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    KORONA Nr. 109 1

    ASTRONOMISCHER ARBEITSKREIS KASSEL E.V.

    37. Jahrgang Nummer 109 September 2009

    Wieder mehr Sonnenaktivitt

    Astronomische Spektroskopie Komet ChristensenBeobachten von Jupitermonden Die Evolution der Evolutionstheorie

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    Inhaltsverzeichnis

    Beobachtungen

    Ralf GerstheimerAstronomische Spektroskopie...................................................................................3

    Bernd Holstein / Manfred ChudyKomet Christensen...................................................................................................11

    Roland HedewigEine berraschung beim Beobachten von Jupitermonden..................................12

    Bildergalerie.............................................................................................................14

    Manfred Chudy und Christian HendrichSonnenbeobachtungen.............................................................................................18

    BerichteRoland HedewigDie Evolution der Evolutionstheorie......................................................................20

    VerschiedenesChristian HendrichBeobachtungshinweise.............................................................................................55

    Christian HendrichRezension: 3D-Atlas des Sonnensystems................................................................56

    Christian HendrichUmfrage: Zukunft der Korona...............................................................................57

    Unser Programm von September bis Dezember 2009..........................................59

    Titelbild: Sonne im extremen ultravioletten (UV) Licht, 4. August 2009. Pfeile oben/unten:Dunkle koronale Lcher an den Polen sind die Quellen der offenen magnetischen Feldlinien.Plasma wird dort in den Weltraum geschleudert und erzeugt den sog. schnellen Sonnenwind(800 km/s). Gestrichelte Pfeile: Der variable langsame Sonnenwind entsteht an allen anderenStellen der Sonnenoberflche. Der Sonnenwind definiert die Gre unseres Sonnensystems,die Heliosphre. Fcherfrmige Pfeile: Ein dunkles koronales Loch in niederen Breiten. Vondort aus werden Partikel in Richtung Erde geschleudert, die einige Tage spter Polarlichter in

    der Erdatmosphre erzeugen. Rechts unten sind magnetische Schleifen ber einer Sonnen-fleckengruppe angedeutet. Die Lichtbgen werden durch schnelle heie Partikel in diesenSchleifen erzeugt. Quelle: http://sohowww.nascom.nasa.gov/pickoftheweek

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    Astronomische Spektroskopie

    Ralf Gerstheimer

    Im Oktober 2008 unternahm ich meine ersten Schritte auf dem Gebiet der astronomischenSpektroskopie. Ein vorhandenes Blaze-Gitter von Baader Planetarium mit 207 Linien/mmdiente zunchst ersten Experimenten zur Gewinnung von spaltlosen Sternspektren. Dabeiwurde das Gitter direkt in die 1,25" Steckhlse einer Philipps ToUCam (Webcam) bzw. einerTIS DMK21AF04 (industr. Video-berwachungskamera) geschraubt und in denOkularauszug meines 32cm Newton-Teleskops gesteckt. Weil das Gitter fr einen hoheAuflsung mglichst im parallelen Strahlengang eingesetzt werden mu, blendete ich dasTeleskop mit einer Pappblende (ffnung 10cm) ab. Daraus resultierte (bei einer primrenBrennweite von 152 cm) ein ffnungsverhltnis von f/15. Ein noch strkeres Abblendenwrde zwar das ffnungsvehltnis weiter vergrern, die geringere Beleuchtung von Spaltund Sensor wrde aber insgesamt nachteilig wirken. Als Sensor setzte ich zunchst diePhilipps ToUCam ein. Allerdings blieben die Ergebnisse unter meinen Erwartungen, so dassich im weiteren nur noch die DMK 31AF03 einsetzte, die deutlich kontrastreichereSpektralbilder lieferte. Fr den Einsatz als visuelles Beobachtungsgert (als Spektroskop)kann eine Zylinderlinse auf das Okular aufgesteckt werden, um den dnnen Spektralfadenaufzuweiten. Die visuelle Beobachtung von Sternspektren hat beispielsweise bei ffentlichenSternwartenfhrungen durchaus einen gewissen Reiz, weil hier Astrophysik live demonstriertwerden kann. Besonders geeignet als Demonstrationsobjekte sind die hellen A-Sterne wieWega, Atair usw., die kontrastreiche Balmerlinien zeigen.

    Zur Aufnahme von Spektren mit der Videokamera arbeitete ich fr bersichten im"Primrfokus" des Spektrographen, fr Detailaufnahmen verwendete ich eine 2- oder 5-fachBarlowlinse direkt vor der Kamera. Mit dem Einsatz der 5x-Powermate stt die mechanischeBelastbarkeit der gegenwrtigen (sehr provisorischen) Konstruktion an ihre Grenzen. DieAufnahme von Sternspektren mit dem Spaltspektrographen wird eine weitereHerausforderung sein. Zwsar konnte ich schon erste Spektren damit aufnehmen, doch sindhier noch Verbesserungen bez. der mechanischen Stabilitt und des Handlings am Teleskoperforderlich.

    1. Spaltlose Spektren

    Sterne erscheinen uns durch ihre sehr groen Entfernungen punktfrmig und lassen sich inoptischen Teleskopen nicht direkt darstellen. Die Teleskopffnung verursachtBeugungserscheinungen, wobei im Maximum 0-ter Ordnung, dem Airy-Scheibchen, dergren Teil des einfallenden Lichtes vereinigt wird. Durch die praktisch immer whrende,jedoch stark schwankende Luftunruhe wird das Airy-Scheibchen auf dem Sensor (das kanndie Netzhaut unseres Auges sein, eine photographische Emulsion oder auch ein CCD-Chip)auf einer greren Flche 'verschmiert'. Das Airy-Scheibchen erscheint folglich aufgeblasenund unscharf . Fllt das Licht des Airyscheibchens nun im Brennpunkt der Optik auf einoptisches Gitter, wird es gebeugt und das Scheibchen auf dem Sensor abgebildet. Die Strke

    der Lichtbeugung (Dispersion) fllt dabei fr jede Wellenlnge unterschiedlich stark aus, soda die gebeugten Airy-Scheibchen nebeneinander auf dem Sensor abgebildet werden. Dabeikommt es aufgrund der geringen Wellenlngenunterschiede zu berlappungen - und zwar umso strker, je grer der Durchmesser der Beugungsscheibchen (also des Airyscheibchens im

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    Fokus) ist. Damit wird klar, da die spektrale Auflsung beim spaltlosen Spektrographenvergleichsweise gering bleiben mu und darberhinaus auch noch stark von der Luftunruhe,dem Seeing beeintrchtigt wird. Andererseits sind spaltlose Spektren sehr einfach zugewinnen und eignen sich gut dazu, Sterne zu klassifizieren. Die grobe Einteilung in

    Spektralklassen (klassich: O,B,A,F,G,K,M) fut auf wenigen, meist deutlich hervortretendenLinien, die mit ein wenig bung problemlos identifiziert werden knnen. Durch die geringeAuflsung stt die spaltlose Spektroskopie aber schnell an Grenzen, wenn es darum geht,z.B. Radialgeschwindigkeiten von Sternen zu bestimmen oder die Spektren flchiger Objektewie Gasnebel etc. aufzunehmen. Fr diese Aufgaben sind sog. Spaltspektrographenerforderlich, die im Amateurbereich zwar Auflsungen bis zu 0,1 Angstrm erreichen, aberauch schnell mehrere tausend Euro kosten knnen. Darberhinaus erfordert der Betrieb einesSpaltspektrographen ein sehrexakt nachgefhrtes Teleskop.

    Meine ersten Aufnahmen von Spektren zeigten schon bald, dass es fr Spektralbilder inbefriedigender Qualtit erforderlich ist, wiederholt Spektren von ein und denselben Sternenaufzuzeichnen. Die seeingbedingten Qualittsschwankungen waren teilweise gravierend.Insofern stellen die bisher von mir aufgenommenen Spektren (siehe Sternspektren) nur einZwischenstadium einer Gesamtklassifikation dar.

    Spezialfall Planeten- und Mondspektren

    Eine weitere interessante Methode zur Erzeugung von Planetenspektren ohne Spalt nutzt dasvernderliche Erscheinungsbild der Objekte aus. Whrend der Kantenstellung von Saturn in2008/2009 oder bei einer sehr schmalen Venussichel bieten schmale Strukturen (wie dieSaturnringe oder die Spitzen der Sichel) spaltfrmige Lichtquellen, die analog dem Spaltbildaus einem Spektroskop mit dem optischen Gitter zu einem Spektrum aufgefchert werdenknnen. Flchige Bereiche wie etwa die Saturnkugel werden dabei berlappend abgebildetund ergeben ein verwaschenes Bild ohne Absorptionslinien. Die Auflsung ist dabei durchdie Breite der Struktur (z.B. Ring- oder Sichelbreite) vorgegeben. Soweit die Objekte dasSonnenlicht reflektieren, entsprechen die Spektren im Wesentlichen dem Sonnenspektrum.

    Abb. 1: Montage: Rohspektrum Saturn. Der schmale Saturnring erzeugt ober-und unterhalb der Kugel ein deutliches Absorptionsspektrum

    Auch die schmale Mondsichel eignet sich begrenzt als "Pseudospalt", wenn nur die uerstenAuslufer spektroskopiert werden. Allerdings ist die Breite der "Lichtspalte" vergleichsweisegro und die berlappung der "Spaltbilder" dementsprechend stark. Immerhin knnen ineinem solchen Spektrum die krftigsten Linien des Sonnenspektrum eindeutig identifiziertwerden.

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    Abb. 2: Montage: Rohspektrum Mond. Nur die schmalen Auslufer derSichel bilden die Absorptionslinien des Sonnenspektrums erkennbar ab.

    Vom Rohbild zum Spektrogramm

    Whrend der Aufnahme wird das Teleskop rechtwinkling zum Spektralfaden imKorrekturmodus der Steuerung langsam bewegt und der Spektralfaden bei laufenderBelichtung auseinandergezogen. Bei schwcheren Sternen mu die Bewegung sehr vorsichtigund langsam erfolgen, um einen ausreichend hellen Spektralfaden zu erzeugen. Der Vorteildieser Methode ist, dass die Schrfe und der Kontrast des Spektralfadens durch dieFlchenwirkung des Spektrums besser eingestellt werden knnen. Auerdem kann der Einfludes Seeings vermindert werden, weil durch die Dehnung des Spektralfadens Phasen gutenund schlechten Seeings nebeneinander zu liegen kommen und nachtrglich eine Auswahl des besten Bildbereichs getroffen werden kann. Schrg ber den Sensor verlaufendeSpektralfden haben dabei eine geringere Auflsung als senkrecht ausgerichtete,; andererseitskann die Schrglage gnstig sein, um ein etwas zu breites Spektrum noch komplett auf denChip zu bringen.

    Abb. 3: Links: Rohspektrum von Wega, Rechts: Ausgerichtetes Rohspektrum

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    Auswahl eines Bereichs

    Aus dem ausgerichteten Rohspektrum kann nun der schrfste und /oder kontrastreichsteBereich mit dem Auswahlwerkzeug markiert und ausgeschnitten werden. Je weniger

    verrauscht ein Rohspektrum ist, desto schmaler kann der Ausschnitt ausfallen.

    Gemittelter "Spektralfaden"

    Im Men "Bearbeiten:Bildgre ndern" im Anschlu die Pixelzahl fr "Vertikal" auf "1"eingestellt und als Methode der Interpolation "Mittel" ausgewhlt. Das Ergebnis ist ein 1Pixel hoher, gemittelter und somit weitgehend entrauschter Spektralfaden. Fr starkverrauschte Rohspektren sollte wie im vorigen Abschnitt erwhnt, der Auswahlbereich grergewhlt werden, um ber eine hhere Anzahl von Spektralfden mitteln zu knnen. DasResultat dieses Bearbeitungsschrittes kann bei Bedarf schon fr die Erstellung eines

    Spektrogramms verwendet werden. Zur Verdeutlichung der Absorptions- undEmissionslinien kann das einzeilige Spektrum wieder vertikal gestreckt werden. Das lsst sichwieder sehr einfach im Men "Bearbeiten:Bildgre ndern" realisieren, indem die Pixelzahlfr "Vertikal" z.B. auf "100" eingestellt und als Methode der Interpolation "Mittel"ausgewhlt wird.

    Abb. 4: Oben: Ausgewhlter Bereich, Mitte: gemittelter Spektralfaden,Unten: fertiges Spektrum

    Spektrogramm

    Der letzte Schritt liefert ein kalibriertes Spektrogramm. Fr Windows-User bietet sich zur

    Auswertung der Spektren z.B. das ganz hervorragende Freeware-Programm VisualSpec vonValerie Desnoux an. Eine genaue Beschreibung des Programms findet sich auf derInterneteite von Valerie Desnoux. Die Intensitt der verschiedenen Spektralbereiche ersutliertmageblich aus der spezifischen Empfindlichkeit der Kamerasensoren fr die jeweilenWellenlngen. CCD-Chips sind besonders im visuellen Bereich und nahen Infrarotempfindlich. Im nahen UV-Bereich fllt die Empfindlichkeit sehr schnell ab.

