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Konrad I. - Auf dem Weg zum Deutschen Reich"? hg. v. Hans-Werner Goetz unter Mitarbeit von Simon Elling Mit Beiträgen von Gerd Althoff, Ingrid Baumgärtner, Matthias Becher, Franz-Reiner Erkens, Hans-Werner Goetz, Wilfried Hartmann, Ingrid Heidrich, Thomas Heiler, Josef Hoppe, Ulrich Hussong, Donald C. Jackman, Jörg Jarnut, Brigitte Kasten, Hans-Henning Kortüm, Karl Heinrich Krüger, Johannes Laudage, Tillmann Lohse, Ulrich Nonn, Steffen Patzold, Verena Postel, Jürgen Römer, Rudolf Schieffer, Wilhelm Störmer, GudrunVögler, Thomas Vogtherr und Thomas Zotz Mit 11 Abbildungen © Bochum 2006 oa 14,9-

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Konrad I. - Auf dem Weg

zum �Deutschen Reich"?

hg. v. Hans-Werner Goetz

unter Mitarbeit von Simon Elling

Mit Beiträgen von Gerd Althoff, Ingrid Baumgärtner, Matthias Becher, Franz-Reiner Erkens, Hans-Werner Goetz, Wilfried Hartmann, Ingrid Heidrich, Thomas Heiler, Josef Hoppe, Ulrich Hussong, Donald C. Jackman, Jörg Jarnut, Brigitte Kasten, Hans-Henning Kortüm, Karl Heinrich Krüger, Johannes Laudage, Tillmann Lohse, Ulrich Nonn, Steffen Patzold, Verena Postel, Jürgen Römer, Rudolf Schieffer, Wilhelm Störmer, GudrunVögler, Thomas Vogtherr und Thomas Zotz

Mit 11 Abbildungen

© Bochum 2006

oa 14,9-

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Donald C. Jackman

KÖNIG KONRAD, DIE LETZTEN KAROLINGER UND IHRE SÄCHSISCHEN VERWANDTEN

Es ist eine interessante und wichtige historische Einzelheit, daß die Familie König Kon-

rads sowohl im fränkischen Hessengau (im Raum von Eder und Schwalm) als auch im

sächsischen Hessengau (im Raum der Diemel) mächtig war, und daher Konrad mit be-

sonderem Recht als König, der aus Hessen kam, angesprochen werden kann. Ich werde hier König Konrads sächsischen Hintergrund plausibel machen und die Verbindungen Konrads zu den letzten Karolingem skizzieren.

I.

Am Ende des neunten Jahrhunderts bestand eine enge Verbindung zwischen Kaiser Ar-

nulf und den Konradinern, die unter König Ludwig dem Kind bald als erste Familie des Reichsadels zu erkennen sind. Worauf basierte diese enge Verbindung? Einige Quellen deuten auf eine Blutsverwandtschaft zwischen dem letzten Karolinger Ludwig dem Kind

und seinem Nachfolger König Konrad. In der Literatur begegnet man auch der Meinung, die Frau Kaiser Arnulfs, Oda, sei Konradinerin gewesen. Vielleicht war sie aber nur eine konradinische Cousine Konrads des Älteren, denn die verfügbaren Quellen enthalten kei-

ne Andeutung unmittelbarer Verwandtschaft zwischen Karolingem und Konradinern. 1

Allerdings ist Odas Verwandtschaft im konradinischen Mannestamm nur eine unter zahlreichen Möglichkeiten der Beziehung zwischen Karolingem und Konradinern: Nichts

spricht besonders dafür. 2

1 Die Zugehörigkeit Odas zu den Konradinem ist seit Friedrich STEIN, Geschichte des Königs Konrad I. und seines Hauses, Nördlingen 1872, S. 82-86, mehrmals vertreten worden: Irmgard D1EtxtcH, Das Haus der Konradiner. Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte der späten Karolingerzeit, Diss. phil. (masch), Marburg 1952, S. 266; Karl Ferdinand WERNER, Die Nachkommen Karls des Großen bis um das Jahr 1000 (1. -8. Generation), in: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Bd. 4, hg. v. Wolfgang BRAUNFELS u. Percy Ernst SCHRAMM, Düsseldorf 1967, S. 403-482, hier S. 456; Eduard HtAWITSCHKA, Wer waren Kuno und Richlind von Öhningen? Kritische Überlegungen zu einem neuen Identifizierungsvorschlag, in: ZGO 128, 1980, S. 1-49, hier S. 40 (ND. in: DERS., Stirps Regia. Forschungen zu Königtum und Führungsschichten im früheren Mittelalter. Festgabe zu seinem 60. Geburtstag, Frankfurt a. M: Bern 1988, S. 421.469); Christian SErrIPANI u. Patrick VAN KERREBROUCK, La prehistoire des Capetiens, 481-987, lere partie: Merovingiens, Carolingiens et Robertiens (Nouvelle histoire gcnealogique de l'auguste maison de France 1), Villeneuve d'Ascq 1993, S. 292; Thilo OFFERGEin, Reges puerL Das Königtum Minderjähriger im frühen Mittelalter (b1GH Schriften 50), Hannover 2001, S. 567. Die konradinische Identität annehmend, die Legitimät der Ehe aber merkwürdigerweise bezweifelnd: Silvia KONECNY, Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jahrhundert (Dissertationen der Universität Wien 132), Wien 1976, S. 144. Oft zitiert als Befürwörter der konradinischen Identität Odas: Ernst D(atau. ut, Geschichte des Ostfränkischen Reiches, Bd. 3: Die letz- ten Karolinger. Konrad I. (Jahrbücher der Deutschen Geschichte), Leipzig '1888, S. 357, läßt die Frage ih- rer Familienzugehörigkeit ganz offen.

2 Donald C. JACKMAN, The Konradiner. A Study in Genealogical Methodology (lus commune, Sonderhefte, Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 47), Frankfurt a. M. 1990, S. 136.139. Hier wurde die konradi-

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Ich möchte hier eine bisher noch nicht beachtete Möglichkeit der Verbindung auf- zeigen und plausibel machen. Der Name Oda, der manchmal als Indiz konradinischer Herkunft angenommen wird, 3 stammt nämlich mit einiger Wahrscheinlichkeit aus dem damaligen sächsischen Adel. 4 Bekanntlich sind im frühen neunten Jahrhundert Kaiser Ludwig der Fromme und sein Sohn Ludwig der Deutsche durch Heirat eng mit sächsi- schen Adelsfamilien verwandt. 5 Auch König Ludwig der Jüngere hatte eine sächsische Herzogstochter zur Frau. 6 Vermutlich ist in dieser sächsischen Richtung der verwandt- schaftliche Hintergrund zu suchen, und zwar nicht nur für Oda, sondern auch für Glis- mut, die Frau Konrads des Älteren und Mutter König Konrads, deren Name sich ebenfalls am ehesten vom sächsischen Adel herleiten läßt .7

nische Identität Odas zurückgewiesen, unter besonderer Berücksichtigung der Möglichkeit, daß neben all- gemein anerkannten welfischen Beziehungen auch eine Verbindung zu den Ernestinern hätte existieren können, um eine Blutsverwandtschaft zwischen den Vätern König Konrads und Ludwigs des Kindes hin- reichend zu erklären. Eine Erläuterung des ernestinischen Hintergrunds konnte aber zeigen, daß unser zu- nehmendes Verständnis des mittelalterlichen nepos-Begriffs eine neue Auseinandersetzung mit der karolin- gisch-konradinischen Verwandtschaft erfordert: DERS., Cousins of the German Carolingians, in: Onomasti- que et Parente dans 1'Occident medieval, hg. v. K. S. B. KEATS-RoHAN u. C. SErrtPANI (Occasional Publicati- ons of the Unit for Prosopographical Research 3), Oxford 2000, S. 116.139, hier S. 117-121 u. S. 139.

3 Man könnte Oda mit dem männlichen Namen Udo vergleichen, der häufig bei den Konradinern vorkommt; HIAWITSCIIKA, Kuno und Richlind (wie Attn. 1), S. 18 mit Anm. 83. Dennoch ist der Name Oda trotz aller Ähnlichkeit nicht unbedingt in dieser Familie zu erwarten. Unter den bekannten Konradinern kommt - al- lerdings im späten zehnten Jahrhundert als Schwester eines Udo - einmal eine Uda vor, doch stellt dieser Name wahrscheinlich eine außergewöhnliche Koseform des Namens Judith dar. JAcKMAN, Konradiner (wie Anm. 2), S. 164-167. Zur Überschneidung der Besitzungen von Oda und den Konradinern bemerkt DIEL RICH, Haus der Konradiner (wie Anm. 1), S. 266, der Besitz Odas im konradinischen Raum habe wahrscheinlich aus Krongut bestanden. Allgemein zur Geschichte Odas: Timothy REUTF. R, Der Uota-Prozeß, in: Kaiser Arnolf. Das ostfränkische Reich am Ende des 9. Jahrhunderts, Regensburger Kolloquium, 9. - 11.12.1999, hg. v. Franz FucHs u. Peter SCHMID (ZBLG, Reihe B, Beiheft 19), München 2002, S. 253-270.

