Konvergenzbegriffe und Konvergenzkriterien1+ 1 n n f¨ur alle n ∈ Ndefiniert ist. Gem¨aß der...

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Kapitel 4 Konvergenzbegriffe und Konvergenzkriterien 4.1 Konvergenz reeller Zahlenfolgen Im Abschnitt 2.5 haben wir bereits den Begriff des Grenzwerts einer Folge eingef¨ uhrt und Rechenregeln f¨ ur Folgengrenzwerte aufgestellt. In diesem Abschnitt widmen wir uns speziell den Folgen in R. Im Mittelpunkt unserer Untersuchungen steht dabei die Frage, ob eine gegebene Folge in R konvergiert oder divergiert. Insbesondere wollen wir hinrei- chende Bedingungen f¨ ur die Konvergenz einer reellen Zahlenfolge zusammenstellen. Solche Bedingungen nennt man Konvergenzkriterien. Das erste Konvergenzkriterium, welches wir betrachten, ist als Cauchy–Kriterium be- kannt. Das Cauchy–Kriterium folgt direkt aus der Tatsache, dass R ein vollst¨ andiger nor- mierter Raum ist (siehe Satz 3.14). Satz 4.1 (Cauchy–Kriterium). Eine Folge (a n ) nN in R ist genau dann konvergent, wenn sie eine Cauchy–Folge ist, d.h. wenn zu jeder positiven Zahl ε> 0 eine nat¨ urliche Zahl N N existiert, so dass |a n a m | ur alle m, n N mit n m N gilt. Das Cauchy–Kriterium liefert sowohl ein notwendiges als auch ein hinreichendes Kriterium ur die Konvergenz einer reellen Zahlenfolge. Es ist jedoch nur selten geeignet, um die Konvergenz einer gegebenen Folge nachzuweisen. Deshalb geben wir noch zwei weitere Konvergenzkriterien an, welche auf der Tatsache beruhen, dass R ein angeordneter K¨ orper ist (und zwar durch die Ordnungsrelation ). Dem nachfolgenden Satz kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Satz 4.2. Seien (a n ) nN und (b n ) nN zwei konvergente Folgen in R derart, dass eine nat¨ urliche Zahl N N existiert, so dass a n b n ur alle n N mit n N gilt. Dann gilt lim n→∞ a n lim n→∞ b n . Gem¨ aß Satz 4.2 bleibt die Ordnungsrelation beim Grenz¨ ubergang von reellen Zahlenfolgen erhalten. Seien also (a n ) nN und (b n ) nN zwei reelle Zahlenfolgen, die 70

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Kapitel 4

Konvergenzbegriffe

und Konvergenzkriterien

4.1 Konvergenz reeller Zahlenfolgen

Im Abschnitt 2.5 haben wir bereits den Begriff des Grenzwerts einer Folge eingefuhrtund Rechenregeln fur Folgengrenzwerte aufgestellt. In diesem Abschnitt widmen wir unsspeziell den Folgen in R. Im Mittelpunkt unserer Untersuchungen steht dabei die Frage,ob eine gegebene Folge in R konvergiert oder divergiert. Insbesondere wollen wir hinrei-chende Bedingungen fur die Konvergenz einer reellen Zahlenfolge zusammenstellen. SolcheBedingungen nennt man Konvergenzkriterien.

Das erste Konvergenzkriterium, welches wir betrachten, ist als Cauchy–Kriterium be-kannt. Das Cauchy–Kriterium folgt direkt aus der Tatsache, dass R ein vollstandiger nor-mierter Raum ist (siehe Satz 3.14).

Satz 4.1 (Cauchy–Kriterium). Eine Folge (an)n∈N in R ist genau dann konvergent,wenn sie eine Cauchy–Folge ist, d.h. wenn zu jeder positiven Zahl ε > 0 eine naturlicheZahl N ∈ N existiert, so dass

|an − am| < ε fur alle m,n ∈ N mit n ≥ m ≥ N

gilt.

Das Cauchy–Kriterium liefert sowohl ein notwendiges als auch ein hinreichendes Kriteriumfur die Konvergenz einer reellen Zahlenfolge. Es ist jedoch nur selten geeignet, um dieKonvergenz einer gegebenen Folge nachzuweisen. Deshalb geben wir noch zwei weitereKonvergenzkriterien an, welche auf der Tatsache beruhen, dass R ein angeordneter Korperist (und zwar durch die Ordnungsrelation ≤). Dem nachfolgenden Satz kommt dabei einezentrale Rolle zu.

Satz 4.2. Seien (an)n∈N und (bn)n∈N zwei konvergente Folgen in R derart, dass einenaturliche Zahl N ∈ N existiert, so dass an ≤ bn fur alle n ∈ N mit n ≥ N gilt. Dann gilt

limn→∞

an ≤ limn→∞

bn.

Gemaß Satz 4.2 bleibt die Ordnungsrelation ≤ beim Grenzubergang von reellen

Zahlenfolgen erhalten. Seien also (an)n∈N und (bn)n∈N zwei reelle Zahlenfolgen, die

70

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4.1. KONVERGENZ REELLER ZAHLENFOLGEN 71

gegen Grenzwerte a ∈ R bzw. b ∈ R konvergieren, und deren Folgenglieder die Ungleichungan ≤ bn fur alle n ∈ N erfullen, dann gilt auch a ≤ b. Die strikte Ordnungsrelation <bleibt im Allgemeinen jedoch nicht erhalten! Selbst wenn also die Glieder der Zahlenfolgen(an)n∈N und (bn)n∈N die strikte Ungleichung an < bn fur alle n ∈ N erfullen, gilt fur dieGrenzwerte im Allgemeinen nur noch a ≤ b. So erfullen beispielsweise die Glieder derFolgen (an)n∈N und (bn)n∈N, welche durch an := 1/(n + 1) und bn := 1/n fur alle n ∈ N

definiert sind, die strikte Ungleichung an < bn fur alle n ∈ N. Die Grenzwerte a = 0 undb = 0 dieser Folgen erfullt jedoch nur noch die Ungleichung a ≤ b.

Eine wichtige Folgerung aus Satz 4.2 ist das folgende Konvergenzkriterium fur reelleZahlenfolgen, welches unter dem Namen Sandwichtheorem bekannt ist.

Satz 4.3 (Sandwichtheorem). Seien (pn)n∈N und (qn)n∈N zwei Folgen in R, die gegendenselben Grenzwert a ∈ R konvergieren. Sei außerdem (an)n∈N eine Folge in R mit derEigenschaft, dass eine naturliche Zahl N ∈ N existiert, so dass pn ≤ an ≤ qn fur alle n ∈ N

mit n ≥ N gilt. Dann konvergiert die Folge (an)n∈N ebenfalls gegen a.

Das folgende Beispiel verdeutlicht, wie man das Sandwichtheorem bei bestimmten reellenZahlenfolgen dazu verwenden kann, den Grenzwert zu bestimmen.

Beispiel. Wir betrachten die reelle Zahlenfolge (an)n∈N, welche durch

an :=2n

2n

fur alle n ∈ N definiert ist. Offenbar gilt(

1

2

)n

=1

2n≤ an ≤ 2n

n2=

2

nfur alle n ∈ N mit n ≥ 4,

sowie

limn→∞

(

1

2

)n

= limn→∞

2

n= 0.

Nach dem Sandwichtheorem konvergiert die Folge (an)n∈N also ebenfalls gegen Null. ♦

Ein weiteres wichtiges Konvergenzkriterium fur reelle Zahlenfolgen ist das so genannteMonotoniekriterium.

Satz 4.4 (Monotoniekriterium). Sei (an)n∈N eine Folge in R, welche monoton wachsendund nach oben beschrankt ist. Dann konvergiert die Folge (an)n∈N gegen ihr Supremum.Falls die Folge (an)n∈N monoton fallend und nach unten beschrankt ist, konvergiert siegegen ihr Infimum.

Eine monoton wachsende oder monoton fallende Zahlenfolge (an)n∈N, welche gegen einenGrenzwert a ∈ R konvergiert, wird gelegentlich auch monoton konvergent genannt. Fallsdie Folge monoton wachsend ist, schreibt man haufig

an ր a (n → ∞),

um die monotone Konvergenz anzudeuten. Ist die Folge monoton fallend, so schreibt manauch

an ց a (n → ∞).

Aus dem Monotoniekriterium kann man noch ein weiteres, etwas”schwacheres“ Konver-

genzkriterium fur reelle Zahlenfolgen herleiten.

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72 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

Satz 4.5. Sei (an)n∈N eine Folge in R, welche nach oben beschrankt und ab einem be-stimmten Index monoton wachsend ist. Dann ist die Folge konvergent. Dasselbe gilt, wenndie Folge nach unten beschrankt und ab einem bestimmten Index monoton fallend ist.

Im nachfolgenden Beispiel demonstrieren wir, wie man das Monotoniekriterium verwendenkann, um die Existenz der so genannten Eulerschen Zahl e zu beweisen.

Beispiel (Die Eulersche Zahl e). Wir betrachten die Folge (an)n∈N in R, welche durch

an :=

(

1 +1

n

)n

fur alle n ∈ N definiert ist. Gemaß der verallgemeinerten ersten binomischen Formel gilt

an =

n∑

k=0

(

n

k

)

1

nk=

(

n

0

)

+

(

n

1

)

1

n+

(

n

2

)

1

n2+ · · ·+

(

n

n

)

1

nn.