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    Abb. 5: Spektrale Empfindlichkeit DMK 31AF03

    Abb. 6: Spektrum der Wega vom 19.10.2009

    2. Spektren mit Spaltspektrograph

    Angeregt durch verschiedene Beitrge auf Amateur-Internetseiten versuche ich, mit demvergleichsweise geringauflsenden Baader-Gitter und ein paar wenigen optischenKomponenten Erfahrungen auf dem Gebiet der Spaltspektroskopie zu sammeln.

    Visuell zeigen alle Okulare von 7-30 mm Brennweite an sehr hellen Objekten, v.a. der Sonne,ein gut aufgelstes Bild. Naturgem bilden langbrennweitige Okulare das gesamte sichtbareSpektrum ohne Trennung von sehr feinen Linien ab. Mit kurzbrennweitigen Okularen, z.B.

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    7mm Nagler, ist demgegenber eine recht gute Trennung auch von eng benachbarten Linienwie z.B. der Natrium Doppellinie mgich. Noch eindrucksvoller als bei (spaltlosen)Sternspektren ist die viuselle Beobachtung des Sonnenspektrums mit dem Spektrographeneine hervorragende Mglichkeit, Astrophysik live zu demonstrieren.

    Der einfache Experimentalspektrograph beinhaltet einen selbstgefertigten Spalt. Er wird auszwei Fragmenten einer Rasierklinge hergestellt, die mit kleinen Magneten auf einer passendgedrehten Unterlegscheibe fixiert und dann in die richtige Position geschoben werden. Mitetwas Sekundenkleber lt sich der Spalt leicht fixieren, die Magnete knnen spter entferntwerden. Durch den sehr einfachen und kostengnstigen Aufbau lassen sich je nachEinsatzzweck schnell verschieden breite Spalte bauen und einsetzen. Als Halterung fr dieSpalt-Scheiben dient eine Aluminium-Steckhlse, die von einem hilfsbereitenVereinskollegen angefertigt wurden. Der Hlsendurchmesser betrgt auf beiden Seiten 1,25"und dient damit auch als Verbindungsstck zwischen Spektrograph und Okularauszug desTeleskops. Etwa in der Mitte der Hlse wurde eine Auflage fr die Spaltscheiben abgesetzt,seitlich mndet an dieser Stelle ein Klemmschraube zur Fixierung der Spaltscheibe. Aufgabedes Spaltes ist es, aus einem flchigen Objekt, z.B. Sonnescheibe oder Emmissionsnebel,einen sehr schmalen Bereich auszuschneiden, der vom Gitter auf der Sensorebene als feineLichtlinie abgebildet wird. Je schmaler der Spalt ist, um so feiner und genauer (besseraufgelst) ist das resultierende Spektrum. Der hier gezeigte Aufbau ist bei weitem nichtperfekt und ich hoffe, durch weitere Verbesserungen am Spalt die Gte der Spektren nochverbessern zu knnen.

    Abb. 7: Der einfache Experimentalspektrograph mit einen selbstgefertigtenSpalt

    Als Kollimater dient ein berzhliges 200 mm (oder ein 135mm) Teleobjektiv mit M42Anschlu. Am M42-Gewinde ist ein T2/1,25"-Adapter ber einen M42/T2-Adapterringangeschraubt. Am 1,25" -Anschlu wird die Alu-Hlse inklusive der darin befindlichenSpaltscheibe eingesteckt. Aufgabe des Kollimators ist es, den Spalt aufzuweiten und alsmglichst paralleles Lichtbndel auf dem Gitter abzubilden. Um mglichst groe Freiheiten bei der Einstellung des Strahlenganges zu haben, ist der Kollimator mit einerhhenverstellbaren Rohrschelle drehbar auf einem stabilen Holzbrettchen montiert.

    Direkt hinter dem Kollimator sitzt das Dispersionsgitter. Es ist ebenfalls in einenT2(innen)/1,25"-Okularadapter eingeschraubt und wir von einer hhenverstellbaren unddrehbaren Rohrschelle gehalten. In diesen Adapter ist von der Rckseite her ein AdapterT2(auen)/1,25"-Steckhse eingeschraubt. Aus Stabilittsgrnden wird dieser Adapter durcheine weitere Rohrschelle gehalten. Whrend der vordere Teil frei drehbar ist, wird der hintere

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    jedoch seitlich in einem Langloch gefhrt und ermglich so ein Schwenken der gesamtenEinheit um die vordere Achse. Dies ist erforderlich, um verschieden Bereiche des eventuellweit auseinandergezogenen Spektrums betrachten zu knnen. Zwischen den Adapternbefindet sich als abbildendes Element eine Konvexlinse mit einer Brennweite von ca. 10 cm.

    Abb. 8: Kollimator, mit einer hhenverstellbaren Rohrschelle drehbar aufeinem stabilen Holzbrettchen montiert

    Am hinteren Adapter ist ein Zenitspiegel befestigt. Neben einer komfortableren

    Beobachungshaltung hat dies den Vorteil, dass bei Verwendung von Barlowlinsen undunterschiedlichen Okularen grobe Lichtwegunterschiede per Schiebefokussierungausgeglichen werden knnen. Die Feinfokussierung erfolgt dann ber das Teleobjektiv.Gegen Streulicht kann es erforderlich sein, den Bereich zwischen Gitter und Kollimator miteiner Aluminiumfolie (oder besser noch mit einer alubeschichteten PE-Folie etwa ausLebensmittelverpackungen) abzudecken.

    3. Messergebnisse: Spaltlose Spektren

    Abb. 9: Sternenspektrum Sonne (Spektralklasse G2 V)

    Abb. 10: Sternespektrum Beteigeuze (Spektralklasse M2 Ia)

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    Abb. 11: Saturnring in Kantenstellung (Sonne Spektralklasse G2 V)

    Abb. 12: Erdmond (Sonne Spektralklasse G2 V)

    4. Messergebnisse: Spaltspektren

    Abb. 13: Sonne Gesamtspektrum mit DMK 31AF03 (1/3"-Sensor) 28.1.2009

    Abb. 14: Ausschnitt von 4970Angstrm - 6055Angstrm; in diesem Bereich befinden sich

    links die aufflligen MgI Linien b1 und b2 sowie rechts die NaI-Doppellinie D1/D2

    Abb. 15: Ausschnitt von 5115Angstrm - 5385Angstrm; die MgI Linien b1, b2, b3 und b4nochmals vergrert, die Aufnahme nhert sich der theoretischen Auflsungsgrenze von ca.1A des Baader-Gitters mit 207 Linien/mm an.

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    Komet Christensen

    Bernd Holstein / Manfred Chudy

    Der Komet Christensen stand zum Zeitpunkt der Aufnahme im Sternbild Schwan in der Nhevon Cyg. Zeta. Seine Helligkeit betrug etwa Mag 11,8.

    Abb. 1: Komet C/2006 W3 Christensen am 29.07.2009 00:28:34 MESZ,Newton D300/F1600 mm, Canon EOS 310da, 15x30sec mit Giotto

    addiert (Bernd Holstein)

    Abb. 2: Komet C/2006 W3 Christensen am 28.07.2009, 23:00 UT, NewtonD300/F1600 mm, Kamera CCD SBIG ST 7, Belichtung 5 X 2 Minuten

    (Manfred Chudy)

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    Eine berraschung beim Beobachten von Jupitermonden

    Roland Hedewig

    Es ist Dienstag, 4. August, eine halbe Stunde vor Mitternacht. Der Fast-Vollmond steht tiefim Sden. Links von ihm, also stlich, strahlt der Jupiter ziemlich hell. Ist das nicht eineGelegen-heit, Jupiter mit seinen Wolkenbndern wieder einmal zu beobachten? Ich stelle denim Garten auf einer Sule stehenden 150/2250 mm-Refraktor ein und verwende zunchst das20 mm-Erfle-Weitwinkelokular, um auch alle Jupitermonde ins Gesichtsfeld zu bekommen.

    Gegen Mitternacht, also 22 Uhr UT, schaue ich das erste Mal durchs Okular - und da gibt eseine berraschung: stlich von Jupiter stehen nicht, wie erwartet, die vier GalileischenMonde, sondern fnf schn in einer Reihe. Zwei stehen wie ein Doppelsternpaar dicht

    nebeneinander. Da es aber nur vier Galileische Monde gibt, muss einer dieser fnfLichtpunkte ein Fixstern sein, der zufllig in dieser Reihe steht und auch ebenso hell wie dieJupitermonde erscheint, also die scheinbare Sterngre 5 hat. Wie bekommt man jetztheraus, welcher dieser Lichtpunkte der Fixstern ist, ohne im Ahnert (AstronomischesJahrbuch 2009) die Positionen der Jupitermonde zur Beobachtungszeit nachzusehen?

    Helle Fixsterne erkennt man sofort am Flackern des Lichtes, kleine Sterne unterhalbSterngre 4 aber flackern kaum. Und Positionsvernderungen eines Jupitermondes kann maninnerhalb einer halben Stunde nur dann gut sehen, wenn der Mond dicht neben einemVergleichsobjekt zu sehen ist.

    Abb. 1: Position der Jupitermonde, beobachtet am 4. August 2009

    Da stehen auch zwei dieser Lichtpunkte dicht nebeneinander wie ein Doppelsternpaar. Ich

    verwende jetzt das 12,5 mm-Okular und erziele eine 180fache Vergrerung. Innerhalb einerhalben Stunde verndern diese Lichtpunkte deutlich ihre Position (s. Abb. 1). Da zieht eineram anderen vorbei, folglich muss mindestens einer der beiden Lichtpunkte ein Jupitermond

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    sein. Auch der dem Jupiter am nchsten stehende Lichtpunkt hat sich Jupiter angenhert, istalso ebenfalls ein Mond.

    Ich sehe mir die Lichtpunkte einmal genauer an. Die Luft ist ausnahmsweise ruhig. In vier

    Lichtpunkten ist ein winziges Scheibchen zu erkennen, whrend der fnfte punktfrmigerscheint. Auerdem hat dieser Lichtpunkt weies Licht, whrend die brigen gelblichweierscheinen, wie das bei Jupitermonden blich ist, weil sie Sonnenlicht reflektieren. Dieser 5.Lichtpunkt mit weiem Licht ist also der Fixstern, der mglicherweise so gro wie unsereSonne ist, aber Millionen mal weiter entfernt ist. Diese interessante Konstellation muss manin einer Skizze festhalten. Im Verlauf einer Stunde fertige ich die vier Skizzen der Abb. 1 an.

    Interessant wird jetzt die Begegnung der beiden wie ein Doppelsternpaar aussehendenJupitermonde. 22:50 Uhr UT scheinen sie fast zu verschmelzen. Sie sind im Teleskop kaumnoch trennbar und erscheinen wie ein kleines Oval. Schon zehn Minuten spter, 23:00 UhrUT sind sie wieder deutlich zu trennen. Sie sind also (scheinbar) aneinander vorbei gezogen.

    Jetzt ist es Zeit, im Ahnert nachzusehen und die vier Zeichnungen mit den Namen der Mondezu versehen. Das Ergebnis zeigt die Legende der Abbildung.

    Io, der innerste Mond, hat sich Jupiter weiter genhert. Das Mondpaar besteht auch Europaund Ganymed. Ganz auen befindet sich Callisto.

    Die Begegnung von Europa und Ganymed ist fr den 4.8. 23:51 Uhr MEZ, also 22:51 UhrUT, angeben, die geringste Distanz betrgt zu dieser Zeit 1 Bogensekunde. Jupiter hat am 5.8.00:00 UT einen Durchmesser von 48.67 Bogensekunden und zeigt sehr schn seinStreifenmuster. Die Daten der vier Galileischen Monde zeigt Tabelle 1.