4 Der Name Oda kommt wiederholt unter den Liudolfmgern und ihren kognatischen Nachkommen vor; Winfrid GI. oCKER, Die Verwandten der Ottonen und ihre Bedeutung in der Politik. Studien zur Familienpo- litik und zur Genealogie des sächsischen Kaiserhauses (Dissertationen zur mittelalterlichen Geschichte 5), Köln-Wien 1989, S. 254 ff., 265,276 f., 335,342,347 f.; Wilhelm SCHLAUG, Die altsächsischen Personen-

namen vor dem Jahre 1000 (Lunder Germanistische Forschungen 34), Lund-Kopenhagen 1962, S. 138. Der sächsische Name Oda entspricht hochdeutsch Uota: Gisela VON PRERADOVIC, Zum Gebrauch altdeutscher Kurznamen, in: Name und Geschichte. Henning Kaufmann zum 80. Geburtstag, hg. v. Friedhehn DEBus u. Karl PUCHNER, München 1978, S. 125-135, hier S. 133. Gerade diese zwei Formen des Namens liegen in ori- ginalen Diplomen vor.

5 Eine Sächsin war Hellwig, deren zwei Töchter mit Ludwig dem Frommen und seinem Sohn Ludwig dem Deutschen vermählt wurden. Thegan, Gesta Hludowici imperatoris c. 26, ed. Ernst TREMtP, MGH SS rer. Germ. 64, Hannover 1995, S. 214; SErrIPANI u. VAN KERREBROUCK (wie Anm. 1), S. 254.

6 Uutgard, die Frau Ludwigs des jüngeren, war eine Tochter Herzog Liudolfs und Schwester der Herzöge Bruno und Otto; GLOCKER (wie Anm. 4), S. 260.

7 Gegen Ende des zehnten Jahrhunderts taucht der recht seltene Name Glismut in einer sächsischen Familie auf; Ruth SCHöLKOPF, Die sächsischen Grafen (919-1024) (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens 22), Göttingen 1957, S. 129 f. In diesem Fall gibt es zwar die Möglichkeit einer Abstam- mung von der Familie König Konrads: Donald C. JACKMAN, Criticism and Critique. Sidelights on the Konra- diner (Occasional Publications of the Oxford Unit for Prosopographical Research 1), Oxford 1997, S. 156, Anm. 89, dennoch kann die sächsische Umgebung einen Fingerzeig auf den Ursprung des Namens geben. Reinhard WENSxus, Sächsischer Stammesadel und fränkischer Reichsadel (Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse 3,93), Göttingen 1976, S. 196, Anm. 1742, konnte die sächsl

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König Konrad, die letzten Karolinger und ihre sächsischen Verwandten 79

II.

Um ein klares Verständnis der Verwandtschaft zwischen König Konrad und seinen könig- lichen Vorgängern zu erreichen, ist es unbedingt nötig, die Bedeutung der lateinischen Verwandtschaftsbegriffe unserer spärlichen Quellen genau zu verstehen. Verhältnismäßig

oft wurde der Begriff nepos benutzt, um eine Verwandtschaftsbeziehung zwischen den Konradinern und den letzten Karolingem zu beschreiben. Dieser Begriff wird aber von mittelalterlichen Quellen in verschiedener Weise benutzt. Daß die klassischen Bedeutun-

gen Enkel' und Neffe' vorhanden sind, steht außer Frage. Trotz häufiger Anwendung be-

sitzen wir jedoch für die weiteren möglichen Bedeutungen keine strengen, lexikalischen Definitionen. Viele Quellen benutzen den Begriff nepos in einem erweiterten Sinne, etwa von Vetter' .s Eine vereinende Definition von nepos muß daher die drei Bedeutungen

, Enkel`, Neffe' und Vetter' umfassen, die in einem Rahmen von drei Generationen ste- hen. Um zwei Personen als nepotes zu betrachten, muß folglich mindestens eine davon

entweder Enkel der anderen Person oder Enkel eines gemeinsamen Vorfahren sein. An der äußeren Grenze des Begriffs nepos steht die lose Verwandtschaft zwischen

Personen, die in zweiter und dritter Generation (2: 3) vom gemeinsamen Vorfahren ent- fernt sind. Aus einer Quelle des zwölften Jahrhunderts, dem Annalista Saxo, dürfen wir schließen, daß der Begriff nepos gelegentlich mit den Graden verbotener Verwandten-

ehen verbunden war. l° Im neunten Jahrhundert konnte sich aber König Karl der Kahle

mit Irmintrud, seiner Verwandten im (3: 3) Grad, vermählen, da beide, wie wir einer ver-

schen Beziehungen einer mittelrheinischen Glismut am Ende des achten Jahrhunderts erörtern. Eine Glis-

mut desselben Zeitraums wanmit einem Sigemar vermählt; Codex Laureshamensis, ed. Karl GLÖCKNER, 3 Bde., Darmstadt 1929/36, Bd. 3, S. 139. Der Name Sigemar weist aber auf den sächsischen Adel; vgl. WENSKUS (wie Anm. 7), S. 42 u. S. 48. Man darf guten Gewissens sagen, daß der Name am leichtesten in

sächsischen Zusammenhängen zu finden sein dürfte. 8 Die ursprüngliche Bedeutung von nepos im klassischen Latein war , Enkel'. Erst im Spätlatein hat sich die

Bedeutung von Neffe' vollständig durchgesetzt: Maurizio BETTINi, Kinship, Time, Images of the Soul, Bal- timore-London 1988, S. 53 f. Oxford Latin Dictionary, hg. v. P. G. W. GLARE, Oxford 1982, S. 1170, enthält nur die ursprüngliche Bedeutung, während A Latin Dictionary, hg. v. Charlton T. LEwis, Oxford 1879, S. 1200, Neffe-Zitate des Silbernen Zeitalters hinzufügt. Es liegt nahe, daß im Mittelalter eine weitere Ausdeh- nung durch bewußte Anlehnung an das spätlateinische Modell unternommen wurde. Mediae Latinitatis le-

xicon minus, hg. v. J. F. NIER. MMEYER, Leiden-Boston 22002, S. 934, führt Neffe/Nichte" und �Cousin ersten Grades" an. Die grundlegende Bedeutung blieb allerdings , Enkel', wie man den mittelalterlichen arbores entnehmen kann; vgl. Hermann SCHART, Die Darstellungen der Arbores Consanguinitatis und der Arbores Affinitatis. Bildschemata in juristischen Handschriften, Tübingen 1982.

9 JACKMAN, Cousins (wie Anm. 2), 5.134-139. 10 Annalista Saxo a. 1049, cd. Georg Wsrtz, MGH SS VI, Stuttgart u. a. 1844, S. 688: Gerbardus comes duxit

Irmingardem niarcbionissanr, viduanr Udonis ntarcbionts; quibus tarnen ambobus illicite nupserat, quia utriusque neptis consanguinea fulL Nach der Beschreibung des Annalista waren Irmingard und Gerhard im (4: 2) Grad verwandt, was allerdings chronologisch nicht stimmt. Gerade diese Verdrehung des Annalista zeigt aber die Wichtigkeit einer Abstammung innerhalb von drei Graden für die von ihm vertre- tene Verwandtschaft von neptis consanguinea. Unabhängig davon stellt Donald C. JACKMAN, Das Eherecht und der frühdeutsche Adel, in: ZSRG Germ. 112,1995, S. 158-201, die eigentliche Rechtslage dar. Nach fränkischem Recht durften innerhalb des dritten Grades verwandte consanguinel einander nicht heiraten. Zur zitierten Stelle beim Annalista und zu ähnlichen Quellen zum nepos-Begriff: JACKMAN, Cousins (wie

. Anm. 2), S. 134 ff.

