Kritzinger, Peter (2014) Vom Niederrhein ins Vercellese. Neue Überlegungen zur letzten Etappe der...

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Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.) Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 11, 2011 Geographica Historica – Band 31 Franz Steiner Verlag Sonderdruck aus:

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Autor: Peter Kritzingererschienen in: Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.):Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt. Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographiedes Altertums 11, 2011

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  • Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014

    Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.)

    Mobilitt in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt

    Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 11, 2011

    Geographica Historica Band 31

    Franz Steiner Verlag Sonderdruck aus:

  • Inhalt

    Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

    Mariachiara AngelucciReiseliteratur im Altertum: die periegesis in hellenistischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Tnnes Bekker-NielsenDie Wanderjahre des Dion von Prusa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25Serena BianchettiMobilit di sapienti e di saperi nellAlessandria dei primi Tolemei . . . . . . . . . . . . . . . . . 35John BintliffMobility and Proto-Capitalism in the Hellenistic and Early RomanMediterranean . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49Iris von BredowWandernde Handwerker zwischen Ost und West in der frharchaischen Zeit? . . . . . . 55Veronica BucciantiniVerschiebungen eines Mythos im Mittelmeerraum. Aiaia, die Insel der Kirke . . . . . . . 71Floriana CantarelliMobilit tra Grecia e Sporadi nordorientali. Lemno, Halonnesos e una nuovainterpretazione di riferimenti alla contemporaneit nel Filottete di Sofocle . . . . . . . . . 81Michele R. CataudellaTracce di itinerari greci nel Mediterraneo orientale dal Tardo BronzoallArcaismo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99Frank DaubnerMakedonien I bis IV. Verhinderte Mobilitt oder Forscherkonstrukt? . . . . . . . . . . . . . 113Jan Drelerberlegungen zu den Reiseberichten bei Diogenes Laertios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125Kerstin Dro-KrpeRegionale Mobilitt im privaten Warenaustausch im rmischen gypten.Versuch einer Deutung im Rahmen der Prinzipal-Agenten-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . 137Peter EmbergerTruppen- und Gertetransporte zur See in der rmischen Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . 149Johannes EngelsReisen und Mobilitt spthellenistisch-augusteischer Universalhistoriker . . . . . . . . . . 159

  • 6 Inhalt

    Josef FischerDas Artemision von Ephesos. Ein antikes Pilgerziel im Spiegel derliterarischen und epigraphischen berlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171Christian FronDer Reiz des Nil. Die Reise des Aelius Aristides nach gypten undihr Einfluss auf seine Reden und Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205Klaus GeusMobilitt am und auf dem Roten Meer im Altertum: naturrumlicheBedingungen, lokale Netzwerke und merkwrdige Inseln. Interpretationenzum Periplus Maris Erythraei und zu Ptolemaios Geographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225Anna Ginest Rosell . Die Sprache der Grabinschriften von Auslndern in Athen . . . . . . . . 241Herbert GralArbeitsmigration in den rmischen Grenzprovinzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261Linda-Marie Gntherberlegungen zur sozialen Mobilitt von Metken in hellenistischen Poleis . . . . . . . . 267Andreas HartmannTekmeria. Die Wanderungen der Heroen als Problem der antikenHistoriographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275Matthus HeilSenatoren auf Dienstreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293Andreas KlingenbergDie Iranische Diaspora. Kontext, Charakter und Auswirkungpersischer Einwanderung nach Kleinasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309Peter KritzingerVom Niederrhein ins Vercellese. Neue berlegungen zur letztenEtappe der Kimbern und Teutonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325Ivan A. LadyninAn Egyptian Priestly Corporation at Iran. A Possible Case of Forced Mobility on the Eve of the Macedonian Conquest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343Ergn LaflI, Eva ChristofDie Basaltgrabstele des Zabedibolos fr Gennaios und Zebeis in Edessa/anlurfa . . . 355Margit LinderZum Wirkungsraum antiker Knstler. Grenzenlose Mobilitt odernationale Verhaftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367Giuseppe MariottaAn example of mobility in mythology. Heracles journey on theoccasion of the Tenth Labour . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

