Kraniofaziale Techniken in der Traumatologie

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Anhand einer retrospektiven Kontroll- untersuchung unserer Traumapatienten soll die Indikationsstellung zum Ein- satz kraniofazialer Techniken in der Traumatologie erläutert werden. Dabei sollen besonders unsere Erfahrungen mit dem Bügelschnitt und den erst da- durch ermöglichten, dem Traumafall angepaßten, aus der kraniofazialen Chirurgie und Neurochirurgie stam- menden Techniken dargelegt werden [3, 9]. Die Darstellung der dorsome- dialen und der lateralen Anteile der Or- bita und hier v.a. der Sutura sphenozy- gomatica gelingt nur über den Bügel- schnitt (Abb.1). Dies ist v.a. bei der exakten Reposition einer panfazialen Fraktur von Bedeutung, da die Sutura sphenozygomatica meist nur gering ge- sprengt ist und damit als Referenzlinie für die dreidimensionale Rekonstrukti- on dient (Abb. 2). Somit können späte- re Bulbusfehlstellungen wie Enoph- thalmus, Hypophthalmus und andere Asymmetrien vermieden werden [2]. Material und Methode Wir führten an unserer Klinik eine Nachunter- suchung durch, in die alle Patienten eingingen, die im Zeitraum von 1990–1996 wegen einer komplexen Mittelgesichtsfraktur über Bügel- schnitt und unter Einbeziehen kraniofazialer Techniken versorgt wurden. Die Auswertung des Patientenguts erfolgte klinisch und radiolo- gisch mittels konventioneller Röntgenaufnah- men sowie durch Fotodokumentation. Spezielle Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 [Suppl 2] : S63–S65 © Springer-Verlag 1998 Kraniofaziale Techniken in der Traumatologie B. Nestle, C. Knebel, C.-P. Cornelius Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (Prof. Dr. Dr. med. N. Schwenzer), Universität Tübingen Dr. Dr. B. Nestle, Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Univer- sität Tübingen, Osianderstraße 2–8, 72076 Tü- bingen S63 Zusammenfassung Der Bügelschnitt bietet als opera- tiver Zugang eine gute Übersicht und ermöglicht die anatomisch ge- rechte Reposition der Fragmente bei komplexen Mittelgesichts- und Schädelbasisfrakturen. Durch die- sen Zugang ist der gleichzeitige Einsatz kraniofazialer Techniken wie Marginotomie, Lidbandfixa- tion und Knochenentnahme mög- lich. Die Primärversorgung kann dadurch optimiert und Sekun- däreingriffe können reduziert wer- den. Wir haben unsere nach diesen Techniken versorgten Patienten be- züglich funktionellen und ästhe- tischen Gesichtspunkten nachun- tersucht. Die Komplikationsrate war gering, der Vorteil jedoch sehr groß, so daß wir der Meinung sind, daß die Indikation für dieses ope- rative Vorgehen großzügiger ge- stellt werden sollte. Schlüsselwörter Kraniofaziale Techniken · Bügel- schnitt · Traumatologie ORIGINALIEN Abb. 1. Intraoperativer Situs: Osteosynthese im Bereich des Jochbogens Abb. 2. Postoperatives Röntgenbild nach Frak- turversorgung

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Anhand einer retrospektiven Kontroll-untersuchung unserer Traumapatientensoll die Indikationsstellung zum Ein-satz kraniofazialer Techniken in derTraumatologie erläutert werden. Dabeisollen besonders unsere Erfahrungenmit dem Bügelschnitt und den erst da-durch ermöglichten, dem Traumafallangepaßten, aus der kraniofazialenChirurgie und Neurochirurgie stam-menden Techniken dargelegt werden[3, 9]. Die Darstellung der dorsome-dialen und der lateralen Anteile der Or-bita und hier v.a. der Sutura sphenozy-gomatica gelingt nur über den Bügel-schnitt (Abb. 1). Dies ist v.a. bei der exakten Reposition einer panfazialenFraktur von Bedeutung, da die Suturasphenozygomatica meist nur gering ge-sprengt ist und damit als Referenzliniefür die dreidimensionale Rekonstrukti-on dient (Abb. 2). Somit können späte-re Bulbusfehlstellungen wie Enoph-thalmus, Hypophthalmus und andereAsymmetrien vermieden werden [2].