    Nr. Name Bahnradius siderische Durchmesser Oppositions-(103 km) Umlaufzeit (km) helligkeit

    I Io 422 1,769 d 3630 km 5,0 mag

    II Europa 671 3,551 d 3138 km 5.3 mag

    III Ganymed 1070 7,155 d 5262 km 4,6 mag

    IV Callisto 1883 16,689 d 4800 km 5,7 mag

    Tabelle 1: Daten der Galileischen Jupitermonde (aus Ahnert 2009, S. 168)

    Prof. Dr. Roland Hedewig, Am Krmmershof 91, 34132 Kassel, [email protected]

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    Bildergalerie

    Zusammenstellung C. Hendrich

    NGC 6934, 25.07.2009 23:30 UT, Newton D300/F1600 mm., Kamera CCD

    SBIG ST 7, Belichtung 4 Minuten. Falschfarbendarstellung.(Manfred Chudy)

    Sonne, 13.06.2009 14:00 UT, Refraktor D200mm F3000mm Seeing 2/2/2Refraktor D200mm F3000mm Sonnenbeobachtung mit H-Alpha-Filter Seeing 2/2/2 Protuberanzenrelativzahl 55

    (Manfred Chudy) Digitale Kamera 8MP Medion.(Manfred Chudy)

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    KORONA Nr. 109 15

    Sonnenfleck NOAA 1025, 5.7.2009. Oben: CaK-Filter, unten: H-Alpha-Filter(Ralf Gerstheimer)

    Saturn, Aufnahme vom 21.4., mit IR-Pass-Filter (> 685nm), um das Seeing einigermaen zubndigen. Im langwelligen Bereich leidet allerdings die Auflsung. Links unterhalb Saturn istTitan zu sehen (Ralf Gerstheimer)

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    16 KORONA Nr. 109

    Sonnenfleck NOAA1015 am 21.4., muss erst kurze Zeit vorher entstandensein, denn Archivaufnahmen von SOHO/MDI zeigen die Sonne am 20.4.

    blank. Leider rotierte der Fleck am 23. schon aus dem Blickfeld - war alsoein sehr kurzes Vergngen. Abb. im schmalbandigen Calzium (K-Linie,2nm Halbwertsbreite), mit 80/120 Vixen-Refraktor aufgenommen. DasBild ist nachtrglich coloriert (Farbe nach visuellem Eindruck). (Ralf

    Gerstheimer)

    Mars, nur mit 4,5" Durchmesser schwer zu erkennen, am 19.5.2009.Polkappe, am Westrand lugt Meridiani Sinus und das Mare Erythraeum liegtals dunkle Flche in etwa auf dem Zentralmeridian. Wolkig sieht es zwischen

    M. Erythraeum und dem Pol auch noch aus. (Ralf Gerstheimer)

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    KORONA Nr. 109 17

    Die Sonne im Kalziumlicht bei 393 nm am 19.5.2009. Momentan sind zweiauffllige Fackelgebiete sichtbar, aber leider keine Flecken. Das rechte obereFackelgebiet habe ich noch bei zwei greren Brennweiten aufgenommen.

    Bei der grten Stufe kann man sehr schn erkennen, da auch dieFackelgebiete granulr sind.(Ralf Gerstheimer)

    Venus als Tagaufnahme am 19.5.2009. Links: IR bei 850 nm (rot eingefrbt),rechts: UV 390nm (blau eingefrbt). Die Wolkenstrukturen im UV sind

    allerdings relativ schwach.(Ralf Gerstheimer)

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    18 KORONA Nr. 109

    SonnenbeobachtungenManfred Chudy und Christian Hendrich

    Eigentlich sollte der Tiefpunkt in der Sonnenfleckenzahl bereits im letzten Dezemberdurchlaufen worden sein. Dies wrde einer normalen Dauer eines Sonnenzyklus entsprechen.Das Minimum der Sonnenfleckenzahl dauert allerdings deutlich lnger, so sind bereits 12,5Jahr seit dem letzten Minimum vergangen. Erst im Juni und Juli stieg die Sonnenaktivitt undes wurden wieder vereinzelte Sonnenflecken gesichtet. Das nchste Maximum derSonnenaktivitt wird folglich fr das Jahr 2013/2014 erwartet.

    Die Sonnenflecken sind etwas kltere Bereiche auf der Sonnenoerflche, ihre Temperatur betrgt bis zu tausend Grad weniger als in der Umgebung (mittlere Temperatur derSonnenoberflche: ca. 5500C). Die Flecken entstehen durch Magnetfelder, aus derSonnenoberflche herausragen. Durch die magnetischen Felder wird die normale Konvektion

    der gasfrmigen Sonnenoberflche gestrt und die Oberflche khlt etwas ab. Auerdem wirdim Randbereich des Flecks Plasma entlang der Magnetfeldlinien aus der Sonneherausgeschleudert. Hier bilden sich sog. Fackeln, die sich ebenso beobachten lassen.

    Abb.: Fleck 1024 am 7.7.2009

    Abb.: Fackel am 13.6.2009

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    KORONA Nr. 109 19

    Abb.: Fackeln am 18.5.2009 (Fotomontage mit Erde zum Grenvergleich)

    Abb.: Dokumentation der Fackelgebiete am 19.5.2009

    Abb.: Sonnenrelativzahlen 1990 bis 2009. Quelle: www.climate4you.com

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    20 KORONA Nr. 109

    Die Evolution der EvolutionstheorieErweiterte Fassung des Vortrags im Astronomischen

    Arbeitskreis Kassel am 20.2.2009

    Roland Hedewig

    Das Jahr 2009 bietet einen vierfachen Anlass zu einer weltweiten Beschftigung mit derEvolutionstheorie.

    Vor 250 Jahren, 1758, nahm der schwedische Naturforscher Carl von Linn der Menschen

    als Spezies Homo sapiens in sein System der Natur auf und stellte ihn zu den Primaten.

    Vor 200 Jahren, 1809, verffentlichte der franzsische Zoologe Jean-Baptiste de Lamarckdie erste Evolutionstheorie.

    Ebenfalls 1809 wurde der Naturforscher Charles Darwin geboren.

    Vor 150 Jahren, 1859, verffentlichte Charles Darwin sein Hauptwerk On the Origin ofSpecies by Means of Natural Selection (ber den Ursprung der Arten durch natrlicheSelektion). Dies ist der Anlass, das Jahr 2009 als Darwinjahr zu begehen.

    1. Zur Bedeutung der Evolutionstheorie

    Die Bedeutung der Evolutionstheorie Darwins ist mit der Kopernikanischen Wende zuvergleichen. Der Astronom Nikolaus Kopernikus verffentlichte 1543 sein Hauptwerk De

    revolutionibus orbium coelestium libri VI. Darin belegt er die bereits von Aristarch vonSamos um 265 v. Chr. geuerte Ansicht, dass sich nicht die Erde, sondern die Sonne imMittelpunkt unseres Planetensystems befindet und dass sich die Erde um die Sonne dreht.Kopernikus hatte die Erde und damit den Menschen aus dem Zentrum des Kosmos gerckt.Dies war die 1. Krnkung, die der Mensch hinnehmen musste. Die katholische Kirche setztesein Hauptwerk 1616 auf den Index der verbotenen Bcher, denn es widersprach dembiblischen, geozentrischen Weltbild.

    Die 2. Krnkung bereitete Darwin dem Menschen, denn er widerlegte nicht nur die Lehre vonder Konstanz der Arten, sondern schuf auch die Theorie, nach der alle Organismen, und damitauch der Mensch, das Ergebnis zuflliger Variationen der Arten und eines natrlichen

    Ausleseprozesses, der natrlichen Selektion, sind.

    2. Historischer Kontext von Darwins Ideen

    Die Vorstellung, dass die Organismen nicht durch einen bernatrlichen Schpfungsprozessentstanden sind, sondern dass sie sich im Verlauf sehr langer Zeitrume aus einfach gebautenUrformen entwickelt haben knnten, vertrat bereits der Vorsokratiker Empedokles (495-435v. Chr.) (vgl. Kutschera 2008, 26). Er wurde deshalb in der Literatur nach Erscheinen vonDarwins Hauptwerk als Darwin der Griechen bezeichnet (vgl. Engels 2007, 61).

    Carl von Linn (1707-1778) verffentlichte 1735 die 1. Auflage seines Systems der Natur, indem er darlegt, dass die abgestufte hnlichkeit der Pflanzen und Tiere Schlsse auf derenVerwandtschaft zulsst. Er war aber von einer einmaligen Schpfung und der Konstanz derArten berzeugt.

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    Der franzsische Zoologe und Palontologe Georges Cuvier (1769-1832) wies um 1800 nach,dass Fossilien berreste ausgestorbener Tiere und Pflanzen sind. Aber er glaubte noch an dieKonstanz der Arten. Den Widerspruch zwischen diesem Glauben und der Tatsache, dass manin alten Gesteinsschichten nicht Fossilien heute noch lebender Arten, sondern ganz anderer

    Arten findet, versuchte er mit seiner Katastrophentheorie zu lsen: Durch Katastrophen wiedie Sintflut sterben die meisten Arten aus, und danach werden vom Schpfer neue Artengeschaffen.

    James Hutton (1726-1797), der Begrnder der wissenschaftlichen Geologie und derGeochronologie vertrat 1795 in seinem Werk Theorie der Erde das Konzept desAktualismus: Alle geologischen Erscheinungen lassen sich durch heute beobachtbareVernderungen erklren. Sein Konzept des Gradualismus besagt, dass nicht einzelneKatastrophen, sondern langsame, bestndige Prozesse die Erdoberflche formen. Und er weistnach, dass die Erde viel lter ist, als es die Bibel angibt.

    Der Geologe Charles Lyell (1797-1875) vertrat ebenso wie Hutton den Aktualismus undGradualismus. Er schreibt in seinen Priciples of Geology 1830, dass die Oberflchenformender Erde in Jahrmillionen entstanden, und zwar durch Sedimentation auf dem Meeresboden,Hebung der Sedimente, Vulkanismus und Abtragung der so enstandenen Gebirge, und dassErdbeben Folgen von Bewegungen der Erdkruste sind.

    Vereinzelt gab es schon vor Darwin Vorstellungen ber die Entstehung neuer Arten durchArtenwandel. Buffon, Erasmus Darwin (Grovater von Charles Darwin), Lamarck, GeoffroySaint-Hilaire, Grant, Leopold von Buch, Meckel, Tiedemann u.a. vertraten solche Ideen.Keiner von ihnen konnte aber einen berzeugenden Mechanismus des Artenwandels angeben(vgl. Engels 2007, 45).

    Am bekanntesten waren die Ideen von Jean Baptiste de Lamarck (1744-1829), die er 1809 inseiner Philosophie zoologique formulierte. Er lehnte die Konstanz der Arten ab indem ersagte: Die Natur hat alle Tierarten nacheinander hervorgebracht. Er legte eine Theorie berdie Ursachen des Artenwandels vor: Organe wrden sich durch Gebrauch und Nichtgebrauchverndern und diese Vernderungen seien erblich (Vererbung individuell erworbenerEigenschaften). So nahm er z.B. an, dass Giraffen in der Savanne durch fortgesetztes Streckennach hoch hngenden Blttern einen lngeren Hals und lngere Vorderbeine bekommen.Solche Giraffen wrden gegenber denen, denen das nicht gelingt, einen berlebensvorteilhaben und die erworbenen Eigenschaften an ihre Nachkommen vererben.

    3. Darwins Leben und Forschen

    Charles Darwin wurde 1809 in Shrewsbury in England als Sohn eines vermgenden Arztesgeboren. Er hatte sich seit frhester Jugend mit Naturforschung beschftigt und dabei einbetrchtliches Wissen erworben. Auf Wunsch seines Vaters begann Charles ein Medizin-studium, brach es aber bald ab, weil er die Grausamkeit der damals noch ohne Narkoseerfolgenden Operationen nicht ertragen konnte. Er studierte dann Theologie und legte darinauch das Examen ab. Als er mit 22 Jahren das Angebot erhielt, als Naturforscher an einerWeltumseglung des Vermessungsschiffes Beagle teilzunehmen, sagte er sofort zu. Die Reise

    dauerte von 1831 bis 1836 und fhrte an die Ost- und Westkste Sdamerikas, zu denGalapagos-Inseln, nach Neuseeland, Australien, das Kap der Guten Hoffnung, wieder nachSdamerika und schlielich ber die Azoren zurck nach England (s. Abb. 2).

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    Abb. 1: Charles Darwin im Alter von 31 Jahren

    Abb. 2: Darwins Weltumseglung mit dem Vermessungsschiff Beagle1831-1836 (Quelle: Wikipedia)

    Whrend der Reise las Darwin das neue Werk des Geologen Charles Lyell Principles ofGeology (1830-1833), in dem dieser das Aktualittsprinzip begrndete. Darwin war vonLyells Erkenntnissen sehr beeindruckt. In Sdamerika fand er Fossilien riesiger Grteltiere.Und auf den Galapagos-Inseln beobachtete und sammelte er Finkenarten mit sehrunterschiedlichen Schnbeln, die man spter Darwinfinken nannte. Er sammelte whrend derReise fast 4000 Pflanzen, Knochen, Felle und Hute, legte 1500 Tiere in Spiritus ein undschickte seine Sammlungen in Kisten von Hafenstdten aus per Schiff nach England. Spter

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    sagte Darwin, dass die Reise mit der Beagle das bei weitem wichtigste Ereignis seines Lebenswar, das seine ganze Berufslaufbahn bestimmt hat (Engels 2007, 29).

