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Krisenberatung & Krisenintervention B. Rahn 1 Krisenberatung & Krisenintervention „Wenn du jemandem ein wenig hilfst, stärkst du ihn. Hilfst du ihm zu viel, schwächst du ihn“ Fragen, Anregungen, Feedback [email protected]

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Krisenberatung & Krisenintervention

B. Rahn

1

Krisenberatung &

Krisenintervention

„Wenn du jemandem ein wenig hilfst, stärkst du ihn.

Hilfst du ihm zu viel, schwächst du ihn“

Fragen, Anregungen, Feedback

[email protected]

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Krisenberatung & Krisenintervention

B. Rahn

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Krise

krisis => Altgriechisch für Wende, Höhepunkt, Umschlagpunkt oder Entscheidung

(Stein 2009: 21)

„Menschen geraten in eine Krise, wenn sie durch bestimmte Ereignisse,

Erlebnisse oder Veränderungen so umfassend und belastend in Mitleidenschaft

gezogen werden, dass der Fortgang ihres bisherigen Erlebens und Handelns

unterbrochen wird.“ (Dross 2001: 10)

Allgemeine Definition

In Anlehnung an die klassischen Konzepte zur Krisenintervention nach Caplan und Cullberg

beschreiben Sonneck et al. (2012) psychosoziale Krisen als „den Verlust des seelischen

Gleichgewichts, den ein Mensch verspürt, wenn er mit Ereignissen und

Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht bewältigen kann, weil

sie von der Art und vom Ausmaß her seine durch frühere Erfahrungen erworbenen

Fähigkeiten und erprobten Hilfsmittel zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder zur

Bewältigung seiner Lebenssituation überfordern (Sonneck et al. 2012: 15).“

Von einer Krise ist zu sprechen wenn…

... ein psychische Belastung eingetreten ist und sich der Zustand von der Normalbefindlichkeit

mit allen Schwankungen deutlich unterscheidet.

… der Zustand schwer zu ertragen ist und zu einer emotionalen Destabilisierung führt.

… die Erlebnisse und Ereignisse die bisherige Lebensführung und Lebensziele deutlich in

Frage stellen oder unmöglich machen.

… die veränderte Situation nach Lösungen verlangt, die mit bisherigen Bewältigungsmustern

nicht bearbeitet werden können.

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Daraus ergeben sich die Kennzeichen einer Krise:

- Überforderung der Bewältigungsmechanismen

- Bedrohung der Identität

- Emotionaler Ausnahmezustand

- Extreme psychische & ggf. phys. Belastung

- Offener Ausgang (Chance vs. Risiko)

- Zeitliche Begrenzung

- Zwang zum Fähigkeitserwerb /kogn.

Umstrukturierung

Krisenformen

Cullberg (1978) und Caplan (1964) unterscheiden Krisen nach ihrem Auslöser nach:

(Lebens-)Veränderungskrisen

(auch Entwicklungskrisen)

und

Traumatische Krisen

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Definition der vier Phasen der traumatischen Krise nach Cullberg

„Eine plötzliche aufkommende Situation von allgemein akzeptierter

schmerzlicher Natur, die auf einmal die psychische Existenz, die soziale

Identität und Sicherheit und/oder die fundamentalen

Befriedigungsmöglichkeiten bedroht.“ (Cullberg 1978: 27)

Am Anfang einer traumatischen Krise steht der Schockzustand, der von wenigen Sekunden

bis zu 24h andauern kann. Darauf folgt die Reaktionsphase über die Dauer mehrerer Tage

oder Wochen. Diese Phase ist von emotional ambivalentem Verhalten gekennzeichnet und

beinhaltet Depressivität, Wut, Aggression sowie somatische Erscheinungen. Je nach Reaktion

ist in dieser Phase der Weg für die Bearbeitung bereitet (siehe Schaubild) – Bearbeitung und

Neuorientierung sind in dieser Phase bereits möglich, jedoch muss auch mit

Fehlanpassungen gerechnet werden. Zu Beginn gehen die Reaktions-, Bearbeitungs- und

Neuorientierungsphasen ineinander über und sind nicht so deutlich voneinander abgrenzbar

wie der Übergang von der Schockphase in die Reaktionsphase.

Kennzeichen der einzelnen Phasen:

1. Schockphase (wenige Sekunden bis zu 24h)

- Blockade durch Schockzustand, evtl. Realitätsverlust

- Abwehr der Wirklichkeit

- Unmöglichkeit das Geschehen zu erfassen, aufzunehmen

- Erinnerungsverlust

- Äußerlich normales bis stark abnormales Verhalten bis zu Aggression,

Dissoziation, Stupor

2. Reaktionsphase (4 – 6 Wochen)

- Warumfragen, Sinngebung, magische Vorstellungen

- (unrealistische) Schuldgefühle, Teilw. noch Wirklichkeitsverleugnung (z. B.

Halluzinationen betreffend den Verstorbenen)

- Abwehrmechanismen Verminderung der Realitätsprüfung, Rationalisierung,

Gefühlsisolation;

- Trauerreaktion mit körperlichen Symptomen, depressive Symptome, auch

Selbstdestruktion, Sozialer Rückzug, Aggression, psychosomatische Symptome

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3. Bearbeitungsphase (6 – 12 Monate nach dem Ereignis)

- Blick in die Zukunft (Perspektiven)

- Verringerung der Symptome

- Geringere Abwehrhaltung

- Übernahme von Verantwortung über sich selbst

4. Neuorientierungsphase

- Wiederherstellung des Selbstwertgefühls

- Positive Sinnfindung

- Wiederherstellung sozialer Beziehungen

Schaubild nach Cullberg entnommen aus: Sonneck et al. (2012: 16)

Veränderungskrise nach Caplan

In jedem Lebenslauf können durch den Reifungsprozess Krisen entstehen. Hierzu gehören

u.a. der Auszug aus dem Elternhaus, der Auszug der Kinder („Empty Nest“), eine Krise in der

Lebensmitte, Geburt eines Kindes, etc.

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Vier Phasen der Veränderungskrise nach Caplan

1. Konfrontation: Begegnung mit dem krisenauslösenden Ereignis, erlernte

Problemlöseverhaltensmuster (Routinereaktion) bleiben ohne Wirkung.

2. Versagen (Überforderung): Die Belastung wird nicht bewältigt – der Betroffene

nimmt sich als Versager wahr, der Selbstwert sinkt und Spannungsgefühle nehmen

zu.

3. Mobilisierung: Aktivierung von Bewältigungsstrategien mit unterschiedlichem

Ausgang

4. Bewältigung der Krise oder Rückzug & Resignation

Krisenverarbeitung und

Veränderung

Vollbild der Krise

(Neurotisierung / Chronifizierung,

Hilfe von außen notwendig)

Neuanpassung und Entwicklung von verändertem Verhalten an

die neue Situation

„Veränderungskrisen können in jeder Phase beendet werden falls der Krisenanlass wegfällt

oder weil Lösungsstrategien bzw. Bewältigungsmöglichkeiten entwickelt werden.“ (Sonneck

2000: 37)

In jeder Krise besteht die Gefahr der Chronifizierung. Faktoren, die zu einem chronischen

Verlauf führen sind u.a.

- sozialer Krankheitsgewinn (umsorgt werden)

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- Aus der Krise hervorgehende Krankheit mit Berufsunfähigkeit und daraus folgender

Existenzsicherung

- psychischer Krankheitsgewinn (Krankheit als Lösung eines bestehenden inneren

Konfliktes)

- Vermeidungsverhalten als Lösungsstrategie

Findet keine Auseinandersetzung mit der vorliegenden Problematik statt und sind mögliche

Hilfestellungen nicht gegeben, erfolgt häufig ein Rückzug aus sozialen Beziehungen und

Isolation (Sonneck 2000: 38 ff.).

Arten von Krisen (vgl. u.a. Oerter, Montada 2002 / Erikson 1973)

Die Unterscheidung erfolgt nach dem jeweils auslösenden Ereignis.

Situationskrise: Zusammentreffen mehrerer Umstände in einer bestimmten Situation

(Negative Nachricht während eines Konfliktgespräches)

Ereigniskrise: Ein spezifischer Vorfall löst die Krise aus (Unfall, Diagnose etc.)

Entwicklungskrise: Auslöser ist die Entwicklung des Menschen (siehe auch

Veränderungskrise bei Caplan)

Psychiatrische Krise: Dekompensation infolge einer psychischen Erkrankung (z.B. Ritzen

bei einer Borderlineerkrankung aufgrund von Spannungszuständen)

Kollektive Krisen: Gesellschaftliche Krisen wie Wirtschaftskrisen, Naturkatastrophen, Kriege

etc.

Kritische Lebensereignisse

Mit einer Studie aus dem Jahr 1944 von dem amerk. Entwicklungspsychologen Lindemann

wurde der Beginn der Berücksichtigung kritischer Lebensereignisse in Lebensläufen markiert.

So konnte er in seiner Studie zum Umgang mit einer Brandkatastrophe feststellen, dass

Angehörige die einen nahestehenden Menschen verloren hatten u.a. Symptome wie Grübeln

über das Ereignis, Schuldgefühle und somatische Reaktionen vorwiesen.

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Nach Rosch-Inglehart liegt ein kritisches Lebensereignis vor, wenn ein Ereignis

von den kognitiv repräsentierten Erwartungen, Gewohnheiten, Wünschen und

Befürchtungen einer Person abweicht (Rosch-Inglehart 1988: 15)

Aus späteren psychoanalytischen und sozialepidemiologischen Studien ging der heute

verwendete Begriff der Kritischen Lebensereignisse hervor und lässt sich wie folgt

charakterisieren:

1. Ungeachtet plötzlich auftretender Schicksalsschläge besitzen kritische

Lebensereignisse eine eigene Entwicklungsdynamik und stellen häufiger

Prozesse dar im Gegensatz zu einem abrupten Einschnitt (z.B. Beziehungsende,

Schulabbruch, lange Krankheit vor dem Tod eines Angehörigen).

2. Kritische Lebensereignisse erzeugen ein relatives Ungleichgewicht in

Auseinandersetzung zwischen der Person und ihrer Umwelt und beeinträchtigen

die Passung des Individuums in dessen Umwelt. Aus diesem Grund sind KL meist von

heftigen Emotionen als Reaktion gekennzeichnet. So sind Bewältigungskompetenzen

und eine Neuanpassung erforderlich.

3. Mit der Person-Umwelt-Passung kann einhergehen, dass die Ursache sowohl in der

Person als auch in der Umwelt begründet ist. Deswegen ist eine mögliche Bearbeitung

eines Ereignisses nicht nur durch die individuelle Reorganisation notwendig,

sondern auch häufig durch die Veränderung der Umwelt als Anpassung an die

eigene Situation (Brandtstädter & Lindenberger 2007: 337ff.).

Die mehr oder minder erfolgreiche Auseinandersetzung mit einem kritischen Lebensereignis

droht einen krisenhaften Verlauf zu nehmen, sobald keine angemessene Lösung als Reaktion

gefunden wird (siehe Reaktionsphase bei Cullberg & Mobilisierungsphase bei Caplan).

Kritische Lebensereignisse als Vorbedingung für:

Psychische Erkrankungen:

Wird ein vorhergehendes kritisches Lebensereignis nicht adäquat bearbeitet und ist von einer

krankhaften Reaktion begleitet, ist die Entwicklung eines Störungsbildes möglich.

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Brandstädter, Lindenberger (2007) nennen hier als Beispiel die Posttraumatische

Belastungsstörung und die reaktive Depression. 60 – 90% aller Fälle in denen eine depressive

Episode auftrat gehen demnach auf ein entsprechendes vorangegangenes Ereignis zurück.

Zugleich gehen damit spezifische Merkmale, wie eine erhöhte Verletzlichkeit der Betroffenen,

damit einher.

Somatische Erkrankungen:

Bei der Befragung von Infarktpatienten wurden von den Betroffenen mehr kritische

Lebensereignisse genannt als von der Kontrollgruppe. So lässt sich eine erhöhte

Stressbelastung durch diese Ereignisse im vergangenen Lebenslauf auf diese Erkrankung

zurückführen. Weitere somatische/psychosomatische Erkrankungen aufgrund kritischer und

unbewältigter Ereignisse können sein:

- Hauterkrankungen

- Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes

- Allgemein Herz-Kreislauf-Erkrankungen

- Krebserkrankungen

Beispiele für kritische Lebensereignisse:

Tod eines nahen Angehörigen oder Freundes, besondere Belastung am Arbeitsplatz und/oder

private Belastung, Scheidung, Umzug, Arbeitsplatzverlust, Veränderung des Arbeitsplatzes

(strukturell), Geburt eines Kindes, Übergang Schule/Uni und Beruf, Scheidung der Eltern,

schwere Krankheit, Unfall, etc.

Sowohl psychische, somatische und psychosomatische Erkrankungen haben eine

Destabilisierung der Person zur Folge. Diese Beeinträchtigung schlägt sich in dem

Identitätskonzept eines Menschen nieder.

Identität nach Petzold

Eine Krise kann die Beeinträchtigung des Selbstkonzeptes eines Menschen nach sich ziehen.

Dieses Selbstkonzept fußt auf den 5 Säulen der Identität nach Petzold (vgl. Ekert 2010: 76).

1. Leiblichkeit: Körper, Aussehen, Alter, Gesundheit, Krankheit

2. Soziales Netz: Familie, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen

3. Arbeit / Leistung / Freizeit: Beruf, Studium, Noten, sportl. Erfolge

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4. Materielle Sicherheit: Einkommen, Vermögen, Eigentum

5. Werte / Normen / Ideale: Soz./pol. Engagement, Religion, Weltanschauung

Leiblichkeit Soziales

Netz

Arbeit

Leistung

Freizeit

Materielle

Sicherheit

Werte

Normen

Ideale

Identität Petzold (1993)

Definition von Identität

lat. identitas -> Wesenseinheit

Der Begriff „bezeichnet die einzigartige Persönlichkeitsstruktur eines Menschen. Sie ist

prozesshaft, entwickelt und verändert sich das ganze Leben hindurch. Es gibt Zeiten der

Identitätsentwicklung und Zeiten der Identitätskrisen.“ (Kohröde-Warnken 2011: 114)

Identität und Krise

Auf Grundlage dieser Säulen entsteht das Selbstwertgefühl einer Person. Wenn sich das

Leben eines Menschen durch Alter, Krankheit oder andere kritische Ereignisse verändert, sind

die Säulen dahingehend beeinträchtigt, dass ein negatives Selbstkonzept entsteht.