  • 7Inhalt

    Eckart OlshausenDer bewegte Alltag des M. Tullius Cicero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389Angela PabstMobilitt und Stabilitt in der griechischen Welt der rmischen Kaiserzeit . . . . . . . . . 401Michael RathmannOrientierungshilfen fr antike Reisende in Bild und Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411Hlne Roelens-FlouneauDie berquerung von Wasserlufen durch das Militr im Spiegel derantiken literarischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425Jonas ScherrMobilitt und Kulturtransfer in den Tres Galliae um die Zeitenwende . . . . . . . . . . . . . 455Klaus TausendZur Mobilitt von Berufsgruppen im mykenischen Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . 469Sabine TausendDie Verlockung der Fremde? Mobilittsmotivation im archaischenGriechenland zwischen Abenteuerlust und Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479Maria TheotikouZur Bedeutung des ekecheiria-Personenschutzes fr die Pilger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489Isabella TsigaridaAuf den Spuren der Salzhndler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505Heinz WarneckeRaumbewltigung und Geschwindigkeiten in der Odyssee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517Nicola ZwingmannReisen von Frauen im literarischen Diskurs der Antike unter besondererBercksichtigung der loca-sancta-Pilgerin der christlichen Sptantike . . . . . . . . . . . . . 531

    Register

    Menschen, Heroen, Gtter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553Geographica und Vlker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563

  • Peter KritzingerVom Niederrhein ins Vercellese

    Neue berlegungen zur letzten Etappe der Kimbern und Teutonen

    Aktuell gilt es in der Geschichtswissenschaft manchmal als trivial, sich um die zuverlssigeRekonstruktion der Ereignisse zu bemhen.1 Damit hat sich die Historie denkbar weit vomDiktum, zu zeigen, wie es eigentlich gewesen, entfernt. Und doch drfte wohl niemand inFrage stellen, dass die Ordnung und Rekonstruktion der Geschehnisse zumindest auch indas Ttigkeitsfeld des Historikers fllt. Denn letztlich ruht auf dem Fundament der Ereig-nisgeschichte jede weitere historische berlegung. In den folgenden Ausfhrungen geht esvor allem um Ereignisgeschichte. Und zwar um Ereignisse, die Weltgeschichte geschriebenhaben, deren exakte Abfolge und Kausalitten jedoch bis heute umstritten sind.

    Seit jeher faszinierte der Zug der Kimbern und Teutonen die Menschen, beflgelte ihrePhantasien.2 Mythos und Realitt gingen, beinahe noch bevor die Gefahr recht gebanntwar, eine kaum trennbare Verbindung ein.3 Das bekannteste Beispiel dafr sind die Legen-den um den furor Teutonicus.4 Zudem trbt eine Besonderheit in der berlieferung der li-terarischen Quellen den Blick auf die Ereignisse. Alle erhaltenen Berichte basieren direktoder indirekt auf vier, nahezu gnzlich verlorenen Zeugnissen von Zeitzeugen.5 Dies wrean sich nicht sonderlich problematisch, handelte es sich bei den Autoren nicht um M.Aemilius Scaurus, L. Cornelius Sulla, Q. Lutatius Catulus und C. Marius.6 Ihre Ausfh-

    1 Fr Hinweise und Kritik bin ich Hansjoachim Andres, Johannes Heinrichs und Roderich Kirchnerzu herzlichem Dank verpflichtet. Alle Jahresangaben, sofern nicht anders vermerkt, beziehen sichauf die Zeit vor Beginn unserer Zeitrechnung.

    2 D. Timpe, Kimbern-Tradition und Kimbern-Mythos, in: B. Scardigli, P. Scardigli (Hg.),Germani in Italia, Rom 1994, 2360, bes. 28f.

    3 V.a. Lucan. 1,254256; Plut., Marius 11,24. H. Callies, Zur Vorstellung der Rmer von Cim-bern und Teutonen seit dem Ausgang der Republik, in: Chiron 1, 1971, 341350; G. Dobesch,Historische Fragestellungen in der Geschichte, in: S. Deger-Jalkotzy (Hg.), Griechenland, diegis und die Levante whrend der Dark Ages vom 12. bis zum 9. Jh. v.Chr. (Koll. 1980), Wien1983, 179231, bes. 225f.

    4 Ausfhrlich Callies (wie Anm. 3), 341350; zuletzt auch C. Trzaska-Richter, Furor Teutoni-cus, Trier 1991, v.a. 4879, 234242.

