Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „...

22
Kritische Pdagogik Zusammenfassung aus „Pdagogisches Denken“ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die (sozial)pdagogische Profession mit einem eigenen Selbstverstnd- nis, einem eigenstndigen Problembewusstsein, einem eigenstndigen Begriffs- und Erklrungsrepertoire auszustatten, kurzum: eine erziehungswissenschaftliche Hand- lungskompetenz zu vermitteln, die den Auszubildenden in der Praxis eine pdagogi- sche Handlungsfhigkeit zur Verfgung stellt, die einen unmittelbaren Pragmatismus vermeidet, sie vielmehr ermchtigt, die Bedingungen pdagogischen Handelns zu reflektieren, ohne handlungsunfhig zu werden. Der Zusammenhang von Pdagogik und Gesellschaft (Sozial)pdagogisches Denken zeichnet sich aus durch den Bezug auf Erziehung und Bildung, Vorgnge in der Subjektwerdung, die deshalb so komplex sind, weil sie sich im Zusammenhang gesellschaftlicher Prozesse vollziehen und daher nicht los- gelst von konkreten gesellschaftlichen Verhltnissen analysiert werden knnen. Theorie und Praxis – Erziehungswissenschaft und Pdagogik Erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz meint keine praktische Fhigkeit, sondern bezieht sich auf die Zueignung von Theoriewissen, das das pdagogische Handeln in einen greren historischen und gesellschaftlichen Kontext zu stellen vermag. Erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz frdert die Analyse und Reflexion pdagogischer Prozesse vor dem Hintergrund des widerspruchsvol- len Verhltnisses von Gesellschaft und Erziehung. Erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz zielt auf die kritische Auf- klrung der Bedingungen pdagogischen Handelns und soll so einer verkrz- ten pdagogischen Betriebsamkeit Einhalt gebieten. Erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz trgt als theoretisches Vermgen dazu bei, die Phnomene der Erziehungswirklichkeit in einen Be- wusstseinshorizont zu fhren, in dem die Erscheinungen von Bildung und Er- ziehung auf gesellschaftlich-historische Entwicklungstendenzen und ihre Wi- dersprche und Probleme hin reflektiert werden knnen. Erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz enthlt Theorie- und Ref- lexionswissen als grundlegende Bestandteile; - Pdagogik als Handlungswis- senschaft ist in besonderem Mae auf Theorie und Reflexion angewiesen. Pdagogik ist fundamental auf Theorie angewiesen: Weil Pdagogik stets in eine gesellschaftlich vermittelte pdagogische Praxis eingreift, muss gerade sie sich des- sen bewusst sein, was sie tut, in wessen Auftrag sie handelt, und welches die Kon- sequenzen ihres eigenen Handelns sind. Als verantwortlich kann pdagogisches Handeln erst dann eingestuft werden, wenn es sich nicht auf den sogenannten gesunden pdagogischen Menschenverstand ver- lsst, sondern eben dessen naiven Blick auf die pdagogischen Verhltnisse durch- bricht. Theorien stehen dabei in einer gewissen kritischen Distanz zur Realitt, sie sollen durch ihre begriffliche Ordnung und ihre systematische Verdichtung der Erfahrungen

Transcript of Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „...

Page 1: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Kritische P�dagogikZusammenfassung aus „P�dagogisches Denken“ (Armin Bernhard)

Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung?Das Ziel ist, die (sozial)p�dagogische Profession mit einem eigenen Selbstverst�nd-nis, einem eigenst�ndigen Problembewusstsein, einem eigenst�ndigen Begriffs- und Erkl�rungsrepertoire auszustatten, kurzum: eine erziehungswissenschaftliche Hand-lungskompetenz zu vermitteln, die den Auszubildenden in der Praxis eine p�dagogi-sche Handlungsf�higkeit zur Verf�gung stellt, die einen unmittelbaren Pragmatismus vermeidet, sie vielmehr erm�chtigt, die Bedingungen p�dagogischen Handelns zu reflektieren, ohne handlungsunf�hig zu werden.

Der Zusammenhang von P�dagogik und Gesellschaft(Sozial)p�dagogisches Denken zeichnet sich aus durch den Bezug auf Erziehung und Bildung, Vorg�nge in der Subjektwerdung, die deshalb so komplex sind, weil sie sich im Zusammenhang gesellschaftlicher Prozesse vollziehen und daher nicht los-gel�st von konkreten gesellschaftlichen Verh�ltnissen analysiert werden k�nnen.

Theorie und Praxis – Erziehungswissenschaft und P�dagogik Erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz meint keine praktische

F�higkeit, sondern bezieht sich auf die Zueignung von Theoriewissen, das das p�dagogische Handeln in einen gr��eren historischen und gesellschaftlichen Kontext zu stellen vermag.

Erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz f�rdert die Analyse und Reflexion p�dagogischer Prozesse vor dem Hintergrund des widerspruchsvol-len Verh�ltnisses von Gesellschaft und Erziehung.

Erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz zielt auf die kritische Auf-kl�rung der Bedingungen p�dagogischen Handelns und soll so einer verk�rz-ten p�dagogischen Betriebsamkeit Einhalt gebieten.

Erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz tr�gt als theoretisches Verm�gen dazu bei, die Ph�nomene der Erziehungswirklichkeit in einen Be-wusstseinshorizont zu f�hren, in dem die Erscheinungen von Bildung und Er-ziehung auf gesellschaftlich-historische Entwicklungstendenzen und ihre Wi-derspr�che und Probleme hin reflektiert werden k�nnen.

Erziehungswissenschaftliche Handlungskompetenz enth�lt Theorie- und Ref-lexionswissen als grundlegende Bestandteile; - P�dagogik als Handlungswis-senschaft ist in besonderem Ma�e auf Theorie und Reflexion angewiesen.

P�dagogik ist fundamental auf Theorie angewiesen: Weil P�dagogik stets in eine gesellschaftlich vermittelte p�dagogische Praxis eingreift, muss gerade sie sich des-sen bewusst sein, was sie tut, in wessen Auftrag sie handelt, und welches die Kon-sequenzen ihres eigenen Handelns sind.

Als verantwortlich kann p�dagogisches Handeln erst dann eingestuft werden, wenn es sich nicht auf den sogenannten gesunden p�dagogischen Menschenverstand ver-l�sst, sondern eben dessen naiven Blick auf die p�dagogischen Verh�ltnisse durch-bricht.

Theorien stehen dabei in einer gewissen kritischen Distanz zur Realit�t, sie sollen durch ihre begriffliche Ordnung und ihre systematische Verdichtung der Erfahrungen

Page 2: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

in dieser Wirklichkeit orientieren. – Theorien stellen eine kritische Distanz gegen�ber den Zw�ngen der p�dagogischen Alltagsarbeit dar, sie sollen aufkl�ren �ber die Vo-raussetzungen und Bedingungen p�dagogischen Handelns, d.h. sie stellen eine Art Kompass in einer komplizierten Erziehungswirklichkeit dar.

P�dagogische Theorien helfen also nicht unmittelbar bei der L�sung p�dagogischer Probleme, sie stellen keine Regeln oder Rezepte f�r die p�dagogische Praxis auf, sie systematisieren und ordnen lediglich die p�dagogischen Erfahrungen.

P�dagogik als Begriff enth�lt sowohl die Theorie wie die Praxis der Erziehung und Bildung. P�dagogik ist auf die wissenschaftliche wie auf die Erfahrungsebene, auf Theorie wie Praxis gleicherma�en bezogen. – W�hrend der Begriff der P�dagogik sich auf die Gesamtheit von Theorie und Praxis der Erziehung und Bildung bezieht, konzentriert sich die Kategorie der Erziehungswissenschaft auf die Ebene der wis-senschaftlich-theoretischen Erforschung der gesellschaftlichen Wirklichkeit von Bil-dung und Erziehung.

Was ist Kritische P�dagogik?Kritische P�dagogik bezeichnet eine grundlegende erziehungswissenschaftliche Theorieposition, deren Spezifikum in der sozialkritischen Reflexion der Bedingungen von Bildung und Erziehung in der Gesellschaft besteht.

Kritische P�dagogik tritt Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre in die erzie-hungswissenschaftliche Landschaft ein. Sie entsteht in diesem Zeitraum insbesonde-re durch die gewaltige Schubkraft der studentischen Protestbewegung.

Was ist das besondere gesellschaftskritischer Ans�tze?Die gesellschaftskritischen Ans�tze der Erziehungswissenschaft gehen von einem spezifischen Wissenschafts- und Theorieverst�ndnis aus. Leitend ist dabei die Un-terscheidung zwischen traditioneller und kritischer Theorie. Der Vorwurf kritischer Erziehungswissenschaft gegen�ber traditionellen Theoriemodellen besteht in dem Umstand, dass diese ihre Forschungspraxis weitgehend losgel�st von den jeweiligen gesellschaftlich-historischen Verh�ltnissen und ihren politischen Interessenkonstella-tionen entwickelte, also beispielsweise das p�dagogische Interaktionsverh�ltnis als eine relativ autonome Beziehung zwischen Erzieher und Z�gling beschrieb und ihre Bem�hungen auf die Optimierung dieses p�dagogischen Interaktionsverh�ltnisses und damit auf das Gelingen der Erziehung anlegte. Ausgeblendet wurde in diesen Theorietypen allerdings der Umstand, dass die p�dagogischen Beziehungen in ihrer Qualit�t von Bedingungen abh�ngig sind, die nicht im p�dagogischen Verh�ltnis selbst, sondern in den gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverh�ltnissen be-gr�ndet sind. – Weder wird so ein Zugriff auf die Herrschaftsdimension und damit auch die emanzipationsfeindlichen Tendenzen im Bildungsprozess zugelassen, noch werden die gesellschaftlichen Interessen im Bildungsprozess identifiziert bzw. der politische Charakter von Erziehung herausgestellt.

