Klaus Petrus_Intention Und Konvention in Sprechakten

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© Klaus Petrus 2009 Intention und Konvention in Sprechakten, neu überdacht Klaus Petrus Einleitung Auf den folgenden Seiten werde ich eine Reihe von Thesen über illokutionäre sowie eng mit ihnen verwandte Spreachakte aufstel- len und einigermassen detailliert zu begründen versuchen. Die meisten davon weichen, soweit ich sehe, von der traditionellen Sprechakttheorie ab. Dabei meine ich mit ‚traditioneller Sprech- akttheorie’ jenes Theoriengebäude, das in erster Linie das Wesen sowie die Funktionsweise illokutionärer Akte zu erklären bean- sprucht und das ungeachtet seiner Heterogenität auf wenigstens zwei Grundsätzen beruht, die man durchaus als „Dogmen der Sprechakttheorie“ bezeichnen kann: Illokutionäre Akte sind kommunikative Handlungen oder zumin- dest Verständigungsversuche eines bestimmten Schlags. Eine allgemeine Theorie illokutionärer Akte hat im Schema „Konventionalismus/Intentionalismus“ zu erfolgen, d.h.: illoku- tionäre Akte sind entweder eher konventionaler oder aber eher intentionaler Art. Beide Dogmen – sie hängen im Übrigen miteinander zusammen – gehen auf Peter Strawsons einflussreichen Aufsatz „Intention and Convention in Speech Acts“ aus dem Jahre 1964 zurück. Vor allem was die (immer noch anhaltende) Debatte zwischen Intenti- onalisten und Konventionalisten angeht, hängt offenbar viel an der Frage, ob wir mit John Austins Ansatz allein in der Lage sind, einen befriedigenden Rahmen für eine allgemeine Theorie illoku- tionärer Akte zu bauen oder ob wir hierfür auf Paul Grices Bedeu- tungstheorie zurückgreifen müssen. Strawsons war der Auffas-

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© Klaus Petrus 2009

Intention und Konvention in Sprechakten, neu überdacht Klaus Petrus Einleitung Auf den folgenden Seiten werde ich eine Reihe von Thesen über illokutionäre sowie eng mit ihnen verwandte Spreachakte aufstel-len und einigermassen detailliert zu begründen versuchen. Die meisten davon weichen, soweit ich sehe, von der traditionellen Sprechakttheorie ab. Dabei meine ich mit ‚traditioneller Sprech-akttheorie’ jenes Theoriengebäude, das in erster Linie das Wesen sowie die Funktionsweise illokutionärer Akte zu erklären bean-sprucht und das ungeachtet seiner Heterogenität auf wenigstens zwei Grundsätzen beruht, die man durchaus als „Dogmen der Sprechakttheorie“ bezeichnen kann:

• Illokutionäre Akte sind kommunikative Handlungen oder zumin-dest Verständigungsversuche eines bestimmten Schlags.

• Eine allgemeine Theorie illokutionärer Akte hat im Schema

„Konventionalismus/Intentionalismus“ zu erfolgen, d.h.: illoku-tionäre Akte sind entweder eher konventionaler oder aber eher intentionaler Art.

Beide Dogmen – sie hängen im Übrigen miteinander zusammen – gehen auf Peter Strawsons einflussreichen Aufsatz „Intention and Convention in Speech Acts“ aus dem Jahre 1964 zurück. Vor allem was die (immer noch anhaltende) Debatte zwischen Intenti-onalisten und Konventionalisten angeht, hängt offenbar viel an der Frage, ob wir mit John Austins Ansatz allein in der Lage sind, einen befriedigenden Rahmen für eine allgemeine Theorie illoku-tionärer Akte zu bauen oder ob wir hierfür auf Paul Grices Bedeu-tungstheorie zurückgreifen müssen. Strawsons war der Auffas-

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sung, dass es ohne Grice nicht geht. Der Sache nach hat er drei Thesen vertreten:

1) Austin glaubte, ein einheitliches Merkmal illokutionärer Ak-te entdeckt zu haben. Doch hat er sich geirrt. Dass illokutionäre Akte wesentlich konventional sind, trifft bestenfalls auf eine be-stimmte Sorte solcher Handlungen zu, nämlich auf zeremonielle Akte wie Heiraten, Taufen oder Schwören. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl illokutionärer Akte wie Behaupten, Mitteilen oder Warnen, für deren Vollzug keine besonderen Prozeduren oder, wie Austin sich ausdrückt, konventionale Verfahren benötigt wer-den (Strawson 2004: 117ff.).

2) Austin hat zwar richtig gesehen, dass illokutionäre Akte kommunikative Handlungen sind. Hingegen bleibt unklar, worin genau das vom Sprecher intendierte Verständnis – Austin nennt es uptake – besteht und wie es seitens des Adressaten „sicherge-stellt“ wird (ibid.: 121.)

3) Mit Grice, so Strawson schliesslich, wird alles besser (ibid.: 122ff.). Erstens sind wir dank seiner in der Lage, Austins Irrtum zu korrigieren (siehe 1]): Dass ein Sprecher einen illokutionären Akt vollzieht, bedeutet nämlich, dass er mit der betreffenden Äus-serung eine komplexe gricesche Absicht verfolgt. In zahlreichen Fällen reicht die Präzisierung dieser Absicht für eine wenigstens grobe Beschreibung illokutionärer Akte aus; in anderen Fällen muss die Analyse erweitert und ausdrücklich auf gewisse Regeln und Konventionen Bezug genommen werden. Letzteres gilt für die (von Austin korrekt so bezeichneten) konventionalen illokuti-onären Akte, ersteres trifft auf die intentionalen oder kommunika-tiven (und von Austin fälschlicherweise ebenfalls als konventional bezeichneten) illokutionären Akte zu. Zweitens hilft uns Grice, Austins Überlegungen zum securing of uptake zu präzisieren (siehe 2]): Denn falls der Vollzug eines illokutionären Akts im Wesentli-chen darin besteht, dass ein Sprecher eine komplexe Absicht ver-folgt, so hat der Adressat die Äusserung verstanden, wenn er er-kennt, dass der Sprecher diese Absicht hat.

Wie angedeutet, möchte ich auf diesen Seiten eine Auffassung des Illokutionären entwickeln, die in zentralen Punkten von der herkömlichen Sicht abweicht. Da 1) bis 3) die traditionelle Sprechakttheorie nachhaltig beeinflusst haben und in Gestalt der

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obgenannten Dogmen bis auf den heutigen Tag durchdringen, werde ich Strawsons Position zum Anlass nehmen um darzulegen, was illokutionäre Akte tatsächlich ausmacht und was von der durch Strawson initiierten Fusion der Ansätze von Austin und Grice zu halten ist.

Konkret werde ich, was 1) betrifft, zu zeigen versuchen, dass wir mit Austin durchaus über ein Merkmal verfügen, das sämtli-chen illokutionären Akten zukommt: Es sind dies Handlungen, die – in einem allerdings ziemlich unspektakulären Sinne – kon-ventional sind. Jedenfalls steckt hinter Austins Konventionalität des Illokutionären nichts, das einen dazu veranlassen sollte, sich in hitzige und letzten Endes unnötige Grundsatzdebatten der Art „Konventionalismus oder Intentionalismus?“ zu verstricken.

Was 2) angeht, wird sich herausstellen, dass Austin diese These gar nie vertreten hat: Illokutionäre Akte sind nicht zwingend auf Verständigung angelegt – zumindest nicht in dem üblicherweise unterstellten Sinne. Auf diese beiden Punkte, die das Wesen illo-kutionärer Akte betreffen, werde ich im ersten Teil des Aufsatzes eingehen.

Was schliesslich 3) betrifft, so denke ich, dass Grices Theorie der rationalen Verständigung für illokutionäre Akte gar nicht ge-schaffen ist – jedenfalls nicht im gemeinhin erhofften Sinne. Hingegen passt sie recht gut zu einer Sorte von Sprechakten, die man leicht mit illokutionären Akten verwechseln kann und die ich „perillokutionäre Akte“ nennen möchte. Davon wird im zweiten Teil des Aufsatzes die Rede sein. Teil 1: Konvention und Illokution In einem scheint man sich selbst unter Freunden der Sprechakt-theorie einig zu sein: Mit Austins Ansatz allein bringt man es nicht zu einer befriedigenden Theorie illokutionärer Akte. Wie verheis-sungsvoll seine Ausführungen zur Konventionalität auch sein mögen, letztlich – so der von Strawson angeschlagene Tenor – wissen wir zu wenig genau, was illokutionäre Akte in ihrem Kern ausmacht; und damit bleibt auch offen, was sie von anderen

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sprachlichen Handlungen und namentlich von den berühmt-berüchtigten perlokutionären Akten unterscheidet. 1. Illokutionäre Akte Nach meinem Dafürhalten ist diese Einschätzung verfehlt. Der Grund besteht darin, dass Austin durchaus eine klare Vorstellung vom Wesen des Illokutionären hatte: Illokutionäre Akte sind da-durch charakterisiert, dass sie sich auf besondere Weise vollziehen lassen. Diese besondere Vollzugsweise wird mit der folgenden Definition erfasst, die auf Andreas Kemmerling zurückgeht (sie ist bei Kemmerling auf sog. gricy actions zugeschnitten, zu denen je-denfalls auch gewisse illokutionäre Akte gehören; vgl. Kemmerling 1997; 2001; Siebel 2002):

(ILL) Ein Akt Ψ ist illokutionär gdw. es dafür, dass man mit dem, was man tut, Ψ vollzieht, hinreichend ist, dass man mit dem, was man tut, konventional deutlich macht, dass man damit Ψ vollziehen will

Kürzen wir (ILL) informal ab:

(ILL) Ψ ist illokutionär gdw. B(∀S)(∀Ψ)(∃ψ) ΨS ⇐ (ψS & DS(ψS (ψS, WS(ΨS))))

Diese Abkürzungen sind wie folgt zu lesen:

B: Es ist begrifflich notwendig, dass -- ΨS: S vollzieht (eine Handlung vom Typ) Ψ ψS: S tut ψ DS: S macht konventional deutlich, dass -- WS: S will / beabsichtigt –

Natürlich bin ich mir bewusst, dass sich diese Definition so for-muliert bei Austin nicht findet; und ziemlich sicher hätte er ihr, was den Duktus angeht, auch gar nicht zugestimmt. Dennoch werde ich sie bisweilen die „austinsche Definition illokutionärer Akte“ nennen. Der Sache nach bringt (ILL) nämlich exakt auf den

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Punkt, was Austin vor Augen hatte, als er die Essenz illokutionä-rer Akte zu erfassen meinte. 2. Die austinsche Definition illokutionärer Akte Um dies zu belegen, werde ich im Folgenden (ILL) in sechs Schrit-ten erläutern und mich dabei möglichst nahe an Austins Ausfüh-rungen halten. Tatsächlich denke ich, dass alles, was es zum adä-quaten Verständnis dieser Definition bedarf, von Austin selbst gesagt wurde oder zumindest bei ihm angelegt ist. 2.1 Generisch – spezifisch (ILL) handelt vom Wesen illokutionärer Akte: Es geht um die Fra-ge, was irgendein Tun zu illokutionären Akt macht. Dabei kann wenigstens dreierlei gemeint sein, wenn vom Wesen des Illokutio-nären die Rede ist (vgl. Kemmerling 2001: 94). Wer sich um das generische Wesen kümmert, fragt: „Was macht etwas zu einem illo-kutionären Akt?“. Wer sich dagegen für das spezifische Wesen inte-ressiert, fragt z.B.: „Was macht etwas zu einer expositiven Äusse-rung?“, oder auch: „Was macht etwas zu einer Behauptung?“. Wem es schliesslich um das individuelle Wesen geht, möchte wis-sen: „Was macht etwas zur Behauptung, dass Ferdinand ein gefährlicher Stier ist?“.

