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Kompass Gesundheit DAS MAGAZIN FÜR BADEN-WÜRTTEMBERG 6. Jahrgang www.kompass-gesundheit-bw.de Nr. 2 2017 In Zusammenarbeit mit der Der Darm und seine Bakterien Problem: Gallensteine Wunderwerk der Natur: Unsere Füße Wenn die Seele krank wird 1. Juli 2017 Stuttgarter Herztag

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Kompass GesundheitDAS MAGAZIN FÜR BADEN-WÜRTTEMBERG

6. Jahrgang www.kompass-gesundheit-bw.de

Nr. 2 2017

In Zusammenarbeit mit der

� Der Darm und seine Bakterien

� Problem: Gallensteine

� Wunderwerk der Natur: Unsere Füße

� Wenn die Seele krank wird 1. Juli 2017StuttgarterHerztag

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3Kompass Gesundheit 2/2017

Liebe Leserin, lieber Leser,

wahrscheinlich war Ihnen noch nicht bewusst, dass wir über ein zweites Gehirn im Körperverfügen, das Darm-Gehirn. Es ist ähnlich strukturiert wie das Gehirn im Kopf, doch es wal-tet weitgehend unbemerkt als Schaltzentrale mit einem komplexen Nervengeflecht. Esagiert unabhängig vom Gehirn, und es kann krank machen. Die Darmbakterien habendrastische Auswirkungen auf unsere physische und psychische Gesundheit. Sie beeinflus-sen unseren Appetit und unsere Essensvorlieben, sogar unsere Psyche und unser Gehirn.Ist das Gleichgewicht einer gesunden Darmflora gestört, können verschiedenste körperli-che und psychische Probleme entstehen – von Übergewicht und Diabetes über chronisch-entzündliche Darmerkrankungen bis hin zum Autismus. Auf chronische-entzündliche Darmerkrankungen – Morbus Crohn und Colitis ulcerosa – gehen wir in einem Beitrag ge-sondert ein.

Dass Gallensteine keinesfalls harmlos sein können, berichtet der Viszeralchirurg Prof. Mi-chael Schäffer vom Stuttgarter Marienhospital.

Unsere Füße sind ein Wunderwerk der Natur. Ein weiterer Schwerpunkt ist den Füßen ge-widmet. Welche Alarmzeichen gibt es, um Problemfüße zu erkennen und wie kann manProbleme vermeiden? Der Fußspezialist Dr. Michael Gabel, Chef des Stuttgarter Fußzen-trums in der Klinik Sana-Bethesda erläutert, wie kranken Füßen geholfen werden kann.

Doch auch die Seele kann leiden und manchen sogar in den Suizid treiben. PsychischeLeiden lassen sich jedoch ebenso erfolgreich behandelt wie körperliche Störungen. Prof.Christian Jacob, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der medius KLINIKKIRCHHEIM, berichtet darüber und macht Mut.

Nachdem der 1. Stuttgarter Herztag vergangenes Jahr ein großer Erfolg war, bereiten wirnun den 2. Stuttgarter Herztag vor. Er findet am 1. Juli statt, zentral in Stuttgart im Treff-punkt Rotebühlplatz unter der Schirmherrschaft der Deutschen Herzstiftung. Wir freuenuns auf Sie! Um Ihnen allen einen guten Platz reservieren zu können, melden Sie sich bittean. Die Teilnahme ist wieder kostenlos. Übrigens wundert mich als Kardiologen das großeInteresse am Thema Herz nicht: Was ein gesundes Herz für unsere Lebensqualität bedeu-tet, ist heute den meisten Zeitgenossen sonnenklar.

Eine interessante Lektüre wünsche ich Ihnen und ich freue mich, Sie auf unserem Herztagzu begrüßen,

Ihr

Matthias Leschke

Prof. Dr. med. MatthiasLeschke,Chefarzt der Klinik für Kardiologie, Angiologieund Pneumologie,Klinikum Esslingen

editorial

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Kompass Gesundheit 2/2017

Impressum

Kompass Gesundheit –Das Magazin für Baden-Württemberg

Herausgeber: Dr. Magda AntonicRedaktionsleitung: Werner Waldmann (V.i.S.d.P.)

Botschafter: Dr. med. Suso Lederle

Medizinisch-wissenschaftlicher Beirat:Prof. Dr. med. Tilo Andus, Prof. Dr. med. Walter-Erich Aulitzky, Dr. med. Carl-Ludwig v. Ballestrem,Prof. Dr. med. Hansjörg Bäzner, Prof. Dr. med. Gerd Becker, Dr. med. Wolfgang Bosch, Prof. Dr.med. Alexander Bosse, Dr. med. Ernst Bühler, Prof. Dr. med. Claudio Denzlinger, Dipl.-Psych. Sabine Eller, Prof. Dr. med. Ulrich Franke, Dr. med. Wilhelm Gienger, Dr. med. Joachim Glockner,Dr. med. Rainer Graneis, Dr. med. Christian Hayd, Prof. Dr. med. Bernhard Hellmich, Prof. Dr.med. Doris Henne-Bruns, Prof. Dr. med. Christian Herdeg, Prof. Dr. med. Bodo Klump, Prof. Dr.med. Monika Kellerer, Prof. Dr. med. Alfred Königsrainer, Dr. med. Klaus Kraft, Prof. Dr. med. Matthias Leschke, Prof. Dr. med. Ulrich Liener, Prof. Dr. med. Alfred Lindner, Prof. Dr. med. RalfLobmann, Dr. Tobias Meile, Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Prof. Dr. med. Thomas Nordt, Dr. med. Jürgen Nothwang, Dr. med. Stefan Reinecke MBA, Dr. med. Martin Runge, Dr. med. Nobert Smetak, Dr. med. Wolfgang Sperber, Prof. Dr. med. Arnulf Stenzl, Prof. Dr. med. ThomasStrowitzki, Dr. med. Bernd Voggenreiter, Holger Woehrle, Dr. med. Sieglind Zehnle

Gesundheitspolitik: Markus Grübel (MdB), Michael Hennrich (MdB)Redaktion: Dr. J. Roxanne Dossak, Andrew Leslie, Ursula Pieper, Marion ZerbstArt Direction: Dr. Magda AntonicHerstellung: Barbara SchülerDruck: Wahl-Druck GmbH

Fotos: Cover: Foto: © agencyby /123rf.com; S. 6, 10, 11, 12, 13, 40: Illustrationen: © Icon madeby Freepik from www.flaticon.com; S. 9: Illustration: © Andreas Härlin; S. 14: Foto: © Emilian Da-naila/pixabay.com; S. 16: Foto: © ISO K°-photography/fotolia.de; S. 18: Illustration: © Tefi/shut-terstock.com; S. 19: Illustration: © Alila Medical Media/shutterstock.com; S. 28: Foto: © max-mann/pixabay.com; S. 30: Foto: © andreas160578/pixabay.com; S. 33: Foto: © GG Studios Aus-tria/shutterstock.com; S. 34: © Regina Friedle; S. 36: Foto: © WerbeFabrik/pixabay.com; Für dieweiteren Autoren- und Ärzteporträts liegen die Rechte bei den abgebildeten Personen. Alle an-deren Fotos: MEDITEXT Dr. Antonic

Verlag: MEDITEXT Dr. AntonicVerlagsleitung: Dr. Magda AntonicPanoramastr. 6; D-73760 OstfildernTel.: 0711 7656494; Fax: 0711 [email protected]; www.meditext-online.de www.kompass-gesundheit-bw.de

Wichtiger Hinweis: Medizin als Wissenschaft ist ständig im Fluss. Soweit in dieser Zeitschrift eineApplikation oder Dosierung angegeben ist, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren,Redaktion und Verlag größte Mühe darauf verwandt haben, dass diese Angaben genau dem Wissensstand bei Drucklegung der Zeitschrift entsprachen. Dennoch sollte jeder Benutzer dieBeipackzettel der verwendeten Medikamente selbst prüfen, um in eigener Verantwortung festzu-stellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindi-kationen gegenüber der Angabe in dieser Zeitschrift abweicht. Leser außerhalb der Bundesrepu-blik Deutschland müssen sich nach den Vorschriften der für sie zuständigen Behörden richten.Geschützte Warennamen (Warenzeichen) müssen nicht besonders kenntlich gemacht sein. Ausdem Fehlen eines solchen Hinweises kann nicht geschlossen werden, dass es sich um einenfreien Warennamen handelt.

Das Magazin und alle in ihm enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnah-me der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung von MEDITEXT Dr. Antonic strafbar. Die Redaktion behält sich die Bearbeitung von Beiträgen vor. Für unverlangteingesandte Manuskripte, Fotos und Abbildungen wird keine Haftung übernommen. Mit Namengezeichnete Artikel geben die Meinung des Verfassers wieder. Erfüllungsort und Gerichtsstandist Esslingen.

Ein Einzelheft ist zum Preis von 1,60 Euro (zzgl. Versandkosten) beim Verlag erhältlich.

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ISSN 2194-5438

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OrthopädieKardiologieOnkologie

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Zentren für ambulante Rehabilitation

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5Kompass Gesundheit 2/2017

inhalt

Darmbakterien:Wie unser zweites Gehirn uns gesund oder krank machen kann 6

Antibiotika: Gehen wir zu sorglos damit um? 14

Chronisch-entzündliche DarmerkrankungenNeues für CED-Patienten 16

Gallensteine:Wenn Steine das Leben kosten können 18

Panikattacken, Angststörungen, Depressionen: Auch die Seele kann krank werden 22

Eine simple Fitness-Therapie:Gesund mit Wanderschuh und Rucksack 28

Ihr Hausarzt meint 29

Gesunde Füße: Darauf stehen wir! 30

Das Gesundheitsgespräch mit Johannes Bauernfeind:REHA – Trotz Krankheit wieder fit für den Alltag 36

Leben braucht Luft 38

Diabetes stoppen!Mit Präzisionsstoffwechselmedikamenten gegen Diabetes 40

Frauen herzgefährdeter als Männer!Frauenherzen schlagen anders! 40

RubrikenImpressum 4 | Aboformular 41 | Kolumne Dr. Lederle 42 | Veranstaltungen 42 |

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Darmbakterien:

Wie unser zweites Gehirn uns gesund oder krank machen kann

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Die Darmbakterien leben mit uns in einer ArtSymbiose zusammen und ernähren sich von

dem, was sie in unserem Darm so alles finden.Nicht alle Darmbakterien sind uns wohlgesonnen:Es gibt „gute“ und „schlechte“ Bakterien. Die gu-ten Darmbakterien sorgen für eine reibungsloseVerdauung und helfen uns, schlank und gesund zubleiben. Die schlechten dagegen ernähren sich vonStoffen, die – im Übermaß konsumiert – eher unge-sund für uns sind, wie beispielsweise Zucker oderFette. Als Nebenprodukte ihrer Verdauung erzeu-gen sie Substanzen, die uns auf biochemischemWeg dazu verleiten, immer mehr Zucker und Fett inuns hineinzustopfen.

Von Mäusen und MenschenDass gesundheitliche Probleme wie Übergewichtund Typ-2-Diabetes unter anderem auch von derZusammensetzung der Darmflora abhängig sind,vermuten Wissenschaftler schon seit längerem;und in letzter Zeit häufen sich die Beweise für dieseHypothese. Tierversuche und Fallberichte zeigenzum Beispiel, dass es offenbar eine für Fettleibig-keit typische Darmflora gibt. In einer Studie trans-plantierten Wissenschaftler Mäusen, die in einervollkommen sterilen Umgebung aufgezogen undgehalten wurden und daher keine Darmflora besa-ßen, die Darmbakterien einer von zwei Zwillings-mäusen, die sich nur in einem einzigen Merkmalvoneinander unterschieden: Die eine Maus warübergewichtig, während das andere Zwillings-mäuschen Normalgewicht hatte. Diejenigen Mäu-se, denen die Darmflora des übergewichtigen Na-getiers transplantiert wurde, nahmen daraufhin zu.Auch ihre Gesamtfettmasse erhöhte sich. Die Mäu-se, welche die Darmbakterien der schlanken Zwil-lingsmaus erhalten hatten, blieben hingegen nor-malgewichtig.

Und das gilt leider nicht nur für Mäuse, sondernauch für Menschen. Eine Frau litt an einer hartnä-

ckigen, schweren Clostridium difficile-Darminfek-tion. Diese Bakterien können, wenn die Darmfloranach längerer Antibiotika-Einnahme gestört ist,eine Darmentzündung mit schweren Durchfällen,Übelkeit, Bauchschmerzen und Fieber verursa-chen. Zunächst versuchten die Ärzte die Clostri-dien-Infektion der Patientin medikamentös zu be-handeln. Als das nicht gelang, probierten sie es miteiner neuartigen Behandlungsmethode: der Stuhl-transplantation. Dabei überträgt man dem Patien-ten entweder Stuhl oder aus dem Stuhl gewonneneBakterien eines gesunden Spenders. Zu diesemZweck wird der Spenderstuhl verflüssigt, gefiltertund dem Patienten über ein Koloskop oder eineZwölffingerdarmsonde zugeführt. Ziel dieser The-rapiemaßnahme ist es, die Darmflora des Patientenwieder zu normalisieren, sodass er die Infektionleichter überwinden kann.

Als Stuhlspenderin wurde die Tochter der Patien-tin ausgewählt. Tatsächlich ließ sich die Infektiondadurch ausheilen, die Durchfälle verschwanden.Doch knapp anderthalb Jahre später kam die Pa-tientin wieder in die Arztpraxis und klagte darüber,dass sie innerhalb dieser relativ kurzen Zeit 16 Kilozugenommen hatte: Sie wog jetzt 85 Kilo und warsomit (mit einem Body-Mass-Index von 33) alskrankhaft übergewichtig einzustufen. Obwohl dieFrau sich einer ärztlich überwachten Gewichtsre-duktionsdiät unterzog, gelang es ihr nicht, wiederabzunehmen. Sie legte sogar noch weiter zu: DreiJahre nach der Stuhltransplantation wog sie fast90 Kilo; außerdem waren bei ihr inzwischen Ver-stopfung und andere Verdauungsstörungen aufge-treten, die sie zuvor nie gehabt hatte. Vor der Stuhl-transplantation hatte die Patientin stets konstant68 Kilo gewogen. An ihrem Ess- und Bewegungs-verhalten hatte sich in der Zwischenzeit nichts ge-ändert.

Des Rätsels Lösung: Die Tochter, die der Patien-tin den Stuhl gespendet hatte, war übergewichtig!

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Wir sind in unserem Körper nicht allein, sondern von unzähligen Kleinstlebewesen besie-delt, die drastische Auswirkungen auf unsere physische und psychische Gesundheit haben:den Darmbakterien. Diese kleinen Gäste beeinflussen unseren Appetit und unsere Essens-vorlieben, ja sogar unsere Psyche und unser Gehirn. Nicht umsonst bezeichnet man dieDarmflora auch als „zweites Gehirn“ oder „Bauchhirn“. Wenn das harmonische Gleichge-wicht einer normalen, gesunden Darmflora gestört wird, können verschiedenste körperlicheund psychische Probleme entstehen – von Übergewicht und Diabetes über chronisch-entzündliche Darmerkrankungen bis hin zum Autismus.

Marion Zerbst

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Offenbar kann man dem Empfänger bei einerStuhltransplantation also zusammen mit der Darm-flora des Spenders auch dessen Übergewicht undmöglicherweise sogar bestimmte Verdauungspro-bleme übertragen.

Der Feind in unserem DarmUm uns zum Verzehr der Nährstoffe zu veranlas-sen, von denen sie leben, bedienen unsere cleve-ren kleinen Gäste sich gleich mehrerer raffinierterStrategien:

� Sie wecken in uns einen großen Appetit odergar Heißhunger auf diese Nahrungsmittel. Dadurchnehmen wir zu. Immer wieder wird übergewichti-gen Menschen vorgeworfen, sie seien „zu willens-schwach“ und könnten sich nicht „am Riemen rei-ßen“ – wahrscheinlich eine bittere Ungerechtigkeit.Denn viele Darmbakterien können Peptide (chemi-sche Verbindungen aus Aminosäuren) bilden, dietäuschende Ähnlichkeit mit unseren Hunger- undSättigungshormonen Ghrelin und Leptin haben. InWirklichkeit sind wir also vielleicht gar nicht „Herrim eigenen Haus“, sondern nur willenlose Sklavenunserer Darmbakterien? Immer mehr wissen-schaftliche Untersuchungen deuten darauf hin,dass an dieser Hypothese tatsächlich etwas dransein könnte.

� Darmbakterien können sogar unsere Stim-mung und unser Verhalten beeinflussen, da sie die-selben Neurotransmitter (Nervenbotenstoffe) her-stellen wie unser eigener Körper: Über 50 % desBotenstoffs Dopamin in unserem Körper stammennicht aus dem Gehirn, sondern werden von be-stimmten Darmbakterien gebildet. Dopamin wecktGlücksgefühle und wird beispielsweise nach einemguten Essen oder nach dem Sex, aber auch nachDrogenkonsum ausgeschüttet. Deshalb bezeich-net man es auch als Glücks- und Suchthormon.Wieder andere Darmbakterien erzeugen den ent-spannend und antidepressiv wirkenden Neuro-transmitter Serotonin. So können die kleinen Tyran-nen in unserem Darm uns mühelos manipulieren,indem sie uns immer dann, wenn wir etwas geges-sen haben, was ihnen guttut, mit einer vermehrtenAusschüttung glückserzeugender Botenstoffe be-lohnen.

Sogar bestimmte Rezeptoren in unserem Körperkönnen sich unter der Einwirkung von Darmbakte-rien verändern: Eine Studie hat zum Beispiel ge-

zeigt, dass keimfreie Mäuse andere Geschmacks-rezeptoren für Fett an der Zunge haben als Mäusemit intakter Darmflora.

