rückgriffes auf das kirchliche Bekenntnis (denn in ihm ist auch Nichthistorisches - z. B. die, Jungfrauengeburt- dogmatisiert). So sieht sich Thie­licke zu seinem neuartigen Versuch der Begründung der Objektivität des Auferstehungs­glaubens veranlaßt.

Man muß 'sich schon die Lage einer Theologie vergegenwärtigen, die in der Erkenntnis, "daß wirklich zeitbedingte Mythen und Anschauungen den Kern der Botschaft umhüllen", an dem Grundaxiom festhält, wonach Fakten die einzig tragfähige Grundlage des Glaubens seieri, - um die Massivität eines solchen Auferstehungsobjektivismus, wie ihn Thielicke hier vorträgt, aus seinen Motiven zu verstehen. Mit seinem Ansatz, demgemäß der Glaube seine Objektivität darin hat, daß er sich auf äußere Objekte gründet, ist notwendig die Sorge gesetzt, daß in der glaubenden Subjektivität Momente auftreten könnten, die nicht auf einer Bestimmtheit durch das äußere Objekt der Auferstehung beruhen. Denn unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnisbeziehung, der Thielickes Glaubens­auffassung beherrscht, muß notwendig jede Vorstellung und Behauptung auf seiten des Subjekts, die nicht ausschließlich durch das Objekt bestimmt ist, als ein bloßes "Produkt der Subjektivität" erscheinen, welches die "Objektivität" des Glaubens alteriert und seine "Wahrheit" aufhebt. Unter dem Zwange dieser Schematik muß Thielickes Bestreben dahin gehen, in der Glaubensbeziehungfür das Verhältnis von "Subjekt" und "Objekt" den Idealfall einer "Objektivität" anzusetzen, wie er in der Erkenntnisbeziehung dann gegeben ist, wenn ein äußeres Objekt unmittelbar das (dabei rein passive) Subjekt in seinem Vorstellen und Urteilen bestimmt. Dieser Auffassung gemäß ist Thielicke gezwungen, dem Auferstehungs"glauben" das Höc;hstmaß von Objektivität dadurch zu sichern,daß er die Möglichkeit der Einschaltung jeder produzierenden Subjektivität auf seiten des die äußere Tatsächlichkeit der Auferstehung glaubenden (behauptenden) Sub­jektes ausschließt: das brutum factum der Auferstehung produziert im Subjekt den Glauben - "ohne Einschaltung meiner produzierenden Subjektivität, -im Gegenteil so, daß meine Subjektivität (als des zum Glauben Überwundenen) dadurch produziert wird".- "Nun erst, d. h. auf Grund des Faktums kann ich sagen: Mein Herr und mein Gott!" (a. a. 0. S. 192, 2S. 172).

Ein unmöglicher Versuch! Schon die Formulierung: "Nun erst, d. h. auf Grund des Faktums kann ich sagen: Mein Herr und mein Gott" zeigt Thielickes Be­streben, den kardinalen ·Punkt zu überspringen, die unvermeidliche Frage näm­lich: Kann die Auferstehung überhaupt als brutum factumbehauptet werden?

Sie ist es nicht einmal im Rahmen der von Thielicke zugrunde gelegten Schematik:

Soviel ist auch bei Thielicke klar, daß die Auferstehungs"tatsache", auf die sich der Glaube bezieht, nicht von der Tatsächlichkeit ist, welche mit den Methoden der historischen Tatsachenfeststellung aus den Berichten der Evangelien ermittelt werden kann. Denn eine so ermittelte Tatsächlichkeit der Auferstehung kann ja, wie auch Thielicke betont, "niemals

Page 148: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

THIELICKESANS.Ä TZEZ. LÖSUNG D. ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEMS 14 7

tragfähiges Fundament des Glaubens werden, weil sie immer - auch in ihrer gesichertsten Form- relativ bleibt" (a. a. 0. S. 191, 2S. 172). Im Sinne des von Thielicke genommenen Ansatzes bedeutet das aber notwendig: rein vom objektiven Gegebensein der Auferstehungs­tatsache (in den Berichten) her kommt dieser bestenfalls relativ große Wal!rscheinlichkeit zu. Der Glaube, sofern er sich auf das Faktum der Auferstehung bezieht, begnügt sich jedoch nach Thielicke gerade nicht mit der historisch-relativen Gegebenheit der Auferstehungstatsache. Der Glaube geht also offenbar in der Behauptung der Tatsächlichkeit des Auferstehungs­faktums über das hinaus, was rein durch das gebene Objekt im Subjekt gesetzt sein kann. Mit anderen Worten: er- der Glaube- die glaubende Subjektivität also- setzt ("pro­duziert") eine Auferstehungstatsächlichkeit von unbedingter Gewißheit. Ein solcher Glaube ist somit - immer im Schema von Thielickes Ansatz betrachtet - unvermeidlich ein Für­walir-halten, welches über das hinausgeht, was unabhängig von diesem Für-wahr-halten dem gegebenen Objekt rein als solchem an Tatsächlichkeitscharakter zukommt. Kann aber Thielicke dann noch die gänzliche Ausschaltung, ,meiner produzierenden Subjektivität" für einen solchen Auferstehungsglauben behaupten? Offenbar nicht! Nach der Schematik sei-

: nes Ansatzes ist die Einschaltung meiner produzierenden Subjektivität für den Aufer­stehungsglauben, wie Thielicke ihn versteht (nämlich im Sinne des Für-wahr-haltens der Auf­erstehung als einer Tatsache von unbedingter Gewißheit) konstitutiv. Kurz: Thielicke setl!:t gerade das, was (seinem Begriff von Objektivität zufolge) bloßes Produkt meiner fürwahr­haltenden Subjektivität ist, als dasjenige Objektivum voraus, welches unabhängig von meiner fürwaluhaltenden Subjektivität bestehen uiid diese unmittelbar zum Für-wal!r-halten bestimmen soll, damit der Auferstehungsglaube nach Thielicke "Objektivität" habe.

Falls Thielicke aber in Einsicht dies.er unvermeidlichen Konsequenz seinen Glaubens­begriff in diesem Zusammenhang definitorisch dahin fassen wollte, daß der Auferstehungs­glaube eben ein Fürwahrhalten sei (mithin konstitutiv ein Moment der produzierenden Sub­jektivität enthält), so kann Thielicke nach dem Begriff von Objektivität, dem er die Bezie­hung des Auferstehungsglaubens auf die Auferstehungstatsache unterstellt hat, diesen für­wahrhaltenden Auferstehungsglauben nicht mehr von der mythenbildenden Produktion unterscheiden: beide sind nicht durch das Auferstehungsobjekt in der vorstellenden Sub­jektivität gesetzt ("produziert").

So ergibt sich: Stellt man den Auferstehungsglauben in seiner Bezogenheit auf die Auferstehung (als einer äußeren Tatsache) unter den Gesichtspunkt der Erkenntnis und damit unter die für diese Beziehung normativen Kriterien von Objektivität und Wahrheit, so kann dem Auferstehungsglauben keine Objek­tivität und Wahrheit zuerkannt werden. Unter der Norm der Erkenntnisobjek­tivität und -wahrheit ist ein Urteil in unbedingter Gewißheit über die Tat­sächlichkeit der Auferstehung unbegründet und nur im Verstoß gegen diese Normen zu vollziehen: Nicht schon, daß sich der Glaube (meinend) auf die Auf­erstehung als ein äußeres Objekt bezieht, kann ihm Objektivität geben; das vermöchte allein die objektive Begründetheit eines solchen Meinens. Dafür gibt es aber unter der Norm der Erkenntnis keine anderen Kriterien als die der Tatsachenfest­stellung. Wer mehr behauptet, als die Tatsachenfeststellung ergibt, der bleibt insoweit in bloß Subjektivem.

f) Zusammenfassender Rückblick.

Der ausführliche Nachweis der inneren Widersprüchlichkeit von Thielickes Standpunkt rechtfertigt sich durch eine Einsicht von prinzipieller Tragweite:

to*

Page 149: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

148 CHRISTIAN HARTLICH UND WALTER SACHS

daß nämlich der Grundirrtum desselben bereits im Ansatz und nicht erst in der Durchführung liegt. Es ist daher Thielicke zu danken, daß er bei dem Versuche, die Objektivität von äußeren Heilstatsachen unter allen Umständen zu garan­tieren, den Standpunkt eines solchen Objektivismus so weit und so konsequent exponiert, daß er in. seinen letzten Voraussetzungen bloßgelegt werden kann.

Stößt man zum letzten Grunde vor, warum Thielickes Unternehmen scheitern muß, so ergibt sich, daß von ihm durchgehend - allerdings ohne es zu begr~n­den -ein unangemessenes Schema zur Anwendung gebracht wird, in dessen Rahmep. .er des Problems der Entmythologisierung Herr zu werden versucht.

I. Indem Thielicke die Frage nach der Entmythologisierung etlicher Aussagen als die Aufgabe der Unterscheidung zwischen wahren und falschen Urteilen über supranaturale Tatsachen auffaßt, macht er sie zu einer Frage der Erkenntnis, und zwar der Erkenntnis von äußerer supranaturaler Tatsächlichkeit. In allen weiteren Schritten erweist er sich als der Gefangene dieses Ansatzes.

2.. Nach der diesem Schema immanenten Gesetzlichkeit muß Thielicke im Grunde an Urteilskriterien appellieren, die es nicht gibt. Denn Urteile über supra­naturale (transzendente) Tatsachen sind nach gültigen Kriterien nicht als wahr oder falsch zu erweisen. In Ermangelung solcher Kriterien aber wird er ge­zwungen, zur Setzung supranaturaler Tatsachen zu schreiten -in Form von thetischen Entsche~dung~n, deren Prinzipien nicht erkennbar sind.

; . Der mit seinem A 1satz verbundene Rationalismus zwingt Thielicke zu seinem in seiner Unmöglichkeit aufgewiesenen Versuche, dem mythischen Vor­stellen biblischer Autoren eine Objektivität nach Art der Objektivität unserer äußeren sinnlichen Wahrnehmungsurteile zu vindizieren. Indessen: der Gedanke eines Mfiziertseins des mythischen Vorstellungsvermögens durch supranaturale Gegenstände ist erkenntnistheoretische Schwärmerei.

4· Aus demselben Rationalismus erfolgt endlich der nicht minder abwegige Versuch Thielickes, der von der Glaubensbeziehung abgelösten und zum äußeren Objekt gemachten "Tatsache" der Auferstehung ein vorgängiges Ansichsein in dem Sinne zuzuschreiben, daß diese für sie~ bestehende Auferstehungstatsache durch die Massivität ihrer Tatsäcblichkeit da~ Subjekt in einer rein passiven Er­kenntnisbeziehung zum "Glauben" bestimmen soll. Aber das, was nachgewiese­nermaßen ein Produkt der glaubenden Subjektivität ist, kann nicht in dieser erst den Glauben erzeugen.

Der entscheidende Grund, der Thielicke zwingt, die aufgezeigten Fehlwege ein­zuschlagen, ist die für ihn sei bstverständliche Alternative: entweder hat der GJau be äußere, supranaturale (transzendente) Tatsachen zur Grundlage und in der Be­zogenheit auf sie seine Objektivität und Wahrheit- oder der Glaube hat überhaupt keine objektive Grundlage, d. h. er ist in jeder Hinsicht bloß subjektiv.

Träfe diese Alternative zu, wäre Theologie nur als eine Theologie der "Tat­sachen" möglich, so ist ihr Schicksal entschieden: sie scheitert erstens an ihren eigenen Maßstäben, vor denen sie die Objektivität des Glaubens behaupten will. Objektivität ist in Bezogenheit auf supranaturale (transzendente) Fakten

Page 150: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

THIELICKESANSÄTZE Z. LÖSUNG D. ENTMYTHOLOGISIERUNGSPROBLEMS 149

nicht zu erreichen. Zweitens sind Tatsächlichkeitsbehauptungen in Hinsicht auf supranaturale (transzendente) "Objekte" nur um den Preis der Verantwortlich­keit des Denkens untet der Norm der Wahrheit zu leisten, womit der "Glaube" zu einem Werke der Unwahrhaftigkeit werden muß.

Bei solcher Forderung einer willkürlichen Suspension der Verantwortlichkeit des Urteilens muß jede Theologie enden, die äußere supranaturale Heilstatsachen in für sich bestehender Tats~chlichkeit dem Subjekt gegenübersetzt und dessen "Glauben" alsdann notwendig damit beginnen lassen muß, daß es sich in einem Akte des "Für-wahr-haltens" diese äußeren supranaturalen Heilstatsachen "an­eignet". Fordert das richtig verstandene Kerygma diese willkürliche Suspen­sion des verantwortlichen Urteilens in bezug auf Tatsachenbehauptungen über äußere supranaturale Fakten und ist der Gehorsam gegenüber dem göttlichen Wort ein Gehorsam, der notwendig mit einem Verstoß gegen die Verantwortung unter der Norm der Wahrheit und also der Wahrhaftigkeit verbunden ist? Und kann man sich - wenn man erwägt, daß die Verantwortung unter der Norm der Wahrheit allein dasjenige ist, was demDenken des Menschen Wert verleihen kann - dem Gewicht dieser Frage so entziehen, wie es Heinrich Vogel tut, wenn er mit Bezug auf die Weihnachtsgeschichte wähnt, damit "rechnen" zu dürfen, "daß Er, dessen Heilsgeheimnis diese Geschichte kundtut, für ihre Wahrheit geradesteht"1 1 Wir fragen: Wird in dieser theologischen Rechnung nicht Jesus Christus zum Bürgen einer schlechten Theologie gemacht? Hat diese Theologie, ehe sie die Unwahrhaftigkeit zur Bedingung des Heils erklärt, zuvor wirklich hinreichend erwogen, ob dieses ganze Objekt-Subjekt-Schema von äußeren supranaturalen Heilstatsachen und einem sie in fürwahrhaltender Auf­nahme sich a'neignenden Subjekte - ob dieses ganze Schema überhaupt an­gemessen ist, diejenige Wirklichkeit in ihrer Objektivität zu erfassen, in deren Wahrheit echter Glaube lebt, der da bekennen muß: Mein Herr und mein Gott.

FreiHeb: Inner~alb eines theologischen Denkens, welches den Glauben von vornherein einspannt in den Rahmen der an der Erkenntnisbeziehung orien­tierten Schematik von "subjektiv" und "objektiv" kann nicht einmal die Frage nach dieser Wirklichkeit gestellt werden. Die Wirklichkeit dieser Wirklichkeit kann erst dort in Erörterung genommen werden, wo erkannt ist, daß die Kate­gorien der Erkenntnisrelation grundsätzlich ungeeignet sind, den Glauben und die Wirklichkeit, auf die er sich bezieht und gründet, unverfälscht zu erfassen. Dies ist der Fall in den großen dogmatischen Entwürfen von Althaus und Brunner, die den Gesichtspunkt der existentialen Interpretation weithin durchführen -allerdings unter gleichzeitiger Kritik von Bultmanns Programm der Entmytho­logisierung. In ihrem Gespräch mit Bultmann begegnen sich systematische Theo­logie und Exegese in einer ·weise, daß positive Ergebnisse für die Theologie ans Licht treten werden2•

1 Heinr. Vogel in seiner Schrift "Kerygma und Mythos", Darmstadt 1950, S. z8. 2 Die Fortsetzung erscheint in "Für Arbeit und Besinnung" - Kirchl-theol. HalbmGnats­

schrift (Stuttgart, Quell-Verlag).

Page 151: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS
Page 152: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

V

STIMMEN AUS DER NEUTESTAMENTLICHEN THEOLOGIE

Page 153: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS
Page 154: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

W. G. KOMMEL

MYTHISCHE REDE UND HEILSGESCHEHEN IM

NEUEN TESTAMENT 1

Seit es eine historisch-kritische Forschung am N.T. gibt, hat sich den Forschern die Beobachtung aufgedrängt, daß das N.T. eine große Zahl von Vorstellungen und Denkformen aufweist, die dem modernen Menschen mit seinem naturwissen­schaftlichen Weltbild und seinem kausal verknüpfenden Denken fremd sind. Damit stellte sich notwendigerweise die Frage, ob diese veral~eten Vorstellungen und Denkformen für den modernen Menschen überhaupt noch annehmbar seien, ja ob sie nicht überhaupt als dem eigentlichen Sinn der neutestamentlichen Ver­kündigung inadäquat angesehen werden müßten; in beiden Fällen bestünde die Notwendigkeit, sich dieser Vorstellungen und Denkformen zu entledigen, wenn man die bleibende Botschaft des N.T. rein herausstellen wollte. Diese historisch­dogmatische Kritik am N.T., die weitgehend gehandhabt wurde, ohne daß man sich des damit gegebenen hermeneutischen Problems immer klar gewesen wäre, hat freilich, wie K. Barth schon vor 25 Jahren gegenüber P. Wernle feststellte2, die Gefahr mit sich gebracht, daß nach Entfernung der "zeitgeschichtlichen Reste" und "ungemütlichen Punkte" nichts wirklich Erhebliches von der neutestament­lichen Verkündigung übrigzubleiben schien. Der Ausweg, darum auf alle der­artige Kritik an den neutestamentlichen Vorstellungs- und Denkformen zu ver­zichten, um in biblizistischer Weise einfach die neutestamentlichen Aussagen zu reproduzieren, mußte naturgemäß die unbestreitbare Tatsache der zeitgeschicht­lichen Bedingtheit der neutestamentlichen V arsteilungsformen beiseite schieben oder ignorieren, womit aber die der theologischen Wissenschaft gestellte Auf­gabe verlassen war, die neutestamentliche Verkündigung dem Menschen von heute verständlich zu machen. Blieb somit die Aufgabe bestehen, die zeitbedingte V arsteilungsform zu eliminieren, ohne damit zugleich das gesamte neutestament­liche Kerygma aufzulösen, so mußte man sich ernsthaft die Frage vorlegen, auf welchem Wege man diese zeitbedingten Vorstellungsformen des N.T. abstreifen könne, ohne damit auch das Kerygma preiszugeben.

Es ist das Verdienst von R. Bultmann, diese Frage in einer äußerst wichtigen, aber infolge der Kriegsereignisse außerhalb Deutschlands nur wenig beachteten Schrift in aller Klarheit gestellt und zugleich auch eine sehr bestimmte Antwcrt auf diese Frage vorgelegt zu haben3. Bultmanns Forderung einer "Entmytho­logisierung" des N.T. durch eine "anthropologische, besser existentiale" (S. 25)4

1 Aus: Coniectanea Neotestamentica, Festschrift für A. Fridrichsen, Band 1947, S. Io9ff. 2 K. Barth, Der Römerbrief, Vorwort zur 2. Aufl. (5. Abdr. d. neuen Bearbeitung, 192.9,

S XV). 3 R. Bultmann, Offenbarung und Heilsgeschehen, 1941, S. 27ff.: "Neues Testament und My­

thologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung" (Bei­träge zur Ev. Theol., Bd. 7). sh. Kerygma und Mythos Band J1 1948 S. 15ff.

4 Die Seitenhinweise beziehen sich auf Band I von Kerygma und Mythos. I. Auf!. 1948.

Page 155: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

154 W. G. KÜMMEL

Interpretation des Mythos fand in Deutschland ein starkes, weitgehend negativ lautendes Echol; in allen diesen Erörterungen ist aber die entscheidende Frage noch nicht wirklich grundsätzlich genug gestellt worden, wie sich Bultmanns Forderung einer völligen Entmythologisierung des N.T.s mit der Tatsache in Ein­klang bringen läßt, daß das N.T. doch zweifellos ein göttliches Handeln in der Geschichte, ein "Heilsgeschehen" verkündigt, wie Bultmann selber formuliert. Denn will man Bultmann das Recht zur Forderung auf eine "Entmythologisie­rung" des N.T.s nicht überhaupt bestreiten, so muß sich an der Beantwortung dieser Frage das Urteil darüber entscheiden, ob bei der kritischen Eliminierung des Mythos überhaupt das eigentliche Anliegen der neutestamentlichen Verkün­digung zui: Geltung gebracht oder nicht doch aufgehoben wird. Auf diese wich­tige Frage wollen die folgenden Ausführungen eine grundsätzliche Antwort ver­suchen, indem an wenigen Beispielen die Notwendigkeit und die Grenze einer solchen "Entmythologisierung" aufgewiesen wird.

Man hat nun freilich das Recht zur Forderung einer "Entmythologisierung" des N.T. schon darum von vornherein abgelehnt, weil das N.T. keinen Mythos und auch keine mythischen Bestandteile enthalte2• Diese Ablehnung des Begriffs Mythos für das N.T. wäre allerdings dann auf keinen Fall möglich, wenn man den Begriff des Mythischen so weit faßt, wie Bultmann es tut. Denn Bultmann bezieht in den Begriff des Mythos das Weltbild des räumlichen Übereinanders von Unterwelt, Erde und Himmel ebenso mit ein wie jede Art von wunderhaftem Geschehen, so daß als "mythologisch" bezeichnet werden kann "die Vorstel­lungsweise, in der das Überweltliche, Göttliche als Weltliches, Menschliches, das Jenseitige als Diesseitiges erscheint3". Diese Ausweitung des Begriffs Mythos empfiehlt sich nun schwerlich, obwohl der Begriff des Mythos ein sehr schillern­der ist und die verschiedensten, auch sehr umfassenden Sinngebungen empfangen hat4 ; denn wollte man den Begriff des Mythos so weit fassen, daß er auch alle

1 Vgl. P. Altbaus, Theol. Lit. Ztg. 67, I942, Sp. 337ff.; H. Sasse, Flucht vor dem Dogma Bemerkungen zu Bultmanns Entmythologisierung des Neuen Testaments, Luthertum I942, S. I6Iff.; H. W. Schmidt, Christentum ohne Christus, Ztschr. f. Syst. Theol. 20, I943, S. 34ff.

2 G. Stählin, Att.['fJSo>, Theol. Wtbch. z. N.T. IV, I942, S. 769ff. (bes. 8ooff.) stellt fest, daß der Mythos "auf biblischem Boden keine Stätte hat, weder r. als direkte Mitteilung religiöser ,Wahrheiten', noch 2. als Gleichnis, noch 3· als Symbol"; "demgegenüber steht in der Bibel von Anfang bis zu Ende der Bericht und die Voraussage von Tatsachen".- H. Sasse (s. Anm: I) bestreitet, daß das neutestamentliche Weltbild mythisch sei, und folgert daraus: "Das Neue Testament braucht nicht entmythologisiert zu werden, weil es keinen Mythus enthält" (S. 172).

3 So Bultmanns letzte Definition (a. Anm. 2 S. I 53 a. 0., S. 23, Anm. 2). Früher hatte Bultmann auch den Gla~ben an Gottes wunderbare Schöpfung in der Zukunft, ferner die Deutung von Christi Wirken in der Vergangenheit als ein wunderbares und gottgewirktes Geschehen oder den Glauben an die Schöpfung als "mythologisch" bezeichnet (Art. Mythos und Mythologie im N. T., Die Religion in Geschichte und Gegenwart IV,2 I93o, Sp. 39off.). P. Althaus (a. Anm. I a. 0., Sp. 340) hat bereits darauf hingewiesen, daß infolge dieser Erweiterung des Begriffes alles als mythologisch bezeichnet wird, "was man sonst farblos zeitgebundene Vorstellungen nannte".

4 Vgl. die Übersicht bei G. Stählin (a. Anm. 2 a. 0., S. 771ff.).

Page 156: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHISCHE REDE UND HEILSGESCHEHEN IM NEUEN TESTAMENT 155

Vorstellungsformen des antiken Weltbildes in sich faßt, so müßte man die Äuße­rungen sämtlicher antiken Schriftsteller, die wie die Verfasser der neutestament­Schriften im antiken Weltbild leben, als "mythologisch" bezeichnen, wo­mit der Begriff seinen konkreten Sinn völlig verlieren würde. Es dürfte vielmehr einer klaren Problemstellung besser dienen, wenn man bei der Erörterung der Bedeutung des Mythos für das N.T. den Begriff des Mythos beschränkt auf "Ge­schichten ... , die in irgendeiner Weise beziehungsvolles Handeln von Göttern erzählen''l. Faßt man den Begriff des Mythos in dieser Beschränkung, so liegt mythologische Redeweise und Vorstellungsform überall dort vor, wo von einem in Zeit und Raum sich vollziehenden Handeln göttlicher Gestalten die Rede ist, das für die Existenz des Menschen bestimmende Bedeutung hat. Ließ sich die Behauptung, das N.T. enthalte übethauptkeine mythischen Bestandteile, gegen­über dem ausgeweiteten Mythosbegriff Bultmanns keinesfalls halten, so gilt das Gleiche aber auchangesichtsdes in dieser Weise begrenzten Begriffes des Mythos. Denn das N.T. berichtet von einem göttlichen Handeln im Ablauf der irdischen Geschichte, und einerseits wird dieses göttliche Handeln mit mythischen Einzel­zügen beschrieben (Präexistenz Christi, Herabkunft, Höllen- und Himmelfahrt des Erlösers, endzeitliche Parusie auf den Wolken des Himmels usw.), anderer­seits erscheint die Gestalt des Erlösers überhaupt als göttliche Gestalt in fleisch­licher Erniedrigung. Nun sind diese mythischen Züge ganz gewiß durch die Be­ziehung auf die geschichtliche Gestalt J esu "historisiert" worden; aber trotzdem kann man doch keinesfalls einfach behaupten: "Bei den Aposteln wie den Evan­gelien selbst ist alles auf Geschichte gegründet2". Denn z. B. sind weder die Prä­existenz noch die Höllenfahrt, weder die Geistbegabung Jesu in der Taufe noch die Himmelfahrt immanente Geschichtsereignisse, die nur eine religiöse Deutung erhalten; es sind vielmehr Vorgänge, die zwar in Raum und Zeit sich abgespielt haben sollen, zugleich aber die Grenzen von Raum und Zeit dieser Welt über­schreiten und darum nicht als "geschichtliche" Vorgänge im gewöhnlichen Sinn bezeichnet werden können. Und erst recht sind die Vorstellungen von der Mensch­werdung des· präexistenten Christus und von seiner Wiederkunft in Herrlichkeit am Ende der Tage mythologische Aussagen, die nicht einfach "auf Geschichte gegründet" sind. Läßt es sich also nicht bestreiten, daß das N.T. nicht nur my­thische Einzelvorstellungen verwendet, sondern in weitem Umfang mytho­logische Aussagen zur Glaubensdeutung der Gestalt und Geschichte Jesu macht, besteht andererseits die Bultmannsehe Forderung einer ":ijntmythologisierung" des N. T. wenigstens prinzipiell zu Recht, so erhebt sich nun mit neuer Dringlich­keit die Frage, wie sich die geforderte Entmythologisierung mit der Tatsache in Einklang br.ingen läßt, daß das N.T. ein "Heilsgeschehen", ein mit mytholo-

1 So M. Dibelius, Die Formge~chichte des Evangeliums,2 1933, S. 265. Auch P. Tillich, Art. Mythos, Die Religion in Geschichte und Gegenwart IV,2 1930, Sp. 363 defiiniert: "Mythos ist Göttergeschichte", wobei freilich angesichts der mÖglichen Einbeziehung rein anekdotischer Göttererzählungen der Begriff zu weit gefl!ßt erscheint.

2 G. Stäblin (a. Anm. 2 S. I 54 a. 0., S. 799).

Page 157: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

156 W.G.KÜMMEL

giseben Vorstellungen beschriebenes Handehi Gottes in der Geschichte verkündet. Sind die für die Deutung des Christusgeschehens verwerteten mythologischen Vorstellungen ohne Schaden für das Kerygma ablösbar, oder ist die mytho­logische Rede notwendige Ausdrucksform für die Glaubensaussage von dem gött­lichen Handeln in der Christusgeschichte?

