Kitty, Daisy & Lewis Mono und Nikitaman · Im Sommer erscheint Simon Reynolds‘ neues Buch...

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Kitty, Daisy & Lewis Smoking In Heaven Sunday Best Recordings / PIAS s VÖ: 27.05. Es gab einmal eine Zeit, in der das Rauchen in Cafés und Flugzeugen noch nicht verboten und auch nicht mit bösen Blicken sanktioniert war. Die musikalischen Vorbilder von Kitty, Daisy & Lewis lassen sich alle irgendwo in dieser Zeit verorten. Als die Band 2005 ihr Debütalbum veröffentlichte, hätte es sich dabei auch um die verschollenen Aufnahmen einer legendären und vergessenen Combo aus den späten 1950er Jah- ren handeln können. Tatsächlich waren Kitty, Daisy & Lewis zu der Zeit noch nicht einmal voll- jährig. In einem Studio mit geschichtsträchtigem Equipment aufgenommen, ist ihre Musik ein Tri- but an Rockabilly, Country und den Honky-Tonk- Klavier-Sound. Auf dem zweiten Album „Smoking In Heaven“ sind ausschließlich Eigenkompositi- onen der drei Geschwister aus Nord-London zu finden, und statt mit Ukulele wird der Sound der Band jetzt mit britischen Ska-Rhythmen und Trompetensoli angereichert. Musikalische Hoff- nung für alle Überproduktionsgeschädigten. Und Hoffnung für RaucherInnen gibt es auch, you know? ’Cause they are smoking in heaven. Ann-Kathrin Eickhoff Ladi 6 The Liberation of... Eskapaden Musik / Soulfood s VÖ: 27.05. Monatelang tingelte Ladi 6 im vergangen Jahr mit einem Versprechen durch die deutschen Clubs: tougher HipHop mit straightem Soul als geschmeidige, aber klare Ansage formuliert. Ihren Live-Umhaufaktor muss die Neuseelän- derin für ihr zweites Album an der Studiogar- derobe abgegeben haben. In ihrer Heimat ein Star, klingt Ladi 6 hier fast hinterwäldlerisch. Beats und Rhymes, die nicht oldschool, son- dern langweilig sind und eine Künstlerin, de- ren schillernde Live-Präsenz sich abwartend in die Ecke setzt. Egal ob die nervigen Handclaps beim Opener „Bang, Bang“ oder die merkwür- digen Saxofon-Schnippsel auf „Köln“ (dessen oldschool Britsoul keinerlei Verbindung mit der Domstadt erkennen lässt), Ladi 6 enttäuscht mit rundum einfallslos arrangierten Songs, die sich beständig ausbremsen. Einzig der HipHop- Vorstoß auf „98 Til Now“ rüttelt ein bisschen am Tanzbein. Aber selbst der verliert rasch an Entrüstung. Mit „The Liberation of …“ hat sich Ladi 6 nur von einem befreit: dem Ruf einer viel- versprechenden Künstlerin. Schade eigentlich. Verena Reygers Mono und Nikitaman Unter Freunden Rootdown / Soulfood s Bereits ersch. Diese Platte ist wie ein Abend in der Kiezkneipe um die Ecke – ein Potpourri aus altbekannten Gesichtern, einem bisschen Sozialkritik, Einbli- cken ins Seelenleben, politischen Statements und zerstreuendem Spaßgeplänkel. Mono und Nikitaman, die zu den wenigen deutschsprachi- gen KünstlerInnen zählen, die das Label Inde- pendent wirklich verdient haben, erreichen auf Album Nr. 4, was nicht vielen Bands gelingt – ihr Niveau zu halten und unkorrumpiert zu bleiben. Der bekannte „M & N“-Stil, eine Kombination aus Reggae, Dancehall und HipHop, findet sich auf dieser Platte wieder. Unterstützt wird das Duo dabei von Reggae-Artists wie Ce’cile, Re- bellion und Gentleman. An Dynamik mangelt es „Unter Freunden“ nicht, auffallend ist nur, dass die bei den legendären Live-Gigs geliebte Party- musik („Unter Freunden“, „Dezibel“) mit etwas mehr leisen und nachdenklichen Tönen durch- woben ist („Ein paar