    Abb. 3: Adaptive Radiation bei Darwinfinken

    Von da an strebte er danach, den Ursprung der Arten, zu erkunden, dieses Geheimnis derGeheimnisse, wie es einer unserer grten Philosophen genannt hat. (Darwin 1872,Introduction p. 1; in der deutschen bersetzung von J.V.Carus 1899 S. 21)

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    Nach der Rckkehr nach England bestimmte der Zoologe John Gould Darwins mitgebrachtefinkenhnlich Vogelblge eindeutig als Finken. Darwin erkannte nun, dass sich diese Finkenauf den Galapagos-Inseln aus einer von Sdamerika eingewanderten Finkenart entwickelthaben mussten. Weil auf diesen geologisch jungen Vulkan-Inseln, die erst wenige Millionen

    Jahre alt sind, keine Vgel vorhanden waren, die solche unterschiedlichen Schnabelformen besaen und das entsprechende Futter aufnahmen, konnten sich aus der eingewandertenFinkenart mehrere Finkenarten mit unterschiedlichen Schnbeln entwickeln und erhaltenbleiben. Man bezeichnet dieses Phnomen als adaptive Radiation (vgl. Leisler 1995 undAbb. 3). In Sdamerika war diese Evolution der Finken nicht mglich, weil dort die Vgelanderer Arten mit entsprechenden Schnbeln vorhanden waren und somit die entsprechendenkologischen Nischen bereits besetzt waren.

    Darwin kam auf Grund dieser Ergebnisse im Mrz 1837 zu der Erkenntnis, dass es keineKonstanz der Arten gibt, sondern eine Deszendenz (Abstammung) heutiger Arten vonfrheren Arten. In sein Notizbuch zeichnete er einen hypothetischen Stammbaum, bei demsich aus einer Ursprungsart mehrere neue Arten entwickeln, von denen die meistenaussterben. Die berlebenden bilden wieder neue Arten, von denen wieder die meistenaussterben usw. Darber schrieb er I think (s. Abb. bei Engels 2007, 67). Den BegriffEvolution verwendete Darwin nicht.

    Ausfhrlich stellte Darwin diesen Stammbaum in der einzigen Abbildung seines Hauptwerkes1859 und in allen folgenden fnf Auflagen dar (Darwin 1872, S. 90/91).

    Abb. 4: Ausschnitt aus dem Stammbaum-Diagramm in Darwins The Origin

    of Species (1872) und Erluterung des Selektionsprinzips (Kasten)1837 wagte es Darwin noch nicht, seine Erkenntnisse zur Evolution der Organismen zupublizieren. Er frchtete Angriffe in der ffentlichkeit. Zu dieser Zeit hatte ein Journalist

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    hnliche Gedanken geuert und wurde in der Presse heftig und beleidigend angegriffen.

    Darwin sandte aber seinen 1939 erschienene Reisebericht Journal of Researches Alexandervon Humboldt. In seinem ausfhrlichen Dankbrief prophezeite Humboldt dem jungen Darwin

    einen sicheren Platz in der scientific community (Engels 2007, 24).Darwin wohnte seit 1842 mit seiner Familie in Down House, zwei Fahrstunden von Londonentfernt, und sammelte unermdlich Belege fr seine Deszendenztheorie.

    4. Die Wirkung von Darwins Hauptwerk

    Als der Zoologe Alfred Russell Wallace 1858 Darwin ein Manuskript schickte, in demWallace auf Grund seiner Forschungen auf Borneo zu den gleichen Schlussfolgerungen wieDarwin kam, entschloss sich Darwin sein lange schon geplantes Hauptwerk zuverffentlichen und dort auch die Miturheberschaft von Wallace im Hinblick auf dieDeszendenztheorie zu besttigen. So erschien 1859 On the Origin of Species by Means ofnatural Selection, in dem Darwin auf S. 1 schreibt Mr. Wallace, who is now studyingthe natural history of the Malay archipelago, has arrived at almost exactly the same generalconclusions that I have on the origin of species. (Darwin 1872, 1). Das Buch erschien am24.11.1859. Am selben Tag waren alle 1250 Exemplare der Erstauflage vergriffen.

    Das Werk fhrte zu einer Polarisierung der englischen Gesellschaft. Whrend es beiNaturwissenschaftlern sofort groe Zustimmung fand, stie es in kirchlichen Kreisen und inTeilen der Presse auf heftige Ablehnung.

    Darwin vermied die ffentliche Auseinandersetzung mit seinen Gegnern, dagegen verteidigte

    sein Freund, der Zoologe Thomas Henry Huxley, Darwins Lehre in der ffentlichkeit. Am28. Juni 1860 kam es in einer Versammlung der British Association zu Oxford vor 700 bis1000 Zuhrern zu einer Redeschlacht, in der der anglikanische Bischof von Oxford, SamuelWilberforce u.a. sagte: Ich mchte Prof. Huxley, der neben mir sitzt und im Begriffe steht,mich in Stcke zu reien, wenn ich mich niedersetze, ber den Glauben an seine Abkunft voneinem Affen befragen. Treten die Affen-Vorfahren auf der grovterlichen odergromtterlichen Seite auf?

    Huxley antwortete darauf mit einem Redebeitrag an dessen Ende er ber die Abstammungvom Affen sagte: Ich wrde mich auch nicht eines solchen Ursprungs schmen. Wenn esaber einen Vorfahren gbe, dessen zu erinnern ich mich schmte, so wre dies ein Mann vonrastlosem und beweglichem Verstande, der nicht zufrieden mit dem zweifelhaften Erfolge inseiner eigenen Ttigkeitssphre sich in wissenschaftliche Fragen einlsst, die er wegenunzureichender Kenntnis und durch eine zwecklose Rhetorik verdunkelt, indem er dieAufmerksamkeit der Hrer von dem wirklich in Rede stehenden Punkte durch beredteAbschweifungen und geschickte Berufung auf religises Vorurteil ablenkt. (Charles Darwin,Gedenkschrift 1909, 48).

    Darwin uerte sich in seinem Werk 1859 noch nicht zur Abstammung des Menschen. Aufder vorletzten Seite steht aber der berhmte Satz Much light will be thrown on the origin ofman and his history (Darwin 1872, 428). Erst 1871 verffentlichte er sein Buch The

    Descent of Man and Selection in Relation to Sex. Darin steht der Satz: Der Mensch ist, wieich nachzuweisen versuche, der Nachkomme eines affenhnlichen Geschpfes.

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    Darwin entwickelte keine Theorie ber den Ursprung der Organismen. Aber er kam der nach1950 einsetzenden Forschung zur Entstehung des Lebens recht nahe mit seiner in Briefengeuerten Vermutung, das Leben knnte in der Frhzeit der Erde auf chemischem Wege ineinem warmen Tmpel unter Reaktionen von Ammonium- und Phosphorsalzen entstanden

    sein. (Kutschera 2008, 132/133).

    Die Bereitschaft Darwins, seine Theorie bei Auftreten neuer Forschungsergebnisse stndig zurevidieren und damit zu verbessern, zeigt sich in der Tatsache, dass er von den 4000 Stzender 1. Auflage (1959) seines Hauptwerkes bis zur 6. Auflage (1972) 3000 Stze nderte. Erzeigte damit, dass Naturwissenschaft ein Prozess ist, in dem es keine unabnderlichenDogmen geben darf. Dies entspricht auch der Forderung, die viele Jahre spter der PhilosophKarl Popper in seinem Werk Logik der Forschung (1934) erhob.

    Dass man Darwins Lebensleistung in der englischen ffentlichkeit schlielich allgemeinanerkannte, zeigte sich unmittelbar nach seinem Tode am 19. April 1882. Charles Darwin

    wurde am 26. April 1882 in Westminster Abbey in London in der Nhe des Gedenksteins frIsaac Newton beerdigt. An der Trauerfeier nahmen die wichtigsten Reprsentanten vonWissenschaft, Staat und Kirche teil.

    5. Darwins Abstammungslehre

    Zum besseren Verstndnis der folgenden Ausfhrungen mssen drei Begriffe geklrt werden:

    Evolution der Organismen ist die Vernderung der Arten im Laufe der Erdgeschichte. Sie istheute als Tatsache anerkannt, denn sie vollzieht sich vor unseren Augen. Belege sind die

    Vernderung von Arten in der Gegenwart (z.B. die Vernderung der Schnabelgre beiDarwinfinken innerhalb von 20 Jahren, die Vernderung von Buntbarschen ostafrikanischerSeen und die Resistenzbildung gegenber Antibiotika bei Bakterien).

    Evolutionstheorie ist eine Theorie ber den Ursprung und die Mechanismen der Evolution,z.B. die Selektionstheorie Darwins.

    Evolutionsgeschichte ist der Ablauf der Evolution, der in Stammbumen dargestellt wird.Dieser Ablauf ist ber weite Strecken noch hypothetisch. Man kann zwar das Auftreten undVerschwinden von Arten bzw. deren Fossilien heute genau datieren, aber in vielen Fllennoch nicht genau sagen, auf welche Vorfahren eine bestimmte Art zurckgeht.

    Hinweise darauf, dass sich die heute lebenden Organismen aus wenige Ursprungsformenentwickelten, gab es bereits vor Darwin:

    1. Die hnlichkeit der Gestalt und der Organe bei Sugetieren: Die Vorderextremitten vonMensch, Katze, Wal und Fledermaus haben alle 5 Finger, 2 Unterarmknochen und 1Oberarmknochen. Das lsst auf einen gemeinsamen Ursprung schlieen. Es handelt sichum homologe Organe (homolog = gleiche Herkunft).

    2. Das Vorhandensein aller bergnge vom einfachen Lichtsinneszellpolster bis zumLinsenauge bei Mollusken lsst erkennen, wie die stufenweise Entwicklung vonLinsenaugen erfolgt sein kann.

    3. Aus Fossilien ausgestorbener Tierarten und dem unterschiedlichen Alter der Schichten,in denen sie liegen, kann man auf eine Abfolge der Organismen im Laufe derErdgeschichte schlieen und aus ihrer hnlichkeit einen hypothetischen Stammbaum

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    ableiten, besonders dann, wenn man Zwischenformen (Brckentiere) zwischenTiergruppen findet wie den Archaeopteryx, der am bergang von Reptilien zu Vgelnsteht und vor 150 Mill. Jahren in der Jurazeit lebte. Seit 1861 fand man 9 Exemplare.Darwin erwhnt den Archaeopteryx-Fund von Solnhofen in seinem Hauptwerk (Darwin

    1972, 284, bersetzung v. Carus 1899, S. 383)

    Abb. 5: Vorderextremitten von Mensch, Br, Grnlandwal, Fledermausund Flugsaurier

    Abb. 6: Rekonstruktion der Evolution komplexer Linsenaugen beiMeeresschnecken durch Vergleich der Augen rezenter Arten (A). 1Lichtsinneszellpolster 2 Becherauge 3 Urnenauge 4 geschlossenerAugenbecher 5 geschlossenes Auge 6,7 Linsenaugen, B:Computergenerierte Modellsequenz der Evolution von Linsenaugen

    Darwin schreibt 1859, dass Naturforscher aus Verwandtschaftsverhltnissen der Organismen,ihren embryologischen Beziehungen, ihrer geographische Verbreitung und ihrer geologischenAufeinanderfolge den Schluss ziehen knnten, dass die Arten von anderen Arten abstammen.Er schreibt aber weiter: Demungeachtet drfte eine solche Schlussfolgerung, selbst wenn siewohl gegrndet wre, kein Genge leisten, solange nicht nachgewiesen werden knnte, aufwelche Weise die zahllosen Arten, welche jetzt unsere Erde bewohnen, so abgendert wordensind, dass sie die jetzige Vollkommenheit des Baues und der gegenseitigen Anpassung

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    erlangten, welche mit Recht unsre Bewunderung erregen. Und weiter unten schreibt er:

    It is, therefore, of the highest importance to gain a clear insight into themeans of modification and coadaptation. (Darwin 1872, 3)

    Abb. 7: Archaeopteryx, Rekonstruktion des lebenden Tieres

    Darwins Abstammungslehre kann man in fnf theoretische Konzepte untergliedern:

    1. Evolution als realhistorischer Prozesse: Die Arten sind wandelbar und haben sich inlangen Zeitrumen aus Urformen entwickelt.

    2. Selektionstheorie: Arten variieren. Gut angepasste Varianten bleiben erhalten undpflanzen sich fort, weniger gut angepasste kommen nicht oder nur in geringem Mae zurFortpflanzung und sterben relativ schnell aus.

    3. Gemeinsame Abstammung der Organismen aus einfachen Urformen. Alle Organismensind miteinander abstammungsverwandt.

    4. Gradualismus und Konzept der Population: Die Phylogenese (Stammesentwicklung)verluft nicht in Sprngen, sondern allmhlich. Die Prozesse, die neue Artenhervorbringen, fhren im Laufe groer Zeitrume zu neuen Gattungen, Familien,Ordnungen usw.