Wollen wir auf diese entscheidende Frage eine Antwort geben, so ist zunächst Klarheit darüber zu gewinnen, warum überhaupt eine "Entmythologisierung" der neutestamentlichen Verkündigung nötig ist. Bultmann begründet diese Not­wendigkeit einerseits damit, daß alle mythologische Rede "für den Menschen von heute unglaubhaft" sei, "weil für ihn das mythische Weltbild vergangen ist", das er nicht mehr als wahr anerkennen könne, weil "unser aller Denken unwider­ruflich durch die Wissenschaft geformt worden ist"; ande~erseits sieht Bultmann die Notwendigkeit der Entmythologisierung dadurch begründet, daß der My­thos selber nicht ein objektives Weltbild, vielmehr ein Selbstverständnis des Menschen bieten und darum existentiell interpretiert werden wolle; und schließ­lich verlange das N.T. selber die Entmythologisierung, weil "innerhalb seiner Vorstellungswelt einzelne Vorstellungen gedanklich unausgeglichen, ja einander widersprechend nebeneinanderstehen1". Es ist deutlich, daß das treibende Motiv Bultmanns bei seiner Forderung auf eine Eliminierung des Mythos aus dem N.T. also das Bestreben ist, die neutestamentliche Wahrheit dem modernen Menschen annehmbar zu machen, dem das mythische Weltbild unglaubhaft ist und den Zu­gang zum neutestamentlichen Kerygma versperrt. Diesem Motiv sind die beiden anderen Begründungen; der existentielle Charakter des Mythus und die Wider­sprüche im N.T., durchaus untergeordnet2• Nun hat Bultmann zweifellos recht mit seiner Feststellung, daß eine Repristination des neutestamentlichen Weltbildes unmöglich ist. Aber damit ist noch keineswegs gesagt, daß zu diesem heutesta­mentliehen Weltbild, das wir nicht nachvollziehen können, auch die mythischen Züge der Christusverkündigung im engeren Sinn, die Vorstellung vom zeitlichen Ablauf der Heilsgeschichte usw., hinzugehören, so daß man von vornherein auch diese mythischen Züge als für den modernen Menschen unannehmbar hinstellen müßte: Vielmehr rächt sich hier, daß Bultmann den Begriff des Mythos allzuweit gefaßt hat: es geht nicht an, die Elemente des neutestamentlichen Weltbildes und die mythischen Züge des Christuskerygmas unter dem gemeinsamen Begriff des "Mythos" zusammenzufassen, weil so von A;nang an die Möglichkeit verbaut wird, die dem zentralen neutestamentlichen Kerygma vielleicht unentbehrlichen mythischen Züge von den entbehrlichen oder mißverständlichen Zügen und von

1 A. Anm. 2. S. 153, a. 0., S. 2.9, ;5f., 37· 2 Es solLhier nicht entschieden werden, ob der Mythos selbst auf eine Ktitik an seinen objek­

tivierenden Vorstellungen hinführe; dagegen ist der dritte von Bultmann angeführte Beweg­grund für die Entmythologisierung zweifellos ein Trugschluß: die Widersprüche in der neu-· testamentliehen Vorstellungswelt können höchstens zu einer Eliminierung einer oder mehrerer der sich widersprechenden Vorstellungen Anlaß sein, niemals aber zu einer grundsätzlichen Kritik am mythischen Weltbild des Neuen Testaments.

Page 158: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHISCHE REDE UND HEILSGESCHEHEN IM NEUEN TESTAMENT 157

den bloßen zeitgeschichtlichen Schranken des Weltbildes zu sondern. Und dar­über hinaus bringt das Ausgehen von dem intellektuellen Anstoß des modernen Menschen es mit sich, daß das subjektive Moment des "Unglaubhaften" als Kri­terium für die "Entmythologisierung" dienen muß, wobei die Grenze des "Un­glaubhaften" sehr verschieden weit gezogen werden kann. Und es wäre ja aller­!!rst zu fragen, ob nicht das gesamte neutestamentliche Kerygma als "unglaub­haft" zu bezeichnen wäre, so daß man dann dem modernen Menschen die Zu­stimmung zu dieser Botschaft überhaupt nicht zumuten dürfte. Es kann darum nur als unhaltbar bezeichnet werden, wenn die Begründung und der Maßstab für die geforderte "Entmythologisierung" des N.T.s von Bultmann bei den welt­anschaulichen Bedenken des modernen Menschen genommen werden.

Wenn trotzdem die Forderung auf eine "Entmythologisierung" des N.T.s grundsätzlich berechtigt ist, so kann diese Notwendigkeit nicht vom modernen Menschen her (und auch nicht vom Wesen des Mythos her), sondern nur vom Zentrum der neutestamentlichen Verkündigung aus begründet werden. Und das besagt nichts anderes, als daß zu allererst die Frage geklärt werden muß, ob mythologisches Reden zum zentralen neutestamentlichen Kerygma notwendig hinzugehört, oder ob nur bestimmte mythologische Vorstellungsformen dem neutestamentlichen Kerygma untrennbar zugehören, während andere sich als inadäquat oder zum mindesten als mißverständlich erweisen. Bultmann hat die Bedeutsamkeit dieser Frage selber erkannt, indem er zunächst die Frage stellt, ob die neutestamentliche Verkündigung "nichts als Mythologie ist", diese Frage aber dann schließlich auf die abschließende Frage zurückführt, ob das Christus­geschehen nicht "ein mythologischer Rest ist, der eliminiert oder durch kritische Interpretation entmythologisiert werden mußl". Und Bultmann sucht in Beant­wortung dieser Frage zu zeigen, daß die mythologische Rede vom Christus­geschehen nur den Sinn habe, "die Bedeutsamkeit der historischen Gestalt Jesu und seiner Geschichte ... zum Ausdruck zu bringen", daß darum ihr objekti­vierender Vorstellungsgehalt preiszugeben sei. Auch die mythologische Rede von der Auferstehung Christi diene nur dazu, die Bedeutsamkeit des Kreuzes als Heilsereignis auszudrücken2• Bultmann stellt also fest, daß im Zentrum 'der neu­testamentlichen Verkündigung das' Heilsgeschehen, das Handeln Gottes in Christus, steht, er bestreitet aber, daß diese Verkündigung in Wirklichkeit ein mit mythischen Vorstellungsformen auszudrückendes objektives Geschehen meine. Wie kommt Bultmann dazu, von einem Heilsgeschehen zu reden, also von einem göttlichen Handeln im Ablauf des irdischen Geschehens, in der Geschichte, und doch zu bestreiten, daß es sich dabei um ein objektives Geschehen, um einen Eingriff Gottes in die Geschichte, demnach um ein mit der Vorstellungsform des Mythos auszudrückendes Geschehen handelt? Es ist leicht zu erkennen, wie Bultmann zu dieser Bestreitung des objektiven Charakters des Heilsgeschehens in Christus kommt, wenn man seine Erklärung des Kreuzes näher betrachtet: das

1 A. a. 0., S. zz, z6, 33, 44· 2 A. a. 0., S. 45, 49, 51·

Page 159: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

158 W. G. KÜMMEL

Kreuz als Heilsgeschehen wird als "eschatologisches Ereignis" bezeichnet; "es ist das eschatologische Ereignis in der Zeit und jenseits der Zeit, sofern es, in seiner Bedeutsamkeit verstanden und d. h. für den Glauben, stets Gegenwart istl". Es ist schon mehrfach darauf aufmerksam gemacht worden, daß Bultmann den Begriff der "Eschatologie" hier in einem durchaus ungewöhnlichen und mißverständli~hen Sinne gebraucht, indem damit nicht die wirkliche Endgeschichte, sondern die Deu­tung der Gegenwart als von Gott beanspruchter Entscheidungszeit bezeichnet wird2• Aber was sich schon aus dieser Kritik der Verwendung des Begriffes "Eschatologie" ergibt, wird aus Bultmanns Beschreibung des Kreuzes als eines esdiatologischen Ereignisses hier noch deutlicher: das Kreuz ist eschatologisch nicht darum, weil ein göttliches Handeln an einem bestimmten Punkte der ge­schichtlichen Endzeit in diese immanente Geschichte eingreift, sondern weil das Kreuz zwar zeitliches Ereignis, aber zugleich auch zeitlos ("jenseits der Zeit") ist. Es ist also bei Bultmann zwar von Heilsgeschehen die Rede, aber dieses Geschehen in Jesus Christus ist Heilsgeschehen nicht darum, weil dieses Stück der Geschichte zur wirklichen Endgeschichte gehört, sondern weil diese Geschichte trotz ihrer geschichtlichen Einmaligkeit eine zeitlose Bedeutung hat. Dadurch wird aber deutlich, daß Bultmann die Behauptung, das "Heilsgeschehen" sei kein mytho­logischer Rest, der auch noch beseitigt werden müsse, nur darum aufrecht­erhalten kann, weil er die Wirklichkeit der Zeit als des einmaligen Faktums der Vergangenheit aus dem Verständnis des Heilsgeschehens im neutestamentlichen Sinne eliminiert. Und damit verfällt Bultmann gerade in den Fehler, den er der älteren liberalen Theologie vorhält, daß er "das Kerygma als Kerygma elimi­niert3". Das läßt sich leicht erkennen, wenn man zwei klassische Darstellungen der "liberalen" Forschungsrichtung zum Vergleich heranzieht. W. Bausset an­erkennt in seinem J esus buch4 die Erwartung des nahen Gottesreiches durch J esus, ersetzt aber ohne weiteres den nach seiner Meinung für uns nicht mehr gültigen Gedanken "eines endgültigen und abschließenden Weltzieles" durch die Nähe unseres individuellen Endes und unseren Eingang in das Dunkel des Jenseits; und was noch wichtiger ist, der Gott, der kommen soll, wird als unwesentlich bezeichnet neben dem Gott, der Jesus schon greifbar vor seiner Seele stand, das "Kommen" Gottes als Ereignis in der Zeit wird also eliminiert zugunsten des ewigen·· Gottes, der die Zukunft beherrscht, weil er in der Gegenwart schon spürbar ist. Ganz besonders ab~r übersieht Bausset völlig den Zusammenhang des persönlichen Anspruchs J esu, zum Menschensohn bestimmt zu sein, mit der Verkündigung von der kommenden Gottesherrschaft, und darum wird weder die Gegenwart der kommenden Gottesherrschaft in der Person Jesu noch über-

1 A. a. 0., S. 46. 2 Vgl. etwa F. Holmström, Das eschatologische Denken der Gegenwart, 1936, S. 247f. und

zuletzt P. Altbaus, a. Anm. I S. 154 a. 0., Sp. 342f. 3 R. Bultmann, a. a. 0., S. 2.5f. 4 W. Bousset, Jesus (Religionsgeschichtliche Volksbücher I, 2/3,3 1906), S. 45, 47, 76ff.

Page 160: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHISCHE REDE UND HEILSGESCHEHEN IM NEUEN TESTAMENT 159

himpt die sachliche Notwendigkeit des Menschensohnanspruchs Jesu klar, und Messiasbewußtsein wie Menschensohnanspruch werden zu Ausdrucksformen eines Führerbewußtseins, unter denen Jesus litt, und die er nur zögernd ge­brauchte. Aus diesen Zügen des Jesusbildes Baussets ergibt sich aber ganz deut­lich, daß Bausset zwar eine Gottesverkündigung Jesu und eine individualistische Ethik kennt, nicht aber ein mit der Person Jesu gegebenes und mit der Erwartung der kommenden Gottesherrschaft in Beziehung stehendes Heilsgeschehen; und dieses Fehlen des Heilsgeschehens im Bilde Baussets vonder Verkündigung Jesu verrät nur, daß die Zeit als die Voraussetzung des göttlichen Handelns, als Wirk­lichkeit des auf das Ende zulaufenden göttlichen Geschehens in der Zeit, still­schweigend eliminiert worden ist. Und ganz ähnlich liegt es bei W. Wredes Pau­lusdarstellungl. Er hat zwar mit aller Deutlichkeit erkannt, daß Paulus nicht von Erlebnissen der einzelnen Seele, sondern von göttlichem Handeln gegenüber der gesamten Menschheit rede: "Alle seine Gedanken über das Heil sind Gedanken über eine Heilsgeschichte ... Alle Hauptbegriffe seiner Theologie tragen dieses geschichtliche Gepräge". Wrede hat also gesehen, daß Paulus von einem gött­liChen Handeln in der Endzeit, also von einem "mythischen" Geschehen redet, und daß dieses "mythische" Geschehen im Mittelpunkt der paulinischen Ver­kündigung steht. Wrede hat freilich diese Erkenntnis nicht zu Ende geführt, indem er das durch das Heilsgeschehen bewirkte Heil als "eine naturhafte Ver­änderung der Menschheit" beschrieb statt als eine neue geschichtliche Heils­situation2; ganz besonders aber hat Wrede den "Mythos", den Paulus durch die Einführung der Heilstatsachen der Menschwerdung, des Todes und der Auf­erstehung J esu zum Fundament der Religion ge}llacht habe, als eine verhängnis­volle Umbildung der Religion Jesu angesehen, der wir keinen Glauben schenken können. Und damit eliminiert auch Wrede die zeitliche Wirklichkeit der Heils­geschichte aus dem, was von der Verkündigung des Paulus für uns haltbar ist.

Es dürfte deutlich geworden sein, daß die "Entmythologisierung" des N.T., die Bultmann vorschlägt, durch Eliminierung der zeitlichen Heilsgeschichte in der Tat einen "mythologischen Rest" eliminiert, den schon die ältere libe;ale Forschung streichen zu müssen meinte, damit aber das Zentrum der neutesta­mentlichen Verkündigung beseitigt~ Denn das N.T. redet in der Tat in allen seinen Zeugen von einem göttlichen Handeln in der Zeit dieser Welt, das als endzeit­liebes Handeln gewertet und mit dem bevorstehenden Ende dieser Zeit in unauf­löslichem Zusammenhang gesehen wird. Die neutestamentliche Heilsverkündi­gung ist darum nicht ablösbar von der Vorstellung der Zeit als einer von der Schöpfung bis zum Weltende führenden Linie, deren Mittelpunkt eben nach neu-

1 W. Wrede, Paulus (Religionsgeschichtliche Volksbücher I, s/6,2 1907), S. 67f., 103f. 2 Genau den gleichen Fehler macht A. Schweitzer in seiner "Mystik des Apostels Paulus"

(1930), vgl. meine Bemerkungen im Kirchenbl. f. d. ref. Schweiz 90, 1934, S. 98ff.; durch dieses naturhafte Verständnis des Heils trotz geschichtlichen Rahmems fällt die Rechtfertigungslehre als "Kampfeslehre" "oder Nebenkrater" bei Wrede wie bei Schweitzer aus dem Zentrum der paulinischen Heilsverkündigung heraus und wird unverständlich.

Page 161: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

160 W. G. KÜMMEL

testamentlieber Verkündigung das Christusgeschehen bildet1• Das im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi sich vollziehende Handeln Gottes ist also ein göttliches Handeln, das sich in der Zeit abspielt; diese Aussage ist eine mytho­logische Aussage, und diese zentrale neutestamentliche Aussage kann man nicht von ihrer mythologischen Redeform befreien. Es geht darum nicht an, die mytho­logische Rede aus dem N.T. völlig zu eliminieren, wenn man das neutestament­liche Kerygma erhalten will; und so wenig das N.T. einen Mythus verkündet, so wenig läßt es .sich gerade in seinem Zentrum von der Denk- und Redeform des Mythus als der einzig möglichen Ausdrucksform für die Glaubensdeutung der Christusgeschichte befreien2• Die Forderung, das N.T. völlig zu entmytho­logisieren, weil das mythische Weltbild vergangen sei und mythologische Aus­sagen dem modernen Menschen unglaubhaft erscheinen müßten, ist daher un­haltbar, solange das neutestamentliche Kerygma in seinem Verkündigungs­anspruch anerkannt bleiben soll. Nicht das antike Weltbild, wohl aber die in mythologischer Rede verkündigte Heilsgeschichte bildet das Zentrum der neu­testamentlichen Verkündigung und kann nicht eliminiert werden.

Bleibt trotzdem die Forderung auf eine kritische Behandlung des Mythos im N.T. zu Recht bestehen, so erhebt sich nun die entscheidende Frage, welches der richtige Ausgangspunkt bzw. Maßstab für die· Durchführung 'dieser Kritik am Mythos sei. Da es sich keinesfalls um die Beseitigung der mythischen Rede überhaupt handeln kann, kann die Aufgabe nur sein, das mythische Denken oder die mythischen Vorstellungsformen dort als problematisch aufzuweisen oder aus-

1 Diesen Nachweis führte zuletzt und überzeugend 0. Cullmann, Christus und die Zeit, 1946. Vgl. auch P. S. Minear, Time and the Kingdom, The Journal of Religion 24, 1944, S. 77ff. und Ph.-H. Menoud, Theologie du Nouveau Testament et histoire du salut, Revue de theologie et de philosophie, N. S. 34, 1946, S. 145ff. Für die Verkündigung Jesu s. meine Arbeit "Verheißung und Erfüllung", 1945, bes. S. 86ff. ·

2 H. Sasse (a. Anm. 1 S, 15 4 a. 0.) bezeichnet Bultmanns Entmythologisierung als "Flucht vor dem Dogma"; das istnur bedingt richtig, weildie von Bultmann vollzogene Eliminierung des Zeit­begriffes übersehen und darum nicht bemerkt ist, daß von Bultmann durchaus nicht das ganze neutestamentliche Dogma eliminiert wird; auch ist es eine willkürliche Verwertung des Begriffes ,,Mythologie", wenn der Kirche verwehrt wird, "legendarisch~undmythologische Sätze als In­begriff der Heilswalttheit" zu verkünden (S. 169); richtig ist dagegen beobachtet, daß die völlige Eliminierung des Mythos die Inkarnation leugnet. Ganz ähnlich stellt H.W. Schmidt (a. Anm. I S. 154 a. 0.) fest, daß Bultmann durch die Entmythologisierung die Christologie beseitigt.- Schon vor 20 Jahren hat E. Brunner richtig bemerkt: "Der christliche ,Mythos' ist die Form der Aussage, die dem einmalig entscheidenden Geschehen entspricht", weil der christliche Mythos ein gött­liches Handeln beschreibt, das "in einem bestimmten Punkt die geschichtliche Wirklichkeit be­rührt"; "echt zeithaft ist nicht der heidnische Mythos, sondern allein der christliche" (Der Mittler, 1927, S. 339f., 344). Hier ist die Unentbehrlichkeit des Zeitbegriffs für die neutestament­liche Heilsverkündigung klar betont (bes. S. 347f.). Wenn Brunner neuerdings bestreitet, daß es einen christlichen Mythos gebe (Offenbarung und Vernunft, 1941, S. 392ff.), so soll damit gerade die Gleichsetzung der neutestamentlichen Verkündigung mit dem zeitlosen heidnischen Mythps der Göttergeschichten bestritten werden, während die Notwendigkeit der mythischen Redeform für die Verkündigung von der neutestamentlichen Heilsgeschichte ausdrücklich betont wird (S. 403, 407: "Der Glaube ... nimmt uns das Vorurteil gegen jenes ,mythische Element' in der biblischen Botschaft")

Page 162: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHISCHE REDE UND HEILSGESCHEHEN IM NEUEN TESTAMENT 161

zuscheiden, wo sie dem einzigen legitimen Zweck nicht entsprechen, unentbehr­liche, wenn auch Mißverständnissen ausgesetzte Vorstellungsform für die Ver­kündigung von Gottes geschichtlichem Heilshandeln in Christus zu sein. Die Aufgabe der Kritik am Mythos kann also nur den Sinn haben, diejenige mytho­logische Rede in ihrer Problematik aufzudecken, die diesem Zweck der Glaubens­deutung der Christusgeschichte inadäquat ist. Und damit ergibt sich ohne weiteres, daß Ausgangspunkt und Maßstab für die Kritik am mythologischen Reden im N.T. nur die Übereinstimmung der einzelnen mythologischen Vorstellung mit dem zentralen neutestamentlichen Kerygma sein kann. Die Aufgabe der Kritik am Mythos im N.T. gehört damit hinein in die große und weitgehend noch ungelöste Aufgabe einer im besten Sinn "kritischen" Theologie des N.T., die sich zum Ziele setzen muß, die Abweichungen bestimmter neutestamentlicher Vor­stellungen oder Texte von der dem übrigen N.T. gemeinsamen Verkündigung aufzuweisen und damit die "innere Grenze" des neutestamentlichen Kanons fest­zulegen und das Hereingreifen des Frühkatholizismus oder gar völlig unbib­Iischer Gedanken in das N.T. aufzudecken1•

Diese Aufgabe der Kritikaminadäquaten Mythos kann nur durch sorgfältige Einzeluntersuchungen der einzelnen mythischen Vorstellungsformen gelöst wer­den, indem jeweilen die Frage gestellt wird, wie weit die einzelne Vorstellung mit dem zentralen neutestamentlichen Kerygma in einem klaren Zusammenhang steht oder nicht. Zu welchen Resultaten solche Untersuchungen führen würden, soll hier nur an je zwei Beispielen für die Unmöglichkeit oder Notwendigkeit der kritischen Eliminierung mythischer Vorstellungen gezeigt werden. Da sei zunächst hingewiesen auf die Frage der futurischen Eschatologie. Nach Bultmann ist "die mythische Eschatologie im Grunde durch die einfache Tatsache erledigt, daß Christi Parusie nicht, wie das N.T. erwartet, alsbald stattgefunden hat, son­dern daß die Weltgeschichte weiterlief"; die apokalyptische Eschatologie sei im N.T. im Grunde schon entmythologisiert, weil die Heilszeit für den Glaubenden schon angebrochen ist2• Damit wäre gegeben, daß für das N.T. trotz seiner mythischen Rede von der nahe bevorstehenden Parusie, dem Weltende usw. die futurische Eschatologie unwesentlich ist, weil das N.T. die Gegenwart bereits als "eschatologische" Heilszeit ansieht; dementsprechend gebraucht Buhmann, wie schon betont, den Begriff der "Eschatologie" in einem von der Zukunfts­erwartung völlig abgelösten Sinn, nämlich von der "Entscheidungszeit"3• Um­gekehrt haben die Vertreter der "konsequenten Eschatologie" immer wieder be-

1 FÜr das Gebiet der neutestamentlichen Anthropologie habe ich diese Aufgabe zu lösen ver­sucht in der Arbeit "Das Bild vom Menschen im Neuen Testament" (1948); dort Anm. 105 ein. Hinweis auf einige weitere in dieser Richtung weisende Arbeiten

a R. Bultmann (a. Anm. z S. 153 a. 0.), S. 18, 31f.

3 Noch weiter geht C. H. Dodd in seinem Versuch, das Vorhandensein einer futurischen End­erwartung in der Verkündigung Jesu exegetisch zu bestreiten (The Parables of the Kingdorn,3

.1936); vgl. dazu meine Anm. I S. 16o genannte Arbeit (passim, bes. S. 881f.).

II Kerygma, Bd. z.

Page 163: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

162 W.G.KÜMMEL

tont, daß der eigentliche Sinn der Verkündigung Jesu und des Paulus eben die Botschaft vom nahen Weltende sei1 daß mit dem Nichterfülltwerden dieser Er­wartung aber auch jeder Glaube an eine im N.T. verkündete Heilsgeschichte hinfällig geworden seil. Es läßt sich nun deutlich aufzeigen, daß für Jesus die entscheidende Bedeutung seiner Person und dadurch seiner Gegenwart darin be­steht, daß die Gegenwart die letzte Zeit vor dem nahe bevorstehenden Ende ist, in der sich bereits das kommende vollendete Heil vorauswirkend zeigt, daß die _Gegenwart für Jesus darum ihren heilsgeschichtlichen Sinn durch die unauf­lösliche Beziehung zur erwarteten Zukunft hat2• Nicht anders lie~ es in der Urgemeinde, wo das Bewußtsein, die gegenwärtige endzeitliche Messiasgemeinde zu sein, unablöslich mit der futurischen Parusieerwartung zusammenhäl;lgt3. Auch die Heilsverkündigung des Paulus sieht die Neuschöpfung des Menschen bedingt durch die neue heilsgeschichtliche Situation des Gläubigen, der noch im alten Aeon lebend doch bereits versetzt ist in das schon angebrochene Reich des ge­liebten Sohnes und wartet auf die bald kommende Vollendung4• Und selbst die weitgehend präsendsehe Heilsverkündigung des J ohannesevangeliums enthält unverkennbare futurisch-eschatologische Züge, deren Vorhandensein die· Tren­nung des himmlischen Gottessohnes von dem geschichtlichen Heilsgeschehen in dem Menschen Jesu überhaupt erst verunmöglicht5• Ausall diesen Einzelbeob­achtungen ergibt sich aber zwingend, daß die Erwartung einer streng zeitlichen, zukünftigen Heilsvollendung zum zentralen neutestamentlichen Kerygma hinzu­gehört, daß die Eliminierung dieses "mythischen" Bestandteils der neutestament­lichen Verkündigung darum eine Aufhebung des heilsge!;chichtlichen Charakters dieser Verkündigung bedeuten würde. Aber mit dieser Einsicht ist nicht zugleich gegeben, daß die gesamte apokalyptische Ausgestaltung dieser eschatologischen Verkündigung ebenfalls unablösbar zum zentralen neutestamentlichen Kerygma gerechnet werden müsse. Das ergibt sich schon daraus, daß das Johannesevan­gelium diese apokalyptischen Züge der Eschat~logie völlig vermissen läßt, und daß in den apokalyptischen Einzelanschauungen zwischen Jesus, Paulus und der

1 So zuletzt M. Wemer. Die Entstehung des christlichen Dogmas, 1941 und F. Buri, Das Problem der ausgebliebenen Parusie. Schweiz. Theol. Umschau 16, 1946, S. 97 ff., der jedes Festhalten an einer zeitlichen Hdlsgeschichte oder zukünftigen Eschatologie als "Ausweich­versuch" charakterisiert.

2 S. den. Nachweis in meiner Anm I S. t6o genannten Arbeit.

3 Vgl. W. G. Kümmel, Kirchenbegriffund Geschichtsbewußtsein in der Urgemeinde und bei Jesus (Symbolae Biblicae Upsalienses I, 1943).

' V gl. ·dazu besonders H.-D. Wendland, Die Mitte der paulinischen Botschaft, 1935 und ders., Geschichtsanschauung und Geschichtsbewußtsein im Neuen Testament, 1938, S. z.3ff., ferner meine kurzen Bemerkungen in den Theol. Blättern 19, 1940, S. 2.19ff.

5 Vgl. W. G. Kümmel, Die Eschatologie der Evangelien, 1936, S .. z.tff.; G. Stählin, Zum Problem der johanneischen. Eschatologie, Ztschr. f. d. Neut. Wiss. 33, 1934, S. z.z.5ff.; H. Prib­now, Die johanneischeAnschauung vom Leben, 1934, S. Ioz.ff.; Ph.-H.Menoud, L'originalite de la pensee johannique, Rev. de theol. et de philos., N. s, z.8, 1940, S. 2.45ff.

Page 164: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHIS.CHE REDE UND HEILSGESCHEHENIMNEUENTESTAMENT 163

Johannesapokalypse starke Unterschiede bestehen. Infolgedessen ist es durchaus falsch zu behaupten, der neutestamentliche Glauben an die durch die Erwartung der zukünftigen Heilsvollendung in ihrem zeitlichen Charakter geschützte Heils­geschichte sei mit dem Hinfälligwerden der Naherwartung infolge des Aus bleibens der Parusie unhaltbar geworden1. Es ist aber ebenso unmöglich, eine apokalyp­tische Sonderanschauung wie die Erwartung eines tausendjährigen Messiasreiches vor dem Weitende, die Apk. 20 vertritt, als in engem sachlichem Zusammenhang mit der zentralen neutestamentlichen Verkündigung stehend nachzuweisen2; diese Vorstellung ist vielmehr wirklich isoliert, steht zu der Ablehnung aller apokalyp­tischen Berechnung durch Jes~s (Lk. 17,21) im Widerspruch und ermangelt dar­über hinaus eines klaren heilsgeschichtlichen Gehaltes, so daß diese mythologische Einzelvorstellung als dem zentralen neutestamentlichen Kerygma inadäquat durchaus einer kritischen Eliminierung unterworfen werden muß .