Als erstes zeigen wir, dass die Folge (an)n∈N streng monoton wachsend ist. Dabei verwen-den wir die Tatsache, dass fur je zwei positive Zahlen p > 0 und q > 0 mit p ≤ q dieUngleichung p/q ≤ (p+ 1)/(q + 1) gilt. Man erhalt daher die Abschatzung

(

n

k

)

1

nk=

n!

k!(n− k)!nk

=1

k!· nn· n− 1

n· n− 2

n· · · n− k + 1

n

≤ 1

k!· n+ 1

n+ 1· n

n+ 1· n− 1

n+ 1· · · n− k + 2

n+ 1

=(n+ 1)!

k!(n− k + 1)!(n+ 1)k

=

(

n+ 1

k

)

1

(n+ 1)k.

fur alle n ∈ N und fur alle k ∈ {1, 2, . . . , n}. Daraus folgt wiederum

an =

n∑

k=0

(

n

k

)

1

nk≤

n∑

k=0

(

n+ 1

k

)

1

(n+ 1)k<

n+1∑

k=0

(

n+ 1

k

)

1

(n+ 1)k= an+1

fur alle n ∈ N. Als nachstes zeigen wir, dass die Folge (an)n∈N durch die Zahl 3 nach obenbeschrankt ist. Fur jede naturliche Zahl k ∈ {1, 2, . . . , n} gilt offenbar

(

n

k

)

1

nk=

n!

k!(n− k)!nk=

1

k!· nn· n− 1

n· · · n− k + 1

n≤ 1

k!.

Daher erhalt man die Abschatzung

an ≤ 1 +1

1!+

1

2!+

1

3!+ . . .+

1

(n− 1)!+

1

n!

≤ 1 +1

1+

1

1 · 2 +1

2 · 3 + · · ·+ 1

(n− 2)(n− 1)+

1

(n− 1)n

= 1 + 1 +

(

1

1− 1

2

)

+

(

1

2− 1

3

)

+ · · ·+(

1

n− 2− 1

n− 1

)

+

(

1

n− 1− 1

n

)

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4.1. KONVERGENZ REELLER ZAHLENFOLGEN 73

= 1 + 1 +1

1− 1

n

= 3− 1

n≤ 3

fur alle n ∈ N. Nach dem Monotoniekriterium konvergiert die Folge (an)n∈N also gegeneine reelle Zahl. Diese Zahl wird die Eulersche Zahl genannt, und mit e bezeichnet. Es giltalso

e := limn→∞

(

1 +1

n

)n

Die Eulersche Zahl e ist irrational, und es gilt e ≈ 2,7182818. ♦

Die im voran gegangenen Beispiel untersuchte Folge (an)n∈N gehort zu einer ganzen Familiekonvergenter Folgen in R, deren Grenzwerte durch Potenzen der Eulerschen Zahl gegebensind.

Lemma 4.6. Fur jede rationale Zahl x ∈ Q gilt

limn→∞

(

1 +x

n

)n

= ex.

Man kann die Aussage von Lemma 4.6 dazu verwenden, um die Exponentialfunktion x 7→ex fur alle rationalen Zahlen x ∈ Q zu definieren. Daruber hinaus kann man zeigen, dassdie Aussage von Lemma 4.6 auch fur irrationale Zahlen x ∈ R \Q gilt.

Ubungsaufgaben

1. Bestimmen Sie die Grenzwerte der Folgen (an)n∈N, (bn)n∈N, (cn)n∈N und (dn)n∈N in R. DieFolgen sind durch

an :=

(

1 +1

n

)n+1

,

bn :=

(

n

n+ 1

)n

,

cn :=

(

1− 1

n2

)n

,

dn :=

(

0 + 2 + 4 + · · ·+ 2(n− 1)

n2

)n

fur alle n ∈ N definiert. Verwenden Sie das Lemma 4.6.

2. Bestimmen Sie die Grenzwerte der reellen Zahlenfolgen (an)n∈N, (bn)n∈N, (cn)n∈N, (dn)n∈N.Die Folgen sind durch

an :=n

√100,

bn :=n

1 + n2,

cn :=3n

3n,

dn :=3√n√

n3 + n

fur alle n ∈ N definiert. Verwenden Sie das Sandwichtheorem.

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74 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

3. Beweisen Sie mit Hilfe des Sandwich–Theorems die folgende Aussage. Ist (an)n∈N eine Null-folge in R und (bn)n∈N eine beschrankte Folge in R, dann konvergiert die Folge (anbn)n∈N

gegen Null.

4. Sei n ∈ N eine naturliche Zahl und x ∈ Kn ein beliebiger Vektor. Die reelle Zahlenfolge(ap)p∈N sei durch ap := ‖x‖p fur alle p ∈ N definiert, wobei ‖x‖p die p-Norm von x bezeichnet(siehe Beispiel (g) auf Seite 9). Zeigen Sie mit Hilfe des Sandwichtheorems, dass die Folge(ap)p∈N gegen ‖x‖∞ konvergiert. Hierbei bezeichnet ‖x‖∞ die Maximumnorm von x.

5. Untersuchen Sie, ob die reellen Zahlenfolgen (an)n∈N, (bn)n∈N, (cn)n∈N und (dn)n∈N konver-gent sind. Die Folgen sind durch

an :=1

n+ 1+

1

n+ 2+ · · ·+ 1

2n,

b1 := 0, bn+1 =√

2 + bn

c1 :=1

2, cn+1 := cn

(

1− 1

n+ 1

)

,

d1 := 1, dn+1 =1

d1 + d2 + · · ·+ dn

fur alle n ∈ N definiert. Verwenden Sie das Monotoniekriterium.

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4.2. KONVERGENZ VON REIHEN 75

4.2 Konvergenz von Reihen

Definition (Reihe). Sei V ein Vektorraum uber K, und sei (vn)n∈N eine Folge in V . Dannheißt die Folge (sN )N∈N in V , welche durch

sN :=

N∑

n=1

vn = v1 + v2 + . . .+ vN

fur alle N ∈ N gegeben ist, die von (vn)n∈N erzeugte Reihe in V . Fur jeden Index N ∈ N

nennt man das Folgenglied sN die N -te Partialsumme der Reihe (sN )N∈N, und fur jedenIndex n ∈ N heißt das Folgenglied vn der n-te Summand der Reihe (sN )N∈N. Die Reihe(sN )N∈N wird ublicherweise durch die Schreibweise

∞∑

n=1

vn

dargestellt. Manchmal stellt man die Reihe auch durch Angabe der ersten Summanden inder Form v1 + v2 + · · ·+ vN + · · · dar.

Eine Reihe ist also nichts anderes als eine Folge, deren Glieder durch sukzessives Auf-summieren der Glieder einer anderen Folge entstehen. Jedes Glied einer Reihe ist somiteine Summe, welche aus endlich vielen Summanden besteht. Dennoch ist die Vorstellungweit verbreitet, eine Reihe sei eine Summe mit unendlich vielen Summanden, was vorallem durch die Schreibweise

n=1 vn nahegelegt wird. Wie wir noch sehen werden, hatdiese Vorstellung sogar eine gewisse Berechtigung, wenn es sich bei der Reihe um einekonvergente Reihe (s.u.) handelt.

Ahnlich wie bei Folgen, ist es bei Reihen oft nutzlich die Menge N0 oder eine Mengevon der Form N ∪ {0,−1,−2, . . . ,−m} mit m ∈ N als Indexmenge zu wahlen. Man stelltdie von einer Folge (vn)

n=−m erzeugte Reihe dann durch

∞∑

n=−m

vn

dar. Im folgenden geben wir einige Beispiele fur Reihen in R an.

Beispiele.

(a) Die Reihe∞∑

k=1

1 = 1 + 1 + 1 + 1 + · · ·

wird von der konstanten Folge (an)n∈N erzeugt, welche durch an := 1 fur alle n ∈ N

definiert ist. Man erkennt leicht, dass fur jeden Index N ∈ N die N -te Partialsummedieser Reihe durch

∑Nk=1 1 = N gegeben ist.

(b) Die Reihe∞∑

n=1

1

n= 1 +

1

2+

1

3+

1

4+ · · ·

wird die harmonische Reihe genannt. Die ersten Partialsummen dieser Reihe lauten∑1

n=1 1/n = 1,∑2

n=1 1/n = 1 + 1/2 = 3/2,∑3

n=1 1/n = 1 + 1/2 + 1/3 = 11/6.

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76 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

(c) Sei q ∈ C eine komplexe Zahl. Dann heißt die Reihe

∞∑

n=0

qn = 1 + q + q2 + q3 + · · ·

die geometrische Reihe zu q. ♦

Eine wichtige Rolle in der Analysis spielen so genannte konvergente Reihen.

Definition (konvergente Reihe). Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K. Eine Reihe∑

n=1 vn in V heißt konvergent, wenn ein Vektor v ∈ V existiert, so dass

limN→∞

N∑

n=1

vn = v

gilt. Der Vektor v heißt dann der Grenzwert von∑

n=1 vn, und man schreibt

∞∑

n=1

vn = v.

Definition (divergente Reihe). Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K. Eine Reihein V heißt divergent, wenn sie nicht konvergent ist.

Man beachte, dass das Symbol∑

n=1 vn tatsachlich zwei Bedeutungen hat. Zunachst be-zeichnet es die Reihe, welche von einer Folge (vn)n∈N erzeugt wird. Ist diese Reihe kon-vergent, so bezeichnet das Symbol jedoch auch den Grenzwert der Reihe. Welche Bedeu-tung dem Symbol zukommt muss jeweils aus dem Kontext erschlossen werden, was imAllgemeinen jedoch keine Schwierigkeiten bereitet. Um eine Verwechselung ganzlich aus-zuschließen, kann man die Reihe auch durch

(∑N

n=1 vn)

N∈Ndarstellen, und das Symbol

n=1 vn ausschließlich fur den Grenzwert der Reihe verwenden, was jedoch eher unublichist. Nachfolgend geben wir einige wichtige Beispiele fur konvergente Reihen in R an.

Beispiele.

(a) Der Mathematiker Leonhard Euler konnte zeigen, dass die Reihe

∞∑

n=1

1

n2= 1 +

1

4+

1

9+

1

16+ · · ·

gegen die Zahl π2/6 konvergiert.

(b) Die Reihe∞∑

n=0

1

n!= 1 +

1

1+

1

2+

1

6+ · · ·

konvergiert gegen die Eulersche Zahl e.

(c) Die so genannte alternierende harmonische Reihe

∞∑

n=1

(−1)n+1

n= 1− 1

2+

1

3− 1

4± · · ·

konvergiert gegen die Zahl ln(2).