Das Modell Kritischer Erziehungswissenschaft dagegen orientiert auf die Ermittlung von Widerspr�chen und Zw�ngen im Feld der Erziehung. Sie fragt nach den gesell-schaftlichen Reproduktionsbedingungen, in denen alle p�dagogischen Beziehungen und Prozesse angelegt sind. Kritische Erziehungswissenschaft stellt den Schl�ssel zum Verst�ndnis von Bildung und Erziehung zur Verf�gung; ohne diese systemati-sche Analyse k�nnen p�dagogische Handlungsperspektiven nicht entwickelt werden.

Page 3: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Im Rahmen der Kritischen Erziehungswissenschaft werden also Gesellschaft, Macht und Herrschaft zu zentralen Kategorien, mit denen Bildungsprozesse analysiert wer-den k�nnen:

Welche Bedingungen stellt die Gesellschaft Kindern und Jugendlichen zur Verf�gung?

Welche Interessen schlagen sich im Bildungsprozess nieder? Welchen Verwertungsbed�rfnissen sind p�dagogische Vorg�nge unterwor-

fen?

Was bedeutet „Kritik“?Kritik meint die begr�ndete Beanstandung der Gesellschaft im Hinblick auf die Ge-staltung von Erziehungs- und Bildungsprozessen.Kritik ist auf die systematische �berpr�fung der gesellschaftlich-politischen Voraus-setzungen angelegt, denen sowohl die Praxis der Erziehung wie die Erziehungs- und Bildungswissenschaft unterworfen sind. Diese Kritik ist keineswegs willk�rlich ge-setzt: Ma�stab der Kritik in der P�dagogik ist der Grad der Realisierung individueller und kollektiver M�ndigkeit – zwei Ebenen, die untrennbar miteinander verkn�pft sind.

Im Hinblick auf die Gesellschaft intendiert Kritische P�dagogik eine radikale Demo-kratisierung und Zivilisierung der gesellschaftlichen Beziehungsverh�ltnisse, deren Ideal in der Zukunft einer vern�nftig organisierten Gesellschaft besteht – jenseits der gesellschaftlichen Beschr�nkung des Menschen auf seine Funktion als privater Wa-renbesitzer.

Mit Blick auf die Subjektwerdung ist Kritische P�dagogik orientiert an den Leitideen der Emanzipation, der M�ndigkeit, der Autonomie, die je nach gesellschaftlicher Si-tuation und ihren Erfordernissen immer wieder konkret bestimmt werden m�ssen.

Jede sich als neutral verstehende p�dagogische Forschung (und Praxis) verkennt den politisch-gesellschaftlichen Charakter von Bildung und Erziehung und dient der Verteidigung einer schlechten Wirklichkeit.

ERZIEHUNG

Erziehung ist zun�chst als ein anthropologischer Sachverhalt auszuweisen, als ein Sachverhalt, der mit dem Wesen der menschlichen Natur grundlegend verkn�pft ist:Um als Mensch zu �berleben, bed�rfen wir der Erziehung. Erziehung ist dar�ber hin-aus ein gesellschaftlicher Grundtatbestand: Um als Gesellschaft zu �berleben, ist die Sozialformation auf Erziehung grundlegend angewiesen.

Der Erziehungsbegriff der Geisteswissenschaftlichen P�dagogik

Die geisteswissenschaftliche P�dagogik kennzeichnet das erste erziehungswissen-schaftliche Modell, das sich nach der Emanzipation der P�dagogik aus Theologie

Page 4: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

und Philosophie etablierte und die Entwicklung der Erziehungswissenschaft von Be-ginn des 20. Jahrhunderts bis weit in die 1960er Jahre hinein bestimmte.

Von Beginn an beschr�nkt sich die geisteswissenschaftliche P�dagogik auf die Er-forschung von Geistes- und Kulturgeschichte und vernachl�ssigt in der Folge dieser theoretischen Reduktion die sozialgeschichtlichen und sozialstrukturellen Dimensio-nen von Erziehungs- und Bildungsprozessen.

Die traditionelle Erziehungswissenschaft – vorneweg die geisteswissenschaftliche P�dagogik – hat Erziehung noch weit bis in die 1960er Jahre hinein als personale Interaktion aufgefasst und damit dem Vorurteil Vorschub geleistet, der Kern der Er-ziehung sei in einem personalen Beziehungsgeflecht zu sehen. Ausgangspunkt einer solchen P�dagogik, in deren Mittelpunkt das „p�dagogische Verh�ltnis“ bzw. der „p�dagogische Bezug“ steht, ist die Beschreibung des Verh�ltnisses zwischen Erzie-her und Z�gling. Folgende Strukturmerkmale eines solchen p�dagogischen Ver-st�ndnisses lassen sich identifizieren:

Grundlage aller Erziehung ist „das leidenschaftliche Verh�ltnis eines reifen Menschen zu einem werdenden Menschen“ (NOHL). Demnach besitzt der Z�gling ein Eigenrecht auf Entwicklung und Selbstverwirklichung, das der Er-zieher gegen ungerechtfertigte Anspr�che und Zumutungen au�erp�dagogi-scher M�chte, also der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Politik, verteidigen muss. Gleichzeitig muss der Erzieher dem Z�gling helfen, die berechtigten An-forderungen, die an ihn gestellt werden, zu meistern. – Das leidenschaftliche Verh�ltnis des Erziehers zum Z�gling muss also durch „p�dagogische Ver-antwortung“ bestimmt sein.

Die „Erziehungswirklichkeit“ kann nur als geschichtliche begriffen werden, so dass es sich in der P�dagogik verbietet, �berzeitlich g�ltige Erziehungsziele festzulegen; Erziehungsziele unterliegen dem geschichtlichen Wandel, sie k�nnen also nicht �berzeitlich bestimmt werden.(Erst �ber ein Studium der Geschichte, des geschichtlichen Wandels, k�nnen Erziehungsziele identifiziert und bestimmt werden. Die Begr�ndung von Erzie-hungszielen im Raum des p�dagogischen Verh�ltnisses und die Legitimation p�dagogisch verantwortlichen Handelns ergeben sich als Resultat des jeweils konkreten Studiums des gesellschaftlich-historischen Wandels und m�ssen daher immer wieder neu vorgenommen werden.

Das p�dagogische Verh�ltnis ist ein Interaktionsverh�ltnis: Der Z�gling ist nicht nur Objekt erzieherischer Einfl�sse, sondern prinzipiell dazu berechtigt, das p�dagogische Verh�ltnis mitzugestalten (partnerschaftliches Verh�ltnis zwischen Erzieher und Z�gling). Dennoch: beim „p�dagogischen Verh�ltnis“ handelt es sich um ein asymmetrisches Interaktionsverh�ltnis, da die gr��ere Lebenserfahrung des Erziehers seine Autorit�t und �berlegenheit begr�ndet.

Die im p�dagogischen Verh�ltnis bestehende „Bindung des jungen Menschen an einen Erwachsenen“ ist vorl�ufiger Natur; es muss dazu tendieren, diese Bindungen von beiden Seiten her aufzul�sen. So ist in der Erziehung jeweils neu dar�ber nachgedacht werden, in welcher Weise das p�dagogische Prob-lem von Bindung und Emanzipation nach Ma�gabe h�herer Grade von Auto-nomie beim Z�gling gestaltet werden kann.

Die Theorie des p�dagogischen Bezuges hat die Tatsache ignoriert, dass Er-ziehung und Bildung sich immer in gesellschaftlichen Rahmenverh�ltnissen abspielen, und dass daher auch die Subjektentwicklung immer in ihrem ge-

Page 5: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

sellschaftlich-historischen Kontext reflektiert werden muss. – Wenngleich die geisteswissenschaftliche P�dagogik das Prinzip der Geschichtlichkeit von Er-ziehung und Erziehungszielen hervorgehoben hat (s. erster Punkt in dieser Aufz�hlung), so reduzierte sie ihre Anlagen in fahrl�ssiger Weise auf die Er-forschung sogenannter Geistesgeschichte und klammerte die gesamtgesell-schaftlichen Strukturen aus, denen alle Erziehungs- und Bildungsprozesse un-terliegen.

Kritik an der Theorie des p�dagogischen Bezugs Das p�dagogische Verh�ltnis unterliegt gesellschaftlichen Zw�ngen und Not-

wendigkeiten und ist daher keineswegs nach dem Prinzip der Freiwilligkeit or-ganisiert. Die Frage, wie die erzieherische Beziehung geregelt wird, f�llt weder in den Entscheidungshorizont des Erwachsenen noch des Heranwachsenden.Erziehung vollzieht sich vor dem Hintergrund institutioneller, politischer und gesellschaftlicher Vorgaben, die in das interpersonale Verh�ltnis verzerrend hineinwirken.

Das p�dagogische Verh�ltnis ist keine ideale Erziehungsgemeinschaft, son-dern ein hierarchisches Beziehungsverh�ltnis. Damit gehen Machtbeziehun-gen in das p�dagogische Verh�ltnis ein, die von der geisteswissenschaftlichen P�dagogik verschleiert werden, wenn sie mit dem Begriff der „Erziehungsge-meinschaft“ suggeriert, bei der Erziehung handele es sich um ein weitgehend gleichberechtigtes Verh�ltnis zweier Personen.

Der subjektive Charakter des Erziehungsgeschehens wird im geisteswissen-schaftlichen Erziehungsbegriff gegen�ber dem objektiven Moment �berbetont; das Ziel der Erziehung wird von den gesellschaftlichen Funktionen der Erzie-hung in einer bestimmten historisch-gesellschaftlichen Situation abgekoppelt. Diese geisteswissenschaftlich verk�rzte Perspektive l�sst fundamentale Fak-toren der menschlichen Subjektwerdung au�er acht: etwa die institutionellen Strukturen, in denen sich Bildungsprozesse vollziehen; oder den zentralen Einfluss der Massenmedien auf die Subjektwerdung; oder aber die Sozialisati-onserfahrungen, die Jugendliche in Gleichaltrigengruppen sammeln k�nnen. Alle diese Einfl�sse, die die Subjektwerdung des Menschen grundlegend be-einflussen, wurden in dem geisteswissenschaftlich verengten Blick der dama-ligen P�dagogik systematisch ignoriert.