    5. Vervielfachung von Arten: Vorluferformen spalten sich in zahlreiche Tochterspezies aufund fhren daher zu Verzweigungen und Nebensten im Abstammungsschema (Zunahmeder Biodiversitt) (nach Kutschera 2008, 34).

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    Darwin leitete seine Selektionstheorie aus folgenden Feststellungen ab:

    Variieren der Tiere und Pflanzen im Naturzustand,

    Erblichkeit wenigstens einiger Merkmale,

    berproduktion an Nachkommen,

    Konkurrenz an Ressourcen,

    unterschiedlicher Fortpflanzungserfolg aufgrund der unterschiedlichen Merkmale derIndividuen.

    Darwin unterschied natrliche Selektion, d.h. Auslese in Wechselwirkung mit der Umwelt,und sexuelle Selektion, d.h. Auslese durch die Sexualpartner. Heute unterscheiden wirumweltbedingte und verhaltensbedingte Selektion, wobei sich letztere auf Rivalenkampf,Arealwahl, soziale Beziehungen, Nahrungserwerb und Sexualverhalten bezieht (vgl.Kattmann 2005). Allerdings erfolgt sexuelle Selektion nicht nur durch Sexualverhalten,sondern auch durch auffallende krperliche Merkmale (z.B. buntes Gefieder bei mnnlichenVgeln).

    Darwin fhrte auch den Begriff Population ein. Eine Population ist eine Gruppe potentiellkreuzbarer Organismen, die einen bestimmten geographischen Raum besiedelt, also eineFortpflanzungsgemeinschaft oder Biospezies.

    6. Kampf ums Dasein und berleben der Tchtigsten?

    Drei von Darwin benutzte Begriffe knnen zu Missverstndnissen fhren, die Begriffe originof species (Ursprung der Arten), struggle for life (Kampf uns Dasein) und survival of thefittest (berleben der Tchtigsten).

    Ersten schreibt Darwin nichts ber den Ursprung, sondern ber den Wandel der Arten.

    Zweitens ist Kampf ums Dasein nicht wrtlich, sondern als Metapher im Sinne von Strebennach berleben zu verstehen. So kmpfen Pflanzen berhaupt nicht, sondern wachsen jenach Umweltbedingungen gut, schlecht oder gar nicht. Auch Tiere kmpfen nicht stndiggegen Konkurrenten. Viele Tiere wie Korallenpolypen, Wasserflhe, Regenwrmer undSchwarmfische kmpfen gar nicht. Und kmpfende Tiere kmpfen meist nur bei besonderen

    Anlssen. Zur Paarungszeit kmpfen sie gegen Rivalen der Fortpflanzung. Sozial lebendeTiere kmpfen zeitweilig um ihren Platz in der Rangordnung. Revierbesitzende Tierekmpfen gegen Konkurrenten, wenn diese ins eigene Revier eindringen. Darwin meinte mitdem Kampf ums Dasein einen Wettbewerb um knappe Ressourcen, der mit vielerlei Mittelnvon Konkurrenz und Kooperation ausgetragen wird.

    Drittens stimmt es nicht, dass nur die Tchtigsten berleben. Es berleben vielmehr Pflanzenund Tiere unterschiedlicher Fitness. Nur diejenigen Individuen kommen nicht bis zurFortpflanzung, deren Organismus auf Grund angeborener oder erworbener Defekte nicht oderschlecht funktioniert. Diese Selektion beginnt bereits in der Embryonalzeit, wenn etwabestimmte Stoffwechselprozesse nicht in Gang kommen oder ein Defekt am Herzen oder der

    Lunge dazu fhrt, dass ein Kind sofort nach der Geburt stirbt, weil seine Zellen keinenSauerstoff erhalten. Dagegen gibt es viele selektionsneutrale Merkmale wie dieunterschiedlichen Blattformen von Laubbumen, die gleich gut nebeneinander wachsen und

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    sich gleich gut fortpflanzen. Darwin schrieb schon 1859, dass Abnderungen, die wederntzen noch schaden, von der natrlichen Zuchtwahl unberhrt bleiben.

    Trotz der von Darwin entwickelten und im Prinzip heute noch gtigen Selektionstheorie der

    Evolution war Darwin wie Lamarck von einer Vererbung erworbener Krpereigenschaftenberzeugt.

    Die Ursachen der Variation, also Mutationen, konnte Darwin nicht kennen. Man entdeckte sieerst nach seinem Tode. Darwin kannte auch noch nicht die von Gregor Mendel gefundenenVererbungsregeln, obwohl ihm Mendel seine Verffentlichung (1866) geschickt hatte. Manfand diese unaufgeschnitten, also auch ungelesen, in Darwins Nachlass.

    7. Ernst Haeckel

    Der deutsche Zoologe Ernst Haeckel (1834-1919) verbreitete Darwins Lehre in Deutschlandund entwarf einen hypothetischen Stammbaum des Menschen, der nur auf morphologischenhnlichkeiten beruhte. Durch sptere Forschungen musste dieser Stammbaum erheblichkorrigiert werden. Er formulierte die Biogenetische Grundregel, nach der die (embryonale)Individualentwicklung (Ontogenese) eine verkrzte und vereinfachte Wiederholung derStammesentwicklung (Phylogenese) ist. So besitzt z.B. der frhe menschliche Embryokiemenhnliche Spalten am Kopf und einen Schwanz, ein Hinweis auf fischhnliche undreptilienhnliche Vorfahren. Die Larven der Insekten sind wurmhnlich, ein Hinweis darauf,dass Insekten von wurmfrmigen Vorfahren abstammen.

    Im Gegensatz zu Darwin kmpfte .Haeckel vehement gegen die biblische Schpfungslehre

    und generell gegen religise Vorstellungen und vertrat einen Monismus im Sinne einerdarwinistischen Weltanschauung. Was Darwin an Haeckel zudem bengstigte, war dieKhnheit, mit der dieser trotz der von ihm selbst zugegebenen Unvollstndigkeit dergeologischen Befunde die einzelnen Zeitperioden angab, in denen die verschiedenenTiergruppen zuerst erschienen sein sollten. (Engels 2007, 136)

    8. Sozialdarwinismus

    Die weitverbreitete Vorstellung, der von Darwin verwendete Ausdruck struggle for life seiim Sinne eines rcksichtslosen Kampfes aller gegen alle, als egoistische Durchsetzung der

    eigenen Interessen zu verstehen, ist verfehlt. Darwin vertrat vielmehr die Auffassung, dasswechselseitige Untersttzung, die Kooperation unter den Mitgliedern derselbenBezugsgruppe, das berleben in der natrlichen Umwelt und unter fremden Gruppen sichert.

    Darwin stellt auch kein auf dem Prinzip des survival of the fittest basierendessozialpolitisches Programm auf, durch das man etwa Menschen mit angeborener geistigeroder krperlicher Behinderung an der Fortpflanzung hindern solle (negative Eugenik) odergeistig und krperlich besonders wertvolle Menschen durch Frderprogramme zurVermehrung anregen solle (positive Eugenik) (vgl. Engels 2007, 199f.).

    Solche Forderungen erhoben aber Sozialdarwinisten wie der Arzt Wilhelm Schallmayer, der

    Bcher schrieb mit den Titeln ber die drohende krperliche Entartung derCulturmenschheit und die Verstaatlichung des rztlichen Standes (1891) und Vererbungund Auslese im Lebenslauf der Vlker, Natur und Staat. (1903). (vgl. Jahn/Lther/Senglaub1985, 728). Solche Gedankengnge wurden von Nationalsozialisten gern aufgegriffen und

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    nach 1933 bis zur Forderung nach Vernichtung lebensunwerten Lebens weitergefhrt undpraktiziert.

    9. Der Neodarwinismus von August WeismannDer deutsche Zoologe August Weismann entwickelte die Theorie der natrlichen Selektionnach 1890 weiter, indem er Erkenntnisse der Zellforschung und Genetik einbezog. Fr dieseerweitere Theorie prgte der Physiologe Romanes 1894 den Begriff Neodarwinismus. Eshandelt sich um eine Selektionstheorie ohne Annahme einer Vererbung erworbenerEigenschaften. Weismann konnte durch zahlreiche Versuche Lamarcks Behauptung einerVererbung erworbener Eigenschaften widerlegen, indem er erwachsenen Musen dieSchwnze abschnitt und zeigte, dass deren Junge stets mit Schwnzen zur Welt kamen. Auchbei Pflanzen konnte man keine Vererbung erworbener Eigenschaften nachweisen.

    Als eine Ursache fr die Variation innerhalb von Tierpopulationen erkannte Weismann diebei zweigeschlechtlicher Fortpflanzung auftretende Rekombination, d.h. die Durchmischungvterlicher und mtterlicher Erbanlagen.

    10. Die Mutationstheorie von Hugo de Vries

    Eine zweite Ursache fr Variationen sind die von dem Botaniker Hugo de Vries nach 1890entdeckten Mutationen, die er in seinem Standardwerk Die Mutationstheorie 1901-1903umfassend beschreibt. Er hatte in gro angelegten Kulturen von Nachtkerzen (Oenotheralamarckiana) in sieben Jahren unter rund 50.000 Individuen ca. 800 vom Artcharakter

    abweichende gefunden die er durch Weiterzucht auf ihre Erbkonstanz prfte. Unter ihnenermittelte er eine erbkonstante, in allen ihren Organen klar von Oe. lamarckianaunterschiedene neue Form, die er Oenothera gigas nannte und ber die er berichtete: Sieentstand also pltzlich, ohne Zwischenform und ohne sichtbare Vorbereitung, wie sieendgltig war, vollzhlig in allen ihren Charakteren und ohne jede Rckkehr zumUrsprungstyp (de Vries 1900, 124). Er war der berzeugung, dass die eine Pflanzen-Artelementare Eigenschaften enthlt, die den sichtbaren Eigenschaften und Merkmalenzugrunde liegen, woraus er schlussfolgert: So oft eine solche Eigenschaft sich ausbildet,entsteht eine neue Art. Einen solchen Vorgang nennen wir eine M u t a t i o n (De Vries Bd2, 1903, 3). Fr diese elementaren Eigenschaften fhrte der dnische PflanzenzchterWilhelm Johannsen 1909 den Begriff Gen ein.

    Whrend Darwin annahm, dass der Artenwandel durch kleine Erbunterschiede zwischenIndividuen einer Art und Selektion erfolgt, vertrat de Vries die Auffassung, sprunghafteErbnderungen (Mutationen) seien immer drastisch. Diese Annahme erwies sich als falsch.

    De Vries war so sehr davon berzeugt, dass die Artbildung nur durch Mutationen erfolgt,dass er schrieb sind die Arten nicht hervorgebracht worden durch eine fortdauerndeSelektion extremer individueller Variationen, wie man es sich gewhnlich denkt. DieseAnnahme ist formell widerlegt durch all das, was die Erfahrungen der Zchter uns ber dieSelektion gelehrt haben (De Vries 1900, 305-306)

    Durch diese und andere Forschungen der Genetik trat Darwins Selektionstheorie nach 1900ber drei Jahrzehnte lang in den Hintergrund.

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    11. Chromosomentheorie der Vererbung

    Einen groen Fortschritt brachte 1903 die Chromosomentheorie der Vererbung von TheodorBoveri und Walter S. Sutton. Sie erkannten, dass die schon lange bekannten Chromosomen

    Trger der Erbanlagen sind. Auf diese Weise wurden Chromosomenforschung und Genetikzusammengefhrt. Boveri sagte 1903 in einer Rede: Wir sehen also hier auf zweiForschungsgebieten, die sich ganz unabhngig voneinander entwickelt haben, Resultateerreichen, die so genau zusammenstimmen, als sei das eine theoretisch aus dem anderenabgeleitet; und wenn wir uns vor Augen halten, was wir aus anderen Tatsachen ber dieBedeutung der Chromosomen bei der Vererbung entnommen haben, so wird dieWahrscheinlichkeit, da die in den Mendelschen Versuchen verfolgten Merkmale wirklich anbestimmte Chromosomen gebunden sind, ganz auerordentlich gro (Boveri 1904, 117).

    Durch Untersuchungen der Auswirkungen von Crossing-over an unterschiedlichen Stellenvon Drosphila-Chromosomen auf die Ausbildung bestimmter Drosophila-Merkmale erkannte

    man, dass die Gene auf den Chromosomen linear angeordnet sind. Das war die Voraussetzungfr die Aufstellung sogenannten Genkarten, in denen angegeben ist, an welcher Stelle welchesGen sitzt.