Ausscheidungen von Darmbakterien schützen unser GehirnDa unsere Darmbakterien dieselben Botenstoffebilden können, die vom Gehirn ausgeschüttet wer-den, spricht man in diesem Zusammenhang oftauch von unserem „Darmhirn“. Darüber hinauskommuniziert der Darm über Nervenzellen aberauch direkt mit unserem Gehirn: Über einen großenHirnnerv (den Nervus vagus) stehen die Nerven inunserem Darm eng mit dem Nervensystem im Ge-hirn in Verbindung. Wie wichtig diese Kommunika-tion ist, zeigt ein weiterer Versuch mit Mäusen: Blo-ckiert man bei diesen Nagetieren den Vagusnerv,so nehmen sie stark ab und haben plötzlich keinenAppetit mehr. Wieder andere Untersuchungen zei-gen, dass bestimmte Darmbakterien Botenstoffeherstellen, die den Vagusnerv aktivieren und aufdiese Weise eine vermehrte Esslust auslösen.

Da ist es eigentlich kein Wunder, dass unsereDarmflora nicht nur auf unseren Körper, sondernauch auf unser Gehirn und unsere Psyche nachhal-tige Auswirkungen haben kann. Ohne gesundenDarm kein gesundes Gehirn! Was auf den erstenBlick plakativ und kaum glaubhaft klingt, scheint,wie neueste Untersuchungen zeigen, tatsächlichder Wahrheit zu entsprechen. So kann eine gesun-de Darmflora unser Gehirn beispielsweise vor Ent-zündungen schützen und für die Entsorgungschädlicher Zellabfälle sorgen. Das hat eine Grup-pe von Neurowissenschaftlern vom Universitätskli-nikum Freiburg vor zwei Jahren festgestellt. DieForscher untersuchten keimfreie Mäuse und stell-ten fest, dass die fehlende Darmflora sich bei die-sen Tieren auch auf das Gehirn ausgewirkt hatte:Ihre Mikroglia (Fresszellen, die Krankheitskeimeund abgestorbene Nervenzellen aus dem Gehirnbeseitigen) waren unreif und verkümmert. Auch beiMäusen, deren Darmbakterien die Wissenschaftlerdurch eine vierwöchige Antibiotika-Therapie abge-tötet hatten, funktionierte das Immunsystem desGehirns nicht mehr so gut. Baute man bei diesenNagetieren die Darmflora wieder auf, so gesunde-ten auch ihre Mikroglia-Zellen.

Wie kann das sein? Die Forscher stellten fest,dass die Funktion der Mikroglia durch Abbaupro-

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dukte gesteuert wird, die entstehen, wenn dieDarmbakterien ihre Nahrung (z. B. Ballaststoffeoder Milchprodukte) verdauen: Diese kurzkettigenFettsäuren, die über das Blut ins Gehirn gelangen,sind für eine gesunde Hirnfunktion sehr wichtig.„Je größer die Vielfalt der Darmbakterien war, destobesser entwickelten sich auch die Mikroglia“, er-klärt Prof. Dr. Marco Prinz, Ärztlicher Direktor desInstituts für Neuropathologie am Universitätsklini-kum Freiburg, und kommt zu dem Fazit, dass einegesunde Ernährung für eine gute Gehirnfunktionsehr wichtig ist: Immerhin spielen fehlgesteuerteMikroglia-Zellen gleich bei mehreren Hirnerkran-kungen eine Rolle.

Ihr Chef ist ein A........? Vielleicht hat er einfach nur die falschen Darmbak-terien! Nicht nur unser Essverhalten, sondern auchunsere Stimmung – ja möglicherweise sogar das,

was wir als unseren „Charakter“ bezeichnen –könnte dem Einfluss von Darmbakterien unterlie-gen. Auch hierzu gibt es Untersuchungen und Er-fahrungsberichte, so weiß man zum Beispiel, dassdas Verhalten von Mäusen sich verändert, wennman ihnen per Stuhltransplantation eine neueDarmflora „einpflanzt“. Dadurch veränderte sich indieser Studie nicht nur die Darmflora, sondernauch der Charakter der Tiere: Erhielten neugierigeMäuse die Darmbakterien von ängstlicheren Na-gern, so wurden sie ebenfalls vorsichtiger undängstlicher. Die zaghaften Mäuse, denen man dieDarmflora von unternehmungslustigeren Tierentransplantierte, wurden hingegen mutiger und ver-krochen sich nicht mehr ängstlich in irgendeinerdunklen Ecke ihres Geheges, sondern erkundetenihre Umgebung voller Neugier.

Die amerikanische Neurologin Dr. KulreetChaudhary berichtet von einem Unternehmens-

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Nervenverbindung zum GehirnBlutgefäße

Darmlumen

Darmwand

Längsmuskulatur

Ringmuskulatur

Lymphgefäß

Die Schleimhaut (Mukosa)beinhaltet feinste Blutge-fäße, die Nährstoffe ausdem Speisebrei aufneh-men.

Speisebrocken im Darmwerden durch mechani-sche und chemischeSensoren registriert. DasNervengeflecht leitet die-se Impulse weiter.

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chef, der sich wegen seiner Konzentrationsstörun-gen als Patient in ihrer Praxis vorstellte: DieserMann war sehr aggressiv und konkurrenzorientiert,was ihm offenbar auch bewusst war, denn er be-zeichnete sich selbst als A........ . „Vielleicht liegt esja auch einfach nur an Ihrer Verdauung“, tröstetedie Ärztin und verordnete ihm ein Behandlungspro-gramm zur Umstellung seiner Darmflora. Und tat-sächlich hatten die Konzentrationsstörungen unddas Verhalten dieses Vorgesetzten sich sehr gebes-sert, als er etliche Wochen später wieder in ihrePraxis kam: Er war geduldiger und ließ sich nichtmehr so leicht „auf die Palme“ bringen.

Autismus: Ist der Darm schuld?Inzwischen weiß man, dass ziemlich viele Erkran-kungen mit einer veränderten Darmflora einherge-hen – und das sind interessanterweise nicht nurVerdauungsprobleme, sondern auch ernsthafteneurologische Störungen wie beispielsweise Au-tismus. Die älteren Semester unter uns erinnernsich vielleicht noch an den herzergreifenden Film„Rain Man“ mit Dustin Hoffman, in dem ein ziem-lich oberflächlicher, karrieregeiler kalifornischerAutohändler seinen autistischen Bruder kennenund lieben lernt und dank ihm sogar beginnt, dasLeben aus einer ganz neuen Perspektive zu sehen.

Aber nicht immer enden die Lebensgeschichtenautistischer Menschen so positiv. Und leider wer-den autistische Störungen zu einem wachsendenProblem: Allein in den USA hat sich die Häufigkeitvon Autismus in den letzten zwei Jahrzehnten mehrals verdoppelt! Auch die Rate von Frühgeburten(d. h. vor der 37. Schwangerschaftswoche gebore-ner Kinder) ist seit dem Jahr 1990 um 20 % gestie-gen; und die Häufigkeit chronisch-entzündlicherDarmerkrankungen hat ebenfalls zugenommen.

Diese drei Faktoren, die auf den ersten Blicknichts miteinander zu tun zu haben scheinen, sind,wie man inzwischen weiß, eng miteinander ver-knüpft: Frühchen haben ein erhöhtes Risiko, in ih-rem späteren Leben eine Darmerkrankung wieMorbus Crohn oder Colitis ulcerosa zu entwickeln.Auch ihr Risiko für Lerndefizite und Hyperaktivität,ja sogar für Autismus ist erhöht.

Wie kann das sein?Ganz einfach: Bei zu früh geborenen Kindern ist

der Darm noch nicht richtig ausgereift, wenn sieauf die Welt kommen: Ihre Darmschleimhaut ist

noch zu durchlässig und bietet keine optimalenVoraussetzungen für eine Besiedelung mit den„richtigen“ Darmbakterien. Hinzu kommt, dassFrühgeborene häufig nicht gestillt, sondern mitSäuglingsnahrung gefüttert werden. Dieser Fertig-nahrung fehlen wichtige Substanzen, die in dermenschlichen Vormilch und Muttermilch enthaltensind: beispielsweise das Lactoferrin – ein Eiweiß,welches das Kind vor Infektionen schützt und auchfür die Darm- und Hirnreifung eine wichtige Rollespielt. Und selbst wenn dieses Lactoferrin der Ba-bynahrung zugesetzt wird, ist es darin meist nur ingeringer Menge enthalten und stammt normaler-weise von Kuhmilch. Neuere Untersuchungen deu-ten jedoch darauf hin, dass es sich beim Lactofer-rin um eine artspezifische Substanz handelt: Dasheißt, nur das Lactoferrin aus der Muttermilch kannseine positiven Wirkungen im Körper und Gehirndes neugeborenen Babys ungehindert entfalten.

Außerdem sind „Frühchen“ auch noch verschie-denen anderen Einflussfaktoren ausgesetzt, diesich negativ auf die Entwicklung einer gesundenDarmflora auswirken: Viele Frühgeborene (vor al-lem mit sehr niedrigem Geburtsgewicht) werdenper Kaiserschnitt geboren; oft werden sie auch mitAntibiotika behandelt. Beides kann die Ausbildungeiner gesunden Darmflora beeinträchtigen.

Da ist es eigentlich kein Wunder, dass frühgebo-rene Kinder ein erhöhtes Risiko für chronisch-ent-zündliche Darmerkrankungen haben. Bereits imBabyalter droht ihnen eine gefährliche Darmkrank-heit: die nekrotisierende Enterokolitis, bei der dieDarmschleimhaut zerstört wird – ein echter Notfall,bei dem nur eine rasche Antibiotika-Therapie dasBaby retten kann. (In schwereren Fällen ist sogareine Operation mit Entfernung des betroffenen Darmabschnitts erforderlich.) 90 % dieser Erkran-kungen treten bei Frühgeborenen auf, wobei Kin-der mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Grammbesonders häufig betroffen sind. Aber auch in ih-rem späteren Leben haben Frühgeborene ein er-höhtes Risiko, an Morbus Crohn oder Colitisulcerosa zu erkranken.

Was hat das alles mit Autismus zutun? Auch autistische Kinder leidenüberzufällig häufig unter Verdauungs-problemen. Und Babys, die zu früh aufdie Welt kommen, haben ein erhöhtesRisiko, eine autistische Störung zu entwi-

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ckeln – vor allem, wenn sie bei der Geburt wenigerals 1500 Gramm wiegen. Inzwischen verdichtetsich der Verdacht, dass all das eine gemeinsameUrsache hat und dass diese Ursache in einer ver-änderten Darmflora liegt. So weiß man beispiels-weise, dass bei Autisten die Darmflora in ihrer Zu-sammensetzung verändert ist (viele Autisten habenkrankmachende Bakterienarten im Darm) und dasssie eine zu durchlässige Darmschleimhaut haben,sodass Substanzen – z. B. Nahrungsbestandteile,Giftstoffe, Stoffwechselprodukte und Bak-terien – in den Blutstrom gelangenkönnen, die dort eigentlich nichthingehören. Auch chronisch-ent-zündlichen Darmerkrankungenwie Morbus Crohn und Colitis ul-cerosa liegt dieses Phänomen ei-ner zu großen Undichtigkeit derDarmschleimhaut zugrunde, das häu-fig als „Leaky Gut-Syndrom“ bezeichnetwird. Und Störungen in der Darmreifung und einegestörte Darmflora (Dysbiose) können sich, wie wirja bereits erfahren haben, auch negativ auf die Ent-wicklung des Gehirns auswirken. Für eine nicht in-takte Darmflora als Ursache des Problems spricht,dass es bei autistischen Kindern, die Antibiotika er-halten oder probiotische Nahrungsmittel verzeh-ren, Einzelfallberichten zufolge immer wieder zu ei-ner Besserung der Symptome kommt. Beide Fak-toren verändern die Darmflora.

Wie eine gestörte Darmflora uns krank machen kannAuch sonst sind in den letzten Jahren auffallendviele Parallelen zwischen körperlichen oder psychi-schen Erkrankungen und einer veränderten Darm-flora festgestellt worden:

• Bei Zwillingen beobachtete man, dass dieDarmflora des fettleibigen Zwillings weniger vielfäl-tig war als diejenige seines schlanken Pendants.

• Menschen mit Heißhunger auf Schokolade ha-ben andere Darmbakterien-Stoffwechselproduktein ihrem Urin als Leute, die sich nichts aus Schoko-lade machen, auch wenn sie sich sonst ähnlich er-nähren.

• Anhand von Schleimhautbiopsien hat man festgestellt, dass Patienten mit Morbus Crohn eineveränderte (weniger vielfältige) Darmflora aufwie-sen.

• Auch bei Reizdarmpatienten ist dieZusammensetzung der Darmbakterienverändert, wobei auch hier wieder einenegative Korrelation zwischen der Vielfaltder Darmflora und dem Schweregrad derReizdarmbeschwerden besteht.

• Bei Patienten, die unter einer Zöliakie (Gluten-unverträglichkeit) leiden, unterscheiden sich dieDunndarmbakterien von denen gesunder Men-schen.

• Sogar an schwerwiegenden neurologischenErkrankungen wie Alzheimer oder multipler

Sklerose könnten falsche Darmbakterienneueren Untersuchungen zufolge eineMitschuld tragen.

Leider stecken die Untersuchungenzum Einfluss einer veränderten Darmflora

auf bestimmte Erkrankungen noch in denAnfangsschuhen – hier sind in Zukunft si-

cherlich noch viele spannende neue Erkenntnissezu erwarten!

Wenn Babygeschrei die Nacht zur Qualmacht: Auch bei Koliken hat die Darmfloraein Wörtchen mitzuredenBis zu 25 % aller Babys leiden unter Koliken, dienormalerweise im Alter von sechs Wochen ihrenHöhepunkt erreichen und aufhören, sobald dieKinder etwa vier Monate alt sind. Die Dauer dieser„Dreimonatskoliken“ ist also zum Glück begrenzt,doch während dieser Zeit leiden Eltern Höllenqua-len, denn zu dem Mitgefühl mit dem von Bauch-krämpfen geplagten Baby kommen noch das nerv-tötende Schreien und die vielen Nächte hinzu, indenen man kein Auge zutut.

Woher diese Koliken kommen, weiß man immernoch nicht genau; schon seit längerem wird jedochvermutet, dass eine veränderte Darmflora, die zuverstärkter Gasproduktion und quälenden Bauch-schmerzen führt, daran schuld ist. Eine neuereUntersuchung beweist nun, dass an dieser Hypo-these tatsächlich etwas dran ist: Wissenschaftlerverglichen die Darmbakterien im Stuhl bei Kolikba-bys mit der Darmflora bauchschmerzfreier Säuglin-ge in den ersten 100 Lebenstagen. Eltern gesun-der, reifgeborener Kinder wurden angewiesen, imersten Monat nach der Geburt und dann wieder imAlter von drei bis vier Monaten Stuhlproben ihrerBabys zu sammeln, die die Wissenschaftler dann

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untersuchten. Außerdem sollten sie ein Tagebuchüber das Schreien der Kinder führen.

Das Ergebnis dieser Untersuchung: In der Grup-pe der Säuglinge, die von Koliken verschont blie-ben, nahm die Vielfalt der Darmbakterien nach derGeburt zu. Bei den Kolikbabys war die Darmfloraweniger vielfältig. Außerdem herrschten andereBakterien vor: Die Kolikkinder hatten mehr als dop-pelt so viele Proteobakterien, dafür aber sehr vielweniger Bifido- und Milchsäurebakterien und Lak-tobazillen im Darm als die bauchschmerzfreienKinder. Schon vor Beginn der Koliken war dieDarmflora der späteren „Schreibabys“ also verän-dert! Vielleicht, so meinen die Autoren dieser Stu-die, kann man anhand dieser Informationen einesTages Tests zum Voraussagen von Koliken undneue Therapieoptionen für deren Behandlung ent-wickeln.

Auch die Zusammensetzung der Darmflora beiden Kolikbabys spielt eine wichtige Rolle. So weißman, dass einige Proteobakterienstämme Entzün-dungen hervorrufen können. Bifidobakterien undLaktobazillen dagegen waren bei den Schreibabysim Gegensatz zu den Proteobakterien in geringererAnzahl vorhanden, als normal ist: Also fehlte es die-sen Kindern an den „guten“ Milchsäurebakterien,die eine gesunde Verdauung fördern und das Im-munsystem stärken! Bestimmte Arten von Laktoba-zillen (Lactobacillus gasseri und Lactobacillus plan-tarum) haben eine entzündungshemmende Wir-kung; und gerade diese beiden Bakterienstämmewaren bei den Babys, die später Koliken entwickel-ten, kaum vorhanden. Offenbar werden dieschmerzhaften Bauchkrämpfe also durch Entzün-dungsprozesse im Darm verursacht, die wiederumdurch eine gestörte Darmflora bedingt sind.

Tatsächlich kann man Koliken durch Gabe be-stimmter Milchsäurebakterien lindern. In einer Stu-die erhielten 46 voll gestillte Babys mit Koliken 21Tage lang entweder eine bestimmte Lactobacillus-Art oder ein Placebo. In der Gruppe der Babys, diedas Milchsäurebakterium erhalten hatten, ließ dasSchreien deutlich stärker nach als bei den anderenKindern. Auch ihr Stuhl veränderte sich: Die Anzahlder Laktobazillen nahm zu, während die Anzahlvon Vertretern des potenziell krankmachendenDarmbakteriums Escherichia coli sank.

Was bringt es schädlichen Darmbakterien, Ba-bys mit Bauchschmerzen zu quälen? Hierüber

kann man nur spekulieren. Wis-senschaftler, die sich mit denheimtückischen Überlebensstra-tegien unserer Darmbakterien be-schäftigen, weisen darauf hin, dassSäuglinge, die aufgrund von Koliken öfterschreien, mehr Aufmerksamkeit von ihren Elternbekommen und auch öfter gefüttert werden. Aufdiese Weise bekommen natürlich auch die Darm-bakterien mehr zu futtern.