Der Erziehungsbegriff der empirisch-analytischen P�dagogik

Die empirische Erziehungswissenschaft etabliert sich Mitte der 1960er Jahre. Ge-gen�ber der geisteswissenschaftlichen P�dagogik sollte Erziehungswissenschaft nun auf eine erfahrungswissenschaftliche Grundlage gestellt werden, um die „realen“ Be-dingungen von Bildung und Erziehung ermitteln zu k�nnen.

So hat Wolfgang BREZINKA zum ersten Mal eine sozialwissenschaftliche Definition von Erziehung vorgelegt, die dem geisteswissenschaftlichen Erziehungsbegriff inso-fern entgegengesetzt ist, als hier Erziehung in einem rationalistischen Sinne zu be-stimmen versucht. Demnach

„werden unter Erziehung Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gef�ge der psychischen Dispositionen anderer Menschen in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten

Page 6: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

oder die Entstehung von Dispositionen, die als schlecht bewertet werden, zu verh�-ten“ (BREZINKA).

Was wird damit zum Ausdruck gebracht?In diesen Handlungen (Erziehung) wird ein Erziehungsobjekt gesetzt. Es wird un-missverst�ndlich deutlich, dass es sich bei Erziehung um einen systematischen Ein-griff in den Prozess der Subjektwerdung handelt.

Kritik an diesem Erziehungsverst�ndnis Ein zentrales Problem der Definition liegt in der fehlenden Ermittlung von Er-

ziehungszielen. Es wird nicht n�her bestimmt, von wem und auf welche Art Erziehungsziele

bestimmt werden. Die Frage, welche Dispositionen entwickelt werden sollen, welche als wertvoll beurteilt werden k�nnen, welche verhindert werden sollen, wird nicht einer p�dagogischen Legitimation unterzogen.

Erziehung erscheint als eine Technologie in der Hand der Erzieher, die nicht legitimiert werden muss.

Das gesellschaftliche Interessengef�ge, das in das Erziehungsfeld massiv hineinwirkt, findet in dieser Definition kaum Ber�cksichtigung. D.h., dass Er-ziehung unter den Direktiven gesellschaftlicher Reproduktionsprozesse sich vollzieht und demzufolge Herrschaftsanspr�chen unterworfen ist, die einen einengenden, behindernden Einfluss auf die Subjektwerdung aus�ben k�n-nen, kennzeichnet einen Grundsachverhalt, der in dieses Erziehungsver-st�ndnis nicht eingeht.

Letztlich wird Erziehung als intentionale Handlung vorgestellt, die „linear“ ge-dacht ist, n�mlich vom Erzieher zum Z�gling gehend. Eine eigene Vernunft, ein eigener Wille wird in diesem linear angelegten Prozess den zu Erziehen-den nicht zugedacht.

Erziehung im Kontext einer Kritischen P�dagogik

In der Lebensgeschichte des Individuums ist Erziehung wesentlich durch die pers�n-liche Beziehung zu Vater und Mutter bestimmt.

Erziehung aber ist dar�ber hinaus und vor allem ein gesellschaftliches Verh�ltnis. Erziehung steht in gr��eren gesellschaftlichen und politischen Zusammenh�ngen, die sich dem voreingenommenen lebensgeschichtlichen Blick entziehen.

Erziehung ist also einerseits ein privat-personales Verh�ltnis; doch sie repr�sentiert immer auch ein gesellschaftliches Beziehungsverh�ltnis; denn: keine Gesellschaft ist in der Lage, ohne Erziehung ihren Bestand und ihre Weiterentwicklung zu sichern.

Erziehung ist zust�ndig f�r die �bermittlung der historischen Erfahrungen von einer Generation zur n�chsten; ohne Erziehung ist weder ein Erfahrungstransfer denkbar, noch die durch Tradition gestiftete Weiterentwicklung der menschlichen Gattung.

Erziehung ist ein Vorgang, der den Entwicklungsprozess des heranwachsenden Menschen einleitet, begleitet und fortf�hrt; Erziehung ist zu verstehen als eine zielge-richtete, bewusst geplante, intentionale, mit Absicht vollzogene Handlung

Page 7: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Meint „Sozialisation“ die gesamten Einfl�sse der Lebensumst�nde auf die Subjekt-werdung, so bezieht sich der Begriff der Erziehung lediglich auf ein Teilmoment die-ser Gesamtheit.Erziehung als zielorientiertes gesellschaftliches Handeln ist der Versuch, bewusst gestaltend in das Gesamtfeld der Sozialisation einzugreifen.

Erziehung und Manipulation, F�rderung und negative Beeinflussung liegen jedoch nahe beieinander. Der �bergang von Erziehung in Manipulation kann flie�end sein.

Die geplanten Einflussnahmen auf die Pers�nlichkeitsentwicklung sind nur dann als Erziehung zu bezeichnen, wenn sie in p�dagogischer Verantwortung stehen, wenn sie also auf die Verminderung von Fremdbestimmung und damit auf die Erh�-hung von Autonomie des Subjekts angelegt sind.

Erziehung meint also soziale Handlungen, die aus p�dagogischer Verantwortung heraus organisiert werden mit dem Ziel des Aufbaus und der Erweiterung des Hand-lungsspektrums des Kindes.

Erziehung im Kontext einer Kritischen P�dagogik besteht also nicht einfach darin, die Heranwachsenden nach bestimmten Wertma�st�ben (der Erwachsenen) zu f�rdern, sondern sie systematisch an die Schwelle zur M�ndigkeit zu f�hren.

Die Ambivalenz: Erziehung zwischen Freiheit und ZwangWenn Erziehung ein systematischer Eingriff in die kindliche Entwicklung ist, dann muss sie notwendigerweise Zw�nge beinhalten. Erziehung ist notwendig mit Zwang verkn�pft.

Erziehung ist durch ihre gesellschaftliche Integrationsfunktion gekennzeichnet. Sie intendiert die Einpassung der Heranwachsenden in einen vorgegebenen gesell-schaftlichen Kontext.Selbst wenn Erziehung auf die Entfaltung des kindlichen Subjektverm�gens zielt, ist sie immer auch ein St�ck weit Formung: Sie bringt das Subjektverm�gen des Kindes in eine bestimmte gesellschaftliche Form; denn wir k�nnen Kinder nicht einfach dem Strom ungerichteter Sozialisations- und Lebensverh�ltnisse �berlassen. Erst �ber Erziehung k�nnen wir die mangelnde Instinktausstattung ausgleichen und unsere �berlebensf�higkeit aufbauen.

Andererseits resultieren diese Zw�nge aus der Schutzfunktion der Erziehung: Erzie-hung beinhaltet Schutz, Protektion des Kindes vor unkontrollierten Sozialisationsein-fl�ssen der Gesellschaft. Erziehung ist damit eine wesentliche Voraussetzung gelin-gender Identit�tsentwicklung von Kindern und Jugendlichen.

Die Aufgabe von Erziehung aus der Perspektive einer kritischen P�dagogik for-mulierte Herwig Blankertz:Thema der P�dagogik ist die Erziehung, die den Menschen im Zustand der Un-m�ndigkeit antrifft. Erziehung muss diesen Zustand ver�ndern, aber nicht belie-big, sondern orientiert an einer unbedingten Zwecksetzung, an der M�ndigkeit des Menschen.

Page 8: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Die Legitimation von Erziehung geht wesentlich aus dem Sachverhalt der „Selbstge-f�hrdung“ von Kindern hervor. Die Selbstgef�hrdung von Kindern muss der Ma�stab einer protektiv angelegten Erziehung sein. – Damit ist das Prinzip der p�dagogischen Verantwortung zun�chst negativ bestimmt: sie dient der Abwehr von Entwicklungs-und Sozialisationsgef�hrdungen.

P�dagogische Verantwortung ist jedoch nicht nur negativ im Sinne der Abwehr von Entwicklungsgef�hrdungen des Kindes anzulegen, viel mehr ist sie auch auf eine positive Aufgabenbestimmung hin angelegt. Die konkrete Form der Erziehung ent-scheidet n�mlich wesentlich �ber den weiteren Verlauf der Subjektentwicklung mit. –So hat Erziehung die konstruktive Entwicklungsaufgabe, die eigensinnigen Subjekt-verm�gen von Kindern zu erweitern und zu entfalten.

So kann Erziehung zur Anw�ltin des Kindes werden, wenn sie darauf hinzielt, den kindlichen F�higkeiten im Kontext jeweils konkreter gesellschaftlicher Erfahrungszu-sammenh�nge zur Entfaltung zu verhelfen.

Erziehung ist Mittlerin zwischen Kindes-Entwicklung und Gesellschaft: Erziehung ist weder blo�e Formung des Menschen (technizistisches Erziehungsver-st�ndnis) noch blo�e Freilegung seiner naturhaften Anlagen (naturalistisches Erzie-hungsverst�ndnis). Erziehung gestaltet vielmehr den Prozess der Vermittlung zwi-schen heranwachsenden Menschen und Gesellschaft, indem sie dessen Entwick-lungspotentiale mit den gesellschaftlichen Anforderungen verkn�pft. – Dieser Pro-zess der Vermittlung zwischen kindlichem Entwicklungsprozess und Gesellschaft hei�t Erziehung.

Dieser Prozess der Vermittlung zwischen kindlichem Entwicklungsprozess und Ge-sellschaft, den wir Erziehung nennen, steht unter der p�dagogischen Verantwortung der Gew�hrleistung von Autonomie!