In (ILL) geht es klarerweise um Generisches. Diesen Punkt im Auge zu behalten, wird für alles Weitere entscheidend sein. Falls Austin Recht hat und Konventionalität den illokutionären Akten in einem generischen Sinne wesentlich ist (und zwar in Gestalt des konventionalen Verdeutlichens oder der konventionalen Expli-zitheit, s.u.), so heisst das nichts weniger, als dass eben dieses Merkmal sämtlichen illokutionären Akten zukommt. Damit aber haben wir mit (ILL) genau das in der Hand, was Austins Kritiker vor allen Dingen vermissen: ein einheitliches Merkmal des Illokutio-nären. Einerlei, was Behauptungen, Warnungen oder Befehle im Spezifischen kennzeichnet oder sie voneinander unterscheidet: Handelt es sich dabei um illokutionäre Akte, so ist ihnen allen gemeinsam, dass sie sich (unter passenden Umständen; s.u.) be-

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reits dadurch vollziehen lassen, dass man konventional verdeut-licht, dass man sie vollziehen will. Hier sind einige Beispiele für Handlungen, die sich ‚(ILL)-mässig’ vollziehen lassen:

behaupten, mitteilen, feststellen, berichten, beschreiben, versprechen, warnen, drohen, auffordern, raten, befehlen

Dass es Austin um Generisches geht, soll natürlich nicht aus-schliessen, dass er es (letztlich) auf das spezifische Wesen illokuti-onärer Akte abgesehen hat. Immerhin steuert er in seinen Vorle-sungen das Projekt einer Klassifikation von Sprechakten an, und es ist gewiss richtig, dass sich hiefür einiges aus der Einsicht ins allgemeine Wesen illokutionärer Akte gewinnen lässt (Austin 1962: 148ff.). Ebenso wenig möchte ich nahe legen, dass sich Austin an keiner Stelle mit dem spezifischen oder gar individuellen Wesen illokutionärer Akte auseinandersetzt. Natürlich tut er dies, und sei es nur, um an bestimmten Beispielen gewisse Dinge besser zu veranschaulichen. Doch dürfte all das vergleichsweise harmlos sein, solange man im Sinne der obigen Unterscheidung darauf achtet, worüber Austin jeweils spricht. 2.2. Type – token In (ILL) geht es um Handlungen vom Typ Ψ und nicht um einzel-ne, datier- und unwiederholbare Handlungsvorkommnisse. Die Definition legt demnach bloss fest, unter welchen Bedingungen z.B. der Sprechakttypus Warnen ein illokutionärer Akt ist. Davon zu unterscheiden ist Deine konkrete Warnung oder meine und freilich auch, was wir im jeweiligen Fall tun, um jemanden zu war-nen (i.e. ψ in (ILL)). Beispielsweise können wir mit den Händen herumfuchteln, eine Grimasse schneiden, eine Zeichnung anferti-gen oder den Satz „Ferdinand ist ein gefährlicher Stier“ äussern. Hauptsache, wir tun etwas, womit wir deutlich machen, dass wir damit jemanden warnen möchten.

Dass (ILL) so gesehen keinerlei nennenswerte Beschränkungen hinsichtlich dessen enthält, was genau jemand zu tun hat, um ei-nen illokutionären Akt zu vollziehen, macht den Wortlaut der Definition so ungebührlich kompliziert. Tatsächlich werde ich

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fortan zumeist die stilistisch schlankere Version benutzen, derzu-folge sich illokutionäre Akte bereits dadurch vollziehen lassen, dass man deutlich macht, dass man sie vollziehen will. 2.3 Explizit – implizit Was (ILL) besagt, hängt massgeblich davon ab, was es mit dem Ausdruck ‚deutlich machen’ auf sich hat. Fragen wir zunächst danach, was genau ein Sprecher beim Vollzug eines illokutionären Aktes verdeutlicht (in Abschnitt 3.1 geht es dann um das Verb selbst). In der sechsten Vorlesung schreibt Austin:

„Generally speaking, then, to make clear both that it is a conventional ceremonial act, and which act it is, the act (for example doing obeisan-ce) will as a rule include some special further feature […].“ (Austin 1962: 69f., seine Hervorhebungen)

Um den entscheidenden Punkt zu erfassen – er betrifft das zusätz-liche Element, das die betreffende Handlung in der Regel enthält –, ist auf den Kontext dieser Passage achten. Austin geht es hier, wie schon in der dritten Vorlesung, um die Unterscheidung zwi-schen explizit und implizit performativen Äusserungen. Genauer gesagt, liegt ihm daran hervorzuheben, dass explizit performative Wendungen der Art „Hiermit Ψ-e ich, dass –“ die in der Sprache weitaus erfolgreichsten Mittel sind, um deutlich zu machen (ma-king explicit), dass man einen performativen bzw. illokutionären Akt vollziehen will und welchen man vollziehen will (z.B. Austin 1962: 32f., 73) („Ψ-en“ steht für einen illokutionären Akt bzw. die illokutionäre Rolle (z.B. Behaupten), die dass-Klausel dahinter für den Gehalt oder die Bedeutung (z.B. dass Ferdinand ein gefährli-cher Stier ist).)

Im Falle impliziter Performativa kann es dagegen immer ge-schehen, dass derlei nicht hinreichend klar wird. Allerdings lässt sich diese Gefahr ein stückweit bannen. Gegen Ende der sechsten Vorlesung nennt Austin eine Handvoll Komponenten, die für implizite Performativa das leisten (sollen), was eine explizit per-formative Wendung vermag (Austin 1962: 73ff.). In dieselbe Rich-

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tung zielt seine Bemerkung im Aufsatz „Performative Utteran-ces“:

„There are a great many devices that can be used for making clear, even at the primitive level, what act it is we are performing when we say something –the tone of voice, cadence, gesture– and above all we can rely upon the nature of circumstances, the context in which the utterance is issued. This very often makes it quite unmistakable whether it is an order that is being given or whether, say, I am simply urging you or entreating you.“ (Austin 1961: 244)

Der für Austin entscheidende Punkt bleibt. Zwar ist es richtig, dass sich mit Hilfe der genannten Mittel auch implizit performati-ve Äusserungen mehr oder weniger klarmachen lassen. Doch selbst dann kann es immer noch sein, dass ihre Bedeutung unklar ist oder dass sie mit der Mannigfaltigkeit unserer sprachlichen Handlungen nicht fertig werden (Austin 1962: 72f.). Bei explizit performativen Äusserungen ist das anders: sie sind in ihrer Bedeu-tung klar und in der Diskriminierung illokutionärer Rollen diffe-renziert genug (Austin 1962: 76).

Der Unterschied zwischen ‚implizit’ und ‚explizit’ ist so gese-hen prinzipieller Art; er besteht darin, dass im einen Fall Unklar-heit (equivocation) oder Undifferenziertheit (inadequate discrimination) möglich ist, diese Möglichkeit im anderen Fall aber ausgeschlossen ist (Austin 1962: 76) – und damit auch eine bestimmte Form von Missverständnis seitens des Adressaten (mehr dazu in Abschnitt 3.1). Um Austins Idee Rechnung zu tragen, werde ich in der Folge zwischen „S macht implizit deutlich, dass er Ψ-en will, dass p“ sowie „S macht explizit deutlich, dass er Ψ-en will, dass p“ unter-scheiden und dabei stets im Auge behalten, dass ein Sprecher S bereits dann explizit deutlich macht, dass er Ψ-en will, wenn er eine explizit performative Äusserung vollzieht. 2.4 Explizit – konventional Den bisherigen Erläuterungen zufolge könnte man (ILL) auch so lesen: Damit ein Akt illokutionär ist, reicht es aus, unter Verwen-dung einer explizit performativen Formel deutlich zu machen, dass man ihn vollziehen will. Was aber hat dies mit konventionalem

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Verdeutlichen zu tun, von dem in (ILL) die Rede ist? Für Austin ist die Antwort nicht bloss nahe liegend, sondern auch folgerich-tig: Explizit performative Äusserungen sind, wenn auch nicht immer selbst sog. konventionale Verfahren, so doch stets Teil sol-cher Prozeduren (Austin 1962: 14). Als solche sind sie die Mittel schlechthin, um auf konventionale Weise zu verdeutlichen, dass man einen illokutionären Akt vollziehen will und welchen man vollziehen will (Austin 1962: 26ff.).

Dass Austin diese Meinung mit Nachdruck vertritt, zeigen nicht zuletzt jene Passagen, in denen er seine implizit/explizit-Unterscheidung aufnimmt und versuchsweise auf Fälle des fehlerhaften Umgangs mit konventionalen Verfahren münzt. Nebst der unvollständigen Durchführung solcher Prozeduren gehören zu diesen Unglücksfällen (infelicities) auch die flaws (Austin 1962: 36). Grob gesagt, kommen solche Trübungen dadurch zustande, dass das konventionale Verfahren nicht auf die vorgesehene Weise korrekt durchgeführt wird (und jemand im entscheidenden Moment statt „lo guiro“ z.B. den Satz „Ay, les treize étoiles“ äussert). In genau diesem Zusammenhang meint Austin nun:

„The use of inexplicit formulas might be put under this heading.“ (Austin 1962: 36)

Illokutionäre Akte können also offenbar bereits dann verunglü-cken, wenn sich S nicht einer explizit performativen Wendung bedient. Trifft dies zu, wäre die nicht-explizite Durchführung des konventionalen Verfahrens entsprechend den Unglücksfällen anzurechnen, die ihrerseits in die Rubrik der flaws fallen. Dabei beachte man: Es geht hier (nicht um sog. Γ-Situationen (Austin 1962: 39ff.), sondern ausschliesslich) um Unglücksfalle, bei denen der betreffende illokutionäre Akt vereitelt wird und also null und nichtig ist. Damit wäre im Gegenzug die explizite Durchführung des konventionalen Verfahrens eine Voraussetzung des erfolgrei-chen Vollzugs illokutionärer Akte. Mit anderen Worten gehörte konventionales Deutlichmachen oder, wie ich fortan auch sagen werde, konventionale Explizitheit zu den Vollzugsbedingungen illo-kutionärer Akte.