Material und Methode

Wir führten an unserer Klinik eine Nachunter-suchung durch, in die alle Patienten eingingen,die im Zeitraum von 1990–1996 wegen einerkomplexen Mittelgesichtsfraktur über Bügel-schnitt und unter Einbeziehen kraniofazialerTechniken versorgt wurden. Die Auswertungdes Patientenguts erfolgte klinisch und radiolo-gisch mittels konventioneller Röntgenaufnah-men sowie durch Fotodokumentation. Spezielle

Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 [Suppl 2] : S63–S65 © Springer-Verlag 1998

Kraniofaziale Techniken in der Traumatologie

B. Nestle, C. Knebel, C.-P. CorneliusKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (Prof. Dr. Dr. med. N. Schwenzer), Universität Tübingen

Dr. Dr. B. Nestle, Klinik und Poliklinik fürMund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Univer-sität Tübingen, Osianderstraße 2–8, 72076 Tü-bingen

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Zusammenfassung

Der Bügelschnitt bietet als opera-tiver Zugang eine gute Übersichtund ermöglicht die anatomisch ge-rechte Reposition der Fragmentebei komplexen Mittelgesichts- undSchädelbasisfrakturen. Durch die-sen Zugang ist der gleichzeitigeEinsatz kraniofazialer Technikenwie Marginotomie, Lidbandfixa-tion und Knochenentnahme mög-lich. Die Primärversorgung kanndadurch optimiert und Sekun-däreingriffe können reduziert wer-den. Wir haben unsere nach diesenTechniken versorgten Patienten be-züglich funktionellen und ästhe-tischen Gesichtspunkten nachun-tersucht. Die Komplikationsratewar gering, der Vorteil jedoch sehrgroß, so daß wir der Meinung sind,daß die Indikation für dieses ope-rative Vorgehen großzügiger ge-stellt werden sollte.

Schlüsselwörter

Kraniofaziale Techniken · Bügel-schnitt · Traumatologie

O R I G I N A L I E N

Abb. 1. Intraoperativer Situs: Osteosyntheseim Bereich des Jochbogens

Abb.2. Postoperatives Röntgenbild nach Frak-turversorgung

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Beurteilungskriterien waren Gesichtskontur,Bulbusstellung und -motilität, Sensomotorik,Ästhetik und funktionelle Aspekte.

Ergebnisse

Insgesamt gingen 59 Patienten in un-sere Nachuntersuchung ein: 50 männ-liche und 9 weibliche Patienten mit ei-nem Durchschnittsalter von 31 Jahren.45 Patienten, d.h. 76%, waren jüngerals 40 Jahre. Die Hauptdiagnose lag in34 Fällen auf den komplexen, panfa-zialen Frakturen. Die Mittelgesichts-frakturen waren häufig mit Frakturender Stirnhöhle oder mit nasoorbitoeth-moidalen oder frontobasalen Frakturenkombiniert. Isolierte Mittelgesichts-,Stirnhöhlen- oder Kalottenfrakturenfanden sich nur in 8 Fällen.

Die Lidbandfixation wurde bei 14 Pa-tienten durchgeführt. In 8 von 14 Fäl-len war das Lidband knöchern ausge-rissen und wurde mittels Mikroplat-ten osteosynthetisch refixiert. In 6 von14 Fällen wurde das rupturierte Lid-band mittels Drahtnaht reponiert undfixiert. Auch bei guter Exposition desOperationsgebiets durch den korona-ren Zugang war es oft nicht einfach,die Kanthopexie des medialen Lid-bands mit entsprechender anatomisch-funktionell korrekter Zugrichtung nachdorsomedial durchzuführen.

Eine monokortikale Kalottenent-nahme (Tabula externa) erfolgte bei 18 Patienten. Sie diente bei 5 von 18 Pa-tienten zur gleichzeitigen Rekonstruk-tion des Nasengerüsts, bei weiteren 5 Patienten zur Rekonstruktion desgroßflächig zerstörten Orbitabodensund in 2 Fällen zur Rekonstruktion derlateralen und medialen Orbitawand.