    5 Vgl. Abb. am Ende des Beitrags.6 Aemilius verfasste einen autobiographischen Bericht unter dem Titel De vita sua, der zur Gnze

    verloren ist; HRR 1, ccliicclx (Leben), 185f. (listet vier Testimonien auf); FRM (=P. Scholz, U.Walter, Fragmente rmischer Memoiren, Heidelberg 2013) 4958 (listen sieben Testimonienauf). Sulla verfasste in Puteoli nach 79 seine Memoiren. Nur wenige Fragmente sind erhalten, so-dass sich ber die ursprngliche Konzeption des Werkes keine Gewissheit gewinnen lsst; HRR 1,cclxxvixxxiv (Leben), 195204 (listet 21 Fragmente auf); FRM 80135 (23 Fragmente). Mariusverfasste in seiner Funktion als rmischer Magistrat und Feldherr Commentarii, die bis auf wenige

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    rungen waren geprgt, ja geradezu kontaminiert von gegenseitigen, persnlichen wie auchpolitischen Ressentiments, die vor allem auf die Auseinandersetzung zwischen Popularenund Optimaten zurckzufhren ist. Eine Sonderstellung nimmt einzig Poseidonios ein, derseine Historien bald nach dem Kimberneinfall verfasste und so die problematischen Pri-mrquellen durch Aussagen alternativer Zeitzeugen ergnzen konnte. Seine Darstellungwurde von vielen Autoren verarbeitet.7 Namentlich zu erwhnen sind Strabon, Plutarch(Marius-Vita) und Athenaios.8 Doch schlagen sich die Verzerrungen von Tatsachen, per-snlichen Attacken und Polemiken der Primrquellen ebenfalls in den uns greifbaren Tex-ten nieder auch in jenen, die in der Tradition des Poseidonios stehen.9 Es kann also nichtberraschen, wenn die berlieferung der Alten lckenhaft und widerspruchsvoll unddie Rekonstruktion der Ereignisse auch heute noch umstritten ist.10

    Als besonders umstritten prsentiert sich in der wissenschaftlichen Literatur der letzteAbschnitt der Wanderung, oder konkret: die Etappe vom Niederrhein bis zur letztenSchlacht bei Vercellae. Zwei Fragen dominieren dabei seit jeher die wissenschaftlichenKontroversen: An welcher Stelle passierten die Kimbern die Alpen und wo sind die campiRaudii also, der Ort der letzten Schlacht der Kimbern zu lokalisieren? Zu beiden Fragenvermochte sich seit der zweiten Hlfte des 20. Jh. unserer Zeitrechnung in der Wissenschaftein labiler Konsens herauszubilden. Grundlegend sind dabei die Studien Rainer Loosesund Jakopo Zennaris.11 Nach Loose htten die Kimbern die Alpen im uersten Ostenberquert. Zennari hingegen lokalisierte die campi Raudii im uersten Nordosten Itali-ens (bei Rovigo). Unlngst griff Johannes Heinrichs jedoch eine alte Theorie auf, wo-nach ein bestimmter Typus keltischer Goldmnzen als Indikator fr den Zug der Kimbernund der Schlacht dienen knnte und hat diese soweit verfeinert, dass die bisherige sententiacommunis m.E. als obsolet angesehen werden muss.12 Die Kimbern berquerten demnachdie Alpen am Brennerpass und die campi Raudii wren folglich im heutigen Vercellese (al-so im Nordwesten Italiens) zu lokalisieren. Als einzige Theorie vermag sie berzeugend denaltbekannten literarischen Quellen weitere Zeugnisse zur Seite zu stellen, weshalb ihr der

    6 Testimonia verloren sind. Catulus verfasste, wohl als Reaktion auf die Commentarii des Marius,eine autobiographische Schrift unter dem Titel De consulatu et de rebus gestis suis; HRR 1, cclxxxxv (Leben), 191 (listet drei Fragmente auf); FRM 7179.

    7 Vgl. E. Sade, Die Eroberung der Etschklausen 101 v.Chr. durch einen kimbrischen Sturmtrupp,in: BJb 143/144, 1938/39, 7582, hier: 77; J. Malitz, Die Historien des Poseidonios, Mnchen1983, v.a. 199228.

    8 Malitz (wie Anm. 7), 198201; W. Theiler, Poseidonios. Die Fragmente, Berlin/New York1982, Bd. 2, 111114; L. Edelstein, I. G. Kidd, Poseidonius, Cambridge 21988, Bd. 2, 922932.

    9 E. Demougeot, Linvasion des Cimbres-Teutons-Ambrons et les Romains, in: Latomus 37, 1978,910938; H.-W. Goetz, K.-W. Welwei (Hg.), Altes Germanien, Darmstadt 1995, Bd. 1, 202271.

    10 Zit.: M. Ihm, Cimbri, in: RE 3.2, 1909, 2547.11 R. Loose, Kimbern am Brenner?, in: Chiron 2, 1972, 231252. J. Zennari, I Vercelli dei Celti nel-

    la Valle Padana e linvasione Cimbrica della Venezia, in: Athenaeum Cremonese 1952, 547; ders.,La battaglia dei Vercelli o dei Campi Raudii, in: Athenaeum Cremonese 1958, 532.