Beispiele:

- Verlust des Arbeitsplatzes

- Körperliche Veränderungen durch Unfall, Krankheit, Alter

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- Veränderung oder Verlust sozialer Kontakte

- Geminderte Leistungsfähigkeit

- Finanzielle Einschränkungen

Diese Beispiele beeinträchtigen die 5 Säulen der Identität nach Petzold und somit das

Selbstwertgefühl (vgl. Ekert & Ekert 2011).

Krisenbewältigung

Sterbephasen nach Kübler-Ross (1971 / 1981 / 2001)

In diesem Modell geht es um die emotionalen Reaktionen auf eine Konfrontation mit dem

nahenden Lebensende. Hierbei werden von Kübler-Ross die Ängste, die mit erlebten oder

anstehenden Verlusterfahrungen einhergehen, in den Blick genommen und bearbeitet.

Beschrieben sind u.a. der Verlust

- der Gesundheit

- der Freiheit (Behandlungsbedarf, Termine)

- des Körperbildes und von Körperfunktionen

- der Lebensenergie

- von Kontrolle über die eigene Lebenssituation

Der Umgang und die Bewältigung dieser einschneidenden Erfahrungen erfordern intensive

Begleitung. Dabei geht es hauptsächlich um eine unterstützende, ruhige und stabilisierende

Begleitung (vgl. Bäumler & Maiwald 2008: 355).

Kübler-Ross hat aus ihren Studien zum Umgang mit Sterbenden zwei zentrale Thesen

abgeleitet:

Die Menschen sterben so, wie sie gelebt haben.

Menschen, die ihr Leben bewusst verbracht haben, werden am Lebensende leichteren

Zugang zu sich selbst haben und sich mit ihrer Situation konstruktiv auseinandersetzen

können. „Gelebtes Leben im Sinne eines erfüllten Lebens lässt sich leichter loslassen

als ein nichtgelebtes, unerfülltes Leben, ein Leben der verpassten Chancen.“ (Kübler

Ross in: Charlier 2001: 135)

Die Menschen sterben nicht allein.

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In Interviews mit klinisch toten und reanimierten wurde bestätigt, dass Sterbende häufig

beschreiben, sie werden von Verwandten und Angehörigen, die vor ihnen gestorben

sind, erwartet. Dies nimmt den Betroffenen die Angst vor dem Tod.

Aus den Interviews und Gesprächen mit Patienten ist das Sterbephasenmodell

hervorgegangen. Hieraus entwickelte Kübler-Ross 5 Phasen, die Betroffene durchlaufen

(Kübler-Ross 1971):

1. Schock: Nichtwahrhabenwollen und Isolierung, Verleugnung

Durch die Mitteilung durch den behandelnden Arzt gerät der Betroffene in einen

Schockzustand und ein Gefühl der Panik tritt auf. Dies hat eine direkte Verdrängung

zur Folge: „Nein, ich nicht!“ Weder Gedanken oder Gefühle lassen zu, dass das

Ereignis akzeptiert und angenommen wird in dieser Phase. Es folgt der Versuch, sich

an Gewohnheiten festzuhalten und wie bisher weiterzumachen.

2. Gefühle: Depression & Auflehnung

Diese Phase kann sich nach innen und nach außen zeigen. Innerlich herrschen

Depression und die Angst vor dem, was vor einem liegt. Ein Gefühl der Sinnlosigkeit

des Weitermachens kommt auf, Selbstmitleid und Vorwürfe kommen auf. Nach außen

gewandte Gefühle können durch Aggressionen gegenüber gesunden Menschen oder

gegen die behandelnden Ärzte gekennzeichnet sein („Ich wurde falsch behandelt“).

Möglichkeit zur Aussprache des Gefühlslebens (Katharsis)1

3. Verhandeln

Schicksalsverhandlungen „lass mich weiterleben“. Der Betroffene würde alles daran

setzen, den fortschreitenden Sterbeprozess aufhalten zu können und der

Hoffnungsschimmer wird festgehalten. In dieser Phase wird ein „Feilschen“

beschrieben: „Vielleicht muss ich ja doch nicht sterben, wenn ich mich in Zukunft

gesund ernähre.“ Eine weitere Form der Verhandlung ist die Verzögerung des

Todeszeitpunktes: „Wenn ich schon sterben muss dann will ich noch bestimmte Dinge

vorher miterleben“ (Studienabschluss der Kinder / Geburt der Enkel etc.). In der

1 Psychologen verstehen unter Katharsis die die reinigende Kraft, die darin liegt, Gefühle aussprechen und darüber nachdenken zu können (u.a. Oerter 1999 / Charlier 2001).

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Literatur wird eine Häufung von Sterbedaten in der Nähe solcher Ereignisse

beschrieben (Kübler-Ross 1971 / Charlier 2001).

4. Depression & Erkennen

Aufgrund dieser Phase hat das Modell von Kübler-Ross besondere Bedeutung für den

Verlauf einer Lebenskrise. Hier ist der Zeitpunkt der Wendung im Verlauf der Krise

angesiedelt, denn es geht um die Frage „Was bedeutet die Tatsache des

bevorstehenden Todes, des Sterbenmüssens für mich?“ Über die Bearbeitung dieser

Frage kommt der Betroffene zur Annahme des Todes. Der Krisencharakter zur

Auseinandersetzung mit der Krisensituation wird hier deutlich:

Krise & Chancen in der Krise:

Zunächst löst die Tatsache der eigenen Sterblichkeit Verzweiflung aus. Auf der

Handlungsseite stehen die Chancen zur Bewältigung unerledigte Dinge zu klären.

Hierzu können u.a. die Bearbeitung familiärer Konflikte, die Regelung der beruflichen

Nachfolge oder das Testament gehören.

An diesem Wendepunkt entscheidet sich letztlich, ob der Mensch weiterhin gegen den

Tod ankämpft oder ob er die Tatsache annehmen kann.

5. Verbindlichkeit & Akzeptanz

Nach Verhandlung und Depression folgt die Akzeptanz der Situation in Form von

Resignation. Der sterbende Mensch nähert sich der Verbindlichkeit der Annahme des

Todes. Diese Annahme zeigt sich in verantwortungsvollem Handeln, was über eine

passive Resignation hinausgeht. Als Voraussetzung muss der Betroffene in seiner

persönlichen Lebensbilanz zu einem für ihn zufriedenstellenden Ergebnis kommen

(Charlier 2001).

Die Phasen sind nicht als Gesetzmäßigkeit zu verstehen und können Abweichungen

beinhalten (siehe Schaubild, nichtlinearer Verlauf). Insbesondere die Dauer und die

Reihenfolge der einzelnen Phasen sind individuell unterschiedlich. Wenngleich eine Person in

der letzten Phase angekommen ist, kann darauf eine Phase der Depression folgen oder auch

der parallele Verlauf zweier Phasen erfolgen.

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Grafik entnommen aus Bäumler & Maiwald (2008: 355)

Trauerkrise nach Kast (1989)

Aufbauend auf dem Modell von Kübler-Ross und einem Phasenverlauf von John Bowlby

(1970) wurde von Kast (1982) ein Vier-Phasenmodell mit psychoanalytischem Hintergrund

erarbeitet. Diese Phasen dienen als Orientierungshilfe und verlaufen ebenfalls nicht immer

linear (Sammer 2010).

Der Trauerprozess nach dem Tod eines nahestehenden Menschen ist in folgende Phasen

eingeteilt:

1. Phase: Nicht-wahrhaben-Wollen (Dauer: einige Stunden, bis mehrere Tage)

Betroffene weigern sich zu glauben, der Verlust sei real und reden sich ein, es sei ein

böser Traum. Dies wird als Schutzfunktion beschrieben, in der sich Körper und Seele

gegen eine Überwältigung zu starker Gefühle schützen. In dieser Zeit können

notwendige Arbeiten, wie etwa die Regelung von Formalitäten, erledigt werden ohne

von den eigenen Gefühlen überrannt zu werden. Diese Phase kann länger andauern,

wenn der Verlust plötzlich auftritt, im Gegensatz zu vorheriger schwerer Krankheit des

Angehörigen.

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2. Phase: Aufbrechende Emotionen

Heftige Gefühle, zum Teil widersprüchlich, wie Zorn, Schuld, Angst, Schmerz,

Sehnsucht, Liebe können kurz hintereinander folgen. Dies zeigt, dass der Betroffene

den Halt verliert. Der Körper kann in dieser Phase ebenso aus dem Gleichgewicht

geraten. Dies äußert sich durch Schlafmangel, nicht ruhig sitzen können, Heißhunger

oder Appetitlosigkeit. Häufig wird nach einem Schuldigen für den Verlust gesucht

(Ärzte, höhere Mächte, Schicksal). Teil der natürlichen Ablösung von dem

Verstorbenen ist in dieser Phase der Zorn auf ihn – diese Reaktion wird von

Außenstehenden meist fehlinterpretiert und kann schwer nachvollzogen werden.

Diese Phase wird als die schwierigste und schmerzlichste Phase der

Trauerbewältigung erlebt.

3. Phase: Suchen & Sich-Trennen

Die Gefühlsausbrüche und heftigen Emotionen beginnen sich langsam zu legen,

Körper und Seele stabilisieren sich wieder. Erkennbar ist dies nach einer Suche nach

Erinnerungsstücken wie Fotos oder der Besuch von Orten, die an den Verstorbenen

erinnern. Hier beginnt der Zeitpunkt, indem sich der Trauernde in Gedanken mit dem

Verlust auseinandersetzt – in dieser Phase ist es wichtig, dass Betroffene Geschichten

über den Verstorbenen erzählen können und Gehör finden. Als besonders hilfreich für

die weitere Verarbeitung erweist es sich, wenn ungelöste Probleme im Gespräch

bearbeitet werden können2.

4. Phase: Neuer Selbst- und Weltbezug

Orientierung nach außen, Rückerlangung der Selbstständigkeit und des aktiven

Handelns. Der Verlust des Angehörigen wird akzeptiert und es werden neue Muster

der Lebensführung als Bereicherung empfunden. Es beginnt die Zeit der „Heilung der

Wunden“, sobald die Situation nicht mehr verleugnet wird. Trauenden gelingt es

wieder, das Hier und Jetzt wahrzunehmen und nach vorne zu schauen – das seelische

Gleichgewicht wird mit der neuen Situation wiederhergestellt.

(Kast 1982 in: Sammer, U. 2010: 72ff.)

In positiv verlaufenden Trauerprozessen erkennt der Betroffene das vergebene Suchen und

beginnt den Verlust zu akzeptieren. An Tagen, die ein besonderes Ereignis darstellen wie den

Geburts- oder Todestag des Verstorbenen kann es immer wieder zu Gefühlsausbrüchen

2 Je nach Art des Konfliktes ist professionelle Unterstützung durch einen Therapeuten notwendig.

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kommen. In der Literatur wird davon ausgegangen, dass ein Trauerjahr durchlebt werden

muss. Dies wird damit erklärt, dass Hinterbliebene alle Ereignisse alleine durchlaufen müssen,

um eine Chance der Neuorientierung und Neudefinition dieser Ereignisse zu haben (vgl. u.a.

Palmen 1998 / Stein 2009).

Belastende Faktoren für den Trauerprozess

Rando (1997 in: Langenmayr 1999: 29 f.) beschreibt besonders belastende traumatische

Erlebnisse als Hindernisse für einen Trauerprozess:

- Plötzlichkeit und fehlende Antizipation des Geschehens

- Gewalt, Verletzung, Zerstörung (z.B. bei Hinterbliebenen von Mordopfern im Sinne von

Rachegedanken)

- Vermeidbarkeit und/oder Zufälligkeit (Unfall bei einer Busreise – der Unfall wäre

vermeidbar gewesen, wäre die Reise nie angetreten worden)

- Der Verlust eines Kindes

- Gleichzeitiger Verlust mehrerer Personen

- Persönliche Begegnung mit dem Tod nach dem Trauerfall (z.B. Krankheitsdiagnose)

- Tod durch Suizid

- Unsicherheit über den Verlust und die Umstände

- Der Tote wurde nicht gefunden

Als sozial belastende Begleitumstände gelten:

- Soziale Desintegration / Fehlendes hilfreiches soziales Netz

- Mangelnde soziale Unterstützung

- Finanzielle Probleme

- Wenn alle Hinterbliebenen so tun als wäre nichts passiert

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Krisenverarbeitung nach E. Schuchhardt

Eingangsstadium Durchgangsstadium Zielstadium

Kognitiv-reaktiv,

fremdgesteuerte Dimension

Emotional, ungesteuerte

Dimension

Reflexiv-rational.

selbstgesteuerte Dimension

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Krisenmanagement und Integration3

Lebenslauf-Krisen

Vorhersehbar an Schaltstellen der Lebensgeschichte (vgl. Veränderungskrisen)

Unvorhersehbar an Rissen in der Lebensgeschichte (Traumatische Ereignisse etc.)

Lebensbruch-Krisen

Unvorhersehbar an Rissen der Lebensgeschichte (vgl. Traumatische Krisen)

3 Grafiken entnommen aus: http://www.prof-schuchardt.de/kongress/local_images/abstract_dt_final.pdf

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Die 8 Spiralphasen nach Schuchardt (2006)

Spiralphase 1: Ungewissheit

„Was ist hier eigentlich los?“

Am Anfang steht das auslösende Ereignis, welches zum Schock führt. Der Betroffene befindet sich

in einem Angstzustand und versucht alles um den Krisenzustand zu verdrängen. Für die

professionelle Begleitung empfiehlt Schuchardt die Berücksichtigung von drei Unterphasen, die zum

einen von unterschiedlicher Dauer sein, als auch parallel existieren können.