Meter“, „Showdown“) als auf den letzten Alben. Große Überraschungen können von einem Abend in der Kiezkneipe nicht erwartet werden. Man bekommt aber das, was man sich erhofft hat – schließlich ist man unter FreundInnen. Melanie Schuster Islaja Keraaminen Pää Fonal Records / Broken Silence s Bereits er. „Keramikkopf“ heißt auf Deutsch der Titel des fünften Albums von Merja Kokkonen aka Islaja. Dass die Finnin in ihrer Muttersprache singt, macht das Hörerlebnis noch intensiver: Neben ihrem hellen Gesang mit den kehligen, vokalrei- chen Liedtexten kombiniert Kokkonen Posaune, Cembalo und Glockenspiel mit synthetischem Bass und liefert eine spannende Kreuzung aus atmosphärischen Weltmusik-Klängen und Clubsounds. In den Songs von „Keraaminen Pää“ passiert unglaublich viel, auch wenn man erst einmal nicht versteht, wovon hier gesun- gen wird. Neben einem schier endlosen Reper- toire an Instrumenten artikuliert Kokkonen mal flüsternd, mal kräftig singend. Das von der Künstlerin, die als finnisches Pendant zu Björk bezeichnet wird, selbst illustrierte Booklet mit den Liedtexten auf Finnisch und Englisch eröff- net eine weitere Möglichkeit, die Musik für sich zu erschließen. Hier werden absurde Träume in detaillierten Beschreibungen wiedergegeben, existentielle Überlegungen, Fernweh, Leiden- schaft und Mystik zum Ausdruck gebracht. Die mit ihrem discotauglichen Experimentalpop er- folgreiche Band Animal Collective hat Islaja be- reits mit auf Tour genommen. Höchste Zeit also, sich der Musik dieser multitalentierten Künstle- rin zu widmen. Amelie Persson No Joy Ghost Blonde Mexican Summer / Cooperative s VÖ 27.05. Im Sommer erscheint Simon Reynolds‘ neues Buch „Retromania“, das sich mit der Frage be- fasst, warum viele junge Bands so klingen, als hätten sie ihre Platten vor über zwanzig Jahren aufgenommen. Tatsächlich wurde bisher die Musik jedes Jahrzehnts wiederentdeckt, vom 60s-Garagenbeat über Psychedelik, Hippiefolk, Disco, Punk, Rave bis zum Synthiepop. Für die nächsten Monate wird das große Grunge-Revival erwartet. Auch Laura Lloyd und Jasamine Whi- te-Gluz alias No Joy aus Montreal bedienen sich ausgiebig an der Musik früherer Tage. „Shoega- ze reloaded“ wäre ein passendes Label für ihr Debütalbum „Ghost Blonde“. Denn Bands wie Lush, My Bloody Valentine, Galaxie 500, Sonic Youth und The Jesus and Mary Chain standen unüberhörbar Pate für No Joys Mischung aus Twee, Noise und Shoegaze. Viele, viele Sound- schichten werden aufeinander gelegt, die Vocals kommen von ganz weit her, der Bass vibriert, die Melodien schimmern. Und doch kratzen No Joy an den Rändern und in der Mitte ein biss- chen tiefer als vergleichbare Bands wie Tama- ryn oder Mountain Man: handfeste E-Gitarren bringen Drive in „Maggie Says I Love You“, „You Girls Smoke Cigarettes?“ oder „Still“, das wie eine watteweiche, dabei sehr energiegeladene Neuauflage der Breeders klingt. Das so stati- sche wie schwebende „Indigo Girls“ dagegen ist Shoegaze in Reinkultur: ätherisch, berückend und schön, man verdrückt glatt ein Tränchen da- bei. Aber warum? Ist es nur die Erinnerung an Musik 81

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Page 1: Kitty, Daisy & Lewis Mono und Nikitaman · Im Sommer erscheint Simon Reynolds‘ neues Buch „Retromania“, das sich mit der Frage be-fasst, warum viele junge Bands so klingen,

Kitty, Daisy & Lewis Smoking In Heaven

Sunday Best Recordings / PIAS s VÖ: 27.05.