    12. Ursachen von Mutationen

    Im Zusammenhang mit der Entwicklung von Genkarten entdeckte man, dass Vernderungender Anzahl oder der Struktur von Chromosomen zu Mutationen fhren. Solche Mutationenkonnte Hermann Joseph Muller 1927 durch Bestrahlung von Drosophila mit Rntgenstrahlenknstlich auslsen. Spter fand man, dass auch bestimmte Zellgifte wie Colchizin, das Gift

    der Herbstzeitlose, und sehr hohe oder tiefe Temperaturen mutationsauslsende Faktorensind. Bei Drosophila steigt bei Erhhung der Zuchttemperatur von 30^auf 40 die Anzahl derMutanten auf das 3-5fache

    Bei manchen Mutatanten fand man nderungen in der Struktur und Anzahl derChromosomen pro Zelle. Bei anderen Mutanten waren aber keine nderungen an denChromosomen sichtbar.

    Nach Entdeckung der Struktur der DNA fand man, dass solche Mutationen durch dieVernderung einzelner Basen der DNA entstehen. Man unterscheidet heute insgesamtfolgende Formen von Mutationen.

    1. Gen-Mutationen (Punktmutationen): Vernderung einzelner Basen der DNA. Einigeknnen zu Erbkrankheiten fhren. Beispiel Phenylketonurie: Die AminosurePhenylalanin kann nicht abgebaut werden. Die Behandlung erfolgt durch stndige Ditohne Phenylalanin.

    2. Chromosomen-Mutationen: Stckverlagerung, Stckumkehr und Stckverlust anChromosomen (s. Abb. 8).

    3. Genom-Mutationen: nderung der Chromosomenanzahl pro Zelle

    3.1. Aneuploidie: Ein oder mehrere Chromosomen fehlen (Monosomie) oder sind

    mehrfach vorhanden (Polysomie). Ursache ist eine fehlerhafte Verteilung derChromosomen bei Zellteilungen whrend der Keimzellbildung. Beispiel: Trisomie 21,die zum Down-Syndrom fhrt (Mongolismus)

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    3.2. Polyploidie: Der ganze Chromosomensatz ist vervielfacht durch fehlerhafteZellteilung bzw. Ausbleiben der Zellteilung nach Verdopplung der Chromosomen beider Keimzellreifung. Beispiele: Triploide, tetraploide und hexaploideChromosomenstze bei bestimmten Kulturpflanzen. Moderne Kulturweizensorten

    sind hexaploid, die Anzahl der Samen pro hre ist viel hher als bei normalen,diploiden Sorten. Polyploide Tiere sind dagegen nicht lebensfhig.

    Die meisten Mutationen sind fr den Organismus nachteilig, manche bewirken sofort oderwenig spter das Sterben des Organismus. Ein Teil der Mutationen hat keine Folgen. EinigeMutationen fhren aber zur Zunahme der Genaktivitt und z.T. zur Ausbildung eines neuenPhnotyps. Das entsprechende mutierte Gen bezeichnet man als neomorphes Allel.

    Abb. 8: Chromosomen-Mutationen

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    13. Die synthetische Theorie der Evolution

    Das Zusammenfhren der Selektionstheorie Darwins mit der Genetik und damit auch derMutationstheorie von de Vries gelang nach 1930 Theodosius Dobzhansky mit seinen

    fundamentalen Arbeiten, die zur Begrndung der Synthetischen Theorie der Evolution(1937) fhrten. Von ihm stammt der berhmte Satz: Nichts macht Sinn in der Biologie auerim Lichte der Evolution. Er forschte bis 1927 an der Universitt Leningrad und ab 1929 amCalifornia Institute of Technology in Pasadena (USA) berwiegend an Drosophila-Arten.Zwischen 1920 und 1930 stellte er erstmalig eine zytologische Chromosomenkarte vonDrosophila melanogaster auf, die an Riesenchromosomen in den Speicheldrsen vonDrosophila-Larven zeigt, welche Chromsomenstellen (Genorte) durch ihre Aktivitt zuwelchen Merkmalen des Tieres fhren. Mit seinen Forschungen ber die Ursachen derSterilitt von Hybriden kam er zur Formulierung des Begriffes Isolationsmechanismen undzur Erkenntnis, dass die reproduktive Isolation von fundamentaler Bedeutung fr denArtbildungsprozess von sexuell reproduzierenden Organismen ist. Als systematische Einheitder Artbildung erkannte Dobzhansky die Population, in der durch Mutationen Variantenentstehen, die durch reproduktive Isolation zu neuen Arten fhren, die sich nicht mehrmiteinander kreuzen (vgl. Jahn / Lther / Senglaub 1985, 481f.). Damit war die ab 1900entstandene Kontroverse zwischen der Selektionstheorie Darwins und der Mutationstheorievon de Vries zugunsten einer Synthese beider Theorien aufgelst worden. Artenwandelerfolgt also durch Mutationen und darauf folgende Selektion. Als weiterer Faktor kommt dieIsolation hinzu. Isolationsmechanismen knnen auf zweierlei Weise wirken:

    Abb. 9: Allopatrische und sympatrische Artbldung

    1. Allopatrische Artbildung: Das ist eine Artbildung durch geographische Isolation einerkleinen Gruppe von Individuen (Grnderpopulation). Sie kann durch das Verdriften vonVgeln auf eine abgelegene Insel (z.B. Darwinfinken der Galapagos-Inseln), durchGebirgsbildung, einen Grabenbruch, die Verlagerung eines Flusslaufes oder dieZerteilung eines Sees erfolgen. Beispiele findet man in den Seen in den GrabenbrchenOstafrikas. Die allopatrische Artbildung wurde besonders von Ernst Mayr 1942 im Detailbeschrieben.

    2. Sympatrische Artbildung: Das ist eine Artbildung ohne geographische Isolation. Im

    selben Lebensraum zerfllt eine Tierart (Fortpflanzungsgemeinschaft) in reproduktivisolierte Arten.

    Darwin hatte diese Artbildung bereits 1859 postuliert. Bei Bltenpflanzen knnen durch

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    Artkreuzung und nachgeschaltete Polyploidisierung auf derselben Rasenflche neueArten entstehen (vgl. Kutschera 2008, 76).

    Die Entstehung der Fortpflanzungsbarrieren konnte aber bisher nicht eindeutig geklrt

    werden.Man vermutet als eine Ursache sympatrischer Artbildung eine nderung der Ernhrungsweisebei einer Teilpopulation, durch die sich diese teilweise der innerartlichen Konkurrenz entziehtund eine abweichende kologische Nische bildet.

    Beispiele sind die Darwinfinken auf den Galapagos-Inseln, die sich auf unterschiedlicheNahrung spezialisierten, und die Buntbarsche ostafrikanischer Seen. Der Viktoriasee ist erstseit 15.000 Jahren wieder mit Wasser gefllt und enthlt bereits 300 Arten von Buntbarschen,die sich aus einer Ursprungsart bildeten. Dies ist ein Beispiel fr sehr schnelle Artbildung.

    14. Die Erweiterung der Synthetischen Theorie durch die Molekularbiologie

    1944 wiesen der Arzt Oswald Avery und Mitarbeiter mit ihren Versuchen an Pneumokokkennach, dass nicht Proteine, sondern Desoxyribonukleinsure (DNA) die stoffliche Grundlageder Gene bildet. Damit begann die Molekularbiologie, die nach Aufklrung der Struktur derDNA-Molekle durch James D. Watson und Francis H. Crick 1953 eine beispielloseEntwicklung nahm.

    Die Synthetische Theorie der Evolution wurde durch die Molekularbiologie nicht nurbesttigt, sondern auch erweitert. Die Grundregel der Molekularbiologie besagt, dass beiallen Lebewesen der Bauplan des Individuums in der DNA verschlsselt ist und dass die

    genetische Information durch Vermittlung der RNA auf die Proteine im Zellplasmabertragen wird. Lediglich bei einigen Viren, den Retroviren, ist die genetische Informationin RNA gespeichert.

    Die Synthetische Theorie postuliert einen Variationengenerator, der durch Rekombinationund erbliche Mutationen zu Vernderungen der Merkmale und damit zur Evolution derOrganismen fhrt. nderungen der Merkmale fhren dagegen nicht zur nderung der Gene.

    Die Molekularbiologie besttigt diese Erkenntnis. Mutationen gehen auf nderungen derDNA oder Vernderung oder Vervielfachung der Chromosomen, die aus DNA bestehen,zurck. Handelt es sich dabei um DNA von Krperzellen (somatische Mutation), verndern

    sich nur diese. Handelt es sich aber um DNA von Keimzellen (Samen- oder Eizellen) oderZellen der Keimbahn, die zu Keimzellen werden, dann geht die Vernderung auf diefolgenden Generationen ber, ist also erblich (Keimbahn-Mutation). Vernderungen desZellplasmas fhren dagegen niemals zur Vernderung der DNA-Sequenz. DieMolekularbiologie besttigt also die Erkenntnis der Synthetischen Theorie, dass es keineVererbung erworbener Eigenschaften gibt.

    Nicht jede nderung der Basensequenz der DNA fhrt zu einer Merkmalsnderung. Es gibtaber Flle, bei denen die nderung einer einzigen Base der DNA in einer Keimzelle zu einerschweren Erkrankung fhrt. Ein Beispiel ist die Phenylketonurie (PKU). An einer bestimmtenStelle der DNA ist eine Base verndert (Punktmutation). Dieser Fehler wird bei derEntwicklung des Organismus aus der befruchteten Eizelle an alle Krperzellenweitergegeben. Die Folge ist, dass ein bestimmtes Enzym, das den Abbau der AminosurePhenylalanin bewirkt, fehlerhaft und damit funktionslos wird. Dadurch huft sich

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    Phenylalanin in den Zellen an, das zu einer Schdigung der Nerven mit schwersten geistigenSchden, Lhmungen und Krmpfen fhrt. Ein Kind mit PKU kann nach der Geburt nurberleben, wenn es stndig eine Dit erhlt, in deren Eiwei nur sehr wenig Phenylalaninvorhanden ist. Ganz darf diese essentielle Aminosure nicht fehlen, weil sonst schwere

    Mangelerscheinungen auftreten. Erst nach dem 15. Lebensjahr, wenn das Gehirn ausgereiftist, kann eine eiweiarme Dit mit normalem Phenylalaninanteil genommen werden.

    Molekulare Uhren

    Je nher Organismen miteinander verwandt sind, desto hnlicher ist die Reihenfolge ihrerBasen in der DNA und der Aminosuren in bestimmten Proteinen. Man kann also aus derhnlichkeit der DNA und der Proteine auf den Grad der Verwandtschaft zwischen Artenschlieen. Je nher zwei jetzt lebende Organismen miteinander verwandt sind, desto wenigerweit muss man in die Vergangenheit zurckgehen, um den letzten gemeinsamen Vorfahren zufinden. Durch Sequenzvergleich und Auswertung der Daten mit speziellen Computer-

    programmen kann man den Verwandtschaftsgrad der Organismen abschtzen und einen Gen-Stammbaum oder Protein-Stammbaum ermitteln. Diese Methode wird als molekulare Uhrbezeichnet. Die Uhr wird zu Beginn der Analyse mit einem sicheren Fossil-Alterswert geeicht(Divergenzzeit zweier groer Organismengruppen). Die Gen-Sequenzdaten liefern dann eineAbschtzung des Zeitpunktes, seit dem eine Vermischung der Erbanlagen der untersuchten,noch nicht datierten Art angehrt. Somit liefert die molekulare Uhr die Zeitspanne, die seitder Aufspaltung einer Art in zwei abgeleitete, reproduktiv isolierte Arten bis heute vergangenist (nach Kutschera 2008, 168).

    15. Wie erfolgt die Makro-Evolution?

    Darwin und Haeckel maen der Embryologie (heute Entwicklungsbiologie) eine groeBedeutung zu. Whrend der Ausarbeitung der Synthetischen Theorie beteiligte sich dieEmbryologie aber nicht an Arbeiten der Evolutionstheorie. Das nderte sich nach 1980: Eskam zur Wiedervereinigung von Entwicklungs- und Evolutionsbiologie. Die neueForschungsrichtung heit Evolutionre Entwicklungsbiologie, Evolutionary DevelopmentalBiology oder kurz Evo Devo-Forschung. Ihr Ziel ist es, die Evolution von Entwicklungs-prozessen zu entschlsseln und zu ergrnden, wie die unterschiedlichen Krper-Bauplnerezenter und ausgestorbener Organismen entstanden sind.

    Charles Darwin war der berzeugung, dass die Evolution nur graduell, in kleinen Schrittenabluft. Natura non facit saltum war seine Devise.

    Der Genetiker William Bateson (1861-1926) beobachtete aber, dass zuweilen ganzeKrperteile eines Organismus von einer Generation zur nchsten die Form und Funktioneines anderen Krperteils annehmen knnen. Diese Form der drastischen Transformationnannte er homeotische Mutationen. Solche sehr seltenen Ereignisse bestrkten Bateson in derberzeugung, dass innovative Sprnge in der Evolution mglich, ja vielleicht sogar typischsind. So vertrat er die Vorstellung einer nicht-graduellen, saltatorischen Evolution (vgl.Meyer 2008, 7).