Unterphase 1.1.: Unwissenheit

- Noch-nicht-Wissen als Nichtanerkennung

- Bagatellisierung des Ereignisses „Was soll das schon bedeuten?“

- Führt zur Hauptphase der Ungewissheit

- Phase geht vorüber, sobald sich mehrende Fakten der Umwelt bündeln

Unterphase 1.2.: Unsicherheit

- Die Unwissenheit weicht der Unsicherheit „Hat das doch etwas zu bedeuten?“

- Aufkommende Zweifel am Ereignis werden nicht mehr negiert

- Erhöhte Sensibilität

- Realität wird noch nicht anerkannt

- Wissende (Ärzte, Angehörige, Mitpatienten etc.) tragen in dieser Phase Verantwortung und

beeinflussen den Prozess des Erkennens

- Aus der wachsenden Unsicherheit entsteht NICHT die Fähigkeit, die Wahrheit anzunehmen

– im Gegenteil: Angesichts der Bedrohung verstärkt sich die Verteidigungshaltung

(Kennzeichen für die dritte Unterphase)

Unterphase 1.3.: Unannehmbarkeit

- Unfähigkeit zur Annahme des Verlustes von Lebensmöglichkeiten „Das muss doch ein

Irrtum sein?“

- Versuche der Abwehr gegen drohende Gewissheit häufen sich

- Selektive Wahrnehmung: Nur das Sehen, was „beruhigende Unwissenheit“ bestätigt

Am Ende der drei Zwischenphasen steht der unausgesprochene Wunsch nach erlösender

Gewissheit, die der Spannung ein Ende bereitet.

Spiralphase 2: Gewissheit

„Ja, aber das kann doch nicht sein?“

Nach der Phase der Ungewissheit folgt die Gewissheit über den Verlust von Lebensmöglichkeiten.

- Trotz Erkennung der Krise wird sie hin und wieder geleugnet: Fortsetzung der

Lebensfähigkeit.

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- Bereitschaft die Wahrheit anzunehmen

- Aufrechterhaltung von Hoffnung, die Anzeichen seien ein Irrtum

- Verstandesmäßiges „JA“ versus emotionalem „NEIN“

- Gespräche als klärende Hilfe (vgl. 2. Phase bei Kübler-Ross: diffuse Gefühlsäußerungen)

Spiralphase 3: Aggression

„Warum gerade ich?“

Aggression als Einleitungsphase zur emotionalen Verarbeitung. Auf die rationaleren ersten beiden

Phasen folgen die Phasen emotionaler und ungesteuerter „vitaler Gefühlsausbrüche“.

- Sehr qualvolle Erfahrungen in dieser Phase

- Starke Gefühlsausbrüche gegen die eigene Umwelt

- Protest im Sinne von Aggression

- Ersatzobjekte der Aggression in alle Richtungen weil Auslöser selbst nicht fassbar

Gefahr ohne Begleitung: Aktive und passive „Selbstvernichtung“ durch Aggressionen

und/oder soziale Isolierung sowie apathische Resignation.

Spiralphase 4: Verhandlung

Ergreifung von Maßnahmen um der Ohnmacht zu entgehen. Die vorhergehenden emotionalen

Ausbrüche verändern sich in nahezu wahllosen Aktionismus.

- Feilschen und verhandeln

- Je nach wirtschaftlicher Lage und Wertorientierung des Betroffenen lassen sich zwei

Richtungen der vermeintlichen Lösungen erkennen:

Nutzung eines „Ärzte-Warenhauses“ im Sinne einer wahllosen

Konsultation durch mehrere Ärzte.

Beschreiten von „Wunder-Wegen“ (Wallfahrten, Handauflegungen,

Ablegung von Gelübden)

- Alles unter der Prämisse „Wenn, dann muss aber!“

Materieller und geistiger Ausverkauf vergleichbar mit Sterbephase drei.

Spiralphase 5: Depression

„Wozu, alles ist sinnlos“

Es bleibt nicht aus, dass die Verhandlungen mit dem Schicksal und der Aktionismus nicht erfolgreich

sind.

- Nach außen gerichtete Emotionen nehmen ab

- Vorangegangene Phasen werden als Scheitern interpretiert, was zur Verzweiflung und

Resignation führt.

- Trauer und Tränen als Anzeichen passiven Widerstandes (der Betroffene setzt sich mit dem

Gefühl des Verlustes auseinander)

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- Nicht nur rationale, sondern auch emotionale Erfassung des Ereignisses

- Rezipieren von Verlusterfahrungen vs. Antizipieren von zukünftiger Lebensminderung als

Bearbeitung unrealer Hoffnungen.

Spiralphase 6: Annahme

„Ich erkenne jetzt erst…“

Charakteristisch ist die bewusste Erfahrung der Grenzen der eigenen Handlungsmöglichkeiten, die

Widerstandskraft ist erschöpft.

- Betroffene fühlen leer und willenlos, aber befreit

- Verlustängste wurde „ausgetrauert“

- Bereit zu neuer Einsicht

- Annahme und Leben mit der individuellen Eigenart (gelähmte Beine, Rollstuhl etc.)

- Statt gegen, leben mit der Krise

- Beschämung durch die Verhaltensmuster der vorhergehenden Phasen

Die Annahme ist nicht das resignierte Aufgeben, sondern als befriedeter Zustand zu verstehen und

es ist keine zustimmende Bejahung.

Spiralphase 7: Aktivität

„Ich tue das…!“

Durch den Entschluss mit der Krise zu leben werden Kräfte mobilisiert, die zuerst gegen die Krise

bzw. den Krisenanlass verwendet wurden.

- Selbststeuerung unter Einsatz aller rationalen und emotionalen Fähigkeiten

- Indirekte Umstrukturierung der eigenen Werte/Normen und Orientierungen aufgrund

gemachter Erfahrungen.

- Sich-neu-Definieren in neuen gesetzten Grenzen

Spiralphase 8: Solidarität

„Wir handeln, wir ergreifen die Initiative!“

Unter der Voraussetzung, Betroffene wurden in den vorhergehenden Phasen begleitet, wächst das

Bedürfnis nach gesellschaftlicher Verantwortung.

- Die individuelle Eigenart wird in Beziehung zum weiteren Lebensrahmen erkannt

- Die Beeinträchtigung rückt in den Hintergrund

- Möglichkeit zur Übernahme neuer Aufgaben als „leben mit dem scheinbar

Unannehmbaren“

- Diese Art der Gestaltungsfähigkeit wird häufig als Sinn erlebt

Die Fähigkeit zur Gestaltung eines gemeinsamen aktiven Lebens wird häufig als Selbst-

Verwirklichung „durch Anders-Sein inmitten der unangemessenen Leistungsnormen unserer

Gesellschaft“ erlebt.

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Kritik an Krisenverlaufsmodellen

In neuerer Literatur4 zu Krisentheorien kommen führende Experten zu dem Schluss, dass in

den letzten Jahren große Neuerungsentwürfe ausblieben, sich aber praxisorientierte Ansätze

vervielfältigt haben. Wichtig scheint eine allgemeine Grundhaltung im Hinblick auf Krisen zu

entwickeln. Sind es eher ungewollte, unangenehme oder gar traumatische Ereignisse. Und /

oder stellen gewisse Ereignisse eine „normale“ (nicht-pathologische und sogar willkommene)

Krise, die es zu lösen gilt bzw. an der man auch scheitern kann, dar (Oritz-Müller 2010)?

Es wird ernüchternd festgestellt, dass regelhafte Phasenverläufe von Krisen sich empirisch

nicht bestätigen lassen und lineare Verläufe durch zirkel- und spiralförmige Modelle ersetzt

werden sollten. „Die klassischen Modelle hätten allenfalls einen didaktischen, ordnenden Wert

(Dross 2001 zitiert in: Oritz-Müller 2010: 70).“

Resilienz: Grundlagen – Ressourcen – Förderung

Grundlagen & Merkmale

„Wenn sich Personen trotz gravierender Belastungen oder widriger Lebensumstände

psychisch gesund entwickeln, spricht man von Resilienz. Damit ist keine angeborene

Eigenschaft gemeint, sondern ein variabler und kontextabhängiger Prozess. In

verschiedenen Langzeitstudien in den USA und Europa wurden schützende

(protektive) Faktoren festgestellt, die dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit

gegenüber Belastungen zu unterstützen (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse 2011: 9).“

Die Wortherkunft von Resilienz stammt aus dem Lateinischen „resilire“ und steht für

„zurückspringen“ oder „abprallen“ (Wellensiek 2011: 18).

Der Begriff der Resilienz ist aus dem Englischen resilience abgeleitet und bedeutet

Spannkraft, Widerstandsfähigkeit und Elastizität und meint damit die Fähigkeit

„erfolgreich mit belastenden Lebensumständen und negativen Stressfolgen“ umgehen

zu können (Wustmann 2004: 18). Viele Definitionen des Begriffs werden je nach Disziplin in

ihren Kriterien voneinander unterschieden. Der individuellen Resilienz können externale (in

der Umwelt begründete) und/oder internale (in der Person liegende) Kriterien zugrunde gelegt

werden, die als Anpassungsleistungen an die soziale Umwelt verstanden werden können.

4 Vgl. u.a. Oritz-Müller, Scheuermann & Gahleitner (2010)

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Wustmann (2004) definiert Resilienz als „die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber

biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken“ (ebd.). Diese

Definition ist insbesondere relevant für (sozial-)pädagogische Kontexte, weil hier

psychosoziale Kriterien mit einbezogen werden.

In der Resilienzforschung wird davon ausgegangen, dass sich resilientes Verhalten dann zeigt,

wenn jemand eine Gefährdung erfolgreich bewältigt hat (z.B. Verlust einer Bezugsperson). So

ist Resilienz keine Persönlichkeitseigenschaft (und auch nicht angeboren), sondern immer an

zwei Bedingungen geknüpft:

1. Es besteht eine Risikosituation.

2. Die Person bewältigt diese Situation positiv aufgrund vorhandener Fähigkeiten.

Resilienz ist ein „dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess“ und kann sich im Laufe

eines Lebens immer wieder verändern – sie stellt damit auch eine „variable Größe“ und keine

grundsätzliche stabile Einheit dar.

Als zentrale Forschungsarbeit zur Resilienz gilt die Studie von E. Werner5, die die Entwicklung

von 700 Kindern auf einer hawaiianischen Insel über 40 Jahre lang begleitet hat. An der

Untersuchung waren Ärzte, Psychologen sowie Gesundheits- und Sozialdienste beteiligt.

Dabei wurden Schutz- und Risikofaktoren erforscht, die Einfluss auf die Entwicklung der 1955

geborenen Kinder haben. 210 Kinder wuchsen unter sozial schwierigen Bedingungen auf und

waren u.a. Armut, Krankheit oder familiären Problemen ausgesetzt. Ein Drittel dieser Kinder

zeigte trotz dieser Umstände keine Verhaltensauffälligkeiten oder pathologischen Störungen.

Zum Ende der Studie hin traten bei dieser Gruppe im Alter von 40 Jahren die wenigsten

Gesundheitsprobleme und Todesfälle auf. Auch Konflikte mit dem Gesetz oder der Bezug von

Sozialleistungen waren in dieser Gruppe nicht festzustellen (Wellensiek 2011).

Ressourcen

Bei dieser Gruppe konnten verschieden Faktoren von den anderen Teilnehmern

unterschieden werden:

Schützende Charaktereigenschaften:

- Gutmütigkeit, Ausgeglichenheit

5 Erstveröffentlichung Emmy E. Werner & Ruth S. Smith (1977): Kauai’s Children Come of Age. University of Hawaii

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- Geringe Ängstlichkeit

- Analyse- und Planungsfähigkeiten

- Gute Problemlösefähigkeiten

- Realistische Einschätzungen von Situationen

Psychisch schützende Faktoren:

- Aufbau einer stabilen Bindung an einen Erwachsenen

- Zuverlässige Unterstützung durch diese Person

- Verbindungen zu Freunden aus stabilen Familien

- Positive Rollenbilder durch Dritte (Lehrer, Pfarrer etc.)

(ebd.)

So lassen sich Schutzfaktoren in drei Bereichen erkennen:

I. Persönlichkeitsmerkmale (z.B. Ausgeglichenheit)

II. Merkmale der engeren sozialen Umwelt (z.B. Positive Bindung an einen Elternteil)

III. Merkmale des außerfamiliären Stützsystems (z.B. Freundschaften)

(Zander 2011)

Die resilienten Kinder aus der Studie von Werner neigten in Krisenzeiten dazu, Schutz und

Hilfe nicht nur über die eigenen Eltern zu suchen, sondern wendeten sich an Freunde,

Nachbarn oder weitere Vertrauenspersonen.

Resilienzförderung

Drei Leitmodelle für die praktische Arbeit auf Basis schützender Faktoren zur Förderung

resilienten Verhaltens:

Rutter (1987)

- Verringerung von Risiken, denen Kinder ausgesetzt sind

- Vermeidung negativer Kettenreaktionen aufgrund von Gefährdungen

- Förderung von Selbstwirksamkeit und Selbstwert

- Ermöglichung von Chancen

Mastens (1994)

- Risiken und Vulnerabilität reduzieren

- Reduzierung von Stressoren

- Vermehrung zugänglicher Ressourcen

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- Resilienzstränge fördern

- Entwicklungsgefährdungen abwehren

Bernard (2004)

- Erfahrung liebevoller Beziehungen

- Zutrauen zu den eigenen Fähigkeiten

- Gelegenheiten zu Beteiligung und Eigenleistung

Wirksame Interventionsmodelle berücksichtigen alle drei Leitmodelle und beziehen dabei die

zentralen Punkte ein:

Modifizierbare Risiken reduzieren

Förderung wichtiger Stärken

Ansatz bei zentralen Entwicklungsverläufen

So kann ein positiver Anpassungsprozess im Kind, in der Familie und im erweiterten Umfeld

vorangebracht werden (vgl. Zander 2011: 102 ff.).

Abwehrmechanismen nach Ermann (2007) & Mentzos (2005)6

Abwehr stellt einen überwiegend unbewussten Vorgang dar. Dieser setzt meist dann ein, wenn

der Betroffene mit einem unlösbaren Konflikt konfrontiert wird und/oder eine Aufgabe nicht

lösbar erscheint. Abwehr ist somit als Versuch zu verstehen, die aufkommende Angst und

seelische Anspannung zu vermeiden. Reflexionen, Impulse und Gefühle werden auf diese

Weise aus der bewussten Wahrnehmung ausgeschlossen, was für den Augenblick einer

Schockphase eine lebenswichtige Funktion darstellt (vgl. Stein 2009). Die nachfolgenden

Abwehrmechanismen tauchen in der Praxis sehr häufig auf (Ermann 2007), weshalb diese als

besonders effektiv zu werten sind.