Erziehung ist eine Gratwanderung zwischen kindlichen Entwicklungsbed�rfnissen und gesellschaftlichen Anforderungen, sie ist mit Zwang verkn�pft, aber zugleich auf die Autonomie des Kindes hin orientiert. Je weiter wir in der Entwicklung des menschlichen Subjekts zur�ckgehen, umso st�rker ist der formende Einfluss der Er-ziehung. – Von Beginn an ist also der Erziehungsprozess in ein Machtverh�ltnis ein-gelagert.

Dies ist die Hypothek, die der Erziehung wesenseigen ist: ein Grundmuster der Un-terwerfung, unter die Machtanspr�che der prim�ren Bezugspersonen. Die Gesell-schaft �bt mit Erziehung einen massiven Einfluss auf die Subjektwerdung aus, weil die noch plastische, die noch formbare Subjektivit�t der Heranwachsenden kaum Widerstand gegen die Erziehungsma�nahmen zu leisten in der Lage ist.

Und dennoch gilt:1. ungeachtet dieser totalit�ren Tendenz ist der Zwang erforderlich, da er sich

aus der Selbstgef�hrdung von Kindern begr�ndet;2. Ohne diese Fremdbestimmung durch den Erwachsenen gibt es keine Losl�-

sung, gibt es keine Autonomie.

Page 9: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

3. Ohne die Herstellung von Sozialit�t durch Erziehung w�rden die zivilen Grund-lagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens ebenso untergraben, wie die Entwicklung selbstbestimmter Handlungsperspektiven des Menschen.

Erziehung muss so angelegt werden, dass die �berleitung von anf�nglicher Fremd-bestimmung in Selbstbestimmung prinzipiell erm�glicht wird. Nur von dieser Perspek-tive her ist Erziehung zu legitimieren! Erziehung ist damit eine Form humanen Zwanges, der f�r die Entbindung von Autonomie unerl�sslich ist.

Bildung – Grundbegriff der Erziehungs- und Bildungswissenschaft

Ein erstes Grundverst�ndnis �ber Bildung: Bildung ist ein kritischer, ja ein politischer Begriff! – Fragen der Bildung

sind immer Gesellschaftsfragen; Fragen der Bildung sind immer Machtfragen!

Die Diskussion �ber Probleme und Perspektiven der Bildung ist an gesell-schaftliche Interessen r�ckgebunden und wird durch die jeweils herrschenden Machtverh�ltnisse mitbestimmt.

Bildung ist immer ein umk�mpftes Feld, in dem die verschiedensten gesell-schaftlichen Interessen zum Ausdruck kommen.

Ein eingeschr�nktes Verst�ndnis von Bildung:Im Alltagsverstand unserer Gesellschaft hat sich �ber einen langen historischen Zeit-raum ein Vorurteil hinsichtlich Bildung hartn�ckig und scheinbar un�berwindlich ge-halten: die Auffassung n�mlich, dass Bildung mit einem H�chstma� an angeh�uften Wissen identisch sei.

Zur terminologischen Differenzierung von Bildung und ErziehungErziehung und Bildung meinen nicht dasselbe, - obwohl sie in der Alltagsspracheoftmals synonym verwendet werden.

Erziehung und Bildung charakterisieren gestaltende Prozesse in der Subjektwer-dung, die wechselseitig aufeinander bezogen sind, die jeweils konkret miteinander vermischt sind:

Wir k�nnen von einer dialektischen Verkn�pfung von Zwang und Autonomie sprechen:Erziehung ist ein Vorgang, der den Menschen nicht nur zu einem bestimmten Zu-stand hin „zieht“, sondern ihn auch „herausf�hren“ kann aus Zust�nden der Ab-h�ngigkeit und Unterwerfung.

Page 10: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Sie greifen im Prozess der Subjektwerdung ineinander und k�nnen aufgrund dieser wechselseitigen Verschr�nkung lediglich zu analytischen Zwecken begrifflich vonei-nander getrennt werden.

Zwei Grundaufgaben von Erziehung und Bildung lassen sich heraus arbeiten:

1. Sie dienen der Regeneration gesellschaftlicher Erfahrung; sie sollen in allen neugeborenen Individuen diejenigen Grundlagen herstellen, die die Gesell-schaft zum Zwecke ihrer Reproduktion ben�tigt.

2. Sie sind systematisch auf den Aufbau und die Entwicklung der menschlichen Pers�nlichkeit bezogen, gestalten also die Herausformung und Freisetzung des individuellen Subjektverm�gens.

Beide Aufgaben von Bildung und Erziehung sind als widerspruchsvolle Momente un-trennbar aufeinander verwiesen.

Allerdings:Im Verlauf der Subjektwerdung treten die strukturellen Unterschiede zwischen Erziehung und Bildung immer deutlicher hervor. Diese strukturellen Unterschiede beziehen sich auf mehrere Dimensionen:

Der erste Unterschied bezieht sich auf den Subjektstatus: Mit Erziehung werden gesellschaftliche Handlungen bezeichnet, in denen das Kind weitge-hend Objektstatus hat. Erziehung meint dem gem�� „transitive Leistungen“, die von au�en, von den Erziehungspersonen vorgenommen werden. – Der Bildungsvorgang hingegen zeichnet sich durch eine zunehmende Verwirkli-chung des Subjektstaus des heranwachsenden Menschen aus. Eine Mitbetei-ligung des Subjektes ist die Grundbedingung f�r das Wirksamwerden von Bil-dung!

Der zweite Unterschied ist mit Blick auf die Grundtendenz festzustellen: Er-ziehung bezieht sich auf die Integration des Kindes in die Gesellschaft. Sie ist elementare Vorbereitung auf das Leben in einem Sozialverband und geht von ihrem Begriff her nicht �ber die Aufgabe der Eingliederung hinaus. Sie bleibt in den gesellschaftlichen Zw�ngen gehalten. – Zwar ist auch Bildung in der Per-spektive gesellschaftlicher Reproduktion auf die Integration der nachwachsen-den Generation bezogen, sie geht in dieser Funktion jedoch nicht auf. Potenti-ell ist sie auf selbstbestimmtes Handeln und damit auf die M�glichkeit einer selbstbestimmten Gestaltung der eigenen Lebensverh�ltnisse hin angelegt.

Ein dritter Unterschied zwischen Erziehung und Bildung ergibt sich aus ih-rem unterschiedlichen Verh�ltnis zur Tradition. Erziehung zielt auf die �ber-nahme der Normen, Werte und Verhaltensstandards einer Gesellschaft. Der Inhalt der Integrationsfunktion von Erziehung besteht darin, dass das Kind die sozialen Regeln des Zusammenlebens und die kulturell-moralischen Grundla-gen kennen lernen und ein�ben soll. – Gegen�ber diesem affirmativen Ver-h�ltnis zu �berlieferten Normen, Werten, Verhaltensstandards kann in der Bil-dung ein kritisches Verh�ltnis des heranwachsenden Individuums zu den be-reits internalisierten Erfahrungsbest�nden der Gesellschaft gestiftet werden.

Page 11: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Ein vierter Unterschied betrifft die Subjektverm�gen. Erziehung ist noch weit gehend bezogen auf vorbewusste Vorg�nge; sie schlie�t Rituale, restriktive Vorstrukturierungen und Konditionierungen ein. Erziehung bezieht sich auf basale Entwicklungsprozesse, in denen Rationalit�t und Reflexionsf�higkeit noch unterentwickelt sind. – Bildung ist mit der Dimension entstehenden Be-wusstseins grundlegend verkn�pft; Bildung setzt diejenige Rationalit�t frei, die das Subjekt in gesellschaftlichen Kontexten erst handlungsf�hig macht.

Ein f�nfter Unterschied ist mit Blick auf die lebensphasenspezifische Unter-schiedlichkeit in der Wirkungskraft von Erziehung und Bildung festzustellen: Erziehung ist in der Subjektwerdung so lange vorrangig, so lange das Kind noch nicht selbst f�r sein Handeln verantwortlich sein kann. F�r die fr�hen Phasen der Entwicklung und Sozialisation des Kindes muss daher von einem Primat der Erziehung gesprochen werden. Auch wenn Erziehung im Vorgang der Ontogenese nicht verschwindet, sondern „neben der Bildung alle wegstre-cken einher“ geht, so wird die Wirkungsweise von Erziehung in sp�teren Pha-sen der Subjektwerdung eingeschr�nkt. Zunehmend werden Bildungsvorg�n-ge zur Grundlage eigenverantwortlichen Handelns.

Exkurs: Die Aufkl�rung und die Entstehung der klassischen Bildungsidee

Gem�� der �ltesten Verwendung wird Bildung als ein „Formungsprozess“ begriffen, gem�� der Arbeit eines Bildhauers, der aus einer ungeformten Steinmasse eine be-stimmte Gestalt heraussch�lt.

Begriffshistorisch meinte Bildung also Formung und Gestaltung des heranwachsen-den Subjekts und zwar von au�en – sei es nach den Ma�st�ben der G�tter, sei es nach den Direktiven kirchlicher und weltlicher Herrscher.

Der p�dagogisch-aufkl�rerische Bildungsbegriff hingegen entstand im 18. Jahrhun-dert als Folge eines S�kularisierungsprozesses.[S�kularisierung meint einerseits den Entzug oder die Entlassung einer Sache, ei-nes Territoriums oder einer Institution aus kirchlich-geistiger Herrschaft; andererseits ist S�kularisierung die Bezeichnung f�r den die Neuzeit charakterisierenden Vorgang der �berf�hrung kirchlicher Regentenfunktionen in weltliche H�nde und der L�sung von Deutungsmustern, Wertvorstellungen und Normen von ihren kirchlichen und the-ologischen Pr�gungen (Verweltlichung)].In diesem Zeitraum wird das Wort Bildung vor dem Hintergrund komplexer �kono-misch-gesellschaftlicher Umw�lzungen aus den religi�sen Begr�ndungszusammen-h�ngen herausgel�st und verweltlicht. – Bildung bezieht sich in der Folge prim�r auf die Herstellung des t�tig-intellektuellen Subjektverm�gens des Menschen; Bildung ist eine F�higkeit des Menschen, insbesondere �ber Wissen sein intellektuelles Sub-jektverm�gen zu entwickeln und dieses zur Basis seines Handelns in der Gesell-schaft zu machen.