Es gab einmal eine Zeit, in der das Rauchen in Cafés und Flugzeugen noch nicht verboten und auch nicht mit bösen Blicken sanktioniert war. Die musikalischen Vorbilder von Kitty, Daisy & Lewis lassen sich alle irgendwo in dieser Zeit verorten. Als die Band 2005 ihr Debütalbum veröffentlichte, hätte es sich dabei auch um die verschollenen Aufnahmen einer legendären und vergessenen Combo aus den späten 1950er Jah-ren handeln können. Tatsächlich waren Kitty, Daisy & Lewis zu der Zeit noch nicht einmal voll-jährig. In einem Studio mit geschichtsträchtigem Equipment aufgenommen, ist ihre Musik ein Tri-but an Rockabilly, Country und den Honky-Tonk-Klavier-Sound. Auf dem zweiten Album „Smoking In Heaven“ sind ausschließlich Eigenkompositi-onen der drei Geschwister aus Nord-London zu finden, und statt mit Ukulele wird der Sound der Band jetzt mit britischen Ska-Rhythmen und Trompetensoli angereichert. Musikalische Hoff-nung für alle Überproduktionsgeschädigten. Und Hoffnung für RaucherInnen gibt es auch, you know? ’Cause they are smoking in heaven. Ann-Kathrin Eickhoff

Ladi 6The Liberation of...

Eskapaden Musik / Soulfood s VÖ: 27.05.

Monatelang tingelte Ladi 6 im vergangen Jahr mit einem Versprechen durch die deutschen Clubs: tougher HipHop mit straightem Soul als geschmeidige, aber klare Ansage formuliert. Ihren Live-Umhaufaktor muss die Neuseelän-derin für ihr zweites Album an der Studiogar-derobe abgegeben haben. In ihrer Heimat ein Star, klingt Ladi 6 hier fast hinterwäldlerisch. Beats und Rhymes, die nicht oldschool, son-dern langweilig sind und eine Künstlerin, de-ren schillernde Live-Präsenz sich abwartend in die Ecke setzt. Egal ob die nervigen Handclaps beim Opener „Bang, Bang“ oder die merkwür-digen Saxofon-Schnippsel auf „Köln“ (dessen oldschool Britsoul keinerlei Verbindung mit der Domstadt erkennen lässt), Ladi 6 enttäuscht

mit rundum einfallslos arrangierten Songs, die sich beständig ausbremsen. Einzig der HipHop-Vorstoß auf „98 Til Now“ rüttelt ein bisschen am Tanzbein. Aber selbst der verliert rasch an Entrüstung. Mit „The Liberation of …“ hat sich Ladi 6 nur von einem befreit: dem Ruf einer viel-versprechenden Künstlerin. Schade eigentlich. Verena Reygers

Mono und NikitamanUnter Freunden

Rootdown / Soulfood s Bereits ersch.