Die richtige Darmflora – für ein bärenstarkes Immunsystem!Bestimmte Darmbakterien stärken sogar unserekörpereigene Abwehr. Bei einer (z. B. durch einevorausgegangene Antibiotika-Therapie) gestörtenDarmflora schlagen Grippeschutzimpfungenschlechter an. Es werden dann weniger Antikörpergegen das Influenza-Virus gebildet, sodass wirnicht so gut gegen Grippe geschützt sind. Wennmöglich sollte man eine Antibiotika-Behandlungvor einer wichtigen Impfung also lieber vermeidenbzw. nach so einer Therapie erst einmal etwas fürden Wiederaufbau einer gesunden, ausgewogenenDarmflora tun, bevor man sich impfen lässt.

Auch wenn es uns bereits „erwischt“ hat – wiralso an einer Grippe, einem grippalen Infekt odereiner anderen Infektionskrankheit leiden –, wird derBesitzer einer intakten Darmflora leichter damit fer-tig. Gesunde Darmbakterien regen bestimmte Zel-len der Immunabwehr zu vermehrter Aktivität anund stimulieren die Bildung von Antikörpern undverschiedenen Botenstoffe des Immunsystems.

Gestörte Darmflora: Wie bringt man seinenDarm wieder in Schuss?Bei all den Problemen, die eine unausgewogeneDarmflora verursachen kann, gibt es auch einetröstliche Botschaft: Die Zusammensetzung IhrerDarmbakterien kann sich innerhalb von 24 Stun-den drastisch verändern – im positiven wie im ne-gativen Sinn. Durch fast alle wissenschaftlichenUntersuchungen zum Thema Darmbakterien ziehtsich eine Erkenntnis wie ein roter Faden hindurch:Je weniger vielfältig unsere Darmflora ist, umso an-fälliger sind wir für Verdauungsstörungen und an-dere Erkrankungen. Denn bei einer weniger vielfäl-tigen Darmflora besteht eher das Risiko, dasskrank machende Bakterien wie Clostridien und be-

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stimmte Arten von Escherichia coli sich im Darmansiedeln oder zu stark vermehren und die „guten“Darmbakterien verdrängen. Eine weitere ermuti-gende Nachricht ist, dass wir viele Faktoren, diesich auf die Zusammensetzung unserer Darmfloraauswirken, ziemlich gut beeinflussen können. Sokönnen wir beispielsweise ungesunde Essgewohn-heiten ablegen und Antibiotika nur dann einneh-men, wenn es wirklich notwendig ist.

Für Ihre Ernährung können Sie sich eine ganzeinfache Faustregel merken: Alles, was für uns ge-sund ist, wirkt sich auch auf unsere Darmflora po-sitiv aus – weil die „guten“ Darmbakterien es gernefressen. Lebensmittel, die eher ungesund sind (bei-spielsweise Produkte mit einem hohen Gehalt anFett oder Haushaltszucker) dienen hingegen vor al-lem den „schlechten“ Darmbakterien als Nahrungund sorgen dafür, dass diese sich im Übermaß ver-mehren und ausbreiten.

Die Milchsäurebakterien, von denen wir bereitsgehört haben (Laktobazillen und Bifidobakterien),bilden die Basis jeder gesunden Darmflora. Sie ha-ben vielfältige positive Auswirkungen auf unser Ver-dauungssystem und unseren Gesundheitszustand.Manche Bifidobakterien scheiden sogar Giftstoffeaus, um ungesunde Darmbakterien abzutöten;denn im Darm herrscht (wie fast überall in der Na-tur) ein erbarmungsloser Konkurrenzkampf, in demalle Mittel erlaubt sind.

Studien zeigen außerdem, dass Milchsäurebak-terien einen positiven Beitrag zur Gewichtsreduk-tion und Abnahme der Fettmasse des Körpers leis-ten und Verdauungsbeschwerden wie Blähungenund Bauchschmerzen lindern können.

Sogar die Stimmung lässt sich durch die Einnah-me von Rezepturen oder den Konsum von Geträn-ken mit Milchsäurebakterien offenbar verbessern.Was kann einem mehr die Laune verderben als dieTeilnahme an einem Sezierkurs, wie er für Medizin-studenten Pflicht ist? Niemand hantiert gerne mitLeichen herum; außerdem wird man dadurch aufunangenehme Weise an die eigene Sterblichkeit er-innert. In einer Studie erhielten japanische Medi-zinstudenten, die an so einem Kurs teilnahmen,täglich ein Getränk mit Lactobacillus gasseriCP2305; eine Kontrollgruppe von Studenten be-kam stattdessen lediglich ein Placebo, also ein Ge-tränk ohne Wirkstoff. Fazit: Der Drink mit denMilchsäurebakterien linderte Angstgefühle und de-

pressive Verstimmungen und verbesserte das kör-perliche Befinden und die Leistungsfähigkeit derStudenten. Sie schliefen daraufhin sogar besser.Und das war keineswegs nur ihr subjektives Emp-finden: In ihrem Speichel fanden sich geringereKonzentrationen unseres körpereigenen Stresshor-mons Cortisol. In einer anderen klinischen Studielinderte eine Rezeptur mit Lactobacillus helveticusR0052 und Bifidobacterium longum R0175 stress-bedingte Magen-Darm-Beschwerden.

Wie kommt man zu diesen Milchsäurebakterien?Das ist gar nicht so schwierig, denn sie sind in allenmilchsauer vergorenen Lebensmitteln (beispiels-weise Joghurt, Kefir, Buttermilch, Dickmilch, Sau-erkraut, roten Beten, sauren Gurken oder „MixedPickles“) enthalten. Sich ab und zu einmal einenJoghurt oder ein saures Gürkchen zu Gemüte zuführen, reicht aber nicht aus: Damit genügendMilchsäurebakterien lebend in Ihrem Darm ankom-men und sich auch dauerhaft dort ansiedeln, müs-sen Sie solche Produkte regelmäßig – am bestentäglich – in möglichst reichlicher Menge zu sichnehmen. Nur so können Sie Ihre Darmflora positivbeeinflussen. Außerdem gibt es Probiotika (oft re-zeptfrei) in Kapsel- und Tropfenform in der Apothe-ke. Fragen Sie Ihren Arzt danach, wenn Sie eineAntibiotika-Therapie hinter sich oder aus irgendei-nem anderen Grund das Gefühl haben, dass mit Ih-rer Darmflora etwas nicht in Ordnung ist!

Ferner können Sie die Besiedelung Ihres Darmsmit möglichst vielen gesunden Bakterien auch för-dern, indem Sie ihnen die richtige Nahrung anbie-ten. Milchsäurebakterien stehen auf Präbiotika –unverdauliche Ballaststoffe wie Inulin oder Oligo-fructose –, während ungesunde Darmbakteriendiese Kost verschmähen. Präbiotika sind in vielenpflanzlichen Lebensmitteln (z. B. Chicorée, Topi-nambur, Schwarzwurzeln, Artischocken, Spargel,Lauch und Zwiebeln) enthalten. Allerdings kommtes auch hier auf regelmäßigen Verzehr und auf dierichtige Menge an: Um eine positive Wirkung zu er-zielen, sollte man schon mindestens vier bis fünfGramm pro Tag zu sich nehmen. Allerdings sollteman die Menge langsam steigern, denn gerade beiMenschen, die einen empfindlichen Darmhaben oder eine ballaststoffreiche Er-nährung nicht gewöhnt sind, könnenPräbiotika in größeren Mengen Blä-hungen und Durchfall verursachen.

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Antibiotika: Gehen wir zu sorglos damit um?Antibiotika hemmen den Stoffwechsel krankmachender Bakterien und werden zur Behandlung bakterieller In-fektionskrankheiten eingesetzt. Die ersten Antibiotika wurden aus Pilzen der Gattung Penicillium gewonnen, de-nen sie auch ihren Namen (Penicilline) verdanken. Man setzte sie zur Behandlung schwerer Infektionserkrankun-gen wie Blutvergiftung oder Lungenentzündung ein, gegen die die Menschheit bisher machtlos gewesen war. Antibiotika können Leben retten, aber auch erhebliche uner-wünschte Nebenwirkungen haben. Außerdem entwickeln immer mehr Bakterien Resistenzen gegen diese Medika-mente, was nicht zuletzt einem falschen oder zu sorg-losen Antibiotika-Gebrauch geschuldet ist: Immernoch werden diese Arzneimittel von manchenÄrzten zu häufig verschrieben oder falsch ein-gesetzt.

Früher glaubte man, dass Antibiotika mindes-tens eine Woche oder gar 14 Tage lang einge-

nommen werden müssten, um richtig zu wirken.Wenn man sie kürzer einnehme, steige das Risiko,dass sich Resistenzen bilden. Inzwischen hat sichgenau die gegenteilige Einschätzung durchgesetzt:Die Wahrscheinlichkeit von Resistenzen erhöhtsich durch eine längere Einnahme eher. Denn jelänger man solche Medikamente nimmt, umsomehr Chancen haben die Bakterien, bei ihrer Ver-mehrung Mutationen zu entwickeln, durch die siegegen das betreffende Antibiotikum resistent wer-den. Und aufgrund ihrer Resistenz haben dieseBakterien im Körper des Patienten dann auch freieBahn, sich immer weiter zu vermehren und auszu-breiten – während die nicht-resistenten Bakterienabsterben. Außerdem können Bakterien ihre Geneuntereinander austauschen und ihre Resistenzenauf diesem Weg an ihre empfindlicheren „Kollegen“weitergeben.

Weniger ist oft mehrLänger ist also nicht unbedingt immer besser.Ganz im Gegenteil: Je rascher man eine Therapiebeendet, umso weniger Resistenzen können ent-stehen. Inzwischen weiß man, dass zur Behand-

lung einer Lungenentzündung oft schon eine drei-tägige Antibiotika-Therapie ausreicht – es müssennicht unbedingt immer acht Tage sein. Und bei ei-ner Streptokokken-Angina kommt man unter Um-ständen sogar ganz ohne Antibiotika aus.

Leider hat sich diese neue Erkenntnis immernoch nicht bei allen Ärzten herumgesprochen. Eineim letzten Jahr durchgeführte wissenschaftlicheUntersuchung zeigt, dass jede dritte Antibiotika-Verschreibung niedergelassener Ärzte falsch war:Sie wäre entweder gar nicht nötig gewesen, oderdie Ärzte hatten ihrem Patienten das falsche Anti-biotikum verordnet. Selbst im Krankenhaus kannman sich nicht unbedingt immer darauf verlassen,das richtige Medikament zu bekommen; auch dawerden häufig Antibiotika verabreicht, die nichtmehr dem heutigen Therapiestandard entsprechenoder schlichtweg unwirksam sind. Ebenso oftkommt es vor, dass eine falsche Dosis verordnetwird.

Der übermäßige und unsachgemäße Einsatz vonAntibiotika beim Menschen, aber auch in der Tier-mast fördert die Entstehung von Resistenzen. Im-mer häufiger kommt es vor, dass Ärzte einerschweren Infektionserkrankung hilflos gegenüber-stehen, weil keines der zu Verfügung stehenden

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Anne Greveling

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Antibiotika mehr gegen diese Krankheit wirkt. Sogeschah es beispielsweise vor ein paar Monaten inden USA, als eine Patientin an einer Blutvergiftungstarb, bei deren Behandlung alle 26 in den USA zu-gelassenen Antibiotika versagt hatten.

Vor allem in Krankenhäusern werden multiresis-tente Erreger immer mehr zum Problem: Da dortnaturgemäß viele kranke und immungeschwächtePatienten auf engem Raum zusammenkommen,haben die Erreger bei ihrer Vermehrung und Aus-breitung leichtes Spiel. Ältere, geschwächte Pa-tienten bringen solche Keime manchmal sogar be-

reits mit ins Krankenhaus. Laut Angaben desBundesgesundheitsministeriums erkranken inDeutschland alljährlich 400 000 bis 600 000 Men-schen an Krankenhausinfektionen; 10 000 bis15 000 pro Jahr sterben daran. Die Deutsche Ge-sellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) gehtsogar von noch höheren Zahlen aus: Nach ihrerEinschätzung könnten es fast eine Million Infektio-nen und mindestens 30 000 Todesfälle sein.

Mehr Darmkrebs durch Antibiotika?Die Entwicklung neuartiger Antibiotika ist keinenachhaltige Lösung dieses Problems, weil die Bak-terien gegen diese neuen Medikamente natürlichauch wieder Resistenzen entwickeln können. Mo-

mentan scheint die einzig sinnvolle Lösung tat-sächlich in einem noch vorsichtigeren und sachge-mäßeren Einsatz von Antibiotika zu liegen – zumaldiese auch erhebliche Nebenwirkungen verursa-chen können. Beispielsweise bringen sie die Darm-flora so durcheinander, dass die Entstehung diver-ser Krankheiten des Verdauungstrakts (etwa ent-zündlicher Darmerkrankungen, Zöliakie und Adipo-sitas) dadurch begünstigt wird. Experten halten so-gar eine erhöhte Darmkrebsgefahr durch Antibioti-ka-Gebrauch für möglich. Im Rahmen der NursesHealth Study werden seit 1976 Tausende amerika-

nischer Krankenschwestern im Hinblick auf ver-schiedene medizinische Fragen untersucht. Unteranderem zeigt die Studie, dass sich bei Frauen, dieim jungen und mittleren Erwachsenenalter längereZeit Antibiotika erhalten hatten, im Alter bei derDarmkrebsvorsorgeuntersuchung öfter Polypen imDarm fanden, die eine Vorstufe des Darmkrebsesdarstellen. Möglicherweise ist die schädigendeAuswirkung von Antibiotika auf die Darmflora (diedazu führt, dass die Anzahl bestimmter Darmbakte-rien zurückgeht, während andere, häufig ungesun-de Keime sich vermehrt ausbreiten) dafür verant-wortlich. Somit ist es nicht auszuschließen, dasshäufige oder länger andauernde Antibiotika-Thera-pien langfristig das Darmkrebsrisiko erhöhen.

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Verordnungsmenge von Antibiotika in Deutschland nach Bundesland 2014

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Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen

Neues für CED-PatientenMorbus Crohn und Colitis ulcerosa sind entzündlicheDarmerkrankungen (abgekürzt CED), die unbehandeltmit heftigen Bauchschmerzen und oft mit Blut ver-mischten Durchfällen einhergehen. Betroffene leidenunter einer zum Teil stark eingeschränkten Lebens-qualität. Werner Waldmann sprach über diese Erkran-kungen mit Prof. Dr. med. Tilo Andus vom KlinikumStuttgart über die aktuelle Therapiesituation.

Werner Waldmann: Herr Prof. Andus, nehmen entzündlicheDarmerkrankungen eigentlich zu?Prof. Andus: Die epidemiologischen Daten der letzten Jahrezeigen, dass die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungentatsächlich zunehmen. Häufiger treten sie in den industriellorientierten Ländern auf, deutlich weniger in Entwicklungslän-dern. Und leider ist es so, dass diese Krankheitsbilder dort häu-figer in Erscheinung treten, wo sich ein Land dem Lebensstilder modernen Industriegesellschaft annähert. Auch in Deutsch-land ist eine, wenn auch geringere, Zunahme festzustellen.

Werner Waldmann: Wie rasch werden heute entzündliche Darmerkrankungen festgestellt, zuerst ja wohl vom Haus-arzt?Prof. Andus: In den meisten Fällen schicken die hausärztlichtätigen Kollegen solche Patienten rasch zum Gastroenterolo-gen. Man muss aber bedenken, dass die Diagnose manchmalsehr schwierig ist, weil die Symptome nicht eindeutig auf eineCED verweisen. Das liegt daran, dass diese Krankheit nochnicht gänzlich verstanden ist. Es gibt leider nicht den einenTest, der eine sichere Diagnose ermöglicht. Die Diagnosestel-lung ähnelt einem Mosaik: Das Ergebnis wird umso deutlicher,je mehr Einzelbefunde vorliegen. Die klinischen Beschwerden,die körperliche Inspektion, Endoskopie, Histologie, Ultraschall,all diese Verfahren führen zu einer endgültigen Diagnose.

Werner Waldmann: Die CED wurde bisher mit einer Reihe er-probter, jedoch oft nicht allzu wirksamer Medikamente be-handelt, doch was gibt es Neues von der Pharmaindustrie?Prof. Andus: Erfreulicherweise hat sich in der letzten Zeit et-was getan. Allerdings bringt auch keines der neuesten Medika-mente die ersehnte Heilung. Ganz anders als bei Hepatitis C,

wo die neuen Medikamente zu 98 % eine Heilung ermöglichen.Davon sind wir bei den CED weit entfernt. Die neuesten Medi-kamente sind jedoch sehr wirksam und auch ihre Nebenwir-kungen fallen geringer aus. Dies allerdings mit der Einschrän-kung, dass wir diese Medikamente noch nicht sehr gut kennen,da sie noch nicht lange auf dem Markt sind und Nebenwirkun-gen sich oft erst viel später zeigen. Uns steht zur Therapie bei-spielsweise das Vedolizumab zur Verfügung, immerhin schonseit einigen Jahren auf dem Markt. Vedolizumab (HandelsnameEntyvio®) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper ausder Gruppe der Integrin-Antagonisten. Er dient der Behand-lung von Erwachsenen mit Colitis ulcerosa oder MorbusCrohn. Vedolizumab wird zur Behandlung von mittelschwerenbis schweren Erkrankungen verwendet, bei denen sich einekonventionelle Therapie oder TNF-Antagonisten als unwirksamoder nicht länger wirksam erwiesen haben bzw. von dem Pa-

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tienten nicht vertragen werden. Vedolizumab gehört zu einerGruppe von biologischen Arzneimitteln, die wir als monoklona-le Antikörper (MAK) bezeichnen. Vedolizumab blockiert ein Pro-tein auf der Oberfläche von weißen Blutkörperchen, die bei Co-litis ulcerosa und Morbus Crohn die Entzündung verursachen,und verringert so das Ausmaß der Entzündung.