In vorindustriellen Gesellschaften, in denen aufgrund einer noch nicht entfalteten ge-sellschaftlichen Arbeitsteilung Lebensbedingungen und Arbeitsverh�ltnisse nicht ge-trennt sind, sondern eng miteinander zusammenh�ngen, bleiben Bildung und Erzie-hung an die allt�glichen Produktions- und Reproduktionsabl�ufe gebunden.

Page 12: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Erst mit der Ausweitung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung wird Bildung zum The-ma, und erst mit der aufstrebenden b�rgerlichen Klasse des 18. Jahrhunderts wird Bildung als eine politische Kraft erkannt und als Konzept entfaltet. �konomisch-gesellschaftliche Grundlage dieser Ver�nderungen ist die kapitalistische Produkti-onsweise, die sich �ber einen langen historischen Zeitraum entwickelt, dabei die �berwindung feudaler Gesellschaftsverh�ltnisse voraussetzt.

Sozialer Tr�ger dieser neuen Wirtschaftsform ist das B�rgertum, das sich als neue gesellschaftliche Klasse auf der Basis des Privateigentums an Produktionsmittelnheraus formt. [B�rgerliche Gesellschaft meint im engeren Sinne die �konomischen und wirtschaftlich-rechtlichen Gegebenheiten des gesellschaftlichen Lebens in einer prim�r marktgesteuerten Ordnung; in marxistischer Sicht ist mit b�rgerlicher Gesell-schaft die Gesamtheit der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Institu-tionen und Vorg�nge einer Gesellschaftsformation mit kapitalistischer Produktions-weise und liberaler gesellschaftlicher und politischer Ordnung gemeint Produkti-onsweise ist ein Fachbegriff der marxistischen Politischen �konomie f�r die Ge-samtheit der Produktionsverh�ltnisse und der Produktivkr�fte einer Gesellschaftsfor-mation. Die Produktionsweise umfasst vor allem die rechtlichen und ideologischen sowie die organisatorischen und institutionellen Bedingungen, unter denen der Ar-beits- und Produktionsprozess vollzogen und die Produktivkr�fte entfaltet werden. Ihr Kern wird insbesondere durch die Regelung des Eigentums an Produktionsmitteln und der Verf�gungsgewalt �ber die Produktionsmittel gebildet. Produktionsverh�lt-nisse bezeichnen die haupts�chlich durch die Eigentumsverh�ltnisse bestimmten Beziehungen zwischen den Menschen im Prozess der Produktion, des Austauschs und der Verteilung materieller und immaterieller G�ter. Produktionsmittel meint die Gesamtheit der Gegenst�nde, die als Bodensch�tze, technisch nutzbare Naturbe-dingungen, Werkzeuge, Maschinen, Werkstoffe, Energiequellen usw. die Vorausset-zungen f�r die Arbeit des Menschen zur Erzeugung Existenzmittel bilden. Mit Pro-duktivkr�ften wird in der marxistischen Politischen �konomie die durch die Produk-tionsmittel, die Qualifikation der Arbeitskr�fte und die Wissenschaft und Technologie bestimmten Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung bezeichnet. Feudalismus be-zeichnet in der marxistischen Geschichtstheorie die Gesellschaftsformation, die his-torisch zwischen antiker Sklavenhaltergesellschaft und neuzeitlichem Kapitalismus liegt. Kennzeichnend f�r sie ist die wirtschaftliche und politische Herrschaft des ade-ligen Grundbesitzes �ber die unteren Gesellschaftsklassen, insbesondere die Bau-ernschaft. Kapitalismus meint v.a. den Typus einer Wirtschafts- und Gesellschafts-ordnung, die gekennzeichnet ist durch privates Eigentum an Produktionsmitteln, pri-vate Verf�gungsgewalt �ber diese Mittel und die durch ihren Einsatz erzielten Ge-winne, ferner dezentrale Abwicklung von Austauschprozessen zwischen den Wirt-schaftssubjekten �ber den Markt sowie wirtschaftliche, soziale und politische Interes-sengegens�tze zwischen „Kapital“ (Unternehmern und Managern) und „Arbeit“ (lohn-oder gehaltsabh�ngige Arbeitnehmer). Marx hat den Kapitalismus als eine Gesell-schaftsformation analysiert, die den Wohlstand in Gestalt einer ungeheuren Waren-sammlung hervorbringt, ferner als eine Wirtschaftsordnung, die auch die Arbeitskraft – und mit ihr die Arbeitenden – zur Ware macht und die strukturell auf Profitmaximie-rung und Hintanstellung inhaltlicher Rationalit�t angelegt ist (Vorrang des Tausch-werts vor dem Gebrauchswert).]

Mit der Entstehung der kapitalistischen Produktionsweise werden zwei sich wider-sprechende Impulse f�r die Entwicklung b�rgerlicher P�dagogik freigesetzt:

Page 13: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

1. Der st�rkste Impuls entspringt den materiellen Triebkr�ften der b�rgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, die zum Zwecke des Funktionierens kapitalisti-scher Produktion auf den systematischen Aufbau ihres Bildungswesens an-gewiesen ist. Die planm��ige Heranbildung des ben�tigten Arbeitsverm�gens verweist auf die gesellschaftliche Notwendigkeit der Ausbildung breiter Bev�l-kerungsschichten. Die Qualifizierung von Arbeitskraft wird zur obersten Maxime b�rgerlicher Gesellschaft.

2. Zugleich ist mit diesem gesellschaftlichen Erfordernis ein grundlegend eman-zipatorischer Impuls verbunden, der sich aus der widerspruchsvollen Herausformung b�rgerlicher Gesellschaft aus feudalistischen Verh�ltnissen ergibt: Mit den emanzipativen Vorstellungen von individueller Selbstentfaltung, M�ndigkeit, Freiheit und Demokratie werden die „wichtigsten geistigen Trieb-kr�fte zur Konstitution b�rgerlichen Selbst- und Gesellschaftsbewusstseins“ entfaltet.

Erst in der b�rgerlichen Epoche, beginnend mit der Aufkl�rung, wird ein s�kularer, neuzeitlicher Begriff von Bildung formuliert und angewendet. Aufkl�rung bezeichnet zun�chst eine geschichtliche Epoche, die als das Zeitalter der Aufkl�rung charakteri-siert wird und im 17. und 18. Jahrhundert einsetzt, allerdings vorbereitet ist durch Denk- und Vorstellungsweisen in Renaissance und Humanismus.

Durch die Denkweisen und Entdeckungen der voraufkl�rerischen Zeit war es an-satzweise zu einer ersten Losl�sung der Menschen aus der engen Bindung zur Kir-che gekommen. Diese Tendenz verst�rkt sich im Zeitalter der Aufkl�rung, und die Entstehung des Bildungsbegriffes ist ein Ausdruck dieser geschichtlichen Tendenz.Aufkl�rung und Bildung sind also untrennbar miteinander verkn�pft.

Mehrere gesellschaftliche Grundsachverhalte wirken entscheidend bei der Entste-hung des Bildungsbegriffs zusammen:

1. Die wachsende Bedeutung des Wissens f�r die Gesellschaft. An die Stelle des �bergeordneten, allgemeing�ltigen religi�sen Weltbildes tritt das Wissen, das allen Menschen zug�nglich gemacht werden soll. Der Allgemeinheitsanspruch wissenschaftlicher Rationalit�t tritt an die Stelle vorgegebener religi�ser Wert-systeme. Um den Allgemeinheitsanspruch wissenschaftlicher Rationalit�t durchzusetzen, bedarf es eines Vorganges der Verbreitung und Vermittlung von aufkl�rendem Wissen, der mit Bildung begrifflich gefasst wird.

2. Die Entdeckung des b�rgerlichen Subjekts. Damit ist die Vorstellung gemeint, dass das Schicksal des Menschen nicht von �berhistorischen Kr�ften abh�n-gig ist, sondern dass der Mensch selbst Subjekt seiner Handlungen ist, dass es keines g�ttlichen Wesens bedarf, das seine Lebensverh�ltnisse gestaltet.Mit dieser b�rgerlichen Philosophie ger�t ein Weltbild ins wanken, in dem je-dem Menschen im Vorhinein sein Platz im sozialen Gef�ge der Gesellschaft zugewiesen war. [Die Epoche der Aufkl�rung war gekennzeichnet durch das Bed�rfnis nach Zur�ckdr�ngung von Unbildung, Glaube und Religion und de-ren Ersetzung durch das Vertrauen in die Kraft der menschlichen Vernunft. Nicht mehr der Glaube soll das Verh�ltnis des Menschen zur Welt bestimmen, sondern der Verstand: Die rationale Erkl�rung, die „Entzauberung der Welt“ durch die Natur- und Sozialwissenschaften soll an die Stelle der gottgegebe-nen Ordnung treten].

Page 14: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

3. Die Idee der M�ndigkeit, die durch die Emanzipation des Menschen aus den traditionellen Abh�ngigkeiten des Feudalismus realisiert werden soll. Bildung wird dabei als Instrument dieser Emanzipation aufgefasst.

Die Idee der Bildung erh�lt ihre st�rkste Schubkraft mit der Ver�nderung der gesell-schaftlichen Lebensverh�ltnisse durch die aufsteigende b�rgerliche Klasse und die damit verbundene Zerst�rung �berkommener jenseitsorientierter Weltanschauungen.Bildung ist ein Kampfbegriff des B�rgertums, eine zentrale Kategorie in der Ausei-nandersetzung mit den feudalen und klerikalen Kr�ften.Durch Bildung soll sich der Mensch aus Abh�ngigkeitsstrukturen und Zust�nden der Unm�ndigkeit befreien.