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2.5 Vollzugsweise – Vollzugsbedingung Nun ist es zwar richtig, dass Austin erwägt, die nicht-explizite Durchführung der Prozedur in seine Liste von Unglücksfällen aufzunehmen und der Rubrik der flaws zuzuordnen. Doch gibt es keine Stelle, die darauf hinweisen würde, dass er dies auch wirklich umzusetzen versucht. Auch unterlässt es Austin, aus der nicht expliziten Durchführung einen eigenen Unglücksfall zu schustern und, abermals im Gegenzug, die Liste seiner Regeln A.1 – B.2 (Austin 1962: 14f.) noch um diese anzureichern:

The procedure must be executed by all participants explicitly Der Grund, weswegen Austin weder das eine noch das andere tut, ist für sein Verständnis des konventionalen Wesens illokutionärer Akte allesentscheidend. Er besteht darin, dass es sich bei der ex-pliziten Durchführung des Verfahrens genau genommen nicht um eine (sei es normale oder besondere) Vollzugsbedingung handelt. Geht es um die explizite Durchführung konventionaler Verfahren, so ist nicht von einer Voraussetzung die Rede, unter der illokutio-näre Akte vollzogen werden, sondern von der Vollzugsform, der Art und Weise also, wie sie sich vollziehen lassen. Nehmen wir zur Veranschaulichung dieses Punkts die folgende Regel:

„A.2 The particular persons and circumstances in a given case must be appropriate for the invocation of the particular procedure invo-ked.“ (Austin 1962: 15, 34)

Sodann malen wir uns einen dazu passenden Unglücksfall aus: Ernesto erteilt Gioacchino einen Befehl, entbehrt jedoch der ent-sprechenden Befehlsgewalt. Ein solcher Fall gibt uns darüber Auskunft, was es braucht, damit der betreffende illokutionäre Akt vollzogen ist. Wer z.B. einen Befehl erteilen will, muss hierzu nun einmal befugt sein, er bedarf der erforderlichen Autorität. Andern-falls ist das, was er tut, kein Befehl (vielleicht ist es eine Aufforde-rung). Und doch verrät uns all dies nichts über die Vollzugsweise illokutionärer Akte. Damit meine ich nicht, dass der Hinweis auf die entsprechende Befugnis nichts über (gewisse) illokutionäre

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Akte aussagt oder dass er uns etwas über die Art und Weise, wie sich illokutionäre Akte vollziehen lassen, berichten müsste. Das ist seine Sache nicht. Der Hinweis auf die Vollzugsbefugnis soll ein Hinweis darauf sein, unter welchen Voraussetzungen (spezifische) illokutionäre Akte vollzogen werden – und nicht einer darauf, wie sie sich vollziehen lassen.

Im Falle der konventionalen Explizitheit ist genau dies nun a-ber anders. Konventionale Explizitheit sagt uns allererst etwas über die Vollzugsweise illokutionärer Akte aus. Wer wissen will, wie solche Akte vollzogen werden, dem wird man antworten: indem S konventional verdeutlicht, dass er einen illokutionären Akt voll-zieht bzw. welchen er vollzieht (Austin 1962: 70). Wie gesehen, lässt sich diese Explizitheit bereits dadurch erreichen, dass sich S einer explizit performativen Wendung bedient. Dabei liegt das Besondere explizit performativer Äusserungen nicht bloss darin, dass man mit ihnen klar genug und hinreichend differenziert deut-lich macht, welchen illokutionären Akt man vollziehen will. Das Eigentümliche solcher Äusserungen besteht zugleich darin, dass hiermit ein bestimmter Sachverhalt konstituiert wird – nämlich der Sachverhalt, dass S z.B. ein Versprechen abgelegt hat (Austin 1962: 69f.). Vergleichbares gilt für die Befugnis nicht: dass S über die erforderliche Autorität verfügt, dies allein schafft noch keinen Sachverhalt – jedenfalls keinen das Illokutionäre selbst betreffen-den.

Natürlich ist anzumerken, dass ein illokutionärer Akt mit der schieren explizit performativen Äusserung nicht schon (oder in jedem Fall) ausgeführt ist. Zwar mag S in solch einer Situation alles getan haben, was er tun konnte; die Möglichkeit eines Un-glücksfalls aber bleibt. Doch bedeutet dies keine Einschränkung des oben Gesagten, sondern trifft gerade den Unterschied, auf den es ankommt. Denn die (etwaigen) Unglücksfälle, um die es hier geht, betreffen die Vollzugsbedingungen illokutionärer Akte und nicht ihre Vollzugsweise. Dass sich illokutionäre Akte vollziehen lassen, indem man konventional explizit ist, gilt unabhängig da-von, ob die Vollzugsbedingungen erfüllt sind. (Freilich, sind sie erfüllt, so ist der betreffende illokutionäre Akt auch wirklich voll-zogen.) Der Punkt, auf den es ankommt, betrifft also zweierlei Fragen: „Auf welche Weise lassen sich illokutionäre Akte vollzie-

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hen?“ (Verkürzte) Antwort: „Indem man konventional explizit ist.“ Und: „Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit sich ein spezifischer illokutionärer Akt (auf diese Weise) vollzie-hen lässt?“ (Selektive) Antwort: „Man muss hierzu befugt sein.“

Fassen wir kurz zusammen: Konventionale Explizitheit gehört nicht zu den Vollzugsbedingungen illokutionärer Akte – sie hat mit dem Illokutionären selbst zu tun. Denn das Besondere dieser Akte besteht darin, dass sie sich vollziehen lassen, indem man auf konventionale Weise deutlich macht, dass man sie vollziehen will. Konventionale Explizitheit, mit anderen Worten, liefert uns den Schlüssel zum eigentlichen Verständnis illokutionärer Akte: Was solche Handlungen in ihrem Kern ausmacht, ist nicht eine mehr oder weniger festgelegte Zeremonie, sondern hat mit der Art und Weise zu tun, wie sie sich vollziehen lassen. Darin besteht der tiefere Sinn von (ILL). 2.6 Notwendig – hinreichend Trifft diese Deutung zu, so lautet die nächste Frage: Weshalb ist in (ILL) bloss von einer hinreichenden Bedingung die Rede? Wieso lautet die Definition nicht: Ψ ist illokutionär gdw. es dafür, dass man Ψ vollzieht, notwendig ist, dass man konventional verdeutlicht, dass man Ψ vollziehen will?

Wie weiter oben bereits angedeutet, ist die implizit/explizit-Unterscheidung prinzipieller Art. Nur bei expliziten, nicht aber bei impliziten Performativa ist die Möglichkeit ausgeschlossen, dass ein illokutionärer Akt verunglückt.1 Bedient sich S einer explizit performativen Wendung, so hat er Austin zufolge alles getan, was er von sich aus tun konnte. Insbesondere hat er auf diese Weise vermieden, dass sich auf Seiten des Adressaten ein durch ihn – also durch S – verschuldetes Missverständnis einstellt. Macht S auf

1 Zur Erinnerung: Es geht ab jetzt allein um die Vollzugsweise illokutionärer

Akte. Die Vollzugsbedingungen lassen wir bei Seite, bzw. wir wollen einfach davon ausgehen, dass sie im jeweiligen Fall erfüllt sind. Unter der Voraussetzung, dass S über die erforderliche Vollzugsbefugnis verfügt etc., lautet die Frage also: Warum ist es dafür, dass man einen illokutionären Akt vollzieht, bloss hinreichend und nicht notwendig, dass man konventional verdeutlicht, dass man ihn vollziehen will?

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diese Weise explizit, dass er Ψ-en will, so stellt sich nämlich ein Verständnis ein, welches als das richtige Verständnis festgelegt ist. Entsprechend ist A in diesem Sinne darauf festgelegt, Ss Tun als Ψ-en aufzufassen; anderes steht ihm nicht zu (mehr dazu in Ab-schnitt 3.1). In der Tat spricht dies für die stärkere Version von (ILL). Weil illokutionäre Akte nur dann vollzogen sind, wenn durch S verschuldetes Missverständnis ausgeschlossen ist, und weil derlei Missverständnisse nur dann ausgeschlossen sind, wenn sich S einer explizit performativen Äusserung bedient bzw. kon-ventional explizit ist, ist es dafür, dass ein illokutionärer Akt voll-zogen ist, notwendig, dass S auf konventionale Weise deutlich macht, dass er ihn vollziehen will.

Auf der anderen Seite räumt Austin ein, dass sich auch mit im-plizit performativen Äusserungen hinreichend deutlich machen lässt, welchen illokutionären Akt man damit vollziehen will (s.o., Abschnitt 2.3). Allerdings ist hier zweierlei auseinander zu halten. Dass sich solches faktisch verdeutlichen lässt, ist eine Sache. Dafür gibt es reichlich Mittel (Austin nennt u.a. den Modus, die Beto-nung, besondere Gesten oder günstige Umstände). Dass sich mit implizit performativen Äusserungen im Prinzip verdeutlichen lässt, welchen illokutionären Akt man vollziehen will, ist eine andere Sache. Hier gibt es bloss eines: Es muss möglich sein, implizit performative Äusserungen unter Verwendung entsprechend expli-zit performativer Floskeln zu vollziehen (Austin 1962: 61f. und 68).

Gewiss, dieses Prinzip der Explizitheit mag Probleme bergen. In der sechsten Vorlesung diskutiert Austin eine Reihe von Strate-gien, Implizites in Explizites zu verwandeln und macht hier und dort Eingeständnisse (Austin 1962: 69f.). Insbesondere räumt er ein, dass die entsprechende explizit performative Wendung mitunter nicht zur Hand sei oder die Sprache sie noch nicht hervorgebracht habe. Der für ihn entscheidende Sinn dieses Prinzips aber bleibt bestehen: Gegeben das jeweilige Explizitheitsspektrum einer Spra-che, muss es möglich sein, eine beliebige implizit performative Äusserung unter Verwendung der entsprechend explizit performa-tiven Floskel zu vollziehen.