Werner Waldmann: Wie wirkt Vedolizumab?Prof. Andus: Vedolizumab greift nicht mehr die Entzündungs-moleküle an, sondern verhindert, dass Entzündungszellenüberhaupt erst in den Darm einwandern können. Allerdingswirkt das Mittel nicht sofort, denn die bereits im Darm befind-lichen Entzündungsmoleküle verschwinden erst nach Wochen.Diese Immunsuppression wirkt allerdings nicht auf andere Or-gane, sondern nur im Darm. Vedolizumab wird auch mit ande-ren Mitteln kombiniert, etwa mit Prednisolon, einem Kortison,um akute Entzündungen wirkungsvoll und rasch zu bekämp-fen. Kortisonpräparate haben einen schlechten Ruf in der Be-völkerung, dies jedoch zu Unrecht. Eine Kortisonbehandlungbeseitigt die Beschwerden rasch. Man darf Kortison allerdingsnur kurze Zeit einsetzen, es ist kein Präparat für eine Dauerthe-rapie. Und man muss es behutsam ausschleichen. Für einfa-che Fälle haben wir auch noch das Mesalazin, das nicht so in-tensiv wirkt, dafür aber auch weniger Nebenwirkungen hat.

Ganz neu auf dem Markt ist der Wirkstoff Ustekinumab(Handelsname Stelara®), das zu den Biologika gehört. Es han-delt sich um ein Antizytokin. Ustekinumab neutralisiert dieInterleukine IL-12 und IL-23 und wirkt so immunsuppressiv undentzündungshemmend. Da es allerdings Teile des Immunsys-tems unterdrückt, kann es die Entstehung von Infektionen för-dern und kann auch das Risiko für bösartige Tumoren erhöhen.Studien haben gezeigt, dass der Wirkmechanismus von Uste-kinumab ziemlich gut funktioniert und dass die Wirkung auchlange anhält. Auch das Nebenwirkungspotential ist gering. Zu-gelassen war das Medikament ursprünglich für Psoriasis-Be-troffene, wenn eine topische Behandlung versagte, ebenso dieGabe von systemischen Immunsuppressiva. Ganz neu ist dieZulassung für Morbus Crohn, allerdings in höherer Dosis alsbei Psoriasis.

In der Pipeline stecken noch einige Wirksubstanzen. Ichmöchte darüber nicht spekulieren, denn man wird immer wie-der überrascht, dass ein Wirkstoff enttäuscht. Im Augenblickgibt es kein Medikament, von dem ich glaube, dass es bald zu-gelassen wird.

Werner Waldmann: Kann aus CED auch Krebs entstehen?Prof. Andus: Bei beiden Erkrankungen besteht ein erhöhtesRisiko eines Dickdarmkarzinoms. Die chronische Entzündungführt, so die Erklärung, zur vermehrten Zellteilung. Das bedeu-

tet, dass sich dabei auch Fehler einschleichen, die zum Darm-krebs führen. Deshalb gibt es Vorsorgeprogramme speziell fürPatienten, bei denen der Dickdarm befallen ist.

Werner Waldmann: Und wann kommt der Chirurg ins Spiel?Prof. Andus: Immer dann, wenn es zu Komplikationen kommt,etwa einer narbigen Engstelle im Darm, einer Fistel, bei einemDarmverschluss, einer Perforation oder einer Blutung, die nurchirurgisch zu beherrschen ist. Oder bei einem Patienten, beidem Krebsvorstufen entdeckt wurden und der ein hohes Risikohat, an Dickdarmkrebs zu erkranken. Da man ohne Dickdarmleben kann, kann man diesen sozusagen auch prophylaktischentfernen. Mancher Patient entscheidet sich für diese Lösung.In Kopenhagen wird einem Viertel der Patienten der Dickdarmentfernt. So sterben dort auch die wenigsten an Dickdarm-krebs!

Werner Waldmann: Und wie sehen Sie die Zukunft der CED-Therapie?Prof. Andus: Sicher wünschen sich alle Patienten, dass mandiese Krankheiten heilen könnte. Das ist wenig realistisch. Jemehr die Forschung das Krankheitsbild verstanden hat, destokomplexer wird das Ganze. Ursprünglich dachte man, dass essich um ein Gen handelt, das für CED zuständig ist. Leider wis-sen wir heute, dass es eine Vielzahl von Genen gibt, über hun-dert, die alle damit zu tun haben. Viele Patienten tragen nur we-nige dieser Gene oder auch gar keines. Möglicherweise wer-den wir die Krankheit künftig mehr aufsplitten müssen, alsodass es nicht einen Morbus Crohn gibt, sondern Crohn 1, 2, 3.Realistischer ist es, dass wir neue Medikamente finden, die ei-nen Rückfall weiter hinausschieben oder überhaupt verhin-dern, auch Medikamente mit wenig Nebenwirkungen. Patien-tenumfragen haben ergeben, dass sich der größte Teil der Pa-tienten eine Therapie ohne oder nur mit sehr geringen Neben-wirkungen erhofft.

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31.05.2017 20.00 UhrChronisch-entzündliche Darmerkrankungen –Morbus Crohn/Colitis ulcerosa

Im Rahmen der Vortragsreihe „Gesundheit beginnt imKopf“ spricht Dr. med. Suso Lederle mit Prof. Dr. med.Bodo Klump und Dr. med. Klaus Kraft (beide medius KLINIKEN) über CED.

Treffpunkt Rotebühlplatz; Rotebühlplatz 28; Stuttgart

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Gallensteine

Wenn Steine das Leben kosten könnenBis zu 20 % der Deutschen haben Gallensteine. Aber davon merken sie selten etwas. Dochdie Gallenblase kann sich entzünden, ein Stein kann zum Verschluss der Gallenwege unddadurch zu einer Gallenkolik führen. Gelbsucht, eine Bauchspeicheldrüsenentzündung oderein Leberschaden können die Folge sein. Perforiert die Gallenblase, droht eine lebens-gefährliche Bauchfellentzündung. Verhindern kann man Gallensteine nicht, aber die Gallen-blase kann chirurgisch entfernt werden. Werner Waldmann unterhielt sich mit dem Viszeral-chirurgen Prof. Michael Schäffer vom Stuttgarter Marienhospital, das mit über 400 Gallen-blasenentfernungen pro Jahr in der Region führend ist.

Herr Prof. Schäffer, welche Funktion hat die Gallenblase?Prof. Schäffer: Die Galle dient der Verdauung. DieGallensäfte kommen aus der Leber und werden inder Gallenblase zwischengespeichert. Bei Bedarfwerden sie in den Zwölffingerdarm abgegeben undunterstützen dort verschiedenste Verdauungspro-zesse, vor allen Dingen die Fettverdauung.

Gallensteine sind eine Zivilisationskrankheit. Wieentstehen diese Steine?Prof. Schäffer: Es gibt viele verschiedene Ursa-chen für Gallensteine. Man nimmt an, dass die Gal-lenblase in grauer Vorzeit eine große Bedeutunghatte. Vereinfacht muss man sich das so vorstellen,dass wir damals eben nicht immer etwas zu Essenhatten, sondern nur alle paar Tage oder Wochen.Wir brauchten dann solch ein Speicherorgan wiedie Gallenblase, um die Verdauungssäfte zu sam-

meln und dann geballt abgeben zu können. Heuteessen wir dreimal täglich oder häufiger und brau-chen deshalb zwar kontinuierlich, aber wenig Gal-lenflüssigkeit. Eigentlich benötigen wir heute die-sen Zwischenspeicher gar nicht mehr. Es ist wiebei einem alten Weiher, der nicht mehr so richtigmit Wasser durchflossen wird, der versandet, derverschlickt, der kippt um. Genauso verhält es sichmit der Gallenblase.

Es gibt völlig unterschiedliche Formen von Gal-lensteinen. Es fängt an beim einfachen Grieß, dasist so ähnlich wie Sand. Dann gibt es kleine Steineund große Steine bis hin zum sogenannten Tonnen-stein. Und es gibt ganz unterschiedliche Zu-sammensetzungen. Man kennt auch hormonelleEinflüsse – Frauen bekommen z. B. öfter Gallen-steine als Männer – oder ethnische Unterschiede:Hellhäutige Menschen bekommen sie sehr vielhäufiger als solche mit dunkler Haut.

In der Medizin spricht man von den sogenanntenfünf F’s, die man als Student lernen muss: Fettsteht für Übergewicht; female für weiblich; fertilefür fruchtbar; forty für über 40 und fair für hellhäu-tig und blond. Die über 40-jährige, blonde, leichtübergewichtige Mutter, mit weißer Haut, das ist dieklassische Patientin, die Gallensteine bekommt.

Man weiß auch, dass jemand, der sehr stark anGewicht verliert, zu Gallensteinen neigt, z. B. Pa-tienten nach einer Adipositas-Operation. Auchnach einer Dünndarm-Operation neigt die Galledazu, Steine zu bilden. Also es gibt ein paar Um-stände, die eine Rolle spielen können, doch häufigfindet man eben keine zutreffende Ursache. Gal-lensteine bekommen auch junge oder ältere Män-ner, die gar nicht in dieses Schema passen.

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MagenLeber

Bauch-speicheldrüse

Zwölffingerdarm

Gallenblase

Gallensteine

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Symptomatisch werden Gallensteineeigentlich erst später?Prof. Schäffer: Die Steine an sich sind meistensnicht symptomatisch, jedenfalls zunächst einmal.Die klassische Lehrmeinung ist, dass nur etwa 10bis 20 % derer, die Gallensteine haben, solche gro-ßen Probleme bekommen, dass sie sich tatsäch-lich auch einer Operation unterziehen sollten.

Bei dieser Operation entfernt man dann ebennicht nur die Gallensteine. Das hat man früher mitder Zertrümmerung gemacht, aber dann kommendie Steine wieder. Heute ist es so, dass man mini-malinvasiv die Gallenblase mit den darin befind-lichen Gallensteinen entfernt.

Macht man das grundsätzlich laparoskopisch,also ohne Bauchschnitt, oder gibt es auch Fälle,die man offen operieren muss?Prof. Schäffer: In 95 % der Fälle können wir das la-paroskopisch machen. Aber in einem von zwanzigFällen gelingt das nicht, entweder, weil der Patientschon häufiger im Bauchraum operiert wurde undsehr starke Verwachsungen hat, oder bei einerdurchgebrochenen Gallenblase mit schwersterBauchfellentzündung.

Kann bei einer Gallenblasenentzündung oderKolik der Internist noch etwas machen oder wärees dann sinnvoll, sofort zu operieren?Prof. Schäffer: Es ist tatsächlich so, dass man inden meisten Fällen einer Gallenblasenentzündungoder Kolik zunächst einmal konservativ behandelnkann. Durch Schmerzmittel und krampflösendeMedikamente bekommt man eine Kolik ganz gut inden Griff und die Entzündung spricht in der Regelauf Antibiotika ganz gut an. Das Dilemma ist nur,dass damit eigentlich bei den meisten Patientenein gewisser Leidensweg losgetreten wird; dasheißt, wenn die Gallenblase mit ihren Steinen ein-mal anfängt Probleme zu machen, dann kommendiese immer wieder. Es gibt große Untersuchungendie sagen, dass man, wenn eine Kolik oder eineEntzündung auftritt, so rasch wie möglich die Gal-lenblase tatsächlich entfernen sollte, um schlim-mere Komplikationen zu vermeiden.

Was wären schlimmere Komplikationen, etwaeine Perforation?Prof. Schäffer: Ja, Perforation ist eine davon, aber

vor allen Dingen die Pankreatitis, die Bauchspei-cheldrüsenentzündung. Das liegt daran, dass sichder Gallengang durch den Kopf der Bauchspei-cheldrüse hindurchzieht und wenn sich dort, in die-sem Bereich, so ein kleines Steinchen verklemmt,dann kommt es auch zu einer Abflussstörung desBauchspeicheldrüsensekrets und dadurch dann zueiner Selbstverdauung der Bauchspeicheldrüse –das kann lebensbedrohlich werden.

Und man kann ohne Gallenblase leben, manbraucht sie nicht?Prof. Schäffer: 95 bis 98 % aller Patienten sindnach einer Gallenblasenoperation völlig beschwer-defrei. Und das unterstreicht eben die Tatsache,dass wir sie heute eigentlich nicht mehr brauchen.

Warum entfernt man sie dann nicht prophylaktisch?Prof. Schäffer: Weil jede Operation, auch eine klei-ne, Risiken birgt z. B. das geringe, aber vorhande-ne Narkoserisiko. Auch bei der kleinsten Operationkann natürlich immer mal was vorkommen. Daskann mit der Operation selbst zusammenhängen,oder der Patient hat ein schwaches Herz oder esgibt ein anderes Risiko.

Wenn man bei jemandem viele Gallensteine entdeckt und diese Person hat noch keineSymptome, wäre es da nicht angebracht, vorsorglich zu operieren?Prof. Schäffer: Das ist heute eine sehr individuelleEntscheidung; die klassische Lehrmeinung sagtnein. Heute ist man durch die minimalinvasiveTechnik und die geringen Komplikationsraten ebendoch geneigt, vielen Patienten in einer solchen Si-tuation zur Operation zu raten, weil bei vielen klei-

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Gesunde GallenblaseGallenblase mit Gallensteinen

Blockierter Gallengang

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nen Steinen sowie bei einzelnen großen SteinenKomplikationen zu befürchten sind. Man weißauch, dass große Steine mit über 1 cm Durchmes-ser, das Risiko für Gallenblasenkrebs erhöhen. Dasallein ist schon Grund genug für eine Operation.Speziell die ganz kleinen Steine sind besondersgefährlich; sie können in den Gallengang abrut-schen und dann z. B. eine Kolik oder eine Bauch-speicheldrüsenentzündung hervorrufen. Wir ratenunseren Patienten dann tatsächlich auch, bei Gele-genheit diese Gallenblase entfernen zu lassen, dasist ja gut planbar.

Ist es nicht immer besser, solch einen Eingriffdann zu machen, wenn keine Entzündung vorliegt, denn das erschwert doch das Ganze?Prof. Schäffer: Auf jeden Fall. Eine sogenannteElektivoperation ist schonender für den Patienten,weil sie besser vorbereitet und durchgeführt wer-den kann. Jeder Notfalleingriff trägt ein höheres Ri-siko als eine geplante Operation.

Es heißt ja immer wieder in der Fachpresse, eswürden in Deutschland zu viele Gallenblasenoperiert, kann man das so eindeutig sagen?Prof. Schäffer: Ich glaube nicht. Die Frage ist ja im-mer, was ist der Maßstab? Maßstab kann natürlichnicht ein Gesundheitssystem wie in England oderanderen Ländern sein, die gar nicht die Ressour -cen haben, alle Patienten zu versorgen. Letztlich istes natürlich eine individuelle Entscheidung, ob lie-ber fünf Personen mit nicht akuten Erkrankungsbil-dern operiert werden, die dann allerdings auch niewieder Beschwerden bekommen, oder ob man esdarauf ankommen lässt und einen Patienten erstbei einer schweren Komplikation operiert.

Also ich könnte die Botschaft publik machen:Wenn man Gallensteine hat und die wurden ent-deckt und es könnte einmal symptomatische Beschwerden geben, dann ist ein elektiver Ein-griff zu überlegen.Prof. Schäffer: Genau. „Zu überlegen“ ist sicher-lich der richtige Ausdruck: Es gilt, im Einzelfall bei-de Positionen gegeneinander abzuwägen. Wennjemand sehr große Steine hat oder viele kleineSteine, dann spricht vieles für eine Operation. Han-delt es sich um einen mittelgroßen Stein, dannkann man sich natürlich überlegen, ob eine Opera-

tion sinnvoll ist. Bei solchen Überlegungen spieltnatürlich auch eine Rolle, ob man viel ins Auslandfährt, oder ob man viele Termine hat. Man ist heutefür eine Gallenblasenoperation zwei, drei Tage imKrankenhaus, das kann man sich immer mal ein-richten und es bewahrt davor, plötzlich zwei Tagevor Weihnachten oder auf einer Fernreise Problememit den Gallensteinen zu bekommen und als Not-fall in eine Klinik eingewiesen zu werden.

Eine solche Situation kann durchaus lebensbe-drohlich sein. Auch hier in Deutschland sterben im-mer noch Patienten an einer Gallenblasenentzün-dung.

Bei einem Notfall?Prof. Schäffer: Man kann davon ausgehen, dass injedem Krankenhaus ein bis zwei Patienten im Jahran einer Gallenblasenentzündung sterben.

Das Operationsrisiko ist heutzutage durch die laparoskopische Operationstechnik und die modernen Narkosemethoden minimal?Prof. Schäffer: Ein geplanter Eingriff bei einem Pa-tienten, der ansonsten gesund ist, ist heute ein ex-trem risikoarmer Eingriff.

Und wie sieht es bei multimorbiden Patientenaus, im fortgeschrittenen Alter?Prof. Schäffer: Auch da gilt es natürlich, das Fürund Wider sorgfältig gegeneinander abzuwägen,wobei der Patientenwunsch ganz besonders be-rücksichtigt werden muss. Und man darf einesnicht vergessen: Das OP-Risiko, auch bei einer ge-planten Operation, liegt beim älteren Patienten, dervielleicht kardial oder pneumonal vorerkrankt ist,naturgemäß etwas höher, aber das Komplikations-risiko bei einer Notfall-OP ist bedeutend größer. Essind genau diese Patienten, die dann tatsächlichauch bei einer Operation sterben.