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läßlichen Quelle entnehmen können, 11 nicht nepotes, sondern pronepotes eines gemein- samen Vorfahren waren und daher nicht untereinander als nepotes zu betrachten sind. 12

Für die inneren Grenzen des Konzepts müssen wir die engen Verwandtschaften betrachten. Ein Neffe ist nepos seines Onkels. Wäre aber die umgekehrte Bedeutung auch möglich? Für diesen nach klassischem Verständnis eigenartigen Fall besitzen wir tatsäch- lich eine eindeutige Quelle. Durch die

, Res gestae Saxonicae' Widukinds von Corvey wird

der Poppone Adalbert, der Todfeind der Konradiner, als nepos König Heinrichs vorge- stellt. 13 König Heinrich, der um eine Generation jünger als Adalbert anzunehmen ist, kann mit ziemlicher Sicherheit als richtiger Neffe Adalberts betrachtet werden. 14 In

scheinbar seltsamer Weise ist also König Heinrich der Neffe, sein Onkel Adalbert wird aber als nepos bezeichnet. Diese Terminologie Widukinds von Corvey ist nicht befremd- lich, denn der Begriff nepos im mittelalterlichen Sinne beschreibt konsequent eine enge, aber allgemeine Blutsverwandtschaft, die innerhalb der drei Generationen der klassischen Bedeutungen liegt.

Die klassischen Bedeutungen gelten stets nur in einer Richtung: Der Enkel ist ne- pos des Großvaters, der Neffe nepos des Onkels, nie umgekehrt. Im mittelalterlichen Ge- brauch gilt der Begriff nepos aber in beiden Richtungen, mit Ausnahme des Falls En- kel/Großvater. Das nepos-Konzept nimmt also an, daß ein weiteres Ausdehnen der Be- deutung von nepos nicht ohne weiteres möglich war, denn die Definition enthält bereits selbst Ausdehnung und Begrenzung. In dieser Weise nimmt der Begriff nepos einen Platz unter den dehnbaren Verwandtschaftstermini ein, 15 der stets durch Nähe der Verwandt- schaft und Gemeinsamkeit der Vorfahren charakterisiert ist (Abb. 2). 16

11 Annales Bertiniani a. 866, ed. Felix GRAT, Jeanne VIEUARD, Suzanne CLEMENCEr U. Leon LEVILLAIN, Paris 1964, S. 160 f.: Karolus Willelmum, sobrinum suum, Odonis quondam comitis Aureitanensis filius. Demnach waren der genannte Wilhelm und seine Schwester, die Königin, mit Karl dem Kahlen im (3: 3) Grad verwandt.

12 Ein Beispiel für pronepos = blutsverwandt außerhalb des zweiten Grads Fmdet sich bei Donald C. JACKMAN, Abnepos, pronepos, in: Notes and Queries 245,2000, S. 14 ff.

13 Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae 1,21, cd. Paul HIRSCH u. Hans-Eberhard LOHMANN, MGH SS rer. Germ. [60], Hannover 1935, S. 31.

14 Emil KIMpaN, Die Abstammung Konrads I. und Heinrichs I. von Karl dem Großen, Historische Vierteljahrs- schrift, N. F. 29,1934/35, S. 722-767, hier S. 743-750; Karl August ECKtuRDT, Genealogische Funde zur all- gemeinen Geschichte (Deutschrechtliches Archiv 9), Witzenhausen'1963, S. 8-22; Eduard HIAWITSCHKA, Zur Herkunft der Liudolfinger und zu einigen Corveyer Geschichtsquellen, in: RhVjbll. 38,1974, S. 92-165, hier S. 141-145 (teilweise erneut abgedruckt in: DERS., Stirps Regia [wie Anm. 1], S. 313-354); SEr 1PANI u. vAN KERREaRouCK (wie Anm. 1), S. 419; GLOCKER (wie Anm. 4), S. 258 f. Übrigens dürfen wir annehmen, daß der von Widukind verwendete Ausdruck ex sorore auf unmittelbare Verwandtschaft durch eine Schwester Adalberts hinweist. Nach ECKHARDT (wie Anm. 14), S. 14 f., ist nepos unter diesen Umständen mit mhdt. neue zu vergleichen. Dieses Wort konnte seine Grundbedeutung von Schwestersohn` in älutli- cher Weise zu, Mutterbruder' ausdehnen, wie auch mhdt. vetere, Brudersohn' oder , Vaterbruder' bedeuten konnte. Dennoch wußte Eckhardt nicht, daß die Sprache der frühesten deutschen Literatur eine �well- ordered and well-balanced consanguineal terminology" bis ins zwölfte Jahrhundert zeigt, jener Zeit, in der sich die Erweiterung von Verwandtschaftsbegriffen verbreitete: William Jervis JONES, German Kinship Terms (750.1500) (Studia Linguistica Germanica 27), Berlin-New York 1990, S. 182.

15 JACKMAN, Kopradiner (wie Anm. 3), S. 136- 16 Freilich wollen HLAWITSCHKA, Kuno und Richlind (wie Anm. 2), S. 40, und SEVI1PANI U. VAN KERREBROUCK

(wie Anm. 1), S. 254, den Begriff nepos auf die angeheiratete Verwandtschaft ausdehnen. Die Diskussion in JACKMAN, Konradiner (wie Anm. 2), S. 136-139, beabsichtigt, dieses verfehlte Verständnis lediglich anzu-

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König Konrad, die letzten Karolinger und ihre sächsischen Verwandten 81

III.

Für das hier entwickelte nepos-Konzept gibt es zwar Ausnahmen, doch kann die Aus- nahme die Regel bestätigen. So müssen wir bei Karolingern und Konradinern die Mög- lichkeit akzeptieren, daß Könige den Begriff nepos für ihre entfernteren Verwandten be-

nutzten. 17 Es scheint sogar eine Erweiterung des Terminus nepos durch den König exi- stiert zu haben. Kaiser Arnulf spricht nämlich in einem Diplom von Konrad dem Älteren

als nepos, 18 wobei die Verwandtschaft hauptsächlich durch die Familie der Welfen im (3: 3) Grad gegeben war. 19 In der nächsten Generation bezeichnet König Ludwig das Kind Konrad den Jüngeren (also seinen späteren Nachfolger, König Konrad I. ) und des-

sen Bruder Eberhard als antabiles nepotes nostri - �unsere liebenswerten Vettern". 20

nepotes

2: 2

3: 2

1. Generation

3: 1

2. Generation

3. Generation

(3 :3= keine nepotes )

Abb. 2: Konzept des Begriffs nepos in mittelalterlichen Quellen

fechten, ohne dort eine endgültige Lösung des Problems der konradinisch-karolingischen Verwandtschaft anzustreben

17 Die Wurzel dieser Begriffserweiterung durch den König geht auf das späte Römische Reich zurück. Zwi- schen Kaisem und germanischen Königen wurden künstliche Formen der Anrede (Vater, Bruder, Sohn) häufig; Franz DöLGtR, Die, Familie der Könige` im Mittelalter, in: HJb 60,1940, S. 397-420.

18 D Arn 89 (891). 19 Knntwra (wie Anm. 14), S. 728-742; Josef FLECtasrEIN, Über die Herkunft der Welfen und ihre Anfänge in

Süddeutschland, in: Studien und Vorarbeiten zur Geschichte des großfränkischen und frühdeutschen Adels, hg. v. Gerd 'Iia's uH (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 4), Freiburg 1957, S. 71-136, hier S. 99 f.; JACK 1AN, Cousins (wie Anm. 2), S. 116 f.

20 D LK 77: per interventuni Cbuonradi et Ebarbardi venerabilium comitun atque amabilium nepotum nostrorum.

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Über die Welfen kann dieses konradinische Brüderpaar mit König Ludwig dem Kind

nicht enger als im (4: 4) Grad verwandt sein. Das ist aber ein so weit entfernter Grad, daß

er als Basis dieser sehr freundschaftlichen, persönlichen Ansprache (amabiles) höchst

unwahrscheinlich ist. Man könnte zwar annehmen, daß König Ludwig das Kind eine Ausnahme gemacht hat, um den Begriff nepos auf entferntere Verwandte auszudehnen. Doch deutet die zusätzliche Qualität amabiles eher darauf hin, daß sich die Verwandt-

schaft wieder in den Rahmen der drei Generationen der klassischen Bedeutungen ein- ordnen läßt. Die Verwandtschaft scheint also nicht mehr durch die Welfen, sondern durch eine ganz andere, und zwar jüngere Verbindung bestimmt zu sein. 21

Diese Interpretation wird untermauert durch ein Diplom, in dem Konrad der jün-

gere von König Ludwig dem Kind als dilectus et propinquus noster bezeichnet wird. 22

Der Terminus propinquus wurde stets für sehr nahe Verwandte benutzt. Er konnte sich auf Verbindungen sowohl durch Heirat als auch durch Blutsverwandtschaft beziehen. Die

zu folgernde Blutsverwandtschaft jüngeren Datums zwischen beiden Königen können

wir nur durch die Annahme erklären, daß Kaiser Arnulf und Konrad der Ältere mit zwei Schwestern vermählt waren, folglich Glismut und Oda Schwestern waren (Abb. 3), denn die beiden anderen möglichen Erklärungen scheiden aus:

(1) Die Frau Kaiser Arnulfs, Oda, kann keine Schwester Konrads des Älteren gewe- sen sein. In diesem Fall wäre nämlich Konrad der Ältere auch ein propinquus Kaiser Ar-

nulfs gewesen. Tatsächlich war er aber trotz seiner königlichen Verwandtschaft und poli- tischen Bedeutung in keinem Sinne der nächste Verwandte Kaiser Arnulfs. 23 Dasselbe

würde gelten, wenn Glismut eine Schwester Arnulfs gewesen wäre. (2) Wenn aber die Frau Kaiser Arnulfs bloß eine Cousine Konrads des Älteren

(oder die Frau Konrads eine Cousine Kaiser Arnulfs) gewesen wäre, dann gäbe es keine Erklärung für die durch amabilis nepos ausgedrückte enge Verwandtschaft zwischen den Söhnen.