    12 Ursprnglich R. Forrer, Keltische Numismatik der Rhein- und Donaulande, Mnchen 1908,316340, bes. 330339; zuletzt mit neuen Argumenten J. Heinrichs, Kimbern im stlichen Vor-feld der Belger. Caesars Darstellung der Atuatuker vor dem Hintergrund gebietsfremder Goldob-jekte in den Rumen Aachen und Maastricht, Vercelli und Siena, in: ZPE 171, 2009, 277299. U.a.dagegen nicht ohne Polemik K. Castelin, Der Cimbernzug und Robert Forrer, in: Money Trend12.4, 1980, 1618.

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    Vorrang zu geben ist. Dieses Verstndnis liegt den folgenden berlegungen prinzipiell zuGrunde.

    Der letzte Abschnitt der Wanderung der Kimbern und Teutonen hat seinen Ausgangs-punkt in der Vereinigung der Stmme bei den Veliocasses.13 Die sprlichen Informationenber dieses Ereignis sind zwar ausschlielich in den Periochae des Livius berliefert, schei-nen insgesamt jedoch vertrauenswrdig.14 Es zogen die germanischen Stmme gewhnlichin mehreren, voneinander getrennten Zgen. Die Kimbern zogen wohl alleine, jedenfallsaber ohne Teutonen nach Spanien; die Tiguriner schlugen alleine das rmische Heer unterL. Cassius Longinus; die Teutonen wiederum wurden alleine von Carbo angegriffen.15Dieses Verhalten ist durchaus verstndlich, bedenkt man die Schwierigkeiten im Alltag,eine so groe Anzahl von Menschen aus der Umgebung zu ernhren.16 Damit liegt aber aufder Hand, dass ein bestimmter Grund fr die Vereinigung vorgelegen hat. Nach Caesarseinleuchtender Erklrung htten die Stmme einen gemeinsamen Kriegszug gegen Sd-frankreich und Italien vorbereitet.17 Im Zuge dieser Manahmen seien Teile des Trosses imVorfeld der Belger zurckgeblieben; sie gingen spter unter dem Namen Atuatuker in dieGeschichte ein.18 Auch das Zurcklassen unntigen Ballastes scheint in einem Kriegszugplausibel. Aufgrund von Angaben Plutarchs, die hier wohl auf die Commentarii des Mariuszurckgehen drften, lassen sich diese Manahmen recht zuverlssig datieren. Danach ht-ten die Rmer den Einfall der Stmme fr das Frhjahr 102 erwartet, sodass deren Ma-nahmen noch im Winter oder im Frhjahr 102101 erfolgt sein mssen.19 Dies passt gutzur allgemeinen Beobachtung, dass die Stmme ihre Wander- und Raubsaison gemeinhinim Frhjahr begannen.20

    Unter der Leitung des Marius wurden in der Provincia von den Rmern frhzeitig um-fassende Vorbereitungen gegen einen bevorstehenden Einfall der Germanen getroffen. Inder Nhe des Zusammenflusses von Isre und Rhne wurde ein stark befestigtes Lager er-

    13 Liv. per. 67,8 (ed. P. Jal, Paris 1984, 86): Cimbri vastatis omnibus, quae inter Rhodanum et Pyrenae-um sunt, per saltum in Hispaniam transgressi ibique multa loca populati a Celtiberis fugati sunt, re-versique in Galliam in Veliocassis et Teutonis coniunxerunt. Zur Lokalisierung der Veliocasses:Caes. Gall. 2,4,9; vgl. 7,75,3; 8,7,4; Oros. 6,7,14; 6,11,12; Ptol. 2,8,8. Timpe (wie Anm. 2), 44.

    14 Mommsen hat die offensichtliche Korruptel (im)bellicosis zum Ethnonym veliocassis (siehe auchvorausgehende Anm.) emendiert, was bisher auf keinerlei Widerspruch gestoen ist. P. Jal, 1984,86, v.a. 141 Anm. 11, und ixcxxi, bes. xcixcv. Vgl. T. Mommsen, Rmische Geschichte, Darm-stadt 102010, Bd. 2, 183 Anm. 16; K. V. Mllenhoff, Deutsche Altertumskunde, Mnchen 1892,Bd. 2, 289f.; F. Miltner, Der Germanenangriff auf Italien in den Jahren 102/101 v.Chr., in: Klio33, 1940, 289307.