Wie viele Gallenblasen operieren Sie im Jahretwa?Prof. Schäffer: Zwischen 400 und 500.

Dann ist eine hohe Expertise vorhanden.Prof. Schäffer: Ja – wir sind traditionell das Kran-kenhaus in Baden-Württemberg mit den meistenGallenblasenoperationen.

Kompass Gesundheit 2/2017

Prof. Dr. med. Michael Schäffer Ärztlicher Direktorder Klinik für Allge-mein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie MarienhospitalStuttgartBöheimstraße 3770199 StuttgartSekretariatTel.: 0711 6489-2201Fax: 0711 6489-2213E-Mail: [email protected]

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Innovation in der Krebs- und Tumortherapie

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Panikattacken, Angststörungen, Depressionen:

Auch die Seele kann krank werdenNach wie vor ist in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt, dass psychische Erkrankungen ebenso behand-lungsbedürftig sind wie körperliche – und dass man sich deshalb nicht zu schämen braucht. Viele Menschen su-chen mit ihrem psychischen Problem viel zu spät den Arzt auf. Das ist schade, denn meistens kann solchen Pa-tienten wirksam geholfen werden. Werden langfristige Leiden dagegen ignoriert, so verschlimmern sie sich häu-fig, und das kann schwerwiegende Folgen haben – von Demenz bis hin zum Suizid. Über dieses wichtige Themasprachen wir mit dem Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der medius KLINIK KIRCHHEIM,Professor Dr. Christian Jacob.

Leider werden psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft immer noch nicht ernst genug genommen.Prof. Jacob: Richtig. Daran etwas zu ändern, istmir ein großes Anliegen. Immerhin gibt es deutsch-landweit alljährlich 12 000 Tote durch Suizide – vielmehr als durch Verkehrsunfälle oder Gewaltverbre-chen. Die Ergebnisse der Global Burden of Disea-se-Studie, die die Entwicklung der Krankheitslastuntersucht, deuten darauf hin, dass die Depressionin 10 bis 15 Jahren die Krankheit sein wird, die dieMenschheit weltweit am meisten belastet und zurgrößten Einbuße an gesunden Lebensjahren führt.Dieses Problem wird leider immer noch nicht rich-tig wahrgenommen. Aber zumindest nimmt die Be-handlungshäufigkeit psychischer Erkrankungendeutlich zu. Das zeigt einen wachsenden Wunschder Menschen nach vollständiger – auch psychi-scher – Gesundheit. Früher wurde Gesundsein ein-fach nur als Abwesenheit von Krankheit definiert;heute geht es dabei auch um Lebensqualität.

Der erste professionelle Ansprechpartner fürMenschen mit psychischen Problemen ist derHausarzt. Wissen die Hausärzte denn heutemehr als früher darüber, wie man solche Patien-ten adäquat behandelt?Prof. Jacob: Wir sind sehr dankbar dafür, dass esinzwischen viele Hausärzte gibt, die über genü-gend Fachkompetenz verfügen, um einen erstenBehandlungsversuch zu unternehmen. Psychiaterund Psychotherapeuten werden erst dann mit insBoot geholt, wenn die ersten grundlegenden Be-handlungsstrategien mit Psychotherapie undPsychopharmaka ins Leere führen – also nur beikomplexeren Krankheitsverläufen.

Man hört immer wieder, dass es für solche Patienten schwierig ist, zeitnah einen Termin bei einem Psychotherapeuten oder Psychiaterzu bekommen.Prof. Jacob: Das ist sicherlich ein großer Miss-stand, dass man heutzutage, wenn man einen qua-lifizierten Psychotherapeuten braucht, teilweise biszu einem halben Jahr lang auf einen Termin wartenmuss. Dagegen muss dringend etwas getan werden. Ich denke, jeder Mensch, der unter einerpsychischen Erkrankung leidet, braucht binnenkurzer Zeit – also eher innerhalb von 14 Tagen alssechs bis acht Wochen – einen Termin beim Fach-arzt; und ich glaube nicht, dass das heute gewähr-leistet ist.

Welches Therapiespektrum bieten Sie an?Prof. Jacob: Mir ist es ganz wichtig, alle Men-schen, die hier im Umkreis leben, mit modernenpsychiatrischen und psychotherapeutischen Ver-fahren zu behandeln, ihnen also ein multimodalesTherapiekonzept anzubieten. Wir behandeln unse-re Patienten sowohl ambulant als auch stationär. ImRahmen unserer psychiatrischen Institutsambu-lanz betreuen wir besonders schwerkranke Patien-ten, die ein multiprofessionelles Setting brauchen,das der niedergelassene Kollege vor Ort nicht hat.Darüber hinaus haben wir auch eine Spezial ambu-lanz für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-störungen bei Erwachsenen und dann natürlichmeine Privatambulanz.

Zu Ihren Schwerpunktgebieten gehören auch Angststörungen – eine der häufigsten psychischen Erkrankungen. Wie entsteht eine Angststörung?

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Prof. Jacob: Zunächst einmal muss man sagen,dass Angst für unser Überleben eine sehr wichtigeFunktion erfüllt. Angst als funktionaler Wegweiser –zum Beispiel, dass man bei einem nächtlichenWaldspaziergang innehält und sich nach einermöglichen Gefahr umschaut, wenn man ein Ge-räusch hört – ist absolut richtig und sinnvoll. Dys-funktional werden Angstgefühle erst dann, wennsie in Situationen auftreten, in denen keine objekti-vierbare Gefahr vorliegt.

Und woher kommen solche Angststörungen?Prof. Jacob: Jeder von uns bringt bestimmte ge-netische Anlagen mit ins Leben; dann kommenEinflussfaktoren wie die Erziehung und bestimmteLebensereignisse hinzu. Aus all dem kann letzt-endlich die Disposition zu einer Angsterkrankungentstehen. Bei Kindern sieht man das schon sehrfrüh: Es gibt Kinder, die sehr ängstlich sind, wäh-rend andere sich mutiger verhalten. Daran erkenntman, dass angeborene Faktoren ganz eindeutigeine Rolle spielen. Die Angsterkrankung per se ent-steht dann letztendlich durch belastende Lebens-ereignisse auf der Basis einer möglicherweise ängstigenden oder überbeschützenden Biografie.Vielleicht konnten die Eltern selbst nicht gut mitdem Thema Angst umgehen und haben ihr Kinddeshalb zu stark behütet. Kinder müssen den Um-gang mit Ängsten erlernen; das können sie abernur dann, wenn man nicht alles von ihnen fernhält.Wenn die Eltern selber ängstlich sind, färbt dasauch auf den Nachwuchs ab.

Erwachsene Menschen erleben ja auch oftAngstgefühle. Wenn man zum Beispiel beimAutofahren im Tunnel aus heiterem HimmelAngst bekommt – warum passiert so etwas?Prof. Jacob: In so einem Fall liegen gleich zweiKrankheitsbilder vor: eine Panikstörung und eineAgoraphobie. Agoraphobie ist die Angst, sich anbestimmten Orten zu befinden, wo Hilfe nicht mög-lich ist, also in diesem Fall in einem Tunnel. Das istzunächst einmal eine Angsterkrankung; auf diesesetzt sich dann noch eine Panikstörung drauf –also eine plötzlich und unerwartet auftretendeAngst, die aber gehäuft in dieser Situation auftritt.Patienten, die unter Panikstörungen mit Agorapho-bie leiden, befinden sich häufig in konflikthaftenPaarbeziehungen mit der Dynamik: „Eigentlich

möchte ich weg, aber ich traue mich nicht sorecht.“

Und wie behandelt man solche Störungen?Prof. Jacob: Der Patient muss den Umgang mitseiner Angst erlernen; das heißt, er muss sich derangstauslösenden Situation stellen. Das kann manzum Beispiel erreichen, indem man den Patientenin diese Situation bringt: Das heißt, er muss immerwieder durch Tunnel fahren. Dabei steigern sich dieAngstgefühle zunächst immer mehr, bis der Patientbefürchtet, verrückt zu werden. Das wird er abernicht: Mehr als Angst haben oder sterben kannman schließlich nicht. Deshalb erreicht die Angstnach einer gewissen Zeit ein Plateau und lässtdann nach. Diese Erfahrung muss man dem Pa-tienten in der Psychoedukation zunächst einmalvermitteln, damit er Vertrauen hat, sich darauf ein-zulassen; und dann muss der Patient an dem Ort,wo er Angst empfindet, letztendlich so lange ver-bleiben, bis ein Gewöhnungsprozess eintritt. Wennjemand also zum Beispiel unter einer Arachnopho-bie leidet, muss er sich zwingen, Spinnen schritt-weise immer näher zu kommen, bis er sie schließ-lich sogar anfassen kann. Das muss man so langewiederholen, bis der Patient lernt, anders mit sei-ner Angst umzugehen als durch Vermeidung.

Und der Therapeut muss bei dieser „Angst-entwöhnung“ dabei sein?Prof. Jacob: Das muss man mit dem Patienten be-sprechen. Es gibt begleitete und unbegleitete Ex-positionen. Oft ist es so, dass der Therapeut denPatienten bei der Exposition zunächst begleitet,seine Gefühle dann nachbespricht und ihn dieseErfahrungen später allein machen lässt. BeimAutofahren im Tunnel geht das natürlich nicht, weilman dann als Therapeut ja letztendlich auch dieVerantwortung dafür tragen würde, wenn in demTunnel etwas passiert.

23Kompass Gesundheit 2/2017

Professor Dr. Christian JacobChefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapiemedius KLINIK KIRCHHEIMEugenstraße 373230 Kirchheim u. Teck

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Was für Arten von Ängsten gibt es sonst noch?Prof. Jacob: Außer den Phobien (das sind, wie ge-sagt, spezifische Ängste vor etwas Bestimmtem,wie beispielsweise Spinnenangst oder Agorapho-bie) gibt es noch Panikattacken, generalisierteAngststörungen und Ängste bei anderen psychi-schen Erkrankungen. Panikattacken unterscheidensich von Phobien dadurch, dass plötzlich und uner-wartet (möglicherweise gehäuft in bestimmten Si-tuationen) Todesängste auftreten.

Außerdem gibt es noch eine zweite Angstform:die generalisierte Angst. Das sind Ängste, die wiralle kennen: Man könnte krank werden oder verar-men, die Kinder könnten verunfallen … Diese Ängste kommen häufiger vor. Und dann gibt es na-türlich auch Ängste bei bestimmten Erkrankungen:beispielsweise bei einer Psychose, bei der mansich verfolgt fühlt, bei einer Depression oder auchbei manchen körperlichen Krankheiten. Man mussals Psychotherapeut oder Psychiater also zunächsteinmal genau diagnostizieren, wo die Angst her-rührt; diese Diagnose ist wichtig für die Therapie.

Kann man Angstzustände auch medikamentösbeeinflussen?Prof. Jacob: Natürlich. Aber zuerst muss man dieFrage nach der Grunderkrankung abklären. DieseGrunderkrankung sollte man behandeln; damit las-sen sich dann auch die Angstzustände ganz gutbeeinflussen. Natürlich gibt es Benzodiazepine, dieangstlösend wirken, allerdings ist dieser Weg meistnicht so sinnvoll, weil die Suchtgefahr bei diesenMedikamenten sehr hoch ist. Wenn man Benzodia-zepine verwendet, sollte man dies nur im Rahmeneines therapeutischen Gesamtkonzepts auf derBasis einer genauen Diagnose tun.

Ist es sinnvoll, die Bevölkerung immer wiederdarüber zu informieren, dass man psychischeProbleme ernst nehmen und in so einem Fallkompetente, professionelle Hilfe suchen sollte?Prof. Jacob: Ja, Prävention und Entstigmatisierungsind sehr wichtig. Ich glaube, dass wir viele Suizidevermeiden könnten, wenn die Menschen sich trau-en würden, rechtzeitig Hilfe zu suchen; und wennder Hausarzt es nicht mehr schafft, dann muss derPsychotherapeut oder Psychiater ran. PsychischeLeiden sind ganz normale Krankheiten, an denenman auch sterben kann. Dieser Tatsache sind sich

viele Menschen leider immer noch nicht genügendbewusst.

Haben manche Patienten nicht vielleicht auchAngst davor, dass ihr Arbeitgeber etwas von ihrer psychischen Erkrankung mitbekommenkönnte, wenn sie sich psychotherapeutisch oderpsychiatrisch behandeln lassen?Prof. Jacob: Ja. Ich glaube, dieses Stigma, daspsychischen Störungen anhaftet, steckt noch sehrtief in uns allen drin. Und sicherlich haben viele Ar-beitgeber auch tatsächlich nicht so gern Mitarbei-ter, die psychisch krank sind. Man muss aber be-rücksichtigen, dass etwa 40 % aller Menschenirgendwann im Laufe ihres Lebens eine behand-lungsbedürftige psychische Erkrankung entwickelnwerden; und wenn 40 % aller Werktätigen aus demErwerbsprozess ausscheiden, wäre das eine Kata-strophe. Ich denke, psychische Erkrankungen ge-hören zur Realität des Menschseins dazu; dasmuss man akzeptieren. Jemand, der sich darumsorgt, dass er wieder gesund wird, ist aus meinerSicht ein besserer Mitarbeiter als jemand, der überdie Angststörung in eine Depression und womög-lich auch noch in einen Alkoholismus oder eine De-menz hineingerät. Heute weiß man, dass Angster-krankungen oft in eine Depression münden; undwenn man Menschen mit Depressionen nachver-folgt, sieht man, dass diese Patienten überzufälligoft dement werden.

Man geht inzwischen davon aus, dass die De-pression eine multifaktorielle Erkrankung – alsoeine psychische Störung mit mehreren verschiede-nen Ursachen – ist; und bei manchen Depressio-nen scheint es auch eine neurodegenerative Kom-ponente zu geben. Wenn man da nicht rechtzeitigeingreift, kann es bei solchen Patienten auch zu ei-nem geistigen Abbau kommen. Also muss mansolche Krankheitsprozesse frühzeitig unterbre-chen. Eigentlich sollten Menschen schon in derSchule über die Grundzüge unserer körperlichenund psychischen Gesundheit aufgeklärt werden:Wie ernähre ich mich gesund? Wie viel Bewegungbrauche ich? Was muss ich für eine gute Work-Life-Balance tun?

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Klinikum Esslingen

Chefarzt Prof. Dr. Matthias Leschke

Arzt für Innere Medizin, Kardiologie, Pneumologie und Intensivmedizin

Telefon 0711 3103-2401Telefax 0711 3103-2405E-Mail: [email protected]

Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie

Das Diagnostik- und Therapiezentrum für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gefäß-, Lungen- und Nierenerkrankungen

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2. STUTTGARTER

HERZTAG

Kompass Gesundheit

Schirmherrschaft

In Zusammenarbeit mit

DeutscheHerzstiftung

ZAR StuttgartZentrum für ambulante Rehabilitation

EINTRITT FREI

TREFFPUNKT

Rotebühlplatz1. Juli 20179 bis 17 Uhr

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Programm AnmeldungModeration: Dr. med. Suso Lederle (Stuttgart)

9.00 Einlass und Industrieausstellung

10.00 Eröffnung und Grußworte

10.15 Prof. Dr. med. Nicolas Doll (Sana Herzchirurgie Stuttgart)Prof. Dr. med. Matthias Leschke (Klinikum Esslingen):

Interventionelle versus operative Kardiologie

10.50 Dr. med. Tobias Meile (Klinikum Stuttgart):Neue Wege der Adipositas-Therapie

11.25 Prof. Dr. med. Thomas Nordt (Klinikum Stuttgart):Volkskrankheit Herzschwäche

___________________________________________________

12.00–13.00 Mittagspause ___________________________________________________

13.00 Prof. Dr. med. Hansjörg Bäzner (Klinikum Stuttgart):Der Schlaganfall

13.35 Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans Henkes (Klinikum Stuttgart):Behandlung des akuten Schlaganfalls: Trombektomie

14.10 PD Dr. med. Klaus Schröder (ZAR Stuttgart):Wie viel Bewegung braucht und verträgt das Herz?

___________________________________________________

14.45–15.15 Pause ___________________________________________________

15.15 Prof. Dr. med. Christian Herdeg (medius KLINIKEN):Das Leben nach dem Herzinfarkt

15.50 Dr. med. Stefan Reinecke (Marienhospital):Herz und Schlaf

16.25 Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher(Robert-Bosch-Krankenhaus):

Bluthochdruck, Nieren & Herz

� Ich komme alleine

� Wir nehmen mit insg. _________ Personen an der Veranstaltung teil.

Name:_________________________________________

Vorname: _________________________________________

Straße:_________________________________________

PLZ:_________________________________________

Ort:_________________________________________

Tel.:_________________________________________

Die Anzahl der Plätze im Vortragssaal ist

begrenzt. Bei zu vielen Anmeldungen

entscheidet das Anmeldedatum.

Schicken Sie eine

E-Mail an:

[email protected]

Oder schicken Sie ein Fax an:

0711 7656590

Der Eintritt ist frei!

Treffpunkt RotebühlplatzRotebühlplatz 2870173 Stuttgart

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28 Kompass Gesundheit 2/2017

Um Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit geht es, wenn wir auch frohgemut in der dritte Phase unseres Lebens anlangen wollen. „Frohgemut“ bedeutet fit, leistungs- und belastungsfähig, rundum gesund und munter. Der moderne Mensch denkt heute dann sofort ans Fitnessstudio. Doch manchem liegt diese Art der körperlichen Ertüchtigung nicht.

Wer sich nicht fürs Fitness-Studio begeisternkann, kann dennoch problemlos viel für sei-

ne Körperfitness tun: Joggen im Wohnbezirk oderRadfahren in der Natur. Auch das ist ein Patentre-zept gegen Wohlstandsleiden wie Diabetes undBluthochdruck. Oder noch einfacher: Gehen Siedoch wandern!