Was ergibt sich daraus für unsere Frage? Wenn implizite Per-formativa, wenigstens im Prinzip, in explizite transformiert wer-

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den können, so lässt sich, wenigstens im Prinzip, mit implizit per-formativen Äusserungen explizit machen, welchen illokutionären Akt man damit vollziehen will – was nichts anderes heisst, als dass in einem solchen Fall, im Prinzip wenigstens, die Möglichkeit zu verunglücken ausgeschlossen ist. Noch einmal: de facto wird sie niemals auszuschliessen sein, im Prinzip dagegen ist sie ausge-schlossen. Und nur um letzteres geht es hier. Denn genau das lässt zu, dass sich illokutionäre Akte faktisch auf andere Art vollziehen lassen als auf konventionale Weise – wenn sich diese de facto-Fälle nur, um es noch einmal zu sagen, im Prinzip in explizite um-formulieren lassen. Kurz und bündig: Könnte bloss über explizite Performativa Explizitheit erreicht werden, müsste (ILL) eine not-wendige Bedingung enthalten; weil es im Prinzip aber möglich ist, implizit performative Äusserungen in explizite zu transformieren, trifft die schwächere Variante zu. 3. Konsequenzen der austinschen Definition Ich möchte an dieser Stelle die Erläuterungen zur austinschen Definition abschliessen und noch auf zwei Konsequenzen einge-hen, die sich unmittelbar aus (ILL) ergeben. 3.1 Faktisch – normativ Die erste Konsequenz mag auf Anhieb ein Detail betreffen. ‚Deutlich machen’ ist in (ILL) als faktives Verb zu lesen: Der Spre-cher S kann mit ψ nicht deutlich machen, dass er Ψ vollziehen will, wenn es nicht der Fall ist, dass er mit ψ Ψ-en will. Gemäss Definition geht es allerdings nicht bloss darum, dass ein illokutio-närer Zweck faktisch (immer) erfüllt ist, wenn man verdeutlicht, dass man ihn vollziehen möchte, sondern darum, dass dem aus begrifflichen Gründen so ist (i.e. B; vgl. Kemmerling 2001: 89; Sie-bel 2002: 147). Illokutionäre Akte sind ihrem generischen Wesen und so gesehen dem Begriffe nach Handlungen, die sich (ILL)-mässig ausführen lassen, i.e. bereits dadurch vollzogen sind, dass man deutlich macht, dass man sie vollziehen will.

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Nun wäre es aber falsch, hieraus zu schliessen, das Verdeutli-chen dieses Wunsches (oder, wenn man so will, dieser Absicht, dieses Zwecks etc.) sei notwendig, um einen illokutionären Akt zu vollziehen.2 Das ergibt sich bereits aus dem im vorhergehenden Abschnitt Gesagten. In (ILL) ist von einer hinreichenden Bedingung die Rede. Weder wird behauptet, dass illokutionäre Akte nur aus-geführt werden können, wenn S den besagten Wunsch explizit macht, noch wird verlangt, dass derlei Handlungen überhaupt irgendwelche Wünsche involvieren, die zu verdeutlichen wären.

Ebenso wenig implizieren Zuschreibungen der Art „S macht (konventional) deutlich, dass p“, dass für jemanden deutlich wird, dass p. S mag, indem er seine Hand hebt, deutlich machen, dass er die Adressatin A damit grüssen möchte – und er mag auf diese Weise A faktisch gegrüsst haben –, ohne dass dies A klar wurde. Mit anderen Worten: Eine Analyse der Zuschreibung „S macht deutlich, dass p“ ergibt im Kontext von (ILL) keine Spezifikation, die auf Zuschreibungen der Art „Für A wird deutlich/A versteht, dass p“ oder „S beabsichtigt, dass für A deutlich wird/dass A versteht, dass p“ schliessen lässt. Der austinschen Definition zu-folge hängt der erfolgreiche Vollzug eines illokutionären Akts also nicht davon ab, ob A tatsächlich versteht, dass und welchen illoku-tionären Akt S vollziehen will.

Auf den ersten Blick scheint all das nicht mit Austins Ansich-ten einher zu gehen, heisst es doch an einer Stelle seiner famosen Vorlesungreihe How to Do Things With Words:

„So the performance of the illocutionary act involves the securing of uptake.“ (Austin 1962: 117)

Wie passt das dennoch zusammen? In Abschnitt 2.4 wurde gesagt, dass ein illokutionärer Akt bereits dann verunglücken kann, wenn sich S nicht einer explizit performativen Formel bedient. In einem solchen Fall hat S nämlich nicht alles getan, was er von sich aus

2 Austin selbst würde wohl sagen: mit welcher illokutionären Rolle die be-

treffende Äusserung beabsichtigt oder gemeint ist (vgl. z.B. Austin 1962: 98). Ich werde diese Redeweise zu vermeiden versuchen, da sie unnötig zu Konfusion führt. bzw. weil man auf die (irrige) Idee kommen könnte, eine Parallele zum griceschen Meinen zu konstruieren.

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hätte tun können, um auf Seiten von A ein Missverständnis (be-züglich der Rolle seines Tuns) zu verhindern. Stellt sich ein sol-ches Missverständnis tatsächlich ein, so ist es entsprechend durch S verschuldet worden. Macht S hingegen konventional explizit, dass er Ψ-en will, so ist damit ein gewisses Verständnis als richti-ges Verständnis festgelegt. Mithin ist in solchen Fällen auf Seiten von A eine ganz bestimmte Form von Missverständnis – nämlich: ein durch S verschuldete Missverständnis – ausgeschlossen. Und das wiederum heisst nun: Es ist nicht bloss so, dass festliegt, welches Verständnis richtig ist, falls S konventional explizit ist. Vielmehr ist Verstehen damit bereits garantiert. Unter der Bedingung, dass S konventional explizit ist, ist richtiges Verstehen somit stets erwart-bar. Insbesondere bedarf es nichts, was zur konventionalen Expli-zitheit noch hinzukommen müsste, damit – wie ich es nennen möchte – normatives Verstehen festliegt. Genau dieser Gedanke ist es, der Austins securing of uptake zugrunde liegt. „Securing of uptake“ heisst nicht bloss: absichern im Sinne der Verstehensbe-dingung, sondern immer auch: Verstehen garantieren.

In dieser Deutung besteht der Zusammenhang zwischen Aus-tins uptake und seiner Auffassung von Konventionalität schlicht darin, dass es sich beim Verstehen um ein sog. konventionales Er-gebnis des erfolgreichen Vollzugs illokutionärer Akte handelt (vgl. Austin 1962: 103, 110, 115f.). Dabei beachte man: Mit einem kon-ventionalen Ergebnis kommt gegenüber der in (ILL) behaupteten Konventionalität der Vollzugsform keine neue oder nur schon zusätzliche Form von Konventionalität ins Spiel. ‚Konventional’ heisst ein solches Ergebnis nicht deshalb, weil es eine Konvention K gibt, die in irgendeiner Weise Verstehen ‚regelt’ und die durch eine andere Konvention K* ersetzt werden könnte. Seinen Namen verdankt das konventionale Ergebnis allein dem Umstand, dass es zwingend statthat, falls illokutionäre Akte, die ob ihrer besonderen Vollzugsweise immer auch konventionale Akte sind, erfolgreich vollzogen werden.3 Anders gesagt: uptake oder normatives Verste-

3 Das gilt nicht bloss fürs uptake, sondern trifft auf konventionale Ergebnisse

allgemein zu. Dass jemand, der z.B. ein Versprechen ablegt, fortan verpflichtet ist, sich ans Versprochene zu halten, ist nicht Sache einer Konvention. Andern-falls ließe sich (auch in Austins Verständnis) diese Konvention durch eine andere ersetzen, die den Witz der ursprünglichen Konvention konservierte. Das aber ist

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hen ist insofern ein konventionales Ergebnis, als es genau dann ein-tritt, wenn ein konventionaler Akt vollzogen wird. Dass ein Akt Ψ illokutionär ist, heisst ja nichts anderes, als dass er sich (im Prin-zip) auf (ILL)-mässige Weise vollziehen lässt; und dass sich Ψ auf diese Weise vollziehen lässt, heisst, wie zuvor angedeutet, nichts anderes, als dass Verstehen nicht bloss abgesichert, sondern zugleich garantiert ist (dazu ausführlich Petrus 2005; vgl. auch Savigny 1974: 142ff.).

So gesehen gehört alles, was zum Begriff des Illokutionären ge-hört, auch zum Begriff des securing of uptake. Oder wie Austin an der oben zitierten Stelle ganz richtig sagt: Der (ILL)-mässige Voll-zug illokutionärer Akte involviert begrifflich zwingend normatives Verstehen. Ob A tatsächlich versteht, welchen illokutionären Akt S ausführen will, ist dabei nebensächlich. Wenngleich also der Vollzug illokutionärer Akte normatives Verstehen involviert, hängt er doch in keiner Weise vom faktischen Verstehen ab. Kon-ventionale Explizitheit mag zwar faktisches Verstehen nach sich ziehen, doch muss dem nicht so sein. Erstens kann faktisches Verstehen festliegen, obschon S nicht konventional explizit war, und zweitens ist (durch A verschuldetes) Missverständnis auch dann möglich, wenn S konventional explizit ist. So oder so bedarf es im Falle faktischen Verstehens eines Rests, der zum Vollzug eines illokutionären Aktes hinzukommen muss, damit es sich auch wirklich einstellt. Oder wie man auch sagen könnte: Während es sich beim normativen Verstehen um ein konventionales Ergebnis des Vollzugs eines illokutionären Aktes handelt, hat faktisches Verstehen den Anstrich einer perlokutionären Wirkung.

nicht möglich, denn eine Ersetzung der betreffenden Konvention bzw. der entsprechenden Regeln und Pflichten hätte schlechterdings die Ersetzung des betreffenden Sprechaktes zur Folge (vgl. auch Kemmerling 1997: 83). Zum Begriff des Versprechens gehört (bis anhin) nun einmal, dass derjenige, der ein Versprechen ablegt, sich ans Versprochene hält. Und auch jetzt gilt: Derlei Er-gebnisse gehen zwingend mit dem Vollzug (spezifischer) illokutionärer Akte einher, und der Vollzug solch konventionaler Akte zeitigt notgedrungen Ergeb-nisse dieser Art; deswegen, und allein deshalb, heissen sie konventionale Ergebnis-se.