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4.2. KONVERGENZ VON REIHEN 77

(d) Die so genannte Leibniz–Reihe

∞∑

n=0

(−1)n

2n+ 1= 1− 1

3+

1

5− 1

7± · · ·

konvergiert gegen die Zahl π/4. ♦

Als nachstes wollen wir einige Rechenregeln fur die Grenzwerte konvergenter Reihen zu-sammenstellen.

Satz 4.7. Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K, seien∑

n=1 vn und∑

n=1wn zweikonvergente Reihen in V , und sei α ∈ K ein beliebiger Skalar. Dann gelten die folgendenAussagen.

(1)

∞∑

n=1

(vn + wn) =

∞∑

n=1

vn +

∞∑

n=1

wn.

(2)

∞∑

n=1

(αvn) = α

∞∑

n=1

vn.

Wir kommen nun zur Untersuchung des Konvergenzverhaltens von Reihen. Im allgemeinenist es schwierig zu erkennen, ob eine gegebene Reihe konvergiert oder divergiert. Dasfolgende Lemma liefert zunachst eine notwendige Bedingung fur die Konvergenz einerReihe.

Lemma 4.8. Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K, und sei∑

n=1 vn eine konvergenteReihe in V . Dann bildet die Folge der Reihensummanden (vn)n∈N eine Nullfolge in V .

Es muss noch einmal betont werden, dass das Lemma 4.8 lediglich ein notwendiges, nichtaber ein hinreichendes Kriterium fur die Konvergenz einer Reihe liefert. Es gibt namlichauch divergente Reihen, deren Summanden eine Nullfolge bilden.

Eine wichtige Klasse konvergenter Reihen bilden die geometrischen Reihen zu denkomplexen Zahlen, welche betragsmaßig echt kleiner als Eins sind. Die Grenzwerte dieserReihen konnen daruber hinaus explizit berechnet werden, wie der nachfolgende Satz zeigt.

Satz 4.9. Die geometrische Reihe zu einer komplexen Zahl q ∈ C ist genau dann konver-gent, wenn |q| < 1 gilt. Fur den Grenzwert der Reihe gilt dann

∞∑

n=0

qn =1

1− q.

Man betrachte die nachfolgenden Beispiele.

Beispiele.

(a) Nach Satz 4.9 gilt∞∑

n=0

1

3n=

∞∑

n=0

(

1

3

)n

=1

1− 13

=3

2.

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78 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

Abbildung 4.1: Die Reihe∑

n=1 1/2n konvergiert gegen die Zahl 1.

(b) Fur die komplexe Zahl z = i/2 gilt |z| = 1/2 < 1. Also konvergiert die geometrischeReihe zu z, und wir erhalten die komplexe Zahl

∞∑

n=0

zn =1

1− i2

=4

5+

2

5i

als Grenzwert der Reihe. ♦

Ein besonders interessantes Ergebnis erhalt man, wenn man die Reihe

∞∑

n=1

1

2n=

1

2+

1

4+

1

8+

1

16+ · · ·

auf Konvergenz hin untersucht. Fasst man namlich jede N -te Partialsumme sN := 1/2 +1/4+ · · ·+1/2N dieser Reihe als die Position eines Punktes P auf der reellen Zahlengeradeauf, so erkennt man, dass sich der Punkt P der Zahl 1 immer weiter annahert. BeimUbergang von einem Index N ∈ N zum jeweils nachsten Index N + 1 legt der Punkt Pdabei immer genau die Halfte der Distanz zuruck, die zwischen ihm und der Zahl 1 liegt(siehe Abbildung 4.1). Eine solche

”Bewegung“ des Punktes P bezeichnen wir im folgenden

als”Annaherungsschritt“. Es stellt sich die Frage, ob der Punkt jemals die Zahl 1 erreicht.

Mit Hilfe von Satz 4.9 kann man diese Frage beantworten. Es gilt namlich

∞∑

n=1

1

2n=

(

∞∑

n=0

(

1

2

)n)

− 1 =1

1− 12

− 1 = 1.

Der Punkt P kommt der Zahl 1 also beliebig nahe, d.h. fur jede positive Zahl ε > 0existiert eine naturliche Zahl N ∈ N, so dass nach N Annaherungsschritten der Abstandzwischen dem Punkt P und der Zahl 1 kleiner als ε ist. Da die Zahl 1 der Grenzwertder Folge (sN )n∈N ist, kommt man leicht zu der Vorstellung, der Punkt P wurde dieZahl 1 nach unendlich vielen Annaherungsschritten erreichen. Es ist dabei allerdings nichtwirklich klar, was genau unter

”nach unendlich vielen Annaherungsschritten“ zu verstehen

sein soll. Daher ist eine gewisse Vorsicht bei dieser Interpretation des Ergebnisses geboten.Betrachtet man die alternierende harmonische Reihe sowie die Leibniz–Reihe, so fallt

auf, dass die Summanden beider Reihen abwechselnd positiv und negativ sind. Reihenin R mit dieser Eigenschaft werden alternierend genannt. Die genaue Definition lautetfolgendermaßen:

Definition (alternierende Reihe). Eine Reihe∑

n=1 an in R wird alternierend genannt,wenn sgn(an) = (−1)n fur alle n ∈ N oder sgn(an) = (−1)n+1 fur alle n ∈ N gilt.

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4.2. KONVERGENZ VON REIHEN 79

Fur alternierende Reihen gilt das folgende Konvergenzkriterium, welches unter dem NamenLeibniz–Kriterium bekannt ist.

Satz 4.10 (Leibniz–Kriterium). Sei∑

n=1 an eine alternierende Reihe in R mit derEigenschaft, dass die Folge (|an|)n∈N der Betrage der Reihensummanden monoton gegenNull konvergiert. Dann ist die Reihe konvergent.

Das Leibniz–Kriterium garantiert offenbar insbesondere die Konvergenz der Leibniz–Reihe(siehe Beispiel (d) auf Seite 77). Zu beachten ist, dass das Leibniz–Kriterium fur die Kon-vergenz einer alternierende Reihe

n=1 an in R voraussetzt, dass die Folge (|an|)n∈N mo-

noton gegen Null konvergiert. Tatsachlich gibt es divergente, alternierende Reihen in R, beidenen die Folge der Betrage der Reihesummanden nichtmonoton gegen Null konvergiert.Man betrachte dazu die nachfolgenden zwei Beispiele.

Beispiele.

(a) Die Reihe∞∑

n=1

(−1)n√n

= −1 +

√2

2−

√3

3+

√4

4∓ · · ·

erfullt die Voraussetzungen des Leibniz–Kriteriums und ist daher konvergent.

(b) Sei (an)n∈N die reelle Zahlenfolge, welche durch

an :=

{

1/n falls n ungerade,

−1/n2 falls n gerade

fur alle n ∈ N definiert ist, und sei

∞∑

n=1

an = 1− 1

4+

1

3− 1

16± · · · ,

die zugehorige Reihe. Dann konvergiert die Folge (|an|)n∈N zwar gegen Null, jedochnicht monoton. Daher sind die Voraussetzungen fur das Leibniz–Kriterium nichterfullt. Tatsachlich kann man zeigen, dass die Reihe

n=1 an divergent ist. ♦

Mit dem Satz 4.9 und dem Leibniz–Kriterium stehen uns zwei Werkzeuge zur Verfugung,um die Konvergenz von geometrischen und alternierenden Reihen nachzuweisen. Als nach-stes befassen wir uns mit der Frage, wie man die Divergenz von Reihen nachweisen kann.Zunachst geben wir zwei wichtige Beispiele fur divergente Reihen in R an.

Beispiele.

(a) Die harmonische Reihe ist divergent. Betrachtet man namlich die Partialsum-men sN := 1 + 1/2 + 1/3 + . . . + 1/N der harmonischen Reihe, so erhalt man dieAbschatzung

|s2N − sN | = 1

N + 1+

1

N + 2+ · · ·+ 1

2N≥ N · 1

2N=

1

2

fur alle N ∈ N. Dies bedeutet aber, dass die Folge (sn)n∈N der Partialsummen derharmonischen Reihe keine Cauchy–Folge sein kann. Nach dem Cauchy–Kriterium(siehe Satz 4.1) ist die Folge (sn)n∈N und damit die harmonische Reihe also divergent.

Page 11: Konvergenzbegriffe und Konvergenzkriterien1+ 1 n n f¨ur alle n ∈ Ndefiniert ist. Gem¨aß der verallgemeinerten ersten binomischen Formel gilt an = Xn k=0 n k 1 nk = n 0 + n 1

80 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

(b) Die geometrische Reihe zu jeder komplexen Zahl q ∈ C mit |q| ≥ 1 ist divergent. ♦

Als nachstes fuhren wir den Begriff der Minorante ein. Dieser wird benotigt, um ein Kri-terium fur die Divergenz einer Reihe in R zu formulieren.

Definition (Minorante). Sei∑

n=1 an eine Reihe in R. Eine Reihe∑

n=1mn in R heißteine Minorante fur

n=1 an, wenn eine naturliche Zahl N ∈ N existiert, so dass 0 ≤ mn ≤an fur alle n ∈ N mit n ≥ N gilt.

Eine Minorante ist also eine Reihe, deren Summanden bis auf endlich viele Ausnahmennichtnegativ und indexweise kleiner oder gleich wie die Summanden einer gegebenen Reihein R sind. Entsprechend ist jede N -te Partialsumme der Minorante kleiner oder gleich wiedie N -te Partialsumme der ursprunglichen Reihe fur N ∈ N. Daraus ergibt sich aber, dassdie Divergenz der Minorante auch die Divergenz der ursprunglichen Reihe impliziert. Diesist die Idee, die dem so genannten Minorantenkriterium zugrunde liegt.

Satz 4.11 (Minorantenkriterium). Jede Reihe in R, fur die eine divergente Minoranteexistiert, divergiert bestimmt gegen ∞.

Aus dem Minorantenkriterium folgt auch, dass jede divergente Reihe in R mit nichtne-gativen Summanden gegen ∞ bestimmt divergeriert. Jede solche Reihe ist namlich einedivergente Majorante fur sich selbst. Das nachfolgende Beispiel verdeutlicht, wie man mitHilfe des Minorantenkriteriums die bestimmte Divergenz einer Reihe in R beweisen kann.