.Ähnlich steht es mit einer zweiten "mythologischen" Verkündigung, der Auf­erstehung Jesu Christi. Nach Bultmann ist die Auferstehung Christi kein mythi­sches Ereignis, obwohl das N.T. selber sie vielfach als beglaubigendes Mirakel auffasse; "der Auferstehungsglaube ist nichts anderes als der Glaube an das Kreuz als Heilereignis"; historisch sei nicht das Osterereignis, sondern nur der Osterglaube der ersten Jünger3. Bultmann gibt also selber zu, daß etwa Paulus (1. Kor. 15,3ff.) die Ostererfahrungen als Beglaubigung des Faktums der Auf­erstehung anführt, nennt diese Argumentation des Paulus aber "fatal" und be­hauptet, die Auferstehung Christi sei im Sinne des N.T. kein mit mythischen Begriffen beschriebenes historisches Ereignis, vielmehr sei der Glaube an die Auferstehung Christi nur der Ausdruck für die Anerkenntnis der neutestament­lichen Verkündigung vom Kreuz J esu als dem Kreuz des Christus, vom Kreuz als Heilsereignis. Es ist mit Recht schon darauf hingewiesen worden, daß Bult­mann mit diesen Ausführungen das entscheidende Anliegen des N.T. eliminiert,

1 So die Vertreter der "konsequenten Eschatologie", zuletzt Fr. Buri (a. Anm. I S. I62 a. 0.). 2 H.-D. Wendland, Geschichtsanscbauung (s.Anm. 4 S. I62), S. 66ff. sieht in demHintereinander

zweier aufeinander folgender Reiche die Spannung ausgedrückt, "daß das Ende zugleich ,letzter Akt' der Geschichte und Vollendung sein muß, die die Gesamtgeschichte von Welt und Mensch­heit in sieb umfaßt und aufnimmt".- 0. Cullmann, Königsherrschaft Christi und Kirche im Neuen Testament, I94I, S. I4f.findetdas Tausendjährige Reich auch bei Paulus (I. Kor. I5, 23ff.) und bestimmt es als Schlußakt des Regnum Christi, der zugleich in den Entstehungsakt des kom­menden Aeons hineinreiche. - H. Bietenbard, Das tausendjährige Reich, Diss. Basel I944, schließt sieb Cullmann an und sucht darüber binaus nachzuweisen, daß bereits Paulus die doppelte Auferstehung, zuerst der Christen, dann der übrigen Menschheit, lehre und Raum lasse für die Lehre von einem endzeitliehen Reich Christi, ja daß schon Jesus (Mark. I3, 27) die Sammlung der Erwählten bei der Parusie verheiße und damit die doppelte Auferstehung voraussetze. Apk. 20 sei also mit dem ganzen Neuen' Testament verklammert, und darum sei die Lehre vom Tausendjährigen Reich auch für uns verbindlieb: "Ist Gottes Wort wirklich souverän, dann auch da, wo es von einem tausendjährigen Reiche redet" (S. I 74). Paulus kennt aber auch in I. Kor. I 5 keine doppelte Auferstehung, und die Behauptung von dem Hereintagen des regnum Christi in den neuen Aeon mittels des Tausendjährigen Reiches ist reine Konstruktion.

a R. Bultmann, a. Anm. 2 S. I 53 a. 0., S. ~off.

u•

Page 165: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

164: W.G.KÜMMEL

nämlich die Auferstehung als das in den Auferstehungserfahrungen erfaßte gött­liche Geschehen, das dem Kreuz erstaposterioriseinen göttlichen, heilsgeschicht­lichen Sinn gibtl. Nach der Anschauung des gesamten N.T. ist die Auferstehung Christi ein wirkliches göttliche~ Eingreifen in diese Welt zu ~ineni bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt, und ein solches Eingreifen kann, gerade weil es nicht wirklich beschrieben werden kann, nur in mythischer Rede ausgedrückt werden. Es hieße also die neutestamentliche Verkündigung von der den Glauben be­gründenden Wirklichkeit der Auferstehung des Gekreuzigten und damit die Realität des geschichtlichen Heilshandeln Gottes aufheben, wollte man diesen neutestamentlichen Glauben an die Auferstehung als Ereignis in der Geschichte preisgeben. Und darüber hinaus leitet die älteste Christenheit seit den Tagen der Urgemeinde den Beginn der himmlischen Herrschaft des Auferstandenen ebenso wie den Beginn der endzeitliehen Gemeinde des Auferstandenen von dem Zeitpunkt des Ereignisses der Auferstehung Christi ab2 ; die Bestreitung der Auferstehung Christi als eines Ereignisses in der Geschichte würde also mit sich bringen, daß auch die gesamte neutestamentliche Verkündigung von der seit der Auferstehung vorauswirkenden Endzeit hinfällig würde, . womit wieder die Zukunftserwartung des N.T. ihren eigentlichen Sinn verlöre. Es kann also keine Frage sein, daß die "Entmythologisierung" des N.T. auch an diesem Punkte nicht möglich ist, ohne das neutestamentliche Kerygma preiszugeben, daß vielmehr die mythologische Rede auch hier als unaufgebbar anerkannt werden cmuß.

Gehört somit die Auferstehung Christi als in mythologischer Rede verkündetes göttliches Handeln innerhalb der Zeit zum unaufgebbaren Bestand des neutesta­mentlichen Kerygmas, so gilt dies wiederum nicht für die einzelnen mytho­logischen Züge, mit denen im N.T. die Auferstehungsbotschaft beschrieben wird. P. Althaus hat behauptet, daß für die ersten Auferstehungszeugen mit den Auferstehungserscheinungen auch die Tatsache des leeren Grabes festgestanden habe, daß darum die Osterbotschaft in Jerusalem von Anfang an auf zwei Pfeilern geruht habe, auf den Erscheinungen und auf dem Leerfinden des Grabes; über­haupt könne von Verderbnis des ursprünglichen Osterglaubens im N.T. nicht die Rede sein3 • Auch W. Michaelis hat bestritten, daß im N.T. eine Verderbnis des Osterglaubens zu einer materialisierenden Auffassung der Auferstehung hin

.-vorliege4 ; und schließlich hat M. Barth nachweisen wollen, daß zum Kennzeichen

1 Vgl. P. Althaus (a. Anm. 1. S. IH a. 0.), Sp. 34If. und H. Sasse (a. Anm. I S. IH a. 0.), S. ISO.

2Siehe den Nachweis bei 0. Cullmann, a. Anm. z. S. I63 a. 0., S. IIff.; ders., a. Anm. I, S. I6o a. 0., S. I32ff.; W. G. Kümmel, a. Anm. 3, S. I6z a. 0., S. Sff.

3 P. Altbaus, Die Wahrheit des kirchlichen Osterglaubens. Einspruch gegen E. Hirsch (Bei­träge z. Förd. christl. Theolog. 42, z), I940. Über die Entstehung und Entwicklung des Oster­glaubens ist in der neueren Zeit mehrfach ausführlich gehandelt worden (M. Goguel, E. Hirsch, P. Altbaus, W. Michaelis); eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Literatur, auf die für Einzelheiten verwiesen sei, habe ich gegeben im 3· Teil meines Berichtes über "Das Ur­christentum" (soll in der Theol. Rundschau, N. F. erscheinen).

4 W. Michaelis, Die Erscheinungen des Auferstandenen, o. J. (I944), S. 73ff.

Page 166: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHISCHE REDE UND HEILSGESCHEHEN IM NEUEN TESTAMENT 165

des Apostels das leibliche Sehen und Betasten des Auferstandenen hihzugehöre1 •

Nun kann aber keine Frage sein, daß Paulus die Auferstehung Christi nicht als ein Hervorgehen von t~d(!' und alf.La aus dem Grab angesehen hat und auch ein Betasten des Auferstandenen zum allermindesten für sich nicht in Anspruch nehmen konnte; ebenso wird man die Vorstellung von einer Himmelfahrt des in die irdische Existenzform zurückgekehrten Auferstandenen und vom Essen und Trinken des Auferstandenen mit den Jüngern als Verderbnis des ursprüng­lichen Osterglaubens bezeichnen müssen, der nur Erscheinungen des Auferstan­denen aus seiner himmlischen Existenz her kannte; und schließlich ist es ein reines Postulat und widf;rspricht dem von Paulus in 1. Kor. 15,3ff. wiedergegebenen ältesten Kerygma, daß mit der Erfahrung der Auferstehung Christi die Tatsache des leeren Grabes selbstverständlich gegeben gewesen sei, da das Kerygma ja gerade die Erscheinungen vor Petrus und den Zwölf als völlig ausreichenden Beleg für die Tatsache der Auferstehung nennt. Es kann darum nicht bestritten werden, daß bereits das N.T. eine Entwicklung des Osterglaubens von der "mythologisch" formulierten Aussage über die in das zeitliche Geschehen ein­greifende, aber nicht zu beschreibende Gottestat hin zur Materialisierung dieser Botschaft kennt und darum bestimmte mythologische Züge mit der Aufersteh­ungsbotschaft verbindet, die gerade vom zentralen Auferstehungskerygma aus als problematisch erscheinen und darum einer kritischen Infragestellung unter­zogen werden müssen. Aber gerade eine solche Kritik an der mythologischen Einzelvorstellung kann nur dazu dienen, die Unentbehrlichkeit des in mytho­logischer Rede verkündeten Auferstehungsfaktums um so klarer herauszustellen.

Die kurze. Erörterung dieser beiden "mythischen" Vorstellungskreise, der futurischen Eschatologie und der Auferstehung Christi, dürfte gezeigt haben, daß es sich bei der Forderung auf eine "Entmythologisierung" des N.T. nicht darum handeln kann, das N.T. im Interesse der weltanschaulichen Bedenken des modernen Menschen von mythischen Zügen völlig zu befreien, sondern daß es vielmehr die Aufgabe ist, unter eindeutigem Festhalten der zentralen, in mythi­scher Rede formulierten Tatsachen der Heilsgeschichte die einzelnen mythischen Vorstellungsformen daraufhin zu prüfen, ob sie wirklich mit dem zentralen Kerygma in einer ausreichend engen Beziehung stehen, und ob sie. überhaupt geeignet sind, Ausdrucksform für die mythologische Rede vom geschichtlichen Heilshandeln Gottes in Christus zu sein. Die Notwendigkeit dieser Kritik am Mythos im N.T. sei nun noch kurz an zwei Vorstellungen aufgezeigt, die als ganze problematisch erscheinen. Es ist bekannt, daß von der Geburt Jesu durch Maria ohne Mitwirkung eines menschlichen Vaters im N.T. nur Luk. 1,26ff., Matth. 1,18ff. die Rede ist. Nun dürfte feststehen, daß der ältere Bericht, die Verkündigungserzählung des Lukas, durchaus nicht in Analogie zu heidnischen Theogamien die Erzeugung des Jesuskindes als göttlich-menschliche Verbindung·

1 M. Barth, Der Augenzeuge. Eine Untersuchung über die Wahrnehmung des Menschen­sohnes durch die Apostel, 1946, passim.

Page 167: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

166 W. G. KÜMMEL

beschreiben, sondern die Entstehung dieses ·Kindes direkt auf Gottes schöpfe­rische Tat zurückführen willl; trotzdem handelt es sich bei dieser Vorstellung zweifellos um einen mythologischen Zug der Überlieferung, der im übrigen N.T. völlig isoliert ist. Nicht nur weiß Markus nichts von dieser wunderbaren Er­zeugung Jesu, berichtet vielmehr von der ablehnenden Haltung der Familie Jesus gegenüber (;,z1.; xf.), nicht nur spielen auch Matthäus und Lukas auf diesen ge­schichtlichen Sachverhalt sonst nie mehr an und legen ihre Stammbäume als Nachweise der davidischen Abkunft Jesu auf Joseph hin an. Sondern auch Paulus redet von Jesus, "geboren aus einer Frau" (Gal. 4,4); und setzt Gal. 4,4f. deut­lich voraus, daß Jesus ein Mensch war wie wir, da nur so die Gotteskindschaft der in gleicher Weise wie J esus Geborenen durch J esus ermöglicht werden konnte2 ; auch Johannes erwähnt die Geburt durch eine Jungfrau nicht, nennt vielmehr den Vater Jesu ganz unbefangen Qoh. 1,45. 6,42) und schließt durch seine Begründung der Gottessohnschaft in der Präexistenz die Begründung dieser Gottessohnschaft in der wunderbaren Geburt aus3; und der Hebräerbrief hält Jesus für einen Menschen, der in allem uns gleich war (z,14ff.), dazu schließt der Zusammenhang der Christologie des Hebräerbriefs mit dem gnostischen Anthropos-Mythos4 die Brauchbarkeit der mythischen Vorstellungsform der jungfräulichen Geburt zur Erklärung der Gottessohnschaft Christi aus, und Melchisedek, nicht Christus, wird ami'COO(! genannt (7,;). Es ist darum unbestreit­bar, daß die mythologische Vorstellungsform der Erzeugung Jesu ohne Mk­wirkung eines menschlichen Vaters der zentralen neutestamentlichen Verkündi­gung in ihren wichtigsten Zeugen durchaus fremd ist& und darüber hinaus als ein Versuch bezeichnet werden muß, die himmlische Herkunft des eschatolo­gischert Erlösers statt aus der ewigen Zugehörigkeit zu Gott vielmehr aus einem

1 ~. den Nachweis beiM .. Dibelius, Jungfrauensohn und Krippenkind (Sitzungsber. d. Heidel­berger Akad. d .. Wiss., Philos.-hist. Kl. I933/34, 4), S. uff. Es ist· unmöglich, aus der Verkündi­gungserzählung Luk .. I,z6 ff. die Jungfrauengeburt wegzuinterpretieren, indem man in I,34 inei liPllf!" ov ymbO'xw streicht und in I,3 I avU'Ijp.1/l1] perfektisch deutet (so H. Sahlin, Der Messias und das Gottesvolk, Acta Semin. Neot. Upsal. Xll, I945, S .. Io4ff' .. ,3z8) ..

2M. Dibelius, a. Anm .. I. a. 0 .. , S .. 3I-a Daß in Joh. I,I3 die pluralische Lesart ursprünglich ist, Joh. also keinesfalls von der Geburt

Christi redet, hat besonders C. H. Cadbury nachgewiesen (Expositor, 9th. ser. z, I924, S .. 43off.), vgl. auch G. Schrenk, Theol. Wtbch. z. N.T. III, I938, S .. 6o .. Ph.-H .. Menoud, Lefils de Joseph, Rev. de theol .. et de philos .. , N. S .. I8, I930, S. z75ff. hat darauf hingewiesen, daß Johannes in I, 45, 6,42 eine alte Überlieferung verwende, schließt aber zu Unrecht weiter, daß diese Über­lieferung älter sein müsse als die der Synoptiker, die Vater und Mutter Jesu nicht gleichstelle ..

1 Vgl. E. Käsemann, Das wandemde Gottesvolk, I938, S. 58ff.. · 6 Man kann dem nicht ausweichen, indem man die Dünnheit der Überlieferung auf das Messias­

geheimnis zurückführt, so daß auch dieses Geheimnis nicht zu einem verfügbaren Ereignis werde (so K.. L. Schmidt, Die jungfräuliche Geburt Jesu Christi, Theol. Blätter I4, I935, Sp. z89ff .. ), oder indem man die Aussagen von Luk. I und Matth. I als unbestrittene V qraussetzung aller neutesta­mentlichen Zeugen postuliert (so K. Barth, Die kirchliche DogJ;natik I, z, I938, S .. I 87ff.); denn da­mit ist die Tatsache übergangen, daß sich die mytlhsche Vorstellung von der Jungfrauengeburt der zentralen christologischen Vorstellung der Hauptzeugen des neutestamentlichen Kerygmas nicht einfügen läßt ..

Page 168: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHISCHE REDE UND HEILSGESCHEHEN IM NEUEN TESTAMENT 16'7

zeitlich fixierbaren Wunder zu erklären1• Nicht aus weltanschaulichen Bedenken des modernen Menschen, sondern um der problematischen Beziehung zum zen­tralen neutestamentlichen Kerygmawillen muß darum die mythologische Ver­kündigung von der Geburt Jesu ohne menschlichen Vater als inadäquater My­thos bezeichnet und kritisch in Frage gestellt werden.

Und noch eindeutiger zeigt sich dieser Sachverhalt bei dem letzten hier zu nennenden Beispiel, dem Mythos von der Höllenfahrt Christi, den r; Petr. ;,19f. verkündigt. Bo Reicke hat in seiner wertvollen Arbeit über diesen Text2 über­zeugend nachgewiesen, daß hier eindeutig von einer Predigt Christi vor den ge­fallenen Engeln die Rede ist, die Christus zur Zeit seines Ganges durch das Kreuz zur Erhöhung in der Unterwelt aufsuchte; er hat ferner gezeigt, daß der Hinweis auf die Predigt vor den ungehorsamen Geistern im Zusammenhang von ;,1;ff. den Sinn hat, die furchtlose Verkündigung vor den Heiden durch den Hinweis auf die Predigt Christi vor den ungehorsamen Geistern zu stützen, die hinter allem Heidentum als dessen Urheber stehen. Es dürfte damit erwiesen sein, daß ·der Hinweis auf die Hadespredigt Christi im Zusammenhang von 1. Petr. ;,1;ff. kein Exkurs, sondern ein notwendiger Bestandteil der Paränese ist, dessen Motiv sich in 4,6 durch den Hinweis auf die Predigt vor den Toten im allgemeinen fortsetz~. Auch die Annahme ist recht wahrscheinlich gemacht, daß der ganze paränetische Zusammenhang von I. Petr. ;,13ff., der seine Parallele in I. Petr. z,19ff. und Tit. ;,1ff. hat, einem vom Verfasser des I. Petrushtiefes benutzten literarischen 1:ono~ entnommen ist'. Aber Reicke geht noch einen Schritt weiter und behauptet, daß die Predigt Christi an die Toten "was possibly a fact well known to all Christians", daß der Abstieg Christi in die Unterwelt "was presu­mably a special point of the Christ drama at the very beginning of the history of Christianity"5• Das ist aber sehr fraglich. Auch wenn wir im N.T. vereinzelten

1 E. Brunner stellt mit Recht fest, daß sich das göttliche Wundet der Menschwetdung nicht teilweise erklären lasse (Der Mittler, I927, S. 288ff.). E. Stauffer, Die Theologie des Neuen Testaments, I94I, S. 98f., 264f. betont, daß "die Idee der Parthenogenesis" sich in der Urkirche nicht durchgesetzt hat, weil dieser Gedanke "weder der vollen Gottheit und Gottessohnschaft (cf J 2, 4), noch der vollen Menschheit und Davidsohnschaft Jesu (R I, 3) gerecht" wird.

2 Bo Reicke, The Disobedient Spirits and Christian Baptism (Acta Sem. Neot. Upsal. XIII), IM~ . . .

3 Reicke hat den temporalen Sinn von iv ~ 3, I9 überwiegend wahrscheinlich gemacht (doch ist iv ~ schwerlich mit Reicke, S. 113 nur auf den Tod Christi, sondern auf Leiden und Auf­erstehung Christi allgemein zu beziehen, so E. G. Selwyn, The First Epistle of St. Peter, I946, S. I97, 315). Reicke hat ebenso nachgewiesen, daß Christus hier als neuer Henoch gesehen wird; sehr unwallrscheinlich sind dagegen seine Annallme einer Abhängigkeit des I. Petrus vom griechischen Text des Henochapokalypse und die daraus gefolgerten Argumente für die Ver­anlassung der Erwähnung der Predigt Christi gerade gegenüber der Flutgeneration.

4 Reicke verweist (S. 22.8) auf die Arbeiten von Pb. Carrington, The Primitive C:hristian Catechism, I940, S. 31ff. und E. G. Selwyn (a. Annl. 3 a. 0.), S. 365ff.

6 Reicke, a. a. 0., S. 2IO, 233; vgl. die Besprechung der Belege auf S. I6ff., 23Iff. Auch E .. G. Selwyn, a. a. 0., S. 32off. behauptet, der Glaube, daß Christus unmittelbar nach seinem Tode in die Unterwelt ging, und daß sein erlösep.des Handeln auch die Unterwelt umfaßte, "is ?att of the current coin of New Testament teaching". •

Page 169: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

168 W. G. KÜMMEL

Belegen für die Anschauung begegnen, daß Christus nach seinem Tode in der Unterwelt weilte (Matth. 12,40, Röm. xo, 7, Eph. 4, 9, Act 2, 27), so finden sich erst spät und nur ganz vereinzelt Anspielungen auf die Tatsache, daß dieses Weilen des gestorbenen Christus in der Unterwelt die Predigt an die dortWeilen­den oder den Sieg über die Herrscher der Unterwelt zum Inhalt hatte (] oh. 5, 2 5, I.Tim. 3, x6)1. Reicke hat selber feststellen müssen, daß in den Parallelen zu I. Petr. 3,13 ff., in I. Petr. 2.,19 ff. und Tit. 3,1 ff., das Motiv der Predigt Christi an die ungehorsamen Geister gerade fehlt2 ; und ebenso bezeichnend ist,. daß an den sonstigen und besonders den älteren Stellen, wo von einem Sieg Christi auch über die Unterwelt die Rede ist (Phil.2,1of., Kol.z,15, Eph.1,2of., Apk. 1, 18), sich keinerlei Hinweis auf den Descensus Christi. in die Unterwelt findet3. Daraus ergibt sich, daß die mythische Vorstellung von einer Tätigkeit des auferstandenen Christus in der Unterwelt erst spät und zögernd zu dem Ge­danken hinzugewachsen ist, daß Christi Tod und Auferstehung den Sieg auch über die Mächte der Unterwelt bedeuten. Und dieses Zögern ist auch sachlich durchaus begreiflich. Die V orstdlung verschiedener Stadien innerhalb der Er­höhung des Gekreuzigten zur himmlischen Kyrioswürde bedeutet eine spekula­tive Ausschmückung und damit eine Vergröberung des ursprünglichen, in my­thischer Rede ausgedrückten und ohne diese Sprache nicht wiederzugebenden Glaubens an die Erhöhung des Auferstandenen zu Gott. Darum gilt auch hier, daß nicht weltanschauliche Anstöße des modernen Menschen dazu zwingen, die mythische Vorstellung von der Hadespredigt Christi kritisch in Frage zu stellen, sondern vielmehr die Tatsache, daß diese mythische Vorstellung zu dem an sich ebenfalls mythisch formulierten Glauben an die Erhöhung des Auferstandenen und seinen Sieg über die gottfeindlichen Mächte nicht von vornherein hinzu­gehört hat und dazu in einem deutlichen Spannungsverhältnis steht.

Damit aber dürfte erwiesen sein, daß eine biblisch-theologische Forschung, die die Tatsache der Entwicklung und die Möglichkeit von Fehlentwicklungen inner­halb der neutestamentlichen Gedankenwelt ernst nimmt, die aber zugleich das biblische Kerygma in seinem Anspruch und seinem wirklichen Gehalt festhalten und verständlich machen möchte, sich außerstande sehen wird, die mythische Rede aus der Heilsverkündigung des N.T. völlig zu eliminieren, wohl aber nicht darum herum kommt, von diesem zentralen neutestamentlichen Kerygma aus die einzelnen mythischen Vorstellungsformen zu prüfen und gegebenenfalls an­zuerkennen, daß diese oder jene Vorstellung sich als dem eigentlichen Anliegen.

1 Zu diesem Verständnis von 6')(p{J.1J &yy8Aot> in I.Tim. 3, 16 vgl. M. Dibelius, Die Pastoral­briefe,2 1931, S. 39f. und E. G. Selwyn (a. Anm, 3 S. 167 a. ·o.), S. 325f. Zu der nicht völlig zu sichernden Deutung von Job. 5,25 auf die Hadespredigt Christi vgl. außer E. G. Selwyn, a. a. 0., S." 349f. und Bo Reicke, a. a. 0., S. 208 Anm. 5: M. Goguel, La foi a Ia resurrection. de Jesus dans le Christianisme primitif, 1933, S. 373f.

2 Bo Reicke, a. a. 0., S. 221, 224. 3 So. mit Recht M. Goguel (a. Anm . .47 a. 0.), S. 357ff. gegen]. Kroll, Gott und Hölle (Stu­

dien der Bibliothek Warburg, 2o), 1932, S. 5ff., der zu Unrecht noch weitere neutestamentliche Texte für den Descensus-Kampfheranzieht.. .

Page 170: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

MYTHISCHE REDE UND HEILSGESCHEHEN IM NEUEN TESTAMENT 169

des N.T. nicht adäquat erweistl. Hier liegt eine weitgehend unerledigte Aufgabe der neutestamentlichen Forschung, zu deren Bewältigung noch mancherlei sorg­fältige Vorarbeiten werden geleistet werden müssen2•

1 Zu einer analogen Einsicht kommt E. Brunner: auch die theologische Lehre der Apostel von Jesus Christus unterliegt der kritischen Prüfung, die allein von der Christusoffenbarung selbst aus geschehen kann. Diese Kritik bewegt sich darum, scheinbar, in einem Zirkel: "Nur durch die Apostellehre kann an der Apostellehre Kritik geübt werden" (Die christliche Lehre von Gott. Dogmatik, Band I, 1946, S. 55).

2 [Korrektumachtrag.] Erst nachdem vorliegende Arbeit längst abgeschlossen war, wurde mir die wertvolle Untersuchung von R. Prenter bekannt: Mythe et Evangile, Rev. de theol et de philos., N. S. 35, 1947, S. 49ff. s. die Übersetzung in diesem Band S. 63ff

Page 171: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ALBRECHT OEPKE LEIPZIG

ENTMYTHOLOGISIERUNG DES CHRISTENTUMS?1

Thesen zur Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmann, Offenbarung und Heilsgeschehen (I94I), S. 27-69: -N eues Testament und Mythologie, das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung2

I

I. Bultmanns Vorstoß zur Entmythologisierung des Christentums rührt in aufrüttelnder Form mit fanatischer Ehrlichkeit an ernste Nöte und zwingt zu einer bis in die Tiefe des theologischen Ansatzes reichenden Auseinandersetzung.

z. Gegenüber einer falsch konservierenden und dogmatisierenden Verwendung der biblischen Botschaft ist er weithin im Recht. Lehrreich ist er aber vor allem durch seine Zwiespältigkeit.

II

3· Der Begriff des Mythologischen wird mehrfach umschrieben3, aber niCht scharf definiert. Tatsächlich wird er von dem einstweilen kritiklos hingenom­menen Weltbild und Selbstverständnis "des modernen Menschen" (I8) aus ge­wonnen4, wonach alles irdische Geschehen seinen "natürlich-alltäglichen", "stetigen, gesetzmäßigen" (I 5) Gang geht und "dem Zugriff supranaturaler Mächte nicht offen steht" (zo).' Was zu dieser Auffassung nicht stimmt, ist mythologisch5.

4· Während also der Mythos zunächst auf sein objektives Weltbild befragt wird, hören wir später : "Der eigentliche Sinn des Mythos ist nicht der, ein objektives Weltbild zu geben, vielmehr spricht sich in ihm aus, wie sich der Mensch selbst in seiner Welt versteht; der Mythos will nicht kosmologisch, sondern anthropologisch- besser: existential interpretiert werden" (z3).

5. In dieser Doppelinterpretation spiegelt sich di~ doppelseitige Beurteilung des Mythos im modernen .Geisteslebens.· Aufklärung und Romantik liegen

1 Aus: Geschichtliche und übergeschichtliche Schriftauslegung, Bettelmann, Gütersloh2, I 94 7, s. s6ff.

2 Kerygma und Mythos Band I1 I 948 S. I 5 ff. Hierauf beziehen sich Seitenzahlen ohne nähere Angabe. Vgl. ferner: Tillich-Rühle-Gunkel-Bultmann, Art. Mythus und Mythologie, RGG, :z.. Aufl., IV, S. 363-394 (zitiert: RGG).

3 "Mythologisch ist die Vorstellungsweise, in der das Unweltliche, Göttli~he als Weltliches, Menschliches, das Jenseitige als Diesseitiges erscheint" (:z.3 A :z.). V gl. RGG 390: ,,ein Geschehen, das nicht aus weltlichen Kräften und menschlichem Tun stammt, sendem wunderbar und gott­gewirkt ist".