Verdrängung: Unbewusstmachen von Gefühlen, Vorstellungen und Wahrnehmungen

Reaktionsbildung: z.B. Freundlichkeit jemandem gegenüber trotz Wut (gegenteilige

Reaktionen).

Intellektualisierung: Verschiebung des Emotionalen in einen intellektuell theoretischen

Bereich

6 Ermann & Mentzos in: Stein C., (2009: 33)

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Identifikation: Grundmechanismus zur Entwicklung und Modelllernen (Identifikation mit

bereits Betroffenen)

Identifizierung mit dem Aggressor: Die Angst wird erträglicher durch einen Wechsel auf die

Seite des Angreifers (häufig bei Gewalt in Beziehungen in Form von Selbstabwertung).

Gefühlsabspaltung: Trennung zwischen Erlebnis und der begleiteten Emotion

Rationalisierung: Gemachten Erfahrungen (wie z.B. Angst dem Chef gegenüber) werden

nachträglich rationale Erklärungen durch Umdeutung entgegengestellt.

Verleugnung: Ein Konflikt oder eine Bedrohung wird nicht anerkannt.

Verschiebung von Bedeutendem auf weniger Bedeutendes: Bsp.: Verschiebung der Wut

auf eine bestimmte Person wird auf andere Personen umgelegt.

Wendung gegen das Selbst: Ein aggressiver Impuls wird gegen sich selbst gerichtet (z.B.

Suizidimpuls in Trennungssituationen)

Spaltung: Widersprüchliche Wahrnehmungen, Bewertungen und Erlebnisweisen wechseln

einander ab.

Projektion: Verschiebung unerwünschter eigener Impulse in die Außenwelt.

Projektive Identifizierung: Andere Personen werden durch Manipulation dazu gebracht, sich

so zu fühlen wie sich die betreffende Person selbst fühlt.

Abwehrmechanismen sind Teil der Bewältigung einer Krise und in der

akuten Schockphase z.B. bei einer Verlustkrise (Verleugnen der Realität)

schützend für den Betroffenen.

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Ressourcenorientierung als Grundlage für die Krisenintervention

„Unter Ressourcen versteht man sowohl unspezifische allgemeine Kräfte, als

auch individuelle Fähigkeiten des Menschen, die zur Bewältigung von Aufgaben

und Anforderungen mobilisiert werden können (Stein, C. 2009: 35).“

Unterschieden werden hierbei drei Arten von Ressourcen7:

Persönliche: Individuell, subjektiv und durch spezifische Persönlichkeitsmerkmale bedingt

(Realitätssinn, Kommunikationsfähigkeit, internale Kontrollüberzeugung).

Instrumentelle: Vorhandensein bereits bekannter Problemlösefähigkeiten (Strategien zur

Bewältigung).

Soziale: Hierzu gehören die sozialen Lebensbedingungen einer Person (finanzielle

Möglichkeiten, Arbeits- und Wohnmöglichkeiten, tragfähiges soziales Netz).

Persönliche Ressourcen

Persönlichkeitsmerkmale wie Realitätssinn, die Bereitschaft sich anderen mitteilen zu können

und das Erleben der Selbstwirksamkeit gehören zu den persönlichen Ressourcen. Menschen,

die zuversichtlich in die Zukunft blicken und sich allgemein als selbstbewusst und

selbstwirksam erleben, können Krisen meist besser ver- und bearbeiten. Dennoch ist es je

nach Krisenanlass und Schweregrad der Krise möglich, dass eine resiliente Person an ihre

Grenzen stößt. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ungeahnte Grenzen im Zuge der

Krisenbearbeitung auftauchen, die nicht mit den personalen Ressourcen bewältigt werden

können. Ein Hinweis auf diese Art der Überforderung sind Sätze wie „eigentlich bin ich gar

nicht so“ oder „früher war ich…“. Für die Begleitung und die Nutzung der personalen

Ressourcen ist es wichtig zu erfahren

- Wie hat der Klient sich früher gesehen und erlebt

- Wo liegen die Stärken, Neigungen und Fähigkeiten

- Welche Gewohnheiten wurden bisher verfolgt

- Gibt es „Eigenarten“, die positiv deutbar sind

7 Antonovsky (1986) untergliedert Ressourcen weiter in personale (persönliche Fähigkeiten, körperliche Gesundheit und ethische & religiöse Werte) und Umwelt-Ressourcen (zwischenmenschliche Beziehungen, finanzielle Sicherheit).

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(Problemspezifisch)8 Instrumentelle Ressourcen

Hierbei geht es um die inneren Selbstinstruktionen einer Person und die Verfügbarkeit

erworbener Problemlösestrategien (Stein, C. 2009: 35). Je nach Erwartungshaltung wird

jemand davon ausgehen, Erfolge oder Misserfolge bei der Bewältigung eines krisenhaften

Ereignisses zu haben.

Die meisten Klienten haben bereits Versuche unternommen, die Krise zu bearbeiten, in

welcher Form auch immer. Für den Berater ist es wichtig zu erfahren, welche Versuche bereits

unternommen wurden, wie diese bewertet wurden und ob diese Bewertung angemessen ist.

Weiter ist wichtig zu erfahren, ob vorhandene Fähigkeiten ausgeschöpft werden und an

welchen der Berater andocken kann.

Soziale Ressourcen

Neben den Erfahrungen anderer und eventuellen Praktischen Hilfen durch Freunde und

Bekannte, sind eben diese sozialen Beziehungen auch häufig durch die Krise oder gar

deswegen gestört. Hierzu gehören Streit und Trennung wichtiger Bezugspersonen sowie

Entfremdungen bei Bekannten und die Erkenntnis, nicht in ein soziales Netz eingebunden zu

sein.

Für eine Veranschaulichung der sozialen Ressourcen ist es hilfreich, mit dem Klienten sein

Beziehungsnetz zu erstellen. So wird für denjenigen die (mögliche) soziale Unterstützung

deutlich.

Grafik auf nachfolgender Seite

8 Dross (2001) stellt den instrumentellen Ressourcen eine Problemspezifikation voran, um auf die jeweilige Situation, in der sich ein Klient befindet, aufmerksam zu machen.

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Abb. „Beziehungsnetz“ entnommen aus: Dross, M. (2001: 27)

Der Selbstwert als Ressource

Die eigene Person, das eigene Selbst steht grundsätzlich in Wechselwirkung mit seiner

Umwelt. Es setzt sich zusammen aus:

Selbstkonzept

Kognitive Komponente

Selbstwert

Affektive Komponente

Selbstwirksamkeitserwartung

Konative Komponente

Selbstwertgefühl

Der Selbstwert entsteht aus dem Zusammenspiel der kognitiven und affektiven Bewertungen

eines Menschen über sich selbst, woraus sich die emotionale Konstruktion des

Selbstwertgefühls entwickelt9. Als Quellen des Selbstwertgefühls gelten soziale

Rückmeldungen, die Selbstwahrnehmung sowie soziale Vergleiche.

9 Das Selbstwertgefühl wird in der Literatur nochmals in „global“ und „spezifisch“ kategorisiert (Ritter & Lammers (2007).

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Menschen können auf unterschiedliche Weise zu Selbstzufriedenheit gelangen (Erfolg in der

Arbeit, phys. Attraktivität, besondere Kenntnisse), die einen wichtigen Baustein der

psychischen Gesundheit darstellt. Ein niedriges Selbstwertgefühl kann sowohl ein Risiko für

ein psychisches Störungsbild werden, aber auch dadurch bedingt sein (Gefühl der

Minderwertigkeit aufgrund der Erkrankung). Insbesondere vor dem Hintergrund der

Bewältigung einer Krise, spielt die Stabilität des Selbstwertgefühls eine zentrale Rolle. Die

Differenz aus dem Vergleich zwischen realem Selbst („so bin ich“) und einem idealen

Selbst („so möchte ich sein“) stellt eine wichtige Größe bei der subjektiven Bewertung des

Krisenereignisses dar. Unterschieden wird weiter der Selbstwert als Zustands- und als

Persönlichkeitsmerkmal, was es für einen Beratenden schwierig macht, den Klienten und

seine Reaktionen einzuschätzen. Daraus ergeben sich für die Einschätzung von außen

folgende Schwierigkeiten/Fragen:

- Ist die Reaktion in der akuten Phase dem Anlass angemessen

- Geht es vordergründig um eine Dekompensation bei einer psych. Erkrankung (z.B.

emotionale Instabilität bei einer Persönlichkeitsstörung)

- Problematische Einschätzung des Gefährdungspotentials

Die Messung des Selbstwertes ist im Allgemeinen für den Beratenden sehr schwierig. Wichtig

ist hierbei, den Fokus auf die Stärkung positiver Sichtweisen zu richten.

Als Leitsatz für ein gesundes, ausgewogenes Selbstwertgefühl und eine positive

Selbstbewertung kann jedoch der Satz „Ich bin ein abgegrenztes, auf andere bezogenes

Wesen mit individuellen Gefühlen, Empfindungen und Reaktionen“ gelten (vgl. Stein, C.

2009).

Trotz des abstrakten Wortlautes stellt dieser Satz eine Leitlinie dar, an welcher sich Berater

und Klient orientieren können. Im Vordergrund steht bei dieser Formulierung die Akzeptanz

des eigenen Selbst mit allen menschlichen Eigenheiten. Grundsätzliches Ziel in der Beratung

ist es, den Selbstwert positiv zu beeinflussen.

Kennzeichen des Selbstwertes

Hoher Selbstwert Niedriger Selbstwert

- Zuversicht

- Hohe Leistungserwartung

- Erwartung der Unterstützung in

sozialen Beziehungen

- Erhöhtes Suizidrisiko in der Krise

- Suchtverhalten als Versuch ein

beschädigtes Selbstwertgefühl zu

stabilisieren

- Depressionen

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Achtung: Eine zu hohe Selbstbewertung

kann mit einer aggressiven Abwertung

anderer verbunden sein.

- Allgemein negative

Selbstbewertung

(Kunz et al. 2009)

Für den Berater ist es wichtig zu wissen, was allgemein beeinträchtigend für den Selbstwert

einer Person ist und darauf zu reagieren. So werden u.a. Selbst- und Fremdkritik,

Abwertungen, Konflikte, Misserfolge oder mangelnde Anerkennung als

Selbstwertbedrohungen empfunden.

Das Belastungs-Bewältigungsparadigma

Dieses Paradigma hat seinen Ursprung in der Stressforschung und ist maßgebend für die

Erklärung des individuellen Krisenerlebens. Es verweist darauf, wie wichtig die Bedeutung von

Ressourcen ist. Nach dem bekanntesten Copingmodell von Lazarus & Folkman (1984) ist das

Erleben von Stress und dessen Bewältigung von der kognitiven Bewertung und den

personalen sowie sozialen Ressourcen einer Person abhängig. Zur Einschätzung des

Krisenerlebens werden dabei zwei Bewertungskategorien herangezogen:

Primary appraisal: Einschätzung des Ereignisses für die Bedeutung des eigenen

Wohlbefindens.

Secondary appraisal: Ist auf vorhandene Ressourcen bezogen und damit auf die

individuellen Copingmöglichkeiten, die für die Auseinandersetzung mit dem Krisenanlass zur

Verfügung stehen.

Kommt eine Person generell zu einer günstigen Einschätzung, so wirkt sich dies positiv auf

die primäre Bewertung aus. Wird die Einschätzung jedoch als bedrohlich bewertet, werden

Bewältigungsanstrengungen unternommen.

So können Bewältigungsprozesse und deren Anstrengungen zwei Zielrichtungen verfolgen.

Eine instrumentelle/problemlösende, die eine Verbesserung der Situation selbst erwirken

soll (aktive Form der Bewältigung) und eine, die zum Ziel hat die emotionale Befindlichkeit

zu regulieren (emotionale Stressbewältigung).

Folgende Faktoren können zum Copingrepertoire einer Person gehören:

- Konfrontative Bewältigung

- Distanzierung

- Selbstkontrolle

- Suche nach sozialer Unterstützung

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- Akzeptieren der Verantwortung

- Flucht/Vermeidung

- Planvolles Problemlösen

- Positive Umdeutung

Diese acht Faktoren können Anhaltspunkte liefern, mit welcher Art von „Coper“ (guten oder

schlechten)10 man es zu tun hat.

Rahmenbedingungen der Krisenintervention

„Krisenintervention ist eine eigenständige Methode der Beratung, Therapie und

Behandlung, mit der Menschen in akuten Phasen psychosozialer Krisen oder

nach akuten Traumatisierungen unterstützt werden (Stein, C. 2009: 151).“

Eine angemessene Krisenintervention kann tiefgreifende Veränderungsprozesse in Gang

setzen und in akuten Phasen bei psychosozialen Krisen und Traumatisierungen intensive Hilfe

bieten. Bei längerfristigen Problemen wie chronischen psychischen Störungen oder

andauernder Suizidalität hat die Krisenintervention allenfalls eine kurzfristige Stabilisierung der

Person zur Folge. In diesem Fall ist eine längere psychiatrische Behandlung mit

therapeutischer Anbindung notwendig.

Manche Krisen kommen ganz ohne professionelle Unterstützung aus und werden im privaten

Umfeld erfolgreich gelöst. Ist dies nicht der Fall und sind diese Ressourcen nicht ausreichend,

sind niedrigschwellige Angebote notwendig. Sozial benachteiligte Menschen haben generell

eine höhere Anfälligkeit für Krisen und gleichzeitig eine große Hürde Angebote anzunehmen.

Somit ist neben Kostenfreiheit auch ein unbürokratischer Zugang eine Grundvoraussetzung

für einen erfolgreichen Zugang zu Angeboten der Krisenintervention.

Die ideale Krisenintervention besteht aus einem multidisziplinären Team, das sich aus

mehreren Professionen zusammensetzt (Sozialarbeiter, Mediziner, Psychologen). Dies ist

nicht nur aufgrund der Handlungssicherheit notwendig, sondern auch, weil Krisen selten von

einer einzigen Belastung alleine begleitet sind. Neben den psychischen Reaktionen treten

häufig körperliche Beschwerden auf, die u.a. von medizinischer Seite betrachtet werden

müssen sowie diagnostische Abgrenzungen zu psychologischen Störungsbildern, die von rein

psychologischer Seite beurteilt werden müssen.