Der Mensch wird freigesetzt (und setzt sich frei) aus festen, wohlgeordneten Abh�n-gigkeitsstrukturen; er wird freigesetzt aus naturw�chsig herausgeformten Sozialbe-ziehungen und einem vorab bereits festliegenden Weltbild.

Das �ber Bildung sich befreiende Individuum wird zur Vorbedingung politischer Emanzipation. Bildung wird als Weg begriffen, der zur politischen M�ndigkeit des Menschen f�hren soll. – Bildung soll derjenige Prozess sein, �ber den M�ndigkeit geschichtlich-gesellschaftlich realisiert werden soll, als Prozess der Selbstfindung des Menschen.

Bildung wird verstanden als „Gestaltung des Menschen durch den Menschen“. Zu-gleich hebt der p�dagogische Bildungsbegriff auf eine individuelle und eine gesell-schaftliche Bedeutung ab: Er ist sowohl auf die Bildung des Individuums wie auf die Aufkl�rung des Gemeinwesens, der Gesellschaft �ber sich selbst angelegt.

Ein Grundproblem der modernen P�dagogikMit der Entstehung des Bildungsbegriffs ist gleichzeitig ein Grundproblem moderner P�dagogik aufgeworfen, das die Geschichte der Bildung bis heute durchzieht:

Soll Bildung das Individuum zur M�ndigkeit und Emanzipation bef�higen, oder soll sie nur die Produktion n�tzlicher und verwertbarer Kenntnisse als ihr Ziel bestimmen?

Soll Bildung der allseitigen Entfaltung der im Menschen vorhandenen Anlagen dienen, oder soll sie lediglich den Qualifikationsbedarf einer Gesellschaft ein-l�sen?

Die Aufkl�rungsp�dagogik versteht unter Bildung zun�chst eine berufliche Bildung, die auf die b�rgerliche Lebenspraxis und auf die Schaffung der f�r sie erforderlichen Qualifikationen bezogen ist. So wird Bildung von ihrer N�tzlichkeit her definiert (utili-taristisches Bildungsprinzip) und dem Diktat wirtschaftlicher Erfordernisse unterwor-fen. – Dem gegen�ber steht ein Verst�ndnis von Bildung als Menschenbildung (so beispielsweise von Rousseau), die auf M�ndigkeit, auf Selbst�ndigkeit, auf eigenes Urteilsverm�gen hin orientiert ist.

Die Ambivalenz der Aufkl�rungDie Philosophie der Aufkl�rung und damit die Bildungsidee richten sich gegen Feu-dalherrschaft, gegen althergebrachte Vorurteile, gegen Aberglauben und Unbildung, sie richten sich gegen die Bevormundung der Bev�lkerung durch K�nige, F�rsten und Priester. – Doch gleichzeitig sollen die politischen und �konomischen Interessen des an die Macht gekommenen B�rgertums nicht angetastet werden.

Page 15: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

„Wissen ist Macht“ – diese aufkl�rerische Formulierung soll nur f�r das B�rgertum gelten, nicht aber von den Massen der arbeitenden Bev�lkerung f�r sich in Anspruch genommen werden.

Die p�dagogischen �berlegungen im Zeitalter der Aufkl�rung des 18. Jahrhunderts gipfeln in einer selbst�ndigen p�dagogischen Bewegung: dem “Philanthropinismus“. In der philanthropinistischen Bewegung spiegeln sich die wirtschaftlichen und politi-schen Emanzipationsbestrebungen des aufsteigenden B�rgertums wider. Bildung soll eingestellt werden auf ihre neuen politisch-gesellschaftlichen Aufgaben in der b�rgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. – Entsprechend sollte Bildung lebensprakti-sche Unterweisung enthalten und sich auf die neuen gesellschaftlichen und wirt-schaftlichen Herausforderungen des Industriezeitalters richten.

Allerdings kommt es ab Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer p�dagogischen Gegen-bewegung, n�mlich dem Neuhumanismus. Dieser versteht sich als aufkl�rerisch und richtet sich gegen den Einfluss der Religion auf die Bildung, stellt aber auch viele Einsichten der Aufkl�rungsp�dagogik unter Kritik.

Hauptvorwurf gegen�ber der Aufkl�rungsp�dagogik ist, dass sie menschliche Bil-dung an den gesellschaftlichen Nutzen kn�pft und von diesem gesellschaftlichen Nutzen allein Bildung ableitet (Kritik an der Degradierung des Menschen und an des-sen gesellschaftlicher Vereinnahmung).Im aufkl�rerischen Fortschrittsoptimismus wird der gesellschaftliche Nutzen zum obersten Ziel der Bildung erkl�rt. In der von der Aufkl�rungsp�dagogik favorisierten utilit�ren Erziehung traten N�tzlichkeit, Brauchbarkeit, Funktionalit�t in das Zentrum der Bildungsbem�hungen. In der illusion�ren Hoffnung auf einen sich mit der Aufkl�-rung unaufhaltsam entfaltenden Fortschritt glaubte die Aufkl�rungsp�dagogik, Bil-dung auf die Vermittlung gesellschaftlicher Anforderungen beschr�nken zu k�nnen. –Bildung sollte den Menschen dazu bef�higen, an dem ihm zugewiesenen Ort gesell-schaftlicher Arbeit zu funktionieren.

Im humanistischen Bildungsverst�ndnis hingegen wurde Bildung nicht vom Brauch-barkeitsprinzip der Gesellschaft her gedacht, sondern radikal von der menschlichen Individualit�t und ihren M�glichkeiten her (Bildungsauffassung hin zum Subjekt).

Bildung muss daher aus dem wirtschaftlichen Verwertungszusammenhang herausgenommen werden, sie muss in kritischer Distanz zu Staat, �konomie und Beruf organisiert werden! (Blankertz)

Bildung von der menschlichen Individualit�t her denken bedeutet, dass die eigen-sinnigen Subjektstrukturen, die individuellen Eigent�mlichkeiten des Menschen im Prozess der Bildung zu ihrem Recht kommen m�ssen. – Es geht um die Entfaltung aller Kr�fte im Menschen, seiner sinnlichen, seiner �sthetischen, seiner sozialen, seiner intellektuellen Kr�fte und nicht um seine Zurichtung f�r die Bed�rfnisse einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die nur des speziellen, des fragmentarischen Men-schen bedarf (HEYDORN).

Page 16: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Der (neuhumanistische) Grundsatz der allgemeinen Menschenbildung soll f�r alle Gesellschaftsmitglieder gelten (HUMBOLDT). – Erst nach dem Durchgang durch ei-ne allgemeine Bildung kann die Spezialbildung einsetzen, die den Menschen f�r ein ganz bestimmtes Berufsfeld qualifiziert. Der Mensch soll eben nicht nur ausgebildet werden, sondern eine „vielseitige Bildung“ erhalten, die ihm ein umfassendes Welt-und Selbstverst�ndnis erm�glicht.

In einer Kombination von aufkl�rungsp�dagogischen und neuhumanistischen Ele-menten formte sich (zwischen 1770 und 1830) der klassische Bildungsbegriff heraus; dieser galt als p�dagogische Antwort auf den Modernisierungsprozess, also auf die Freisetzung des Menschen aus verbindlichen Traditionen und Wertsystemen.

In diese klassische Bildungsidee – auf die die kritische Bildungstheorie viel sp�ter Bezug nehmen wird – gehen aufkl�rerische, humanistische und gesellschaftskriti-sche Traditionen eine spezifische Verbindung ein.[Allerdings – und darauf wird noch einzugehen sein – werden im Kontext dieses klas-sischen Bildungsverst�ndnisses Aspekte gesellschaftlicher Ungleichheit, ge-schlechtsspezifischer Arbeitsteilung und politischer Demokratisierung nur unzurei-chend reflektiert].

Wolfgang KLAFKI hat die Charakteristika des klassischen Bildungsgedankens fol-genderma�en systematisiert:

1. Bildung ist die Bef�higung des Individuums zu vern�nftiger Selbstbestimmung: Diese Bef�higung zu vern�nftiger Selbstbestimmung meint die Emanzipation von Fremdbestimmung, die Bef�higung zur Freiheit des eigenen Denkens und der eigenen moralischen Entscheidungen. Der Mensch soll durch Bildung er-m�chtigt werden, selbst zu denken, autonom moralische Entscheidungen zu f�llen. �ber Bildung soll der Mensch seine „selbstverschuldete Unm�ndigkeit“ (KANT) �berwinden und M�ndigkeit in sich selbst hervorbringen. Nur �ber Bil-dung kann der Mensch selbstbestimmungsf�hig werden. Das Grundprinzip ei-ner �ber Bildung zu erm�glichenden vern�nftigen Selbstbestimmung enth�lt eine demokratietheoretische Perspektive: Bildung ist eine unerl�ssliche zivile Grundlage f�r den Bestand einer demokratischen Zivilgesellschaft.

2. Bildung ist ein selbstt�tiger Prozess: Im Gegensatz zur Erziehung, die am Menschen vorgenommen wird, setzt Bildung die Eigenaktivit�t des Individu-ums voraus, die in der Auseinandersetzung mit den Bildungsinhalten ins Werk gesetzt werden muss. Bildung ist als eine Kraft zu verstehen, die wesentlich vom Individuum ausgeht und nicht von au�en erzwungen werden kann. Bil-dung wird wesentlich als ein Vorgang der Selbst-Bildung aufgefasst.