4 Das mythische Weltbild ist "das Weltbild einer vergangenen Zeit, das noch nicht durch ·wissenschaftliches Denken geformt ist" (I7)· .

5 "Damit, daß die (eschatologische) Zukunft nicht als Ergebnis geschichtlicher Entwicklung, sendem als Gottes wunderbare neue Schöpfung erwartet 'wird, wird sie mythologisch ver­standen" (RGG 390).

& V gl. DUschneider über Nietzsche und die Aufklärung in: Mythos? Gedanken über ein Thema unserer Zeit Dt. Pfarrerblatt, I94:z., I53f. ·

Page 172: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG DES CHRISTENTUMS 171

miteinander _im Streit. Ein Ausgleich wird nicht versucht, geschweige denn er­reicht.

6. Es wird infolgedessen auch nicht deutlich, ob unter Entmythologisierung <lie Eliminierung oder die existentiale Interpretation des biblischen Mythos ver­standen werden soll. Die angewandte Terminologie ist mehr provozierend als methodisch brauchbar.

III

7· Der methodische' Zwiespalt geht aber auf einen sachlichen zurück. Zum tieferen Verständnis bedarf es eines Zurückgehens auf die Ontologie.

8. Bultmanns Seinsverständnis ist eine Abart eines weitverbreiteten Identitäts­.denkens, dessen Eigenart in folgendem liegt: Es werden zwei ebenso eng ver­bundene wie scharf getrennte Wirklichkeitsbereiche unterschieden, richtiger: Oie Gesamtwirklichkeit wird unter doppeltem Aspekt, als kausalbedingtes Diesseits und nicht kausalbedingtes Jenseits angesehen. Das letztere kann als Projektion <les eigenen geistig-metaphysischen Wesenskerns in die Materie verstanden werden1• Immer aber gilt ein kausales Übergreifen aus dem einen Bezirk in den anderen für ausgeschlossen. Beide sind parallele Erscheinungen der Gesamtwirk­lichkeit. Auf primitiv-mystische Anfäilge zurückgehend, hat dies Denken, im einzelnen mannigfach variiert, seinen klassischen Ausdruck bei Platon (xOO'f10~ alufJrr,;o~ und 'VOl')""o~), Spinoza (Deus sive natura), Kant (empirische und intelli­gible Welt) und Schelling (Identitätsphilosophie) gefunden. Kelsos hat mittels seiner das Christentum bekämpft2, Chamberlain es zu interpretieren und aktuali­sieren gesucht. Die wesentlichen Grundzüge dieser Ontologie finden sich bei B.wieder. '

·9· a) Für das Diesseitige schien diese Ontologie experimentell bestätigt zu werden durch die klassische Physik, die nach dem Vorbild der Newtonsehen Mechanik alles Geschehen rein kausal auf Druck und Stoß der unteilbaren und unveränderlichen Atome zurückführte. Ihre Tendenz griff auf die Nachbar­wissenschaften über. In der Biologie wurde der im 18. Jahrhundert noch herr­schende Vitalismus seit Lotze entrechtet, in der experimentellen Psychologie durch Fechner und Wundt der psychophysische Parallelismus ausgebildet.

b) Durch die moderne Atomphysik, die Quantentheorie und das Gesetz der statistischen Wahrscheinlichkeit wurde aber das Weltbild der klassischen Physik bis in den Grundansatz ers~hüttert. Das Interesse der Biologie hat sich in Rich­tung auf einen Neovitalismus und die teleologische Deutung der Lebenserschei­nungen verschoben. Der psychophysische Parallelismus ist allgemein aufgegeben. Der Satz von der Konstanz der Energie, als Erfahrungssatz weithin richtig und

1 Das indische "Atman ist Brahman" erscheint in der Logoslehre seit Heraklit sozusagen in der Umkehrung. Vgl. auch Chamberlain: "Wissenschaft ist, was die Welt mir schenkt, Religion. was ich der Welt schenke."

2 Wenn Gott zu den Menschen herabkäme, so müßte es im Immanenten eine große Revolution geben, "denn·wenn auf diese Weise. in der Welt nur das Geringste verändert würde. so müßte das ganze Weltbild zusammenstürzen". Kelsos bei Orig. c. Cels. IV 5; I zyS, Sff. Koetschau.

Page 173: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

172 ALBRECHT OEPKE

als Forschungsprinzip unaufgebbar, ist als weltanschauliches Postulat nicht mehr haltbarl.

c} Der Schein der restlosen Durchschaubarkeit und Verfügbarkeit des Dies­seitigen ist also zerstört. Die Welt hat ihr. Geheimnis wieder. An B. scheint in­dessen diese neueste Entwicklung spurlos vorübergegangen zu sein. Er hat faktisch nicht die neutestamentliche Verkündigung entmythologisiert, sondern den Mythos des I9· Jahrhunderts in sie hineingetragen.

Io: Dagegen wird die von Kierkegaard und Spengler aufgedeckte Kulturkrisis, durch die Einwirkung von M. Heideggers Existentialphilosophie und den Einfluß der dialektischen Theologie verstärkt, bei B. vollends akut2• Da nun aberderauf­klärende Ansatz nichi: aufgegeben wird, auch keineswegs nur pädagogisch gemeint ist, so bricht die Weltanschauung in zwei heterogene Hälften auseinander.

IV I I. Ob eine Ontologie mystisch-philosophischer Herkunft für den christlichen

Glauben als genuine Ausdrucksform gelten kann, muß von vornherein bezweifelt werden.

Iz. Die Erinnerung, daß Gott nicht Einzelursache neben anderen, nicht von außen stoßender Faktor, sondern causa causarum, Ursprung aller Dinge ist~ daß also auch das in seiner Gesetzmäßigkeit uns relativ verständliche alltägliche Geschehen als sein Wirken verstanden werden darf und muß, ist wichtig und entspricht dem biblischen Schöpfungsglauben. Das identitätsphilosophisch-paral­lelistische Postulat aber einer absoluten Immanenz in Verbindung mit einer ab­soluten, in das Kausalgeschehen nicht eingreifenden, sondern es nur umspannen­den Transzendenz greift dem Glauben ans Mark3•

I 3· Denn derGlaube erlebt dieKreatürlichkeit der menschlichen Existenz nicht an einem abstrakten .,Unverfügbaren", sondern an dertrotzaller Naturbeherrschung bleibendunverfügbaren konkreten Wirklichkeit (Erdbeben, Krankheit,·Tod,Krieg usw.), die ihn immer wieder voi: das Geheimnis des verborgenen Gottes stellt.

I4. Die Zuversicht des Glaubens in aller Bedrängnis hängt daran, daß er sich, allem gegenteiligenSchein zum Trotz, nicht dem Räderwerk des Kausalgeschehens ausgeliefert weiß, sondern der allmächtigen und gnädigen Führung des Schöpfers und Herrn der Welt sich befehlen darf.

1 W. Heisenberg, Die Einheit des naturwissenschaftlichen Weltbildes, 1942; M. Planck, Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft, 1942; P. Buchner, Spezialisierung und Entwicklung, 1940; K. F. v. Weizäcker, Zum Weltbild der Physik, 2. Aufl., 1944; A. Neuberg, Das natur­wissenschaftliche Weltbild der Gegenwart, 4.-Aufl., 1944·

2 "Wer aus dem Verfügbaren lebt, der begibt sich in Abhängigkeit von ihm" (3o) usw. 3 Daß Gott den Himmel, die Erde und das Meer und alles, was darinnen ist, gemacht hat,

ist bereits ein mythologischer Satz (RGG 391), scheidet also aus. "Im Mythos findet der Glaube Ausdruck, daß die bekannte und verfügbare Welt, in der der Mensch lebt, Grund und Ziel nicht in sich selber hat, daß vielmehr ihr Grund und ihre Grenze außerhalb des Bekannten und Verfügbaren liegen, und daß dies Bekannte und Verfügbare ständig von den unheimlichen Mächten, die ihm Grund und Grenze sind, durchwaltet und bedroht ist" (23). Ist das christlicher Schöpfl!flgsglaube und - keine Mythologie?

Page 174: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG DES CHRISTENTUMS 173

15. Die Verkümmerung des biblischen Schöpfungsglaubens hat stets weit­gehende Konsequenzen. Daß sie bei B. nicht stärker hervortreten, hängt mit seiner Herkunft aus der reformatorischen Theologie zusammen. Immerhin steht die Abkehr vom "Verfügbaren", die "Indifferenz des an sich Bedeutungslosen" (3of) in einer Weise im Zentrum, die von fern an das "Entwerden" der Mystik erinnert. Mystik ist die Religionsform nicht bloß primitiver, sondern gerade über­züchteter Kulturen. B.s Entwurf steht im Zwielicht der Verquickung von Kultur­optimismus und Kulturpessimismus, Lebensbejahung und Lebensverneinung.

V

16. Grundlegend ist die Fass~ng des Begriffs der Offenbarung. B. kann das ge­samte christliche Seinsverständnis nach dem existential interpretierten Kerygma zu­nächst ohne Rücksicht auf Christus entwickeln. Dadurch wird in der Tat die Frage nahegelegt, ob es christliches Seinsverständnis ohne Christus gibt (3 5ff.).

17. Mit dankenswerter Energie lehnt B. eine vom Heilsgeschehen losgelöste oder ihm gegenüber verselbständigte "natürliche" Offenbarung ab1. Echte Theo­logie des christlich;:n Schöpfungsglaubens ist aber mit natürlicher Theologie nicht zu verwechseln2 • Die ausgesprochene Vorliebe für negative Formulierungen3

erinnert wieder an die via negationis der Mystik. Mystik aber ist -natürliche Theologie4• Auch die Entfaltung des "im Gottesbegriff enthaltenen Wissens"5,

mag sie religionsgeschichtlich richtig sein oder nicht, führt nahe an einen Ansatz natürlicher Theologie heran.

18. Wo die diesseitige Wirklichkeit gegen den Zugriff supranaturaler Mächte ab­geschlossen ist, ist eine Offenbarung in der Geschichte grundsätzlich ausge­schlossen.' So brechen denn, allen gegenteiligen Bemühungen und Versicherungen zum Trotz, Offenbarung und Geschichte bei B. immer wieder ausein~nder.

19. Für den Glauben scheidet der geschichtliche Jesus aus. Der Rekurs auf ihn hatte nur für die ersten Verkündiget Bedeutung. Für uns ist diese Verbundenheit nicht reproduzierbar. Das Kreuz ist für uns ein Ereignis der Vergangenheit, von dem wir nur durch historischen Bericht wissen. "So aber wird der Gekreuzigte im N.T. gerade nicht verkündigt" (49).

· zo. Der richtige Gedanke, daß der Glaube nicht rational, sondern durch die Verkündigung begründet wird, wird vertauscht mit dem anderen, daß wir nach dem historischen Ursprung der Verkündigung überhaupt nicht fragen dürfen (5o). "Nicht, weil es das Kreuz Christi ist, ist es Heilsereignis, sondern weil es

1 Vgl. den ersten Aufsatz in "Offenbarung und Heilsgeschehen". 2 Vgl. ThW lll 58 I, 584, 589fT. Richtig bei B. S. 23ff., bedenklich aber bereits die Einschrän­

kungen S. 25ff. 3 "Wissen um die Begrenztheit,und Nichtigkeit des Menschen" (a. A. I a. 0. S. 6). "Die Rede

vom jenseitigen Gott wird zur Ilusion, wenn sie mehr sein will als eine bloße Negation" (I6), 4 Über die Verwandtschaft der dialektischen Theologie mit der Mystik vgL A. Oepke, Karl

Barth und die Mystik, I928. ~ a. A. I a. 0 S. 6ff.

Page 175: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

174 ALBRECHT OEPKE

das Heilsereignis ist, ist es das Kreuz Christi. Abgesehen davon ist es das tragische Ende eines edlen Menschen" (5o).

2 I. Wenn die Rettung im Wissen des Menschen um seine Kreatürlichkeit besteht,. so entsteht mindestens der Schein, als ob die Offenbarung, an sich ein Geschehen alltäglichen und zweideutigen Charakters, ihre spezifische Qualität vom Menschen aus erhältl. Sie würde sich dann da vollziehen, wo sie sich nach den Prämissen der dialektischen Theologie gerade nicht vollziehen sollte: im Subjekt.

22. Gleichzeitig wird allerdings stark betont, daß das Christusereignis die Offen­banmg der Liebe Gottes ist und daß der Glaube an die Liebe Gottes Eigenmächtig­keit bleibt, solange Gottes Liebe Wunschbild, Idee ist, solange Gott seine Liebe nicht offenbart hat (43). Mit Recht. Aber das Christusereignis ist -"Mythologie".

VI

.23. Gegenüber der liberalen und religionsgeschichtlichen Theologie (24-27) stellt B.s Versuch einer existentialen Auffassung des Heilsgeschehens (27ff) einen Fortschritt dar. Der paradoxe Inhalt der neutestamentlichen Botschaft, "daß Gottes eschatologischer Gesandter ein konkreter historischer Mensch ist" (52) soll zu seinem Recht kommen. Aber Jesus wollte nach B. bloß eschatolo­gischer Prophet sein. Und wie wäre ein wirklicher Gottesgesandter in einer Welt leer "supranaturalen Geschehens" (52) überhaupt vorstellbar ohne "Mythologie•'?'

24. Der echte Mythos, sofern er über sich reflektiert, will nicht Geschichte, sondern Einkleidung übergeschichtlicher Wahrheit sein2• Das neutestamentliche Kerygma will aber von Geschichte zeugen, in der sich der überweltliche Gott innerweltlich zu einzigartiger Gemeinschaft darbietet. Schon die Einmaligkeit dieses Heilsgeschehens (8rpcina~ Röm. 6, xo, Hehr. 7, 27, 9, 12, xo, xo) grenzt das Kerygma gegen den Mythos ab. B. versucht, dem Seinsverständnis säkularer Philosophie gegenüber den Ereignischarakter des Heilsgeschehens zu sichern3 ~ überzeugt aber nicht. Daß er kaum eine synoptische Stelle, vielmehr ausschließ­lich Paulus und Johannes zitiert, kennzeichnet die Wendung vom historischen Jesus zum Christusmythos.

z 5. Das Kerygma ist schon das Ergebnis eines Entmythologisierungsprozesses4 •

Daß B. diesen folgerichtig zu Ende führe, ist zu bestreiten. Das N.T. führt aus

1 "Das Neue Testament kennt grundsätzlich keine Phänomene, in denen das Außerweltliche zur innerweltlichen Gegebenheit gebracht würde"· (34).

2 Plut., deiside et Osiride 11 (355b): Wenn du hörst, was die .Ägypter über die Götter mytho­logisieren, Irrfahrten und Gliederzerstückelungen und viele derartige Leiden, so darfst du nicht glauben, irgend etwas sei in dem Sinne gemeint, daß es faktisch so geschehen und ausgeführt sei, sondern die Bezeichnung des Herrnes-Tbot als Hund z. B. bedeutet nur, daß dem Gotte die Intelligenz des Tieres und seine Wachsamkeit beigelegt werden soll.

3 V gl. besonders die Auseinandersetzung mit Kamlah (3 5ff.) und die Entgegnung an Tbielicke. 4 Israel stellt in seiner Zurückhaltung gegenüber dem Mythos "ein wahres Wunder unter den

Kulturvölkern des Orients" dar (Gunkel RGG IV 381). Paulus entkleidet den Urmenschen­mythos seiner pantheistischen Grundhaltung, stellt gegen den Mythos vom sterbenden und auf­erstehenden Gott das Kreuz (1. Kor. 1, 18ff.) 1,md gegen die gnostische Äonenreihe die Absolut-heit des einen Christus. ·

Page 176: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG DES CHRISTENTUMS 175

spekulativer Weite zu dem persönlichen geschichtlich sich offenbarenden Gott. Es ist zu besorgen, daß B. von diesem Gott weg in spekulative Weite führt.

2.6. Kreuz und Auferstehung Christi sind, wie für das N.T. (Röm. 4, 2.5 u. ö.), so auch für B. eine Einheit (48). Historisches Ereignis im eigentlichen Sinn ist aber für ihn nur das Kreuz. Um den Anschluß herzustellen, wird einerseits dem Kreuz die Entstehung des Glaubens an den Auferstandenen an die Seite gestellt (5 I), andererseits das Kreuz gleich der Auferstehung als "kosmisches" Ereignis verstanden, seiner heilsgeschichtlichen Faktizität damit entkleidet (46). Da alles Gewicht auf das letztere fällt, gefährdet der an sich wertvolle Hinweis, daß Kreuz und Auferstehung in den Sakramenten und im Lebensvollzug des Glaubens Gegenwart sind (46f.; vgl. Gal. 5, 2.4; Röm. 6, 4; Kol. I, 2.4), die geschichtliche Einmaligkeit beider. Kreuz und Auferstehung werden subjektiviert.

2.7. B.lehnt Barths Umdeutung von I. Kor. I5 ab, empfindet aber den Zeugen­beweis für die Auferstehung als "fatal". Die Alternative "eschatologisches Er­eignis" oder "beglaubigendes Mirakel" trifft jedoch nicht. Es. geht um ein Drittes: die ebensowohl geschichtliche wie eschatologische Auferweckung des Gekreu­zigten. Gleich fern von rationaler oder starr autoritärer Begründung wie von metahistorischem Symbolismus erwächst der Osterglaube aus dem lebenwecken­den Zeugnis der berufenen Zeugen als persönlicher Heilsglaube. Diese Einheit von Offenbarung und Heilsgeschehen zerbricht bei B. Die Erweichung und Um­deutuJ;J.g der Heilsgeschichte ist wieder ein mystischer Zug.

2.8. Auch die Eschatologie wird in einem wahrscheinlich sogar über J ohannes, sicher über das übrige N.T. hinausführenden Maße spiritualisiert, d. h. B. nähett sich einer rein axiologischen Eschatologie. Gäbe er dieser Tendenz vollends nach, so bliebe nur noch die Christusidee oder - der Christusmythos übrig.

2.9. Gottes sündenvergebende Gnade wird von B. stark betont und näher dahin bestimmt, daß sie den Menschen befreit von seiner Vergangenheit, d. h. von jener Haltung, die sich sichern will und deshalb zum Verfügbaren greift (3o). Damit wird der Schuldcharakter der Sünde unterschlage~. Nach neutestament­licher Auffassung ist der Erlaß der Schuld für die Wiederherstellung der Gottes­gemeinschaft das Entscheidende. Die Änderung der Haltung des Menschen ist als Buße dessen Voraussetzung, als Heiligung dessen Folge.

VII 30. Das Berechtigte in B.s Anliegen kommt durch das Schlagwort "Entmytho­

logisierung" nicht glücklich zum Ausdruck. Wäre eine wirkliche Entmythologi­sierung der neutestamentlichen Gedankenwelt überhaupt möglich, so würde si<; zu völliger Entleerung des Glaubens führen2• W~r haben statt dessen mlt der Geschichtlichkeit der Otfenbarung nach beiden Seiten hin Ernst zu machen.

2 In diese Richtung deutet doch vielleicht auch die im übrigen anders orientierte Schrift von E. Spranger, Weltfrömmigkeit (1941), bes. S. 32ff.

Page 177: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS
Page 178: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

VI

ABSCHLIESSENDE STELLUNGNAHME BULTMANNS

Page 179: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS
Page 180: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

RUDOLFBULTMANN

ZUM PROBLEM DER ENTMYTHOLOGISIERUNG

Auf alle Fragen zu antworten, die seit dem ersten Erscheinen meines Aufsatzes "Neues Testament und Mythologie"1 an mich gerichtet worden sind, und auf alle kritischen Äußerungen einzugehen, ist mir nicht möglich2 • Ich will jedoch ver­suchen, diejenigen Fragen zu klären, die mir als die wichtigsten erscheinen3 •

1 In "Offenbarung und Heilsgeschehen" (Beitr. z. Evg. Theol. 7), München 1941. Wieder ab­gedruckt in "Kerygma und Mythos", hrsg. von H. W. Bartsch, Harnburg 1948, 2. Aufl., 1951 (zitiert als K. u. M.).

2 Natürlich gibt es Äußerungen, auf die einzugehen es sich nicht lohnt. Von den mir bekannt gewordenen nenne ich die mir als wichtig o:ler als charakteristisch erscheinenden seit der 1. Aufl. von "Kerygma und Mythos" (mit einer Ausnahme). . 1

W. G. Kümmel, Mythische Rede und Heilsgeschehen im N.T. Coniect. Nc::otest. XI, Lund 1947, in diesem Band S. 153ff. - Mythos im N.T. Theol. Ztschr. 6 (1950), 321-337.

K. G. Steck, Leugnung der Auferstehung? Die Stimme der Kirche. 1949, Nr. 8, S. 74; Nr. 9, S. 11-12.

H.H. Walz, Das Hermeneutische Problem. Für Arbeit und Besinnung III (1949), Nr. 15/16, s. 502-517·

K. Herbert, Zur :J;lrage der Entmythologisierung. Veröffentlichung der Evang. Kirche in Hessen und Nassau. 1950.

Herm. Diem, Grundfragen der Hermeneutik. Theol. Existenz heute, N.F. 24. München 1950. Chr. Hartlieh und W. Sachs, Einführung in das Problem der Entmythologisierung. Für Arbeit

und Besinnung IV (1950), Nr. 15/16, S. 353-357; Nr. 18, S. 410-414; Nr. 19, S. 433-436; Nr. 21, S. 48o-485; Nr. 22, S. 498-502; Nr. 24, S. 552-557; V (1951), Nr. 15/16, S. 331-348; VI (1952) Nr. 4, S. 50-64, in diesem Band S. 113ff.

W. Wiesner, Anthropologische oder theologische Schriftauslegung? Evang. Theol. 1950/51, Nr. 2, S. 49-66.

Ed. Schweizer, Zur Interpretation des Kreuzes bei R. Bultmann, Aux Sources de la Tradition Chretienne (Festschr. f. M. Goguel), Neuchätel/Paris, 1950, S. 228-238.

Amos N. Wilder, Mythology and N.T. Journal of Biblical Literatur 69 (1950), S. 113-127. Kendrick Grobe/, Bultmanns. Pro,blem of N.T. "Mythology". Ibid. 70 (1951), S. 99-1<?3· G. Bornkamm und W. Klaas, Mythos und Evangelium. Theol.'Existenz heute, N. F. 26,

München 1951. . E. Steinbach, Mythos u. Geschichte. Tübingen 1951· Fr.K.Schumann, Verkündigung und Auslegung. Deutsches Pfarrerblatt 1951, S. 121-125.

-Wort und Wirklichkeit, Berlin-Spandau 1951. G. Casalis, Le Pro):>leme du mythe. Rev. d'Hist. et de Phi!. rel. 1951, S. 300-342. Das Beste, was m. E. zur Sache geschrieben ist, sind die Aufsätze von Hartlieh und Sachs.

Auf den Aufsatz von Eth. Stauffer, Entmythologisierung oder Realtheologie? (Deutsches Pfarrerbl. 1949, S. 413-418; in diesem BandS. 13ff.; s. dazu die verschiedenen Artikel in der Rubrik "Aussprache" von E. Groß, L. Thimme, H. W. Bartsch, in diesem Band S. 29ff.; G. Maifeld, F. Scheidweiler, R. Fischer ibid. 486, 513, 541f., 571f., 572 und 1950, S. 120) werde ich nicht eingehen. Ich denke, mit ihm schiedlich-friedlich auseinanderzukommen, wenn wir. uns nur gegenseitig je ein Eingeständnis machen: ich, daß ich von der Realtheologie nichts· vustehe; er, daß er von der Entmythologisierung nichts versteht.

3 Ich darf darauf hinweisen, daß ich mich selbst bemüht habe, die Diskussion etwas weiter­zuführen in den Aufsätzen "Das Problem der Hermeneutik" (Ztschr. f. Theol. u. Kirche 19p~

u*

Page 181: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

180 RUDOLF BULTMANN

I.

DER SINN DES MYTHOS UND DER ENTMYTHOLOGISIERUNG

Zu den wichtigsten Fragen rechne id:J. nicht die Frage nach dem Begriff Mythos. Vielmehr scheint mir die Diskussion dieser Frage von dem wegzuführen, um was es eigentlich beim Problem der Entmythologisierung geht. Wenn also jemand meinen Begriff von Mythos für fragwürdig erklärt und unter Mythos etwas an­deres verstehen will, so mag er es tun. Ich verstehe unter "Mythos" ein ganz be­stimmtes geschichtliches Phänomen und unter "Mythologie" eine ganz bestimmte Denkweise. Um die Diskussion dieses Phänomens, dieser Denkweise handelt es sich.

Ich gebrauche den Begriff Mythos in dem Sinne, wie er in der Geschichts- und Religionswissenschaft üblich ist1• Mythos ist der Bericht von einem Geschehen oder Ereignis, in dem übernatürliche, übermenschliche Kräfte oder Personen wirksam sind (daher oft einfach als Göttergeschichte definiert). Mythisches Denken ist der Gegenbegriff zuni wissenschaftlichen Denken. Das mythische Denken führt be­stimmte Phänomene und Ereignisse auf übernatürliche, auf "göttliche" Mächte zu­rück, mögen diese nun dynamistisch oder animistisch gedacht oder als persönlime Geister oder Götter vorgestellt werden. Es grenzt so bestimmte Phänomene und Ereignisse, aber auch Bezirke, aus dem bekannt-vertrauten, durchschau- und be­herrschbaren Bestande und Geschehen der Welt aus. Wissenschaftliches Denken ist präformiert im Arbeitsdenken, das ja auch mit dem geschlossenen Zusammenhang von Ursache und Wirkung rechnet, ja, es ist im Grunde die radikale Durchführung dieses Denkens und setzt die Einheit der Welt und die gesetzmäßige Ordnung des Bestandes und Geschehens der Welt voraus2 • Als eigentlich wissenschaftliches Den­ken entsteht es mit der Frage nach der &(.lx'T/, nach dem einheitgebenden Ursprung der Vielfältigkeit der Welt. Und eben an der Tatsache, daß der Ursprung der Welt jetzt nicht mehr, wie im mythischen Denken, in einer außerweltlichen Macht bzw. Gottheit gesucht wird, der gegenwärtigen Welt also auch nicht als zeitlich vorausliegend vorgestellt wird, sondern als ein der Welt immanenter und jederzeit präsenter Ursprung gedacht wird, ist der Unterschied des mythischen und des

s: 47-69) und "Das Problem des Verhältnisses von Theologie und Verkündigung im N.T." (Aux Sources de la Tradition Chretienne. Festschr. für M. Goguel, Neuehatei-Paris 1950, S. ;z-4z). - Als auf Beispiele "existentialer" Interpretation darf ich ferner auf meine Aufsätze verweisen: "Weissagung und Erfüllung" (Studia Theologica II, 1949, S. 1-z4,,und Ztschr. f. Theol. u. Kirche 1950, S. 36o-383) und "Das christologische Bekenntnis des Oekumenischen Rates" (Schweizer. Theol. Umschau 1951, S. 25-36, und Evang. Theol. 1951, S. 1-13).

1 Vgl. Wi/h. Nestle, Vom Mythos zum Logos, Stuttgart 1940, 21941. Dazu auch meine Be­sprechung, Theol. Lit. Ztg. 1942, 146f., und Br. Snell, Gnomon 1943, 65=76.

2 Es ist natürlich sinnlos zu s~gen, daß auch das Weltverständnis der Wissenschaft ein "Mythos" sei. Mag man es eine Ideologie, eine Fiktion oder wie sonst nenrien, wenn man beliebt. Worauf es ankommt, ist doch, sich die grundsätzlich~ Verschiedenheit des mythischen und des wissen­schaftlichen Denkens klatzumachen. Auch sollte man sich nicht am "Mythos des zo. Jahr­hunderts" orientieren, um den Begriff "Mythos" zu bestimmen.