IV

Wie bereits erwähnt, können die Namen von Kaiser Arnulfs Frau Oda und von Glismut, der Mutter König Konrads, auf sächsischen Ursprung weisen. Dazu kommt die Überle-

gung, daß die sächsischen Verwandten der Karolinger wahrscheinlich nur unter ganz be-

stimmten Familien zu finden sind, nämlich solchen, die nicht nur die hohen sächsischen Ämter bekleideten, sondern auch die Karolinger ihre Vettern nennen konnten. Einen Zu-

gang zu diesem sächsischen Ursprung von Glismut und Oda bietet uns die herzoglich-

sächsische Dynastie des zehnten Jahrhunderts, die sogenannten Billunger. Ihre Rückfüh-

rung auf den sächsischen Adel leitet uns zu den Amtsträgern des neunten Jahrhunderts

21 Da die Verwandtschaft zwar nicht gerade intim, doch tatsächlich ziemlich eng war, wird meine bisherige Ansicht in JACKMAN, Konradiner (wie Anm. 2), S. 138, korrigiert.

22 D LK 35 (904).

23 Der nächste Verwandte Amuifs war der bayerische Liutpold, der in Diplomen Arnuifs mehrmals als Inter- venient erscheint, z. B. als carissimus propinquur, D Am 162. Bei Ludwig dem Kind ist er carus propin=- quus oder dilectus propinquus; DD LK 9,19,27,28,42. Konrad dem Älteren gegenüber wurde gleichfalls der bayerische Sigehard bevorzugt, z. B. als dilectus comes et fidelis propinquus; D Am 159. Zu diesem bayerischen Verwandtschaftskomplex: JACKMAN, Cousins (wie Anm. 2), S. 117-126.

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und dabei unmittelbar zu den Cobbonen. Die Cobbonen sind wahrscheinlich die sächsi- schen Vettern der Karolinger und zugleich mit König Konrad blutsverwandt.

III Ludwig = Hemma

der Deutsche Konrad

Graf I

Karimann filia = Udo Kg. von Graf Bayern

Arnulf = Oda Kaiser t 899

Glismut der Ältere

t 906 nepos

Konrad

Ludwig Konrad das Kind der Jüngere Dt. König Dt. König

1911 t 918

amabilis nepos, dilectus propinquus

Abb. 3: Blutsverwandtschaft König Konrads mit König Ludwig dem Kind

Die frühesten sicher bekannten Angehörigen der billungischen Dynastie sind die drei Brüder Graf Wigmann (t 944), Herzog Hermann von Sachsen (t 973) und Bischof Ame- lung von Verden (t 965). 24 Ein Elternteil dieser drei Brüder ist mit dem Grafenhaus von Hamaland (sächsisches Rheinland) zu verbinden, da die Namen Wigmann und Hermann in der hamaländischen Verwandtschaft vorkommen. Während ein 889 beurkundeter Graf Hermann von Weitagau (Westfalen) sowohl seinen Namen als auch seine Grafschaft an Herzog Hermann von Sachsen irgendwie übertrug, 25 wurde der billungische Name Wig-

mann zweifellos von einem 855 beurkundeten Grafen Wigmann im Hamaland abgelei- tet. 26 In der Literatur wird es sehr wahrscheinlich gemacht, daß zwischen diesen Grafen

24 Gerd ALTHOFF, Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung. Studien zum Totenge- denken der Billunger und Ottonen (Münstersche Mittelalter-Schriften 47), München 1984, S. 38 f.

25 D Arn 60 (889); D0 127 (um 940); Albert K. HÖMBFRG, Westfalen und das sächsische Herzogtum (Schrif- ten der Historischen Kommission Westfalens 5), Münster 1963, S. 105, Anm. 63; WENSKus (wie Anm. 7), S. 244.

26 Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins, Bd. 1, hg. v. Theodor Joseph 1ACOMBLLT, Düsseldorf 1840, Nr. 65, S. 30. Nachkommen des billungischen Wichmann spielten Im Hamaland bis ins 11. Jahrhun- dert eine Rolle; WFl. sxus (wie Anm. 7), S. 244; Egon BOSHOF, Königtum und adelige Herrschaftsbildung am

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des neunten Jahrhunderts verwandtschaftliche Verbindungen existierten. 27 Wir nehmen an, daß die Mutter der drei billungischen Brüder aus dieser Sippe stammte 28

Hinweise auf die väterlichen Vorfahren der Billunger gibt es im Reichenauer Ver- brüderungsbuch. Ein aus dem Jahre 929 stammender Eintrag von Namen bezieht sich auf die ersten Könige des sächsischen Kaisergeschlechts, ihre Verwandten und Getreuen. Am Ende dieser Liste steht die Namenreihe Ekbert, Biso, Wichmann, Ello. 29 Unter den Bill- lungern, die angesichts ihres sächsischen Herzogsamts wahrscheinlich mit dem sächsi- schen Kaisergeschlecht verwandt waren, 30 kommt der Name Ekbert bei einem Sohn Graf Wigmanns vor. 31 Wir kennen auch einen Grafen Ekbert, der 932 gestorben zu sein scheint und in der Literatur in Verbindung mit den Billungern gebracht wird. 32 Der Name Biso gehört zu einer Reihe von Kosenamen, die sich alle von einem mit ,

Will-` beginnen- den Namen herleiten. 33 Biso verkürzte den Namen Biliso und konnte selbst weiter zu Bio

verkürzt werden. 34 Diese Namen sind als Kurzformen des Namens Billung zu betrachten,

Niederrhein im 9. und 10. Jahrhundert, in: Königtum und Reichsgewalt am Niederrhein, hg. v. Klaus Funk,; u. Wilhelm JANssEN (Klever Archiv 4), Kleve 1983, S. 9-41.

27 WENSKUS (wie Anm. 7), S. 242-247; ALTHOFF, Adels- und Königsfamilien (wie Anm. 24), S. 65. 28 Die Abstammung des Vaters wird im folgenden plausibel gemacht. 29 Das Verbrüderungsbuch der Abtei Reichenau, cd. Johanne AITFENRIETH, Dieter GEUENIcH u. Karl SCHMID,

MGH Libri mein. N. S. I, Hannover 1979, S. 63: Heinrichs rex, hfabtild regina, Otto rex, Heinric us, Prun,

Kisilpert, Kirprig, Hadauui, Sigljrid, Kotechind, Ekkibart, Dancmar, Sigipert, Meginuuarch, Egino, Ekki- hart, Prun, Theoto, Uuitolt, Kozmar, Uuitpert, Kerlind, Liuza, Tbeotirib, Uultecbind, Reginbilt, Perebteid,

Pia, Frlderun, Amatrat, Sigipret, Ekkipert, Piso, Uuihnman, Ello - et omnes debitores eorum (kursiv ge- druckt = Familie des Königs und bekannte nahe Verwandte). Zur verwandtschaftlichen Bestimmung der

königlichen Gruppe vgl. Karl SCHMID, Neue Quellen zum Verständnis des Adels im 10. Jahrhundert, in: ZGO 108,1960, S. 185-232, hier S. 186 ff. (ND. in: Königswahl und Thronfolge in ottonisch-frühdeutscher Zeit, hg. v. Eduard HI. AWITScn: A [Wege der Forschung 178], Darmstadt 1971, S. 389-416 [Abschnitt I mit Nachtrag 1970], der Wichmann ausläßt). Gerd ALTHOFF, Amicitiae und Pacta. Bündnis, Einung, Politik und Gebetsgedenken im beginnenden 10. Jahrhundert (MGH Schriften 37), Hannover 1992, S. 110-114, läßt

Wichmann und Ello aus. 30 Enda (wahrscheinlich Emnilde oder Irminhilde = Imma, ein billungischer Name), Schwester der liudolfin-

gischen Herzöge Bruno und Otto, wäre eine Großmutter Herzog Hermanns von Sachsen: Donald C. JACK: MAN, A Greco-Roman Onomastic Fund, in: Onomastique et Patente (wie Anm. 2), S. 14-56, hier S. 38 f. mit Anm. 168. Zur Verwandtschaft mit Königen als Faktor bei der Benennung von Markgrafen und Herzögen: JACKMAN, Criticism (wie Anm. 7), S. 129 f.