Beispiel. Wir betrachten die Reihe

∞∑

n=1

1√n2 + 1

.

Bezeichnet man den n-ten Summanden der Reihe mit an, so gilt

an =1√

n2 + 1≥ 1√

n2 + n2=

1√2n

fur alle n ∈ N.

Die Reihe∑

n=1 1/(√2n) ist also eine divergente Minorante fur die Reihe

n=1 1/√n2 + 1.

Nach dem Minorantenkriterium ist die Reihe∑

n=1 1/√n2 + 1 somit gegen ∞ bestimmt

divergent. ♦

Ubungsaufgaben

1. Geben Sie die ersten vier Partialsummen der nachfolgenden Reihen in R an.

∞∑

n=1

n,

∞∑

n=1

1

n2,

∞∑

n=0

(−1)n

2n+ 1,

∞∑

n=1

(−2)n.

2. Zeigen Sie, dass die folgenden Reihen konvergent sind, und bestimmen Sie den Grenzwertjeder Reihe.

∞∑

n=1

(

1

n− 1

n+ 1

)

,

∞∑

n=1

(

n− 1

n2− n

(n+ 1)2

)

,

∞∑

n=1

3

n2 + n.

Hinweis: Leiten Sie allgemeine Formeln fur die Partialsummen der Reihen her.

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4.2. KONVERGENZ VON REIHEN 81

3. Untersuchen Sie die folgenden Reihen auf Konvergenz und berechnen Sie gegebenenfalls dieGrenzwerte.

∞∑

n=1

1

4n,

∞∑

n=0

6

5n,

∞∑

n=0

6n

5n,

∞∑

n=2

(√2

2

)n

,

∞∑

n=0

(1 + i)n,

∞∑

n=0

(1 + i)−n.

4. Fur jede naturliche Zahl z ∈ {0, 1, 2, . . . , 9} bezeichne 0,z die Dezimaldarstellung einer reellenZahl mit periodischer Nachkommastelle z. Zeigen Sie mit Hilfe von Satz 4.9, dass

0,z =z

9

fur alle z ∈ {0, 1, 2, . . . , 9} gilt. Beachten Sie, dass dies insbesondere die Identitat 0,9 = 1beweist.

5. Zeigen Sie, dass die folgenden Reihen divergent sind.

∞∑

n=1

√n

n,

∞∑

n=1

(n+ 1)(n− 1)

n2,

∞∑

n=1

n

n2 + 4,

∞∑

n=1

1

n+√n.

6. Sei q ∈ C eine komplexe Zahl, fur die |q| < 1 gilt. Zeigen Sie, dass dann

∞∑

n=k

qn =qk

1− q

fur alle k ∈ N0 gilt.

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82 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

4.3 Absolute Konvergenz von Reihen

Neben der Konvergenz und der Divergenz definiert man fur Reihen noch ein weiteresKonvergenzverhalten, welches als absolute Konvergenz bezeichnet wird. Es zeigt sich, dassabsolut konvergente Reihen im wesentlichen wie gewohnliche Summen behandelt werdenkonnen.

Definition (absolut konvergente Reihe). Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum. Eine Rei-he∑

n=1 vn in V heißt absolut konvergent, wenn die Reihe∑

n=1‖vn‖ konvergent ist.

Man beachte, dass die Reihe∑

n=1‖vn‖ in der obigen Definition stets eine Reihe in R ist.Wir erinnern außerdem daran, dass die Menge der reellen Zahlen R sowie die Menge derkomplexen Zahlen C standardmaßig mit der jeweiligen Betragsfunktion als Norm verse-hen sind. Will man also beispielsweise eine Reihe

n=1 an in R auf absolute Konvergenzhin untersuchen, so muss man das Konvergenzverhalten der Reihe

n=1|an| bestimmen.Nachfolgend geben wir einige Beispiele fur absolut konvergente Reihen an.

Beispiele.

(a) Die geometrische Reihe zu jeder komplexen Zahl q ∈ C mit |q| < 1 ist absolutkonvergent.

(b) Man kann zeigen, dass fur jede reelle Zahl α > 1 die Reihe

∞∑

n=1

1

absolut konvergent ist. Fur α ≤ 1 ist die Reihe hingegen divergent.

(c) Jede konvergente Reihe in R mit nichtnegativen Summanden ist trivialerweise auchabsolut konvergent.

(d) Nach dem Leibniz–Kriterium ist die Reihe

∞∑

n=0

(−1)n

n

konvergent. Die Reihe ist jedoch nicht absolut konvergent, da die harmonische Reihedivergent ist. ♦

Der nachfolgende Satz klart, wie die Konvergenz und die absolute Konvergenz einer Reihein einem Banach–Raum (d.h. in einem vollstandigen normierten Raum) zusammenhangen.

Satz 4.12. Jede absolut konvergente Reihe in einem Banach–Raum ist konvergent.

Man beachte, dass fur jede naturliche Zahl n ∈ N die mit einer Norm versehenen Vektor-raume Rn und Cn nach Satz 3.14 vollstandig und somit Banach–Raume uber R bzw. Csind. Gemaß Satz 4.12 ist daher insbesondere jede absolut konvergente Reihe in R und inC konvergent.

Wie eingangs bereits erwahnt wurde, konnen absolut konvergente Reihen in vielerleiHinsicht wie gewohnliche Summen behandelt werden. Einen erster Hinweis hierauf liefertder nachfolgende Satz, der besagt, dass fur absolut konvergente Reihen eine Variante derDreiecksungleichung gilt.

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4.3. ABSOLUTE KONVERGENZ VON REIHEN 83

Satz 4.13 (Dreiecksungleichung fur absolut konvergente Reihen). Sei (V, ‖ · ‖) einBanach–Raum uber K, und sei

n=1 vn eine absolut konvergente Reihe in V . Dann gilt

∞∑

n=1

vn

≤∞∑

n=1

‖vn‖.

Die Addition in einem Vektorraum ist bekanntlich eine kommutative Verknupfung. Diesbedeutet, dass sich die Summe endlich vieler Vektoren nicht andert, wenn man die Reihen-folge der Vektoren vertauscht. Ein analoges Resultat kann fur absolut konvergente Reihengezeigt werden. Der entsprechende Satz ist als Umordnungssatz bekannt.

Satz 4.14 (Umordnungssatz). Sei (V, ‖ · ‖) ein Banach–Raum uber K, sei∑

n=1 vn eineabsolut konvergente Reihe in V , und sei ϕ : N → N eine bijektive Abbildung. Dann ist dieReihe

n=1 vϕ(n) ebenfalls absolut konvergent, und es gilt

limN→∞

N∑

n=1

vϕ(n) = limN→∞

N∑

n=1

vn.

Der Umordnungssatz besagt, dass der Grenzwert einer absolut konvergenten Reihe inva-riant gegenuber einer Umordnung der Reihensummanden ist. Es stellt sich die Frage, obdiese Aussage auch fur solche Reihen gilt, die zwar konvergent, nicht aber absolut kon-vergent sind. Die uberraschende Antwort lautet: Nein! Tatsachlich kann man zeigen, dasssich der Grenzwert einer nicht absolut konvergenten Reihe in der Regel andert, wenn mandie Reihenfolge der Reihensummanden andert. Mehr noch: Durch Umordnung der Rei-hensummanden kann man die Reihe gegen jeden beliebigen Grenzwert konvergieren undsogar bestimmt divergieren lassen. Diese Aussage ist als Riemannscher Umordnungssatz

bekannt.

Im Rest dieses Abschnitts stellen wir einige hinreichende Kriterien fur die absoluteKonvergenz von Reihen zusammen. Zu diesem Zweck fuhren wir zunachst den Begriff derMajorante ein.

Definition (Majorante). Sei∑

n=1 an eine Reihe in R mit nichtnegativen Summanden,d.h. es gelte an ≥ 0 fur alle n ∈ N. Eine Reihe

n=1Mn in R heißt eine Majorante fur∑

n=1 an, wenn eine naturliche Zahl N ∈ N existiert, so dass an ≤ Mn fur alle n ∈ N mitn ≥ N gilt.

Existiert fur eine Reihe in R mit nichtnegativen Summanden eine absolut konvergenteMajorante, so kann man zeigen, dass auch die ursprungliche Reihe absolut konvergiert.Auf diesem Prinzip beruht das so genannte Majorantenkriterium.

Satz 4.15 (Majorantenkriterium). Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K, und sei∑

n=1 vn eine Reihe in V , so dass fur die Reihe∑

n=1‖vn‖ eine konvergente Majoranteexistiert. Dann ist die Reihe

n=0 vn absolut konvergent.

Das nachfolgende Beispiel verdeutlicht, wie man das Majorantenkriterium anwendet.

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84 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

Beispiel. Wir betrachten die Reihe

∞∑

n=1

1√n3 + 1

.

Bezeichnet man den n-ten Summanden der Reihe mit an, so gilt

|an| =1√

n3 + 1≤ 1√

n3=

1

n3/2fur alle n ∈ N.

Die Reihe∑

n=1 1/(n3/2) ist also Majorante fur die Reihe

n=1|1/√n3 + 1|. Da diese

Majorante konvergent ist, ist die Reihe∑

n=1 1/√n3 + 1 absolut konvergent nach dem

Majorantenkriterium . ♦

Um mit dem Majorantenkriterium arbeiten zu konnen, muss man naturlich wissen, wel-che Reihen in R absolut konvergieren. Wir erinnern uns, dass beispielsweise samtlichegeometrische Reihen zu reellen Zahlen q ∈ (0, 1) absolut konvergieren. Auch die Reihen∑

n=1 1/n! und∑

n=1 n−α mit α > 1 sind absolut konvergent.

Ein weiteres Kriterium, mit dem man entweder die absolute Konvergenz oder aber dieDivergenz einer Reihe nachweisen kann, ist das so genannte Wurzelkriterium.