Page 182: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ZUM PROBLEM DER ENTMYTHOLOGISIERUNG 181

wissenschaftlichen Denkens deutlich. Der Einheit der Welt im wissenschaftlichen Denken entspricht die Einheit des wissenschaftlichen Denkens selbst, das durch das Myov öuJOvat, durch die Begründung, die für jeden Satz gegeben werden muß, be­stimmt ist gegenüber der Zusammenhanglosigkeit der mythischen Erzählungen. Wenn Hesiod die alten Mythen in einen Zusammenhang bringt, so zeigt sich nur, wie das wissenschaftliche Denken des Griechen den Mythos bearbeitet.

Für das mythische Denken sind die Welt und das Weltgeschehen "offen" -offen nämlich für den Eingriff jenseitiger Mächte, also durchlöchert vom Gesichts­punkt des wissenschaftlichen Denkens aus. Für dieses sind Welt und Weltgeschehen "geschlossen", geschlossen nämlich gegen den Eingriff unweltlicher Mächte; "offen" sind sie freilich für das wissenschaftliche Denken auch, insofern die Erkenntnis von Welt und Weltgeschehen immer unabgeschlossen, unvollendet ist. Die Geschlossen­heit der Welt ist also im Sinne des aristotelischen uvvexi• zu verstehen, des Konti­nuierlichen, auch wenn die Erkenntnis der Einheit und der gesetzmäßigen Glie­derung des Kosmos im Unendlichen liegt.

Es tut auch gar nichts zur Sache, wenn man darauf hinweist, daß das Weltbild der Naturwissenschaft von heute nicht mehr das des 19. Jahrhunderts ist; und es ist naiv, die Tatsache der Relativierung des Kausalgesetzes hinsichtlich der ato­maren Vorgänge zur Repristinierung des mythischen Wunderglaubens benutzen zu wollen, als ob mit dieser Relativierung das Tor für das Eingreifen jenseitiger Mächte geöffnet worden wäre! Verzichtet etwa die Naturwissenschaft heute auf das Experiment? So lange sie es nicht tut, steht sie in der Tradition des Denkens, das im Griechentum mit der Frage nach der&!?x~und der Forderung desuyovrl'töovae

beginnt. Und wer in dieser Tradition steht, weiß auch, daß alle Ergehnisse der Wissenschaft relativ sind, und daß ein früher oder heute oder morgen erarbeitetes W elthild nie ein endgültiges sein kann. Das Entscheidende ist aber nicht das Resultat, sondern die Methode des wissenschaftlichen Denkens1 •

Für das mythische Denken ist aber nicht nur die von der Wissensd!.aft als Natur verstandene Welt "offen" für den Eingriff jenseitiger Mächte, sondern aud!. das Personleben des Menschen. Der dem mythisd!.en Denken entwachsene Mensd!. ver-

1 Sehr gut die Ausführungen bei Hartlieh und Sachs a. a. 0. 1951, S. 346: "Im gleichen ist ,moderens wissenschaftliches Denken' nicht durch den Inhalt dessen gekennzeichnet, was in ihm über Natur und Welt geurteilt wird, sondern dadurch, daß kein Urteilen über diese Gegenstände Geltung beanspruchen dai:f, das nicht den Erfordernissen hinreichender Begründung genügt. Man verkennt den eigentlichen Differenzpunkt zwischen ,mythologischem' und ,modernem' Denken, wenn man die Inhalte der verschiedenen Weltbilder gegeneinander setzt und dabei dar­auf hinweist, daß das ,moderne Weltbild' in gewisser Hinsicht ,uneinheitlich', ,unabgeschlossen' oder gerade heute in gänzlicher Umbildung begriffen sei. Darum geht es nicht; sondern der un­überbrückbare Unterschied zwischen modernem und mythischem Denken liegt in der Ver­llchiedenheit von unbewußt-unkritischem und bewußt-kritischem Urteilen - mögen auch die Ergebnisse, zu denen beispielsweise die moderne Naturwissenschaft (wohlgemerkt auf Grund bewußt-kritischen Urteilens) kommt, innerhalb weniger Jahre wechselnde sein. Die einander ablösenden weltbildliehen Vorstellungen erheben sich als Hypothesen auf dem Grunde der kri­tischen Verantwortlichkeit des Denkens" s.o. S. 122f.

Page 183: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

182 RUDOLF BULTMANN

steht sich als Einheit und rechnet sein Empfinden, Denken und Wollen sich selbst zu; er führt es nicht mehr, wie der Mythos, auf den Eingriff dämonisd:ler oder göttlid:ler Mäd:lte zurück. Dies gilt, einerlei, ob er als konsequenter Naturalist das mensd:llid:le Personleben als ein bloßes Naturphänomen, sein geistiges Leben also als abhängig von Naturprozessen versteht, oder ob er die Selbständigkeit seines Personlebens gegenüber der Natur anerkennt. Im letzteren Falle weiß er freilid:l um die Bedingtheit seines geistigen Lebens durch seine natürliche Leiblid:lkeit und weiß, daß er seine Selbständigkeit als Person ständig neu zu gewinnen hat. Aber damit weiß er um seine Verantwortung für sid:l selbst und um seine Freiheit\ Die dem mythischen Denken zugehörige Vorstellung von einem magischen Zwang, der auf sein Empfinden, Denken und Wollen ausgeübt werden kann, und auch die Vorstellung, daß sein geistiges Leben durd:l materielle Mittel gespeist werden kann, ist ihm fremd geworden und eben damit der Gedanke des Sakraments. Er kann sich daher auch in seinem Verhältnis zu Gott nur als Personwesen verstehen, das in sei­nem Sein als Person von Gott angesprod:len wird. Da.S heißt: als ein ihn angehendes und treffendes Reden und Handeln Gottes kann er nur ein sold:les verstehen, das ihn in seiner personalen Existenz trifft, ja gerade bei ihr behaftet. Eine Satisfaktions­lehre, die Gottes. Handeln als ein kultisches oder juristisd:les Handeln beschreibt, ein Christusgeschehen, das nid:lt als ein die personale Existenz treffendes verstan­den werden kann, sind für ihn unglaubwürdig2 •

Man nennt den Mythos manchmal eine primitive Wissenschaft. Das ist insoweit richtig, als es sich um ätiologische Mythen handelt, die merkwürdige, überraschende oder erschreckende Naturphänomen erklären wollen wie Sonnen- oder Mond­finsternis oder die verschiedene Länge der Beine des Orion. Sehen wir zunächst ·davon ab, daß für die Ätiologie Mächte in Anspruch genommen werden, die nid:lt der Naturbeobachtung, sondern einem spezifisch mythischen Weltverständnis ent­stammen, von dem sogleich zu reden ist, so läßt sich das mythische Denken inso-

1 Dem entspricht es, daß die Geschichtswissenschaft nicht mit dem Eingreifen Gottes oder -des Teufels oder von Dämonen rechnet. Auch wenn sie heute etwa von Dämonien redet so 1st das nur bildliehe Redeweise. Sie versteht den Gang der Geschichte als ein Ganzes, das in sich selbst geschlossen ist. Selbstverständlich unterscheidet eine nichtmaterialistische Geschichts­wissenschaft den Gang der Geschichte vom Lauf der Natur, da sie in der Geschichte geistige Kräfte und Personen als ihre Träger wahrnimmt. Geschieht auch in der Geschichte nichts mit physischer Notwendigkeit, und sind die handelnden Personen verantwortlich für ihr Tun, so ge­schieht doch nichts ohne verständliche Motivation; sonst wäre ja auch die Verantwortlichkeit .aufgehoben.

s Man mag das Gesagte zusammenfassen, wie es bei Hartlieh und Sachs geschieht (1950, 436): .",Mythologisch' ist, was nicht wirklich geschehen sein kann, weil es I. nach allgemeinen Regeln der Wissenschaft nicht feststellbar ist. Mirakel sind unmöglich I 2. den Bedingungen der Einheit .des personenhaften Lebens widerstreitet. Gottes Medium ist nur der Geist im Sinne des ,Ver­stehbaren'. Ungeistiges kann nicht Übermittler von Göttlichem sein( 3· moralischen Axiomen entgegensteht. Gott von minderer Sittlichkeit denken, heißt ihn dämonisierenl 4· der Heils­.bedeutung in einem für das personhafce Leben des einzelnen relevanten Sinne entbehrt. Existen­tiell irrelevante Ereignisse sind heil-los!"

Page 184: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ZUM PROBLEM DER ENTMYTHOLOGISIERUNG 183

fern als ein primitives wissenschafl:liches bezeichnen, als es ein fragendes Denken ist, das mit Ursache und Wirkung redmet; vor allem aber deshalb, weil es ein objektivierendes Denken wie das der Wissenschaft ist. Das geschieht damit, daß der Mythos von den jenseitigen Mächten oder Personen faktisch wie von dies­seitigen, weltlichen redet, - entgegen seiner eigentlichen Intention.

Denn welches ist diese I ntention?1 Der Mythos redet von jenseitigen Mächten, von Dämonen und von Göttern als von Mächten, von denen sich der Mensch abhängig weiß, über die er nicht verfügt, deren Gunst er bedarf, deren Zorn er fürchtet. In ihm kommt das Wissen zum Vorschein, daß die Welt, in der der Mensch zu leben hat, voll von Rätseln und Geheimnissen ist, daß so auch das menschliche Leben selbst voll von Rätseln und Geheimnissen ist, und daß der Mensch nicht Herr über die Welt und über sein Leben ist. Der Mythos bringt damit ,ein bestimmtes Verständnis der menschlichen Existenz zum Ausdruck. Er kennt -wie schon der urspüngliche Zusammenhang des Mythos mit dem Kultus dokumen­tiert- eine andere Wirklichkeit als die W eltwirklichkeit, die die Wissenschaft in den Blick faßt. Er wciß, daß die Welt und das menschliche Leben ihren Grund und ihre Grenze haben in einer Macht, die jenseits alles dessen liegt, was sich im Bereich menschlicher Berechnung und Verfügung befindet, - in einer transzendenten Macht.

Er redet aber von dieser jenseitigen Wirklichkeit und Macht in unzulänglicher Weise, wenn er das Jenseitige als das räumlich Entfernte, als Himmel über der Erde, als Hölle unter ihr Gelegene vorstellt2• Er redet von den jenseitigen Mächten unzulänglich, wenn er sie den diesseitigen Mächten analog und als ihnen nur an Unberechenbarkeit und Kraft überlegen vorstellt. Das ist am mythischen Begriff des Wunders, des Mirakels, deutlich. Denn in ihm ist das Wirken der jenseitigen Macht (das Handeln Gottes) als ein Geschehen vorgestellt, das den natürlichen oder psy­chologischen Lauf des Geschehens unterbricht und doch gleichzeitig verkettet. Die

1 Ich kann nicht zugeben, daß mein Gebrauch des Begriffes Mythos nicht eindeutig sei (Schumann, a. a. 0. I2.2.). Indem ich nach dem existentialen Sinn des Mythos frage, gebe ich doch den Sinn, von dem ich ausging, indem ich die Denkform des Mythos beschrieb, in keiner Weise preis. Ich könnte in gleicher Weise nach dem existentialen Sinn des wissenschaftlichen Denkens fragen, wenn seine Methodik geklärt ist.

2 Gegen meine Bezeichnung des in drei Stockwerke gegliederten Weltbildes als eines mythischen ist gelegentlich protestiert worden. Nun ist es richtig, daß ein dreistöckiges Weltbild an sich nicht ein mythisches zu sein braucht; faktisch ist es das jedoch, sofern es im Bereichdesmythischen Denkens begegnet. Denn das obere wie das untere Stockwerk sind ja als .,numinose" Sphären gedacht, als die Bezirke einer jenseitigen - göttlic11en oder auch teuflischen - Wirklichkeit. Daher läßt sich auch gar nicht in der Weise, wie E. Brunner (Dogmatik II, 3I2.) und W. G. Kümmel (Theol. Zeitschr. I95o, 32.4f) möchten, zwischen Mythos .und Weltbild unterscheiden. Andererseits ist die Konsequenz meiner Auffassung gar nicht die, daß man "die .Äußerungen sämtlicher antiker Schriftsteller, die wie die Verfasser der neutestamentlichen Schriften im an­tiken Weltbild leben, als ,mythologisch' bezeichnen müßte" (Kümmel, Coniect. Neotest. XI, I I If. s.o. S. I 55),-auchdann nicht, WQiln ihr Weltbild tatsäeblich auf ein mythisches zurückgeht. Denn es ist (wenigstens in der griechischen Antike, an die Kümmel doch wohl denkt) längst ent­mythologisiert in dem Sinne, daß es zu dem. einer wissenschaftlichen Kosmologie geworden ist.

Page 185: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

184 RUDOLF BULTMANN

jenseitige Kausalität ist in die Kausalkette der weltlidien Ereignisse eingefügt, und eine Macht, die in diesem Sinne Mirakel wirkt, ist wohl oder übel alS weltliche Kraft gedacht und auf die Ebene weltlichen Geschehens projiziert. Der Mythos redet von Göttern wie von Menschen, von ihren Handlungen wie von mensch­lichen Aktionen, nur daß er die Götter als mit übermenschlicher Macht begabt vor­stellt und ihre Handlungen als unberechenbar und als fähig, den natürlichen Lauf der Dinge zu durchbrechen. Er macht die Götter (oder Gott) zu überlegen-gewal­tigen Menschen, und er tut das auch wenn er von Gottes Allmacht und Allwissen­heit redet, weil er diese nicht qualitativ, sondern quantitativ vom menschlichen Können und Wissen unterscheidet.

Kurz gesagt: der Mythos objektiviert das jenseito zum Diesseits und damit auch zum Verfügbaren, was sich daran zeigt, daß der Kultus mehr und mehr zu einer das Verhalten der Gottheit beeinflussenden, ihren Zorn abwendenden, ihre Gunst gewinnenden Handlung wird.

Die Entmythologisierung will die eigentliche Intention des Mythos zur Geltung bringen, nämlich die Intention, von der Existenz des Menschen in ihrer Begrün­dungundBegrenzung durch eine jenseitige, unweitlieheMacht zu reden, eine Macht, die dem objektivierenden Denken nicht sichtbar wird.

Negativ ist die Entmythologisierung daher Kritik am Weltbild des Mythos, so­fern dieses die eigentliche Intention des Mythos verbirgt. Positiv ist die Entmytho­logisierung existentiale Interpretation, indem sie die Intention des Mythos deutlich machen will, eben seine Absicht, von der Existenz des Menschen zu reden'.

Die Entmythologisierung der biblischen Schriften ist folglich Kritik am mytho­logischen Weltbild der Bibel, und schnell ist dann der Vorwurf bei der Hand, daß das moderne Weltbild der kritische Maßstab für die Auslegung der Schrift sei. In der Tat liegt es so, daß das wissenschaflliche Denken das mythologische Weltbild der Bibel zerstört; in dem Konflikt zwischen dem objektivierenden Denken des Mythos und dem objektivierenden Denken der Wissenschaft bleibt das letztere selbstverständlich der Sieger. Die entmythologisierende Interpretation will aber ja gerade durch die Kritik die eigentliche Intention der biblischen Schriften zur Geltung bringen. Sie sieht, daß wir von Jenseits der Welt, von Gott, nicht reden können, wie das Jenseits, wie Gott, "an sich" ist, weil dadurch das Jenseits, weil Gott, zu einem diesseitig-weltlichen Phänomen objektiviert werden würde. Die Entmytho­logisierung will nach dem Worte Melanchtlwns verfahren: "Christum cognoscere

1 Natürlich kommt es auf den Terminus "existential" nicht an; wer will oder kann, mag einen besseren finden. Es sollte nur deutlich sein, daß mit der existentialen Interpretation eine Methode der Auslegung, eine die Auslegung leitende Fragestellung, gemeint ist; und es sollte nicht ständig die "existentiale" Interpretation mit einer existentiellen verwechselt werden. Daß die Begrifflichkeit einer existentialen Interpretation in einem existentiellen Selbstverständnis wurzelt, ist ein Problem, über das noch zu handeln ist. _;_Als "anthropologisch" mag man diese Interpretation bezeichnen unter der Bedingung, daß man unter Anthropologie die existentiale Analyse des menschlicllen Seins versteht und nicht (wie Wiesner) eine solche mit einer Anthro;. pologie jenes objektivierenden Denkens o;erwechselt, das das menschliche Sein nur als Welt­phänomen verstehen kann.

Page 186: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ZUM PROBLEM DER ENTMYTHOLOGISIERUNG 185

hoc est: beneficia eius cognoscere, non eius naturas et modos incarnationis intueri". Oder nach dem Worte Wilhelm Herrmann·s: "Von Gott können wir nicht sagen, wie er an sich ist, sondern nur, was er an UllS tut''1• Diese an der Frage nach unserer Exi­stenz orientierte Interpretation ist existentiale Interpretation. Ihre Kritik am bibli­schen Schrifttum besteht nicht in der Elimination der mythologischen Aussagen, son­dern in ihrer Interpretation; sie ist kein Subtraktionsverfahren, sondern eine herme­neutische Methode. .

Ist ihr Sinn richtig erfaßt, so mutet es als absurd an, das Recht der Entmythologi­sierung für gewisse periphere Aussagen des NT zuzugestehen, sie aber für die zen­tralen Aussagen zu bestreiten2 • Als ob nicht bei ihnen das Problem erst brennend würde! Das jene Unterscheidung leitende Motiv ist offenbar die Angst, daß die Ent­mythologisierung der zentralen Aussagen zu der Konsequenz führen würde, die Rede vom Handeln Gottes und von einem in der Geschichte sich ereignenden Heils­geschehen preiszugeben. Aber die Voraussetzung, daß solche Rede notwendig mytho­logische Rede sein müsse, ist zu bestreiten.

Oft freilich wird behauptet", daß die Sprache des Glaubens wie die der Religion überhaupt notwendig mythologische Rede sein müsse, da unserer Sprache andere Begriffe fehlten, um sachgemäß von Gott und seinem Handeln zu reden. Nun ist es bezeichnend, daß diejenigen, die die Unentbehrlichkeit der mythologischen Sprache behaupten, faktisch dem mythischen Denken entgehen wollen und die mytho­logischen Begriffe und Vorstellungen als - freilich unentbehrliche - Bilder oder

1 Ich kann den Wortlaut des Zitats augenblicklich nicht identifizieren und verdanke es viel­leicht dem mündlichen Vortrag H's. Sachlich vgl. H.: Die Wirklichkeit Gottes, 1914, 42.: "Ein Bild von ihm (dem Allmächtigen) können wir uns nicht machen. Denn was ein allmächtiges Wesen für sich selbst sei, bleibt uns verborgen. Aber in dem, was er an uns wirkte, ist er uns er­schienen. Von Gott können. wir nur sagen, was er an uns tut." Ebd. 9 : "Gottes Wirklichkeit liegt jenseits alles dessen, was die Wissenschaft beweisen kann. Sehen wir das ein, so wird da­durch unser Glaube nicht geschwächt, sondern an das Verborgene erinnert, das seine Stärke ist."

2 Kümmel, Coniect. Neotest. 12off., s.o. S. 16off.; Theol. Ztschr. 1950, 333ff. Thielicke, K. u. M. 2.09, 2188; Wilder a. a. 0. 124.

3 Vgl. z. B. Schniewind, K. u. M. 88, 279f.; Schuinann, ebd. 2.2.2., 22.oo; Thielicke, ebd. 195ff., 2 r75ff. - Nach Thie!icke ist der Mythos eine. Form unseres Denkens, deren wir uns niemals entledigen können, und die darum auch in gültiger Form und dem wissenschaftlichen Erkennen völlig ebenbürtig ihren Gegenstand beschreibt. Das ist insofern richtig, als das Denken einer objektivierenden Wissenschaft den im Mythos intendierten Gegenstand nicht erfaßt; nicht aber, sofern behauptet wird, daß der Mythos als Denkform seine Intention adaequat zum Ausdruck brächte. In der existentialen Interpretation entledigen wir uns gerade der mythischen Denk­form. - Wenn Schniewind im Anschluß an Heim und Spengler meint, daß die Naturwissen­schaftlichen Vorstellungen auch mythologische seien, so ist offenbar der grundsätzliche Unter­schied zwischen mythischem und wissenschaftlichem Denken verkannt; s.o. S. 181. Und wenn er meint, daß Begriffe wie "All" und "Ursprung" mythologische Begriffe seien, weil in ihnen Vorstellungen unserer zeit-räumlichen Wirklichkeit auf die jenseitige übertragen werden, so daß sie in der religiösen Sprache nur "Symbole" wären, so ist zu fragen, ob diese Begriffe wirklich ihren Ursprung in der Beobachtung der zeit-räumlichen Wirklichkeit haben und nicht vielmehr im existentiellen Denken der Religion I

Page 187: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

186 RUDOLF BULTMANN

"Symbole" verstehen. Sie merken dann offenbar nicht, daß sie selbst entmythologi­sieren, und daß ihr eigenes Verfahren ihre Behauptung widerlegt1•

Sind die mythischen Vorstellungen und Begriffe wirklich unentbehrlich? Es mag sein, daß sie es sind in einem vorläufigen Sinne, sofern in ihnen Wahrheiten intendiert sind, die sich in der Sprache der objektivierenden Wissenschaft nicht aussagen lassen. In mythologischer Sprache kommt dann zum vorläufigen Ausdruck, wofür die ad­aequate Sprache erst gefunden werden muß. In mythologischer Sprache kann also die für das Denken (wenngleich nicht für dasjenige der objektivierenden Wissenschaft!) sich stellende Aufgabe formuliert werden, wie es in den platonischen Mythen ge­schieht2. Die übliche Rede von den mythischen Begriffen und Vorstellungen, als von Bildern und Symbolen muß sich jedoch fragen lassen, was denn der Sinn dieser Bilder und Symbole sei. Denn ein Sinn soll in ihnen doch offenbar ausgedrückt sein, und soll dieser wiederum in mythologischer Sprache formuliert werden, so daß dann auch deren Sinn wieder gedeutet werden müßte- und so in infinitum? Das ist offenbar absurd, und faktisch pflegen ja auch die Vertreter der Symbol-Theorie (um sie so zu bezeichnen) Deutungen in unmythologischer Sprache zu geben.

Wer von ihnen versteht noch die Aussage von Gott als dem Schöpfer im Sinne des Mythos? Wer den Satz vom Throne Gottes im Himmel und vom Sitzen Christi zur Rechten Gottes? Was ist denn gemeint, wenn Thielicke (K.u.M. 208, 2187) for­dert, "den Realitätsgrund hinter der mythischen Hülle sichtbar zu machen"? Heißt denn das nicht entmythologisieren? Und heißt es nicht, existential interpretieren, wenn Thielicke es als eine wesentliche Wahrheit anerkennt, daß man "bei den weit­bildliehen Vorstellungen des Mythos nicht stehenbleiben darf, sondern seinen existen­tiellen Bezug herausarbeiten muß"? Und entmythologisiert etwa Schniewind nicht, wenn er sagt, daß die "mythologischen" Ausmalungen des Gerichtstages nur das Augenmerk auf die eigentlich gemeinte Sache lenken sollen? Wenn er sagt: "Das Gericht ist eschatologisch im strengsten Sinne: es vollzieht sich jenseits unseres Raumes und unserer Zeit; es vollzieht sich ,in einer anderen Welt', wo wir, jeder einzelne wie die Menschheit als ganze, jenseits.dieses unseres Raumes und dieser unserer Zeit gestellt sind" (K.u.M. 94f.," 8 5 f.)? Oder ist es nicht Entmythologisierung, wenn er sagt, die Präexistenz Jesu bedeute, "daß Gott selbst in Jesu Worten und Taten ein­malig gegenw-ärtig ist" (ebd. IJO, 2 II8)? Eine Entmythologisierung ist es doch auch-

I Schumann (K. u. M. 222ft, 2zoo) meint, da die Sprache der Verkündigung niemals die Sprache der wissenschaftlichen Begrifflichkeit sein könne, greife das N.T. "nach einer Sprache, die man die ,mythologische' nennen mag, und die immer noch am ehesten auszudrücken ver-· mag, worum es geht". Es sei eben "eine_Sprache höherer Ordnung", "etwa der der Lyrik ver­gleichbar", "höchst indirekt, hinweisend, flüchtig gegenüber der massiven Objektsprache, sich selbst sozusagen immer wieder aufhebend, ganz und gar auf die Fähigkeit des subaudire an­gewiesen". Läßt sich denn das Subaudiendum wirklieb nur in mythischer Sprache aussprechen? Ist es wahr, daß die Entmythologisierung einer Aussage wie die von den Engeln, die allezeit das Angesicht des Vaters im Himmel sehen (Mt. x8, xo), den Sinn nicht freilegen, sondern zer­stören würde?

2 Vgl. Gerb. Krüger, Einsicht und Leidenschaft. Das Wesen des platonischen Denkens, 1939, 55-5'6, 256f., 300 u sonst. Vor allem: Paul Friedländer, Platon I 1928, 199-241.

Page 188: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ZUM PROBLEM DER ENTMYTHOLOGISIERUNG 187

wenngleich eine unklare- wenn Thielicke die Jungfrauengeburt als "Bild der ge­schichtlichen Tatsache der Gottessohnschaft" bezeichnet (ebd. 199, 2 179)1 •

Ohne Absicht und Reflexion entmythologisieren wir ja in vielen Fällen die mytho­logischen Aussagen der Bibel, indem sie für uns zu Bildern geworden sind, die den mythischen Sinn ihres Ursprungs längst verloren haben; am leichtesten natürlid:t bei poetischen Schriften der Bibel wie den Psalmen, in denen ja selbst schon die mythologische Sprache vielfach als poetische Sprache gemeint sein mag. Wir ge­brauchen ja auch im täglichen Leben Bilder die dem mythischen Denken entstammen, z.· B. wenn wir sagen, daß uns unser Herz treibt, dieses oder jenes zu tun, - ein Satz, den kein Mensch mehr im ursprünglich mythologischen Sinn versteht. Wer verant­wortlich die Schrift zu interpretieren hat, soll sich aber bewußt sein, was er tut, und sidt sagen, daß die Ehrlidtkeit es fordert, hier radikal zu sein.

Die Angst vor der Entmythologisierung mag zu einem Teile darin begründet sein, daß als unbestrittene Voraussetzung das Entweder-Oder von Mythologie undWissen­sdtaft gilt, wobei unter Wissensdtaft jene die Existenz zum welthaften Sein objekti­vierende Wissenschaft verstanden wird. Aber gübt es außer der Sprache der Wissen­schaft und des Mythos keine andere? Sind Sätze wie "ich liebe dich" oder "ich bitte dich um Verzeihung" denn in der Sprache der Wissenschaft gesprochen? und wenn nidtt, ist ihre Sprache dann eine mythologisdte? Es gibt doch wohl eine Sprache, in der sich Existenz naiv ausspricht, und es gibt entsprechend eine Wissenschaft, die ohne die Existenz zum welthaften Sein zu objektivieren, von der Existenz redet.

Es dürfte klar geworden sein, daß die Entmythologisierung als existentiale Inter­pretation, indem sie das mythische Weltbild der Sdtrift kritisdt interpretiert, den Sinn ihrer Aussagen zur Geltung bringen will dadurch, daß sie diese von der Be­grifflichkeit eines objektivierenden Denkens befreit, - des objektivierenden Den­kens des Mythos; aber natürlidt nicht, um sie dafür der Begrifflidtkeit des objek­tivierenden Denkens der Wissenschaft zu überliefern. Vielmehr will die Entmytho­logisierung ein Verständnis der Schrift gewinnen, das frei von jedem Weltbild ist, wie es das objektivierende Denken entwirft, sei es das des Mythos, sei es das der Wissensdtaft.