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3.2 Wesentlich konventional – unerheblich konventional Es lohnt sich, noch einmal hervorzuheben, dass sich das Konventio-nale illokutionärer Akte allein dem Umstand verdankt, dass sie sich auf (ILL)-mässige Weise vollziehen lassen. Dies ist der einzig rele-vante Sinn von ‚konventional’, wenn es um die Charakterisierung illokutionärer Akte als konventionale Handlungen geht. Mithin ist auch gar nicht ausgeschlossen, dass es andere Formen von Kon-ventionalität geben mag, die in den Vollzug illokutionärer Akte hineinspielen. Nur betreffen sie nicht ihr allgemeines Wesen und sind so gesehen unerheblich. (Dass, entgegen allem Anschein, mit den konventionalen Ergebnissen keine neue oder nur schon zu-sätzliche Art von Konventionalität ins Spiel kommt, wurde bereits gesagt.) Austins Auffassung schliesst also keineswegs aus, dass Konventionen das spezifische (oder individuelle) Wesen illokutio-närer Akte bestimmen können. Der Punkt ist: Niemals ist eine solche spezifische (oder individuelle) Konventionalität gemeint, wenn in (ILL) vom konventionalen Wesen illokutionärer Akte die Rede ist. Wie andere, weiss auch Austin sehr genau, dass im Gebrauch der Sprache Konventionen manchmal eine eminente, bisweilen eine unmerkliche und mitunter überhaupt keine Rolle spielen. Was aber ist damit für eine Analyse illokutionärer Akte gewonnen? Seine Antwort lautet: Nichts. Falls diese Einsicht für bestimmte Typen illokutionärer Akte zutrifft, die aufgrund ihrer konventionalen Anteile von anderen unterschieden werden (Be-fehlen etwa vom Auffordern), so geht sie am Punkt vorbei. Denn das eigentlich Konventionale illokutionärer Akte betrifft ihr all-gemeines und nicht ihr spezifisches (oder gar individuelles) We-sen.4 Und sollte sie doch Generisches betreffen, ist stets vor Au-

4 Dieser Punkt ist auch dann vor Augen zu halten, wenn man zeigen wollte, dass Konventionalität illokutionären Akten nicht wesentlich ist; andernfalls läuft man (wie v.a. Petrus 2001) leicht Gefahr, auf Abwege zu geraten. An einem Beispiel gesagt: Austin scheint der Auffassung zu sein, dass die fürs Befehlen erforderliche Befugnis per conventionem erworben wird. Nun mag man nachweisen, dass dem nicht so ist – etwa, indem man darlegt, dass zum Begriff des Befehlens zwar der Begriff „--hat die Befugnis, Handlungen vom Typ X zu tun“ gehört, es jedoch nicht zu diesem Begriff der Befugnis gehört, dass sie auf konventionalem Wege erworben wird (vgl. Kemmerling 1997: 97; Petrus 2002: 144f.) Was aber wäre damit gezeigt? Dass illokutionäre Akte nicht wesentlich konventional sind?

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gen zu halten, dass (ILL) bloss eine hinreichende, nicht aber not-wendige Bedingung enthält. Austin ist mitnichten auf die Behaup-tung festgelegt, illokutionäre Akte seien zwingend konventionale Akte. Seine Auffassung von Konventionalität lässt im Gegenteil zu, dass sie faktisch auf eine Weise vollzogen werden, die Kon-ventionen mehr oder weniger involvieren – oder auch gar nicht. Ob die faktische Vollzugsweise illokutionärer Akte in Begriffen von Konventionen analysiert wird oder nicht, ist in seinem Ver-ständnis des konventionalen Wesens dieser Handlungen unerheb-lich. 4. Illokution, Konvention und Kommunikation Bislang habe ich versucht, auf zwei Vorbehalte einzugehen, die bereits Strawson an Austins Analyse illokutionärer Akte herange-tragen hat. Der erste ist grundlegender Art und läuft darauf hin-aus, dass wir über kein einheitliches Merkmal des Illokutionären verfügen (s.o., Einleitung, 1]). Ich hoffe gezeigt zu haben, dass dieser Vorbehalt ungerechtfertigt ist und wir dank Austin durch-aus wissen, was illokutionäre Akte in ihrem Kern ausmacht: Es sind dies Handlungen, die wesentlich konventionaler Art sind. Konventional sind sie insofern, als sie sich bereits dadurch vollzie-hen lassen, dass man auf konventionale Weise verdeutlicht, dass man sie vollziehen will; und wesentlich konventional sind sie inso-fern, als diese besondere Vollzugsweise ihr generisches Wesen bestimmt.

Der zweite Vorbehalt betrifft Unklarheiten bezüglich Austins These, dass illokutionäre Akte kommunikativer Art sind oder zumindest auf Verständigung ausgerichtet sind (s.o., Einleitung,

Dann würde man Austins Aussagen übers Befehlen als exemplarische Aussagen über das generische Wesen illokutionärer Akte deuten, was offenkundig falsch ist. Oder hätte man gezeigt, dass wenigstens gewisse illokutionäre Akte nicht wesentlich konventional sind? Dann müsste man unterstellen, dass für Austin die betreffende Befehlsbefugnis zwingend über Konventionen erworben wird. Lässt sich das erhärten, so hätte er sich geirrt, falls nicht, so würde er nicht einmal über das spezifische Wesen geredet haben. Wie auch immer, seine Auffassung vom konventionalen Wesen illokutionärer Akte wäre damit nicht zurückgewiesen, ja nicht einmal berührt worden.

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2]). Hier wiederum hoffe ich gezeigt zu haben, dass Austin eine solche These – jedenfalls in dem von Strawson und anderen un-terstellten Sinne – gar nie vertreten hat. Gewiss, die besondere Vollzugsweise illokutionärer Akte involviert, wie in Abschnit 3.1 dargelegt, bereits begrifflich gesehen normatives Verstehen. Doch damit hat es sich. Insbesondere hängt der Vollzug illokutionärer Akte in keiner Weise vom faktischen Verstehen des Adressaten ab. Entsprechend ergibt es auch keinen Sinn, sie als Handlungen zu verklären, die auf Verständigung ausgerichtet sind. Ebenso wenig sind illokutionäre Akte, wie es gerne heisst, Verständi-gungsversuche oder darauf angelegt, als solche verstanden zu werden. Selbst wenn wir ‚verstehen’ im normativen Sinne neh-men, ist kaum einzusehen, was damit gemeint ist. Oder was könn-te es heissen, dass ein Sprecher darauf abzielt oder beabsichtigt, normatives Verstehen zu erzielen? Normatives Verstehen ist, wie gesagt, ein konventionales Ergebnis und liegt seines Zeichens genau dann fest, wenn ein illokutionärer Akt erfolgreich vollzogen wird. Die Absicht hegen, derlei Verstehen zu erzielen, würde ent-sprechend nichts anderes bedeuten als beabsichtigen, eine Hand-lung vom Schlage eines illokutionären Akts zu vollziehen.

Es wird schwer sein, solch einer Einsicht etwas Interessantes über das Wesen des Illokutionären abzugewinnen. Mit anderen Worten mögen illokutionäre Akte zwar besonders effiziente oder vielleicht sogar unverzichtbare Mittel sprachlicher Verständigung sein (s.u., Abschitt 9f.). Doch hängt ihr erfolgreicher Vollzug nicht davon ab, ob Kommunikation zustande kommt oder nur schon intendiert ist: Illokution ist das eine, Kommunikation ist etwas anderes. Teil 2: Intention und Perillokution Sollte ich mit meinen Überlegungen richtig liegen, so sind wir – entgegen Strawsons Vorschlag – nicht auf Grices Bedeutungsthe-orie angewiesen, um Austins vermeintliche Irrtümer auszubügeln (s.o., Einleitung, 3]). Nichtsdestotrotz könnte es sein, dass illoku-tionären Akten nebst ihrem konventionalen Element noch etwas Griceliches anhaftet. Im verbleibenden Teil des Aufsatzes möchte

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ich daher der Frage nachgehen, ob und gegebenenfalls in welchem Sinne derlei Sprechakte intentional sind. Weil ich bis auf weiteres davon ausgehen werde, dass mit (ILL) das generische Wesen illo-kutionärer Akte korrekt erfasst ist, läuft diese Frage darauf hinaus, ob der austinischen Definition illokutionärer Akte zwingend ein griceliches Element innewohnt. 5. Grices Theorie der Bedeutung Grices ursprüngliche Analyse war bekanntlich darauf ausgerichtet zu explizieren, was es heisst, dass ein nicht-natürliches Zeichen etwas bedeutet und was es bedeutet; sie lautet (Grice 1989: 213-223):

„S meinte mit x etwas“ heisst: (i) S beabsichtigte mit x, dass A die Reaktion r zeigt (ii) S beabsichtigte mit x, dass A erkennt, dass S mit x beabsichtig-

te, dass A r zeigt (iii) S beabsichtigte mit x, dass A aufgrund der Erkenntnis, dass S

mit x beabsichtigte, dass A r zeigt, tatsächlich r zeigt Dass ein Zeichen oder (in einem denkbar weiten Sinne des Wor-tes) eine Äusserung x Bedeutung hat, heisst demnach, dass der Sprecher S mit ihm etwas meint; und das wiederum heisst, dass er die Absicht hat, bei der Adressatin A eine bestimmte Reaktion oder Wirkung r hervorzurufen – und zwar dadurch, dass er möch-te, dass A erkennt, dass er diese Absicht hat. Was x bedeutet, rich-tet sich nach Grice danach, was S mit ihm meint, bzw. welche Reaktion er seitens A herbeizuführen beabsichtigt.

Man bemerkt leicht: Von Sprechakttheorie ist hier nicht die Rede. Und doch denken nicht wenige, dass sich Grices Analyse für eine Theorie des Illokutionären bestens nutzen lässt – so man denn gewillt ist, wenigstens drei Etappen zurückzulegen.5

5 Nach Auffassung anderer Autoren ist der gricesche Ansatz zum Vornher-ein auf perlokutionäre Effekte angelegt. Jene, die am sprechakttheoretischen Grundsatz festhalten, demzufolge Illokutionäres nicht mit Perlokutionärem zu erklären sei, werden also schon aus diesem Grunde die nachfolgenden Etappen nicht zurücklegen wollen (z.B. Alston 2000). Diejenigen hingegen, die an diesen

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1. Etappe: Interpretiere gricesches Mit-einer-Äusserung-etwas-meinen als rationaler Beeinflussungsversuch (vgl. Kemmerling 1986). Um einen Beeinflussungsversuch handelt es sich insofern, als S möchte, dass A auf bestimmte Weise reagiert, wobei Grice zufolge diese Reaktion entweder darin besteht, dass A etwas glaubt, oder aber darin, dass A die Absicht fasst, etwas zu tun. Rational ist ein solcher Beeinflussungsversuch in wenigstens zweierlei Hinsicht. Erstens hat S Gründe für die Wahl eines bestimmten Zeichens x, wobei zu diesen Gründen gehört, dass er darauf bauen kann, dass A angesichts von x erkennt, dass S möchte, dass A r zeigt und A aufgrund dieser Erkenntnis tatsächlich r zeigt. Zweitens sind gri-cesche Beeinflussungsversuche insofern rational, als die von S erwünschte Reaktion unter der Kontrolle von A steht, was heisst, dass A ihrerseits Gründe hat, r zu zeigen, und mit zu diesen Gründen gehört, dass A erkennt, dass S von ihr möchte, dass sie so reagiert.