Diese Platte ist wie ein Abend in der Kiezkneipe um die Ecke – ein Potpourri aus altbekannten Gesichtern, einem bisschen Sozialkritik, Einbli-cken ins Seelenleben, politischen Statements und zerstreuendem Spaßgeplänkel. Mono und Nikitaman, die zu den wenigen deutschsprachi-gen KünstlerInnen zählen, die das Label Inde-pendent wirklich verdient haben, erreichen auf Album Nr. 4, was nicht vielen Bands gelingt – ihr Niveau zu halten und unkorrumpiert zu bleiben. Der bekannte „M & N“-Stil, eine Kombination aus Reggae, Dancehall und HipHop, findet sich auf dieser Platte wieder. Unterstützt wird das Duo dabei von Reggae-Artists wie Ce’cile, Re-bellion und Gentleman. An Dynamik mangelt es „Unter Freunden“ nicht, auffallend ist nur, dass die bei den legendären Live-Gigs geliebte Party-musik („Unter Freunden“, „Dezibel“) mit etwas mehr leisen und nachdenklichen Tönen durch-woben ist („Ein paar Meter“, „Showdown“) als auf den letzten Alben. Große Überraschungen können von einem Abend in der Kiezkneipe nicht erwartet werden. Man bekommt aber das, was man sich erhofft hat – schließlich ist man unter FreundInnen. Melanie Schuster

Islaja Keraaminen Pää

Fonal Records / Broken Silence s Bereits er.

„Keramikkopf“ heißt auf Deutsch der Titel des fünften Albums von Merja Kokkonen aka Islaja. Dass die Finnin in ihrer Muttersprache singt, macht das Hörerlebnis noch intensiver: Neben ihrem hellen Gesang mit den kehligen, vokalrei-chen Liedtexten kombiniert Kokkonen Posaune,

Cembalo und Glockenspiel mit synthetischem Bass und liefert eine spannende Kreuzung aus atmosphärischen Weltmusik-Klängen und Clubsounds. In den Songs von „Keraaminen Pää“ passiert unglaublich viel, auch wenn man erst einmal nicht versteht, wovon hier gesun-gen wird. Neben einem schier endlosen Reper-toire an Instrumenten artikuliert Kokkonen mal flüsternd, mal kräftig singend. Das von der Künstlerin, die als finnisches Pendant zu Björk bezeichnet wird, selbst illustrierte Booklet mit den Liedtexten auf Finnisch und Englisch eröff-net eine weitere Möglichkeit, die Musik für sich zu erschließen. Hier werden absurde Träume in detaillierten Beschreibungen wiedergegeben, existentielle Überlegungen, Fernweh, Leiden-schaft und Mystik zum Ausdruck gebracht. Die mit ihrem discotauglichen Experimentalpop er-folgreiche Band Animal Collective hat Islaja be-reits mit auf Tour genommen. Höchste Zeit also, sich der Musik dieser multitalentierten Künstle-rin zu widmen. Amelie Persson

No JoyGhost Blonde

Mexican Summer / Cooperative s VÖ 27.05.

Im Sommer erscheint Simon Reynolds‘ neues Buch „Retromania“, das sich mit der Frage be-fasst, warum viele junge Bands so klingen, als hätten sie ihre Platten vor über zwanzig Jahren aufgenommen. Tatsächlich wurde bisher die Musik jedes Jahrzehnts wiederentdeckt, vom 60s-Garagenbeat über Psychedelik, Hippiefolk, Disco, Punk, Rave bis zum Synthiepop. Für die nächsten Monate wird das große Grunge-Revival erwartet. Auch Laura Lloyd und Jasamine Whi-te-Gluz alias No Joy aus Montreal bedienen sich ausgiebig an der Musik früherer Tage. „Shoega-ze reloaded“ wäre ein passendes Label für ihr Debütalbum „Ghost Blonde“. Denn Bands wie Lush, My Bloody Valentine, Galaxie 500, Sonic Youth und The Jesus and Mary Chain standen unüberhörbar Pate für No Joys Mischung aus Twee, Noise und Shoegaze. Viele, viele Sound-schichten werden aufeinander gelegt, die Vocals kommen von ganz weit her, der Bass vibriert, die Melodien schimmern. Und doch kratzen No Joy an den Rändern und in der Mitte ein biss-chen tiefer als vergleichbare Bands wie Tama-ryn oder Mountain Man: handfeste E-Gitarren bringen Drive in „Maggie Says I Love You“, „You Girls Smoke Cigarettes?“ oder „Still“, das wie eine watteweiche, dabei sehr energiegeladene Neuauflage der Breeders klingt. Das so stati-sche wie schwebende „Indigo Girls“ dagegen ist Shoegaze in Reinkultur: ätherisch, berückend und schön, man verdrückt glatt ein Tränchen da-bei. Aber warum? Ist es nur die Erinnerung an

Musik 81

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vergangene Zeiten? Mister Reynolds, bitte über-nehmen Sie. Christina Mohr

Barbara Panther Barbara Panther

City Slang / Universal s VÖ 16.05.