Der Vorwurf, daß die Entmythologisierung das Evangelium "wissensdtaftsfähig" machen wolle, wobei unter Wissenschaft die des objektivierenden Denkens verstan­den ist, ist unsinnig. Die Aussagen der Schrift, die aus der Existenz und in die Existenz reden, haben sidt nidtt vor dem Forum einer objektivierenden Wissen­schaft zu rechtfertigen, die die Existenz überhaupt nidtt in ihren Blick bekommen

1 Beispiele für naive .und unmethodische Entmythologisierung mag man bei Hartlieh und Sachs nachlesen, z. B. 1950, 356, 414, 433f., 435f. - Auch Reinhold Niebuhr, Glaube und Geschichte (Deutsche Übers. von Faith and History), vertrit.t die Auffassung von der symbo­lischen Bedeutung des Mythos (z. B. 29off.), freilich durchaus reflektiert. Zwei Beispiele seiner entmythologisierenden Interpretation S. 52: die Idee der göttlichen Erschaffung der Welt be­schreibt "letzten Endes die Grenzen der Rationalität der Welt und das Ungenügen jeder ,natür­lichen' Ursache als ausreichender Erklärung für das irrational Gegebene der Dinge". Die Idee des Sündenfalls "symbolisiert eine unvermeidliche und doch nicht natürliche Verderbtheit der menschlichen Freiheit''.

Page 189: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

188 RUDOLF BULTMANN

kann. Im Gegenteil! Indem die Entmythologisierung durch ihre Kritik am Welt­bild der Bibel den Anstoß beseitigt, den dieses für den modernen Menschen not­wendig bietet, legt sie gerade den echten Anstoß frei, der dem modernen wie jedem Menschen in der Bibel begegnet. Der Anstoß besteht darin, daß Gottes Wort den Menschen aus all seiner Angst wie aus all seiner selbstgeschaffenen Sicherheit zu Gott ruft und damit in seine eigentliche Existenz, - und eben damit auch in die Freiheit von der Welt, deren er sich im objektivierenden Denken der Wissenschaft bemächtigt, und zwar in einer Weise, daß er ihr dadurch Macht gibt über sich selbst. Glaube .als die Preisgabe der Selbstsicherheit wie als die Oberwindung der gerade aus dem Streben nach Sicherheit sich erhebenden Verzweiflung ist die Forderung und zu­gleich das angebotene Geschenk der Verkündigung; Glaube ist die Antwort auf die Frage des je mich anredenden Kerygmas. Dieser Glaube, daß Gott mich ruft und an mir handelt, kann nur im Dennoch gegenüber der Welt gefaßt und gehalten werden; denn in dieser, die ständig ihre Sicherheit sucht und daher allem Begeg­nenden seinen existentiellen Bezug durch ihre objektivierende Betrachtungsweise nimmt, kann Gott und sein Handeln nicht sichtbar sein. Alle mythologische Rede von Gott kann nur dazu dienen, das Dennoch zu verschleiern. Die Entmythologi­sierung will als existentiale Interpretation der Schrift ihren Anrede-Charakter deutlich machen und eben damit auch das zum Glauben wesenhaft gehörende Dennoch.

Das Unternehmen der Entmythologisierung sieht sich daher in die Frage nach der Begrifflichkeit gewiesen, in der die Intention der biblischen Aussagen zum Aus­druck gebracht werden kann, - nach einer Sprache, in der Verkündigung wie Glaube unmißverständlich reden können. Es gibt keine Verkündigung ohne Begriffe, und es gibt keinen Glaubensakt, der nicht zugleich ein Denkakt wäre (um eine beliebte Formulierung Schlatters zu benutzen). Es versteht sich von selbst, daß an sich weder Verkündigung noch Glaube die Reflexion auf ihre Begrifflichkeit voraussetzen. In einer Situation jedoch, in der das Verständnis der Schrift unsicher geworden und umstritten ist, in der die Verkündigung mißverständlich und gar unverständlich geworden ist, in der die Reproduktion überlieferter "Bekenntnis­sätze sich einbildet, die Sprache des Glaubens zu sein, bedarf es allerdings der Re­flexion, der Besinnung auf die für Exegese, Verkündigung und Bekenntnis ange­messene Begrifflichkeit. Sie zu vollziehen ist die Aufgabe der Theologie, speziell der Hermeneutik, also eine Aufgabe der Wissenschaft. Werden damit das Ver­ständnis der Schrift, die Verkündigung und der Glaube von der Wissenschaft ab­hängig? In gewissem Sinne freilich, insofern Wissenschaft notwendig ist, um die Sache, um die es geht, zum Reden zu bringen. Das ist ja schon deshalb der Fall, weil es gilt, die biblischen Texte je in die Landessprache von heute zu übersetzen; und ist die Kunst des Obersetzens keine Wissenschaft? Aber die Kunst des Obersetzens reicht weiter als die Sprachwissenschaft; sie ist auch die Kunst der Auslegung; zur Philologie kommt die Hermeneutik1• Es wäre eine Illusion, z~ verkennen, daß in­sofern das Verständnis der Schrift und die Verkündigung von einer Wissenschaft

1 Vgl. meinen S. 179, A 3 genannten Aufsatz "Das Problem der Hermeneutik".

Page 190: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ZUM PROBLEM DER ENTMYTHOLOGISIERUNG 189

abhängig sind, - ja, auch der Glaube, sofern er seinerseits von der Verkündigung abhängt. Es fragt sich nur, welcher Art diese Wissenschaft ist, wo der Ursprung ihrer Begrifflichkeit liegt.

Es ist klar, daß nicht die objektivierende Wissenschaft gemeint sein kann, die das menschliche Sein zum welthaften Sein objektiviert, sondern nur eine Wissen­schaft, die nichts ist, als die klare und methodische Ausbildung des mit der Existenz selbst gegebenen Existenzverständnisses, - wie ja entsprechend die objektivierende \Vissenschaft die konsequente und methodische Ausbildung des sich der Welt be­mächtigenden Arbcitsdenkens .ist1 • Wenn anders die Schrift und die Verkündigung aus der Existenz und in die Existenz reden, wenn anders der Glaube ein existen­tielles Selbstverständnis ist, so brauchen Exegese, Verkündigung und Glaube dann nicht in Sorge zu sein, unter die Herrschaft einer wesensfremden Wissenschaft zu geraten. Sie sollen freilich unter die Zucht einer Wissenschaft geraten, deren Den­ken, deren Begrifflichkeit aus der Sache selbst, nämlich aus dem Selbstverständnis der Existenz, stammt.

Es versteht sich von selbst, daß eine existentiale Interpreta,tion den existentiellen Bezug der Schrift auf den Leser nicht herstellt; sie deckt ihn nur auf. Sie begründet nicht die Wahrheit der Schrift, aber sie zeigt sie auf und lehrt sie zu verstehen. Ebenso.;_,enig begründet die existentiale Interpretation der Schrift die Verkün­digung, aber sie gibt ihr die rechte Begrifflichkeit. Endlich begründet sie nicht den Glauben, aber sie zeigt, welches der Grund des Glaubens ist, und sie kann ihn davor bewahren, sich selbst falsch zu verstehen. Gründet sie selbst in einem exi­stentiellen Selbstverständnis, so muß sie in diesem ein Verständnis der Schrift haben, das der methodischen Entfaltung ihrer Begrifflichkeit vorausliegt, - wie ja jeder Wissenschaft ein Lebensverhältnis zu ihrem Gegenstand vorausgeht. Dieses Verständnis ist also ein vorwissenchafiliches; es braucht nicht ein schon glaubendes zu sein, sondern kann sich durchaus in der Frage halten, - in der existentiellen Frage des Selbstverständnisses.

Gibt es aber ein vorwissenschaftliches Verständnis der Schrift, und gibt es das auch als ein glaubendes, was soll dann noch die Wissenschaft? Nun, sie hat zu­nächst die Aufgabe, dieses Verständnis zur Klarheit zu bringen und bei sich selbst festzuhalten, und dies ·bedeutet: stets zu sich selbst zurückzuführen; denn der Glaube ist stets in der Gefahr, seinen Sinn - als eines existentiellen Selbstver­ständnisses - zu verkennen und sich mit der Anerkennung allgemeiner Wahrheiten oder überlieferten Dogmen zu verwechseln. Wo aber das vorwissenschaftliche existentielle Verständnis der Schrift nicht vorhanden ist und - wie heute - für viele Menschen verbaut ist, hat.sie die Aufgabe, seine Möglichkeit erst wieder frei­zulegen, indem sie ein falsches Verständnis destruiert.

Der Einwand, daß durch die Entmythologisierung die biblische Verkündigung "rationalisiert" werde, ist hinfällig, wenn die Entmythologisierung als existentiale Interpretation verstanden wird. Er kleidet sich gelegentlich in den Vorwurf, als

I s 0 S.I87

Page 191: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

190 RUDOLF BULTMANN

werde das Geheimnis des· Handeins Gottes beseitigt. Dem Vorwurf liegt eine falsche Vorstellung vom Geheimnis des göttlichen Handelns zugrunde, nämlich ein Begriff des Geheimnisses, der aus dem objektivierenden Denken stammt. Für dieses, das sich in unendlicher Forschung um die rationale Erklärung der Welt bemüht, gibt es viele vorläufigen und vermutlich definitiven, jedenfalls aber ständig neu auftauchenden Geheimnisse. Geheimnisse, die für das existentielle Selbstverständ­nis - zum mindesten direkt ---' völlig irrelevant sind, und die mit dem Geheimnis des Handeln Gottes nichts zu tun haben. Es ist eine traurige Irreführung, wenn in erbaulicher Rede solche Geheimnisse als die Geheimnisse Gottes ausgegeben wer­den; das kann nur dazu führen, daß das wirkliche Geheimnis Gottes verschleiert wird1• Die Entmythologisierung will, als existentiale Interpretation, gerade das wirkliche Geheimnis Gottes in seiner eigentlichen Unbegreiflichkeit deutlich machen, verständlich machen. Verstehen ist etwas anderes als rational erklären. Ich kann verstehen, was Freundschaft, Treue und Liebe sind; und gerade wenn ich sie recht verstehe, weiß ich, daß die mir erwiesene Freundsdlafl:, Liebe und Treue stets ein dankbar empfangenes Geheimnis sind und bleiben. Ich erfasse sie gar nicht durch mein rationales Denken, weder durch logische Folgerung aus dem Verhalten der Andern, noch durch psychologische Analyse, auch nicht durch existentiale Ana­lyse•, sondern nur in der existentiellen Offenheit meiner Person für die Begegnung. Ich verstehe auch, in solcher Offenheit, schon was Freundschaft, Liebe und Treue sind, eh~ sie mir geschenkt werden, da meine Existenz ihrer bedarf; ich verstehe sie dann in der Frage nach ihnen. So kann ich auch verstehen, was Gottes Gnade be­deutet; ich könnte sonst überhaupt nicht von ihr·reden. Aber daß diese Gnade mir begegnet, daß der gnädige Gott mein Gott ist, ist immer Geheimnis, gerade in seiner Offenbarung. Es ist aber nicht Geheimnis, weil Gott ein irrationales Wesen ist oder weil er irgend etwas tut, das den Lauf der Welt in unverständlicher Weise durchlöchert, sondern weil es unbegreiflich ist, daß er mir begegnet.

1 Auf der gleichen Ebene liegt es, wenn, wie man es gelegentlich in einer Predigt am Trini­tatis-Sonntag hören kann, von dem für menschliches Denken und Verstehen unbegreiflichen Geheimnis der Trinität geredet wird, wobei der Begriff des Geheimnisses im Sinne des objek-

. tivierenden Denkens verstanden ist. Die Trinität ist dann zu einem bloßen X geworden, unter dem sich weder der Prediger noch die Hörer etwas denken können; sie reproduzieren bzw. akzep­tieren nur eine unverständliche dogmatische Formel der Tradition. Gottes Geheimnis ist kein X, weder ein zu enträtselndes, noch ein definitives.

2 Eben dieses weiß und zeigt die existentiale Analyse selbst.

Page 192: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

li

ENTMYTHOLOGISIERUNG

UND EXISTENZ-PHILOSOPHIE

Die Entmythologisierung als hermeneutische Methode wies in die Frage nach der rechten Begrifflichkeit, in der sich die Auslegung zu bewegen hat. Sie verwies da­mit auf eine Wissenschaft, deren Geschäft die methodische Ausbildung des mit der Existenz selbst gegebenen Existenzverständnisses ist, mit aridern Worten auf die Existenz-Philosophie. Der Einwand, daß damit die Interpretation unter die Herr­·schaft einer ihr weseJisfremden Wissenschaft gerät, war schon vorläufig zurück­gewiesen worden; aber er muß gegenüber der speziellen Formulierung, daß die <existentiale Interpretation sich in die Abhängigkeit von der Philosophie begebe, noch einmal ins Auge gefaßt werden.

Zunächst ist zu bedenken, daß jede Interpretation von einer bestimmten Frage­stellung geleitet und daß sie ohne eine solche überhaupt nicht möglich ist. Natür­lich braucht die Fragestellung keine bewußte, explizite zu sein; aber ohne eine Fragestellung bleiben die Texte stumm. Es versteht sich auch von selbst, daß die Fragestellung nicht über den Inhalt des Befragten präjudizieren darf, daß sie nicht bestimmte Ergebnisse der Exegese vorausnehmen darf; sie soll vielmehr für den Inhalt des Textes die Augen öffnen1•

Ich darf nun, meine ich, voraussetzen, daß die der Bibel gegenüber angemessene - wenigstens im Raume der Kirche angemessene - Frage die nach der mensch­lichen Existenz ist, - eine Frage, zu der ich durch die mich existentiell bewegende Frage nach der eigenen Existenz getrieben werde. Das ist doch eine Frage, die im Grunde die Befragung und Interpretation historischer Dokumente überhaupt moti­viert; denn der letzte Sinn des Studiums der Geschichte ist doch der, aus ihr die Möglichkeiten des Verständnisses menschlicher Existenz zum Bewußtsein zu brin­gen. Daß ich mich mit solcher Frage speziell· an die Bibel wende, hat freilich noch -einen anderen Grund. Er liegt in der- vom Gesichtspunkt des profanen Interesses -aus zufälligen - Tatsache, daß mich die kirchliche Verkündigung an die Schrift weist als an den Ort, an dem ich Entscheidendes über meine Existenz hören werde2 •

Daß niir die Bibel nicht nur, wie andere Dokumente der Geschichte, eine Mög­lichkeit, meine Existenz zu verstehen, zeigt, für die ich mich entscheiden oder die ich abweisen kann, sondern daß sie darüber hinaus zu dem mich persönlich an­redenden Worte wird, das mir Existenz schenkt, das ist eine Möglichkeit, die ich

1 Vgl. meinen Aufsatz "Das Problem der Hermeneutik" a. a. 0.- Ich bin durch H, Diem {a. a. 0.) nicht davon überzeugt worden, daß die Frage nach dem hermeneutischen Prinzip unberechtigt sei; und besonders erscheint es mir als ein Ausweichen, wenn er meint (S . .zo), daß <!er Streit darüber, ob es neben der allgemeinen Hermeneutik noch eine spezielle theologische geben könne, wenig fruchtbar seL Im Gegenteil! Dieser Streit muß um der Klarheit willen aus­gefochten ·werden.

2 Bier hat Diem ganz richtig gesehen.

Page 193: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

192 RUDOLF BULTMANN

nicht vorausnehmen und als methodisches Prinzip der Auslegung in Rechnung stellen kann. Daß sie sich verwirklicht, ist - in traditioneller Terminologie ge­sprochen - das Werk des Heiligen Geistes.

Auch der Einwand, daß ich, um die rechte Fragestellung einem Texte gegenüber zu gewinnen, ein vorgängiges Lebensverhältnis zu der Sache haben muß, von der der Text ·redet, daß ich ein solches aber zu der Offenbarung Gottes, die in der Schrift bezeugt wird, nicht haben kann, kann nicht gegen die existentiale Interpre­tation geltend gemacht werden. Denn in Wahrheit habe ich ein solches doch in der Frage nach Gott, entsprechend dem klassischen Wort Augustins: "Tu nos fecisti ad te, et cor nostrum inquietum est, donec requiescat in te". Das menschliche Leben ist - bewußt oder unbewußt - bewegt von der Frage nach Gott.

Kann das glaubende Hören auf das Wort Gottes nur das in der verstehenden Entsckidung gewirkte Werk des Heiligen Geistes sein, so kann sich das Verstehen des Textes nur in der methodischen Interpretation vollziehen, und die diese lei­tende Begrifflichkeit kann nur in der profanen Besinnung gewonnen werden, die das Geschäft philosophischer Existenz.:.Analyse ist.

Damit gerät nun in der Tat die exegetische Arbeit in Abhängigkeit von der philosophischen. Aber es wäre eine Illusion, zu meinen, daß je eine Exegese un­abhängig von einer profanen Begrifflichkeit getrieben werden könnte. Jeder Exeget ist von einer ihm durch die Tradition zugegangenen Begrifflichkeit- durch­weg unreflektiert und unkritisch - abhängig; und jede traditionelle Begrifflich­keit ist in irgendeiner Weise von einer Philosophie abhängig. Es gilt aber, nicht unreflektiert und unkritisch zu verfahren', sondern sich Rechenschaft abzulegen über die die Auslegung leitende Begrifflichkeit und ihren Ursprung. Man mag also ohne Angst formulieren: es handelt sich um die Frage nach der "richtigen" Philo-sophie. '

Ohne Angst, - denn es ist ja nicht so gemeint, als gäbe es eine richtige Philo­sophie im Sinne eines endgültigen philosophischen Systems, etwa im Sinne des Idealismus, speziell Hegels; und als hätte die Exegese etwaige Antworten einer Philosophie auf die existentielle Frage nach dem Sinn je meiner Existenz zu über­nehmen. Die "richtige" Philosophie ist ganz einfach diejenige philosophische Ar­beit, die sich bemüht, das mit der menschlichen Existenz gegebene Existenzver­ständnis in angemessener Begrifflichkcit zu entwickeln. Sie stellt also die Frage nach dem Sinn von Existenz nicht als existentielle Frage, sondern fragt in existen­tialer Analyse, was Existenz überhaupt meine, und weiß, daß die existentielle Frage nur im Existieren selbst beantwortet werden kann.

Ein Einwand wäre nur begründet, wenn der philosophisch entwickelte Begriff der Eigentlichkeit der Existenz ein materiales Existenzideal meinen würde, mit

1 Im Laufe des 19. Jahrhunderts ist das Interesse an der Hermeneutik immer mehr zurück­getreten und sind Vorlesungen über Hermeneutik aus den Vorlesungsverzeichnissen ver­schwunden. Soweit Interesse dafür vorhanden war, ging es aufbestimmte hermeneutische Regeln (vgl. meinen Aufsatz über das Problem der Hermeneutik) und nicht auf die Frage nach der Begrifflichkeit und nach ihrem Ursprung.

Page 194: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG UND EXISTENZ-PHILOSOPHIE 193

anderen Worten, wenn die Philosophie dem Menschen vorschreiben würde: so sollst du existieren! Sie sagt !ihm aber nur: du sollst existieren! - wenn nich.rt das schon zuviel gesagt ist und es besser heißen müßte: sie zeigt ihm, ·was Existieren heißt. Sie zeigt ihm, daß menscMiches Sein im Unterschied von allem anderen Sein eben Existieren bedeutet, ein Sein, das sich selbst überantwortet ist und sich selbst zu übernehmen hat. Sie zeigt ihm, daß die Existenz des Menschen nur im Existieren zu ihrer Eigentlichkeit kommt, sich also nur immer jeweils im konkreten Hier und Jetzt verwirklicht. Sie meint aber nicht, durch ex.isterutiale Analyse das existentielle Verständnis des Hier und Jetzt zu beschaffen; sie nimmt dieses dem Menschen nicht ab, sondern schiebt es ihm gerade zu1 •

Es ist klar, daß die existentiaile Analyse im existentidlen -Fragen der Existenz gründet. Woher anders als aus der existentiellen Bewegtheit sollte sie um Existenz wissen? In der methodischen Entwicklung des mnt der Existenz gegebenen Existenz­verständnisses besteht ja ihre Arbeit. Aber eben darin ist nun ein Einwand be­gründet, denK. Fr. Schumann smarfsinnig entwickelt hat2 • Der Einwand nämlich, daß mit der existentialen Analyse schon die Entscheidung für ein bestimmtes Exi-stenzverständnis gefallen sei. ·

Smumann hat schon ganz recht dar.in, daß es keine "formale Analyse moo.sch­lichen Daseins, menschlicher Existenz geben" kann, "die abgelöst von jeder ,exi­Sitentiellen' Haltung, jedem tatsächlichen Sichverhalten zur eigenen Existenz in GeLnung sein" kann, und daß keine "Existentialanalyse durchgeführt werden kann, so, daß sie ganz abgelöst von dem Existenzverständnis, von dem her: sie gewonnen ist, in Geltung sein und angewandt werden könnte". Aber damit ist ja nichts an­deres gesagt, als das, was ich mehrfach betont habe, daß die existentiale Analyse nichts anderes ist, als die methodische Entfaltung des mit der Existenz gegebenen Selbstverständnisses. Will man sagen, daß in der existentialen Analyse eine Ent­scheidung getroffen ist, so ist es .die Entsmeidung, zu existtieren. Sie ist damit ge­troffen, daß die Ana•lyse menschliches Sein als Existieren vom "Vorhandensein" weltlicher (im objektivierenden Denken faßbarer) Phänomene unterscheidet. Diese Erutscheidung aber verschließt nicht, sondern öffnet gerade für die konkreten Mög­lichkeiten des existentiellen Selbstverständnisses. Diese Entscheidung ist nicht ein methodischer philosoph.iJscher Denkakt, sondern in ihr gründet vielmehr das Philo­sophieren. Oder wenn man sie als eine philosophische bezeichnen will, dann hat das Sinn, wenn man das Philosophieren als eine dem menschlichen Sein wesenhaft eigene Bewegung verstehen will. Ohne diese Entscheidung, d. h. aber einfach: ohne den W1llen, Mensch zu sein, Person, die ihr Semn. verantwortlich übernimmt, kann kein Men.sch auch nur ein Wort der Schrift als in die Existenz redendes Wort verstehen.

Daß es aber nicht möglich sei, in phiJosophischer Besinnung von dieser Grund­entscheidung aus eine "rein formale" Existenzanalyse zu entwerfen, scheint mir

1 Die Einwendungen, die W. Wiesner (a. a. 0. S. ~sff.) erhebt, gehen alle darauf zurück, daß er den Sinn der existentialen Daseinsanalyse mißversteht

2 K. u. M. 2.2.0, 2197f

. I; Kerygma, Bd. 2.

Page 195: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

194 RUDOLF BULTMANN

ein unberechtigtes VorurteiJl. zu sein. Wlieweit diese Aufgabe geling,t, ist zwar eine andere Frage; aber diese ist grundsätzlich so wenig relevant Wie die Einsicht, daß abschließende Erkenntnisse [n keiner Wissenschaft und Philosophie möglich sind. Die Korrektur der jewcils gegebenen Analyse bleibt natürlich offen, und der Fort­schritt vollzieht sich hier w.ie überaH in der Diskussion.

Die Möglichkeit der Diskussion ist hier dadurch gegeben, daß je:des existentielle Selbstverständnis innerhalb der Möglimkeiten menschlimer Exi5tenz lieg.t und also jede in einem existentiellen Selbstverständnis gründende eXistentiale Analyse all­gemcin verständlich ist. Daher iSit auch die Aufgabe sinnvoll, eine formale Existenz­analyse zu erarbeiten.

Als "Norm" wirkt sim cine solche natürlim aus\ sofern es gilt, Existenz-Phäno­mene existential verständlich zu machen, wie z. B. - um mich an das von Schu­mann gewählte Bei.spiel zu halten - das Phänomen der Liebe. Aber es ist doch ein Mißverständnis, zu meinen, daß damit entschieden sei, "wie ich je meine Liebe zu verstehen habe". Es lieg,t vielmehr gerade umgekehrt: die existentiale Analyse kann mir nur klar ma<hen, daß ich "je meine Liebe" nur ~xistentiell verstehen kann, und daß m.ir dieses Verständnis durch keine existentiale Analyse - als einer "Norm"!- abgenommen werden kann.

Gewiß smläeßt die reine Existentialana:lyse das Urteil ein, "daß es möglim sei, menschliches Dasein zu analysieren ohne den Blick auf das Verhältnis. ,Mensd!­Gont'"2. Aber ist denn eine Analyse des menschlichen Da.Seins im Blick auf Gott überhaupt eine slinnvolle Mögllichkeit, wenn anders das Verhähnis "Mensm-Gott" nur Ereignis in der konkreten Begegnung des Menschen mit Gott sein kann? Eine reine Daseinsanalyse kann das Verhältnis "Mensch-Gott" gar nicht in den Blick nehmen, weil sie von den konkreten Begegnungen, in denen sim Existenz jeweils realisiert, absieht. Aber indem sie das tut, gibt sie sie gerade frei. Wenn Goctes Offenbarung nur jeweils im Jetzt des Daseins wirklich wird (als "eschat01logisches" Ereignis), und wenn ,die Existentialanalyse den Mens<hen in seine Zeitlichkeit hineinweist, in der er zu .exisci,eren hat, so deckt sie damit einen Charakter des Da­seins auf, den der Glaube- aber nur er - als die Bezogenheilt! des Mensmen auf Gott versteht. Dieses Verstehen aber wird durch eine formale Dasein5analyse nicht verhaut, sondern vielmehr geklärt. Ebenso wird das glaubende V erstehen der Be­wegtheit des Daseins durch die Frage nach sich selbst als der Bewegtheit durch die Frage nach Gott durch eine formale Daseinsanalyse nicht verhaut, sondern geklärt.

Darf man aber jenes Urteil, daß eine Daseinsan~lyse ohne den Blick auf Gott (nicht nur) möglich, (sondern allein sinnv911) ist, als eine existentielle Vorentschei­dung bezeichnen, wie Sdtumann will? Ich denke wohl, wenngleich nicht im Sinne Schumanns, der das Urteil offenbar so versteht, daß in ihm die Entscheidung für eine Existenz ohne Gott falle. Es iiSt eine existeDJcielle Entscheidung, insofern als .das Urteil in der nur exist.entiell zu vollz·iehenden Einsimt gründet, daß der Gottesgedanke

1 Schumann a. a. 0. 2 Schumann a. a. 0.

Page 196: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

ENTMYTHOLOGISIERUNG UND EXISTENZ-PHILOSOPHIE 195

nicht zur Verfügung steht, um eine Theorie vom Dasein zu entwerfen. Als eine Vorentscheidung darf das Urteil freilich nicht bezeichnet werden, als ob es vor der Inangriffnahme der Analyse ein für allemal gefällt werde; es ist vielmehr in ihr ständig präsent. Ich kann auch sagen: jenes Urteil ist die nur existentiell zu voll­ziehende Selbsterkenntnis, das Eingeständnis, daß icl;l, wenn ich in mich blicke, Gott nicht finde. Gerade vermöge dieses Verzichtes gewinnt die Existenz-Analyse ihre "Neutralität" .

Page 197: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

III

DIE. REDE VOM HANDELN GOTTES

Vielleicht darf man sagen, daß hinter allen Einwendungen gegen die Entmytho­logisierung die Befürchtung steckt, daß ihre konsequente Durchführung es unmög­lich machen würde vom Handeln Gottes zu reden oder daß sie solche Rede nur als bildliehe Bezeichnung subjektiver Erlebnisse zulassen könnte. Denn ist es nicht Mythologie vom Handeln Gottes als von einem objektiven mir begegnenden Ge­schehen.zu reden?

Zunächst ist zu antworten, daß in der Tat die Rede vom Handeln Gottes, soll sie sinnvoll sein, nicht bildliche, "symbolische" Rede ist, sondern ein Handeln in vollem realen, "objektiven" Sinne meint. Wenn aber das Handeln Gottes nicht als ein Weltphänomen verstanden werden darf, das abgesehen von der existen­tiellen Betroffenheit von ihm wahrgenommen werden kann, so kann von ihm nur geredet werden, indem zugleich von mir, dem Betroffenen, geredet wird. Von Gottes Handeln reden, heißt zugleich von meiner Existenz reden. Da menschliches Lehen ein Lehen in Raum und Zeit ist, kann die Begegnung Gottes für den Men­schen nur ein Ereignis jeweils hier und jetzt sein. Dieses Ereignis, von Gott hier und jetzt angeredet, gefragt, gerichtet, gesegnet zu werden, ist gemeint in der Rede vom Handeln Gottes. .