Satz 4.16 (Wurzelkriterium). Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K. Eine Reihe∑

n=0 vn in V ist absolut konvergent, wenn eine Zahl q ∈ (0, 1) und eine naturliche ZahlN ∈ N existiert, so dass

n

‖vn‖ ≤ q fur alle n ∈ N mit n ≥ N

gilt. Falls hingegen eine naturliche Zahl N ∈ N existiert, so dass

n

‖vn‖ ≥ 1 fur alle n ∈ N mit n ≥ N

gilt, dann ist die Reihe divergent.

In den nachfolgenden Beispielen demonstrieren wir die Anwendung des Wurzelkriteriums.

Beispiele.

(a) Wir betrachten die Reihe∞∑

n=1

(

n

2n+ 1

)n

.

Bezeichnet man den n-ten Summanden der Reihe mit an fur n ∈ N, so erhalt man

n

|an| =n

2n+ 1≤ n

2n=

1

2fur alle n ∈ N.

Nach dem Wurzelkriterium ist die Reihe also absolut konvergent.

(b) Das Konvergenzverhalten der Reihe

∞∑

n=1

(

2n

n+ 4

)n

.

soll untersucht werden. Bezeichnet man den n-ten Summanden der Reihe mit an furn ∈ N, so erhalt man die Abschnatzung

n

|an| =2n

n+ 4≥ 1 fur alle n ∈ N mit n ≥ 4.

Nach dem Wurzelkriterium ist die Reihe demzufolge divergent. ♦

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4.3. ABSOLUTE KONVERGENZ VON REIHEN 85

Bei der Verwendung des Wurzelkriteriums ist eine gewisse Vorsicht geboten. Will mannamlich mit Hilfe dieses Kriteriums die absolute Konvergenz einer Reihe

n=1 vn nach-weisen, so genugt es nicht zu zeigen, dass die strikte Ungleichung

n

‖vn‖ < 1

ab einem bestimmten Index N ∈ N gilt. Dies gilt namlich beispielsweise auch fur diedivergente Reihe

n=1 1/2.

Neben dem Wurzelkriterium gibt es noch ein zweites Kriterium, mit dem man die ab-solute Konvergenz oder aber die Divergenz einer Reihe nachweisen kann. Dieses Kriteriumwird das Quotientenkriterium genannt.

Satz 4.17 (Quotientenkriterium). Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K. EineReihe

n=0 vn in V ist absolut konvergent, wenn eine reelle Zahl q ∈ (0, 1) und einenaturliche Zahl N ∈ N existiert, so dass

‖vn+1‖‖vn‖

≤ q fur alle n ∈ N mit n ≥ N

gilt. Falls hingegen eine naturliche Zahl N ∈ N existiert, so dass

‖vn+1‖‖vn‖

≥ 1 fur alle n ∈ N mit n ≥ N

gilt, dann ist die Reihe divergent.

In den nachfolgenden Beispielen wird das Quotientenkriterium angewendet.

Beispiele.

(a) Wir betrachten die Reihe∞∑

n=1

2n

(n+ 1)!

in R. Bezeichnet man den jeweils n-ten Summanden der Reihe mit an fur n ∈ N, soerhalt man

|an+1||an|

=2n+1(n+ 1)!

2n(n+ 2)!=

2

n+ 2≤ 2

3fur alle n ∈ N.

Nach dem Quotientenkriterium ist die Reihe also absolut konvergent.

(b) Sei an der n-te Summand der Reihe

∞∑

n=1

n!

(n+ 1)2

in R fur n ∈ N. Dann erhalt man die Abschnatzung

|an+1||an|

=(n+ 1)! (n+ 1)2

(n+ 2)2 n!=

(n+ 1)3

(n+ 2)2≥ 1 fur alle n ∈ N mit n ≥ 2,

weshalb die Reihe nach dem Quotientenkriterium divergent ist. ♦

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86 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

Man beachte, dass es fur die Anwendung des Quotientenkriteriums nicht genugt zu zeigen,dass die Summanden einer Reihe

n=1 vn die strikte Ungleichung

‖vn+1‖‖vn‖

< 1

ab einem bestimmten Index N ∈ N erfullen. Dies ist namlich auch fur die Summanden derharmonischen Reihe der Fall. Die harmonische Reihe ist jedoch bekanntlich divergent.

Zum Abschluss dieses Abschnitts geben noch ein Lemma an, welches sich oft als nutz-lich erweist, wenn man eine Reihe mittels dem Quotienten- oder dem Wurzelkriterium aufabsolute Konvergenz hin untersucht.

Lemma 4.18. Sei (an)n∈N eine konvergente Reihe in R mit Grenzwert a. Weiterhin seienp ∈ R und q ∈ R zwei reelle Zahlen, so dass p < a < q gilt. Dann existiert eine naturlicheZahl N ∈ N, so dass

p ≤ an ≤ q fur alle n ∈ N mit n ≥ N

gilt.

Warum ist dieses Lemma nutzlich? Man stelle sich vor, dass man eine Reihe∑

n=1 vnauf absolute Konvergenz hin untersucht und dabei feststellt, dass die Folge ( n

‖vn‖)n∈Nkonvergent ist. Wenn nun

limn→∞

n

‖vn‖ < 1

gilt, dann folgt aus Lemma 4.18, dass die Voraussetzungen fur die absolute Konvergenzder Reihe aus dem Wurzelkriterium erfullt sind. Wenn hingegen

limn→∞

n

‖vn‖ > 1

gilt, dann folgt aus Lemma 4.18, dass die Voraussetzungen fur die Divergenz der Reihe ausdem Wurzelkriterium erfullt sind. Ahnlich verhalt es sich mit dem Quotientenkriterium.Wenn also die Folge (‖vn+1‖/‖vn‖)n∈N konvergent ist, und daruber hinaus

limn→∞

‖vn+1‖‖vn‖

< 1

gilt, dann kann man mit Hilfe des Quotientenkriteriums folgern, dass die Reihe absolutkonvergent ist. Wenn hingegen

limn→∞

‖vn+1‖‖vn‖

> 1

gilt, dann folgt aus Lemma 4.18 und dem Quotientenkriterium die Divergenz der Reihe. Isteiner der zuvor behandelten Grenzwerte genau gleich 1, dann ist keine Aussage moglich.

Ubungsaufgaben

1. Untersuchen Sie die folgenden Reihen auf absolute Konvergenz.

∞∑

n=1

1

n√n+ 1

,

∞∑

n=1

(−1)n+1

2n− 1,

∞∑

n=1

n2

2n,

∞∑

n=1

(

n∑

k=1

1

3k

)

,

∞∑

n=1

2n

n3 + 1.

2. Zeigen Sie, dass die Reihe∑

n=1 cos(n)/2n absolut konvergent ist, und dass fur den Grenz-

wert s dieser Reihe die Ungleichung |s| ≤ 1 gilt.

3. Zeigen Sie, dass die Reihe∑

n=1 4−n−cos(πn) absolut konvergent ist, und bestimmen Sie den

Grenzwert dieser Reihe. Verwenden Sie dazu den Umordnungssatz.

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4.4. PUNKTWEISE KONVERGENZ VON FUNKTIONENFOLGEN 87

4.4 Punktweise Konvergenz von Funktionenfolgen

Definition (Funktionenfolge). Seien X und Y zwei nichtleere Mengen. Eine Folge(fn)n∈N heißt eine Funktionenfolge von X nach Y , wenn fur jeden Index n ∈ N das n-teFolgenglied fn eine Funktion von X nach Y ist.

Unter einer Funktionenfolge versteht man also eine Folge, deren Glieder allesamt Funk-tionen mit sind, welche einen gemeinsamen Definitions- und Wertebereich besitzen. Imfolgenden geben wir einige Beispiele fur Funktionenfolgen an.

Beispiele.

(a) Die Funktionenfolge (fn)∞

n=0 von R nach R, deren Glieder durch fn(x) := xn fur allex ∈ R und alle n ∈ N definiert sind, wird die Folge der Monome genannt. Die erstendrei Glieder dieser Funktionenfolge sind offenbar durch f0(x) = 1, f1(x) = x undf2(x) = x2 fur alle x ∈ R gegeben.

(b) Die Funktionenfolgen (sn)n∈N und (cn)n∈N von [0, 2π] nach R, welche durch sn(x) :=sin(nx) und cn(x) := cos(nx) fur alle x ∈ [0, 2π] und alle n ∈ N gegeben sind, sindfur die Analyse bestimmter Schwingungsvorgange von entscheidender Bedeutung.

(c) Betrachtet man die Glieder der Funktionenfolge (δn)n∈N von R nach R, welche durch

δn(x) :=

n2x+ n x ∈ [−1/n, 0)

−n2x+ n x ∈ [0, 1/n]

0 sonst

fur alle x ∈ R und alle n ∈ N definiert sind, so stellt man folgendes fest: Fur jedenaturliche Zahl n ∈ N schließt der Graph von δn mit der x-Achse ein gleichschenk-liges Dreieck mit einer Grundseite der Lange 2/n und einer Hohe von n ein. DerFlacheninhalt eines solchen Dreiecks betragt bekanntlich 1. ♦

Ist (fn)n∈N eine Funktionenfolge von X nach Y , wobei X und Y zwei nichtleere Mengensind, so kann man zu jeder fest gewahlten Stelle x ∈ X eine Folge (fn(x))n∈N in Y , demWertebereich der Funktionenfolge, definieren. Die Glieder der Folge (fn(x))n∈N sind dabeidurch die Funktionswerte der Glieder von (fn)n∈N an der Stelle x gegeben. Man beachte:

(fn)n∈N bezeichnet eine Folge von Funktionen, (fn(x))n∈N bezeichnet eine Folge

von Funktionswerten.

Ist der Wertebereich einer Funktionenfolge ein normierter Raum, so gelangt man in na-turlicher Weise zu einem Konvergenzbegriff, welcher als punktweise Konvergenz bezeichnetwird.