    15 App. Celt. fr. 13; Caes. Gall. 1,12,48; 1,13,2; vgl. ebda 1,7,3f.16 Vgl. das Verhalten der Galater in Kleinasien: Liv. 38,16,11f.17 Caes. Gall. 2,29,4 (ed. W. Hering, Leipzig 1987, Bd. 1, 37): Ipsi erant ex Cimbris Teutonisque pro-

    gnati, qui cum iter in provinciam nostram atque Italiam facerent, iis impedimentis, quae secum agereac portare non poterant, citra flumen Rhenum depositis custodiam [ex suis] ac praesidio sex milia ho-minum una reliquerunt. Vgl. auch Caes. Gall. 2,29,1f.; Dio 39,4,1; vgl. App. Celt. fr. 1,11.

    18 Heinrichs (wie Anm. 12), 277299.19 Plut., Marius 14,9: hinzu kam, dass man fr das nchste Frhjahr die Rckkehr der Barbaren

    erwartete . Vgl. auch Abb.20 Zum Charakter des Zuges Timpe (wie Anm. 2), 33f. (eher fr Landsuche); dagegen Dobesch (wie

    Anm. 3), 216220; ders., Einige zustzliche Bemerkungen zum Kimbernzug, in: P. Anreiter, E.Jereim (Hg.), Studia Celtica et Indogermanica, Budapest 1999, 7999 (z.T. polemisch fr Raub-zug).

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    richtet.21 Dorthin brachte man groe Mengen an Nahrungsmitteln, offenbar um auch einerBelagerung standhalten zu knnen.22 Um einen reibungslosen Transport der Waren zu ga-rantieren, wurde sogar eigens ein Kanal die berhmte fossa Mariana angelegt.23 An-hand dieser Vorbereitungen lsst sich eine von langer Hand geplante, defensive Strategieerkennen. Diese setzte voraus, dass die Bewegungen der Germanen den Rmern bekanntwaren. Als die Germanen, wie geplant, auf das Bollwerk trafen, verweigerten die Rmerentsprechend ihrer Strategie eine offene Feldschlacht und konnten weder aus ihrer Befesti-gung vertrieben noch gelockt werden.24 Dies stimmt mit der allgemeinen Feststellungberein, dass es den Germanen nur sehr selten gelang, befestigte Orte einzunehmen.25

    Die Analyse der Darstellung dieser Ereignisse bei Plutarch gibt interessante Ausknftesowohl ber seine Arbeitsweise, als auch ber seine Gewhrsleute. Zunchst schreibt Plut-arch, die Legionre htten Marius ungestm zum Kampf gedrngt, dieser habe sie aber ge-radezu gegen ihren Willen im Lager zurckgehalten.26 Wenige Zeilen spter verlieren dieLegionre ohne ersichtlichen Grund ihren Mut und Tatendrang. Nunmehr habe sie derKonsul auf die Wlle treiben mssen, um sie an den entsetzlichen Anblick der Feinde zu ge-whnen.27 Parallel zu diesem denkwrdigen Gefhlswandel erfolgt ein perspektivischerWechsel von der Innen- zur Auensicht. Anfangs wird die Lage des Marius in indirekterRede beschrieben (16,1f.); danach bernimmt dies der Autor selbst (16,35). Zudem wer-den augenscheinlich zweimal dieselben Ereignisse (16,5 und 18,2) nacheinander beschrie-ben. Offenbar hat Plutarch fr seine Schilderung (zumindest) zwei verschiedene Darstel-lungen benutzt, wobei hier eine Nahtstelle zweier Berichte erkennbar wird. Dabei zeigen

    21 Oros. 5,16,9 (ed. M.-P. Arnaud-Lindet, Paris 1991, Bd. 2, 119f.): Igitur Marius quarto consulcum iuxta Isarae Rhodanique flumina, ubi in sese confluunt, castra posuisset; Teutones Cimbri et Ti-gurini et Ambrones postquam continuo triduo circa Romanorum castra pugnarunt, si quo pacto eosexcuterent vallo atque in aequor effunderent, tribus agminibus Italiam petere destinarunt. Vgl. Plut.,Marius 15,1 (zit. in Anm. 22). L. Schmidt, Geschichte der deutschen Stmme: Die Westgerma-nen, Mnchen 21938, Bd. 1, 12; A. Donnadieu, La Campagne de Marius dans la Gaule narbon-naise, in: REA 56, 1954, 281296. G. Walser, Die militrische Bedeutung der Alpen in der Antike,in: ders. (Hg.), Studien zur Alpengeschichte in antiker Zeit, Stuttgart 1994, 948, bes.19 (verlegtdie rmische Stellung ohne Begrndung an die Durance-Mndung).

    22 Plut., Marius 15,1: er lie dann an der Rhne ein befestigtes Lager errichten und sorgte dafr,dass dort groe Lebensmittelvorrte gelagert wurden, denn er wollte unter keinen Umstnden zueiner fr ihn ungnstigen Zeit aus Verpflegungsmangel gezwungen werden, den Kampf aufzuneh-men.