Gefährlich sieht sie aus, mächtig hört sie sich an. Nicht umsonst hat Barbara Panther ein Faib-le für wilde Kostüme und große Geweihe. Sie ist die Königin verführerischen Sounds und mysti-scher Bilderwelten. Und sie warnt uns: „This is voodoo“. Kein Wunder also, dass ihr selbstbeti-teltes Debütalbum nicht mehr aus dem Ohr ver-schwindet. Panthers einnehmende Stimme, die dynamischen Beats und tiefen Bässe lassen uns zu KämpferInnen im urbanen Wunderland oder VoodootänzerInnen im Club werden – die Kräf-te des Universums immer im Rücken für die Überraschungen der Nacht. Produziert hat das Album niemand Geringeres als Matthew Her-bert. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis Barbara Panther aus dem Aufmarksamkeits-schatten als Support von Bands wie Caribou he-raustritt, und uns um drei Uhr nachts auf einer riesigen Bühne mitnimmt in ihr Königreich. Bis dahin summen wir: „Oh Barbara, take us on a trip“. Liz Weidinger

Gang Gang Dance Eye Contact

4AD / Beggars / Indigo s bereits ersch.

„Glass Jar“ holt uns da ab, wo uns „Saint Dymphna“ aus dem Jahr 2008 zerstört und fas-ziniert zurück gelassen hat. Der Opener und Elf-Minuten-Track des fünften Studioalbums von Gang Gang Dance führt in langsamen, bedach-ten Schritten Richtung Melodie und Pop, die un-ter dichten Klangschichten und rekursivem Ge-schwurbel versteckt liegen. „Eye Contact“ öffnet langsam die Augen und Ohren der HörerIn für mehr Direktheit. Die seit mindestens zehn Jahren existierende Band zwischen Kunst und Musik, zwischen Experiment und Arbeit ver-öffentlicht nun ihr fünftes Studioalbum. Damit setzen sie an, nicht mehr nur die Jahrescharts von Spex und Pitchfork zu erobern. Ihr schwer eingrenzbarer Noise-Sound, der ganz treffend

schon als Weirdo-Dance-Music bezeichnet wur-de, wird in Inhalt und Publikum immer globaler. Markenzeichen bleibt Lizzi Bougatsos ätheri-scher wie unzähmbarer Gesang. Highlights des Albums sind der massive, Dubstep-inspirierte Track „MindKilla“ genauso wie „Romance Lay-ers“, das durch seine cheesy Synthies und die betörende Stimme von Gastsänger Alexis Taylor (Hot Chip) zum loungigen R’n’B-Track wird. Ein Album, das seine Grenzen weit und diffus zieht – toll also. Liz Weidinger

Ada Meine zarten Pfoten

Pampa / Rough Trade s VÖ 10.06.

Kann Ada zaubern? Das Umwerfende an ihrer Musik war immer, dass sie einen auf Tanzkra-cher gebürsteten Klang mit einer unverschäm-ten, romantischen Sensibilität verkuppelte, als wär‘s ein Kinderspiel. Oder ein Traum, zu schön für diese Welt, schillernd und vergänglich wie eine Seifenblase. Genau dieses Märchenhafte ist auf Adas zweitem Album erhalten geblieben, vom Dancefloor vorgegebene Formatierungen hingegen wurden abgeschüttelt. Mit „Meine zar-ten Pfoten“ erfindet sich die Kölner Musikerin, eben nach Hamburg umgezogen, neu, indem sie zu ihren Anfängen vor House und Techno zu-rückgeht: zum Idyll des schlichten Popsongs, mit ihrer Stimme als Zentrum und wichtigstem Aus-drucksmittel. In „Happy Birthday“ zum Beispiel wird der Gesang gestaucht und verbogen wie mit den neuesten UK-Garage-Pitch-Shift-Häckslern, allerdings über einem ebenso gemütlichen wie satten Gute-Laune-Bass, mit Vogelgezwitscher und Lala-Chören im Hintergrund. Bis magische Unbeschwertheit draus wird. Arno Raffeiner