Vom Handeln Gottes zu reden, ist also nicht bildliche, symbolische Redeweise, aber allerdipgs analogische Rede1• Denn in sold1er Rede stellen wir Gottes Han­deln als menschlichem Handeln analog vor, und wir stellen uns die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensd1 analog der . Gemeinsmaft zwischen Mensch und Mensch vor. '

Der Sinn solcher Rede muß jedoch noch weiter geklärt werden~ Mythologisches Denken stellt sich das göttlime Handeln - sei es in der Natur oder in der Ge­schichte, sei es im menschlichen Schicksal oder im innerseelis~n Leben - als ein Handeln vor, das in den Zusammenhang des natürlid1en, gesmichtlichen oder see­lischen Lehens eingreift und ihn zerreißt, als ein "Wunder". Eben damit objekti­viert das mythologisme Denken das göttliche Handeln und projiziert es auf die Ebene weltlimen Geschehens2 • Ein Wunder, d. h. ein Handeln Gottes, ist für den objektivierenden Blick nimt sichtbar, nicht wie weltlime Ereignisse feststellbar. Der Geganke der Unweltlichkeit, der Jenseitigkeit des göttlimen Handeins wird nur dann gewahrt, wenn dieses Handeln nimt als ein zwischen das weltliche Geschehen hinein sich ereignendes vorgestellt wird, sondern als eines, das sich in ihm voll­zieht, so daß der geschlossene Zusammenhang des weltlichen Geschehens, der sich dem objektivierenden Blick darbietet, unangetastet belassen wird. Gottes Handeln ist verborgen für jedes andere Auge als das des Glaubens. Allgemein simth~r und

1 Über den Begriff der Analogie vgl. Brich Frank, Philosophical Understanding and reli~ous Truth 1945, S. 44, I61-164, 179 u. sonst. (deutsche Übers. "Philosophische Erkenntnis und religiöse Wahrheit" 1949, S. 43, II4-I77, 218f.). ·

2) s. o. s. 183.

Page 198: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

DIE REDE VOM HANDELN GOTTES 197

feststellbar ist nur das "natürliche" Geschehen. In ihm vollzieht sich Gottes. ver­borgenes Handeln.

Der Vorwurf liegt dann nahe, daß damit der christliche Glaube in eine pan­theistische Frömmigkeit verwandelt werde. Aber während der Pantheismus die direkte Identität des weltlichen Geschehens mit dem göttLichen Handeln glaubt, behauptet der Glaube die paradoxe Identität, die nur gegen den Schein jeweils ge­glaubt werden kann. Ein mich treffendes Ereignis kann ich im Glauben als Gottes Geschenk oder als sein Gericht verstehen, obwohl ich es auch innerhalb seines na­türlichen oder geschichtlichen Zusammenhangs sehen kann. Einen Gedanken oder einen Entschluß kann. ich im Glauben als von Gott gewirkt verstehen, ohne ihn damit seinem innerweltlichen Motivationszusammenhang zu entreißen.

Der christliche Glaube ist nicht eine "Weltanschauung" wie der Pantheismus. Dieser ist eine vorausgegebene Überzeugung, daß alles Geschehen göttliches Wir­ken ist, weil für sie Gott der Welt immanent ist. Der christliche Glaube glaubt, daß Gott jeweils an mir handelt, zu mir spricht. Er glaubt das, weil er sich durch die mir im Wort von Jesus Christus begegnende Gnade angesprochen weiß; durch die Gnade, die mir die Augen dafür öffnet, daß Gott denen, die ihn lieben, alles zum besten wirkt (Rm. 8, 28). Solcher Glaube ist aber kein ein für allemal besessenes Wissen, keine "Weltanschauung", sondern er kann nur jeweils Ereignis sein, und er kann nur darin lebendig bleiben, daß der Glaubende jeweils fragt, was Gott ihm hier und jetzt sagen will. Für ihn ist Gott im allgemeinen in Natur und Geschichte ebenso verborgen wie für jedermann. Aber sofern jeweils das konkrete Geschehen unter dem Licht des mir zugesprochenen Wortes der Gnade gesehen wird, soll und kann der Glaube es als Gottes Tat hinnehmen, auch wenn sein Sinn ihm rätselhaft bleibt: Kann der Pantheismus im Blick auf jedes be­liebige Ereignis unter Absehen davon, was es Je für mich als Begegnung bedeutet, sagen: dies hat die Gottheit gewirkt, so kann der Glaube nur sagen: in diesem oder jenem handelt Gott verborgen. Was er jetzt tut - es ist ja mit dem feststellbaren Geschehen nicht direkt identisch -, das weiß ich vielleicht jetzt noch nicht und werde es vielleicht auch nie wissen. Aber ich muß fragen, was er mir damit sagen will, und sei es vielleicht auch nur - oder gerade dieses -, daß ich verstummen und tragen soll.

Auch der Glaube an Gott als den Schöpfer ist nicht eine vorausgegebene Gewiß­heit, kraft deren ich in der Lage wäre, jedes Geschehen als gottgewirkt zu bezeich­nen. Er kann jeweils echt nur vollzogen werden, wenn ich mich hier und jetzt als Gottes Geschöpf existentiell verstehe, - was natürlich nicht als reflektiertes Wissen zum Bewußtsein zu kommen braucht. Der Glaube an Gottes Allmacht bedeutet nicht die vorausgegebene Überzeugung, daß es ein Wesen gibt, das alles kann, son­dern er kann nur existentiell vollzogen werden . in der Unterwerfung unter die mich bezwingende Macht Gottes jeweils hier und jetzt, - was wiederum nicht auf die Ebene expliziten Bewußtseins erhoben zu werden braucht. Die Sätze des Glau­bens sind keine allgemeinen Wahrheiten~ Daß z. B. der Satz "Terra ubique Do­mini" als gewußtes Dogma seinen Sinn verloren hat und nur als ein jeweils in exi-

Page 199: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

198 RUDOLF BULTMANN • 0

stentieller Entscheidung gesprochener sinnvoll ist, weiß heute gewiß derjenige am besten, dem er im Elend der russischen Gefangenschaft zweifelhaft geworden. ist.

Aus allem wird deutlich, daß für mein existentielles Leben, das sich in den Ent­scheidungen gegenüber den Begegnungen vollzieht, die Welt ihren Charakter als geschlossener Zusammenhang verloren hat. Anders ausgedrückt: im Glauben ist der geschlossene Zusammenhang, den das objektivierende J?enken darbietet (bzw. her­stellt), aufgehoben, freilich nicht in der Weise des mythologischen Denkens, daß er als zerrissener gedacht wird, sondern so, daß ich ihn als ganzen aufhebe, wenn ich von Gottes Handeln rede. Im Grunde hebe ich ihn schon auf, wenn ich von mir selbst rede. Denn ich selbst, mein eigentliches Selbst, ist in ihm genau so wenig sichtbar und feststellbar wie Gottes Handeln. Wenn ich das weltliche Geschehen als geschlossenen Zusammenhang sehe, was ich ja nicht nur im Interesse eines wissen­schaftlichen Verstehens, sondern schon im Interesse meines alltäglichen Arbeits­lebens tun muß, so ist darin allerdings für Gottes Handeln kein Raum. Aber eben das ist das Paradox des Glaubens, daß er ein in seinem natürlichen und geschicht­lichen Zusammenhang feststellbares Ereignis gleichwohl als Gottes Tat versteht. Vom Glauben ist das Dennoch unabtrennbar. · Solcher Glaube allein ist edlter Glaube an Wunder\ Wer meint, von Wundern als von feststellbaren Vorgängen reden zu können, verstößt gegen den Gedanken des verborgenen Handeln Gottes. Er stellt die Tat Gottes unter den objektivieren­den Blick und liefert damit den Wunderglauben - in Wahrheit den Wunder­aberglauben - der dann berechtigten wissenschaftlichen Kritik aus.

Ist es nun richtig, daß von Gottes Handeln nur geredet werden kann, indem zu­gleich von meiner Existenz geredet wird, ist es richtig, daß es nicht außerhalb der existentiellen Betroffenheit festgestellt werden kann, daß es derjenigen Objektivität entbehrt, die neutrale Beobachtung (etwa i.m Experiment) und wissenschaftliches Denken (eben als objektivierendes Denken) feststellen können, so liegt die Frage nahe, ob nicht damit dem göttlichen Handeln überhaupt die "Objektivität" - als eine außerhalb meiner Subjektivität liegende Realität - abgesprochen ist. Ist es nicht gänzlich in die Sphäre der Subjektivität hineingezogen? Ist der Glaube dann nicht als bloßes "Erlebnis" verstanden? Gibt es dann nicht Gott nur im "inner­see)ischen" Vorgang des Erlebnisses, während doch der Glaube nur Sinn hat, wenn er sich auf den Gott richtet, der außerhalb des Glaubenden wirklich ist?

Dieser Einwand beruht auf einem psychologischen Mißverständnis dessen, was mit dem existentiellen Leben des Menschen gemeint ist2 • Aus dem Satz, daß nur der Glaube, der sich von Gott getroffen weiß, von Gott reden kann, daß also der Glaubende, wenn er von Gottes Handeln redet, eben damit auclt von sich selbst redet, folgt keineswegs, daß Gott nicht außerhalb des Glaubenden, bzw. des Glau-

1 Vgl. Glauben und Verstehen S. 214-228, bes. S. 224f'.; Wilh. Herrmann, Offenbarung und Wunder 1908, bes. S. 33ff. Mit Recht sagt Herrmann, daß wie im Wunderglauben so auch im Gebetsglauben der Gedanke der Natur aufgelöst wird.

2 Ich könnte auch sagen: "lllit der menschlichen Subjektivität", vorausgesetzt, daß diese im Sinne Kierkegaards als das Subjektsein, als das Personsein des Menschen verstanden ist

Page 200: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

DIE REDE VOM HANDELN GOTTES 199

bensaktes, wirklich sei, - oder es folgt nur dann, wenn Glaube, wenn Erleben psychologistisch interpretiert werden1• Ist menschliches Sein in echtem Sinne als ein geschichtliches Sein verstanden, das sein Erleben in seinen Begegnungen hat, so ist zwar einerseits klar, daß sich der Glaube, der von dem ihm begegnenden Handeln Gottes redet, nicht gegen den Vorwurf, Illusion zu sein, verteidigen kann - denn objektiv im Sinne eines welthaften Ereignisses ist die Begegnung Gottes ja .nicht -, andrerseits aber, daß der Glaube als existentieller Vorgang der Begegnung die Wi­derlegung jenes Vorwurfs nicht nur nicht nötig hat, sondern sie auch gar nicht unter­nehmen darf, ohne seinen eigenen Sinn mißzuverstehen.

Was Begegnung überhaupt bedeutet, kann ja durch einfache Besinnung auf unser geschichtliches Leben deutlich werden. Die Liebe eines anderen Menschen begegnet mir und ist nur als Ereignis, was sie ist; denn als Liebe kann sie nicht vom objek­tivierenden Blick, sondern nur von mir selbst, dem durch sie Betroffenen wahr­genommen werden2• Von außen gesehen ist sie als Liebe im echten Sinne gerade nicht sichtbar, sondern nur als ein geistesgeschichtliches oder psychisches Phänomen, das verschiedenen Möglichkeiten der Interpretation unterliegt. Natürlich hängt die Wirklichkeit der Liebe, mit der ein Mensch mich liebt, nicht davon ab, ob ich· sie verstehe und in der Gegenliebe beantworte3 • {Eben dieses weiß ich ja, wenn ich sie in der Gegenliebe beantworte.) Auch wenn ich sie nicht verstehe, wenn ich mich ihr nicht öffne, ruft sie eine sozusagen existentielle Reaktion hervor; eine solche ist auch das Ignorieren, das Sichverschließen und der Haß. In jedem Falle bin ich durch die Begegnung qualifiziert. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß sie als Liebe nur in der Begegnung sichtbar ist.

Daß Gott außerhalb des Glaubens nicht sichtbar ist, bedeutet nicht, daß er außerhalb des Glaubens nicht ist. Daß die Begegnung mit seinem Wort den Men­schen qualifiziert, ob er sich ihm öffnet oder nicht, weiß auch nur der Glaube, der versteht, daß sich im Unglauben das Gericht Gottes vollzieht.

Gewiß: der Glaube ist in seiner Bezogenheit auf seinen Gegenstand nicht aus­weisbar. Diese Nichtausweisbarkeit ist aber, wie schon Wilh.Herrmann lehrte', ge­rade seine Stärke. Denn die Behauptung seiner Ausweisbarkeit würde ja die Er­kennbarkeit und Feststeilbarkeit Gottes außerhalb des Glaubens behaupten und

1 Weder Wilh. Herrmann noch Ad. S~hlatter haben, wenn sie vom "Erlebnis" reden, dieses im Sinne eines bloßen psychischen Phä~omens gemeint.

2 Ich verstehe Et!. Schweizer (a. a. 0. 2.31) nicht, wenn er die durch einen andem geweckte Liebe einen ,,innerpsychischen Vorgang" nennt. Liebe ist doch nur wirklich in der Begegnung bzw. im gegenseitigen Verhältnis. Er verkennt den existentiellen Sinn von Liebe radikal, wenn er schreibt: ,,Liebe weckt mehr im Menschen als ein Vorbild das tut; sie weckt Sehnsucht nach Gemeinschaft, eine Anlage des Ich auf das Du hin, Sexualität oder was immer das sein mag (I). Aber jedenfalls bleibt es bei einem innerpsychischen Vorgang, für den das Lieben des Andem nur ein erweckendes Motiv ist. Daß dabei nicht nur der Intellekt wie bei der Belehrung oder die Begeisterungsfähigkeit wie beim Vorbild, sondern das Gefühlsleben in viel weiterem Umfang miterregt wird, ist gewiß zuzugeben." ·

3 Ed. Schweizer a. a. 0. S. 235. 4 S. z. B. oben S. r85, A. r

Page 201: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

200 RUDOLF BULTMANN

damit Gott auf die Stufe der vorhandenen und dem objektivierenden Blick ver­fügbaren Welt stellen1 • In dieser ist die Ausweisbarkeit allerdings eine sachgemäße Forderung.

Wenn der Glaube die Antwort auf das ihm verkündigte· Wort von der Gnade Gottes ist, das Ursprung und Legitimation im Neuen Testament hat, muß dann gesagt werden, daß er sich ausweist durch Berufung auf die Schrift? Ist er nicht einfaches Hören auf die Schrift als auf das Wort Gottes? Das ist zwar richtig, je­doch nur dann, wenn die Schrift weder als ein Kompendium von Lehren verstanden wird, noch als ein Dokument, das Zeugnisse vom Glauben Anderer enthält, die freilich wohl mittels der "Einfühlung" innerseelische Erlebnisse veranlassen könnten. Es ist richtig nur dann, wenn die Schrift als anregendes Wort, als mich treffende Anrede, als Kerygma, gehört wird, wenn also das "Erleben" das Betroffensein und die Antwort auf die Anrede ist. Daß die Schrift Gottes Wort ist, ereignet sich nur jeweils hier und jetzt; es ist keine objektiv feststellbare Tatsache. Gottes Wort ist in der Schrift verborgen, wie jedes Handeln Gottes verborgen ist2•

Ausgewiesen hat sich Gott auch nicht durch die sogenanntenHeilstatsachen; denn diese sind ja selbst Gegenstand des Glaubens und sind als Heilstatsachen erst dem Glauben und ihm allein sichtbar. Ihre Erkenntnis geht nicht dem Glauben voraus; so daß sich die.ser auf sie gründen könnte, wie sich sonst eine Überzeugung auf nachgewiesene'Tatsachen gründet. Freilich begründen sie den Glauben, jedoch nur als im Glauben selbst wahrgenommene, - wie sich ja auch unter Menschen Ver­trauen und Liebe nicht gründen auf die objektiv festgestellte Vertrauenswürdigkeit oder Liebe des Andern, sondern auf das im Vertrauen, in der Liebe wahrgenom­mene Wesen des Andern. Es gibt kein Vertrauen und keine Liebe ohne Wagnis. So fallen - wie auch schon Wilh. Herrmann lehrte - Grund und Gegenstand des Glaubens nicht auseinander, sondern sind ein und dasselbe, und zwar eben deshalb, weil wir von Gott nicht sagen können, wie er an sich ist, sondern nur, was er an uns tut3•

Ist nun das Handeln Gottes nicht weltlich sichtbar, nicht ausweisbar, ist das "Heilsgeschehen" kein feststellbarer Vorgang, ist- wie wir hinzufügen können­der dem Glaubenden geschenkte Geist kein weltlich wahrnehmbares Phänomen, -können wir von alledem nur reden, indem wir von unserer Existenz reden, so läßt sich auch sagen, daß der Glaube ein neues Existenzverständnis ist, oder daß Gc;>ttes Handeln uns ein neues Selbstverständnis schenkt entsprechend dem Worte Luthers: "et ita Deus per suum exire nos facit ad nos ipsos introire, et per sui cognitionem infert nobis et nostri cognitionem" 4 •

1 Damit ist natürlich nicht gesagt, daß nicht außerhalb des Glaubens die Idee Gottes sach­gemäß gefaßt werden könnte. Sie ist die Explikation des die menschliche Existenz bewegenden Frage nach Gott; s.o. S. 190 und meinen Aufsatz "Die Frage der natürlichen Offenbarung" in "Offenbarung und Heilsgeschel-en" S. 1-26.

2 Vgl. H. Diems Einspruch fegen eine Auffassung, die meint, "in der Bibel das Wort Gottes auch ante et extra usum zu hal:en" (a. a. 0. 5).

3 S. 0, S. 184f. . 4 Schol. zu Rm 3, 5, ed. Ficker p. 67, 21-23.

Page 202: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

DIE REDE VOM HANDELN GOTTES 201

Gegen die Bezeichnung des Glaubens als eines Existenzverständnisses richten sich nun vor allem die Angriffe1• Ist denn wirklich so schwer zu verstehen, was existen­tielles Selbstverständnis meint? Jedenfalls spricht völlige Verständnislosigkeit aus dem Einwand, daß mit solcher Bezeichnung das Offenbarungsereignis zum Anlaß degradiert werde, der das Selbstverständnis entbindet; daß es nicht mehr als ein in die Wirklichkeit eingreifendes und sie veränderndes Faktum, als Wunder, aner­kannt werde. Er ereigne sich ja nur "Bewußtsein"; der Inhalt des Selbstverständ­nisses sei eine zeitlose Wahrheit, die, wenn sie einmal erkannt sei, in Geltung bleibe ohne Bezug auf den Anlaß, der sie entbunden, gleichsam "angekurbelt" habe2 • Hat Luther die "cognitio nostri" so verstanden?

Aber vielleicht bin ich selbst durch unklare Formulierungen mitschuldig an der Verwechslung, die dem Mißverständnis zugrunde liegt. Verwechselt ist hier das existentielle Selbstverständnis mit dem existentialen Verstehen des menschlichen Seins, das philosophische Analyse erarbeitet. Von diesem letzteren kann man gewiß sagen, daß seine Sätze den Sinn zeitloser Wahrheiten haben und, soweit sie zu­treffend sind, als solche gelten können. Aber die existentiale Analyse weist ja so­zusagen üb~r sich selbst hinaus, indem sie zeigt (und das wäre dann eine "zeitlose Wahrheit"), daß das existentielle Selbstverständnis sich nur a~ls je meines im exi­stentiellen Vollzuge ereignet. In meinem existentiellen Selbstverständnis verstehe ich nicht im allgemeinen, was Existenz ist (das wäre existentiales Verstehen), son­dern ich verstehe mich in meinem konkreten geschichtlidten Hier und Jetzt, in meinen konkreten Begegnungen 3

Es versteht sich von selbst, daß dieses existentielle Selbstverständnis gar nicht ins Bewußtsein erhoben zu werden braucht. Es durchherrscht und leitet in verborgener Weise alles Sorgen und Wollen, alle Freude und Angst, und es wird in jeder Be­gegnung in Frage gestellt. Von solchem Selbstverständnis ist schon das Kind ge­tragen, das sich als Kind und damit seine Erzeuger als seine Eltern versteht; in seiner Liebe, seinem Vertrauen, in seinem Gefühl der Geborgenheit, in seiner Dank­barkeit, seiner Achtung und in seinem Gehorsam. Im Ungehorsam gibt es dies Selbstverständnis preis, ohne es doch ganz preisgeben zu können; denn es meldet sich in seinem bösen Gewissen.

Dieses Beispiel zeigt schon, daß im existentiellen Selbstverständnis das Selbst mit sich zugleich das Begegnende versteht, die begegnenden Personen, die begegnende Welt. Als geschichtlich existierendes Selbst bin ich weder isoliert gegen meine Welt noch gegen meine Vergangenheit und Zukunft, die ja in bestimmter Weise zu mei­ner Welt gehören. "Ereignet" es sich z. B., daß mir in der Begegnung der Liebe

1 Z. B. H. Thielicke, Deutsches Pfarrerblatt 46 (1942), 129ff.; K. u. M. 184f., 2165f. Was Wunder, wenn dann auch die Erklärung des Landesbruderrates der Evangel. Bekenntnisgemein­schaft in Württemberg (In: Für Arbeit und Besinnung 1952, 18-z3) diese Anklage aufnimmt! Dabei ist nur komisch, daß sich diese Erklärung von vomherein die Aufklärung eines etwaigen Mißverständnisses verbittet.

2 Thielicke a. a. 0.- Vgl. auch meine Antwort auf Tb. Deutsches Pfarrerbl. 1943, 3ff. 3 s.o. s. 192-

Page 203: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

202 RUDOLF BULTMANN

eines Andern ein neues Selbstverständnis geschenkt wird, so "ereignet" sich keines­wegs nur "Bewußtsein" - wenigstens wenn dieses, wie Thielicke und Andere offenbar tun, als ein psychisches und nicht als ein existentielles Phänomen verstan­den wird -, sondern meine ganze Situation wandelt sich. Indem ich mich in dieser Begegnung verstehe, verstehe ich den Andern, und damit erscheint die ganze Welt in einem "neuen Licht", d. h. aber: sie ist faktisch eine andere geworden; ich ge­winne über meine Vergangenheit und Zuku~ft ne\le Einsicht und neues Urteil, d.h. aber: sie werden in neuem Sinne meine Vergangenheit und meine Zukunft. Ich stelle mich unter neue Forderungen und bin in. neuer Kraft offen für Begegnungen. Es ist klar, daß ich ein solches Selbstverständnis nicht als eine zeitlose Wahrheit besitzen kann; denn seine Gültigkeit hängt davon ab, daß es jeweils neu vollzogen wird, ob ich den· ·in ihm enthaltenen imperativischen Sinn verstehe. Es gilt mutatis inutandis: "wenn wir im Geist leben, so sollen wir auch im Geistunsern Wandel führen" (GI 5, 25).

Denn eben das Gleid1e gilt für das Selbstverständnis des Glaubens, in dem sich der Mensch unter dem ihm begegnenden Wort neu versteht. Und wie im mensm­limen Miteinander das neue Selbstverständnis, das mir durm die Begegnung eines Andern in Liebe und Vertrauen gesmenkt worden ist, nur emt bleibt, wenn es seinen ständigen Bezug auf den ihm begegnenden Andern behält, so wird das gläu­bige Selbstverständnis nie zum Besitz, sondern bleibt nur emt als die ständige Ant­wort auf das ständig begegnende Wort Gottes, das Gottes Handeln in Christus so verkündigt, daß es ständige Gegenwart ist1 • "Gottes Güte ist alle Morgen neu"­gewiß, aber im weiß von ihr nur- nämlich im emten Sinne -, wenn ich sie jeden Morgen neu erkenne; denn als zeitlose Wahrheit hat der Satz keinen Sinn. Das bedeutet aber aum, daß im selbst nur als jeden Morgen Neuer - durm sie mim er­neuern Lasse~der- von ihr wissen kann'.

1 Es ist daher ein totales Mißverständnis, wenn Wiesner meint, daß ich das biblische Ver ständnis der menschlichen Existenz auf ein "menschliches Sichverstehen" reduziere, daß ich die christliche Verkündigung "säkularisiere" (a. a. 0. S. 56), daß ich die Heilstat Gottes in Christus auf die ,,Imman enz der menschlichen Existenz und ihres zeitlichen Lebensvollzugs reduziere"

(a. a. 0 S. 6o). 2 Ed. Schweizer, meint (a. a. 0. S. 236), daß ich gedanklich unterscheiden müsse "zwischen

einem G laubensakt, der im Kreuzesgeschehen die Offenbarung der Liebe Gottes sieht, und einem zweiten Glaubensakt, zu dem jener ersre den Menschen erst befreit ... , der in dem radikalen Wechsel des Selbstverständnisses besteht". Nein, um keinen Preis! Denn ich kann mir ein gläubiges Sehen der Offenbaruung der Liebe Gottes nicht denken, das nicht als solches die Be­freiung zum neuen Selbstverständnis ist. Wie das zugehen soll, daß iCh die Befreiung von der Sünde als für mich als gültig erkenne, bevor ich "mein Selbstverständnis ändere" (so in der Tat Schweizer, statt: mein Selbstverständnis gewandelt wird), ist mir völlig unverständlich, und ich fürchte, daß man hier antworten muß: "nondum considerasti quanti ponderis sit peccatum". Die Liebe Gottes ist kein Phänomen, in dessen Wahtnehmung der Mensch derselbe bleibt, der er war. Deshalb muß schon das Wahrnehmen selbst als das Werk des Heiligen Geistes bezeichnet werden. Keine Verkündigung, die "den Charakter des schlichten biblischen Berichtes vom Ge­schehenen" trägt, kann dem Menschen "sagen, daß diese Befreiung schon Wirklichkeit ist vor allseinem Verstehen und überall 'sein Verstehen hinaus" (a. a. 0. S. 237f.). Denn die Wirklich­keit der Befreiung ist nicht etwas, was ein Bericht von einem Geschehenen aufzeigen kann. Daß

Page 204: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

DIE REDE VOM HANDELN GOTTES 203

-Auch das zukünftige Handeln Gottes - so wird eingewandt - wird durch die entmythologisierende Interpretation der neutestamentlichen Eschatologie eliminiert. Ich meine, daß. sein Sinn vielmehr erst erschlossen wird, - wenigstens für den nicht mehr mythologisch denkenden Menschen; und zwar deshalb, weil die ent­mythologisierende Interpretation den Charakter des Glaubens als der freien Offen­heit für die Zukunft klar macht.

Wohl vermag existentiale Analyse zu sagen, daß freie Offenheit für die Zukunft ein Charakter des in seiner Eigentlichkeit existierenden mensmlichen Seins ist. Aber gibt sie durdJ diese Erkenntnis dem konkret existierenden Mensmen diese Offen­heit? Sie kann es so wenig, wie sie überhaupt Existenz geben kann; sie kann nur dem Mensmen sagen, daß er, wenn er echt existieren will, frei für die Zukunft offen sein muß. Sie kann ihm audJ das Erschreckende dieser Tatsache zum Bewußtsein bringen, wenn sie sagt, daß für sie _:_ die philosophische Analyse - die Zukunft letztlich als das Nichts, als das je eigene Nimts bestimmbar sein kann, und wenn sie daher die freie Offenheit für die Zukunft nur als die Angstbereitsmaft verstehen kann, die der Mensch im Entschluß auf sich zu nehmen hat.