    Inzwischen kennt man die genetische Basis einiger Batesonschen homeotischen

    Transformationen, die grundstzlich aus einer Libelle mit vier Flgeln eine Fliege mit nurzwei Flgeln machen knnen. Heute ist klar, dass nur eine kleine Anzahl von Mutationen inentscheidenden Genen zum Teil groe Vernderungen hervorrufen knnen.

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    Diese Mutationen betreffen oft Gene, die die Funktion anderer Gene kontrollieren. Meiststehen sie nahe der Spitze der Befehlskaskade entwicklungsbiologische Prozesse. Eine Klassesolcher Transkriptionsfaktoren, die Homeobox-Gene, abgekrzt Hox-Gene, spielen in derEmbryonalentwicklung eine entscheidende Rolle. Hox-Gene bestimmen grundlegende

    Merkmale, z.B. wo sich bei Vgeln Flgel und Beine entwickeln. In den meistenTierstmmen sind die Hox-Gene in kompletten Clustern auf Chromosomen angeordnet. Dereinmal entstandene Mechanismus konnte sich evolutionre nicht mehr gro verndern.Verdopplungen eines Hox-Clusters knnen zu groen Vernderungen fhren und damit dieMakroevolutionsschritte bewirken (a.a.O., 7)

    16. Umwelteinfluss durch Springende Gene

    Die DNA der Eukaryoten, also aller Organismen auer Bakterien und Archaen(Archebakterien), lsst sich im Hinblick auf ihre Funktionen drei unterschiedlichen Gruppen

    zuordnen:

    1. Strukturgene: Sie codieren die Proteine des Organismus, d.h. sie bestimmen dieReihenfolge ihrer Aminosuren, machen aber nur wenige Prozente der Gesamt-DNA aus.

    2. Regulationsgene: Sie schalten die Strukturgene ein und aus. Jede Zelle des Krpersenthlt alle Gene des Organismus, aber nur wenige Gene sind eingeschaltet. Soproduzieren Zellen der Oberhaut Horn, die Zellen der Magenwand aber Pepsinogen undSalzsure.

    3. Springende Gene (Transposons, transposable elements, TEs): Das sind DNA-

    Abschnitte, die innerhalb des Genoms einer Zelle den Ort wechseln knnen und beimMenschen 45 % der DNA ausmachen. Sie knnen Genaktivitten regulieren undMutationen auf Gen- und Genom-Ebene erzeugen. Sie bermitteln den GenenUmweltbedingungen, knnen Krankheiten verursachen und treiben die Evolution vonGenomen und damit von Populationen und Arten voran.

    - aus techn. Grnden nicht verfgbar, d. Redaktion -

    Abb. 10: Wechselspiel zwischen Genom und Umwelt und dessen Einfluss aufdie Artbildung (nach Biemont/Vieira 2007)

    Die Frage, wie die Umwelt die Gene beeinflusst, kann man heute so beantworten:

    Bei einigen Genen hngt die phnotypische Ausprgung davon ab, ob sie von der Mutter odervom Vater geerbt wurden. Ursache ist die genomische Prgung (Imprinting). Darunterversteht man die Markierung von Genen, indem Methylgruppen (CH3-Gruppen) an dieCytosin-Nukleotide eines der beiden Allele (des mtterlichen oder des vterlichen Allels)angehngt werden.. Stark methylierte Gene verstummen, d.h. sie werden inaktiv. In diesenFllen wird das Allel benutzt, das die Prgung nicht trgt. In der Folgegeneration werden diePrgungen in den gametenbildenden Zellen gelscht und alle Chromosomen werdenentsprechend dem Geschlecht des Individuums, in dem sie sich befinden, neu geprgt.

    Stress von auen, z.B. auch Temperaturnderungen, verndert die Methylierung von Genen,die dadurch inaktiv werden (Epigenese). TEs leiten eine Methylierung benachbarter Geneentweder direkt ein oder sie stren den epigenetischen Status eines Gens ihrer Nachbarschaft.

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    Die Methylierung von Genen kann lange anhalten und auf sptere Generationen vererbtwerden. Der Umwelteinfluss hat hier also nicht die Gene verndert, sondern nur dieGenexpression und damit die Merkmals-ausbildung (vgl. Campbell/Reece 2003, 334).

    17. Zur Entwicklung des Lebens auf der Erde

    Die chemische Evolution in der Frhzeit der Erde

    Nachdem sich vor ca. 4.2 Mrd. Jahre die feste Erdkruste, Urozeane und eine sauerstofffreieAtmosphre gebildet hatten, waren die Bedingungen fr die Bildung organischer Stoffe ausanorganischen Stoffen gegeben. ber das wie dieser chemischen Evolution gibt es mehrereHypothesen.

    1. Die Ursuppen-Hypothese

    Der berhmte Versuch des amerikanischen Chemiker S.L. Miller i Labor von H.C. UreyAnfang der 1950er Jahre zeigte, dass in einem erhitzten Gemisch der Gase Methan (CH4),Ammoniak (NH3), Wasserdampf (H2O) und Wasserstoff (H2) das elektrischen Entladungenausgesetzt wird, in Abwesenheit von Sauerstoff innerhalb einiger Tage mehrere organischeStoffe wie Aminosuren, Harnstoff und organische Suren entstehen, Der Versuch wurde vonanderen Autoren mehrfach wiederholt und fhrte zu hnlichen Ergebnissen. Durch Variationder Versuchsbedingungen und Zugabe katalytisch wirkender Tonmineralien konnten auchverschiedene Zucker, Fettsuren und die Nukleinsurebase Adenin synthetisiert werden.Adenin ist ein zentraler Baustein von DNA, RNA und ATP (Adenosintriphosphat), das alsEnergietrger in allen Zellen wirkt.

    In der sauerstofffreien Uratmosphre der jungen Erde entstanden (wie im Miller-Versuch) ausanorganischen Stoffen 10 Mill. t organischer Stoffe pro Jahr. Es entstanden organischer Filmean Gesteinsoberflchen in hoher Konzentration. Wie daraus aber Organismen entstanden seinknnen ist unklar, denn wenn komplexe organische Molekle gebildet wurden, zerfielen dieseauch wieder.

    2. Die Impact-Hypothese

    Spter fand man organische Stoffe auch in Meteoriten, in Kometen und im interstellarenRaum. Selbst dort konnte man mit Hilfe der Spektralanalyse ca. 100 verschiedene organischeVerbindungen nachweisen (Ponnamberuma 1992, nach Walter 1999, 106; Tian et al. 2005).

    Da in der Frhzeit der Erde wesentlich mehr Meteoriten auf die Erde fielen als heute, ist essehr wahrscheinlich, dass dabei auch organische Stoffe aus dem Weltraum zur Erdegelangten.

    Fr die Annahme, dass auch Urlebewesen aus dem Weltraum ber Asteroide bzw. Meteoritenauf die junge Erde gelangt sein knnten und sich hier weiterentwickelten, gibt es aber keineBelege.

    3. Die Vulkanschlot-Hypothese

    Viele Archebakterien, die zu den primitivsten heutigen Organismen gehren, leben in heien

    Quellen. Der deutsche Chemiker G. Wchtershuser postuliert, dass die chemische Evolutionnicht in einer Ursuppe, sondern auf heien Eisen- und Nickel-Mineral-Oberflchen in der Nhe untermeerischer Vulkanschlote begann. Gase dieser Schlote enthielten

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    Schwefelwasserstoff (H2S) und Eisensulfid (FeS), die zu Pyritkristallen (FeS2) undWasserstoff reagierten. Aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid sollen Aminosuren und andereorganische Verbindungen entstanden sein.

    1998 gelang der Nachweis, dass unter solchen Reaktionsbedingungen von auen hinzugegebene Aminosuren aktiviert werden und sich zu Di- und Tripeptiden zusammenlagern,die Bausteine der Proteine sind. Die Energie zur Biosynthese solcher Verbindungen wurdedurch Bildung von Pyrite aus FeS und H2S bereitgestellt (Wchtershuser 2006, nachKutschera 2008, 136).

    Die Entstehung der ersten Organismen

    Auch ber die Entstehung von Lebewesen ausorganischen Stoffen gibt es mehrere Hypothesen.

    Nur die jngste, erst 2009 verffentlichte Hypothesesoll hier vorgestellt werden. Sie wird von demamerikanischen Geologen Mike Russell (Pasadena)in Kooperation mit dem deutschen BotanikerWilliam Martin (Universitt Dsseldorf) vertreten.

    Danach bildeten sich vor 4 Mrd. Jahren die erstenZellen, noch ohne genetisches Material, in Porenkalkiger Schlote, aus denen am Meersgrundmineralhaltiges Wasser mit maximal 90Causstrmte. Solche Schlote gibt es heute noch. Anden Schloten mischte sich das heie, mineralhaltigeQuellwasser mit dem kalten, kohlensurehaltigenMeerwasser. Das chemische Geflle zwischen beidenFlssigkeiten setzte Reaktionen in Gang, in derenVerlauf einfache organische Molekle entstehen. DiePoren der Schlotwnde haben nur so kleineDurchlsse, dass nur kleine Molekle ins Inneregelangen. Dort knnen sich kurze Moleklketten zulngeren Ketten vereinigen, die wegen ihrer Gredie Poren nicht mehr verlassen knnen, whrend die

    kleinen Molekle von Abfallstoffen wieder nachdrauen gelangen. An den Innenwnden der Porenlagern sich wasserabweisende (lipophile)Verbindungen an, die mit der Zeit eigenstndigeHllen bilden, die ebenfalls nur fr kleine Molekledurchlssig sind. Dort, wo die kalkigen Porenaufbrechen, knnen die ersten Uzellen ihreGehuse verlassen.

    Beide Forscher arbeiten an einem Generator, der dieBedingungen an solchen heien Quellen simuliertund organische Stoffe bis hin zu Proteinen erzeugensoll.

    Abb . 11: Entstehung der ersten Zellenim Inneren von halbdurchlssigenGesteinsporen nach Russell und

    Martin

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    Solche Zellen knnen sich noch nicht selbst vermehren. Dazu bedarf es der RNA-Molekle, die zur Selbstverdopplung fhig sind. Auer normalen RNA-Moleklen gibt es dieum 1980 von Cech und Mitarbeitern entdeckten Ribozyme, de sich selbst vermehren undgleichzeitig als Enzyme wirken, d.h. Reaktionen organischer Molekle katalysieren. Sobald

    solche Ribozyme in den Urzellen aus kurzen RNA-Bausteinen entstanden waren, konnte derStoffwechsel schneller ablaufen und die Zellen sich auch teilen. Wie das zustande kam, istnoch nicht bekannt Es wird. aber vermutet, dass es in den Metallsulfidblasen anTiefseequellen zu einer Co-Evolution von RNA und Peptiden gekommen ist.Adenosinmonophosphat (AMP) polymerisierte wahrscheinlich zu kurzen RNA-Ketten. Diesekonnten Aminosuren kurzzeitig binden und miteinander zu Peptiden verkoppeln, so wie dasTransfer-RNA heute noch tut. So konnte man nachweisen, dass der RNA-BausteinPolyadenosin aus einer verdnnten wssrigen Lsung von Aminosuren die AminosureLysin auswhlt. Tatsclich codiert das Triplett AAA auch heute noch Lysin. Nach Ansichtvon Copley und Smith whlten Nukleotide nicht nur anderswo gebildete Aminosuren aus,

    sondern stellten sie sogar selbst her (vgl. Russell 2007, 79).Einig sind sich die Forscher, dass die ersten vor mehr als 3,8 Mrd Jahren entstandenenbakterienhnlichen Zellen einstrngige RNA als genetische Substanz hatten. Deshalb sprichtman von RNA-Welt. Erst spter, wahrscheinlich vor cs. 3,5 Mrd. Jahren, entstand diedoppelstrngige und damit stabilere DNA.

    Die ltesten nachgewiesenen Organismen

    Dass es vor 3,8 Mrd. Jahre bereits Organismen gab, wei man durch Funde, bei denen

    organischer Kohlenstoff angereichert ist, den man an einem bestimmten Mengenverhltnis derKohlenstoff-Isotope 12C und 13C erkennt. Man bezeichnet dies als Isotopensignal 12C/13C.

    Die ltesten Fossilien von Bakterien sind 3,5 Mrd. Jahre alt. Sie drften bereits DNAbesessen haben.