    23 Plut., Marius 15,24: Da der Transport von der Kste zum Lager langwierig und kostspielig war,sorgte er selber fr einen leichten, rasch befahrbaren Zugang zum Meer. An der Rhnemndunghatten sich infolge der Brandung groe Schlammassen abgelagert, und tiefe Sandbnke waren ent-standen, sodass die Getreidekhne nur ganz langsam und mit groen Schwierigkeiten einfahrenkonnten. Marius setzte seine Truppen, die im Augenblick unbeschftigt waren, zur Abhilfe ein undlie einen breiten Graben ausheben . E. Hermon, Conqute et occupation du sol, in: L. Fi-nette (Hg.), Hommage la mmoire de E. Pascal, Qubec 1990, 389396; bes. 391f.; B. Freyber-ger, Sdgallien im 1. Jh. v.Chr., Stuttgart 1999, 91f., 104108.

    24 Vgl. Plut., Marius 15f.25 Die einzige Ausnahme datiert in das Jahr 105, als es den Kimbern im Zuge einer Schlacht gelang,

    das Lager des Prokonsuls Q. Servilius Caepio einzunehmen. Granius Licinianus 33,6. Vgl. Caes.Gall. 7,77,12; Plut., Marius 16,5; 18,4; 20,2.

    26 Plut., Marius 16,1; vgl. ebda 16,610.27 Plut., Marius 16,3.

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    die kontrren Perspektiven, respektive Bewertungen, recht deutlich, dass die Primrquellenteils dem Lager der Optimaten teils dem der Popularen angehrt haben mssen.

    Nachdem also alle Bemhungen vergeblich waren, zogen die Stmme weiter.28 An die-sem Punkt stellt sich die Frage, von welchen Stmmen die Rede ist. Die communis opinionimmt an, dass sich die Kimbern mit ihren Verbndeten bereits vor der Belagerung der R-mer bei Valentia von den Teutonen getrennt htten.29 Zwei Argumente werden meist ange-fhrt. Zum einen wird auf die Aussage Plutarchs verwiesen, wonach lediglich die Teutonenmit ihren assoziierten Stmmen auf Marius getroffen seien.30 Zum anderen wird ins Feldgefhrt, dass die Kimbern nicht die Zeit gehabt htten, die Rmer zu belagern.31 Denn zuder Zeit, als die Schlacht bei Aquae Sextiae stattfand, befanden sie sich bereits in Nordita-lien. Plutarch berichtet nmlich, dass Marius noch vor der Schlacht bei Aquae Sextiae dieNachricht von der Niederlage des Lutatius Catulus erhielt.32 Da also die zwei Schlachtenetwa gleichzeitig erfolgt sind, htten die Kimbern eines deutlichen Vorsprungs bedurft.33

    Einiges spricht jedoch gegen diese berlegungen. Zunchst ist festzuhalten, dass die lite-rarischen Aussagen in diesem Punkt recht unklar oder sogar widersprchlich sind. Das giltganz besonders fr den Bericht Plutarchs. Dieser schreibt zwar tatschlich, dass nur dieTeutonen die Rmer belagert htten,34 allerdings berichtet er auch, dass den Teutonendurch Losentscheid die Aufgabe zugefallen sei, entlang der Kste durch das Gebiet der Li-gurer ( ) nach Italien zu ziehen und nicht ber die Alpen.35Dies lsst jedoch einzig den Schluss zu, dass auch jene Gruppe, die schlielich ber die Al-pen zog (also die Kimbern), bei Valentia anwesend war. In der Tat berichtet Orosius, Kim-bern, Teutonen, Tiguriner und Ambronen htten gemeinsam das rmische Lager be-strmt.36 Dem sptantiken Historiographen drften fr seine Darstellung Livius und/oderValerius Antias vorgelegen haben; insofern ist prinzipiell Vorsicht angebracht.37 Doch auch

    28 Plut., Marius 18,1: Als Marius nichts unternahm, versuchten die Teutonen, das Lager zu strmen;da sie aber vom Wall aus mit einem Geschohagel berschttet wurden und hierdurch Verlustehatten, beschlossen sie weiterzuziehen, um die Alpen ungefhrdet zu berwinden.

    29 Seit Theodor Mommsen (Rmische Geschichte, Darmstadt 102010, Bd. 2, 183185) hat meinesWissens allein Dieter Timpe (wie Anm. 2), 59 eine alternative Deutung aufgezeigt.