10 Heim (1993) unterscheidet zwischen good und bad coper: „Menschen, die sich aktiv, überlegt, ja hartnäckig den Problemen

stellen, die eher phasenhafte, nicht abwendbare Belastungen verdrängen und die vor allem von einem guten sozialen Netz getragen sind, scheinen Krisen und Belastungen besser zu meistern. Hingegen scheitern oder geraten in Krisen eher solche Menschen, die sich hilflos einer oft unkontrollierbaren Situation ausgesetzt fühlen, die schuldhaft in Bezug auf sich selbst oder andere reagieren, die resignieren und es nicht verstehen, soziale Unterstützung zu mobilisieren.“ (ebd.: in: Kunz et al. 2009: 173)

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Allgemeine Prinzipien der Krisenintervention nach Sonneck (2000)

1. Rascher Beginn

2. Fokussierung auf den Krisenanlass

3. Aktiver Interventionsstil

4. Den Krisenphasen angemessenes Vorgehen

5. Lösungs- und Ressourcenorientierung

6. Zeitliche Begrenzung

7. Methodenflexibilität

8. Interdisziplinarität

9. Berücksichtigung der Gefahr der Überforderung (auf beiden Seiten)

Ziele der Krisenintervention

Eines der Grundziele der Krisenintervention ist, den Betroffenen soweit zu stabilisieren, dass

er selbst wieder handlungs- und entscheidungsfähig wird. So gliedert sich die

Krisenintervention in folgende Bereiche:

Sofortmaßnahmen & Kurzfristige Ziele: Erkennen von Akutgefährdungen und deren

Abwendung (Suizidalität), schnelle Unterstützung bei der Beseitigung quälender

Symptome (Schlaflosigkeit, akute Panikzustände), Alltagsstabilisierung.

Mittelfristige Ziele: Wiederherstellung des Selbstwertgefühls, Herstellung der

Handlungsfähigkeit, Finden/Erproben von alternativen Handlungsmustern.

Das langfristige Ziel besteht darin neue Formen der Lebensbewältigung zu erlangen

und Ressourcen zu pflegen - auf diese Weise ergeben sich neue Schutzfaktoren für

erneute Belastungen.

Wann Krisenintervention?

Wie eingangs erwähnt, kann Krisenintervention nicht alle Fälle berücksichtigen bzw. müssen

Beratende eine Einschätzung der Situation vornehmen können.

Indikationen für eine Krisenintervention:

- Verlustkrisen und Trauerprozesse

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- Lebensveränderungskrisen

- Akute Traumatisierungen

- Akute Phasen des Burn-Out-Syndroms

Mit diesen Indikationen sind alle Krisen erfasst, die einen Schockzustand herbeiführen – dies

bekräftigt die Ziele der Sofortmaßnahmen des Krisenhelfers. Die Intervention beginnt je nach

Indikationsbereich (Verlustkrisen, Veränderungskrisen, akute Traumatisierung) zu

unterschiedlichen Zeitpunkten. Das bedeutet, dass langfristige Folgen einer akuten

Traumatisierung abgewendet werden können, wenn die Krisenintervention unmittelbar nach

dem auslösenden Ereignis erfolgt. Dabei warnt Stein (2009) vor einem übereifrigen

Aktionismus und stellt klar, dass von den Krisenhelfern die Selbstheilungskräfte des

Individuums sowie mögliche soziale Unterstützung aus dem eigenen Umfeld nicht unterschätzt

werden dürfen. Bei Lebensveränderungskrisen scheint ein gewisser Leidensdruck die

Bereitschaft zur Veränderung zu erhöhen, was gegen eine besonders schnelle Entlastung

spricht. Das Vorgehen konzentriert sich hierbei auf fördern und fordern des Betroffenen, um

festgefahrene Situationen unter Berücksichtigung vorhandener Ressourcen zu durchbrechen.

Verlustkrisen benötigen hingegen einen Interventionsstil, der einfühlend und stützend ist. So

ist neben der Stabilisierung und Entlastung auch die Konfrontation mit dem Ereignis eine

notwendige Intervention. Um den Trauerprozess adäquat zu begleiten, ist der Ausdruck der

Gefühle wichtig, weshalb diese angesprochen und ermöglicht werden müssen.

Allgemeine Interventionsprinzipien für die drei Indikationsbereiche

Veränderungskrise Verlustkrise Akute Traumatisierung

Entlastung

Offenhalten der Krise,

begrenzte Entlastung zur

Bereitschaft der

Veränderung

Entlastung steht im

Vordergrund, später

behutsame Konfrontation

Bestmögliche Entlastung,

Betroffene sollen das Gefühl

bekommen, die Gefahr ist

vorüber

Methodenflexibilität

Konfrontierende Methoden,

um eingefahrene Muster zu

durchbrechen

Langsame Konfrontation,

falls Abwehr die

Trauerverarbeitung zu sehr

behindert

Keine Konfrontation,

hilfreich sind Imaginationen

und

Entspannungstechniken

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Einbeziehen der Umwelt

Einbeziehung des sozialen

Umfeldes (als Unterstützung

oder Konfliktklärung)

Einbeziehen des sozialen

Umfeldes zur Unterstützung

Einbeziehung des sozialen

Umfeldes zur Stabilisierung

(Erläuterung der

Symptomatik für Angehörige

zum Verstöndnis)

Kooperation

Kooperation mit anderen

Einrichtungen

Kooperation mit anderen

Einrichtungen

Bei anhaltenden

Symptomen von mehr als 4-

6 Wochen Überweisung an

eine spezifische Stelle

Interventionskonzept nach Schnyder11

Schnyder (1993) hat ein Handlungsmodell für die praktische Arbeit entwickelt, das vor dem

Hintergrund individuellen Krisenerlebens natürlich als idealtypisch und nicht als gesetzmäßig

gelten kann.

1. Kontakt herstellen

- Emotionale Entlastung ermöglichen

- Setting klären

- Sicherstellung der Rahmenbedingungen (zeitlich, räumlich)

2. Problemanalyse

- Analyse der Situation (Krisenauslöser, Hintergründe)

- Ressourcen- und Copinganalyse

- Bedeutung der Krise für den Betroffenen

- Klärung von Gefährdungen

3. Problemdefinition

- Verstehbare Beschreibung der Krise

- Benennung früherer Lösungsversuche

11 Konzept nach Schnyder, U. (1993 / 2000) mit Ergänzungen von Wolfgang Till (2004)

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Krisenberatung & Krisenintervention

B. Rahn

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- Ordnen der Hintergründe und Auslöser

4. Zieldefinition

- Vermittlung einer Zukunftsperspektive und Hoffnung

- Klärung, ob ambulante oder stationäre Intervention

- Erläuterung, ob aufgestellte Ziele im vorhandenen Rahmen erreichbar sind

5. Problembearbeitung

- Nutzen von Methoden (Konfrontation, Entspannung etc.)

- Überprüfung der Alltagstauglichkeit

- Wiederholtes Besprechen und Reflektieren des Krisenanlasses

6. Termination

- Ablösung vom Krisenberater

- Vorwegnahme künftiger Krisen

7. Follow-up

- Bestimmung des Standpunktes und

- Prüfung einer Indikation für Psychotherapie (z.B. bei PtBS)

Oritz-Müller et al. (2010)² merken zu diesem Stufenmodell an, dass die Reihenfolge je nach

individuellem Krisenanlass angepasst werden muss. Eine emotionale Entlastung kann nicht

immer gleich zu Beginn einer Krise stattfinden, insbesondere nicht, wenn die

Beziehungsebene zwischen Berater und Betroffenem noch nicht geklärt oder ausreichend

hergestellt ist. Auch die Vermittlung von Hoffnung kann durchaus bereits am Beginn der

Intervention stehen um jemanden zu stabilisieren.

Krisenberatung

Situationsklärung & Exploration

Das krisenauslösende Ereignis steht hier im Vordergrund. Die gründliche Analyse und spätere

Beschreibung des Problems sind zentrale Punkte in der Krisenberatung. Erst wenn sich

Betroffener und Beratender darüber im Klaren sind worum es geht, ist die Grundlage für die

gemeinsame Weiterarbeit gelegt. Die Analyse der Situation, die Definition des Problems

sowie die Schließung einer Vereinbarung (Kontrakt) sind Prozesse, die nicht

voneinander trennbar sind.

Zentrale Punkte der Situationsanalyse:

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B. Rahn

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- Das auslösende Ereignis steht im Mittelpunkt

- Einschätzung…12

psychosozialer Kompetenz (Wie handlungsfähig ist der Betroffene in der

aktuellen Situation?)

der psychischen und physischen Verfassung (evtl. depressive Symptome mit

somatischen Reaktionen)

der suizidalen Gefährdung13

destruktiver Muster (Eigen- und Fremdgefährdung)

der Auswirkungen der Krise auf andere Lebenssituationen (Beruf, Freizeit,

Familie)

der Tragfähigkeit sozialer Beziehungen (Gefahr der Isolation?)

der realen und subjektiven Bedeutung des Problems

- Erfragen bisheriger Problemlösestrategien (Bewältigung früherer Krisen)

- Klärung/Suche vorhandener Ressourcen (Finanzen, Wohnung, Kontakte,

Wertesystem)

- Biografische Anamnese zum Verstehen psychodynamischer Zusammenhänge – so

lässt sich herausfinden, ob Ereignisse aus der Vergangenheit zu einer höheren

Vulnerabilität in der aktuellen Situation geführt haben (z.B. nicht verarbeiteter Verlust

eines Angehörigen oder Konflikte mit Familienangehörigen)

Diese Einschätzungen dienen der Klärung der Situation und sind notwendig, um das Problem

einzugrenzen und schließlich zu definieren.

Problemdefinition

Die Reflexion des Beratenden über die Situation des Klienten mündet auf diese Weise mit dem

Betroffenen zusammen in ein gemeinsames Nachdenken und Resümieren als

Problemdefinition.

Zentrale Punkte der Problemdefinition sind demnach:

- Der Beratende versucht durch Mitteilung seiner Überlegungen „Ordnung“ in den

Gefühlshaushalt und die Situation des Klienten zu bringen

- Zusammenfassung der Gesprächsinhalte

- Klare und verständliche Einschätzung des Problems (soweit möglich bei diffusen

Gefühlsäußerungen)

12 Siehe auch Anlage: Schaubild akute Krise – Ambulante Behandlung oder Klinikaufenthalt 13 Beispiel Gesprächsführung mit suizidalen Klienten siehe Anlage 2

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B. Rahn

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- Feststellung einer Übereinstimmung bei der Beurteilung der Krise als Basis

- Betroffenen als aktiven Teil des Prozesses benennen (nur gemeinsame Arbeit hat zum

Verständnis des Problems geführt). So merkt der Klient, dass er handlungsfähig ist und

Einfluss nehmen kann.

- Zum Verständnis auftretender Symptome ist es sinnvoll einen Zusammenhang

zwischen Krisenauslöser, Krisenhintergrund und aktuellen psych./phys.

Symptomen herzustellen – dies hat entlastende Funktion.

Bei einer Übereinstimmung über die Einschätzung des Problems und wenn eine Intervention

ambulant erfolgen kann, werden Inhalte, Ziele und Sinn der weiteren Zusammenarbeit

besprochen.

Schließung einer Vereinbarung – Kontrakt

Hier erfährt der Betroffene, worum es bei einer Krisenintervention geht.

- Es wird ein Zeitrahmen sowie das Setting festgelegt. Dabei können z.B. vier bis fünf

Gesprächstermine festgelegt werden.

- Gleichzeitig muss besprochen werden was zu tun ist, wenn der Klient einen Termin

nicht wahrnimmt.

- Weiter sollte die gegenseitige Kontaktaufnahme geklärt sein – primär muss der

Beratende klären, ob er sich beim Klienten melden darf. So entsteht nicht der Eindruck

eines Drucks von außen bzw. einer Bedrängnis durch den Beratenden.

Spezielle Techniken in der Krisenberatung

Visualisierung des Problems – der „Problemkuchen“14

14 Nachbau der Grafik in Dross (2001: 24 ff.)

Beziehung zu meiner Frau/ meinem Mann, Familienleben

Eigene Verfassung (evtl. Suchtmittel- Konsum)

Perspektiven (Schulden)

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Krisenberatung & Krisenintervention

B. Rahn

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Die Einteilung erfolgt zur Ermittlung der zentralen Lebensbereiche, die durch die Krise

beeinträchtigt sind. So lässt sich die Bedeutung der Krise für den Klienten erkennen und

welcher Lebensbereich stärker betroffen ist.

Emotionale Stabilisierung

Anteilnahme zeigen

Fürsorge entwickeln

Für Entspannung sorgen

Unruhe auffangen

Kontext herstellen

Zeitperspektive herstellen

Von Druck entlasten

Zorn und Wut einen Raum geben, aggressive Vorstellungen als Phantasie markieren,

offene Aggression als Gefahr benennen und Hilfestellung zur Impulskontrolle geben.

Konkret anstehende Belastungen durchsprechen und sachliche Hinweise geben

Klienten nicht in Aufruhr und akuter Verzweiflung aus der Sitzung entlassen

Dialoge zwischen sich widersprechenden Anteilen anregen

Bei Ambivalenzkonflikten (Ich sollte für die Klausur lernen, kann mich aber nicht aufraffen)

kann man jemanden bitten, den sich widersprechenden Persönlichkeitsanteilen (Egostates)

eine Gestalt/Namen zu geben (Faulpelz vs. Streber) und ein Gespräch zwischen diesen

anregen um z. B. einen Kompromiss auszuhandeln. Hierbei ist eine Wertschätzung der Teile

unabdingbar. Diese Technik ist an der Grenze zur Therapie! 15

Visualisierungen/Imaginationen

In der Krisenintervention können diese Techniken eingesetzt werden um Probleme zu

verdeutlichen, stützende Ruhebilder zu erzeugen oder die antizipierende Bewältigung von

Problemen zu bewerkstelligen. Da bei dieser Methodik viel Fachkenntnis erforderlich ist (z. B.

bei der hierfür nötigen Entspannung können Überflutungen mit traumatischen Bildern

auftreten), sollten gute Kenntnisse der Methodik vorliegen. Trotzdem ist es gut vorstellbar,

dass zur Stabilisierung auch in Beratungssituationen ein sicherer Ort oder ein Ort völliger Ruhe

vorgestellt wird oder im Gespräch auftauchende Bilder visualisiert werden:

15 Vgl. Dross (2001: 46 – Die Arbeit mit den Inneren Teilen stammt aus der Gestalt- bzw. transaktionalen Therapie und ist insbes. in der Ego-State-Therapie nach Watkins und Watkins ausgearbeitet worden).