31 Zu dieser Verwandtschaft, die von ALTHOFF, Adels- und Königsfamilien (wie Anm. 24), S. 33, nur als mut- maßlich charakterisiert wird, vgl. Eduard HIAWITSCHKA, Kontroverses aus dem Umfeld von König Heinrichs 1. Gemahlin Mathilde, in: Deus qui mutat tempora. Menschen und Institutionen im Wandel des Mittelalters. FS für Alfons Becker zu seinem 65. Geburtstag, hg. v. Ernst-Dieter HEHL, Hubertus SEIBERT u. Franz STARB, Sigmaringen 1987, S. 33-54, hier S. 50-54 (ND. in: DERs., Stirps Regia [wie Anm. 11, S. 355-376).

32 Die Klostergemeinschaft von Fulda im früheren Mittelalter, hg. v. Karl SCHMID, 3 Bde. in 5 Teilbänden (Münstersche Mittelalter-Schriften 8,1-3), München 1978, hier Bd. 1, S. 325: Egbraht laicus. ALTHOFF, Adels- und Königsfamilien (wie Anm. 24), S. 390, nimmt eine Identität zwischen diesem und einem Graf Ekbert an, den das billungische Lüneburger Nekrolog erwähnt.

33 Die Gleichheit von WW-" und Bili-" wird festgestellt von K. S. B. KFATS-ROHAN, Billichildis": problemes et possibWtes d'une etude de l'onomastique et de la patente de la France du nord-ouest, in: Onomastique et parente (wie Anm. 2), S. 57-68.

34 Am Anfang des 11. Jahrhunderts wurde Graf Binizo von Merseburg auch Bio genannt; SCHÖLKOPF (wie Anm. 7), S. 40. Die Gleichheit von Binizo und Biliso liegt nahe: dieser kommt besonders in niederrheini- schen Quellen des zehnten und elften Jahrhunderts vor, Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittel- alter, Bd. 1, hg. v. Friedrich Wilhelm OEDIGER (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichts-

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König Konrad, die letzten Karolinger und ihre sächsischen Verwandten 85

der selbst wiederum als Koseform eines Namens wie Wilhelm oder Wilihard zu verste- hen ist. 35 Eine spätmittelalterliche Quelle spricht von einem Billung als Vater Herzog Hermanns von Sachsen i6 Dieser Billung darf mit unserem Biso im Reichenauer Verbrü- derungsbuch gleichgesetzt werden.

Man kann den Namen Ekbert mühelos in die frühere Vergangenheit verfolgen. Der Bruder der Billunger Graf Wigmann und Herzog Hermann von Sachsen war Bischof Ame- lung von Verden, dessen Name in dem Namen eines mit einer Hadewig verheirateten Grafen Amelung wiederkehrt. 37 Diese Angabe findet man unter den Traditiones` von Corvey, die auch einen um 845 wirkenden Cobbo als avunculus eines Amelung ken-

nen. 38

Zum Teil ist die Familie dieses Cobbo schon bekannt. Der Vater Cobbos war si- cherlich ein Ekbert. Beide waren Herzöge. 39 Wir kennen auch eine Nichte Herzog Cob- bos, die Äbtissin Hadewig von Herford. 40 Gute Gründe haben wir aber, diese Äbtissin als dieselbe Hadewig zu betrachten, die mit Amelung verheiratet war. Da die Urkunde von

kunde 21,1), Bonn 1954-1961, Nr. 530,600,609,618,630,658,794. Diese Gleichheit entspricht einer von Geuenich übernommenen Regel, wonach das , -zo' Suffix bei n-stämmigen Namenwörtern verschwinden darf. Dieter GEUENICH, Die Personennamen der Klostergemeinschaft von Fulda im früheren Mittelalter (Münstersche Mittelalter-Schriften 5), München 1976, S. 64. Die Verbindung zwischen Biso und Biliso er- klärt sich durch Angleichung eines benachbarten Konsonanten, etwa am Beispiel Haganolf -> Hagano -> Hanno (ebd., S. 51).

35 Nach GEUENICH, ebd., S. 84, zeigt das , -ung. / ng' Suffix einfach die Zugehörigkeit des abgeleiteten Namens

zum Ausgangsnamen. 36 Chronicon sancti Michaelis Luneburgensis, ed. Ludwig WEILAND, MGH SS XXIII, `Hannover 1874, S. 394;

Chronica ducum de Brunswick c. 6, cd. Ludwig WEUAra), MGH Dt. Chron. II, Hannover 1877, S. 579. Aus-

führlich zu diesen Quellen: Bernd SCHNEIDsißuFx, Billunger - Welten - Askanier., Eine genealogische Bildta-

fel aus dem Braunschweiger Blasius-Stift und das hochadlige Familienbewußtsein in Sachsen um 1300, in:

AKG 69,1987, S. 30-61. Als Beweis für deren Genauigkeit weist ALTHoFF, Adels- und Königsfamilien (wie

Anm. 24), S. 399, auf den Eintrag von Billing corn im Lüneburger Nekrolog. Andere Meinungen, dafür und dagegen: WENSKUS (wie Anm. 7), S. 241 f.

37 Traditiones Corbeienses A 149, in: Studia Corbeiensia, ed. Karl August EcKHMRDT, 2 Bde. (Bibliotheca Re-

rum Historicarum, Studia 1-2), Aalen 1970, Bd. 1, S. 247. Ich zitiere nach der Ausgabe Eckhardts, da sie ge-

schätzte Datierungen enthält, - vgl. die neue Ausgabe: Die alten Mönchslisten und die Traditionen von Corvey, Teil 1, ed. Klemens HONSEL. MMANN (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen

10,6,1), Paderborn 1982.

38 Traditiones Corbeienses A 125 (wie Anm. 37), Bd. 1, S. 236. 39 Zu Ekbert: Vita sanctae Idae I c. 2, ed. Georg Heinrich PERTZ, 11MGH SS II, Hannover. 1824, S. 571: Insuper

etiam cunctis Saxonibus, qui inter Rbetturtt et Wisurgim, maxima flurnina, inhabitant, ducem praefe-

clt; Translatio sanctae Pusinnae c. 2, ed. Georg Heinrich PERTZ, MGH SS II, Hannover 1824, S. 682: Echber-

to clarissimo comite et duce, malre splertdidissima nomine Ida. Zu Cobbo: Miracula sancti Germani in

Normannorum adventu facta c. 14-18, cd. Georg WArtz, MGH SS XV, 1, Hannover 1887, S. 13 f.: venerabilis dux virque cbristianissiintts Die Meinungen gehen stark auseinander, in welchem Maße ihre Stellung ei-

ne herzogliche war. Nach Albert K. HOMBERG, Geschichte der Comitate des Werler Grafenhauses, in: West-

fälische Zeitschrift 100,1950, S. 1-133, hier S. 127, war Ekbert Herzog von ganz Sachsen, dessen Gebiet

unter seinen Nachkommen verteilt wurde. Dagegen sieht Matthias BECHER, Rex, Dux und Gens. Untersu-

chungen zur Entstehung des sächsischen Herzogtums im 9. und 10. Jahrhundert (Historische Studien 444),

Husum 1996, S. 121 f., mögliche Gründe, die amtlich-herzogliche Stellung Ekberts zurückzuweisen. Auch

bei der herzoglichen Stellung Cobbos empfiehlt er Vorsicht. Viel hängt von der Definition des Begriffs

, Herzogtum' ab. Auf diese Frage gehe ich aber hier nicht ein.

40 Translatio s. Pusinnae, c. 2 f. (wie Anm. 39), S. 681 f.

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86 . Donald C. Jackman

der frommen Neigung Hadewigs spricht, 41 wird man sicher annehmen dürfen, daß Ra- dewig nach dem Tode ihres Mannes Amelung ins Kloster ging 42

V.