3. Bildung als Bef�higung zu vern�nftiger Selbstbestimmung setzt die Erschlie-�ung bzw. das Erlernen kultureller Errungenschaften der Menschen voraus. Bildung ist damit immer ein Vorgang, der durch Inhalte bestimmt ist. Vern�nf-tige Selbstbestimmung gewinnt das Subjekt nicht alleine aus sich selbst, son-dern nur, wenn es sich die Werkzeuge, Dokumente und Ideen aneignet, die im Verlauf des Zivilisationsprozesses hervorgebracht wurden. Erst in der syste-matischen Abarbeitung an kulturell �berlieferten Bildungsinhalten, �ber deren

Page 17: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

systematische Erschlie�ung, kann der Mensch selbstbestimmungsf�hig und damit zum handelnden Subjekt werden.

4. Bildung ist auf eine Vermittlung von Individuum und Gemeinschaft hin ange-legt: Bildung ist kommunikative Selbstwerdung, d.h. nur im Dialog, im „ver-nunftgem��en Miteinander-Sprechen“ k�nnen die Menschen ihre Bildung vo-rantreiben.

5. Bildung zielt auf die Entfaltung aller menschlichen Kr�fte und Subjektverm�-gen: Sie ist immer umfassende Menschenbildung, die Erkenntnis und Denken, die Entwicklung der moralischen Handlungsf�higkeit, die Entfaltung von Wahrnehmung und Sinnlichkeit beinhaltet. Bildung ist niemals nur allein reine Verstandesbildung. Sie ist intellektuelle Bildung, moralische Bildung und mu-sisch-�sthetische Bildung. Sie bedeutet aber auch die Herausbildung der prak-tisch-werkt�tigen F�higkeiten des Kindes.

6. Bildung ist Bildung f�r alle: sie darf nicht auf bestimmte sozialen Gruppen oder Klassen beschr�nkt sein, sondern muss allen Gesellschaftsmitgliedern in glei-cher Weise offen stehen. Bildung darf kein Privileg einer selbsternannten ge-sellschaftlichen F�hrungselite sein.

In der klassischen Bildungstheorie meint Bildung den Aufbau und die Weiterentwick-lung des menschlichen Denkens im Sinne einer humanen emanzipatorischen Exis-tenz des Menschen. Es wird von einem Vernunftbegriff ausgegangen, der nicht tech-nisch vereinseitigt ist. Es geht hier also nicht um die Vermittlung einer instrumentellenRationalit�t, die sich jedem beliebigen Zweck unterordnen l�sst, sondern um die Vermittlung einer humanen Rationalit�t (Wissen und Erkenntnis werden auf ihre hu-mane Zwecksetzung hin �berpr�ft und nach moralischen Kriterien beurteilt).

Allerdings:In dem Ma�e, in dem sich das B�rgertum etablierte und seine Hegemonie ausbaute, verfielen auch die emanzipativen und demokratischen Anspr�che dieser Bildungsphi-losophie.Dieser Verfallsprozess der b�rgerlichen Bildungsidee ist eingebettet in die gesell-schaftliche Entwicklung zum entfalteten Industriekapitalismus sowie in die politisch-gesellschaftliche Aufgabe b�rgerlicher Gesellschaft, die bestehende Gesellschafts-ordnung um jeden Preis zu erhalten und damit insbesondere gegen die emanzipato-rischen Bestrebungen der Arbeiterbewegung zu verteidigen.

Der Bildungsbegriff wurde reaktion�r, er wurde entpolitisiert. Im Hinblick auf die Idee der Emanzipation wurde Bildung immer st�rker auf ihre Funktion als Qualifikation f�r das von der Gesellschaft ben�tigte Arbeitsverm�gen reduziert. – Die humanistische geistige Bildung blieb den privilegierten Gesellschaftsschichten vorbehalten. F�r die b�rgerliche Klasse wurde Bildung zum Instrument der Sicherung ihrer �konomischen Privilegien und ihrer Herrschaft (Trennung in h�here Allgemeinbildung und niedrige Volksbildung). So wurde Bildung zunehmend zum Instrument der Selektion und der schichtenspezifischen Zuweisung zu einer beruflichen Position.

Page 18: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Unterschiede zwischen klassischer Bildungsidee und kritischer Bildungstheorie

Die Ausstrahlungskraft des sozialkritisch-emanzipatorischen Potentials der b�rgerli-chen Bildungsidee ist nie g�nzlich vergangen. Vielmehr kn�pft die Kritische Erzie-hungswissenschaft an den klassischen Bildungsgedanken wieder an und entwickelt ihn auf der Basis der Analyse gegenw�rtiger Gesellschaftsbedingungen weiter. Kriti-sche Bildungstheorie, die an den klassischen Bildungsgedanken anschlie�t, versteht sich aber nicht als einfache Fortsetzung des idealistischen B�rgerlichen Bildungs-denkens, sondern geht von ver�nderten Grundannahmen aus:

1. Die klassische Bildungsidee ging von einer prinzipiell vern�nftigen Gesell-schaft aus. Nur randst�ndig bezog sie die Strukturen gesellschaftlicher Un-gleichheit in ihre �berlegungen ein. Bildung sollte der Vervollkommnung, der Veredelung einer an sich bereits tendenziell vern�nftigen Gesellschaft dienen. Kritische Bildungstheorie hingegen stellt in Frage, dass unsere Gesellschaft vern�nftig organisiert ist. Vielmehr geht sie von einem hohen Grad an Wider-spr�chlichkeit und Irrationalit�t der Gesellschaft aus. Indizien dieser Irrationali-t�t sind massive soziale Ungleichheit innerhalb unserer Gesellschaft, eine un-gerechte globale Weltwirtschaftsordnung, chronische �berr�stung, verantwor-tungslose Umweltzerst�rung usw.

2. Die klassische Bildungsidee ging von einem linearen Fortschrittsdenken aus, und Bildung wurde als Garant f�r die H�herentwicklung der menschlichen Gat-tung angesehen. Diese optimistische Geschichtsphilosophie des b�rgerlichen Bildungsdenkens wird von der kritischen Bildungstheorie nicht geteilt. Da kriti-sche Bildungstheorie auf die Erfahrung von Auschwitz zur�ckgreifen kann, muss sie in Rechnung stellen, dass der zivilisatorische Fortschritt jederzeit durch R�ckf�lle in die Barbarei unterbrochen werden kann.

3. Bildung kann im Rahmen einer von Gesellschaftskritik her angelegten Bil-dungstheorie nicht mehr als harmonische Hineinentwicklung in die Gesell-schaft gedacht werden. In einer Gesellschaft, die nicht nach vern�nftigen Kri-terien organisiert ist, muss Bildung auf ihren Einspruchscharakter gegen diese Gesellschaft befragt werden. Im Rahmen des kritischen Begriffs von Bildung kann diese auch als Instrument des geistigen Widerstands gedacht wer-den, n�mlich als Heranbildung eines kritischen Urteilsverm�gens, das die Ge-sellschaft in ihren unvern�nftigen Prinzipien bewusst macht; eine Bildung also, die den gesellschaftlichen Zumutungen Widerstand entgegensetzt!

4. Das Subjekt, das dem b�rgerlichen Bildungsbegriff zugrunde lag, war (zwar) ein denkendes Subjekt, allerdings ohne Anbindung an konkrete gesellschaft-lich-historische Verh�ltnisse. Behauptet wurde eine Pers�nlichkeitsentwick-lung, die sich von innen heraus, also als immanenter geistiger Prozess voll-ziehe und wenig mit konkreten gesellschaftlichen Erfahrungen zu tun habe. Die kritische Bildungstheorie geht im Gegensatz hierzu von einem Subjekt aus, das wesentlich gesellschaftlich bestimmt ist, dessen Handlungen also nur nachvollzogen werden k�nnen, soweit die konkreten gesellschaftlichen Bedin-gungen analysiert werden, in die seine Entwicklung eingebettet ist. Bildung hat also immer der Gesellschaftlichkeit und der Historizit�t menschlicher Natur Rechnung zu tragen.

Page 19: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Gegenstand einer kritischen Theorie der Bildung ist die emanzipative Subjektwer-dung des Menschen im widerspruchsvollen Beziehungsgeflecht von Individualgene-se und gesellschaftlicher Reproduktion.

Kritische Bildungstheorie untersucht die gesellschaftlichen Strukturen und Mecha-nismen, denen die Heranbildung von selbstbewussten Subjekten in konkreten ge-sellschaftlichen Konstellationen unterworfen ist und kl�rt gleichzeitig dar�ber auf, un-ter welchen Bedingungen M�glichkeiten f�r eine Freisetzung von Bildung als eman-zipativer Kraft er�ffnet werden k�nnen.

Da Bildung – wie alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – in politische Auseinandersetzungen eingebunden ist, ist ihre theoretische Reflexion dazu ange-halten, die grundlegende Frage nach dem Verh�ltnis von Macht und Bildung zu stellen: Sie muss ermitteln,

welche dominanten gesellschaftlichen Gruppierungen sich des Feldes der Bil-dung bem�chtigen,

welche Intentionen diese dominanten gesellschaftlichen Gruppen mit der Pr�-sentation bestimmter Bildungsziele verfolgen,

welchen Einfluss die Machtzentren auf die Gestaltung von Bildungsprozessen nehmen.

Erst aus der Analyse und Reflexion der �konomischen und ideologischen Nutzung von Bildungsprozessen k�nnen ihre Befreiungspotenzen herausgearbeitet werden.In der Position kritischer Bildungstheorie meint Bildung das unabgeschlossene Pro-jekt emanzipativer Subjektwerdung des Menschen, und kritische Bildungstheorie hat dieses Projekt emanzipativer Subjektwerdung in seinem Scheitern und in seinem m�glichen Gelingen immer wieder neu zu reflektieren.

Bildung in der gegenw�rtigen Gesellschaft

Im Hinblick auf die Bildungssituation unserer Gesellschaft ist grundlegend die markt-konforme Zurichtung der Bildung und ihre systematische Kommerzialisierung zu kon-statieren und zu kritisieren. Bildung verkommt immer mehr zur Ware. Bildungspoli-tik ist nicht �ber das utilitaristische Prinzip der Aufkl�rungsp�dagogik hinweggekom-men.