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Krisenberatung & Krisenintervention

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Beispiel: „Das Problem steht wie eine Mauer vor mir..“ Wie sieht die Mauer aus? Wo steht

sie? Wie fühlt sie sich an? Was könnte helfen, die Mauer zu überwinden...

Zeitprojektionen

Klient und Berater entwickeln gemeinsam in die Zukunft projizierte Bilder, positive Gefühle, die

auftreten werden, wenn die Krise behoben ist. So wird dem Betreffenden wieder eine positive

Perspektive eröffnet. (Mögliche Frage: „Angenommen es ist jetzt zwei Jahre später, was hat

sich verändert“)

Wunderfrage

Auch hier geht es um die Antizipation der Problemlösung:

Angenommen, es geschieht ein Wunder und Ihr Problem wäre gelöst – wie würden Sie oder

auch andere das merken? Was wäre dann anders? Würden es die anderen merken, ohne

dass ein Wort darüber gesprochen worden wäre?

Innere Helfer

Hier werden Erfahrungen mit hilfreichen Menschen (gute Introjekte) verdichtet in eine nur gute

(nicht ambivalent besetzte) Helferfigur – das kann konkret eine Person sein, die in der Kindheit

hilfreich war oder aber ein Tier, eine Figur aus Filmen, Märchen, Romanen oder eine gute Fee,

der Schutzengel. In schwierigen Situationen, können sie herbeiphantasiert werden.

Ähnlich hilfreich kann auch ein Gegenstand sein (z. B. ein Stein, der in der Tasche mitgetragen

wird).

Veränderung kognitiver Verzerrungen

Besonders Menschen mit Depressionen und depressiven Episoden neigen (auch psychisch

Gesunde in der Krise) zu kognitiven Verzerrungen wie u.a. Katastrophieren, voreilige

Schlussfolgerungen, Übergeneralisation, Schwarz-Weiss-Denken usw. Diese Denkfehler

können z. B. mittels des sokratischen Dialogs selbst entdeckt werden.

Als naiver Frager verwickelt Sokrates seine Gesprächspartner in

Widersprüche, um sie in den „Zustand der inneren Verwirrung“ zu

verleiten. So werden Normen und Weltbilder neu reflektiert und

überdacht.

Dieser zunächst verunsichernde Zustand führt dazu, dass

Veränderungsprozesse ermöglicht werden geistige

Neuorientierung und ein selbstbestimmtes Leben. (Stavemann

2007)

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Umgang mit übermäßigen Grübeln, sich Sorgen

Versinkt ein Betroffener in unendliche Sorgenschleifen, so kann es sein dass er gerade

hierdurch Lösungen vermeidet. Dies kann vermindert werden, indem Grübeln nur noch zu

bestimmten Zeiten und an einem bestimmten Ort (Grübelstuhl) „erlaubt“ ist. Weiterhin sollten

aus den konsequent zu Ende gedachten Sorgen konkrete Handlungsschritte abgeleitet

werden.

Weitere Möglichkeiten sind kreative Methoden (Malen, z. B. der Angst, Führen eines

Krisentagebuchs) und die Verstärkung von überdauernden Interessen/Hobbies, gerade auch

bei Sinnkrisen. Außerdem können Rollenspiele ein hilfreiches Mittel sein, um neue

Verhaltensweisen zu üben und zu festigen.

Kommunikation in der Beratung

Selektive Reflexion (Dahmer & Dahmer 2003)

Bei dieser Gesprächstechnik werden einzelne Abschnitte aus den Erzählungen des

Betroffenen herausgenommen und genauer betrachtet. Dabei handelt es sich um Aussagen,

die für die Problemlösung von besonderer Bedeutung sind. Einzeltechniken der selektiven

Reflexion sind:

1. Spiegelung als wörtliche Wiederholung

2. Klärung als Vertiefung von Zusammenhängen

3. Zwischenzusammenfassung als Fokussierung der Klientenäußerungen

4. Neuformulierung mit Synonymen

5. Konkretisierung der Klientenäußerungen

6. Konfrontation mit spannungserzeugenden Widersprüchen

7. Interpretation als Aufzeigen der Klientenäußerungen

Die selektive Reflexion ist ein Instrument zur Analyse des Problems. Außerdem erhalten Sie

Informationen zum Wertesystem, dem Denken und Fühlen sowie zu Wünschen des

Betroffenen.

Dahmer & Dahmer (2003) nennen als Beispiel die Schilderung einer angespannten

Familiensituation:

„Sie fühlen sich also nicht mehr wohl in Ihrer Familie“ (mit abfallendem Ton am Satzende)

„Sie fühlen sich also nicht mehr wohl in Ihrer Familie?“ (mit angehobenem Ton als Frage)

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Zirkuläres Fragen

Diese Form des Stellens von Fragen stammt aus der systemischen Therapie und wird auch

häufig in Beratungskontexten eingesetzt. Der Beratende eröffnet dem Klienten als Fragender

die Möglichkeit, sich in die Position Dritter zu begeben und sich auf einen Wechsel der

Perspektive einzulassen. „Da das Verhalten von Menschen nicht von dem bestimmt wird, was

andere Leute tatsächlich denken, sondern von dem, was sie denken, was die anderen denken,

empfiehlt es sich, ganz direkt und ungeniert nach Vermutungen und Spekulationen über

andere zu fragen.“ (Simon & Rech-Simon 1999 in: Schlippe & Schweitzer 2012:251)

Zirkuläre Fragen lassen sich wie folgt untergliedern:

Einfache zirk. Fragen

Klassifikationsfragen

„Wer ist der dominante, wer der zurückhaltende Teil in Ihrer Ehe?“

Prozentfragen

„Wie viel Prozent Ihres Lebens machen Traurigkeit und Schmerz aus?“

Fragen nach Subsystemen

„Wer unternimmt etwas mit wem?“ (Dabei geht es darum herauszufinden, welches

Untersystem im System vorhanden ist)

Übereinstimmungsfragen

Dabei wird gefragt, wer mit wem übereinstimmt und wer gegenteiliger Meinung ist.

Komplexere zirk. Fragen

Hypothetische Fragen

Hierbei geht es um ein Gedankenexperiment, bei dem die Wirkung einer Veränderung

erprobt werden kann.

„Wo würde Ihr Sohn im Falle einer Scheidung bleiben wollen?“ Mit dieser Art der

Fragestellung können mögliche Änderungen in Gang gesetzt werden – gleiches gilt für

das Gegenteil.

Zirkuläres Fragen z.B. in der Familientherapie (Familienmitglieder)

„Was glauben Sie, was löst es bei Ihrer Frau aus, wenn sie ihre beiden Töchter so

traurig sieht?“

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Zirkuläre Fragen werden auch in Anwesenheit aller am Prozess Beteiligten angewendet. Sie

dienen hauptsächlich einer Lösungsorientierung und des Anstoßes einer Veränderung der

Sichtweisen.

Das Krisengespräch

Das Krisengespräch zielt darauf ab, schnelle Entlastung des Betroffenen zu erreichen und

seine Bewältigungsmöglichkeiten zu aktivieren. Ein Leitfaden über die Schritte eines solchen

Gesprächs dient als Orientierung und Handlungssicherheit. Am Beginn dieses Gesprächs

steht immer die Gegenwart, also die aktuelle Situation. Dann erfolgt ein Blick auf die

kurzfristige Vergangenheit (Krisenauslöser, kurze Vorgeschichte) und dann auf die Zukunft

(dringende Anliegen), wonach eine konkrete Vereinbarung erfolgt (nächste Schritte).

Die Schritte des Krisengesprächs orientieren sich nach Sonneck (2000) an den Bedürfnissen

der Betroffenen. Dabei ist es wichtig, zwischen direktiver und zurückhaltender

Vorgehensweise auszubalancieren.

I. Beziehung aufbauen

Jemandem mit seinem Namen ansprechen, Blickkontakt halten und Sicherheit

vermitteln. Eingehen auf die aktuelle Situation:

„Worum geht es?“ „Wie geht es Ihnen?“

II. Den Krisenanlass erkunden

Erzählungen anregen, den Auslöser der Krise erkennen, Ereignisse zeitlich

strukturieren.

„Seit wann ist das so.“ „Was ist dann passiert.“

III. Kurzfristige Entlastung

Dringende Bedürfnisse feststellen, Frage nach Bezugspersonen (wer soll

benachrichtigt werden), Wünsche für die nächsten Stunden klären und

Durchführbarkeit erläutern.

„Was würde Ihnen jetzt als erstes helfen“?16

IV. Vereinbarung treffen

16 Anmerkung: Ein akut traumatisierter Mensch kann auf diese Frage mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Aussage machen – hier müssen Sie erkennen, was hilfreich wäre.

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Besprechung konkreter Schritte und Entwerfen eines Planes für die nächsten Tage.

Bereitstellung notwendiger Unterstützung und Klärung des weiteren Kontaktes.17

Deeskalierende Gesprächsführung

Diese Form der Gesprächsführung ist dann notwendig, wenn ein offensichtlich aggressiver

Mensch im Beratungsgespräch gegenüber sitzt. Ein Verständnis für die Situation des

Betroffenen ist ebenso wichtig wie Selbstschutz. Aspekte des deeskalierenden Gesprächs

sind:

- Klares und freundliches Auftreten

- Beziehungsherstellung

- Nicht diskutieren

- Senden von Ich-Botschaften

- Stellen offener Fragen

- Warum-Fragen vermeiden

- Wertschätzendes Eingehen auf den aktuellen Gefühlszustand

- Interesse am Problem äußern (aktives Zuhören)

- Alternativen zur Gewalt aufzeigen (z.B. durch Fragen)

- Konsequenzen besprechen, die eine Gewaltausübung nach sich zieht

- Gefühle akzeptieren, spiegeln und verbalisieren

- Thema ablenken zu einem verwandten Thema (weg vom eigentlichen Aufreger)

- Nicht in die Ecke drängen und keine Abwertungen

Vorsichtsmaßnahmen bei anhaltender Aggression:

Drohungen ernst nehmen

Kollegen hinzuziehen

Distanz halten und gewähren

Eher leise / bedächtig sprechen

Körperliche Reaktionen beobachten (Schweißausbrüche, hoher Muskeltonus)

Einfache und direkte Bitten

Gespräch beenden

„The gift of fear“ beachten:

17 Siehe auch Anhang „Schritte im Krisengespräch, konkrete Maßnahmen und mögliche Fehler“

J ustification: Glaubt mein Gegenüber, dass seine Tat gerechtfertigt ist.

A lternatives: Gibt es Alternativen zur Gewalt.

C onsequences: Ist jmd. bereit die Konsequenzen zu tragen.

A bility: Ist jmd. fähig aggressiv zu handeln.

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Motivierende Gesprächsführung

Das wichtigste Gespräch in einem Beratungsverlauf ist das Erstgespräch. Hier wird die

entscheidende Grundlage für die Zusammenarbeit gelegt und Erwartungshaltungen geklärt.

Beim Gesprächsbeginn kann es durchaus sein, dass ein Klient Erwartungen hat kritisiert zu

werden, belehrt und befragt zu werden, Ratschläge erhält und getröstet wird. Aus diesem

Grund ist es notwendig den Rahmen und die Struktur zu erklären sowie einen

Beratungsprozess zu erläutern (vgl. Interventionsmodell nach Schnyder Stufe 1).

Fünf Strategien für die Beratung

1. Offene Fragen stellen

In der Anfangsphase ist es hilfreich, wenn der Klient die hauptsächliche Redezeit

erhält18. So bekommt er zum einen das Gefühl der Akzeptanz und auf der anderen

Seite erhalten Sie eine Menge Informationen. Dies bewerkstelligen Sie mit dem Stellen

offener Fragen.

- „Was möchten Sie heute mit mir besprechen“

- „Beim letzten Mal erwähnten Sie, dass … , erzählen Sie mir darüber mehr“

- „Wie wäre es, wenn Sie mir von Anfang an erzählen, worum es geht und mich auf

den Stand von heute bringen“

Ist es notwendig ein Problem mit einem ambivalenten Klienten zu bearbeiten, ist es

hilfreich beide Seiten mittels offener Fragen zu beleuchten.

„Erzählen Sie mir etwas über Ihren Alkoholkonsum. Was gefällt Ihnen daran?“

In einem späteren Schritt wird die Frage nach der negativen Seite gestellt

„Und wie sieht es mit der anderen Seite aus? Was macht Ihnen Sorgen?“

Als wichtige Regel gilt: Stellen Sie nicht drei Fragen nacheinander und lassen Sie die

Person zunächst eine Frage beantworten.

2. Aktives Zuhören

Ein wichtiges und gleichzeitig schwieriges Element der motivierenden

Gesprächsführung. Während der Teil des stillsitzenden Zuhörens zunächst einfach ist,

18 Vergessen Sie dabei nicht, dass Sie die Gesprächsführung haben! Während manche Klienten zum Reden durch mehrere Fragen motiviert werden müssen, reden andere ununterbrochen und springen zwischen Ereignissen hin und her in ihren Erzählungen – Menschen, die in der Beratung so agieren, müssen vom Beratenden immer wieder auf die eigentliche Sache zurückgebracht werden. Eine Möglichkeit ist auch, in der nächsten Sitzung noch einmal klare Gesprächsregeln zu vereinbaren.

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ist es bei der Reaktion des Beratenden umso schwieriger, richtig auf das Gehörte zu

reagieren. Es gibt mehrere Arten als Reaktion, die mit aktivem Zuhören nicht vereinbar

sind:

Befehlen, anordnen, kommandieren

Warnen, ermahnen oder drohen

Lösungen geben

Moralisieren und predigen

Urteilen, kritisieren, widersprechen

Loben, zustimmen, beschuldigen

Beschimpfen oder beschämen

Verhörendes Fragen

Diagnostizieren, ablenken, zerstreuen19

Diese Reaktionen werden von Gordon als Kommunikationssperren bezeichnet, weil sie

die Person von ihren Gedankengängen ablenken. Diese Sperren deuten auf der einen

Seite auf eine hierarchische Beziehung hin („Ich sage Ihnen wie das Leben

funktioniert“), auf der anderen Seite muss die Person sich plötzlich mit der Aussage

des Beratenden beschäftigen und kommt dadurch weg vom eignen Explorieren. Das

heißt jedoch nicht, dass alle oben beschriebenen Erwiderungen grundsätzlich verkehrt

oder schlecht sind (Miller & Rollnick beschreiben die direktive Nutzung in anderen

Gesprächssituationen als hilfreich) – als Reaktion auf aktives Zuhören haben diese

jedoch keine positive Wirkung.