Bevor ich aber mit den Cobbonen fortfahre, muß ich ein weiteres terminologisches Phänomen

erklären. Amelung war, laut den Traditiones` von Corvey, der nepos Cobbos, Cobbo wiederum der avunculus Amelungs. 43 Auf den ersten Blick deuten diese beiden

Begriffe auf die schlichte Verwandtschaftsbeziehung zwischen Onkel und Neffe. Doch

um diese zu bezeichnen, wäre die Kombination der Verwandtschaftsbegriffe neposl

avunculus überflüssig (quasi ein Pleonasmus) und daher nicht sinnvoll. Tatsächlich konnte der Begriff avunculus aber leicht auf die angeheiratete Ver-

wandtschaft ausgedehnt werden. 44 Der Begriff nepos wiederum konnte durch nahe Vet- ternschaft bedingt sein. Diese Bedeutung ist der schlichten Bedeutung von Neffe vorzu- ziehen, die im mittelalterlichen nepos-Konzept nicht mehr vorherrschte. In dieser Weise dürften also ein Großelternteil Amelungs und ein Elternteil Cobbos zu Geschwistern

werden. So erklärt sich die andernfalls überflüssige Kombination der Begriffe nepos/ avunculus in der Urkunde am besten: Die Verwandtschaft war eng sowohl durch Bluts- bande als auch durch Heirat (Abb. 4).

VI.

Unter der weiteren Verwandtschaft erwähnt die Translatio sanctae Pusinnae` Abt Warin

von Corvey als Sohn eines Ekbert und einer Ida 45 Weitere Details können der Vita sane- tae Idae' entnommen werden: Herzog Ekbert hatte Ida in Neustrien kennengelernt. Als er sie heiratete, schenkte ihm Karl der Große umfangreiches Reichsgut. Nachher stiftete Ida

eine Kirche auf dem Hausgut Ekberts zu Herzfeld in Westfalen. 46

Hadewig, die spätere Äbtissin von Herford, und ihr Bruder, der wie sein Onkel Cobbo hieß, wurden wahrscheinlich am französischen Hof Karls des Kahlen erzogen,

41 Traditiones Corbeienses A 149 (wie Anm. 37), Bd. 1, S. 247: mente devotissima.

42 Die Kaiserurkunden der Provinz Westfalen 777-1313, Bd. 1, ed. Roger WIISNANS, Münster 1867, S. 542: hier

wird die Gleichsetzung der Nichte Cobbos mit der Frau Amelungs vorgeschlagen; angenommen von Sabine KRÜGER, Studien zur sächsischen Grafschaftsverfassung im 9. Jahrhundert (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas Niedersachsens 19), Göttingen 1950, S. 72, und HlAwrrscHKA, Liudolfmger (wie Anm. 14), S. 148 f., Anm. 236. Die Ansichten gegen die Gleichsetzung stellt WENSKus (wie Anm. 7), S. 275, Anm. 2462, zusammen.

43 Traditiones Corbeienses A 125 (wie Anm. 37), Bd. 1, S. 236. 44 Bernhard, Onkel Karls des Großen und Halbbruder König Pippins, wird in einigen Quellen als avunculus

Karoll erwähnt, z. B. Annales regni Francorum (Annales Laurissenses maiores) a. 773, cd. Friedrich KURZE, MGH SS rer. Germ. [6], Hannover 1895, S. 36, verbessert zu patruus in der Rezension Einhards, Annalen qui dicuntur Einhardi a. 773, ebd, S. 37. Das Wort avunculus in Zusammenhang mit der in diesem Fall wohlbekannten Verwandtschaft von Vatersbruder deutet meines Erachtens darauf hin, daß die Mutter Bernhards mit der Mutter Karls des Großen verwandt war.

45 Translatio s. Puslnnae c. 3 (wie Anm. 39), S. 682. 46 Vita s. Idae I c. 1-3 (wie Anm. 39), S. 570 f. Vgl. H6., iBERG, Geschichte der Comitate (wie Anm. 39), S. 118-

126; KRÜGER (wie Anm. 42), S. 71-79; ECKHARDT, Genealogische Funde (wie Anm. 14), S. 23-53; HIA- wrrscHKA, Liudolfmger (wie Anm. 14), S. 146.165.

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König Konrad, die letzten Karolinger und ihre sächsischen Verwandten 87

denn dieser jüngere Cobbo war Gefolgsmann Karls des Kahlen, der auch Hadewig zu ih-

rem Klostereintritt verholfen hatte 47 Die Translatio Sanctae Pusinnae' bemerkt, daß Ra- dewig mit diesem König tertio quartoque cognationis gradu (3: 4) verwandt war. 48 Die-

se Blutsverwandtschaft hätte über Ida, die Frau Herzog Ekberts, bestehen können. So

wird in der Literatur vorgeschlagen, der Vater Idas sei König Karlmann, der Bruder Karls des Großen, gewesen 49

N. N.

Cobbo filia N. avunculus Amelungi (Verwandt- schaft durch

Heirat) Hadewig = Amelung

nepos Cobbonis (Blutsver-

wandtschaft)

Abb. 4: Verwandtschaft zwischen Cobbo und Amelung durch Heirat und Geburt

Nicht minder plausibel wäre es aber, die (3: 4) Verwandtschaft unter Einbeziehung von Herzog Ekbert zu knüpfen. Die mütterliche Großmutter König Karls des Kahlen war ei-

gentlich eine Sächsin namens Heilwig. Da ihre Abstammung unbekannt ist, könnte sie

sich als Tante Herzog Ekberts einordnen lassen 50 Das muß nicht bedeuten, daß die Filia-

47 Translatio s. Pusinnae c. 3 (wie Anm. 39), S. 682. 48 Ebd. 49 ECKHARDT, Genealogische Funde (wie Anm. 14), S. 31-37. HtewrrscHKA, Liudolfinger (wie Anm. 14), S. 150-

154, schlägt vor, daß Karl der Große als nächster männlicher Schwertmagen die Vormundschaft über Ida ausübte, muß aber auch eine Verfeinerung der Interpretation der Vita s. Idac I c. 1, vornehmen und Idas Vater in ihren Schwiegervater verwandeln; zustimmend: Franz Josef JAKoBI, Zur Frage der Nachkommen der W. Ida und der Neuorientierung des sächsischen Adels in der Karolingerzeit, in: Heilige Ida von Herz- feld 980-1980. FS zur tausendjährigen Wiederkehr ihrer Heiligsprechung, hg. v. Geza JAszAi, Münster 1980, S. 53-63. Man kann auf solche Spekulationen aber verzichten, denn Verwandte der Königin standen unter einer gewissen Obhut des Königs, wie die Erziehung der Billunger Wichmann 11. und Ekbert I. durch Otto den Großen zeigt; Widukind 11,50 (wie Anm. 13), S. 130. Nach der Vita war Ida unica ftlla ihres Vaters und unice stbt dilecta; Vita s. Idae I c. 1 (wie Anm. 39), S. 570.

50 Vgl. FLECKENSTIIN, Welfen (wie Anm. 19), S. 115, Anm. 244; Wolfgang MErz, Heinrich �mit dem goldenen Wagen", in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 107,1971, S. 136-161, hier S. 143 ff.; WIIVSKtIS (wie Anm. 7), S. 252 ff.; Htawrrsc HKA, Liudotfinger (wie Anm. 14), S. 153, Anm. 252.

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88 Donald C. Jackman

tion mit Karlmann entfällt, denn die Quelle befaßt sich vielleicht mit einer doppelten (3: 4) Verwandtschaft. 51

Das Einreihen Idas als Tochter König Karlmanns ergibt jedoch eine chronologische Ungereimtheit, denn Karlmann starb 771,52 die Heirat Idas mit Herzog Ekbert fand aber nach 800 statt. 53 Es bleibt jedoch ein onomastischer Hinweis auf Verwandtschaft zwi- schen Ida und Königin Hildegard, der Frau Karls des Großen. Der Name Ida soll die Kose- form von Hildegard sein. 54 In Ida können wir daher eine nahe Verwandte der Königin Hildegard erblicken. Will man den genauen Verwandtschaftsgrad der Translatio sanctae Pusinnae' hinzufügen, wäre sie als Nichte Hildegards zu betrachten.

Diese Folgerung einer Verwandtschaft mit Hildegard wird gestützt durch die Exi- stenz zweier sächsischer Adeliger des neunten Jahrhunderts, die beide den vom Vater Hildegards hergeleiteten Namen Gerold trugen. Der eine sächsische Gerold ist ein um 858 beurkundeter Graf in Westfalen, der als Cobbone und als Neffe Abt Warins von Cor- vey zu betrachten ist. 55 Der andere ist ein 851 verstorbener Abt und wird in den sehr spärlichen Corveyer Annalen erwähnt. 56 Man hat zu vermuten, daß dieser Abt Gerold ein Bruder (oder vielleicht ein Vetter aus der frühkonradinischen Sippe) des Abts Warin von Corvey war (Abb. 5). 57

VII.