Bildung wird in der gegenw�rtigen Gesellschaft verstanden als ein kognitives Fitness-training f�r die Erfordernisse des gesellschaftlichen Arbeitslebens. Es gilt als selbst-verst�ndlich, dass Bildung nur noch der Qualifikation des Menschen f�r eine Gesell-schaft dient, in der der Markt die entscheidenden Direktiven bestimmt (Vorrang der Bildungs�konomie). Bildungspolitik ist prim�r bildungs�konomisch orientiert; die Ar-beit in den Bildungseinrichtungen ist auf eine optimale Aussch�pfung und Schaffung sog. Humanressourcen angelegt. – Der Wirtschaft geht es in Bildungsprozessen nur darum, die geistige Qualit�t in bares Geld zu verwandeln.

Die Bildungsinstitutionen stehen unter der gesellschaftlichen Direktive, diejenigen geistigen F�higkeiten und Kompetenzen der Menschen herzustellen, die ihre Ar-beitskraft auf dem kapitalistischen Markt konstituieren. Denn die �ber Bildung freizu-setzenden geistigen „Ressourcen“ werden als wichtigster „Bildungsfaktor“ im Hinblick auf internationale Wettbewerbsf�higkeit gewertet.

Page 20: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Bildung wird zur Qualifikation degradiert, die Bildungseinrichtungen werden in reine Ausbildungsinstitutionen umdefiniert, in denen Arbeitskraftverm�gen hergestellt wird.

Bildung soll �konomisiert und effizienter gestaltet werden; Bildung soll reibungsloser organisiert und in k�rzeren Zeitintervallen hergestellt werden. Bildung wird gemessen am zeitlichen Aufwand, der f�r den Aussto� wirtschaftlich verwertbarer und flexibler Arbeitskr�fte erforderlich ist. Bildung wird hier degradiert zur schnellen und oberfl�ch-lichen Aneignung von Wissen und Kompetenzen.

Demgegen�ber ben�tigen Menschen aber – um einen Bildungsinhalt wirklich er-schlie�en zu k�nnen – eine offene Zeitstruktur f�r ihre Bildungsprozesse. Wird ihnen diese Zeit verweigert, reduziert sich der Prozess der Bildung auf eine oberfl�chliche �bernahme des Bildungsinhaltes, der sich in seiner Tiefenstruktur auf diese Weise jedoch nicht erschlie�en l�sst.

Bildung wird aber regelm��ig nur als Vorgang der blo�en �bermittlung von Wissen konzipiert. So wird davon ausgegangen, dass Bildung ein Vorgang ist, in dem die Sch�lerinnen und Sch�ler gleich Containern mit Bildungsinhalten gef�llt werden. –Diese Bildung ist steril, unfruchtbar, ertraglos, weil sie die Inhalte, die sie vermitteln will, von der gesellschaftlichen Wirklichkeit und von den Erfahrungen der lernenden losl�st.

Solche Bildung ger�t zu blo�er Rhetorik, die von den Problemen der Realit�t losge-l�st ist. Ihr Resultat ist die permanente Frustration der lernenden, die Abt�tung ihrer Neugier, die Verhinderung einer selbstbestimmten, motivierten „Aneignung der Welt durch die nachwachsenden Generationen“.

Adornos Kategorie der „Halbbildung“In diesem Zusammenhang entwickelte ADORNO eine spezifische Kategorie der Halbbildung. Unter Halbbildung (verstand bereits die Reformp�dagogik) eine Bil-dung, die von den Lebenswelten und den konkreten Sozialisationserfahrungen der Lernenden abstrahierte, ein Wissen, das ihnen lediglich aufgepfropft wurde, sie aber nicht in der Tiefe ihrer Pers�nlichkeit erreichte.

Adorno bewertet die Verbreitung von Halbbildung in unserer Gesellschaft als Ver-fallserscheinung der Bildung, die von den Lebens- und Sozialisationsbedingungen der kapitalistischen Industriegesellschaft hervorgetrieben wird. Die Idee der Bildung als Herstellung eines m�ndigen Subjekts wird von den Vergesellschaftungstenden-zen der fortgeschrittenen Industriegesellschaft unterlaufen. Eine marktorientierte Vermittlung von Bildungsinhalten sowie die kulturindustrielle Berieselung und Durch-dringung des gesellschaftlichen Alltags sorgen daf�r, dass Bildung sich als oberfl�ch-liche und fl�chtige Informiertheit artikuliert, nicht aber als kritische Bildung des Be-wusstseins. – Halbbildung als „vergesellschaftete Verfallsform von Bildung“ beruht auf willk�rlicher Aneignung beliebiger Bildungselemente, die die Macht- und Herr-schaftszentren vor allem �ber die Kulturindustrie liefern. Das halbgebildete Bewusst-sein ist inkonsistent, diskontinuierlich, instabil und daher grunds�tzlich manipulierbar.

Page 21: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Kritische Theorie und Bildung

Auch in der Kritischen Theorie wird Bildung als ein Vorgang der Formung aufgefasst. Im Gegensatz zum religi�sen Bildungsverst�ndnis wird „Formung“ in der Sicht Kriti-scher Theorie jedoch als ein gesellschaftlicher Prozess aufgefasst.

Bildung soll die Natur des Kindes bewahrend formen. Bildung muss demzufolge so angelegt sein, dass der Mensch eine eigensinnige Subjektivit�t durch den Vorgang der Kultivierung nicht aufgeben muss. Bildung soll den Menschen kultivieren, ohne seine individualtypischen, seine eigensinnigen Merkmale zu unterdr�cken.

Bildung im Kontext der Kritischen Theorie meint ferner Bildung als Freisetzung des intellektuellen Subjektverm�gens. Bildung hei�t wesentlich Selbsterm�chtigung. Selbsterm�chtigung als Bef�higung des Heranwachsenden, die Organisation seiner Lebensverh�ltnisse in die eigene Hand zu nehmen.

Gesellschaftlich handlungsf�hig sind wir nur dann, wenn wir uns die Strukturen unse-rer gesellschaftlichen Wirklichkeit im Bildungsprozess erschlie�en k�nnen, wenn wir also begreifen, auf welchen Strukturen, Prinzipien und Mechanismen die Wirklichkeit der gesellschaftlichen Verh�ltnisse aufbaut, und auf welche Weise unsere Entwick-lung und unser Handeln in diese soziale Wirklichkeit grundlegend verstrickt sind.

Einerseits ist Bildung Vorbereitungen auf das berufliche Leben in einer neuen, von Verwertungs- und Konkurrenzzw�ngen durchdrungenen Gesellschaft, andererseits ist Bildung Voraussetzung, sich dem gesellschaftlichen „Verf�gungsdruck“ zu entzie-hen, indem sie auf Selbstbewusstwerdung, eigenst�ndige Handlungsf�higkeit und Selbsterm�chtigung orientiert.

HEYDORN spricht in diesem Zusammenhang vom Widerspruch von Bildung und Herrschaft: Als Humankapital soll Bildung in den fortgeschrittenen Industriegesell-schaften der massenhaften Vermittlung von Kenntnissen, �konomischem Wachstum, internationale Konkurrenzf�higkeit, die Mehrung gesellschaftlichen Reichtums garan-tieren; wobei die gesellschaftlichen Investitionen in die Bildung nicht vom b�rgerli-chen Interesse an M�ndigkeit und Autonomie geleitet sind. Vielmehr verfolgen sie �konomische und ideologische Ziele. – Wirtschaftlicher Reichtum und Stabilit�t der Macht- und Herrschaftsverh�ltnisse sollen durch Bildung gew�hrleistet werden.

Aber:Weil jede Bildung auch Momente enth�lt, die sich der gesellschaftlichen Kontrolle entziehen, besteht die M�glichkeit, Bildung �ber ihren blo�en Qualifikationsaspekt hinauszutreiben und auf dieser Basis ein kritische Bewusstsein zu entwickeln.Die Bildung, die die Gesellschaft zur Verf�gung stellt, kann also gleichsam gegen sie selbst gewendet werden. Dieser Umstand begr�ndet den Widerspruch von Bildung und Herrschaft: Bildung wohnt ein Potenzial an geistigem Widerstand inne, das keine Gesellschaft ausl�schen kann. Bildung ist also ein Vorgang der intellektuellen Selbsterm�chtigung des Menschen.

Bildung geht �ber Aneignung hinaus, denn Aneignung bedeutet lediglich, etwas oberfl�chlich in Besitz zu nehmen. Aneignung meint die �bernahme von Wissen und Informationen. Sie ist eine Vorform, aber noch nicht der Kern von Bildung.

Page 22: Kritische P•dagogik - kr · PDF fileKritische P•dagogik Zusammenfassung aus „ “ (Armin Bernhard) Was ist das Ziel erziehungswissenschaftlicher Ausbildung? Das Ziel ist, die

Bildung ist kein passiver Aneignungsprozess, sondern ein selbstt�tiger Prozess der Bewusstseinserweiterung, ein Vorgang der Zueignung: der �berf�hrung von Kennt-nissen in das innere Eigentum der Person, der selbstt�tigen, reflektierenden Verar-beitung gesellschaftlicher Wissensbest�nde.

Bildung ist nur �ber die tiefgreifende Auseinandersetzung mit Bildungsinhalten m�g-lich.Bildung ist nicht nur ein Vorgang der Aufkl�rung der Strukturen sozialer Wirklichkeit, sondern auch ein Prozess der Provokation, der Irritation bisheriger Erfahrungen.Bildung soll dazu provozieren, die subjektiv begrenzten Bewusstseinshorizonte grundlegend zu erweitern.

Bildung �bersteigt die unmittelbare Erfahrungsebene, sie verwandelt Erfahrung in Erkenntnis. Sie kn�pft zwar an Erfahrungen an, bringt sie jedoch zu Bewusstsein. Erst in reflektierter Erfahrung kommt Bildung zum Ausdruck.