    Vor 2,7 Mrd. Jahren gab es die ersten Cyanobakterien. Sie setzten Sauerstoff frei, derzunchst Eisen oxidierte und seit 2,3 Mrd. Jahren in die Atmosphre gelangt. Die ersteneinzelligen Eukaryoten entstanden vor 2,1 Mrd. Jahren, die ersten mehrzelligen Organismen(Algen) vor 1,2 Mrd. Jahren (Campbell/Reece 2003, 611/612)

    Die Entstehung echter Zellen (Eucyten) durch Endosymbiose

    Symbiosen zwischen Organismen sind eine treibende Kraft der Evolution.

    Die Endosymbiontentheorie besagt, dass in der Frhzeit des Lebens, als es nur Bakterien undArchebakterien gab, durch eine Symbiose zwischen Archebakterien und Bakterien, die inArchebakterien einwanderten, die ersten echten Zellen (Eucyten) und damit die Vorluferaller Einzeller, Pflanzen, Pilze und Tiere entstanden..

    Echte Zellen (Eucyten) haben Durchmesser zwischen 5 und 200 m, besitzen einen Zellkern,in dem sich DNA befindet, und enthalten im Plasma Mitochondrien von ca. 1 m Breite.Grne Pflanzenzellen besitzen zustzlich Chloroplasten von ca. 3 m Durchmesser.Mitochondrien liefern Energie durch die Veratmung von Nhrstoffen mit Hilfe vonSauerstoff. Chloroplasten erzeugen mit Hilfe von Licht aus CO2 und H2O Kohlenhydrate.

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    Mitochondrien und Chloroplasten besitzen etwas DNA und knnen sich vermehren.

    Bakterienzellen (Procotyten) haben dagegen nur Durchmesser von 0,3 bis 3 m, besitzenweder Mitochondrien noch Chloroplasten und auch keinen Zellkern. Ihre DNA liegt frei im

    Plasma (s. Abb. 12)

    Abb. 12: Feinbau eine Bakterienzelle (Protocyte) und einer echten Zelle(Eucyte)

    Viele Bakterien gewinnen aber ihre Energie auch durch Atmung, und Cyanobakterien (frherBlaualgen genannt) betreiben Fotosynthese.

    Bereits 1905 verffentlichte der russische Biologe Constantin Mereschkowsky die Hypothese,dass Chloroplasten aus Cyanobakterien (Blaualgen) hervorgegangen sind, die in der Frhzeitder Evolution in nichtgrne echte Zellen eingewandert sind und dort in Symbiose mit derZelle lebten (Symbiogenesis-Konzept).

    1923 verffentlichte der amerikanische Anatom Ivan Wallin die Hypothese, dass auch dieMitochondrien der Tier- und Pflanzenzellen aus eingewanderten, ehemals frei lebendenBakterien hervorgegangen sind (vgl. Kutschera 2008, 146). Dies Hypothesen wurden damalsnicht ernst genommen.

    Nach 1960 formulierte die russisch/amerikanische Biologin Lynn Margulis nach Studien ber

    cytoplasmatische Vererbung, also Vererbung auerhalb des Zellkern, die Theorie der serielleprimren Endosymbiose. Danach sind in der Frhzeit der Evolution nacheinander Bakterienin Zellen eingewandert und dort zu Mitochondrien geworden, danach wanderten

    Cyanobakterien ein und wurden zu Chloroplasten. Die Urzelle soll durch Symbiose vonSpirochaeten mit wandlosen Archebakterien entstanden sein (Margulis 1993). Der Ursprungder Wirtszellen, die vor der Endosymbiose die Urozeane besiedelten, ist unbekannt.

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    Sptere Forschungen haben aber ergeben, dass die Eucyten wahrscheinlich nicht durchEinwanderung von Bakterien in eine vorhandene Eucyte, sondern im sauerstofffreien Urozeandurch Aufnahme eines Bakteriums in ein greres Archebakterium entstanden sind und derZellkern erst danach entstand (s. Abb. 13).

    Abb. 13: Endosymbiose. A Wasserstoffhypothese der primrenEndosymbiose (Modell von W. Martin und M. Mller), B Zeitlicher

    Verlauf der primren Endosymbiose

    Zwei Grnde fhrten zu dieser Hypothese:

    1. DNA-Sequenzanalysen fhrten zu dem Ergebnis, dass die Gene in Kernen der Eucytenaus zwei Bereichen entstammen:, aus den Eubakterien (Bacteria) und den Archebakterien(Archaea).

    2. Viele Bakterien sind in der Lage, aus ihrer Umwelt gelste organische Stoffe

    aufzunehmen und daraus Energie und Zucker zu gewinnen, wobei alsAusscheidungsprodukte Wasserstoff, Kohlendioxid und Acetat abgegeben werden.Bestimmte Archebakterienknnen diese Produkte als Energiequelle nutzen und dabeiMethan freisetzen.

    Aus diesen und anderen Befunden wurde 1998 die Wasserstoffhypothese der primrenEndosymbiose abgeleitet (Martin/Mller-Hypothese). In einem zweiten Schritt soll ein Teildieser Tierzellen spter durch Aufnahme frei lebender Cyanobakterien zu einerchlorophyllhaltigen Pflanzenzelle geworden sein (vgl. Kowallik 1999).

    Den Verlauf der Evolution von der Entstehung der Erde bis zur Entstehung der Tiere, Pilzeund Pflanzen zeigt Abb. 14.

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    Abb. 14: Geologische Zeitskala mit Schlsselereignissender pro- undeukaryotischen Zell-Evolution (nach Kutschera und Niklas 2005)

    Die Entstehung der Wirbeltiere

    Evo Devo-Forscher nehmen an, dass vor 520 Mio Jahren beim Vorfahren der Wirbeltiere eineVerdopplung eines Hox-Clusters dazu fhrte, dass genetisches Material verfgbar war, daszur Entstehung der ersten Wirbeltiere fhrte. Eines der Cluster-Duplikate knnte vllig neueAufgaben bernommen haben, z.B. die Steuerung der Entwicklung einer Wirbelsule.

    Spter, vor 425 Mio Jahren kam es zu einer zweiten Verdopplung der beiden Cluster,wodurch die vier Cluster entstanden, die bei den meisten Wirbeltieren vorkommen. Diesermglichte noch mehr strukturelle Komplexitt, etwa die Entwicklung des Kiefers und derExtremitten (nach Campbell/Reece 2003, 563, s. Abb. 15).

    Abb. 15: Verdopplung des gleichen Hox-Clusters vor 520 und 425 MioJahren, die mglicherweise zur Entstehung der Wirbeltiere, des Kiefers

    und der Extremitten fhrte

    Im Devon, vor etwa 420 Mio Jahren lebten Fische mit 4 Extremitten mit einemOberarmknochen und zwei Unterarmknochen. Diesen Aufbau zeigen auch die Extremittenaller landlebenden Wirbeltiere. Diese Extremitten hatten am Ende je nach Art 5 bis 12Finger Von einem Fisch, dessen Extremitten nur 5 Finger hatten, stammen alle Amphibien,

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    Reptilien, Vgel und Sugetiere ab. Die Fnffingrigkeit blieb whrend der 420 Mio Jahredauernden Evolution aller Landwirbeltiere erhalten. Bei einigen bildeten sich einige Fingerzurck, z.B. bei Pferden. Aber embryonal sind auch dort alle 5 Finger angelegt (Meyer 2009)

    Abb. 16: Skelett des tetrapoden, siebenfingrigen Fischs Acanthostega ausdem Devon

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    Ob die Evolution strker durch wenige Mutationen in wenigen Genen mit groen Effektenoder durch viele Mutationen mit kleinen Effekten vorangetrieben wurde, bleibt noch offen(vgl. Meyer 2008, 9)

    Die Auslschung von Organismen durch erdgeschichtliche Katastrophen

    Mehrfach in der Erdgeschichte traten Katastrophen auf, bei denen bis zu 90% allerOrganismen ausgelscht wurden.

    1. Die prkambrische Vereisung:

    An der Wende vom Prkambrium zum Kambrium, vor ca. 6oo Mill. Jahren, war die Erdeweitgehend vereist. 75 % aller Arten starben aus. Vulkane, die auch whrend derVereisung aktiv waren, reicherten die Atmosphre zunehmend mit CO2 an. Dadurch

    erwrmte sich die Atmosphre und das Eis schmolz weitgehend ab. Die Erwrmung derOzeane fhrte besonders in den Flachwasserbereichen zu einer schnellen Entwicklungder Organismen. Innerhalb weniger Millionen Jahre entstanden fast alle heute nochexistierenden Tierstmme. Man spricht deshalb von der kambrischen Explosion derArten.

    2. Artensterben am Ende des Perm:

    Vor 251 Mill. Jahren erfolgte die grte Massenauslschung von Organismen. 70 % derLandorganismen und 90 % der Meeresorganismen starben aus. Als Ursache vermutetP.D. Ward (Spektrum 3/2007) eine Zunahme an giftigem Schwefelwasserstoff in

    oberflchennahem Wasser bei gleichzeitiger Abnahme von Sauerstoff. Dies gingwahrscheinlich zurck auf eine Zunahme vulkanischer Aktivitt, bei der die groenTrapp-Basaltdecken in Sibirien entstanden. Dabei gelangte viel CO2 und Methan in dieAtmosphre, wodurch sich diese stark aufheizte. Dadurch konnte weniger Sauerstoff imOzean gelst werden. Schwefelwasserstoff und davon lebende Bakterien stiegen vomMeeresgrund bis zur Wasseroberflche. Die auf Sauerstoff angewiesenen Organismenerstickten. Aus dem Wasser aufsteigender Schwefelwasserstoff verteilte sich in derAtmosphre, vergiftete Pflanzen und Tiere, erreichte die Ozonschicht und lste diese auf.Dadurch drang UV-Licht tiefer in die Atmosphre ein und vernichtete einen Groteil derverbliebenen Organismen. Das Ende dieser Vorgnge knnte erfolgt sein durchAbnahme der vulkanischen Aktivitt und die allmhlich Zunahme derSauerstoffproduktion durch die berlebenden Cyanobakterien (Blaualgen) der Ozeane.

    3. Das Aussterben der Dinosaurier am Ende der Kreidezeit

    Vor 65 Mill. Jahren, am Ende der Kreidezeit erschtterte die Erde ein Ereignis globalenAusmaes. Auf der Halbinsel Yucatan am Golf von Mexiko schlug ein Asteroid von ca.10 km Durchmesser mit einer Geschwindigkeit von 25 km/s auf die Erde. DieserEinschlag ist belegt durch den inzwischen gefundenen 180 km breiten Chicxulub-Kraterund eine weltweit vorhandene Iridiumschicht aus dieser Zeit, die beim Aufprall entstand.Eine hohe Flutwelle berschwemmte weite Teile Mittelamerikas. Die beim Aufschlagentwickelte Hitze fhrte zu langanhaltende Waldbrnden auf groen Flchen. Die beim

    Aufprall aus dem Einschlag-Krater ausgeschleuderten Mengen an Staub gelangten in dieobere Atmosphre und umkreisten als riesige dunkle Wolke, die die Sonne verdunkelte, jahrelang die Erde. Die Folge war ein Rckgang der Fotosynthese und damit der

  • 8/8/2019 Korona 109

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    Vegetation. 70 % der Pflanzen und Tiere starben aus. Tiere, die groe Mengen Nahrungbrauchten, wie die groen Dinosaurier verhungerten schnell und starben zuerst aus.Lediglich kleine Formen und eine Teil der Vgel (Nachkommen der Dinosaurier) blieben erhalten. Damit erhielten in der darauf folgenden warmen Tertirzeit die

    ursprnglich kleinen Sugetiere, die in Wohnhhlen im Boden Schutz vor Dinosaurierngefunden hatten, die Chance, frei lebende Groformen bis hin zu Elefanten zuentwickeln.

    Es wird jedoch bezweifelt, ob dieser Einschlag allein ausreichte, das Artensterbenweltweit zu erklren, zumal durch eine Bohrung ermittelt wurde, dass die Iridiumschicht200.000 bis 300.000 Jahre jnger als dieser Krater ist. Wahrscheinlich ging etwas spterein noch grerer Asteroid auf die Erde nieder, der aber ins Meer schlug, so dass seinKrater heute nicht mehr zu finden ist. Auerdem gab es gegen Ende der Kreidezeit einenstarken Vulkanismus, durch den z.B. die Trapp-Basalte des indischen Dekkan-Plateausentstanden. Die Vulkane brachten giftige Gase in die Atmosphre, die die Vegetationund Tierwelt schon dezimiert hatten, bevor der oder die Asteroiden einschlugen (vgl. dieDiskussion dieser Fragen im Internet).

    18. Zur Evolution des Menschen

    Ernst Haeckel verffentlichte bereits 1903 einen Stammbaum des Menschen, der die Gestalteiner knorriger Eiche hatte und an dessen Gipfel der Mensch stand (s. Abb. 17).

    Vieles an diesem Stammbaum war spekulativ, weil Forschungsergebnisse fehlten, und kanndeshalb