    30 Plut., Marius 15,6f. Implizit wohl auch Liv. per. (ed. W. Weissenborn, M. Mueller, Leipzig1981, 78): C. Marius cos. summa vi oppugnata a Teutonis et Ambronibus castra defendit.

    31 Der Begriff Zangenmanver geht an der Realitt des ausgehenden 2. Jh. weit vorbei. S. Guten-brunner, Germanische Frhzeit in den Berichten der Antike, Halle 1939, 119; E. Sade, Sulla imKimbernkrieg, in: RhM 88, 1939, 4346; Miltner (wie Anm. 14), 293; E. Koestermann, DerZug der Cimbern, in: Gymnasium 76, 1969, 310329, hier: 326; zuletzt unverndert auch Do-besch (wie Anm. 3), 223 (gewaltiger Zangenangriff u..). Dagegen Loose (wie Anm. 11), 240f.

    32 Plut., Marius 23,1f.33 Vgl. Plut., Marius 15,6f.34 Plut., Marius 18,1 (zit. in Anm. 28).35 Plut., Marius 15,5 (ed. R. Flacelire, Paris 1971, 112):

    , -, .

    36 Oros. 5,16,9. Vgl. dagegen v.a. Plut., Marius 18,1.37 Marie-Pierre Arnaud-Lindet (ed. Paris 1990, ixxcviii, bes. xxvxxix, 285) nimmt hier als

    einzige Vorlage Livius an. Dagegen A. Lippold, Rom und die Barbaren in der Beurteilung desOrosius, (ms Diss.) Erlangen 1952, bes. 3235.

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  • Peter Kritzinger330

    Florus berichtet expressis verbis, die Germanen htten sich erst nach der Belagerung bei Va-lentia getrennt.38

    Hinsichtlich des Zeitproblems kann man ebenfalls zu einem anderen Ergebnis gelangen.Akzeptiert man, dass die Germanen im Frhjahr vom Niederrhein losmarschierten und dasRmerlager bei Valentia bis in den Sommer hinein bestrmten, so wre hinreichend Zeitfr die weiteren literarisch belegten Ereignisse geblieben. Denn um Norditalien von Valen-tia aus zu erreichen, mussten die Kimbern auf der bequemsten (nicht der krzesten) Routerund 1.000km zurcklegen.39 Nimmt man eine, selbst in den Bergen machbare, durch-schnittliche Marschleistung von 10km pro Tag an, so htten sie fr die Strecke rund drei-einhalb Monate gebraucht.40 Nach dieser Kalkulation wre es ntig gewesen, etwa im Julioder August in Valentia aufzubrechen, um die Psse noch vor dem ersten Schneefall passie-ren zu knnen.41 Ein relativ spter Wintereinbruch wrde diese Richtwerte freilich entzer-ren. Diese theoretischen berlegungen werden durch Aussagen antiker Autoren gesttzt,wonach die Kimbern bei der Alpenberquerung in Schnee gerieten.42 Die ungefhreGleichzeitigkeit der Schlachten in Norditalien und Sdfrankreich kann auch so gedeutetwerden, dass Teutonen und Ambronen verhltnismig langsam in den Sden vorgercktsind.43

    In Summe sprechen Belege und Argumente m.E. fr ein gemeinsames Vorgehen dergermanischen Stmme gegen Marius, was sich auch mit den folgenden Ereignissen besserin Einklang bringen lsst. Es ist zu fragen, weshalb die Germanen die Belagerung aufgeho-ben haben, obwohl das Krfteverhltnis fr sie offenkundig gnstig war, was am deutlichs-ten am Verhalten der Rmer zu erkennen ist.44 Insofern scheint hier in militrischer Hin-sicht eine gravierende Fehlentscheidung gefallen zu sein, die es zu erklren gilt. Plutarch

    38 Flor. 1,38,5f.39 Die 1.000km errechnen sich, wenn man die Route von Valence, cum grano salis ber Lyon, Besan-

    on, Basel, Winterthur, Innsbruck, Bozen nach Trient whlt. Die Strecke kann sich durch einenMarsch, der nicht den modernen Straentrassen folgt, deutlich verkrzen. Da die Kimbern mit denTigurinern vorzgliche Kenner der Region bei sich hatten, ist davon auszugehen, dass ihnen dieideale Route bekannt war. Vgl. Pol. 3,48,11 (Hannibal).

    40 Insgesamt fllt es natrlich schwer, eine machbare Tagesleistung zu errechnen. Einen Anhaltspunktkann der Marsch der Berner ber die Alpen im Jahr 1512 bieten, wovon sich exakte Zeitangabenerhalten haben, die Gerold Walser (Der Marsch der Berner ber die Alpen nach Pavia 1512, in:ders. [wie Anm. 21], 108127) ausgewertet hat. Danach scheinen mir 10km auch auf schwierigemGelnde in den Alpen durchaus machbar. Vgl. D. van Berchem, Du portage au page, in: MH 13,1956, 199208.