Definition (punktweise Konvergenz, Grenzfunktion). Sei X eine nichtleere Menge,sei x ∈ X ein Element dieser Menge, und sei (W, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K.Eine Funktionenfolge (fn)n∈N von X nach W heißt konvergent an der Stelle x, wenn dieFolge (fn(x))n∈N in W konvergent ist. Ist D ⊆ X eine nichtleere Menge, so heißt dieFunktionenfolge punktweise konvergent auf D, falls sie an jeder Stelle x ∈ D konvergentist. In diesem Fall definiert man die so genannte Grenzfunktion f : D → W von (fn)n∈Nauf D durch

f(x) := limn→∞

fn(x)

fur alle x ∈ D.

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88 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

(a) (b)

Abbildung 4.2: (a) Graphen der ersten vier Glieder der Funktionenfolge (pn)n∈N von[0, 1] nach R, welche durch pn(x) := xn fur alle x ∈ [0, 1] und alle n ∈ N definiert ist. (b)Graph der zugehorigen Grenzfunktion.

Definition (divergente Funktionenfolge). Eine Funktionenfolge heißt an einer Stelleihres Definitionsbereichs divergent, wenn sie an jener Stelle nicht punktweise konvergentist. Ist M eine nichtleere Teilmenge des Definitionsbereichs, so heißt die Funktionenfolgedivergent auf M , wenn sie an jeder Stelle x ∈ M divergent ist.

IstX eine nichtleere Menge,D ⊆ X eine nichtleere Teilmenge, und (W, ‖ · ‖) ein normierterRaum, so konvergiert eine Funktionenfolge (fn)n∈N von X nach W offenbar genau dannpunktweise gegen eine Grenzfunktion f : D → W , wenn fur jede Stelle x ∈ D die folgendeAussage wahr ist: Zu jeder positiven Zahl ε > 0 existiert eine naturliche Zahl N ∈ N, sodass

‖fn(x)− f(x)‖ < ε fur alle n ∈ N mit n ≥ N

gilt. Die punktweise Konvergenz einer Funktionenfolge auf wird also uber die Konvergenzder Funktionswerte ihrer Glieder auf der Menge D definiert.

Als nachstes fuhren wir den Begriff des Konvergenzbereiches einer Funktionenfolge ein.

Definition (Konvergenzbereich). Sei X eine nichtleere Menge, sei (W, ‖ · ‖) ein nor-mierter Raum uber K, und sei (fn)n∈N eine Funktionenfolge von X nach W . Sei außerdemD ⊆ X eine nichtleere Menge, so dass (fn)n∈N auf punktweise konvergent auf D unddivergent auf jeder Teilmenge von X \ D ist. Dann heißt D der Konvergenzbereich von(fn)n∈N.

Der Konvergenzbereich einer Funktionenfolge ist also die großtmogliche Teilmenge desDefinitionsbereichs, auf der die Funktionenfolge punktweise konvergent ist. Im folgendengeben wir einige Beispiele fur Funktionenfolgen und deren Konvergenzbereiche an.

Beispiele.

(a) Die Funktionenfolge (fn)n∈N von R nach R, welche durch fn(x) := x2 − x/√n+1/n

fur alle x ∈ R und alle n ∈ N definiert ist, konvergiert punktweise auf ganz R gegendie Grenzfunktion f : R → R, welche durch f(x) := x2 fur alle x ∈ R definiert ist.Der Konvergenzbereich der Funktionenfolge ist also R.

(b) Die Funktionenfolge (pn)n∈N von [0,∞] nach R, welche durch pn(x) := xn fur allex ∈ R und alle n ∈ N definiert ist, konvergiert punktweise im Intervall [0, 1] gegendie Grenzfunktion p : [0, 1] → R, welche durch

p(x) :=

{

0 falls x ∈ [0, 1),

1 falls x = 1

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4.4. PUNKTWEISE KONVERGENZ VON FUNKTIONENFOLGEN 89

fur alle x ∈ [0, 1] definiert ist (siehe auch Abbildung 4.2). Fur jede reelle Zahl x > 1divergiert die Folge (pn(x))n∈N bestimmt gegen ∞. Das Intervall [0, 1] ist demnachKonvergenzbereich der Funktionenfolge (pn)n∈N.

(c) Die Funktionenfolge (hn)n∈N von R nach R, welche durch

hn(x) :=

{

1 falls x ∈ [n− 1, n],

0 sonst

fur alle x ∈ R und alle n ∈ N definiert ist, konvergiert punktweise auf ganz R gegendie Nullfunktion auf R. Wahlt man namlich eine beliebige Stelle x ∈ R aus, so giltoffenbar hn(x) = 0 fur alle n ≥ ⌈x⌉+1. Der Konvergenzbereich der Funktionenfolge(hn)n∈N ist also R, und die Grenzfunktion h : R → R ist durch h(x) = 0 fur allex ∈ R gegeben. ♦

Ubungsaufgaben

1. Die Funktionenfolgen (sn)n∈N und (cn)n∈N von [0, 2π] nach R seien durch sn(x) := sin(nx)und cn(x) := cos(nx) fur alle x ∈ [0, 2π] und alle n ∈ N definiert. Skizzieren Sie die Graphender ersten drei Glieder beider Funktionenfolgen.

2. Die Funktionenfolge von R nach R der so genannten Legendre–Polynome (Pn)∞

n=0 ist rekursivdurch P0(x) := 1, P1(x) := x und nPn(x) := (2n − 1)xPn−1(x) − (n − 1)Pn−2(x) fur allex ∈ R und alle n ∈ N mit n ≥ 2 definiert. Geben Sie die Polynome P2, P3 und P4 dieserFunktionenfolge an.

3. Bestimmen Sie den Konvergenzbereich der Funktionenfolgen (fn)n∈N, (gn)n∈N, (hn)n∈N und(rn)n∈N von R nach R, und geben Sie die jeweilige Grenzfunktion an. Die Funktionenfolgensind durch

fn : R → R, x 7→ nx/(n+ 1),

gn : R → R, x 7→ n

|x|,hn : R → R, x 7→ (2x)n + 1,

rn : R → R, x 7→{

n/2 falls x ∈ [−1/n, 1/n],

0 sonst

fur alle n ∈ N definiert.

4. Die Funktionenfolge (fn)∞

n=0 von R nach R ist rekursiv durch f0(x) := 1 und fn(x) :=fn−1(x) + xn fur alle x ∈ R und alle n ∈ N definiert. Geben Sie den Konvergenzbereich unddie Grenzfunktion dieser Funktionenfolge an.

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90 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

4.5 Gleichmaßige Konvergenz von Funktionenfolgen

Im voran gegangenen Abschnitt haben wir die punktweise Konvergenz bei Funktionenfol-gen kennen gelernt. Neben diesem Konvergenzbegriff gibt es bei Funktionenfolgen nochden Begriff der gleichmaßigen Konvergenz, den wir im folgenden einfuhren.

Definition (gleichmaßige Konvergenz). Seien X und D ⊆ X zwei nichtleere Mengen,und sei (W, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K. Eine Funktionenfolge (fn)n∈N von X nachW heißt gleichmaßig konvergent auf D, wenn eine Funktion f : D → W existiert, so dassfolgendes gilt: Fur jede positive Zahl ε > 0 existiert eine naturliche Zahl N ∈ N, so dass

‖fn(x)− f(x)‖ < ε fur alle n ∈ N mit n ≥ N und fur alle x ∈ D

gilt.

Das nachfolgende Lemma besagt, dass die gleichmaßige Konvergenz stets auch die punkt-weise Konvergenz einer Funktionenfolge impliziert. Gleichmaßige Konvergenz ist also eine

”starkere“ Eigenschaft als punktweise Konvergenz.

Lemma 4.19. Jede Funktionenfolge, die auf einer bestimmten Menge gleichmaßig kon-vergent ist, ist auf derselben Menge auch punktweise konvergent.

Betrachtet man noch einmal die Definitionen fur punktweise und gleichmaßige Konver-genz, so stellt man fest, dass eine Funktionenfolge (fn)n∈N genau dann punktweise bzw.gleichmaßig auf einer Menge D gegen eine Grenzfunktion f konvergiert, wenn man furjede Stelle x ∈ D und fur jede positive Zahl ε > 0 eine naturliche Zahl N ∈ N wahlenkann, so dass

‖fn(x)− f(x)‖ < ε

fur alle n ∈ N mit n ≥ N gilt. Der wesentliche Unterschied besteht nun darin, dass man beigleichmaßiger Konvergenz die Zahl N unabhangig von der Stelle x wahlen kann. Die ZahlN ist bei gleichmaßiger Konvergenz also eine Funktion von ε. Bei punktweiser Konvergenzist die Zahl N hingegen eine Funktion von ε und x.

Will man gleichmaßige Konvergenz nachweisen, so ist die folgende Beobachtung hilf-reich: Eine Funktionenfolge (fn)n∈N konvergiert gleichmaßig auf einer Menge D gegen eineGrenzfunktion f , wenn der Abstand

‖fn(x)− f(x)‖

durch einen Ausdruck nach oben abgeschatzt werden kann, der von n, nicht aber von x ab-hangt, und fur n → ∞ gegen Null konvergiert. Man betrachte dazu auch die nachfolgendenBeispiele.

Beispiele.

(a) Die Funktionenfolge (fn)n∈N von R nach R, die durch fn(x) := x + sin(nx)/n furalle x ∈ R und alle n ∈ N definiert ist, konvergiert gleichmaßig auf ganz R gegen dieGrenzfunktion f : R → R, welche durch f(x) := x fur alle x ∈ R definiert ist. Es giltnamlich

|fn(x)− f(x)| = |sin(nx)|n

≤ 1

nfur alle x ∈ R und alle n ∈ N. Es ist also moglich, zu jeder positive Zahl ε > 0 einenIndex N ∈ N zu wahlen, so dass |fn(x)− f(x)| < 1/n < ε fur alle n ∈ N mit n ≥ Nund alle x ∈ R gilt.