In 6 Fällen wurde die Kalottenent-nahme zur Rekonstruktion von Alveo-larfortsatz, Kieferhöhlenvorderwandoder Stirnhöhlenhinterwand sowie auchzur Deckung eines Defekts an andererStelle der Kalotte genutzt.

Bei 5 Patienten wurde eine Margi-notomie zur besseren Übersicht überdie mediale und laterale Orbitawandsowie den Orbitaboden durchgeführt(Abb.3).

Die Ergebnisse unserer Nachunter-suchung erbrachten in 83% der Fälleeine regelrechte Bulbusstellung, in 92%eine freie Augenmotilität und in 88%eine symmetrische Gesichtskontur. In12% der Fälle mußten Erythrozyten-konzentrate transfundiert werden. Die-se hohe Zahl beruht auf einem sehr ge-ringen Ausgangs-Hb bei doch häufigpolytraumatisierten Patienten mit aus-gedehnten Begleitverletzungen.

Die postoperativen Komplikationenzeigten in 6 Fällen eine temporäre Fa-

zialisstirnastschwäche, in je 4 FällenSensibilitätsstörungen frontal und imBereich des Bügelschnitts sowie in 10Fällen eine verbreiterte Bügelschnitt-narbe. Lokalisierter Haarausfall odereine verstärkte Tendenz zur Glatzen-bildung wurden in keinem Fall beob-achtet.

Schlußfolgerungen

Die oben beschriebenen kraniofazialenTechniken sind v.a. in der Hand eineserfahrenen Chirurgen einfach und ge-hen mit wenigen Komplikationen ein-her [1, 6, 8]. Dadurch kann die Primär-versorgung komplexer Mittelgesichts-frakturen optimiert werden und Sekun-däreingriffe können reduziert werden,so daß eine Indikationserweiterung fürdieses operative Vorgehen im Rahmender Versorgung von Mittelgesichts-frakturen gegeben ist [7]. So kann esals sinnvoll erachtet werden, auch beischeinbar leichteren Frakturen den Bü-gelschnitt als Zugang zu wählen, umdie offene Reposition der Fragmenteunter Sicht zu ermöglichen [5]. Dane-ben erlaubt dieser Zugang die Anwen-dung spezifischer kraniofazialer Tech-niken, die eine simultane Rekonstruk-tion von traumabedingten Gesichtsde-fekten und eine Wiederherstellung dersymmetrischen Gesichtskontur ge-währleisten [4].

Literatur

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3. Frodel JL, Marentette LJ (1993) The coronalapproach. Anatomic and technical considera-tions and morbidity. Arch Otolaryngol HeadNeck Surg 119: 201–207

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O R I G I N A L I E N

Mund Kiefer GesichtsChir (1998) 2 [Suppl 2] :S63–S65© Springer-Verlag 1998

Craniofacial techniques in traumatology

B. Nestle, C. Knebel, C.-P. Cornelius

Summary

The coronal incision is a versatileapproach to midface or skull basefractures. It allows the open reduc-tion of complex fracture sites andfacilitates canthopexy, marginoto-my or calvarian bone harvesting.By this method, primary treatmentcan be optimised and the rate ofsecondary corrective surgery canbe reduced. All trauma patients whounderwent this kind of interven-tion were re-examined to checkfunctional and aesthetic results.The complication rate was low andthe advantages of these techniquesare evident, so that it is suggestedthat the indication for this opera-tive approach should be extended.

Key words

Craniofacial techniques · Coronalincision · Traumatology

Abb.3 . Schematische Darstel-lung der Marginotomien, a su-perior, b inferior, c lateral

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4. Manson PN, Crawley WA, Yaremchuk MJ,Rochman GM, Hoopes JE, French Jr JH (1985)Midface fractures: advantage of immediateextended open reduction and bone grafting.Plast Reconstr Surg 7: 1–12

5. Marciani RD, Gonty AA (1993) Principles ofmanagement of complex craniofacial trauma.J Oral Maxillofac Surg 51: 535–542

6. Mitchell DA, Barnard NA, Bainton R (1993)An audit of 50 bitemporal flaps in primary fa-cial trauma. J Craniomaxillofac Surg 21:279–283

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8. Shepherd DE, Ward-Booth RP, Moos KF(1985) The morbidity of bicoronal flaps inmaxillofacial surgery. Br J Oral Surg 23: 1–8

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