Spätere Generationen der Cobbonen sind anhand ihrer Namen und gräflicher Beurkun_ dungen bestimmbar. Die Grafen Gerold und Warin (I. ), die nach 850 auftreten, 58 dürften

51 Eine Verdopplung hat sogar etwas für sich, nicht nur, weil sich auf diese Weise die Angabe weit entfernter Verwandtschaft erklären läßt, die andernfalls etwas Ungewöhnliches in den Quellen dieser Zeit wäre, son- dem auch, weil damit die eigenartige, vertrauliche Stellung Hadewigs gegenüber Karl dem Kahlen und die Stellung ihres Bruders Cobbo am westfränkischen Hof verständlich werden.

52 Vgl. SETIIPANI u. VAN KERREBROVCK (wie Anm. 1), S. 186. 53 Ekbert war um 810 tätig, sein Sohn Cobbo um 840. Die Chronologie entspricht der Vita s. Idae I c. 1 (wie

Anm. 39), S. 570, die betont, daß die Heirat von Ekbert und Ida in der kaiserlichen Zeit Karls des Großen (nach 800) stattfand.

54 Der konradinische Herzog Gebhard von Lothringen hatte eine Frau Ida, die auch Hidda genannt wird; JACKMAN, Criticism (wie Anm. 7), S. 148. Hidda ist aber die übliche Koseform der mit Hild- beginnenden Frauennamen; Historisches deutsches Vornamenbuch, Bd. 2, hg. v. Wilfried SEIBICKE, Berlin-New York 1998, S. 384. Ein gutes Beispiel für Nidda' ist die Frau Markgraf Hunfrieds von Istrien, höchstwahrschein- lich eine Nichte der Königin; JACKMAN, Criticism (wie Anm. 7), S. 127.

55 Vgl. unten Anm. 58. 56 Annales Corbelenses a. 851, ed. Joseph PRINZ, Die Corveyer Annalen. Textbearbeitung und Kommentar

(Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen 10,7), Münster 1982, S. 103 f. mit Anm. 376: hier werden die umfangreichen Spuren von Gerold vorgelegt. Früher scheint er ein Kapellan Ludwigs des Frommen wie auch Mönch in Corvey gewesen zu sein, aber man weiß nicht, welche Abtei er innehat- te.

57 Auch WENSKUS (wie Anm. 7), S. 427-430, der an die Möglichkeit eines dritten Gerold in diesem Zeitraum denkt, sucht nach Indizien für deren Verbindung mit der Familie Königin Hildegards. Noch ein Zeichen der Verwandtschaft durch Hildegard ergibt sich aber vielleicht aus mehreren Zitaten des zwölften Jahr- hunderts, die Warin als propinquus der Karolinger vorstellen. Diese Quellen werden diskutiert von Brigitte KASTEN, Adalhard von Corbie. Die Biographie eines karolingischen Politikers und Klostervorstehers (Studia humaniora, Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance 3), Düsseldorf 1986, S. 178 f.

58 Graf Gerold (I. ): Traditiones Corbelenses A 175 (wie Anm. 37), Bd. 1, S. 263 f. Vgl. auch ebd. A 163, S. 255, u. A 167, S. 259. Der von Gerold an Corvey verschenkte Grundbesitz lag nicht weit von Corvey in den pagi

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König Konrad, die letzten Karolinger und ihre sächsischen Verwandten 89

Söhne Herzog Cobbos sein. Die Grafen Ekbert (II. ) und Warin (II. ), - die wir um 890 tref- fen, könnten agnatische Enkel Cobbos sein. Diese Folgerung eines Mannesstamms scheint mir wahrscheinlich, weil die ekbertinischen Namen zu dieser Zeit immer noch regelmä- ßig auftauchen. Den letzten Ekbert können wir als Bruder Odas, der Frau Kaiser Arnulfs,

und Glismuts, der Mutter König Konrads, annehmen. Arnulf beschenkte nämlich Ekbert, den er als dilectus kennzeichnete, ' mit reichen Gaben. 59 Eine andere -große Schenkung

ging an einen Cobbo, 6o dessen Namen wir vielleicht sogar als Koseform von Ekbert zu

verstehen haben G1 Diese Grafen könnten ein und dieselbe Person sein.

N. Gerold Hildegard . ý 799

Ekbert = Ida Ludwig dux (Hilde- der Fromme

gard? )

Gerold Cobbo filia Karl

abbas dux der Kahle t 851 (4: 3) frater

Cobbonis? Hadewig Äbt. von Herford

Abb. 5: Wahrscheinliche Verwandtschaft zwischen Karl dem Kahlen und Äbtissin Ra- dewig

Das Einreihen Glismuts in die letzte Generation der Cobbonen läßt sich auf verschiedene Weise stützen:

(1) Die Namen Gero (oder Gerold) und Hidda (oder Ida) tauchen in der Familie der Markgrafen der sächsischen Ostmark auf, 62 die sehr wahrscheinlich von einer Schwester

von Suilbergi und Nithagau. Durch Tausch erwarb Gerold Grundbesitz in Thüringen (A 175), doch liegen

seine übrigen Besitztümer in der Nähe von Corvey und sprechen daher für seinen ekbertinischen Hinter-

grund. Graf Warin (I. ): D LD 93. 59 DD Am 102 u. 106 (892). Der außergewöhnliche Umfang dieser Gaben wird unterstrichen von HÖMBERG,

Westfalen (wie Anm. 25), S. 18 f., der Ekbert als Rechtsvorgänger und Vorfahren der Billunger bezeichnet. 60 D Arn 74 (890): dilecto atque venerabili comiti nostro Cboppo vocato. Er kommt auch mit Warin (II. ) 889

vor. Kaiserurkunden (wie Anm. 42), Bd. 1, S. 529. 61 Das Beibehalten von zwei Konsonanten ohne Bindung an Lautgesetze zeigt Cobbo' als lallname; vgl. die

Beispiele in GEuENtcu, Personennamen (wie Anm. 34), S. 55. 62 Zur Familie vgl. SCHÖLKO? F (wie Anm. 7), S. 35-55. Wichtige Verbesserungen zum Verständnis der Famili-

enstruktur bei SCHMID, Neue Quellen (wie Anm. 29), S. 211-223.

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90 Donald C. Jackman

König Konrads, also einer Tochter Glismuts, abstammte 63 Daher können wir annehmen, daß die Namen Gero und Hidda nicht nur in atavistischer` Weise ohne Vermittlung von Königin Hildegard und ihrem Vater Gerold, dem wahrscheinlichen Vorfahren der Konra- diner, 64 übertragen wurden. Durch die Heirat Konrads des Älteren mit Glismut wären sie unmittelbar cobbonischer Herkunft (Abb. 6).

(2) Von Interesse ist auch die Fürbitte eines Eberhard und eines Thietmar für Me- schede in einer 937 ausgestellten Urkunde Ottos des Großen. 65 Diese Personen sind mit dem Konradiner Herzog Eberhard von Franken und einem Grafen Thietmar, welcher der markgräflichen Familie angehörte, 66 zu identifizieren. Das von König Konrad reichlich begünstigte Kloster, Meschede ist später mit einer westfälischen Grafenfamilie verbunden, die in der Forschung als Nachkommen der Cobbonen behandelt wird. 67

(3) Ein besonders wichtiges Zeugnis bildet ein Verzeichnis der großen Wohltäter des Klosters Corvey. Darin treten Ekbert (II. ) und König Konrad auf. Genau zwischen ih- nen sind Kaiser Arnulf und Markgraf Siegfried von der Ostmark verzeichnet 68

(4) Darüber hinaus besitzen wir die Nachricht, daß der westfälische Graf Gerold ein thüringisches Gut durch Tausch mit Corvey erlangte. 69 Er könnte daher der Vater Ek- berts (II. ), Odas und Glismuts sein. Über deren Mutter wurden wohl die Anrechte an der Ostmark erlangt, die sich von den thüringischen Herzöge herleiteten 70

63 JACKMAN, Criticism (wie Anm. 7), S. 141-147. 64 JACKMAN, Konradiner (wie Anm. 2), S. 71 f.; Dms., Criticism (wie Anm. 7), S. 116 f. Zur Stammreihe sei al-

lerdings bemerkt, daß die um 879 datierte Gemündener Stiftungsurkunde neuerdings als Fälschung aus dem 13. Jahrhundert entlarvt wurde. Ich stimme der in diesem Band von Frau HEIDRICH (S. 65 f. ) ausge- sprochenen Ansicht zu, daß die Urkunde aus der genealogischen Beweiskette gestrichen werden muß. In- des rechtfertigen die personengeschichtlichen Angaben immer noch ein gewisses Vertrauen, wenn man die Identität der In der gefälschten Urkunde erwähnten Personen mit den tatsächlichen Verwandten des konradinischen Grafen Gebhard annimmt; vgl. Ernst TREMP, Studien zu den Gesta Hludowici imperatoris des Trierer Chorbischofs Thegan (MGH Schriften 32), Hannover 1988, S. 52-55. Zur Familie Königin Hilde- gards sei noch erwähnt: Willi ALTER, Gerold und seine Söhne Adrian und Erbio von 793. Eine Ergänzung zur Familie des Grafen Gerold, in: Mitteilungen des historischen Vereins der Pfalz 98,2000, S. 83-96.