Als wichtigster Teil des aktiven Zuhörens gilt die Einschätzung der Bedeutung dessen,

was der Gesprächspartner gesagt hat. Weil aber ein Mensch in einer Problemsituation

nicht immer das äußert bzw. äußern kann, was er denkt und meint, gibt es für den aktiv

Zuhörenden Möglichkeiten dies zu erfahren. Durch eigene Entschlüsselung der

Bedeutung des Gesagten (was steht hinter dieser Aussage) und Spiegelung in Form

einer Frage bezogen auf das Entschlüsselte (Sie fühlen sich unwohl?) gelingt die

konstruktive Weiterarbeit.

3. Bestätigen

Dies kann als Anerkennung und Verständnis der vermittelten Aussagen geschehen.

So wird der Betroffene in seiner Exploration gestärkt sowie die Beziehung gefestigt.

19 Thomas Gordon in Miller & Rollnick (2009:102): Arten von Reaktionen, die nicht mit aktivem Zuhören vereinbar sind.

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- „Das ist ein Zeichen von Stärke, dass Sie diese schwierige Situation so lange

ausgehalten haben.“

- „Das ist ein sehr guter Vorschlag.“

- „Ich gewinne den Eindruck, dass Sie wirklich einen starken Willen haben.“

- „Ich habe unsere heutige Sitzung richtig genossen“

Hierbei geht es darum, die Stärken und Bemühungen des Klienten in der Vordergrund

zu stellen und ihn weiter zu bestärken.

4. Zusammenfassen

Vom Beratenden zusammengefasste Inhalte können verschiedene Themen

miteinander verbinden und zentrale Themen des Klienten verstärken. Miller & Rollnick

(2009:111) nennen folgendes Beispiel:

„Ihr Herzinfarkt hat bei Ihnen das Gefühl der Verwundbarkeit hinterlassen. Es

ist nicht das Sterben selbst, das Sie wirklich verängstigt. Was Sie wirklich

besorgt, ist die Möglichkeit, nur halb lebendig zu sein, behindert oder eine Last

für Ihre Familie zu werden. Wenn es darum geht, wofür Sie leben wollen,

erwähnten Sie, dass Sie sehen wollen, wie Ihre Enkelkinder aufwachsen und

dass Sie die Aspekte Ihrer Arbeit weiterverfolgen möchten, die besonders

bedeutend für Sie sind, obwohl Sie die Intensität der Arbeit einschränken

wollen. Haben ich etwas Wichtiges ausgelassen?“

Damit zeigt ein Berater nicht nur, dass er zugehört hat, sondern fasst die zentralen

Inhalte für den Betroffenen noch einmal zusammen und er wird ermutigt

weiterzuerzählen.

5. Change-Talk hervorrufen

Während die vier vorangegangenen Fertigkeiten darauf zielen, die Ambivalenz eines

zu Beratenden aufzulösen, ist der Change-Talk eine direktive Methode. Der Klient soll

einen positiven Blick auf eine mögliche Veränderung bekommen. Dieses Vorgehen

unterliegt den vier Kategorien des Change-Talk.

(1) Erkennen der Nachteile des Status Quo

Erkennbar an Aussagen wie: „Es war mir gar nicht bewusst, wie sehr meine

Familie davon betroffen ist.“

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(2) Erkennen der Vorteile einer Veränderung

Erkennbar an Aussagen wie: „Ein Vorteil wäre, dass ich mehr Zeit habe und

es würde mich auch finanziell entlasten“

(3) Zuversicht / Optimismus bezüglich einer Veränderung

Erkennbar an Aussagen wie: „Ich glaube, ich könnte das schaffen, wenn ich

mich dazu entschließe.“

(4) Veränderungsabsicht

Erkennbar an Aussagen wie: „Ich glaube, es ist an der Zeit für mich, über das

Aufzuhören nachzudenken.“

Diese Kategorien beinhalten die kognitive, die affektive und die Verhaltensebene. Jede

dieser Aussagen erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Veränderung.

Change-Talk beim Klienten hervorrufen

Durch offene Fragen

(1): Was beunruhigt Sie an der aktuellen Situation?

(2): Wie hätten Sie gerne, dass Dinge anders wären?

(3): Was gibt Ihnen die Zuversicht, eine solche Veränderung erfolgreich umsetzen zu

können?

(4): Was wären Sie bereit zu versuchen?

Diese Strategien werden häufig in der Suchtberatung angewandt, um Menschen mit

übermäßigem Konsum einer Substanz zum Reflektieren und zur Veränderung anzuregen. Sie

können dennoch in jedem anderen Kontext, der auf Veränderung abzielt verwendet werden.

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Interventionsprinzip: Netzwerkintervention

In der Krisenberatung wird häufig deutlich, dass das soziale Netz eines Betroffenen sehr

schwach ist, ein Teil oder sogar Auslöser der Krise ist. Grundlegend ist also die Suche nach

„gesunden“ sozialen Ressourcen, an denen Berater und Betroffener ansetzen können. So

entsteht eine Vernetzung informeller und formeller Hilfen als Netzwerkintervention.

In einer Krisenintervention liegen dem Interventionsprinzip folgende Schritte zugrunde:

Analyse des sozialen Netzwerkes des Betroffenen mittels Netzwerkkarte

Grafik entnommen aus Kunz et al. (2009: 39)

In der Mitte steht die betreffende Person mit dem „Ich“. Der erste Kreis beinhaltet sehr enge

Bezugspersonen, denen sich der Klient verbunden fühlt. Je weiter die Kreise nach außen

gehen desto höher wird die Distanz zu den benannten Personen. Anschließend werden

Personen markiert, die mit dem aktuellen Problem in Verbindung stehen und eine konflikthafte

Beziehung besteht.

Dabei eignet sich die Visualisierung mittels Flipchart/Papier etc. am besten. Auch eine bildliche

Vorstellung ist möglich, aber in der Krisensituation meist weniger wirksam.

Analyse im Hinblick auf

Struktur des sozialen Netzwerkes

Qualitative Veränderungsprozesse vor dem Hintergrund zeitlicher Aspekte

Beziehungserfahrungen

Zukünftige Beziehungswünsche

Aktuelle Zufriedenheit mit dem sozialen Netz

Welche Ressourcen können genutzt werden und welche Erwartungen hat jemand an

sein Netzwerk

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Förderung der Netzwerkorientierung

Meist muss diese Orientierung erst gefördert werden

Mögliche Einwände und Widerstände, warum eine Person nicht kontaktiert werden soll,

müssen vom Beratenden bearbeitet und u.U. eine neue Sichtweise vermittelt werden

(„es ist keine Schwäche zwischenmenschliche Hilfe anzunehmen“).

Förderung von Beziehungskompetenzen

Zieht sich ein Klient aufgrund von Kränkungen durch einen im Netzwerk wichtigen Menschen

zurück, ist es notwendig an Beziehungskompetenzen zu arbeiten. Hier kann ein erster Schritt

sein, ein Gespräch mit den Beteiligten anzuregen, bei dem die Kränkung geäußert wird. Dies

kann in einem Gruppensetting als Sozialkompetenz-Training vorher erarbeitet werden.20 Auf

diese Weise wird das, häufig angstbeladene, Gespräch eingeübt.

Interventionsprinzip: Klärung von Verantwortung

Klarheit über die Verantwortungsbereiche beteiligter Personen ist ein zentrales Mittel der

Krisenintervention. Grundsätzlich geht es dabei um die Zuständigkeit eines Menschen über

sein Denken, Fühlen und Handeln auf Grundlage seiner eigenen Entscheidungen. Meist ist

davon auszugehen, dass jemand seine Entscheidungen selbstverantwortlich treffen und

handeln kann. Die Grenzen können in der Krisenintervention verschwimmen – steht ein

Mensch unter gesetzlicher Betreuung, ist seine Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Auch

Menschen in psychotischen Zuständen sind häufig nicht fähig Einfluss auf ihre aktuelle

Situation zu nehmen.21 Ist Letzteres ausgeschlossen geht es in der Beratung um eine

unterstützende Haltung bei der Bestärkung, Verantwortung für sich und sein Handeln zu

übernehmen (Schutzauftrag vs. Selbstbestimmung).

Verantwortungsklärung zwischen

Klient und einer weiteren Person: Kann ohne diese Person erfolgen – häufig sogar

notwendig um Freiraum und Abstand zu gewinnen.

Berater und Klient: Klärung wer wofür verantwortlich ist.22 Generell ist der Beratende

für den Beratungsprozess verantwortlich, der Betroffene für die Problembeschreibung

– für die gesamte Beratungssituation ist es wichtig für den Berater, nicht zu viel

20 vgl. hierzu Soziales Kompetenz-Training nach Hinsch & Pfingsten 2007 – Beziehungen gestalten – von der Situation zur Verhaltenskonsequenz 21 In diesen Fällen ist meist eine stationäre Krisenintervention angezeigt. 22 Kunz et al. (2009:65) nennen hier als Beispiel ein Setting in der Paartherapie. So kann es sein, dass einer der Beteiligten versucht den Beratenden davon zu überzeugen, der jeweils andere habe die Schuld und fordert eine Parteiergreifung ein.

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Verantwortung zu übernehmen, so bleibt die Möglichkeit der selbstbestimmten

Entscheidung auf Klientenseite.

Abschätzung von Selbst- und Fremdgefährdung als Aspekt der Klärung von

Verantwortung: Hier ist u.a. auch der juristische Tatbestand der Selbst- und

Fremdgefährdung zu prüfen, was jedoch immer einer gewissen Subjektivität unterliegt.

Im Zweifelsfall muss ein Psychiater hinzugezogen werden.

Interventionsprinzip: Schützender Kontext

Die Notwendigkeit des Aufbaus eines wirksamen Schutzes ist die Grundlage dieses Prinzips.

Dies kommt häufig bei sexuellem Missbrauch oder häuslicher Gewalt zum Tragen, wo die

Betroffenen eine räumliche Trennung benötigen. Auch ein Mensch mit Depressionen und

suizidalen Anteilen muss in Einzelfällen vor sich selbst geschützt und in einer Klinik

untergebracht werden. Gleiches gilt für Menschen in akut psychotischen Zuständen.

Einen schützenden Kontext initiieren

Erkennen des Schutzbedürfnisses. Nicht immer ist ein notwendiger Schutz

erkennbar, deshalb muss der Beratende während des Gesprächs seine eigenen

Gefühle wahrnehmen und deuten können – diese sind häufig ein Hinweis auf den

Gefühlshaushalt des Betroffenen (u.a. Gegenübertragung23). So kann beim

Beratenden ein deutlicher Fürsorgewunsch aufkommen oder ein eigenes

Schutzbedürfnis und Angst. Diese Wahrnehmung gilt es in Fragen zu deuten:

„Ich habe den Eindruck Sie sind aktuell unter Druck und haben Angst“

„Was befürchten Sie, was passieren könnte?“

„Wer oder was kommt Ihnen zu nahe?“

Dem Klienten helfen ein Schutzbedürfnis zu entwickeln sowie eine

Bewusstmachung des Rechts auf Schutz. Bei häuslicher Gewalt und sexuellem

Missbrauch geht dieses Bedürfnis häufig verloren.

Selbstschutz berücksichtigen! Wird ein Krisenberater am Telefon zu einer Situation

um Hilfe gebeten, in der ein gewaltbereiter Familienvater involviert ist, ist es zunächst

notwendig die Polizei zu informieren und nicht alleine vor Ort aufzutauchen. Diese

Vorgehensweise hat auch Modellfunktion für den Klienten – so erkennt ein Betroffener,

dass in manchen Situationen Hilfe von außen eingefordert werden muss.

23 vgl. hierzu Niehaus (2009): Freuds Modell der „Übertragung und Gegenübertragung“ in der Sozialen Arbeit. IGEL Verlag

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Definition eines schützenden Kontextes zusammen mit dem Klienten. Hier

informiert der Berater über Schutzmöglichkeiten und es werden auf Basis folgender

Fragen gemeinsam Ideen zum Schutz entwickelt:

„Was stellen Sie sich vor, könnte beruhigend wirken?“

„Wo fühlen Sie sich jetzt aufgehoben und sicher“?

„Brauchen Sie Menschen um sich herum, oder möchten Sie für sich

sein?“

Insbesondere die Antwort auf die letzte Frage kann ein Hinweis für den Beratenden

sein. Menschen in Angstzuständen fühlen sich häufig sicherer, wenn sie andere

Menschen um sich haben (Achtung: Manche psych. Angsterkrankungen sind hiervon

ausgenommen). Menschen in akuten Psychosen können sich jedoch von Menschen in

ihrer näheren Umgebung bedroht fühlen und evtl. sogar fremdaggressiv werden.

Organisation von praktischem Schutz: Unterbringung in einem Frauenhaus,

Hinzuziehung der Polizei, Aufenthalt bei Freunden oder Verwandten, Aufnahme in

eine Klinik.

Interventionsprinzip: Entwicklung von Lebensperspektiven

„Mit „Lebensperspektive“ sind Sichtweisen und Gefühle gemeint, mit denen jemand in Hinblick

auf den weiteren Verlauf seines Lebens in die Zukunft blickt.“ (Kunz et al. 2009:90)

Das bisherige Leben mit all seinen Gewohnheiten kann aufgrund äußerer oder innerer

Einflüsse nicht in gleicher Form weitergeführt werden, deshalb muss eine neue Perspektive

erarbeitet werden (Stichwort „Leben mit bzw. nach der Krise“). Die Zukunft spielt dabei eine

zentrale Rolle. Durch die Entwicklung einer hypothetischen Zukunft, kann der Klient in der

aktuellen Situation eine Sicherheit verspüren, die ihn wieder handlungsfähig werden lässt.

Weiter muss die Zuversicht gestärkt werden. Das heißt Vertrauen in eine positive Entwicklung

zu haben, die Überzeugung, dass etwas gelingen kann.