2. Etappe: Fasse Beeinflussungsversuche à la Grice als rationa-le Verständigungsversuche auf (vgl. Meggle 1981) und damit als Ko-operationsspiele, die verlangen, dass entweder beide, S und A, gewinnen oder aber beide verlieren: S gewinnt nur dann, wenn A erkennt, was S mit x beabsichtigt; und das gelingt ihm nur dann, wenn für A auch wirklich deutlich wird, was S im Schilde führt (vgl. Petrus 1999). All dies verlangt natürlich, dass wir Grices Ana-lysandum „S meinte mit x etwas“ (mehr oder weniger stillschwei-gend) in „S versucht mit x etwas zu kommunizieren“ verwandeln. Auch diese Modifikation dürfte auf Strawson zurückgehen. Jeden-falls stand für ihn fest:

„Grice’s analysis is undoubtedly offered as an analysis of a situation in which one person is trying, in a sense of the word ‚communicate’ fundamental to any theory of meaning, to communicate with a-nother.“ (Strawson 2004: 120)

Grundsatz vorbeisehen, werden es sehr wohl tun und zu bedenken geben, dass ohnehin jeder Effekt, der mit einem Sprechakt erzielt werden soll, ein perlokuti-onärer Effekt ist (z.B. Ulkan 1992). Ich werde mich bis kurz vor Schluss des Aufsatzes aus diesem Disput raushalten.

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3. Etappe: Fasse Äusserungen qua rationale Verständigungsversu-che als Vollzug einer bestimmten Sorte von Handlungen auf, nämlich: als illokutionäre Akte.

Dies ganz grob der Weg, auf dem man vom Meinen über Kommunikation zum Illokutionären gelangt. (Wer wissen möchte, wie anspruchsvoll diese Route ist, lese Schiffer 1972 oder Bach & Harnish 1979; tatsächlich handelt es sich bei 1. bis 3. um Bergetappen). 6. Intention und Illokution Im Lichte der Bemerkungen eingangs von Teil 2 würde die These der Intentionalisten nun in etwa so lauten: Wer eine adäquate Analyse illokutionärer Akte anstrebt, muss diese Route gehen – und zwar selbst dann, wenn er die Gültigkeit der Definition (ILL) voraussetzt. Soweit ich sehe, kann das zweierlei heissen.6

Die eine Deutung: Illokutionäre Akte involvieren notwendig gricesche Absichten; also sind sie wesentlich intentional. Tatsäch-lich könnte man auf die Idee kommen, (ILL) wie folgt umzudeu-ten:

(GRI) Eine Äusserung Ψ ist illokutionär genau dann, wenn es dafür,

dass man Ψ vollzieht, ausreicht, dass man deutlich macht, dass man beabsichtigt, Ψ zu vollziehen7

So verstanden, trifft die These allerdings nicht zu. Zwar ist es, wie in Abschnitt 3.1 bereits gezeigt, richtig, dass ‚deutlich machen’ in (ILL) oder, wenn man jetzt will, in der griceschen Version (GRI)

6 Ich selbst war früher ebenfalls dieser Auffassung und habe damit, wie ich

noch zeigen werde, illokutionäre Akte tendenziell mit perillokutionären Akten verwechselt; vgl. Petrus 2002, für eine Korrektur vgl. Petrus 2006. Ähnlich könn-te es aber auch jenen ergehen, die sich (seit Strawson) um eine Analyse sog. kommunikativer illokutionärer Akte kümmern; s.u., Abschnitt 10.

7 Es gibt Passagen, in denen Austin selbst so oder ähnlich redet – etwa dort, wo er darüber spekuliert, mit welcher illokutionären Kraft eine Äusserung beab-sichtigt oder gemeint ist (z.B. Austin 1962: 98). Doch ist das, wie wir gleich sehen werden, völlig harmlos und hat mit einer griceschen Umdeutung von (ILL) nichts zu tun.

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als faktives Verb aufzufassen ist, d.h.: S kann nicht deutlich ma-chen, dass er beabsichtigt, einen bestimmten illokutionären Akt zu vollziehen, ohne diese Absicht zu hegen. Doch wäre es falsch, daraus abzuleiten, illokutionäre Akte seien Handlungen, die zwin-gend mit bestimmten Absichten ausgeführt werden (Kemmerling 2001: 84f.; Siebel 2002: 148). Selbst in einer griceschen Interpreta-tion von (ILL) bildet die Absichtsverdeutlichung bloss eine hinrei-chende Bedingung für den erfolgreichen Vollzug eines illokutionä-ren Akts. Mithin ist auch in (GRI) mit keinem Wort davon die Rede, dass illokutionäre Akte nur dann vollzogen werden können, wenn der Sprecher die von ihm verfolgte Absicht verdeutlicht. Genau genommen legt diese Definition nicht einmal fest, dass ihr Vollzug überhaupt irgendwelche Absichten involviert, die vom Sprecher zu verdeutlichen wären. Selbst (GRI) besagt ‚bloss’, dass es für den Vollzug illokutionärer Akte hinreicht, wenn man die betreffende Absicht deutlich macht.

Dasselbe gilt im Übrigen auch dann, wenn man – wie Strawson und seine Nachfolger das getan haben – die obige These lediglich auf eine gewisse Sorte von illokutionären Akten bezieht, nämlich auf die sog. kommunikativen illokutionären Akte (vgl. Petrus 2009a). Auch dann ist zu beachten, dass mit (ILL) oder (GRI) keineswegs ausgeschlossen wird, dass kommunikative illokutionäre Akte wie Behauptungen, Warnungen oder Drohungen tatsächlich mitunter oder gar sehr oft mit irgendwelchen (griceschen) Absichten voll-zogen werden. Hinzu kommt, dass diese These bestenfalls Aussa-gen über die Eigenheit spezifischer illokutionärer Akte erlaubt, i.e. über die besagten kommunikativen illokutionären Akte. In (ILL) aber ist, wie schon verschiedentlich betont, vom generischem Wesen die Rede – und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man diese Definition in gricesche Begrifflichkeiten kleidet.

Die andere Auslegung: Illokutionäre Akte sind wesentlich in-tentional, weil ihr Vollzug – wenn auch verborgen – ein genuin gricesches Element beinhaltet. Nennen wir dieses Element, wie in der Szene üblich, den „griceschen Mechanismus“ (vgl. Bennett 1976: §40ff.; Kemmerling 2001; Petrus 2009b). Auf ihn verlässt sich ein Sprecher, wenn er sein Gegenüber auf rationale Weise zu beeinflussen trachtet. Konkret baut S darauf, dass für den Fall, dass A erkennt, dass S z.B. möchte, dass A glaubt, dass Ferdinand

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ein gefährlicher Stier ist, eben dies für A mit ein Grund ist zu glauben, dass Ferdinand ein gefährlicher Stier ist, oder bündiger: S unterstellt, dass die Erkenntnis seiner Absicht zu deren Erfüllung gereicht. Wann immer S eine solche Unterstellung macht, verlässt er sich auf den besagten Mechanismus. Tatsächlich mahnt dies an die in (ILL) beschriebene Vollzugsweise illokutionärer Akte. Im-merhin sind illokutionäre Akte dieser Definition zufolge Hand-lungen, die bereits dadurch vollzogen sind, dass man deutlich macht (in gricescher Schreibweise: zu erkennen oder zu verstehen gibt), dass man sie vollziehen will (zu vollziehen beabsichtigt).

Allerdings gilt es auch hier, zweierlei füglich auseinander zu halten. Richtig ist: Damit eine Handlung vom Typ Ψ überhaupt ein Kandidat für Illokutionarität ist, muss sich Ψ so vollziehen lassen, dass sie bereits dann ausgeführt ist, wenn man deutlich macht, dass man Ψ vollziehen möchte. Ein Akt, der sich unter keinen erdenklichen Umständen (ILL)-mässig vollziehen lässt, kann schon aus begrifflichen Gründen kein illokutionärer Akt sein. Doch bedeutet das keineswegs, dass Ψ immer oder nur schon standardmässig auf diese Weise vollzogen wird. Anders gesagt: Es ist nicht zwingend, dass der Vollzug illokutionärer Akte auf dem griceschen Mechanismus beruht. Ebenso wenig gehört es zum Wesen solcher Handlungen, dass deren Vollzug normaler-weise auf dem griceschen Mechanismus beruht. Hingegen zeich-nen sich illokutionäre Akte dadurch aus, dass sie notwendigerwei-se zu einem Typus von Handlungen gehören, die sich dadurch vollziehen lassen, dass man sich auf den griceschen Mechanismus verlässt, bzw. dass man zu erkennen gibt, dass man sie vollziehen möchte.

Sollten diese Überlegungen korrekt sein, involvieren illokutio-näre Akte weder notwendig gricesche Intentionen noch beruht die Vollzugsweise dieser Handlungen zwingend oder nur schon übli-cherweise auf dem griceschen Mechanismus. Kurz: Grices Theo-rie der rationalen Verständigung scheint für illokutionäre Akte gar nicht geschaffen zu sein.

Wohl aber für eine Sorte von Sprechakten, die ihnen erstaun-lich ähneln: perillokutionäre Akte. Ich werde diese Sorte von Sprechakten im Folgenden kurz charakterisierensowie auf die Frage eingehen, inwiefern es sich hierbei um gricesche Verständi-

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gungsversuche handelt. Dabei sollte ich hervorheben, dass sich die Struktur perillokutionärer Akte als ziemlich komplex erweist, und ich mich hier und jetzt damit begnügen werde, bloss einen Typus von Perillokutionen ein wenig näher zu betrachten. 7. Illokutionär versus perlokutionär Was sind perillokutionäre Akte? Grob gesagt, vollzieht ein Spre-cher S einen perillokutionären Akt, wenn er – das verrät bereits der Name – einen perlokutionären Akt dadurch vollzieht, dass er einen illokutionären Akt ausführt. Zum Beispiel mag S seinem Gegenüber A ein Versprechen ablegen (illokutionär) und ihn auf diese Weise beruhigen (perlokutionär), oder er mag nach As Tante fragen (illokutionär) und so vom Thema ablenken (perlokutionär).

Wie unschwer zu erkennen, setzt diese Charakterisierung peril-lokutionärer Akte die bis auf den heutigen Tag kontrovers disku-tierte illokutionär/perlokutionär-Distinktion voraus. Ich betrachte es als einen (weiteren) Vorzug der Definition (ILL), dass sie nicht bloss das generische Wesen illokutionärer Akte erfasst, sondern zugleich als prima facie-Unterscheidungskriterium zwischen illoku-tionären und perlokutionären Akten dient. Das war im Übrigen bereits Austins Intention: Was illokutionäre Akte in ihrem Wesen ausmacht, soll zugleich das sein, was sie von perlokutionären Ak-ten unterscheidet:

„Illocutionary acts are conventional acts: perlocutionary acts are not conventional.“ (Austin 1962: 121, seine Hervorhebung)

Aus Teil 1 wissen wir, was es heisst, dass illokutionäre Akte (wesentlich) konventional sind. Für sie alle gilt, dass sie sich bereits dadurch vollziehen lassen, dass man auf konventionale Weise verdeutlicht, dass man sie vollziehen will. Handlungen, auf die derlei nicht zutrifft, sind entsprechend nicht (wesentlich) konventional. Falls Austin recht hat – und ich denke, er hat recht –, so gehören dazu (auch) die perlokutionären Akte.