65' D 01 12. 66 JACKMAN, Criticism (wie Anm. 7), S. 143, Anm 14. 67 HOMBERG, Geschichte der Comitate (wie Anm. 39), S. 107-128; WENSKUS (wie Anm. 7), S. 297; Paul LEIDIN.

GER, Die Zeit der Grafen von Werl (ca. 950 - 1124), in: Werl. Geschichte einer westfälischen Stadt, Bd. 1, hg. v. Amalie RoHRER u. Hans-Jürgen ZACHER (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 31), Pa- derborn 1994, S. 60-93, hier S. 62 f.

68 Notitiae fundationis monasterii Corbeiensis I, ed. Oswald HOLDER-EGGER, MGH SS XV, 2, Hannover 1888, S. 1044: Ecbertus Medestborp, Arnulfus imperator Lacbeim, Stfridus dux Gruoninge, Conradus rex Kamt- natam. Neue Ausgabe mit Anmerkungen: Mönchlisten (wie Anm. 37), S. 174. Von gleichem Interesse sind andere dort erwähnte Wohltäter wie Hadewig und ihr Sohn Graf Amelung, ein Graf Wigmann, ein Graf Ge- rold, aber auch Kaiser Ludwig der Fromme und sein Sohn, König Ludwig der Deutsche, denn diese Herr_ scher heirateten zwei Töchter derjenigen sächsischen Heilwig, die wir unter die Cobbonen einreihen möchten, vgl. oben Anm. 51.

69 Traditiones Corbelenses A 175 (wie Anm. 37), S. 263 f. 70 JACKMAN, Criticism (wie Anm. 7), S. 144-152.

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König Konrad, die letzten Karolinger und ihre sächsischen Verwandten 91

N. Gerold Hildegard Adrian t 799 =I

Karl der Große

Ekbert = Ida Odo dux

COBBONEN KONRADINER

Cobbo = N. N. Gebhard dux

comes Hzg. von fl. 858 Thüringen

11 Gerold = filia Thakulf Udo

Arnulf Kaiser

= Oda II Glismut = Konrad der Ältere

Eberhard (Judith) = Thietmar Mgf. (der Mgf. (der Ostmark) Ostmark)

Konrad Dt. König

Christian Mgf. der Ostmark

= Hidda (Ida)

Gero Mgf der Ostmark

Abb. 6: Ableitung der Koseformen Hidda und Gero von Hildegard und Gerold

VIII.

Ein herzoglicher Titel ist beurkundet für Ekbert und Cobbo, die Cobbonen der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts. Wir wissen nicht, ob die späteren Cobbonen ihr ohne Zweifel in Westfalen konzentriertes Herzogtum erhalten konnten und zu welchem Zeit-

punkt und unter welchen Umständen es mit dem östlichen Teil Sachsens vereint wur- de. 71 Jener Graf Ekbert, der am Ende des Jahrhunderts lebte, war eine große Persönlich- keit, deren gräflicher Titel eine herzogliche Stellung in Westfalen sicher nicht ausschließt.

71 Vgl. oben Anm. 39. Dazu auch Franz-Josef JAioßi, Die Liudolfinger/Ottonen und Westfalen, in: Der weite Blick des Historikers. Einsichten in Kultur-, Landes- und Stadtgeschichte. Peter Johanek zum 65. Geburts- tag. hg. v. Wilfried EHBRECHT, Angelika LAMPEN, Franz Joseph PosT u. Mechthild SiEKMANN, Köln-Weimar- Wien 2002, S. 283-299.

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92 - Donald C. Jackman

Es wundert daher nicht, wenn die eng mit ihm verwandten Konradiner einen wichtigen Platz im Südosten des cobbonischen Raums einnehmen konnten.

Die Grafschaften Konrads des Älteren im sächsischen Hessengau sind urkundlich belegt 72 Gleich nach dem Sturz von dessen jüngerem Sohn Eberhard taucht aber ein Ello,

ein Sachse, als Graf in diesem Raum auf. 73 Sicher haben wir diesen Ello schon unter den Billungern des Eintrags von 929 im Reichenauer Verbrüderungsbuch kennengelernt 74 Wenn sowohl die Billunger als auch Glismut, die Frau Konrads des Älteren, von den Cob- bonen abstammten, scheint die Annahme am sinnvollsten, daß die Grafschaften des säch- sischen Hessengaus hauptsächlich durch Vermittlung der Erbrechte Glismuts an die Kon-

radiner gefallen sind. 75 Im Gegensatz dazu gehört der fränkische Hessengau zu den ver- schiedenen fränkischen Gauen, die auf frühere Generationen der Familien zurückgeführt und von anderen Linien geerbt werden konnten 76 Diese Tatsache rechtfertigt zusätzlich, die mütterliche Herkunft König Konrads im sächsischen Adel zu suchen 77

72 Es herrscht immer noch Unklarheit über den Unterschied zwischen den zwei Teilen des frühmittelalterli- chen Hessengaus. Irmgard DIETRICH, Die Konradiner im fränkisch-sächsischen Grenzraum von Thüringen und Hessen, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 3,1953, S. 57-95, hier S. 91, meinte, Beweise für die institutionelle Einheit des Hessengaus um 900 beigebracht zu haben, was angesichts des Mangels an Quellen überhaupt nicht stimmen kann. Viel interessanter, aber immer noch nicht befriedigend, ist die Er- örterung von Wilhelm NIEMEYER, Der Pagus des frühen Mittelalters in Hessen (Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde 30), Marburg 1968, S. 149-155, der die kulturelle Einheit des Hessengaus in vorgeschichtlicher Zeit unterstreicht. Für das spätere sächsische Vordringen in den Hessen- gau sowie für institutionelle Merkmale sind verschiedene Erklärungen möglich.

73 D0 148. Vgl. Edmund E. STENGEL, Die Frühzeit, in: Ulrich BOCKSHAMMER, Ältere Territorialgeschichte der Grafschaft Waldeck (Schriften des Hessischen Amts für geschichtliche Landeskunde 24), Marburg 1958, S. 4-44, hier S. 24-27; NIErIEYER (wie Anm. 72), S. 154.

74 Vgl. oben Anm. 29. Welche Hände und wie viele Federn und Tinten an diesem Eintrag beteiligt waren, läßt sich nicht völlig klären. Der Name Ello gehört m. E. augenscheinlich zum Königseintrag. Organisatorisch gehört der Name Wichmann zu diesem Eintrag, selbst wenn er nicht von derselben Hand geschrieben zu sein scheint, doch wahrscheinlich auch nicht von der Hand des unmittelbar links stehenden Eintrags, der auch den Namen Ello enthält.

75 Es bleibt die Frage, wie der sächsische Hessengau zeitweise an jenen Berengar kam, der am 11. November 876 als Graf bezeugt ist (D LJ 1) und, wohl richtig, als Konradiner betrachtet wird. Am wahrscheinlichsten war der Anlaß eine späte Heirat mit einer Cobbonin, denn als Verbannter konnte Berengar kaum vor dem Tod Ludwigs des Deutschen am 28. August 876 ins Ostreich zurückkehren. Der von DIETRICH, Grenzraum (wie Anm. 72), S. 88, vermutete frühe (vor 861) Eintritt Berengars in den sächsischen Hessengau ist reine Spekulation. Sein wahrscheinlicher Sohn namens Berengar scheint keine deutsche Mutter gehabt zu haben, denn er war zumeist als Markgraf von Neustrien tätig, vgl. JACKMAN, Cousins (wie Anm. 2), S. 137.

76 Graf im fränkischen Hessengau war Rudolf, Schwiegersohn Herzog Hermanns von Schwaben. Nach DIEr. tucnn, Grenzraum (wie Anm. 72), S. 94, war Liudolfs Vorgänger wahrscheinlich derselbe Herzog Hermann, der Brudersohn Konrads des Älteren. Später kamen sächsische Grafen auch in den fränkischen Hessengau, doch stammten sie wahrscheinlich unmittelbar von den Konradinern ab, vgl. JACKMAN, Criticism (wie Anm. 7), S. 198-202.

77 Außer den Kollegen, die am Symposion teilnahmen und mir Ratschläge gaben, möchte ich Helmut Quast für die sprachliche Korrektur des Manuskripts herzlichst danken.