Katharina NuttallTurn Me On

Novoton / Broken Silence s bereits ersch.

Warum verwendet eigentlich niemand mehr die Genrebezeichnung Rock? Gitarrendominierte Bands lassen sich lieber in Indie-, Alternative- oder Heavy-Schubladen stecken, wenn sie nicht noch als folkige Singer/Songwriter durchgehen. Nur Katharina Nuttall nennt das, was sie tut,

noch gerne beim Namen. Die in England auf-gewachsene Norwegerin liefert mit „Turn Me On“ ein drittes Album, auf dem sie in melancho-lischen Tönen die unglückliche Liebe besingt. Ihre Stimme klingt in dem mit einem dynami-schen Gitarrenriff beginnenden Titeltrack „Turn Me On“ so tief, dass man kurz meint, hier singe ein Mann. Doch dies ist kein Kunstgriff wie der ihrer DFA-produzierten Zeitgenossin Planning-torock. Nuttall steht vielmehr für konstante Qualität in einem aussterbenden Genre: Düste-rer, melodischer Rock. Allerdings sind Nuttalls etwas weichgespülten Balladen, die an ruhigere Muse- oder Depeche Mode-Songs erinnern, oft etwas zu vorhersehbar. Oder liegt es am engli-schen PJ-Harvey-Produzenten Head, der bei „Turn Me On“ seine Finger im Spiel hatte, dass einem jeder Refrain vorkommt, als habe man ihn schon hundertmal im Radio gehört? Sicher ist, dass Nuttall, die für ihr Vorgängeralbum „Cher-ry Flavour Substitute“ den Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhielt, im anbrechenden Frühling mit dem schwermütigen „Turn Me On“ keine offenen Türen einrennt. Hören wir einfach im November noch mal rein. Amelie Persson

An Horse Walls

Grand Hotel van Cleef / Indigo s bereits ersch.

Es erfordert schon ein gehöriges Maß an Mis-anthropie, Kate Cooper nicht auf Anhieb sympa-thisch zu finden: wie sie da so verhalten lächelnd ihren Wuschelkopf an die Schulter ihres ähnlich frisierten und etwas melancholisch dreinbli-ckenden Kompagnons Damon Cox lehnt, das ist schon herzig. Und weil bei An Horse, wie sich Cooper und Cox als Band nennen, ehrlicher-weise auch drin ist, was draufsteht, bekommen die HörerInnen ihres aktuellen Albums „Walls“ zwölf schnörkellos-eingängige Indie-Popsongs, die mit nicht mehr als Gitarre, Schlagzeug und Coopers anschmiegsamer Stimme auskommen und in weiten Teilen an die etwas rockigeren Momente von Tegan & Sara erinnern.

Kein Wunder also, dass die beiden Austra-lierInnen, die bis dato gemeinsam als Platten-verkäuferInnen in einem Laden in Brisbane gearbeitet hatten, vor drei Jahren auf Anhieb das Herz von Tegan Quin eroberten: Die nahm An Horse daraufhin umgehend als Vorband mit auf Tour und bezeichnet sie seitdem notorisch als eine ihrer Lieblingsbands. Und ebenso wenig verwunderlich, dass Kate Cooper die erste Frau war, die 2010 bei Grand Hotel van Cleef unter Vertrag genommen wurde, schließlich ist das Hamburger Plattenlabel um Tomte-Mastermind Thees Uhlmann vorwiegend bekannt für Musi-ker des wohltemperierten Indierocks und der