Um herauszufinden, ob die austinsche Definition (ILL) als Kri-terium für die Unterscheidung zwischen illokutionären und perlo-

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kutionären Akten taugt, brauchen wir bloss eine Liste beliebiger Handlung zu erstellen und zu prüfen, ob es darunter solche gibt, für deren Vollzug es nicht ausreicht, dass man auf konventionale Weise deutlich macht, dass man sie vollzieht. In der Tat werden sich auf dieser Liste u.a. die folgenden Beispiele für perlokutionäre Akte finden:

überzeugen, überreden, belustigen, beängstigen, irritieren, einschüch-tern, rumkriegen, drängen, aufmuntern, aufrütteln

Einerlei, was diese Handlungen im Einzelnen voneinander unter-scheiden mag (oder sie von anderen Handlungen abgrenzt, die weder illokutionär noch perlokutionär sind): Ihnen allen ist ge-meinsam, dass sie sich nicht (ILL)-mässig vollziehen lassen. So können wir uns unzählig viele Umstände ausmalen, unter denen es dafür, dass man jemanden von etwas überzeugt, nicht ausreicht, dass man etwas tut, womit man deutlich macht, dass man ihn damit von etwas überzeugen möchte. Z.B. mag es sein, dass A bereits davon überzeugt ist, dass Ferdinand ein gefährlicher Stier ist; oder dass A gute Gründe hat zu glauben, dass sich S bezüglich Stiere grundsätzlich irrt; oder dass A zuverlässig weiss, dass Ferdi-nand keineswegs gefährlich ist; oder dass sich A von S nichts sa-gen lassen will; etc. (vgl. ausführlich Petrus 2003: 328ff.).8

Anders als bei illokutionären Akten hängt der erfolgreiche Vollzug perlokutionärer Akte also nicht allein davon ab, auf wel-che Weise sie sich ausführen lassen. Vieles kann den Ausschlag geben, dass eine perlokutionäre Wirkung erzielt, bzw. der entspre-chende perlokutionäre Akt vollzogen wird. Die, und sei es beson-dere, Vollzugsweise mag dazu gehören, doch selbst dann wird der perlokutionäre Erfolg nie – niemals – von ihr allein abhängen. Um einen perlokutionären Akt zu vollziehen, bedarf es typischerweise eines Rests, der über das schiere Verdeutlichen der betreffenden Zwecke hinausgeht. Möchte man besser verstehen, in welchem Sinne der Vollzug perlokutionärer Akte eines Rests bedarf, hat

8 Perlokutionäre Akte müssen nicht intendiert sein. In der Folge gehe ich al-

lerdings davon aus, dass S mit seiner Äusserung einen perlokutionären Zweck verfolgt, wobei für derlei Zwecke (analog zu den Akten) gilt, dass sie nicht schon dadurch erfüllt sind, dass man optimal explizit macht, dass man sie erreichen will.

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man (nebst anderem) herauszufinden, wie sich perlokutionäre Zwecke erreichen lassen. Dabei sind wenigstens zwei Unterschei-dungen zu beachten. (Was jetzt kommt, ist kein Beitrag zur Spezi-fizierung dieses Rests. Gar manches mag für den Erfolg perloku-tionärer Akte verantwortlich sein und das Meiste davon dürfte einer Begriffsanalyse allein nicht zugänglich sein; vgl. Marcu 2005, ferner Cohen & Levesque 1990; Gu 1993.)

Erstens die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten perlokutionären Akten (sie ist nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Unterscheidung von Cohen 1973). Bei direkten perlokutionären Akten ist es dafür, dass S den betreffenden perlo-kutionären Zweck erreicht, nicht erheblich, was S tut, bei in direk-ten perlokutionären Akten hingegen schon. Und zwar (auch) im folgenden Sinne: S glaubt, dass für den Fall, dass A erkennt, was S tut (i.e. von welchem Sprechaktypus sein Tun ist), dies für A einen Grund darstellt, den von S erwünschten perlokutionären Effekt zu zeigen. Nennen wir diesen von S unterstellten Zusammenhang fortan den „perlokutionären Nexus“. Ferner wollen wir den von S beabsichtigten perlokutionären Effekt mit „Φ“ abkürzen sowie (mit Austin) davon ausgehen, dass es sich bei Ss Tun um einen phonetischen, phatischen, rhetischen oder illokutionären Akt handeln kann.

Zweitens die Unterscheidung zwischen offenen und versteckten perlokutionären Akten. Dabei sei ein perlokutionärer Akt offen, wenn er völlig offen ist oder aber bedingt offen. Völlig offen ist er, wenn S will, dass A erkennt, dass S den obgenannten perloku-tionären Nexus unterstellt. Bedingt offen heisse ein perlokutionä-rer Akt, wenn S zwar will, dass A erkennt, was S tut, sowie will, dass A erkennt, dass S Φ erzielen möchte, jedoch auch will, dass A nicht erkennt, dass S den besagten perlokutionären Nexus unter-stellt. – Versteckt heisse ein perlokutionärer Akt, wenn er völlig versteckt ist oder aber bedingt versteckt. Völlig versteckt ist er, wenn S will, dass A nichts von alledem erkennt, von dem bislang die Rede war. Bedingt versteckt ist er, wenn zwar S will, dass A weder erkennt, dass S den besagten Nexus unterstellt, noch er-kennt, dass S Φ erzielen will, indes möchte, dass A erkennt, von welchem Sprechakttypus sein Tun ist.

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8. Perillokutionäre Akte Auf dem Hintergrund dieser Unterscheidungen lässt sich eine Typologie perillokutionärer Akte erstellen, wobei mir im Folgenden, wie bereits gesagt, bloss an einer Sorte gelegen ist, und zwar an perillokutionären Akten, die direkt sowie offen sind. Das Label ‚pe-rillokutionärer Akt’ wird fortan also ausschliesslich für diesen Typus von Sprechakten verwendet, der u.a. die folgenden Merk-male aufweist:

(1) Ψ (2) WS(Φ) (3) WS(EA(WS(Φ))) (4) GS(Ψ → Φ) (5) GS(EA(Ψ) ⇒ Φ)

Diese informellen Abkürzungen seien wie folgt zu lesen:

WS: S will/beabsichtigt, dass -- EA: A erkennt (weiter unten: versteht), dass -- GS: S glaubt/baut darauf, dass -- →: -- führt zu -- ⇒: -- ist Grund für --

Hierzu einige Erläuterungen.

(1) besagt, dass es sich beim perlokutionären Auslöser um eine Äusserung Ψ handelt, die im Sinne der Definition (ILL) als illoku-tionärer Akt gilt.

(2) besagt, dass S einen perlokutionären Zweck verfolgt bzw. bei A einen entsprechenden Effekt erzielen will, wobei S – siehe (3) – auch will, dass dies für A erkennbar wird. Einigermassen normale Umstände vorausgesetzt, dürften u.a. überzeugen, bestärken, fördern, aufmuntern, erheitern oder beruhigen zu solch ‚offenen’ Zwe-cken gehören. Dahingegen sind, wiederum normale Umstände vorausgesetzt, überreden, abschrecken, einschüchtern, überraschen, blossstel-len oder überlisten wohl eher ‚versteckte’ perlokutionäre Zwecke.

(4) besagt, dass S Ψ als taugliches Mittel betrachtet, um Φ zu erzielen. Es wurde in Austins Nachfolge viel darüber spekuliert,

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inwieweit der Zusammenhang zwischen Ψ und Φ (nicht doch) konventionaler Art ist und seine These, derzufolge Illokutionäres konventional ist, Perlokutionäres dagegen nicht, ihre Gültigkeit verliert (vgl. u.a. Cohen 1973; Schlieben-Lange 1974; 1976; Davis 1979). Mir scheint, dass solche Überlegungen auf einem falschen Verständnis der Konventionalität à la Austin beruhen. Austin geht es um eine Besonderheit in der Vollzugsweise illokutionärer Akte; sie allein ist es, die sie zu konventionalen Akten macht. Der schie-re Umstand, dass illokutionäre Akte eingespannt werden, um per-lokutionäre Effekte zu erzielen oder dass ganz bestimmte illokuti-onäre Akte mit ganz bestimmten perlokutionären Effekten assozi-iert sind, macht weder illokutionäre noch perlokutionäre Akte zu konventionalen Handlungen – jedenfalls nicht in dem für Austin relevanten Sinne von ‚konventional’ (s.o., Abschnitt 3.2). Es zeigt bloss, dass der erfolgreiche Vollzug perlokutionärer Akte zuweilen voraussetzt, dass ein (vielleicht) spezifischer illokutionärer Akt vollzogen wird. Ebenso wenig wird Austins These, derzufolge Illokutionäres konventional ist, Perlokutionäres dagegen nicht, durch den Umstand tangiert, dass es ganz bestimmte illokutionäre Akte geben mag, die mit ganz bestimmten perlokutionären Effek-ten auf konventionale Weise assoziiert oder korreliert sind. Denn sein Punkt betrifft allein die besondere Vollzugsweise illokutionä-rer Akte. Diese Vollzugsweise ist es, die sie zu konventionalen Handlungen macht, und zwar ungeachtet dessen, ob sie konventi-onal-assoziierte perlokutionäre Wirkungen aufweisen oder nicht.

Ohnehin bezweifle ich, dass sich die Frage, ob der Konnex zwischen Ψ und Φ konventionaler Art ist, mit den Mitteln einer Begriffsanalyse entscheiden lässt. Für diesen Zusammenhang zählt allein, dass zumindest bei direkten perillokutionären Akten davon ausgegangen werden darf, dass S darauf baut, dass für den Fall, dass er einen illokutionären Akt Ψ vollzieht, A erkennt, dass S (damit) den perlokutionären Effekt Φ zu erzielen trachtet – und also zusätzlich noch (6) gilt:

(6) GS(Ψ → EA(WS(Φ)))

(5) steht für den von S unterstellten perlokutionären Nexus, wobei dieses Merkmal voraussetzt, dass S will, dass A erkennt, dass S einen illokutionären Akt Ψ vollzieht, d.h.:

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(7) WS(EA(Ψ))

Schliesslich ist im Falle völlig offener Akte die obige Liste (min-destens) um den Zusatz (8) zu ergänzen:

(8) WS(EA(GS(EA(Ψ) ⇒ Φ)))

Soweit diese reichlich allgemeine Umschreibung perillokutionärer Akte. 9. Perillokution und Kommunikation Fragen wir uns nun, ob perillokutionäre Akte, anders als illokutio-näre Akte, Verständigungsversuche à la Grice sind. Nach meinem Dafürhalten lautet die Antwort ja, und zwar aus wenigstens drei Gründen.