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4.5. GLEICHMASSIGE KONVERGENZ VON FUNKTIONENFOLGEN 91

(b) Die Funktionenfolge (gn)n∈N von R nach R, die durch gn(x) := x/n fur alle x ∈ R

und alle n ∈ N definiert ist, konvergiert auf jeder nichtleeren, beschrankten MengeM ⊂ R gleichmaßig gegen die Nullfunktion g : M → R aufM , welche durch g(x) := 0fur alle x ∈ M definiert ist. Es gilt namlich

|gn(x)− g(x)| = |x|n

≤ 1

nsup {|x| | x ∈ M}

fur alle x ∈ M und alle n ∈ N. Man beachte hierbei, dass sup {|x| | x ∈ M} einereelle Zahl ist, die nicht von der Stelle x abhangt.

Im Rest dieses Abschnitts wollen wir einen weiteren Zugang zur gleichmaßigen Konvergenzvon Funktionenfolgen vorstellen. Dazu nehmen wir im folgenden an, dass D eine nichtleereMenge und (W, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K ist.

Die Menge aller beschrankten Folgen von D nach W wird dann bekanntlich mitB(D,W ) bezeichnet. Man zeigt leicht, dass die Menge B(D,W ) ein Vektorraum uberK ist. Die Menge B(D,W ) wird daruber hinaus zu einem normierten Raum uber K, wennman sie mit der so genannten Supremumsnorm ‖ · ‖∞,D : B(D,W ) → R versieht. DieSupremumsnorm ist dabei durch

‖f‖∞,D := supx∈D

‖f(x)‖

fur alle f ∈ B(D,W ) definiert. Im normierten Raum (B(D,W ), ‖ · ‖∞,D) ist dann dieKonvergenz von Folgen in gewohnter Weise definiert: Eine Folge (fn)n∈N in B(D,W )konvergiert genau dann gegen einen Grenzwert f ∈ B(D,W ), wenn fur jede positiveZahl ε > 0 eine naturliche Zahl N ∈ N existiert, so dass ‖fn − f‖∞,D < ε fur allen ∈ N mit n ≥ N gilt. Man beachte hierbei, dass die Folge (fn)n∈N eine Funktionenfolgevon D nach W ist. Daher stellt sich die Frage, inwieweit die Konvergenz im normiertenRaum (B(D,W ), ‖ · ‖∞,D) mit der punktweisen oder der gleichmaßigen Konvergenz aufder Menge D zusammenhangen. Das nachfolgende Lemma gibt hierauf eine abschließendeAntwort.

Lemma 4.20. Sei D eine nichtleere Menge und (W, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K.Eine Folge beschrankter Funktionen (fn)n∈N vonD nachW konvergiert genau dann gleich-maßig auf D gegen eine Grenzfunktion f : D → W , wenn sie bezuglich der Supremums-norm gegen f konvergiert, d.h. wenn fur jede positive Zahl ε > 0 eine naturliche ZahlN ∈ N existiert, so dass

‖fn − f‖∞,D < ε fur alle n ∈ N mit n ≥ N

gilt.

Betrachtet man die Aussage von Lemma 4.20 sowie die voran gegangenen Uberlegungen,so erkennt man, dass gleichmaßige Konvergenz verglichen mit punktweiser Konvergenzder

”naturlichere“ Konvergenzbegriff fur Funktionenfolgen ist. Die gleichmaßige Konver-

genz entspricht namlich genau dem ublichen Konvergenzbegriff, den man fur Folgen imnormierten Raum (B(D,W ), ‖ · ‖∞,D) hat.

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92 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

Ubungsaufgaben

1. Bestimmen Sie fur die Funktionenfolgen (fn)n∈N, (gn)n∈N, (hn)n∈N und (pn)n∈N von [0, 1]nach R die jeweilige Grenzfunktion. Zeigen Sie außerdem, dass die Funktionenfolgen gleich-maßig auf [0, 1] gegen ihre Grenzfunktionen konvergieren. Die Funktionenfolgen sind durch

fn : [0, 1] → R, x 7→ x

x+ n,

gn : [0, 1] → R, x 7→√

x+1

n,

hn : [0, 1] → R, x 7→ n sin(πx) + cos(nπx)

n,

pn : [0, 1] → R, x 7→ nx2

nx+ 1

fur alle n ∈ N definiert.

2. Sei D eine nichtleere Menge, und sei (W, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K. Zeigen Sie dassdie Menge B(D,W ) aller beschrankten Funktionen von D nach W ein Vektorraum uber Kist.

3. Sei D eine nichtleere Menge, sei (W, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K, und sei B(D,W ) dieMenge aller beschrankten Funktionen von D nach W . Zeigen Sie, dass die Supremumsnormeine Norm auf B(D,W ) ist.

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4.6. KONVERGENZ VON POTENZREIHEN 93

4.6 Konvergenz von Potenzreihen

Definition (Potenzreihe). Sei (an)∞

n=0 eine Folge in K. Dann heißt die Funktionenfolge(fN )∞N=0 von K nach K, deren Glieder gemaß

fN (v) :=N∑

n=0

an(x− x0)n = a0 + a1(x− x0) + a2(x− x0)

2 + · · ·+ aN (x− x0)N

fur alle x ∈ V und alle N ∈ N definiert sind, die zur Folge (an)∞

n=0 gehorende Potenzreihe

auf K mit der Entwicklungsstelle x0. Die Glieder der Folge (an)∞

n=0 werden die Koeffizi-

enten der Potenzreihe genannt. Fur jeden Index N ∈ N bezeichnet man die Funktion fNals das N -te Partialpolynom der Potenzreihe. Die Potenzreihe selbst wird oft durch dieSchreibweise

∞∑

n=0

an(x− x0)n

dargestellt, wobei man vereinbart, dass x die Variable der Potenzreihe sei. Es ist auchublich, eine Potenzreihe durch Angabe der ersten Terme als a0+a1(x−x0)+a2(x−x0)

2+· · ·darzustellen.

Wie der Begriff Partialpolynom bereits andeutet, ist jedes Glied fN einer Potenzreihe(fN )∞N=0 ein Polynom vom Grad N . Dies erkennt man besonders gut, wenn die Entwick-lungsstelle der Potenzreihe der Nullvektor ist. Die Potenzreihe ist dann namlich von derForm

∞∑

n=0

anxn,

wobei x die Variable der Potenzreihe bezeichnet. Fur jede Zahl N ∈ N0 ist das N -tePartialpolynom der Potenzreihe dann durch

N∑

n=0

anxn = a0 + a1x+ a2x

2 + · · ·+ aNxN

gegeben. Es sollte noch erwahnt werden, dass der Begriff Partialpolynom in der mathe-matischen Fachliteratur keineswegs ublich ist. Wir verwenden ihn dennoch, da er deutlichmacht, dass eine Potenzreihe im wesentlichen eine Folge von Polynomen ist.

Wie bei allen Funktionenfolgen stellt sich auch bei Potenzreihen die Frage nach Kon-vergenzbereichen. Der nachfolgende Satz macht dazu eine erste Aussage.

Satz 4.21. Sei∑

n=0 an(x− x0)n eine Potenzreihe auf K mit der Variable x, so dass

limn→∞

n

|an| = 0

gilt. Dann konvergiert die Potenzreihe punktweise auf ganz K.

Das nachfolgende Beispiel verdeutlicht die Anwendung von Satz 4.21. Daruber hinausliefert es eine wichtige Darstellung der Exponentialfunktion x 7→ ex.

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94 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

Beispiel (Die Exponentialfunktion). Wir betrachten die Potenzreihe

∞∑

n=0

xn

n!= 1 + x+

x2

2!+

x3

3!+ · · ·

auf R mit der Variable x. Die Entwicklungsstelle dieser Potenzreihe ist die Zahl Null, unddie Folge der Koeffizienten lautet (1/n!)∞n=0. Unser Ziel ist es zu zeigen, dass die Potenzreiheauf ganz R punktweise konvergiert. Dazu untersuchen wir zunachst die Zahlenfolge (cn)n∈N,welche durch cn := nn/(n!en) fur alle n ∈ N definiert ist. Man rechnet leicht nach, dass

cn+1

cn=

1

e

(

1 +1

n

)n

≤ 1

elimn→∞

(

1 +1

n

)n

=e

e= 1

fur alle n ∈ N gilt. Die Folge (cn)n∈N ist also monoton fallend. Daher gilt insbesonderec1 ≥ cn fur alle n ∈ N. Da außerdem 1 ≥ c1 gilt, erhalt man 1 ≥ cn fur alle n ∈ N. DurchUmformung der letzten Ungleichung erhalt man die Abschatzung

n! ≥(

n

e

)n

fur alle n ∈ N. Entsprechend gilt n

√n! ≥ n/e fur alle n ∈ N, woraus folgt, dass die Folge

( n

√n!)n∈N gegen ∞ bestimmt divergiert. Man erhalt daher

limn→∞

n

1

n!

= limn→∞

1n

√n!

= 0.

Nach Satz 4.21 konvergiert die Potenzreihe also punktweise auf ganz R. Die Grenzfunktionist dabei die Exponentialfunktion exp : R → R, welche durch exp(x) := ex fur alle x ∈ R

definiert ist. ♦

Im Allgemeinen ist der Konvergenzbereich einer Potenzreihe auf K eine echte Teilmengevon K. Man uberlegt sich leicht, dass jede Potenzreihe an ihrer Entwicklungsstelle gegenNull konvergiert. Daher ist die Entwicklungsstelle immer ein Element des Konvergenzbe-reichs. Mit Hilfe des nachfolgenden Satzes lasst sich daruber hinaus eine Teilmenge desKonvergenzbereichs angeben.

Satz 4.22. Sei∑

n=0 an(x−x0)n eine Potenzreihe auf K mit der Variable x. Sei außerdem

s > 0 eine positive Zahl mit der Eigenschaft, dass eine naturliche Zahl N ∈ N existiert, sodass

n

|an| ≤ s fur alle n ∈ N mit n ≥ N

gilt. Dann konvergiert die Potenzreihe punktweise auf der offenen Kugel Br(x0) in K,wobei r := 1/s gilt.

Die Anwendung von Satz 4.22 wird im nachfolgenden Beispiel verdeutlicht.