der österreichischen Musikerin Clara Luzia Ma-ria Humpel verhält es sich zum Glück anders: Auf ihrem vierten Album „Falling Into Place“ fügt sich, der Titel unterstreicht es, alles zum Besten. Clara Luzias Texte sind nach wie vor schwermütig und voller Skepsis sich selbst und der Welt gegenüber – sie sagt, dass sie „einfach nichts Fröhliches zu erzählen“ habe. Musika-lisch aber hat sich seit ihren früheren Platten „Railroad Tracks“ und „The Long Memory“ einiges getan, ohne dass Clara einen 180-Grad-Imagewechsel vollführt hätte. Die Songs sind vorwiegend Folk- und Indiepop-geprägt, lassen aber viele neue Einflüsse zu. Das druckvolle Zu-sammenspiel von Klavier und Schlagzeug rückt „Love in Times of War“ in die Nähe der Dresden Dolls, der dynamische Track „I Fall I Fall I Fall“ besticht durch seine ungewöhnliche Instrumen-tierung mit Ukulele, Baglama (türkische Laute) und Charango (südamerikanische Laute). In der Singleauskopplung „Sink Like A Stone“ zitiert Clara Luzia ein jiddisches Lied, das die Dualität von Traurigkeit und Freude hervorhebt. Zusam-men mit ihrer Band entkommt Clara Luzia der Gleichförmigkeitsfalle, in die so viele andere Singer-/Songwriterinnen schon getappt sind. „Falling Into Place“ bleibt im Gedächtnis – und das nicht nur wegen des schicken Coverart-works von Sarah Haas. Christina Mohr

Aura der Nettigkeit.Soviel Wohlerzogenheit kann man natürlich

auch durchaus belanglos finden – aber dass sich Kate Cooper und Damon Cox dessen offensicht-lich bewusst sind und selbstironisch Bandshirts mit der Aufschrift „KC/DC“ verkaufen, das ist zumindest schon wieder, genau: sympathisch. Sonja Erkens

AustraFeel it break

Domino / Good to go s VÖ 16.05.

In einem Interview erzählte Katie Stelmanis, die Sängerin und Musikerin hinter Austra, manch-mal vergesse sie ihre eigenen Lyrics auf der Bühne und überlege sich spontan neue. Für sie als Musikerin steht der Text eindeutig im Hin-tergrund. Dass die Kanadierin ursprünglich eine Karriere an der Oper anstrebte, ist deutlich auf dem atmosphärischen Debut „Feel It Break“ zu spüren. Bevor sie mit der Schlagzeugerin Maya Postepski und dem Bassisten Dorian Wolf Austra gründete, veröffentlichte sie bereits ein Soloalbum mit dem Titel „Join Us“. Ganz dem DIY-Ethos verbunden, produzierte sie die Plat-te selbst und buchte kurzerhand ihre eigene Tour. Auf ihrer ersten Band-Koop sind die Hits nun nur so aneinandergereiht: Das elektroni-sche, synthielastige Album eignet sich sowohl zum Tanzen als auch zum entspannten Hören in einer lauen Frühlingsnacht. Ein Vergleich mit The Knife und Fever Ray drängt sich auf. Der Gesang und die dunklen Liedtitel wie „Hate Cri-me“ oder „The Villain“ erinnern auch an Witch-House-Bands wie Esben and the Witch. Katie Stelmanis bringt es selbst am besten auf den Punkt: „I wanted to make classical music with really fucked up, distorted crazy shit on there.“ Bettina Wilpert

Clara Luzia Falling Into Place

Asinella Records / Broken Silence s bereits ersch.

An Singer-/Songwriterinnen, die zur Akustikgi-tarre gefühlige Lieder hauchen, herrscht wahr-lich kein Mangel. Es fällt zuweilen sogar schwer, die eine von der anderen zu unterscheiden. Mit

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