Erstens: Perillokutionäre Akte sind klarerweise rationale Beein-flussungsversuche. S will bei A einen bestimmten – nämlich: perloku-tionären – Effekt erzielen (er möchte z.B. A davon überzeugen, dass Ferdinand ein gefährlicher Stier ist). Dabei geht es für S nicht bloss darum, diesen Effekt auf irgendeinem Weg zu erreichen, sondern – siehe (4) – auf dem (in seinen Augen) strategisch besten Weg. Mit anderen Worten hat S Gründe, Ψ zu vollziehen, wobei mit zu diesen Gründen gehört, dass S glaubt, dass A angesichts von Ψ erkennt, dass er Φ erzielen möchte – siehe (6) – und dass A – siehe (5) – aufgrund dieser Erkenntnis auf die von S er-wünschte Weise reagiert. Das bedeutet, dass A ihrerseits Gründe hat, so zu reagieren und mit zu diesen Gründen gehört, dass sie erkennt, dass S Φ verfolgt. Dabei sollte man im Auge behalten, dass es hier durchs Band um A-Gründe geht, von denen sich S erhofft oder von denen S glaubt, dass sie erheblich sind, um an sein Ziel zu gelangen. Ob A tatsächlich über diese Gründe verfügt oder welche Gründe sie überhaupt hat, ist eine andere Frage.

Zweitens: Perillokutionäre Akte sind klarerweise (offene) Kom-munikationsversuche. Dabei lassen sich grundsätzlich zwei Kommu-nikationsziele unterscheiden, hinsichtlich derer S offen ist bzw. keinerlei verheimlichende Absichten gegenüber A hegt. Das eine benennt den eigentlichen Zweck des Unterfangens von S: S will bei A einen perlokutionären Effekt Φ landen – siehe (2):

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(2) WS(Φ) eigentliches Kommunikationsziel

Somit hat A verstanden, was S eigentlich bezweckt, wenn (3) erfüllt, d.h. (α) der Fall ist:

(α) EA(WS(Φ))

Das andere Kommunikationsziel könnte man das strategische Ziel nennen: S will, dass A erkennt, dass er einen illokutionären Akt Ψ vollzieht und welchen er vollzieht – siehe (7):

(3) WS(EA(WS(Φ))) strategisches Kommunikationsziel

Entsprechend hat A verstanden, was S strategisch bezweckt, wenn (7) erfüllt, d.h. (β) der Fall ist:

(β) EA(Ψ)9

Wie zuvor schon gesagt, besteht einer Gründe, weshalb S das strategische Ziel erreichen will, darin, dass er auf den perlokutio-nären Nexus baut. Darin besteht die dritte Ähnlichkeit mit grice-schen Verständigungsversuchen. Dass S einen perlokutionären Nexus unterstellt, heisst nämlich, dass er sich auf eine Art gricescher Mechanismus verlässt; und zwar insofern er – siehe (5) – darauf baut, dass für den Fall, dass A erkennt, dass S Ψ vollzieht, dies für A mit ein Grund ist, tatsächlich auf die von S erwünschte Weise zu reagieren.

Man beachte nun: (α) und (β) gehören nicht zu den Vollzugs-bedingungen perillokutionärer Akte. Eine Äusserung gilt als peril-lokutionär, wenn (1) bis (7) gegeben sind (und vielleicht noch weitere Bedingungen). Dazu gehört notwendigerweise, dass S will, dass A versteht, was er im strategischen wie auch eigentlichen Sinne bezweckt. So gesehen sind perillokutionäre Akte wesentlich Kommunikationsversuche. Demgegenüber benennen (α) und (β) Bedingungen, unter denen ein perillokutionärer Akt gelingt, bzw. unter denen eine solche Art von Verständigung zustande kommt.

Es liegt nahe, in (β) – wenn nicht einen Garanten, so doch (zumindest aus Sicht des Sprechers) – eine Voraussetzung für den

9 Im Falle völlig offener perillokutionärer Akte gehört (8) zum strategischen Ziel von S; entsprechend versteht A, was S strategisch bezweckt, wenn EA(GS(EA(Ψ) ⇒ Φ)) gilt. Fürs Folgende langt es allerdings hin, wenn wir uns auf bedingt offene Akte konzentrieren.

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erfolgreichen Vollzugs eines perillokutionären Aktes zu sehen. Denn erfolgreich ist ein solcher Sprechakt genau dann, wenn A auf die von S vorgesehene Weise den erwünschten perlokutionären Effekt zeigt, also (χ) der Fall ist:

(χ) EA(Ψ) ⇒ Φ

– und das bedingt (im Minimum) eben, dass A versteht, was S strategisch bezweckt.

Soviel (besser: so wenig) zu perillokutionären Akten mitsamt drei Gründen, weshalb ich sie für geeignete Kandidaten gricescher Verständigungsversuche halte. 10. Illokutionär versus perillokutionär Ohne Zweifel: Illokutionäre Akte lassen sich leicht mit perilloku-tionären verwechseln (und umgekehrt). Doch sind illokutionäre Akte niemals perillokutionäre Akte. Das trifft selbst – und insbe-sondere – dann zu, wenn sie zu perlokutionären Zwecken einge-spannt werden. Wer das tut, verfolgt nämlich immer schon ein strategisches Ziel, und das heisst: Er will, dass sein Gegenüber versteht, dass er einen illokutionären Akt vollzieht und welchen er vollzieht. Wie gesehen, ist es für den Erfolg eines perillokutionären Aktes unabdingbar, dass dieses Ziel erreicht wird. Nichts von alledem gilt aber für illokutionäre Akte. Denn illokutionäre Akte sind Handlungen, die völlig unabhängig davon zustandekommen, dass der Sprecher ein solch strategisches Ziel verfolgt. Mit ande-ren Worten: Wann immer ein Sprecher einen illokutionären Akt zu perlokutionären Zwecken einspannt, vollzieht er genau ge-nommen keinen illokutionären Akt mehr, sondern vielmehr und im Allgemeinen bereits einen perillokutionären Akt. Das gilt im Übrigen auch dann, wenn S einen illokutionären Akt sozusagen um seiner selbst willen vollziehen sollte, also bloss mit der Ab-sicht, dass für die Adressatin A deutlich wird, dass er z.B. etwas behaupten will (und keine weiteren, d.h. perlokutionären Zwecke verfolgt). Das Besondere an einem solchen Kommunikationsver-such besteht ‚bloss’ darin, dass er für den Fall, dass er gelingt, bereits erfolgreich ist.

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Natürlich kann man, falls man dies unbedingt möchte, das strategische Ziel den „illokutionären Zweck“ nennen oder den betreffenden Effekt, der auf Seiten der Adressati erreicht werden soll (i.e. Verstehen), als „illokutionären Effekt“ bezeichnen (wie das seit Searle 1969 in gewissen Kreisen üblich ist). Allerdings sollte man dann stets im Auge behalten, dass dieser Effekt nur deswegen so heisst, weil sich As Verstehen auf einen illokutionären Akt richtet. Und vor allem sollte man stets und für alle kenntlich anmerken, dass Ss Absicht, einen solchen Effekt zu erzielen, nicht etwa zu den Vollzugsbedingungen illokutionärer Akte gehört. Wer nämlich behaupten wollte, dass illokutionäre Akte wesentlich darauf angelegt sind, einen illokutionären Effekt bzw. seitens des Adressaten ein bestimmtes Verständnis zu erzielen, würde nicht bloss das (allgemeine) Wesens des Ilokutionären verkennen, son-dern eben auch: Illokutionäres mit Perillokutionärem verwechseln. Denn illokutionäre Akte sind keine griceschen Verständigungsver-suche, sie sind, für sich genommen, überhaupt nicht kommunika-tiver Art. Perillokutionäre Akte hingegen schon. Schluss: Konvention und Intention Zu Beginn des Aufsatzes habe ich angekündigt, dass ich eine Rei-he von Thesen über illokutionäre Akte vertreten werde, die von der traditonellen Auffassung illokutionärer Akte abweichen und die uns Gründe dafür liefern, die beiden Dogmen der Sprechakt-theorie grundsätzlich in Frage zu stellen:

• Illokutionäre Akte sind kommunikative Handlungen oder zumin-dest Verständigungsversuche eines bestimmten Schlags.

• Eine allgemeine Theorie illokutionärer Akte hat im Schema

„Konventionalismus/Intentionalismus“ zu erfolgen, d.h.: illoku-tionäre Akte sind entweder eher konventionaler oder aber eher intentionaler Art.

Das erste Dogma setzt die Frage, was eine Äusserung zu einem illokutionären Akt macht, mehr oder weniger mit einer Analyse dessen gleich, was es heisst, mit einer sprachlichen Handlung zu

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kommunizieren. Nun lassen sich illokutionäre Akte aber vollzie-hen, ohne dass Kommunikation zustande kommt oder nur schon intendiert ist. Illokutionäre Akte sind keine griceschen Verständi-gungsversuche. Wohl aber perillokutionäre Akte, die den illokuti-onären zum Verwechseln ähnlich sehen. Wenn überhaupt, so handelt das erste Dogma über Sprechakte dieser Art.

Das zweite Dogma verkennt den Anspruch einer allgemeinen Theorie illokutionärer Akte. Zwar mag es sein, dass der Vollzug bestimmter illokutionärer Akte gewisse Konventionen benötigt; andere illokutionäre Akte müssen womöglich unter Rekurs auf komplexe Intentionen analysiert werden. Doch betreffen derlei Überlegungen ‚bloss’ das spezifische Wesen des Illokutionären und somit Fragen der Art, was eine Äusserung z.B. zu einer Behauptung oder zu einem Befehl macht. Einer allgemeinen Theorie illokutionärer Akte geht es hingegen um das generische Wesen und damit um die Frage, was eine (beliebige) Äusserung überhaupt erst zu einem illokutionären Akt macht. Dank der austinischen Definition erhalten wir eine hinreichend klare Vorstellung von einem Merkmal, das sämtlichen illokutionären Akten zukommt, sie eindeutig von anderen Handlungen wie perlokutionären und perillokutionären Akten unterscheidet und darüber hinaus erfreulich sparsam ist: weder stellt es auf kommunikatives Verhalten ab noch setzt es eine besonders komplexe Form von Konventionalität voraus. Mit anderen Wor-ten haftet dem Illokutionären nichts an, das einen dazu verlanlassen sollte, sich weiterhin an endlosen Grundsatzdebatten über das Wesen solcher Spreachakte zu beteiligen.

Illokutionäre Akte sind schlicht das, was sie aufgrund ihrer ei-gentümlichen Vollzugsweise nun einmal sind: Handlungen, die sich bereits dadurch vollziehen lassen, dass man auf konventionale Weise deutlich macht, dass man sie vollziehen will.10

10 Die Arbeit entstand mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur

Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Projekt Nr. PP001-114812/1).

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