Beispiel. Wir betrachten die Potenzreihe

∞∑

n=0

n+ (−1)n

n+ 2(x− 2)n

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4.6. KONVERGENZ VON POTENZREIHEN 95

in R mit der Variable x und der Entwicklungsstelle 2. Offenbar gilt

n

n+ (−1)n

n+ 2

≤ n

n+ 1

n+ 2≤ n

√1 ≤ 1

fur alle n ∈ N. Nach Satz 4.22 konvergiert die Potenzreihe also punktweise auf dem Intervall(1, 3) = B1(2). ♦

Satz 4.22 legt nahe, dass der Konvergenzbereich einer Potenzreihe stets die Obermengeeiner offenen Kugel ist. Der Mittelpunkt der Kugel ist dabei durch die Entwicklungsstelleder Potenzreihe gegeben. Der Radius der Kugel hangt von der Rate ab, mit der die Ab-solutbetrage der Koeffizienten der Potenzreihe gegen Null konvergieren. Man kann zeigen,dass fur jede Potenzreihe auf K, die nicht auf ganz K konvergiert, eine großte offene Kugelexistiert, auf der die Potenzreihe punktweise konvergiert. Der Radius dieser Kugel wirdder Konvergenzradius der Potenzreihe genannt.

Definition (Konvergenzradius). Sei∑

n=0 an(x− x0)n eine Potenzreihe auf K mit der

Variable x. Eine positive Zahl R > 0 wird der Konvergenzradius der Potenzreihe genannt,wenn die Potenzreihe auf der offenen Kugel BR(x0) in K punktweise konvergiert, und aufjeder Teilmenge von K \ BR(x0) divergiert. Falls die Potenzreihe auf ganz K punktweisekonvergiert, sagt man, dass ihr Konvergenzradius ∞ sei.

Wie der nachfolgende Satz zeigt, kann der Konvergenzradius bestimmter Potenzreihen aufK, die nicht auf ganz K punktweise konvergieren, explizit berechnet werden.

Satz 4.23. Sei∑

n=0 an(x− x0)n eine Potenzreihe auf K mit der Variable x, so dass

S := limn→∞

n

|an| > 0

gilt. Dann ist R := 1/S der Konvergenzradius der Potenzreihe.

Die Anwendung des Satzes 4.23 wird im nachfolgenden Beispiel demonstriert.

Beispiel. Betrachtet man die Koeffizienten der Potenzreihe

∞∑

n=0

n3n(x− 1)n

in R mit der Variable x und der Entwicklungsstelle 1, so stellt man fest, dass

limn→∞

n

|n3n| = limn→∞

3 n

√n = 3

gilt. Nach Satz 4.23 konvergiert die Potenzreihe also punktweise auf dem offenen Intervall(2/3, 4/3) = B1/3(1) und divergiert außerhalb des abgeschlossenen Intervalls [2/3, 4/3]. ♦

Mit Hilfe von Potenzreihen werden eine Reihe wichtiger Funktionen in der Mathematikdefiniert. Wir haben bereits gesehen, dass die Exponentialfunktion exp : R → R, x 7→ ex

als Grenzfunktion der Potenzreihe∞∑

n=0

xn

n!

definiert werden kann. Nachfolgend geben wir weitere wichtige Beispiele fur Potenzreihenan, deren Grenzfunktionen explizit bekannt sind.

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96 KAPITEL 4. KONVERGENZBEGRIFFE UND KONVERGENZKRITERIEN

(a) (b)

Abbildung 4.3: (a) Die Graphen der Funktionen Sinus Hyperbolicus und CosinusHyperbolicus. (b) Graph der Funktion Logarithmus Naturalis. Der Konvergenzbereichder Potenzreihe

n=1(−1)n+1(x− 1)n/n ist grau dargestellt.

Beispiele.

(a) Die Sinusfunktion sin : R → R ist die Grenzfunktion der Potenzreihe

∞∑

n=0

(−1)n

(2n+ 1)!x2n+1 = x− x3

3!+

x5

5!− x7

7!± · · ·

auf R mit der Variable x. Anhand der Potenzreihe erkennt man insbesondere, dasssin(0) = 0 gilt.

(b) Die Cosinusfunktion cos : R → R ist die Grenzfunktion der Potenzreihe

∞∑

n=0

(−1)n

(2n)!x2n = 1− x2

2!+

x4

4!− x6

6!± · · ·

auf R mit der Variable x. Anhand der Potenzreihe erkennt man insbesondere, dasscos(0) = 1 gilt.

(c) Die so genannte hyperbolische Sinusfunktion sinh : R → R, welche auch Sinus Hy-

perbolicus genannt wird, ist durch

sinh(x) :=ex − e−x

2

fur alle x ∈ R definiert (siehe auch Abbildung 4.3(a)). Man kann zeigen, dass derSinus Hyperbolicus die Grenzfunktion der Potenzreihe

∞∑

n=0

x2n+1

(2n+ 1)!= x+

x3

3!+

x5

5!+

x7

7!+ · · ·

auf R mit der Variable x ist.

(d) Die so genannte hyperbolische Cosinusfunktion cosh : R → R, welche auch Cosinus

Hyperbolicus genannt wird, ist durch

cosh(x) :=ex + e−x

2

fur alle x ∈ R definiert (siehe auch Abbildung 4.3(a)). Der Cosinus Hyperbolicus istdie Grenzfunktion der Potenzreihe

∞∑

n=0

x2n

(2n)!= 1 +

x2

2!+

x4

4!+

x6

6!+ · · ·

auf R mit der Variable x.

Page 28: Konvergenzbegriffe und Konvergenzkriterien1+ 1 n n f¨ur alle n ∈ Ndefiniert ist. Gem¨aß der verallgemeinerten ersten binomischen Formel gilt an = Xn k=0 n k 1 nk = n 0 + n 1

4.6. KONVERGENZ VON POTENZREIHEN 97

(e) Die Potenzreihe

n∑

n=1

(−1)n+1

n(x− 1)n = (x− 1)− 1

2(x− 1)2 +

1

3(x− 1)3 − 1

4(x− 1)4 ± · · ·

mit der Variable x konvergiert punktweise auf dem Intervall (0, 2] gegen den Loga-

rithmus Naturalis, also gegen die Funktion f : (0, 2] → R, welche duch f(x) := ln(x)fur alle x ∈ (0, 2] definiert ist (siehe auch Abbildung 4.3(b)). ♦

Mit Hilfe der Potenzreihendarstellungen der Sinusfunktion, der Cosinusfunktion und derExponentialfunktion kann man sehr leicht die Eulersche Formel

eix = cos(x) + i sin(x)

fur alle x ∈ R nachweisen. Es gilt namlich

eix =

∞∑

n=0

(ix)n

n!

=∞∑

k=0

(

(ix)2k

(2k)!+

(ix)2k+1

(2k + 1)!

)

=∞∑

k=0

(ix)2k

(2k)!+

∞∑

k=0

(ix)2k+1

(2k + 1)!

=

∞∑

k=0

(i2)k

(2k)!x2k +

∞∑

k=0

i(i2)k

(2k + 1)!x2k+1

=∞∑

k=0

(−1)k

(2k)!x2k + i

∞∑

k=0

(−1)k

(2k + 1)!x2k+1

= cos(x) + i sin(x).

Desweiteren kann man die die Potenzreihendarstellungen verwenden, um beispielsweise dieExponentialfunktion auf normierten Algebren zu definieren.

Ubungsaufgaben

1. Bestimmen Sie die Konvergenzradien der folgenden Potenzreihen auf R.

∞∑

n=1

2nxn,∞∑

n=1

(

1 +1

n

)n

xn,∞∑

n=0

n2

n!xn,

∞∑

n=1

(

1− 1

n

)n2

xn,∞∑

n=0

(

n∑

k=1

1

k

)

xn.

Hierbei bezeichnet x jeweils die Variable der Potenzreihe.

2. Bestimmen Sie fur jede der nachfolgend angegebenen Potenzreihen auf R eine moglichstgroße Zahl r > 0, so dass die jeweilige Potenzreihe auf dem Intervall (−r, r) punktweisekonvergiert.

∞∑

n=0

2n cos(n)xn,

∞∑

n=0

(

4n + (−1)n)

xn,

∞∑

n=0

x2n,

∞∑

n=0

sin(n) cos(n)xn.

Hierbei bezeichnet x jeweils die Variable der Potenzreihe.

3. Weisen Sie mit Hilfe der Potenzreihendarstellungen der hyperbolischen Sinusfunktion, derhyperbolischen Cosinusfunktion und der Exponentialfunktion die Formel ex = cosh(x) +sinh(x) nach. Die Formel folgt ubrigens direkt aus der Definition von sinh und cosh.

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Lernzielkontrolle

Nach dem Durcharbeiten dieses Kapitels sollten Sie ...

... die folgenden Kriterien fur die Konvergenz einer reellen Zahlenfolgen kennen: DasCauchy–Kriterium, das Sandwichtheorem und das Monotoniekriterium.

... wissen, was eine Reihe ist.

... wissen, was man unter einer konvergenten und unter einer absolut konvergenten Reiheversteht.

... den Grenzwert der geometrischen Reihe zu einer komplexen Zahl q ∈ C mit |q| < 1berechnen konnen.

... das Leibniz–Kriterium fur die Konvergenz und das Minorantenkriterium fur die Di-vergenz einer Reihe kennen.

... wissen, dass die harmonische Reihe divergent ist.

... sie folgenden Kriterien fur die absolute Konvergenz einer Reihe kennen und anwendenkonnen: Das Majorantenkriterium, das Wurzelkriterium und das Quotientenkriteri-

um.

... wissen, was eine Funktionenfolge ist.

... wissen, was man unter einer punktweise konvergenten und unter einer gleichmaßig

konvergenten Funktionenfolge versteht.

... wissen, was der Konvergenzbereich einer Funktionenfolge ist.

... wissen, was eine Potenzreihe ist.

... wissen, was man unter dem Konvergenzradius einer Potenzreihe versteht.

... den Konvergenzradius einer Potenzreihe bestimmen konnen, falls dies moglich ist.

... die Potenzreihen der Exponentialfunktion, der Sinusfunktion und der Cosinusfunk-

tion kennen.

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