Raus in die Natur! Fränkische Schweiz. Schwäbi-sche Alb. Bayerischer Wald. Deutschland bieteteine berauschende Fülle an beeindruckenden Na-turkulissen. Übrigens ist das kostenlos. Keine Jah-resgebühr ist fällig. Sie brauchen nur gute Wander-schuhe, etwas Praktisches zum Überziehen und ei-nen Rucksack. Und los geht’s.

Immerhin haben das nach Angaben des Deut-schen Wanderverbands (DWV) bereits 30 % allerDeutschen entdeckt. Mindestens einmal im Monatwerden die Wanderschuhe aus dem Schrank ge-holt. Gesundheitswandern heißt das heute. DieAOK und die Barmer GEK sind darauf auch schonabgefahren und spendieren ihren wanderwilligenMitgliedern Zuschüsse.

Prof. Kuno Hottenrott ist Sportwissenschaftleran der Uni Halle. Er wollte genau wissen, was dasWandern für die Fitness bringt. Eine Probanden-gruppe mit 24 Teilnehmern (durchschnittlicher Fit-nessstatus, teilweise mit Bluthochdruck und Über-gewicht) legte in sieben Wochen zehnmal Streckenzwischen vier und sechs Kilometern zurück.Zwischendurch wurden Dehn- und Koordinations-

übungen absolviert. Eine gleich große Vergleichs-gruppe durfte sich in sportlicher Enthaltsamkeitüben. Das Resultat, nach sieben Wochen ausge-wertet, erstaunte: „Die Auswirkungen des Wan-derns waren deutlich messbar”, so der wanderbe-geisterte Professor. „Das hätte ich so nicht erwar-tet, denn die Belastung war doch sehr moderat.“

Auch wer erst mit dem Wandern anfängt,braucht nicht zu befürchten, dass ihm das phy-sisch schwerfallen wird. Bei den Testpersonen derWandergruppe sank die Herzfrequenz nach einernur zwei Kilometer langen Wanderung durch-schnittlich von 131 auf 122 Schläge. Der Blutdruckreduzierte sich ebenfalls deutlich und das Körper-gewicht sank. Außerdem weiß man, dass bei län-geren Wanderungen – vor allem, wenn man sie re-gelmäßig unternimmt – vermehrt Fett abgebautwird. Doch vor Übertreibung sei gewarnt. Manmuss die Belastung ganz allmählich steigern. Essoll Spaß machen. Man kann sich durchaus auchfordern, jedoch in Grenzen. Spürt man, dass es an-strengender wird, ist eine Rast angesagt. Beimnächsten Mal wird der Körper mehr zu geben bereitsein.

Das Fazit des Haller Professors: „Wöchentlichmehrmals vier bis sechs Kilometer Wandern ist eingutes Mittel, um etwas für seine Fitness und Ge-sundheit zu tun, und wegen der geringen Belas-tung des Bewegungsapparates vor allem für ältereMenschen empfehlenswert.“

Eine simple Fitness-Therapie

Gesund mit Wanderschuh und Rucksack

Werner Waldmann

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Ihr Hausarzt meintLiebe Patienten,

„Herr Doktor, jetzt brauche ich aber was

Starkes, das mir hilft!“

Oft höre ich diesen Wunsch von meinen Patien-ten in der Erkältungszeit. Der Wunsch entspringteinmal dem Bedürfnis, möglichst rasch wiedergesund zu werden, da man nicht krank seinkann, aus beruflichen Gründen oder weil eineReise geplant ist, oder auch weil man jetzt schoneine Woche kränkelt und keine Lust mehr daraufhat. Dies ist alles verständlich, aber leider ist dasnicht so einfach. Ich würde meinen Patientenauch lieber eine Pille geben, am besten noch ausdem Bereich der Phytotherapie, und dann wäredie Erkältung vorbei.

Im Winter breiten sich aber vorwiegend Viren inden oberen Atemwegen aus und sind für die Be-schwerden wie Halsweh, Schnupfen, Hustenusw. verantwortlich. „Verschreiben Sie mir jetztein Antibiotikum“, ist dann der Wunsch von Pa-tienten. Antibiotika sind aber gegen Viren nichtwirksam. Eine unnötige Antibiotikatherapie kannsogar dazu führen, dass, wenn Bakterien zu häu-fig in Kontakt mit diesem Mitteln kommen, sie Resistenzen entwickeln. Das heißt, bei dernächsten Anwendung der Antibiotika lachen sichdie Keime einen Ast und sagen zum Antibioti-kum: „Du kannst uns nix mehr ausmachen. Wirhaben uns einen Schutzmantel zugelegt.“

Untersuchungen zufolge werden in Deutsch-land immer noch bei viralen Infekten zu vieleAntibiotika unnötig verschrieben. Zusätzlich wer-den in der Massentierhaltung sehr oft Antibiotikaeingesetzt, um Krankheiten in den Ställen vorzu-beugen. Reste der Antibiotika nehmen wir mitder Nahrung auf und auch dadurch können Bak-terien resistent werden.

Durch die Untersuchung des Rachens, derOhren und durch Abhören der Lunge kann derArzt deutliche Hinweise auf eine bakterielle In-fektion bekommen und dann gezielt Antibiotikaverschreiben. Im Rahmen eines grippalen Infek-

tes sind Zusatzinfektionen mit Bakterien möglichund müssen dann, aber erst dann, mit Antibioti-ka behandelt werden.

Ein Virusinfekt erklimmt am dritten Tag seinenHöhepunkt, durchaus auch mit höherem Fieberund klingt in der Regel innerhalb einer Wochewieder ab. Längere Verläufe bis zu 14 Tagen sindaber auch möglich.

Unser Immunsystem wird mit einem Virus-infekt fertig. Unterstützende Maßnahmen wieBettruhe, viel trinken, pflanzliche Hustensäfteund bekannte Hausmittel helfen, die Symptomezu lindern.

Wussten Sie. dass Fieber eine heilende Wir-kung hat und damit Viren abgetötet werden? Fie-ber ist ein starkes, das Immunsystem stimulie-rendes Prinzip der Selbstheilung. Aber es istauch ein Feuer das man hüten muss, damit esnicht gefährlich wird. Ab 40° C sind fiebersen-kende Maßnahmen mit Wadenwickel und auchParacetamol durchaus angezeigt.

Ich bin immer wieder erstaunt zu hören, dassviele Patienten gar kein Fieberthermometer zuHause haben, wenn ich nach der Höhe des Fie-bers frage. Ein Fieberthermometer gehört in je-den Haushalt.

Ernähren Sie sich gesund und rauchen sienicht – dann haben Sie auch mit weniger Infek-ten zu kämpfen.

Ihr

Ihr Wolfgang Bosch

Dr. med. Wolfgang Bosch Facharzt für Allgemeinmedizin und NaturheilverfahrenKronenstraße 3073760 Ostfildernwww.praxis-bosch-hauser.de

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Unser zunehmendes Übergewicht ist sicherlichein Problem, weil die Last auf den Füßen da-

durch einfach zu groß wird. Sport ist wichtig, umuns fit und schlank zu halten. Aber kann man sichbeim Sport denn nicht auch überlasten und seinenFüßen dadurch schaden?

Sicherlich. Nicht jeder Mensch ist der geboreneLäufer oder Jogger. Bei manchen ist das Gewebeeinfach weniger belastbar, sodass Bänder undSehnen dem Joggen nicht ohne weiteres standhal-ten. Es wird ja ständig neues Sehnengewebe gebil-det; wenn dieser Reparaturmechanismus ab einembestimmten Lebensalter nicht mehr richtig funktio-niert, kann so eine Sehne sich entzünden und auch

mal relativ spontan reißen. Für jemanden, bei demdie Sehnen und Bänder nicht mehr hundertprozen-tig intakt sind, wäre es vielleicht besser, statt desJoggens lieber wandern zu gehen. Ein Wanderstie-fel bietet dem Fuß auch viel besseren Halt als einLaufschuh.

Dr. Lederle: Muten manche Menschen sich beimSport vielleicht einfach zu viel zu, oder wie ist dierelative Häufigkeit von Sportunfällen zu erklären?Dr. Gabel: Ein Unfall kann natürlich durch eine völ-lig unerwartete Kraft von außen entstehen – zumBeispiel wenn man in ein Loch im Boden tritt, dasman in der Dunkelheit nicht sieht. Dagegen ist kein

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Gesunde Füße: Darauf stehen wir!

Mit ihren 26 Knochen, 33 Gelenken und über 100 Sehnen, Muskeln und Bändern sind unsere Füße ein Wunder-werk der Natur. Klaglos tragen sie uns durch den Alltag, wobei sie, weil wir immer dicker werden, oft ein erhebli-ches Gewicht zu schleppen haben. Während ihres Lebens laufen die meisten Menschen einmal um die Erde herum – das sind über 40 000 Kilometer! Grund genug, sie pfleglich zu behandeln. Solange unsere Füße gutfunktionieren, schenken wir ihnen kaum Beachtung; oft werden sie sogar sträflich vernachlässigt und in unbe-queme oder schlecht passende Schuhe gequetscht. Doch sobald wir älter werden, beginnen die Fußgelenke un-ter den Belastungen des Alltags zu leiden: Die Beweglichkeit nimmt ab und die Schmerzen nehmen zu, bis jederSchritt zur Qual wird. Im Rahmen der Vortragsreihe „Gesundheit beginnt im Kopf“ erklärte der Fußexperte Dr. Michael Gabel im Gespräch mit dem Veranstalter Dr. Suso Lederle, wie man Fußprobleme diagnostiziert und behandelt – und was man tun kann, damit sie gar nicht erst entstehen.

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31Kompass Gesundheit 2/2017

Sportler gefeit. Oder es kann durch Umknicken zuBänderrissen im Sprunggelenk kommen. Ein ande-res Problem ist sicherlich die chronische Überlas-tung: Wenn ein Fuß z. B. in seiner Wölbung keineganz stabile Struktur hat und sein Besitzer trotz-dem meint, er müsste immer wieder an einemHalbmarathon teilnehmen, dann kann es natürlichauch mal zu Sehnenproblemen kommen. Vielleichtist in diesem Freizeitsport heute auch ein bisschenzu viel Ehrgeiz drin: Nur weil der Kollege so schnellrennen kann, muss man selbst es auch schaffen;und dann nimmt man vielleicht lieber schnell nochmal eine Schmerztablette und macht weiter, stattsich eine Pause zu gönnen, obwohl der Schmerzeinem ja eigentlich die Grenzen seines Körpers auf-zeigen sollte. Eine Prognose in dem Sinn: „Sie krie-gen ein Problem mit den Füßen und Sie nicht“ kannman als Arzt nicht stellen. Aber wer mit Anfangs-problemen sensibel umgeht und rasch erkennt, obvielleicht der Laufschuh oder der Laufstil verbesse-rungsbedürftig ist oder ob er nicht vielleicht auchein persönliches Limit hat, das nicht überschrittenwerden sollte, kann einer Verschlimmerung vonFußproblemen sicherlich vorbeugen. Es ist sicher-lich nicht jeder für einen Halbmarathon geeignet.

Dr. Lederle: Zu Ihnen kommen Patienten mit allenmöglichen Beschwerden: Schwellungen am Fuß,Schmerzen beim Gehen … Was führt man alsFußorthopäde für Untersuchungen durch, um aufdie richtige Diagnose zu kommen?Dr. Gabel: Zunächst führe ich mit dem Patientenein Gespräch und frage ihn, welche Krankheitenbekannt sind: Leidet er beispielsweise an einemDiabetes mellitus, hat er Gefühls- oder Durchblu-tungsstörungen? Als Nächstes kommt die Famili-enanamnese: Hat irgendjemand in der Familie desPatienten schon mal ein ähnliches Problem ge-habt? Und natürlich frage ich auch: „Wo tut es Ih-nen denn weh und bei welcher Gelegenheit?“,denn auch am Schmerzcharakter kann man schoneiniges ablesen. Schmerz, der in Ruhe auftritt –etwa nächtliche brennende Schmerzen –, ist z. B.eher einem Nervenproblem zuzuordnen, währendeine Arthrose eher bei Belastung wehtut.

Dann folgt die körperliche Untersuchung, dieebenfalls viele Hinweise auf die Ursache des Fuß-problems gibt. Bei einer Hautrötung (gerade amgroßen Zeh) muss man beispielsweise an eine

Gicht denken. Außerdem begutachte ich die Bein -achse des Patienten – ist sie gerade oder hat erwomöglich X- oder O-Beine? Manchmal lasse ichihn auch bestimmte Bewegungen ausführen undfrage ihn, ob ihm dabei irgendetwas wehtut.

Als nächster Schritt kommen apparative Unter-suchungen hinzu: beispielsweise Röntgenaufnah-men zur Darstellung der knöchernen Struktur oderUltraschalluntersuchungen, die Probleme imWeichteilbereich anzeigen können. Wenn man her-ausfinden möchte, ob eine Sehne entzündet ist,bietet sich eine Ultraschalluntersuchung oderKernspintomografie an. So kommt man zu einer ersten Verdachtsdiagnose, die sich dann im Laufder Therapie weiter erhärtet.

Dr. Lederle: In der hausärztlichen Praxis siehtman am häufigsten Patienten, die sich den Fußvertreten haben oder umgeknickt sind: Der Fußtut weh, ist geschwollen, manchmal ist ein Blut-erguss zu sehen. Was tut man in so einem Fall?Dr. Gabel: Auch hier ist natürlich erst mal eine Anamnese wichtig: Wie war der Unfallmecha-nismus? Beim Umknicken kommt es meistens zueiner Distorsion, also einer Zerrung des oberenSprunggelenks. Es gibt drei Bänder am Außenknö-chel, die in so einem Fall manchmal auch reißenkönnen. Ob ein solcher Bänderriss vorliegt, kannich mithilfe einer speziellen Untersuchungstechniktesten. Bei Verdacht auf einen Knochenbruch kanneine Röntgendiagnostik Aufschluss geben. Nachden Leitlinien bedarf eine Distorsion dann weitererDiagnostik, wenn die typischen Fußbeschwerdennach sechs bis acht Wochen immer noch nicht zu-rückgegangen sind. Dann sollte man eine Kern-spintomografie durchführen. Das Kernspin zeigt jainsbesondere Wasseransammlungen an, die aufentzündliche Prozesse wie beispielsweise einenBänderriss hindeuten. Auch bestimmte Knorpelab-scherungen sieht man nur im Kernspin.

Dr. Lederle: Früher hat man bei Bänderrissen öfter operiert. Heute ist man da zurückhaltend.Dr. Gabel: Ja, diese Bänder am Außenknöchel wer-den heute konservativ mit einer Schiene behandelt,die der Patient Tag und Nacht tragen muss. Nachsechs Wochen ist der Bänderriss in der Regel stabilausgeheilt. Dann kommt das Training: Gleichge-wichtsübungen, Muskelaufbau. Solche Bänderris-

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se hat man früher genäht, aber dann im Rahmenvon Studien festgestellt: Es bleibt ungefähr diegleiche Anzahl an Bändern instabil – egal, ob mannun operiert oder nicht.

Zu mir in die Klinik kommen nach ungefähr ei-nem halben Jahr Bänderriss-Patienten, die sagen:„Ich knicke jetzt immer um.“ Bei diesen Patientenist der Riss dann eben nicht stabil verheilt; die wer-den auch heute noch operiert, denn wenn man dasnicht tut und der Patient immer wieder umknickt,geht irgendwann der Knorpel kaputt, und es ent-steht eine Arthrose. Diese Verschleißerkrankungdes Gelenks kommt am Sprunggelenk ohne Ursa-che selten vor, es geht meistens irgendetwas vor-aus. Das kann zum Beispiel ein scheinbar banalerBänderriss sein, der nicht richtig ausgeheilt ist.

Dr. Lederle: Kann auch an anderen Gelenken amFuß Arthrose auftreten?Dr. Gabel: Sehr bekannt ist die Hallux rigidus-Er-krankung; auch das ist eine Arthrose, und zwar amGrundgelenk des großen Zehs. Hallux heißt ja„großer Zeh“, und rigidus bedeutet „steif“. Im An-fangsstadium können wir den Verschleiß durch eineOperation aufhalten. Doch wenn er zu weit fortge-schritten ist, kann man nichts mehr machen, dannversteift das Gelenk.

Dr. Lederle: Besonders häufig ist der Ballenzehoder Hallux valgus, den sehe ich bei jedem zwei-ten oder dritten Patienten. Meine Patienten stel-len mir dazu immer zwei Fragen: „Warum habeich das?“ und „Was kann ich dagegen tun?“ Woliegt denn die Ursache für diese Fußfehlstellung?Dr. Gabel: Frauen sind etwas häufiger davon be-troffen als Männer. Das liegt auch an einer gewis-sen hormonell bedingten Schwäche des Bindege-webes: Während einer Schwangerschaft werdendie Füße der Frau teilweise eine Nummer größerund geben in ihrer Bindegewebsstabilität etwas

nach. Aber wir sehen auch schon 12-, 13-jährigeKinder und Jugendliche mit 16 oder 17 Jahren, dieso starke Beschwerden haben, dass sie beimSport nicht mitmachen können und teilweise sogaroperiert werden müssen. Sicherlich spielt auch dasSchuhwerk eine Rolle: Man kann zwar nicht sagen,dass Schuhe mit hohen Absätzen zwingend denFuß kaputtmachen. Doch solche Schuhe jeden Tagzu tragen, ist nicht gut; und wer ein Fußproblem(beispielsweise Druckstellen bei einem Diabetes)hat, der darf sie nicht mehr anziehen.

Studien zeigen, dass Naturvölker, die sich derwestlichen Lebensweise anpassen, plötzlich auchSpreizfuß- und Hallux valgus-Probleme bekom-men, die es früher bei ihnen nicht gab. Da fragtman sich natürlich: Liegt das an den Schuhen oderam harten Boden? Wir wissen es nicht. Sicherlichspielt auch die erbliche Veranlagung eine gewisseRolle, denn in manchen Familien kommen Spreiz-fuß und Hallux valgus gehäuft vor.