In der Tat: der Glaube ist diese Angstbereitschaft, da der Glaube weiß, daß Gott gerade da und nirgends anders begegnet, also wo für den menschlichen Bli<k das Nichts ist. In diesem Sinne interpretiert Luther das "Wir rühmen uns der Drang­sale" (Rm. 5, 4; "Unde cum Dominus habet nomen Salvatoris, adjutoris in tribu­lationibus, in multis locis, qui noluerit pati, quantum in ipso est, spoliat eum suis propriis titulis et nominibus. Sie enim nullus erit ei homini Jhesus i. e. Salvator, quia non vult esse damnatus; nullus eius Deus creator, quia non vult esse nihil, cuius ille sit creator" (Schol. in Rm 5, 3; ed. Ficker p. I35, 2off.). Entsptemend: " ... quia natura Dei est, prius destruere et annihilare, quicquid in nobis est, ante­quam sua clonet" (ibid. in 8, 26; p. 203, 4f.). Diejenigen, "qui sibi sancti videntur", sind die Mensmen, die "Deum amore concupiscentiae diligunt i. e. propter salutem et requiem aeternam aut propter fugam inferni, hoc est non propter Deum, sed propter se ipsos." Ihnen stehen gegenüber diejenigen, "qui vere Deum diligunt amore filiali et amicitiae ... Tales enim libere sese offerunt in omnem voluntatem Dei, etiam ad infernum et mortem aeternaliter, si Deus vellet tantum, ut sua voluntas plene fiat" (ibid. in 9, 3; p. 217, I 8 ff.). Gott "non potest ostendere vir­tutem eorum ad nihilumque redigat, ut non glorientur in virtue s.ua propria" (ibid. tutem eorum ad nihilumque redigat, ut non glorientur in virtute sua propria" (ibid. in 9, I7; p. 229, 21 ff.). "Deus non salvat nisi peccatores, non erudit nisi stultos et insipientes, non ditat nisi pauperes, non vivificat nisi mortuos (ibid. in IO, 19; p. 2 p, I 8 ff.1). Freilich: jener "amor filialis et amicitiae" entsteht nicht durch den

Schweizer den eschatologischen Sinn des Heilsgeschehens verkennt, wird hoffentlich im folgen­den klar werden.

1 Vgl. noch ibid. p. zo6, xoff.;_zi6, x8ff.; 2.45, 4ff. (Der Mensch steht in der Schuld sowohl Gott wie Gottes Geschöpfen gegenüber; wer diese Schuld bezahlen will, "libens ac volens it in nihilum .el mortem et damnationem ... ") V gl. auch die Luther-Zitate bei Fr. Gogarten, Die Verkündigung Jesu Christi, 1948, S~ 3o6f., 331·

Page 205: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

204 RUDOLF BULTMANN

Entschluß, die Angstbereitschaft auf sich' zu nehmen, sondern von- ihm gilt: "non est ex natura, sed spiritu sancto solum" (a. a. 0. p. 217, 28). Die Angstbereitschaft' wird also dem Glauben geschenkt, der nichts anderes ist als die Freiheit von uns selbst (als dem alten Selbst) für uns selbst (als dem neuen Selbst), die Freiheit von dem die Sünde begründenden Wahn:, durch unseren eigenen Entschluß, unsere Exi­stenz begründen zu können, und damit die freie Offenheit für die Zukunft, ent­sprechend dem Paulus-Wort: "Der Tod ist verschlungen in den Sieg!" (1. Kr. 15,54·)

Doch der Einspruch verstummt nicht! Wenn von Gottes Handeln nur als von dem geredet werden kann, was er jeweils an mir tut, wird damit nicht geleugnet, daß er in Christus ein für allemal für die ganze Welt gehandelt hat? Wird damit nicht das 8rpdnaE vom Rm 6, 10 eliminiert?1: Steht es wirklich so, daß ich "die Wirklichkeit der Zeit als des einmaligen Faktums der Vergangenheit (sie!) aus dem Verständnis des Heilsgeschehens im neutestamentlichen Sinne eliminiere"?2•

Es sollte aus dem bisher Gesagten wohl klar geworden sein, daß ich nicht von einer Gottesidee rede, sondern mich bemühe, von dem lebendigen Gott zu reden, in dessen Händen unsere Zeit steht und der uns in unserer Zeit jeweils begegnet .. Aber sofern noch etwas zu sagen ist, kann die Antwort im Grunde in dem einzigen Satze gegeben werden, daß Gott uns in seinem Wort begegnet, nämlich in einem bestimmten Wort, der mit Jesus Christus eingesetzten Verkündigung. Denn freilich läßt sic;:h wohl sagen, daß Gott uns immer und überall begegnet; .;1ber wir sehen und hören ihn nicht überall, es sei denn, daß sein Wort hinzukomme und uns je den Augenblick in seinem Lichte verständlich mache, wie Luther nicht selten gesagt hat. So wenig freilich der Gedanke der Allmacht und Allgegenwart Gottes existen­tiell zu realisieren ist ohne sein je in den Augenblick gesprochenes und in ihm ge­hörtes Wort, so wenig ist dieses Wort, was es ist, ohne den Augenblick, in den es gesprochen wird. Es ist nicht eine zeitlose Wahrheit, sondern ein bestimmtes, je­weils. anredendes Wort, dessen Ewigkeit nicht seine endlose Dauer, sondern seine jeweils aktuelle Präsenz ist. Es ist Gottes Wort nur als jeweils sich ereignendes Wort und nicht vermöge seines Gedankengehalts, - etwa indem es von Gottes Güte und Gnade redet (wie richtig auch immer), sondern indem es mich je als Ge­richt oder Gnade trifft. Nur so ist es wirklich das "Verbum externum"; denn ver­bum externum kann es nicht als ein im Wissen verwahrter Besitz sein, sondern nur als immer wieder begegnende Anrede.

Eben deshalb ist es ein realiter jeweils zu mir gesprochenes Wort, - sei es in der kirchlichen Verkündigung, sei es in der Bibel, sofern mir diese durch die ~rche als das mich anredende Gotteswort vermittelt wird, sei es durch das Wort des christlichen Bruders3• Damit ist schon gesagt, daß dieses lebendige Gotteswort nicht

1 Emil Brunner, Die christliche Lehre von der Schöpfung und Erlösung (Dogmatik li 1950} S. p4f.; Ed. Schweizer, a. a. 0. S. z.pff.; Schniewind, K. u. M., S. 103ff.

2 Kümmel, Coniect. Neotest. S. u6, s.o. S. 158; Theol. Ztschr. Wiltkr a. a. 0., S. 12.6f. 3 Es versteht sich wohl von selbst, daß das nicht so gemeint ist, als müsse notwendig ein.

solches Wort immer in demselben Zeitmoment gesprochen werden, in dem es für mich ein ent-

Page 206: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

DIE REDE VOM HANDELN GOTTES 205

ein Wort menschlicher Weisheit ist, sondern ein in der Geschiche begegnendes, daß sein Ursprung ein geschichtliches Ereignis ist, durch welches das jeweilige Sprechen dieses Wortes autoris~ert und legitimiert ist. Dieses Ereignis ist ]esus Christus.

Daß Gott in ]esus Chritus gehandelt hat, ist aber nicht ein feststellbares histo~ risches Faktum. Jesus von Nazareth ist der Logos Gottes nicht für den objektivie­renden Blick des Historikers1 . Vielmehr erweist sich gerade darin, daß im Neuen Testament Gestalt und Werk Christi in mythologischer Begrifflichkeit beschrieben werden, daß sie nicht als im Rahmen der Weltgeschichte stehend verstanden· wer­den dürfen, wenn sie als göttliche Heilstat verstanden werden sollen. Das Paradoxe der Behauptung ist ja dieses, daß eine menschliche Gestalt, eben Jesus von Naza­reth (vgl. bes. Joh 6, 42) und ihr Schicksal, also ein Mensch und sein Geschick, die durchaus innerhalb der Weltgeschichte stehen und daher als solche auch vom ob­jektivierenden Blick des Historikers wahrgenommen und innerhalb des weltge­schichtlichen Zusammenhangs verstanden werden können, mit solchem Wahrneh­men und V erstehen noch gar nicht als das wahrgenommen und verstanden sind, was sie als Gottes Tat sind, nämlich als das eschatologische Geschehen.

Als solches wird ja Jesus Christus im Neuen Testament verstanden (z.B. Gl4, 4; Joh 3, 17-19). Die Frage ist nur, ob dieses Verständnis notwendig an die Vor­stellungen einer kosmologischen Eschatologie gebunden. ist, in die es im Neuen Testament gefaßt ist - freilich mit Ausnahme des Joh.-Evg., für das die kosmo­logische .Eschatologie schon zum Bilde geworden ist, und in dem das eschatoJogische Geschehen im Kommen Jesu als des Wortes gesehen ist, - des Wortes Gottes, das im verkündigten Worte jeweils Gege~wart wird. Aber schon in der Urgemeinde ist diese Entmythologisierung dadurch 'vorbereitet, daß sich die Gemeinde als das schon gegenwärtige Volk Gottes der Endzeit, als die Gemeinde der Heiligen ver­steht. Sie ist weitergetrieben durch Paulus, für den der Glaubende ein "neues Ge­schöpf" ist, da das Alte verging und das Neue kam (2. Kr 5, p). Glauben heißt fortan: eschatologisch, entweltlicht existieren, aus dem Tode in das Leben hinüber­geschritten sein (1. Kr 7, 29-3 I; Joh 5, 24; r. Joh 4, 14). Die eschatologische Exi­stenz ist aber nur im Glauben, nicht schon im Schauen realisiert (2. Kr 5, 7); d. h. sie ist kein weltliches Phänomen; sie ist aber wirklich im neuen Selbstverständnis, das der Glaube mit sich führt. Als der Glaube an den gekreuzigten und auferstan­denen Christus ist dieses Selbstverständnis nicht eine selbständige Bewegung des

scheidendes Wort wird. Es kann jetzt für mich entscheidend werden, was ich gestern oder viel­leicht vor 30 Jahren gehört habe; es beginnt dann jetzt (oder jetzt wieder) zu mir zu sprechen und erweist sich so als ein in mein Jetzt, gesprochenes.

1 Daher kann ich das Interesse Wilders (a. a. 0. S. 216f.) an der Sicherstellung der historischen Geschichte Jesu durch den Historiker nicht teilen, sowenig wie das Interesse Wiesners an der wenigstens relativen Sicherung (a. a. 0. S. 64f.). Wenn Wiesner meint, daß ich mit dem Satze:

Nicht weil es das Kreuz Christi ist, ist ·es das Heilsereignis, sondern weil es das Heilsereignis l~t ist es das Kreuz Christi" die Dinge auf den Kopf stelle, so hat er sich offenbar nicht klar ge~acht, daß der Satz vom Kreuze Christi nicht die Konstatierung eines Faktums, sondern nur

_ein Bekenntnis sein kann.

Page 207: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

206 RUDOLF BULTMANN

menschlichen Willens, sondern die Antwort auf das Wort Gottes, das die in Chri­stus erschienene Gnade Gottes verkündigt. Als Wort Gottes ist Christus ante me et extra me, aber nicht als. ein objekiv konstatierbares und chronologisch ante me datierbares Faktum, sondern als der Christus pro me, der mir als das Wort be­gegnet. Das eschatologische Geschehen, das Christus ist, realisiert sich also immer nur jeweils in concreto, hier und jetzt, wo das Wort verkündigt wird (2. Kr 6, 2; Joh 5, 24), und zwar im Glauben oder im Unglauben (2. Kr 2, 15f.; Joh 3, 18; 9>39)· .

Damit ist das if]Jdna~ erst in seinem wahren Sinne verstand~n als das Einmal des eschatologischen Geschehens. Denn es meint nicht die datierbare Einmaligkeit eines historischen Ereignisses, sondern lehrt - höchst paradox - ein solches als das Ein-für-alle-Mal des eschatologismen Gesmehens glauben. Als das esmatologisme sf!dna~ hat dieses Gesmehen ständig Präsenz im verkündigenden Wort. Dieses sagt mir - als Ereignis der Anrede -, daß Gottes zuvorkommende Gnade schon für mich gehandelt hat, - aber nicht so, daß ich auf diese Tat Gottes als auf ein datierbares Ereignis der Vergangenheit zurückblicken kann, sondern so, daß dieses Gehandelthaben als ein eschatologisches jetzt präsent wird.

Das Wort Gottes wird nur im Ereignis Gottes Wort, und das Paradoxe liegt darin, daß es dieses Wort ist als das eine und gleiche, das mit der apostolischen Predigt seinen Anfang nahm und in der Smrift fixiert ist und von Mensmen1 in der Verkündigung weitergetragen wird, das Wort von Christus, dessen Gedanken­gehalt auch in allgemeinen Sätzen formuliert werden kann. baß es jenes nicht ist, ohne dieses zu sein, das ist der Sinn des BfJJiina~, und daß dieses nur dann das Wort Gottes ist, wenn es jenes ist, d.h. wenn. es jeweils als viva vox Ereignis wird, das ist der eschatologische Sinn des Bf!dna~.

Wort Gottes und Kirche gehören zusammen, insofern als die Kirche durch das Wort konstituiert wird als die Gemeinde der Gerufenen, und ebenso insofern als die Verkündigung des Wortes nicht der Vortrag einer allgemeinen Wahrheit, son­dern die Verkündigung ist, die als autorisierte der legitimierten Träger bedarf (2. Kr 5, x8f.). Wie das Wort nur Gottes Wort ist als Ereignis, so ist auch die Kirdie wirkliche Kirche nur als Ereignis. Sie ist ja die eschatologische Gemeinde der Heiligen und nur paradox identisch mit einer soziologischen Größe oder einem institutionellen Gebilde der W eltgesmichte2 •

1 Ein Mensch wie ich selbst einer bin, spricht also zu mir das Wort Gottes; in ihm inkarniert sich der Logos Gottes. Denn auch die Inkarnation ist als eschatologisches Ereignis nicht ein da­tierbares Ereignis der Vergangenheit, sondern jeweils Ereignis im Ereignis der Verkündigung. Ich darf hier auch auf meinen Aufsatz "Das christologische Bekenntnis des Oekumenischen Rates" hinweisen. Mich dünkt, die Christologie sollte endlich radikal aus der Herrschaft einer Ontologie des objektivierenden .Denkens befreit und in einer neuen ontologischen Begrifflich­keit vorgetragen werden.

2 Mir scheint, daß A. Wilder die Paradoxie dieser Identität verkannt hat, wenn er mir vor­wirft, der "individualistic character" meiner Interpretation habe .übersehen, daß Gottes Handeln stets "a social and corporate reference" habe (Eschatology and Ethics in the Teaching of

Page 208: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

DIE REDE VOM HANDELN GOTTES 207

Wurde die Aufgabe der Entmythologisierung zun·ächst herausgefordert durch den Konflikt des mythologischen . Weltbildes der Bibel mit dem Weltbild, das dunh das wissenschaftliche Denken geformt ist, so zeigte sich doch alsbald, daß die Entmythologisierung eine Forderung des Glaubens selbst ist. Denn dieser ver­langt die Befreiung von der Bindung an jedes Weltbild, das das objektivierende Denken entwirft, sei es das Denken des Mythos, sei es das Denken der Wissen­schaft. Jener Konflikt zeigt an, daß der Glaube die ihm gemäße Ausdrucksform nicht gefunden hat, daß er seiner eigenen Nichtausweisbarkeit nicht bewußt ge­worden ist, daß er sich nicht über die Identität seines Grundes und seines Gegen­standes klar geworden ist, daß er die Jenseitigkeit und Verborgenheit des gött­lichen Handeins nicht klar erfaßt hat, daß er, indem er sein eigenes Dennoch ver­kennt, Gott und Gottes Handeln in der Sphäre der W eltlichkeit objektivieren will. Indem sich vom modernen Weltbild aus die Kritik gegen das mythologische Weh­bild der Bibel und der traditionellen kirchlichen Verkündigung erhebt, leistet diese Kritik dem Glauben den großen Dienst, ihn zur radikalen Besinnung auf sein eigenes Wesen zurückzurufen. Eben diesem Ruf will die Entmythologisierung folgen.

Die Unsichtbarkeit Gottes schließt jeden Mythos aus, der Gott und sein Handeln sichtbar machen möchte; sie schließt als die Unsichtbarkeit Gottes aber auch jeden Begriff von Unsichtbarkeit und Geheimnis aus, der in der Begrifflichkeit des ob­jektivierenden Denkens gedacht ist. Gott entzieht sich dem objektivierenden Blick; er kann nur gegen den Schein geglaubt werden, - ebenso wie die Rechtfertigung des Sünders nur gegen das anklagende Gewissen geglaubt werden kann.

In der Tat: die radikale Entmythologisieru.ng ist die Parallele zur paulinisch­lutherischen Lehre von der Rechtfertigung ohne des Gesetzes Werk allein durch den Glauben. Oder vielmehr: sie ist ihre konsequente Durchführung für das Gebiet des Erkennens. Wie die Rechtfertigungslehre zerstört sie jede falsche Sicherheit und jedes falsche Sicherheitsverlangen des Menschen, mag sich die Sicherheit auf sein gutes Handeln oder auf sein konstatierendes Erkennen gründen. Der Mensch, der an Gott als seinen Gott glauben will, muß wissen, daß er nichts in der Hand hat, woraufhin er glauben könnte, daß er gleichsam in die Luft gestellt ist t.thd keinen Ausweis für die Wahrheit des ihn anredenden Wortes verlangen kann. Denn Grund und Gegenstand des Glaubens sind identisch. Die Sicherheit findet nur, wer alle Sicherheit fahren läßt, wer - um mit Luther zu reden - bereit ist, in die inneren Finsternisse hineinzugehen. Wie der Gottesglaube als Rechtfertigungsglaube die Ausgrenzung bestimmter Handlungen als heiligender abweist, so weist er ·als Schöpfungsglaube die Ausgrenzung heiliger Bezirke im Bestande und im Geschehen der Welt ab. Wohl haben wir durch Luther gelernt, daß es keine heiligen Plätze im Raume der Welt gibt und daß die ganze Welt eine profane Stätte ist, - un­beschadet des "Terra ubique Domini", was ja auch nur gegen den Schein geglaubt

Jesus 21950, S. 65). Gewiß hat Gottes Handeln diese Bedeutung; aber es ist zu fragen, in welchem Sinne "social and corporate" von einer eschatologischen Gemeinschaft ausgesagt werden können.

Page 209: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

208 RUDOLF BULTMANN

werden kann. Nicht die Weihe des Priesters macht das Gotteshaus heilig, sondern nur das verkündigte Wort. Ebenso ist aber auch das Gefüge von Natur und Ge­schichte profan, und nur sub specie des verkündigten Wortes gewinnt, was in Natur oder Geschichte geschehen ist oder geschieht, für den Glaubenden gegen den Schein den Charakter einer Tat Gottes, eines Wunders. Gerade für den Glauben wird die Welt profan und ihrer eigenen Gesetzlichkeit als das Arbeitsfeld des Men­schen zurückgegeben. Aber das Verhältnis des Glaubenden zur Welt und zum Weltbild der Wissenschaft ist eben deshalb das paradoxe des w.- p'lj.

Page 210: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

Bibliographische Übersicht

Altbaus, P., Die christliche Wahrheit I, I947, S. 2.o8f.

Bender, Bischof D., Erklärung auf der Landssynode Baden I950 (im Auszug abgedruckt bei F. Rienecker).

Beyreuter, Brich, Pietistische Erlebnistheologie, Existentialtheologie von heute. Ev. Luth. Kirchenzeitung I95~, Nr. I.

Bomkamm, G., Evangelium und Mythos in ,.Die Zeichen der Zeit" Ijp. (Der gleiche Beitrag in: G. Bornkamm und W. Klaas, Mythos und Evangelium Theologische Existenz heute, N. F. 2.6, München I951·)

= Für und wider die Theologie Bultmanns in "Für Arbeit und Besinnung" I952. S. 2.Ioff. Braun, Herbert, Die Überwindung des Liberalismus auf der Ebene des Kritizismus (zu Bult-

manns N.T.-Theologie), Verkündigung und Forschung I949/5o, S. 49ff.

Bultmann, R., Das Problem der Hermeneutik. Ztschr. f. Theol. und Kirche, I95o, S. 47ff. = Weissagung und Erfüllung ibid. I949, S. 36off. =Das· Problem des Verhältnisses von Theologie und VerkündigUng im Neuen Testament. Aux

Sources de la Tradition Chretienne, Festschrift für Maurice Goguel, Neuchätel, Paris I95o, s. 32ff.

= Das christologische Bekenntnis des oekumenischen Rates. SchweizerTheol. Umschau I95I, S. 2.5ff. und Ev. Theologie I95I, S. Iff.

=Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, Zürich I949· = Theologie und Glaube, Unterwegs I951 S. 2.73f. Brunner, E., Dogmatik II, I950, S. 2.11ff. und 311ff.

Casalis, G., Le Probleme du mythe. Rev. d'Histoire et de Philosophie religieuse I951, S. 33off.

Cullmann, 0., Christus und die Zeit. Die urchristliche Zeit- und Geschichtsaufassung, Zürich I946.

Diem, H., Grundfragen der Hermeneutik. Theol. Existenz heute, N. F. 2.6, München I951·

Dinkler, C., Bibelautorität und Bibelkritik. Zeitschr. f. Theol. und Kirche, I95o, S. 7off.

Ebeling, G., Die Bedeutung der historisch-kritischen Methode für die protestantißche Theologie und Kirche. Zeitschr. für Theol. und Kirche, I95o, S. Iff.

Ellwein, Eduard, Fragen zu Bultmanns Interpretation des neutestamentlichrn Kerygmas in E. Kinder: Ein Wort ...

Fransen, P., Entmythologisierung. Bijdragen, I950, S. 2.84ff.

Frey, Hellmuth, Zum Theologischen Programm Rudolf Bultmanns. Ev. Luth. Kirchenzeitung I951 Nr. 2.2.: Das Wort ward Fleisch (derselbe Beitrag), Gladbeck i. Westf. I952..

Fuchs, E., Evangelische Theologie, I949, S. 447ff. = Das entmythologisierte Glaubensärgemis, ibid. I951/52., S. 389ff. = Warum bedarf der Glaube an Jesus Christus eines Selbstverständnisses? Zeitschr. fürTheol.

und Kirche, I952.. = Bultmann, Barthund Kant, Theol. Lit. Ztg. I95o/12.. Gogarten, F., Die Verkündigung Jesu Christi, Grundlagen und Aufgabe. Die Kirche in der

Welt, I95o. Grobe!, Kendrik, Bultmanns Problem of NT "Mythology". Journal of Biblical Literature, I9 5 I,

s. 99fi.

Page 211: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

210 BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT

Gyllenberg, R., Nya testamentet och var tid. Via Abodomens fot 1949· Haug, Landesbischof, D., Brief an aie Pfarrer der württembergischen Landeskirche (hekto­

graphiert), im Auszug abgedruckt bei F.' Rienecker. Herbert, K., Zw: Frage der Entmythologisierung. Veröffentlichung der ev. Kirche in Hessen­

Nassau, 1950. Hof, Otto, Luthers exegetischer Grundsatz von der analogie fidei. Ev. Luth. Kirchenzeitung 1949,

Nr~ 2.4. Horstmeier, Marie, Mythologischer und geistiger Christusglaube, 1950.

Kamlah, W., Der Mensch in der Profanität. Studium Generale, 1949· · Kinder, Ernst, Ein Wort lutherischer Theologie zur Entmythologisierung. Ev. Preßverband für

Bayern, 1952. (hsgb. selbst: Historische Kritik und Entmythologisierung).

Klaas, W., s. Bornkamm, G., Mythos u. Evangelium

= Der moderne Mensch in der Theologie R. Bultmanns. Theol Studien, Heft 2.7, ZüricH 1947 Kümmel, W. G., Mythos im Neuen Testament. Theol. Zeitschr. 1950, S. 32.1ff.

Künneth, Walter, Bultmanns Philosophie oder Heilswirklichkeit? in E. Kinder: Ein Wort ... =Die Stellungnahme der Ev. Luth. Kirche zur Theologie RudolfBultmanns. Referat, gehalten

auf der Synode der Vereinigten Ev. Luth, Kirche Deutschlands in Flensburg, abgedruckt in "Für Arbeit und Besinnung" 1952., S. 163ff. .

Krüger, G., Philosophisches Denken und christlicher Glaube. Studium Geneiale 1948.

Landesbruderrat der Ev. Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg. Erklärung zur Bultmann-scben Theologie. Junge Kirche 1952., S. 9off. und "Für Arbeit und Besinnung" 1952., 18ff.

Lauerer, Hans, Christozentrische Schriftkritik, Ev. Luth. Kirchenzeitung 1949, N. 18.

= Der Ansatz der luth. Sc?riftkritik ibid. 1950 Nr. 19.

= Versuch einer luth. Schriftkritik ibid. 1951 Nr. 4 und 5· Leese, Kurt, 13 Thesen zur Entmythologisierung des Christentums, "Freies Christentum" 1952.,

Sp. 71ff. Lerle, E., Voraussetzungen der nt.lichen Exegese, 1952..

Merz, Georg, Bultmanns Standort in der Geschichte der Theologie; in E. Kinder: Ein Wort .•

Michaelis, W., Was bedeutet die Entmythologisierung des Neuen Testamentes? 1950. Mundle, W., Der Glaube an Christus und der historische Zweifel. Eine biblisch theologische

Untersuchung. 1950.

=Entmythologisierung und existentiale Interpretation, Ev. Luth. Kirchenzeitung, 1952. S. 161ff.

Neuenschwander, U., Die; protestanti.sche Dogmatik der Gegenwart und das Problem der bib­lischen Mythologie. (Diss.) Bern 1948.

Nygren, Andres, Christus und die Verderbensmächte, in "Viva vox evangelii", Festschrift für Landesbischof D. Meiser, München 1952..

Pedersen, Thestrup, Kristendommes afmythologisierung og Forkyndelsen. 1950.

= Offenbarung und Schrift, Ev. Luth. Kirchenzeitung 1949, Nr. 18.

Prenter, R., Evangeliets afmythologisierung. 1946.

Rienecker, F., Stellungnahme zu Bultmanns "Entmythologisierung", Biblische Studieri und Zeit-fragen, 3· 1951·

Schiedet, Julius, Randbemerkungen zu Bultmann; in·E Kinder: Ein Wort ...

Schindelein, Fr., Gedanken zu Bultmanns Theologie. 1950.

Schlink, E., Studium Generale 1948.

Page 212: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS

BIBLIOGRAPHISCHE ÜBERSICHT

Schumann, F. K., Verkündigung und Auslegung. Deutsches Pfarrerblatt 1951, S. 1211f. = Wort und Wirklichkeit, Berlin-Spandau 1951·.

Schweitzer, W., The Message and the Myths. The Ecumenical Review 1950, S. 311/f.

211

= Das Problem der Biblischen Hermeneutik in der gegenwärtigen Theologie. Theol Lit. Ztg. 1950/8.

Schweizer, E., Zur Interpretation des Kreuzes bei R. Bultmann. Aux Sources de la Tradition Chretienne (Festschrift für Maurice Goguel) 1950, S. zz81f.

Simmel, Oskar, S. J., Mythos und Neues Testament, Stimmen der Zeit 1952, 7, S. 33/f.

Süß, Theobald, Kritische Gedanken zur Entmythologisierung,Ev. Luth. Kirchenzeitung 1951, Nr. 15.

Stählin, G., Artikel "Mythos" im Theol. Wörterbuch zum NT. IV, 194z, S. 769/f.

Steck, K. G., Leugnung der Auferstehung? Die Stimme der Kirche 1949, Nr. 8, S. 71f, und Nr. 9, S. nlf.

Steege, G., Mythos, Differenzierung, Selbstinterpretation, Dissertation Greifswald 1952.

Steinbach, E., Mythos und Geschichte. Tübingen 1951. Strathmann, H., Klare Begriffe. Dt. Pfarrerblatt 1951, S. 1571f. Tübingen: Für und wider die Theologie Bultmanns. Denkschrift der Ev. Theol. Fakultät,

Sammlung gemeinverständlicher Vorträge, 198/199, 1952. Vogel, H., Kerygma und Mythos. Theologia viatorum, Jahrbuch der kirchlichen Hochschule

Berlin 1951, S. 471f. Walz, H. H., Das hermeneutische Problem. Für Arbeit und Besinnung 1949, S. sozlf.

Wiesner, W., Anthropologische oder theologische Schriftauslegung? Evangelische Theologie 1950/51. s. 491f.

Wilder, Amos N., Mythology and the New Testament. A Review of Kerygma und Mythos, JoumalofBiblicalLiterature 1950, S. 113ff.

= Eschatology and Ethics in the Teaching of Jesus, 1950.

Page 213: Kerygma Und Mythos, Bd. 2. Diskussionen Und Stimmen (ThF 2, 1954, 213pp)_OS