Interventionsmöglichkeiten

Zukunftsszenario: „Lassen Sie ein Szenario vor Ihrem inneren Auge entstehen, bei

dem Sie fünf, zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahre älter sind als jetzt. Wie würde Ihr

Leben in dieser Zukunft aussehen? Wo sind Sie? Was machen Sie? Wie fühlen Sie

sich? Mit wem haben Sie zu tun?“

Hierbei geht es vor allem darum, das Denken des Betroffenen zu erweitern und

jemanden dabei zu unterstützen, neue Hoffnung zu entwickeln. Dabei können

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Visualisierungstechniken helfen, ebenso wie die Frage, welches Gefühl jemand in einer

Situation einer positiven Zukunft verspürt.

Wunderfrage: „Stellen Sie sich vor, Sie wachen am Morgen auf und über Nacht ist

unbemerkt ein Wunder eingetreten: Ihr bisheriges Problem ist gelöst. Was wird am

Morgen anders sein, wodurch Sie bemerken, dass das Wunder geschehen ist? Was

wäre anders in ihrem Leben als bisher?“ Hier geht es primär darum, die Veränderung

auf Basis der zukünftigen Wunschsituation zu analysieren und damit zu arbeiten.

Bei der Wunderfrage kann es hilfreich sein, die Antworten zu notieren. Grundziel ist die

Führung von einem Problemdenken in ein lösungsorientiertes Denken zu kommen und

zu erkennen, was der gewünschte Endzustand einer Situation ist.

15 MiniMax-Interventionen nach Manfred Prior

1. In der Vergangenheit

Verwenden der Vergangenheitsform beim Paraphrasieren und Spiegeln – Öffnen von

Lösungen für die Zukunft.

2. Nicht „ob“, sondern „wie“, „was“ und „welche“

W-Fragen regen zum Denken an und lassen Probleme als lösbar erscheinen.

3. „Sondern…?“

Immer dann wenn ein Klient mitteilt, was er nicht will… sondern.

4. „Immer“ stimmt im Zusammenhang mit Symptomen nie

„Immer“ lässt sich sehr gut mit der ersten Intervention paraphrasieren „In der

Vergangenheit hatten Sie immer… oder …oft…“ – hier kann auch nach den Zeiten

gefragt werden, wann „immer“ ist und wann die Symptome evtl. geringer auftraten.

5. „Ihr Problem ist vergleichbar mit … Es ist wie …“

Vergleiche anstellen im Sinne von Metaphern (Freisetzen von Ressourcen und

Lösungspotentialen).

6. Statt „Hoffentlich nichts Schlimmes“ ein zuversichtliches „Hoffentlich Gutes“

Negative Hoffnungen werden in positive umformuliert – Aus Angst und Verzweiflung

werden auf diese Weise Motivation und Zuversicht.

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7. „… noch nicht …“

Ähnlich wie die erste Intervention mit Formulierung und Blick auf die Zukunft.

„…können Sie noch nicht“

8. Konstruktive W-Fragen

Größter Vorteil einer W-Frage: Das Gesuchte wird als vorhanden vorausgesetzt

(„Welche… gibt es?“ oder „Wie können Sie … bewerkstelligen?“).

9. Konstruktive W-Fragen in kleinen Schritten

Lösungsorientierte W-Fragen im Konjunktiv formulieren und sich langsam an die

Lösung antasten („Womit könnte das denn zusammenhängen?“).

10. „Angenommen, Sie würden…“

Damit lassen sich Vorschläge und Anregungen gut verpacken und Sie bringen den

Klienten auf neue Gedankengänge.

11. „Mit dem bewussten Verstand konnten Sie bisher nicht…“

Hinführung zu unterbewussten Lösungsansätzen des Klienten, auch wenn er sich nicht

zutraut das zu können.

12. Nicht-Vorschläge

„Nicht für jeden eignet sich…“ oder eine Kombination der Interventionen 1 und 7 „In der

Vergangenheit haben Sie noch nicht versucht…?“ geben dem Klienten die Freiheit

sich zu entscheiden, Dinge abzulehnen.

13. Sprich die Sprache des Patienten / Klienten I

Hin und wieder ist es hilfreich zwischen „Über- und Untertreibern“ zu unterscheiden

und dies selbst als sprachliches Stilmittel zu verwenden.

14. Sprich die Sprache des Patienten / Klienten II

Bei großem Widerstand ist es hilfreich selbst Verneinungen in Sätze einzubauen – so

muss der Gesprächspartner die Fragen positiv beantworten.

15. Die VW-Regel

Wünsche statt Vorwürfe

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Würdigung & Distanzierung

Es kommt häufig vor, dass die Beratungssituation die erste Gelegenheit im Leben eines

Menschen ist, Schicksalsschläge und kritische Lebensereignisse anzusprechen. Vor dem

Hintergrund der gesamten Lebensgeschichte werden die damit verbundenen Ereignisse

anerkannt. Eine mit der zurückliegenden Krise verbundene Umdeutung (reframing)24 muss

glaubwürdig und mit dem individuellen Weltbild des Klienten vereinbar sein. Wichtig ist dabei

auch die Anerkennung vergeblicher Bewältigungsversuche als persönliche Anstrengung.

„Krise als Chance“ steht in dieser Interventionsform im Zentrum im Sinne einer Erweiterung

der bisherigen Lebenskonzeption und der Erschließung neuer Wege. Für den Beratenden ist

in der Beratungssituation wichtig zu wissen, der Klient hat ein Stück Lebenserfahrung mehr.

Sei es weil er dem Tod knapp entgangen ist oder gewisse Grenzerfahrungen erlebt hat25.

Weiter gibt es die Möglichkeit eine Distanzierung von der Krise mit dem Klienten zu

besprechen und einzuüben. So wird die betreffende Person gebeten die Rolle eines Freundes

einzunehmen und aus dessen Blickwinkel zu beschreiben, wie es zu der Krise kam. Diese

Distanz kann auch als Kinofilm geschehen, wobei der Klient sich vorstellen soll, er säße in

einem Kinosessel. Dabei schaut er auf eine Leinwand und sieht sich in einem Film, der den

Krisenanlass beschreibt (vgl. Dross 2001: 44ff.).

Krisentagebuch

Das Krisentagebuch ist eine Reflexionsform, die nicht für jeden Menschen geeignet ist. Für

einen selbstreflektierten Menschen kann es ein geeignetes Mittel sein, Dinge zu verarbeiten

im Sinne einer „Auslagerung“ von Gedanken. In dem Buch werden die Ereignisse in eigenen

Worten festgehalten. Eine erweiterte Form dieses Tagebuchs ist die Formulierung von fiktiven

Briefen. Dieser Brief kann an jeglichen Adressaten sein, der für den Klienten hilfreich erscheint

in der aktuellen Situation. Vorwiegend hat diese Vorgehensweise entlastende Funktion und

lässt den Klienten ungehemmter bei der Formulierung seiner Gedanken sein. Ein anderer

wichtiger Aspekt ist, dass die geschriebenen Zeilen zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal

überprüft werden können, so dass eine bereits eingetretene Veränderung (dies kann auch ein

sehr kurzer Zeitraum von etwa einer Woche sein) bewusst wird.

24 Der Begriff Reframing wird als Umdeutung übersetzt und meint, dass bestimmte vergangene Ereignisse in einen anderen

Zusammenhang gebracht werden und dadurch eine andere Bedeutung erhalten. Klienten sollen so eine neue Sichtweise auf ein von ihnen negativ bewertetes Erlebnis bekommen (vgl. Senf et al. 2013: 101). 25 Hier setzen auch Selbsthilfe- und psychoedukative Gruppen an. Betroffene können ihre Erfahrung besser mitteilen als ein Beratender.

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Rollenspiel

Äußerungen von Kritik, das Stellen notwendiger Forderungen oder eine gescheiterte

Diskussion sind Themen, die vielen Menschen immer wieder Schwierigkeiten bereiten. Im

Rollenspiel haben Klienten die Möglichkeit, vermiedene oder schwierige soziale Situationen

nachzustellen und sich auszuprobieren. Eine zentrale Szene kann so lange nachgestellt und

variiert werden, bis sie einen zufriedenstellenden Wert für die betreffende Person hat. Manche

Befürchtungen, in der Krise vom sozialen Netzwerk nicht verstanden zu werden sind nicht

immer unbegründet. Dross (2001) beschreibt hier, dass Betroffene durchaus die Erfahrung

machen, dass Freunde und Verwandte sich in der Krisenphase abwenden oder die

Problematik verharmlosen und nicht ernst nehmen. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein,

sogar den schlechtesten Fall einer Abweisung im Rollenspiel zu trainieren.

Mit Sinnfragen arbeiten

Mit Sinnfragen zu arbeiten stellt die Fähigkeiten des Beratenden auf die Probe. Wie soll die

Frage eines Klienten nach dem Sinn seiner Existenz oder gar nach dem Sinn des Lebens

angemessen beantwortet werden?

In dieser Situation ist es wichtig, sich nicht auf eine Diskussion über Gut und Böse, politische

Haltungen oder Weltanschauungen einzulassen. Häufig haben Menschen eine negative

Sinnhaltung aufgrund enttäuschender sozialer Erfahrungen von mehreren Seiten. Wer geringe

Verstärkungen in seinem Leben erfahren hat, ein schwaches soziales Netz um sich hat oder

generell viele Selbstzweifel hegt, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit von Sinnlosigkeitsgefühlen,

insbesondere in der Krise, verfolgt zu werden. Der Aufbau oder Rückgriff auf frühere

Interessen ist in der Beratung zentral. Intellektuelle Interessen, musische und gestalterische

Freizeitaktivitäten sind hier als Anknüpfungspunkte zu nennen, die es gilt herauszuarbeiten

und letztlich zu verstärken.26

Exkurs: Emotionspsychologie

Krisen sind mit starken und belastenden Emotionen verbunden. Die Emotionspsychologie

kann Erkenntnisse für die Arbeit mit Gefühlen in der Beratung liefern und tangiert nahezu jeden

Bereich, der von einer Krise begleitet wird. So werden in allen Modellen und Krisenarten

aufbrechende Emotionen oder anhedonische Zustände beschrieben, die Gefühle der

26 Siehe hierzu auch Artikel Psychologie heute „Sinn“

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Depression, Wut, Einsamkeit sowie Ohnmachtsgefühle beschreiben. Für die Krisenberatung

sind nach Dross (2001: 175 ff.) Kenntnisse über verschiedene Aspekte der

Emotionspsychologie hilfreich.

- Der kognitive Anteil wird als Grundlage für die Entstehung der Emotionen gesehen,

d.h. die kognitive Bewertung geht den Emotionen voraus. Gleichzeitig werden in

der Literatur Gefühle beschrieben, die vor jeder bewussten Wahrnehmung

entstehen, sog. präkognitive Emotionen (z.B. Angst – vgl. Kampf/Flucht-Modus im

ZNS).

- Emotionen haben eine Bedeutung für Handlungsorientierung und Planung.

- Emotionen sind eine Antwort auf die Bedeutung von Ereignissen, die wesentliche

Bedürfnisse und Ziele berühren.

- Emotionen können als störend empfunden werden, zum einen wenn sie ausbleiben

(Depressionen) oder sich zu intesiv äußern (Panik, mangelnde Impulskontrolle).

Sie können sich auch versteckt in Form somatischer Reaktionen äußern

(Hautprobleme, starkes Schwitzen ohne körperliche Anstrengung, Herzrasen,

Magen-Darm-Beschwerden).

Für die Krisenberatung bedeutet das, Emotionen einen besonderen Stellenwert einzuräumen

und emotionale Entlastung und Stabilisierung anzustreben. Das annehmende Gespräch, die

Wertschätzung der Situation und der Gefühle, positive Visualisierungen sowie die generelle

Auseinandersetzung mit belastenden Emotionen sind zentrale Handlungspunkte für die

Krisenintervention.

Krisenintervention als Versorgungsmodell

Nachfolgende Aufgaben tauchen häufig in Konzepten psychosozialer Beratungsstellen je nach

Ausrichtung und Organisationsform auf.

- Präventionsarbeit: Zur Vermeidung einer Chronifizierung von Krisen oder der

Vermeidung der Entwicklung von Störungsbildern.

- Früherkennung und Information: Eine häufige Aufgabe von Beratungsstellen ist

es, Störungsbilder zu erkennen und darüber zu informieren .

- Reduzierung von Gefährdungen: Alle Gefährdungen die Krise betreffend sollen

reduziert werden (Suizidalität, ökonomische Unsicherheiten, Gefahren aller Art).

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- Motivieren: Zur Nutzung weiterführender Hilfen motivieren falls die angebotene

Krisenintervention nicht ausreichend ist.

- Angehörige entlasten: Entlastung durch Aufklärung und Hilfestellung geben bei

der Einschätzung eigener Hilfsmöglichkeiten für den Klienten (Vermeidung von

Überforderung).

- Defizite abdecken: Hilfestellung für Menschen, die keine Ansprechpartner im

eigenen Umfeld haben und Beratungsstellen nicht in Anspruch nehmen wollen,

anbieten.

- Herausnahme aus dem Alltag: Manche Kriseneinrichtungen halten Betten für

Akutfälle vor, so dass sie ein Zufluchtsort für Menschen in akut belasteten

Situationen sind.

- Unterbringung abwenden: Menschen in Akutkrisen werden ohne professionelle

Hilfe häufig in Kliniken untergebracht, dies gilt es falls möglich, zu verhindern.

Sofern eine Unterbringung notwendig erscheint, nur in Absprache mit dem Klienten.

- Fachberatung und Fortbildung: Fachliche Auseinandersetung und

Weiterentwicklung.

Kriseneinrichtungen können sehr unterschiedlich und vielfältig gestaltet sein, wobei diese

Aufgaben und bestimmte Strukturmerkmale häufig übergreifend identisch sind. Dazu zählen

Niedrigschwelligkeit für den Zugang zu professionellen Hilfen, zeitliche Begrenztheit der

Intervention und die Weitervermittlung an andere Beratungsstellen.

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Anlagen

Einschätzung einer Gefährdungssituation

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Auszug aus Steinbach (2006: 479)

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Gesprächsführung nach Kontext

(Tabelle entnommen aus Widulle 2012:37)

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Schritte im Krisengespräch, konkrete Maßnahmen und mögliche Fehler

(Tabelle entnommen aus Hausmann 2010:127)

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