Dr. Lederle: Und wann würden Sie beim Halluxvalgus zu einer Operation raten?Dr. Gabel: Das kommt auf die Beschwerden an.Gegen einen Hallux valgus können auch Fußübun-gen helfen: zum Beispiel, die Zehen zu spreizen,damit der Zeh mehr Kraft bekommt und sich gera-de richtet oder zumindest über die Jahre nicht soschnell krumm wird. Doch ab einem bestimmtenErkrankungsgrad kommt man mit Fuß- und Zehen-gymnastik nicht mehr weiter; außerdem passen dieSchuhe irgendwann nicht mehr, weil der Vorfuß jaimmer breiter wird. Wenn der Schmerz so schlimmwird, dass er den Alltag beeinträchtigt, kann manden Zeh operativ begradigen.

Dr. Lederle: Wie lange ist der Patient nach so einem Eingriff in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt?Dr. Gabel: Er muss nach der Operation keinenGips, sondern lediglich einen Vorfußentlastungs-schuh tragen. Dazu empfehle ich anfangs oft auchnoch Unterarmgehstützen. Nach sechs Wochen istdie Wunde in der Regel verheilt. Aber auch in die-sen ersten sechs Wochen kann man schon viel tun,z. B. Bewegungsübungen machen, damit man kei-ne Thrombose bekommt. Danach kann der Fußaber immer noch geschwollen sein. Als Nächstesbraucht der Patient Krankengymnastik und gege-

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Das Röntgenbildlinks zeigt einen Hallux rigidus immittleren Stadium,die beiden Bilderdaneben zeigen einfortgeschrittenesStadium der Erkran-kung.

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Man kann zwar nichtsagen, dass Schuhemit hohen Absätzenzwingend den Fußkaputtmachen.Doch solche Schuhejeden Tag zu tragen,ist nicht gut.

benenfalls Lymphdrainage. Bis die Beschwerdenvöllig verschwunden sind, kann es schon ein hal-bes bis Dreivierteljahr dauern.

Dr. Lederle: Kann man auch im Kindesalterschon gegensteuern, wenn man Tendenzen zueiner Fuß- oder Beinfehlstellung bemerkt?Dr. Gabel: Bei Fehlstellungen aufgrund von Mus-kelschwäche ist Krankengymnastik sinnvoll, umden Fuß in seinem richtigen Wachstum zu fördern.Früher hat man Kindern oft Einlagen verschrieben.Davon sind wir inzwischen ein wenig abgekom-men; aber es gibt durchaus Füße, die einer Füh-rung bedürfen und bei denen Einlagen sinnvollsind. Für Kinder gibt es Einlagen und Schienen(auch Nachtschienen), die verhindern, dass derFuß in eine falsche Position kommt und die die Kin-der so lange tragen müssen, bis der Fuß ausge-wachsen ist.

Dr. Lederle: Und wie steht es mit Einlagen für Erwachsene?Dr. Gabel: Es gibt verschiedene Arten von Einla-gen: Kindern verschreibt man korrigierende Einla-gen. Den erwachsenen Fuß kann man nicht mehrkorrigieren, sondern nur noch vor Überlastungschützen oder (beim diabetischen Fuß) betten.

Es gibt durchaus Studien, die dafür sprechen,dass Einlagen – auch für Erwachsene mit Fußpro-blemen – sinnvoll sind. Eine dieser Studien zeigtzum Beispiel, dass eine gute Fußbettung dasWiederauftreten von Fußgeschwüren (offenen Stel-len an der Fußsohle) bei Diabetikern vermeidet. Ineiner anderen Studie wurden Briefträger unter-sucht und bei Fehlstellungen wie Spreiz- oderPlattfuß mit Einlagen versorgt. Der Orthopädie-schuhmacher hat jedoch nach dem Zufallsprinzipnur der einen Hälfte dieser Briefträger eine schöneEinlage nach Maß für ihr spezielles Fußproblem an-gefertigt. Bei der anderen Hälfte verwendete er le-diglich ein vorgefertigtes Fußbett, klebte eine Le-derdecke darüber und setzte seinen Stempel dar-auf. Die Patienten wussten also nicht, ob sie einespeziell für ihren Fuß und ihr Problem geeigneteEinlage oder lediglich ein „Placebo“ hatten. Die Pa-tienten in der Placebogruppe nahmen ihre Einlagenschon nach ein paar Tagen wieder heraus und sag-ten: „Das ist mir zu umständlich, die immer in mei-ne Schuhe einzulegen.“ Die Patienten in der ande-

ren Gruppe dagegen trugen ihre Einlagen regelmä-ßig. Man hat in der Studie dann untersucht, wie oftes bei den Briefträgern zu Arbeitsausfällen auf-grund von Fußproblemen kam, und festgestellt,dass die Patienten mit den echten Einlagen vielmehr Briefe austrugen. Auch in Fragebögen, in de-nen die Briefträger über ihr Wohlbefinden und ihreLebenszufriedenheit Auskunft geben mussten,schnitten die Patienten mit den echten Einlagenbesser ab. Solche Einlagen werden vom Arzt ver-ordnet und vom Orthopädieschuhmacher gefertigt.Der Patient trägt sie zwei bis drei Wochen, dannüberprüft der Arzt, ob die Einlage richtig ist odernoch einmal überarbeitet werden muss.

Dr. Lederle: Die Orthopädietechnik ist für Ihre Arbeit ein wichtiger Partner, vor allem beim diabetischen Fuß. Was für Probleme haben Diabetiker mit ihren Füßen?Dr. Gabel: Unter der Volkskrankheit Diabetes leidenviele Menschen. Diese Stoffwechselerkrankungkann Blutadern befallen, sodass eine arterielle Ver-schlusskrankheit auftritt, oder auch Nerven betref-fen und eine Polyneuropathie auslösen. So entste-hen Probleme an den Augen, am Herzen und ander Niere oder eben auch der sogenannte diabeti-sche Fuß. Bei Durchblutungsproblemen kann essein, dass ein Zeh sich entzündet und im schlimm-sten Fall vielleicht sogar amputiert werden muss.Solche Patienten sehe ich nicht so häufig, ich bin jakein Gefäßchirurg. Zu mir als Orthopäde kommendie Patienten eher mit anderen Fußproblemen, z. B.mit einem Hallux valgus. Den haben sie oft schonseit vielen Jahren, und er tut ihnen auch nicht weh,weil sie ja kein richtiges Gefühl in den Füßen ha-ben, aber auf einmal entzündet sich derZeh, und es entstehen offene Stellen,über die Bakterien in die Wunde ge-langen können. Beim Diabetiker hei-len Wunden schlechter ab als beigesunden Menschen, sodassschon ein kleiner Riss oder eineBlase zu Geschwüren führenkann.

Für so eine Entzündunggibt es natürlich Warnzei-chen: Der Fuß wird rotoder schmerzt undschwillt an. Doch da

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beim Diabetiker das Schmerz empfinden fehlt, bekommt er da-von oft gar nichts mit.

Dr. Lederle: Wie kann man als Diabetiker verhindern, dassFußverletzungen sich unbemerkt verschlimmern? Dr. Gabel: Man sollte seine Füße genau beobachten und fürStellen, die man nicht sehen kann, einen Spiegel verwenden.Und man kann auch einmal pro Woche einen Angehörigen bit-ten, nachzuschauen, ob es irgendwo rote Stellen oder Horn-hautschwielen gibt.

Dr. Lederle: Und wie kann der Orthopäde einem Patientenmit diabetischem Fußsyndrom helfen?Dr. Gabel: Das Problem beim Diabetiker ist ja, dass sein Gewe-be nicht mehr hundertprozentig gesund ist, sodass schon dernormale Druck des Gehens oder auch ein eigentlich guterSchuh zu Druckstellen führen kann. Deshalb muss man beimdiabetischen Fuß vor allem eine Druckentlastung anstreben.

Zweitens wirkt sich die Nervenschädigung bei einem Diabe-tes auch negativ auf die Muskelnerven aus. Die kleinen Mus-keln im Fuß werden über Nerven angesteuert. Diese Nervenspielen eine sehr wichtige Rolle, denn sie sorgen dafür, dassdie Zehen gerade sind. Sie können in Schuhen und durch un-sere harten Böden, aber auch bei Erkrankungen mit Gefühls-störungen wie beispielsweise Diabetes verkümmern; dannentstehen Hammerzehen, die zusätzliche Druckstellen verur-sachen. In so einem Fall ist es doppelt wichtig, durch eine Fuß-bettung den Druck von unten zu entlasten. Eine Abrollhilfe ander Sohle des Schuhs bringt weitere Druckentlastung.

Außerdem müssen diese Hammerzehen natürlich oben Platzim Schuh haben. Deshalb brauchen solche Patienten einen di-abetischen Schutzschuh, der mehr Volumen bietet, aber aucheine gute Schnürung hat, um dem Fuß Halt zu geben. Außer-dem darf der Schuh vorne keine harte Kappe und auch keineZiernähte aufweisen, die ebenfalls Druckstellen am Fuß verur-sachen können. Solche Schuhe gibt es bei bestimmten Firmennoch als Konfektionsware. Bei noch schlimmeren Fehlstellun-gen braucht man dann einen orthopädischen Schuh, der nachMaß für den einzelnen Patienten angefertigt wird. Wenn man alldiese Dinge beachtet, kann man eine Amputation häufig ver-meiden.

Dr. Lederle: Wie sollte ein Diabetiker seine Füße pflegen?Dr. Gabel: Diabetiker bekommen oft Risse an den Füßen, weildie Haut bei ihnen trockener ist. Manche glauben, sich etwasGutes zu tun, indem sie ihre Füße mit einer Fettsalbe eincre-men. Fett ist in diesem Fall aber gar nicht so wirksam, die Cre-me sollte Harnsäure enthalten. Wenn man die Füße mit so einerCreme zweimal am Tag einreibt, verschwinden die harten

Hornhäute und Risse. Man sollte als Diabetiker auf keinen Fallselbst an der Hornhaut herumschneiden, sondern lieber regel-mäßig zu einem medizinischen Fußpfleger (Podologen) gehen.Viele Podologen sind auf die Behandlung von Patienten mit di-abetischem Fußsyndrom spezialisiert. So ist es zum Beispielgerade bei Diabetikern wichtig, dicke Hornhäute zu entfernenund die Nägel so zu behandeln, dass sie sich nicht ins Fleischbohren. Normalerweise muss man so eine Fußpflege selbstbezahlen; doch Diabetiker können sich ein Rezept ausstellenlassen, dann werden die Kosten von der Krankenkasse er-stattet.

Dr. Lederle: Sie sind Leiter eines von der Deutschen Gesell-schaft für Diabetologie zertifizierten diabetischen Fußzen-trums. Die Diabetologen sind sehr froh darüber, dass es solche Spezialisten gibt, denn der Fuß war viele Jahre langeine Art Grauzone im Bereich der Diabetologie.Dr. Gabel: Das stimmt. Bei Patienten, die in solchen Spezial-ambulanzen für das diabetische Fußsyndrom behandelt wer-den, müssen nachweislich viel seltener Amputationen vorge-nommen werden als bei denjenigen, die mit ihren Fußproble-men irgendwo anders hinkommen; da wird schnell mal ein Zehamputiert, den man eigentlich noch retten könnte, oder es wirdein Vorfuß abgenommen, obwohl man doch wenigstens dengroßen Zeh und zwei Nachbarzehen noch hätte erhalten kön-nen. Je schonender man bei der Amputation vorgeht, umsobesser: Auch ein Rückfußstumpf, bei dem noch die Ferse dranist, ist für den Patienten viel weniger belastend als ein Unter-schenkelstumpf. Denn wenn man nachts mal rausmuss, kannman auf so einem Fersenbein problemlos die paar Schritte biszur Toilette laufen; aber bei einer Unterschenkelamputationmuss man jedes Mal die Prothese dranmachen oder Krückennehmen oder einen Nachtstuhl verwenden. Außerdem kom-men Diabetiker, die ja meistens auch schon etwas älter sind,nach einer großen Amputation schlechter wieder auf die Beine.Deshalb sind Spezialambulanzen zur Behandlung des diabeti-schen Fußsyndroms so wichtig.

Dr. med. Dr. h.c. Michael Gabel ist Chefarztam Fußzentrum Stuttgart mit technischer Orthopädie und Rheumaorthopädie, Sektion Kinder- und Neuroorthopädie in derSana Klinik Bethesda Stuttgart.

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Das Gesundheitsgespräch mit Johannes Bauernfeind

REHA –Trotz Krankheit wieder fit für den Alltag

Werner Waldmann: Herr Bauernfeind, was sinddie häufigsten Gründe für eine Reha?Johannes Bauernfeind: Die Gründe für eine Rehasind vielfältig. Oft liegen orthopädische Diagnosenzu Grunde, hauptsächlich Knie- und Hüftoperatio-nen. Bei älteren Patienten sind meist Stürze die Ur-sache, etwa Schenkelhalsbrüche. Auch Herzinfark-te und neurologische Ursachen (Schlaganfall, Hirn-blutung) kommen im Alter hinzu. Altersunabhängignehmen psychiatrische Ursachen wie etwa Depres-sionen und Krebserkrankungen stetig zu.

Werner Waldmann: Worin liegt die Bedeutungder Reha für den Betroffenen und die Gesell-schaft?Johannes Bauernfeind: Wir möchten mit einerReha-Maßnahme die Lebensqualität des Betroffe-nen verbessern. In bestimmten Fällen kann auchdie Erwerbsfähigkeit erhalten werden und Pflege-bedürftigkeit oder Behinderung vermindert wer-den. Erfolgreiche Reha-Maßnahmen können somitauch das Gesundheitswesen und die Rentenversi-cherung von Folgekosten entlasten.

Werner Waldmann: Werden Patienten nach er-folgter Behandlung ihrer Krankheit vom Arzt aufdie Notwendigkeit einer Reha hingewiesen?Johannes Bauernfeind: Dem behandelnden Arztkommt hier eine Schlüsselrolle zu. Wir gehen davonaus, dass der Arzt die Notwendigkeit einer Reha er-kennt. Im Krankenhaus werden die Patienten auchvom Sozialdienst des Krankenhauses beraten, derauch direkt die Anträge an eine Anschluss-Rehastellt. Im ambulanten Bereich stellt der behandeln-de Arzt den Antrag. Dann können wir uns um allesWeitere kümmern.

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Sind eine Krankheit oder die Folgen eines Unfalls in der Klinik erst einmal behandelt, ist der Betroffene in der Re-gel noch lange nicht fit genug, wieder an seinen Arbeitsplatz oder in seine ursprüngliche Umgebung zurückzu-kehren. Der Körper muss erst wieder behutsam an die Anforderungen des Alltags gewöhnt werden. Dazu gibt eszahlreiche Angebote, eine spezielle Rehabilitation ambulant oder auch stationär durchzuführen.Werner Waldmann sprach mit dem Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils, Johannes Bauernfeind,welche Rehamöglichkeiten es gibt.

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Werner Waldmann: Wann hat man eigentlich einen Anspruch auf eine Reha?Johannes Bauernfeind: Wenn eine Reha die geeig-nete Maßnahme ist, dann ist der Anspruch selbst-verständlich gegeben. Reha-Maßnahmen solleneinerseits Behinderung oder Pflegebedürftigkeitabwenden und bei Beschäftigten die Erwerbsfähig-keit erhalten. Die ambulanten Behandlungsmög-lichkeiten wie zum Beispiel Krankengymnastik,Reha-Sport und eine fachärztliche Behand-lung müssen aber vorher ausgeschöpft werden.Eine stationäre Anschluss-Reha nach einem Kran-kenhausaufenthalt kann auch immer direkt er-folgen.

Werner Waldmann: Wer zahlt die Reha: die Krankenkasse oder die Rentenversicherung?Johannes Bauernfeind: Grundsätzlich ist für Be-schäftigte die Rentenversicherung zuständig, wenndie Vorversicherungszeit erfüllt ist. Hierzu muss derBetroffene in den vergangenen zwei Jahren min-destens ein halbes Jahr gearbeitet haben oder ins-gesamt 15 Jahre lang Beiträge in die Rentenversi-cherung eingezahlt haben.

Für Rentner und Betroffene, welche die Vorversi-cherungszeit nicht erfüllen, ist grundsätzlich dieKrankenversicherung zuständig, ebenso für be-stimmte selbständige Berufsgruppen.

Werner Waldmann: Muss man selbst etwas zuzahlen?Johannes Bauernfeind: Bei einer Reha über dieKrankenversicherung ist grundsätzlich ein Eigen-anteil von zehn Euro pro Tag zu bezahlen. Ausge-nommen sind unter Umständen Anschluss-Reha-bilitationen nach einem Krankenhausaufenthaltund Langzeitrehabilitation.

Werner Waldmann: Kann man sich den Reha-Ortselbst aussuchen?Johannes Bauernfeind: Auf Wünsche können wirin bestimmten Fällen eingehen. Im Vordergrundsteht für uns immer die Qualität der Reha. Die Maß-nahme muss zur Erkrankung passen. Wenn dieGrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Verhältnis-mäßigkeit erfüllt sind, berücksichtigen wir dasWunsch- und Wahlrecht der Versicherten. Wir ha-ben in der Region ausgezeichnete Reha-Einrich-tungen, die wir unseren Versicherten empfehlen.

Werner Waldmann: Wann erfolgt die Reha stationär und wann ambulant?Johannes Bauernfeind: Wir schauen uns jedenEinzelfall genau an. Dabei berücksichtigen wir ne-ben der zu Grunde liegenden Erkrankung auch dieindividuellen Verhältnisse wie den allgemeinen Ge-sundheitszustand oder die häusliche Situation. DerGrundsatz „ambulant vor stationär“ ist allerdingsdurch den Gesetzgeber vorgesehen.

Werner Waldmann: Was passiert, wenn ein Familienmitglied zur Reha muss und niemand daist, der sich um die Familie kümmern kann?Johannes Bauernfeind: In solchen Fällen gibt eseinen Anspruch auf Haushaltshilfe. Wenn in einerFamilie mit zwei kleinen Kindern die Mutter in einestationäre Reha kommt und der Vater in dieser Zeitnur eingeschränkt arbeiten kann, weil er sich allei-ne um die Familie kümmern muss, dann kann zum Beispiel der Verdienstausfall übernommenwerden.

Werner Waldmann: Wenn Kinder zur Reha sollen, können sie von einem Elternteil begleitetwerden? Wenn ja, wer trägt die Kosten für denElternteil?Johannes Bauernfeind: Ja, Kinder bis 14 Jahrenkönnen von einem Elternteil in die stationäre Rehabegleitet werden. Diese Kosten übernehmen dieRentenversicherung bzw. die Krankenkassen. Beiälteren Kindern wird von uns immer der Einzelfallgeprüft.

Werner Waldmann: Zahlt der Arbeitgeber dasGehalt während der Reha weiter?Johannes Bauernfeind: Während der Reha wirdentweder das Gehalt vom Arbeitgeber weiterbe-zahlt, oder der Betroffene erhält Übergangsgeldvon der Rentenversicherung.

Werner Waldmann: Gibt es eigentlich ausrei-chend Plätze für Menschen, die eine Reha in An-spruch nehmen sollten?Johannes Bauernfeind: Es gibt in Baden-Württem-berg sehr viele Anbieter für Reha-Maßnahmen undausreichend Reha-Plätze. Für bestimmte Maßnah-men, etwa bei psychischen oder schweren neurolo-gischen Erkrankungen kann es aber unter Umstän-den zu Wartezeiten in Spezialkliniken kommen.

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Johannes Bauernfeind, Geschäftsführer derAOK Neckar-Fils

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„Wir vom Vital-Zentrum Glotz sind nicht nur dafür da, bestimmte Hilfsmittel zu liefern. Wir beraten und begleiten unsere Kunden, solange sie unsere Unterstützung brauchen.“

Joachim Glotz

Leben braucht Luft

Wer raucht – die Folgen des Rauchens lesen wir auf jeder Zi-garettenpackung –, wer also raucht, sorgt dafür, dass ihmdas Atmen immer schwerer fällt. Und wer nur noch schlechtLuft bekommt, dem fällt jede Bewegung immer schwerer.Treppensteigen, Einkaufen, Spaziergänge, die kleinste Be-wegung strengt an und dieser Zustand verschlimmert sichstetig. COPD heißt die Krankheit, die mittlerweile eine Volks-krankheit ist. COPD steht für „Chronic Obstructive Pulmo-nary Disease“, also obstruktive Lungenerkrankung. Dabeisind die Bronchien verengt oder die Lungenbläschen krank-haft überbläht. COPD ist häufiger als Diabetes. Man gehtdavon aus, dass jeder Achte über 40 davon betroffen ist.

Wenn die Luft knapp wird, werden diese Patienten imKrankenhaus behandelt, doch irgendwann müssen sie wie-der nach Hause. Ohne Sauerstoff geht es aber nicht. Diesenbekommen sie über eine Nasenbrille. Das sind zwei dünnePlastikschläuche, die unter den Nasenlöchern mit Sauerstoffversorgen.

Den Sauerstoff liefert ein Gerät, ein Sauerstoffkonzentra-tor, der mit elektrischer Energie der Umgebungsluft denSauerstoff entzieht und dem Patienten zuführt. Eine andereMöglichkeit ist, dass der Patient ein Gerät mit flüssigemSauerstoff verwendet. Diese Geräte stellen wir als Home-

care-Versorger den Patienten auf ärztliche Verordnung zurVerfügung. Das ist aber nicht alles. Diese Patienten brau-chen eine 100-prozentig zuverlässige Versorgung mit Sauer-stoff und eine kontinuierliche Beratung, damit sie mit ihremGerät umgehen können. Manche Patienten sind nicht mehrmobil, sodass unsere Fachberater zu ihnen nach Hausekommen.

Ein Sauerstoffkonzentrator eignet sich für Patienten in derhäuslichen Versorgung. Der Sauerstoff wird aus der Raum-

Frei zu atmen ist für uns selbstverständlich. Rund 25 000 Mal holen wir am Tag Luft, ganz automatisch.Atmen geht von selbst. Doch erst, wenn unsere Lunge nicht mehr so regelgerecht funktioniert und wirmit der Atmung Probleme bekommen, wissen wir zu schätzen, welche Bedeutung freiem Atmen für un-sere Lebensqualität zukommt. Wir sollten uns auch bewusst machen, was unsere Lunge so leistenmuss. 13 000 Liter Luft atmen wir tagtäglich ein und aus. Über die Lunge wird der Organismus mit le-benswichtigem Sauerstoff versorgt. Gehirn, Herz und Muskeln brauchen Sauerstoff, um zu funktionie-ren. Die Lunge agiert aber auch als Filter, hält Schadstoffe und Krankheitserreger fern.

Luftröhre und Bronchien werden von feinen Flimmer-härchen ausgekleidet. Diese befördern Schleim,Staubpartikel und Schadstoffe aus der Lunge heraus.Müssen jedoch zu viele Schadstoffe abtransportiertwerden, erzeugen winzige Drüsen in der Schleimhautbesonders viel Schleim, der die Bronchien dauerhaftverstopft. Die zurückbleibenden Schadstoffe schädi-gen die Schleimhaut und entzünden diese. Die ringför-migen Muskeln der Bronchienwände verkrampfen sichund verengen die Atemwege. Diese Entwicklungschreitet leider fort: Das Atmen fällt so immer schwerer.

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luft gewonnen und dem Patienten konzentriert zu-geführt. Für Patienten, die noch mobil sind, eignetsich eher Flüssigsauerstoff: Zu Hause steht einSauerstofftank, an dem sich der Patient sein klei-neres mobiles Gerät abfüllt. So lässt sich damitauch außer Haus Sauerstoff inhalieren.

Wie lange hält nun dieser Sauerstoffvorrat? Dashängt ab vom Flow, also wie viel Liter Sauerstoffder Patient pro Minute einatmet und wie viele Stun-den am Tag. Eine Faustregel besagt: Bei einemFlow von 2 Litern über 24 Stunden hält der Tank mitFlüssigsauerstoff rund 11 Tage, das mobile Versor-gungsgerät weitaus weniger. Längere Reisen sinddamit nicht möglich, da die Krankenkassen die Ver-sorgung nur für einen zwei- bis dreiwöchigen Ur-laubsaufenthalt bezahlen und diesen meist nur amStück. Und dies gilt nur für Deutschland. Entwederversorgen wir diese Patienten selbst mit Flüssig-sauerstoff oder unsere Partnerunternehmen über-nehmen dies. Möglich ist auch, dass wir diesen Patienten einen mobilen Sauerstoffkonzentratormitgeben. Dies allerdings auch nur innerhalbDeutschlands. Wen es ins Ausland zieht, der mussseinen mobilen Sauerstoffkonzentrator selbst be-zahlen.

Wer nicht zu viel Sauerstoff benötigt, fährt mit ei-nem mobilen Sauerstoffkonzentrator besser. Erbraucht nur eine Steckdose und kann sich so wie-der mit Sauerstoff versorgen.

Wir als Homecare-Versorger können den Kran-kenkassen gegenüber nicht die real anfallendenKosten abrechnen, sondern müssen mit einer Ver-sorgungspauschale auskommen, egal wie aufwen-dig die jeweilige konkrete Versorgung ausfällt. Un-übersehbar ist ein Trend, dass die von den Kassenerstatteten Pauschalen von Jahr zu Jahr sinken.Der Versorgungsaufwand dagegen bleibt gleich.Und wir können und wollen diese sinkenden Erlösenicht an unsere Patienten weitergeben, die ohnehinschwer an ihrer Krankheit zu tragen haben.

Wir wollen unseren Patienten echte Lebensqua-lität bieten. Das ist ein Spagat, der mir oft Kopfzer-brechen bereitet. Es sind nicht so sehr die Materi-alkosten, also der Sauerstoff, es ist die Logistik.Wir sind verpflichtet, unseren Sauerstoffpatientensieben Tage die Woche rund um die Uhr Service an-zubieten. Wenn der Sauerstoff ausgeht oder der

Konzentrator defekt ist, müssen wir umgehend ei-nen unserer Techniker zum Patienten schicken.

Noch intensiver gestaltet sich die Betreuung derPatienten, die invasiv beatmet werden. Die Kran-kenkassen sehen es gerne, wenn diese Patientenrasch aus der Klinik ins heimische Umfeld oder ineine Betreuungseinrichtung entlassen werden. Kli-nische Intensivpflege ist enorm teuer. Diese Patien-ten leiden unter schweren Erkrankungen wie Mus-

kelatrophien, Lungenemphysem oder amyotropherLateralsklerose, die ihnen das selbstständige At-men unmöglich macht. Sie müssen also kontinuier-lich invasiv beatmet werden. Der Zugang zur Luft-röhre und damit zur Lunge wird mit einer Trachealk-anüle durch eine Öffnung am Hals sichergestellt.Diese Öffnung wird durch einen Luftröhrenschnittin der Klinik hergestellt.

Unsere Mitarbeiter – es versteht sich von selbst,dass diese eine umfassende Schulung durchlaufenhaben müssen – klären die Betroffenen und ihreAngehörigen in aller Ruhe zu allen Aspekten auf,die bei einer invasiven Beatmung zum Tragen kom-men. Allerdings ist die Betreuung und Beratungsehr aufwendig. Auch bei technischen Problemenmüssen unsere Mitarbeiter den Patienten rund umdie Uhr beistehen. Zwar haben beatmungspflichti-ge Patienten immer ein Ersatzgerät zur Hand, den-noch muss der Berater so rasch es geht die Patien-ten persönlich aufsuchen. Egal ob an Sonntagenoder Feiertagen: Unsere Mitarbeiter stehen immerzum Einsatz bereit. Unser Notdienst ist 24 Stundenerreichbar.

„Unsere Mitarbeiter stehen immer zur Verfügung. Unser Notdienst ist 24 Stunden erreichbar.“

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Diabetes stoppen!

Mit Präzisionsstoffwechsel-medikamenten gegen Diabetes

Die Adipositas-Chirurgie hat einen bislang uner-klärlichen Nebeneffekt. Bevor der Operierte

abnimmt, ist sein Diabetes verschwunden. Die For-schung arbeitet daran, den metabolischen Effektder Adipositas-Chirurgie mit Medikamenten nach-zuahmen. Die Forscher sind zuversichtlich.

„In 50 oder vielleicht sogar 20 Jahren wird es dieDiabetesepidemie hoffentlich nicht mehr geben!“So Prof. Matthias Tschöp vom Helmholtz Zentrumin München. Dieses Wunder namens Präzisions-stoffwechselmedizin soll die Anwendung von Kom-binationstherapien und Multi-Target-Molekülen be-wirken, die den Fett- und Zuckerstoffwechsel an

unterschiedlichen Stellen simultan und molekulargezielt beeinflussen.

Diese multimodale Wirkung erklärt auch den Er-folg der Adipositas-Chirurgie. Offenbar hat derUmbau des Magen-Darmtraktes durch die Opera-tion diesen metabolisch günstigen Effekt. Ein Ma-genbypass lässt etwa das Hormon Glukagon-likePeptid 1 (GLP-1) ansteigen. In Versuchen mit Mäu-sen klappt das schon einigermaßen. Doch der Wegist noch weit. Prof. Tschöp: „Das Ziel ist letztlich einPortfolio von Medikamenten, die unterschiedlicheStoffwechselorgane ansteuern und gleichzeitigNebenwirkungen vermeiden.“

Seit dem aktuell vorliegenden Deutschen Herz-bericht wissen wir es genau: Es sterben deut-

lich mehr Frauen an Herzkrankheiten als Männer!Diese Tatsache sollten wir sehr ernst nehmen.

Auffällig ist die höhere Sterblichkeit bei Frauenmit Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen undKlappenerkrankungen. Der Präsident der Deut-schen Herzstiftung, Prof. Thomas Meinertz: „Frau-en mit diesen Herzerkrankungen haben offenbareine ungünstigere Prognose als Männer.“ Dieseauffälligen Sterblichkeitsunterschiede bestehenseit Jahren, sie stehen im Kontrast zur stationärenErkrankungshäufigkeit, die bei Männern deutlich

höher ist. Die Sterbeziffer bei Herzinsuffizienz lagbei Männern pro 1000 Einwohner bei 40 Toten, beiFrauen immerhin bei 69! Offensichtlich werdenFrauen auch seltener behandelt und weniger gutversorgt als Männer! Männern werden auch mehrHerzmedikamente verordnet als Frauen. Freilichmuss man frauenspezifische Besonderheiten be-achten wie z. B. hormonelle Unterschiede, Wirk-unterschiede von Medikamenten auf Grund vonStoffwechselprozessen, unterschiedlicher Anato-mie der kleinen Herzkranzgefäße und vor allem dieverminderte Wahrnehmung von Herzinfarktsymp-tomen bei Frauen, besonders in hohem Alter.

Frauen herzgefährdeter als Männer!

Frauenherzen schlagen anders!

40 Kompass Gesundheit 2/2017

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42 Kompass Gesundheit 2/2017

Gesundheit beginnt im KopfDie Kolumne von Dr. Suso Lederle

Alles Feinstaub oder was?

Immer dieser Feinstaub. Er ist nicht zu sehen, kaum zu riechen,und doch dringt er mit jedem Atemzug in die Lungen ein. Es

sind fein in der Luft verteilte Partikel, eine Art Sondermüll ausvielfältigen Verbrennungsvorgängen und Abrieben auf den Stra-ßen. Gesundheitlich relevant sind die Stäube je nach Teilchen-größe: Unter 10 millionstel Meter gelangen sie in die Atemwege,unter 2,5 in die Lungenbläschen und unter 0,1 auch in den Blut-kreislauf.

Man kann sagen, je kleiner umso gefährlicher. Denn dasmenschliche Abwehrsystem erkennt diese Stäube nicht und sowandern sie ungehindert in die Zellen von Herz, Lunge und Blut-gefäßen. Entzündungen und Gewebsveränderungen sind dieFolge; und wer bereits krank ist, wird stärker betroffen sein.

Atemwegserkrankungen nehmen zu. Aber es wird nicht nurmehr gehustet und schwerer geatmet: An Tagen mit schlechterLuftqualität schnellt auch das Risiko für Schlaganfälle und Herz-infarkte deutlich in die Höhe. Die Dunstglocke aus Feinstaubhemmt zudem die Lungenentwicklung von Kindern und fördertdas Auftreten von Asthma und Allergien.

Die Europäische Charta „Umwelt und Gesundheit“ fordert: ‚Je-der Mensch hat Anspruch auf eine Umwelt, die ein höchstmögli-ches Maß an Gesundheit und Wohlbefinden ermöglicht.’

Deshalb: Achten Sie alle darauf, dass die Atemluft gesünderwird und wirken Sie darauf hin, dass sich keine verantwortlichenPolitiker aus dem Staub machen können. Nur den Alarm auszu-rufen genügt nicht!

Dr. med. Suso LederleCharlottenstraße 470182 Stuttgart Tel.: 0711 241774E-Mail: [email protected]

21.05.2017 11.00 –16.00 UhrAls wärs ein Stück von mir – Patiententag desTransplantationszentrum TübingenKlinik für Allgemeine, Viszeral- und Transplantationschi-rurgie Transplantationszentrum; Kliniken BergSchnarrenberg; 72076 TübingenInfo: Yvonne Hary; Tel. 07071 [email protected]

12.06.2017 19.00 UhrInnovation in der Kardiologie: HerzklappentherapieIn den letzten zehn Jahren hat eine rasante Entwick-lung bei der Behandlung von Herzklappenerkrankun-gen eingesetzt. Das bedeutet, dass immer seltener derHerzchirurg eingreifen muss.Dr. André Schneider (Klinikum Esslingen, Kardiologie)Altes Rathaus, Rathausplatz 1, 73728 Esslingen

28.06.2017 20.00 UhrMager- und Esssucht Das Gefühl zu dick zu sein oder Trost im Essen suchenzu müssen, ist ein Problem für viele. Doch was steckthinter der Anorexia nervosa und der Bulimie? WelcheGefühle hat ein Mensch, der sich zwanghaft mit Nah-rung ‚zustopfen’ muss oder umgekehrt, ständig Nah-rung verweigert? Essstörungen sind Ausdruck seeli-scher Konflikte und eines gestörten Verhältnisses zusich selbst und zu anderen Menschen. Welche Thera-pien können den Betroffenen aus ihrem schwer beein-trächtigten Leben helfen?Dr. med. Suso Lederle im Gespräch mit Prof. Dr. Günter Reich (Uni Göttingen)Treffpunkt Rotebühlplatz; Rotebühlplatz 28; Stuttgart

10.07.2017 18.00 UhrNeues zur Behandlung des SchlaganfallsDer Schlaganfall ist eine häufige und oft sehr schwereErkrankung, die bis vor wenigen Jahren nur unzurei-chend behandelt werden konnte. Für welche Patientenwelche Behandlung infrage kommt und wie man einem Schlaganfall vorbeugen kann, wird in diesemVortrag zur Sprache kommen.Prof. Dr. Hansjörg Bäzner, Neurologische Klinik, Katharinenhospital; Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Henkes,Neuroradiologische Klinik, KatharinenhospitalRathaus der Stadt Stuttgart Marktplatz 1; 70173 Stuttgart

VERANSTALTUNGEN

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