    41 Aus eigener Erfahrung stammt die Beobachtung, dass auf dem Brennerpass ab Mitte Oktober mitdem ersten Schnee zu rechnen ist, wobei dieser in den letzten Jahren zunehmend spter fallenkann.

    42 Die Ansicht, dass die Kimbern die Alpen erst im Sptherbst oder frhen Winter berquerten, istnicht neu. Z.B. E. Sade, Die strategischen Zusammenhnge des kimbrischen Krieges 101 v.Chr.,in: Klio 33, 1940, 225234, hier: 226, 228 (November); Schmidt (wie Anm. 21), Bd. 1, 12 (Okto-ber/November); hnlich P. W. Haider, Antike und frhestes Mittelalter, in: W. Leitner (Hg.),Geschichte des Landes Tirol, Bozen/Wien 1990, 133290, hier: 141.

    43 Plutarch bringt, wohl verwirrt durch die verschiedenen Positionen seiner Gewhrsleute, die Ereig-nisse von Valentia und Aquae Sextiae durcheinander. Dies knnte der/ein Grund sein, weshalb ervor Valentia lediglich die Teutonen vermutet. Vgl. Plut., Marius 1518.

    44 Beispielsweise Plut., Marius 18,2f.: Jetzt erst konnten die Rmer aus der Lnge des Zuges und derDauer des Vorbeimarsches ganz ermessen, welch ungeheuren Menschenmassen sie sich gegen-

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  • Vom Niederrhein ins Vercellese 331

    nennt als Grund fr den unvermittelten Aufbruch, dass nur so die Alpen sicher berquertwerden konnten.45 Er spricht hier die Tatsache an, dass die Psse im Winter gemeinhinnicht passierbar waren. Offensichtlich wollten die Stmme diese aber noch im Jahr 102berqueren. Zum ersten Mal zeichnet sich ab, dass auch die Germanen einen Plan ver-folgten. Marius scheint dies vorhergesehen, ja durchaus provoziert zu haben. Es ging ihmalso nicht darum, seine Mnner an den Anblick der Barbaren zu gewhnen, sondern viel-mehr die Stmme auseinander zu dividieren und einzeln zur Schlacht zu stellen.46 Er drftegeahnt haben, dass die numerisch berlegenen Germanen die Furagierung ihres Heeres auffeindlichem Boden auf Dauer vor Schwierigkeiten stellen wrde. Neben der eigenen Ver-sorgung war dabei das Verhalten der Stdte der Provincia von zentraler Bedeutung. Diesestanden aber treu zu Rom, was freilich nicht selbstverstndlich war. Noch wenige Jahre zu-vor hatte beispielsweise Tolosa den Vorbeimarsch der Germanen genutzt, um sich vonRom loszusagen. Q. Servilius Caepio statuierte daraufhin im Jahr 106 ein Exempel und liedie Stadt plndern und besetzen.47 Offenbar ist die abschreckende Wirkung in dieser Situ-ation zur Geltung gekommen. Darber hinaus kam Rom in dieser prekren Lage besondersgroen Stdten auch mit Versprechungen bzw. Leistungen entgegen.48 Rom war sich derbesonderen Bedeutung dieser Stdte fr die eigene Strategie voll bewusst. So drften dieGermanen die Belagerung nur widerwillig und notgedrungen aufgegeben haben. KurzeZeit nach dieser fatalen Entscheidung hatte sich das Krfteverhltnis so weit verschoben,dass Marius die offene Feldschlacht wagen konnte und die Teutonen in der Nhe vonAquae Sextiae vernichtend schlug.

    Den Kimbern jedoch fiel durch Losentscheid der beschwerliche Weg ber die Zentralal-pen zu. Wie jngst gezeigt wurde, drften sie wahrscheinlich ber den Brennerpass nachBozen gelangt und von dort durch das untere Etschtal weiter nach Norditalien vorgedrun-gen sein.49 Die Aussage Plutarchs, die Kimbern htten die Alpen passiert, wi-derspricht dem keineswegs, denn die Grenze zwischen Noricum und Raetien verlief ent-lang des Eisacks, durch dessen Tal die Kimbern wahrscheinlich gezogen sind, nachdem sieeinmal den Brennerpass passiert hatten.50 Wie in der Narbonensis waren die Rmer auchhier auf die Ankunft der Germanen vorbereitet, wobei die Einheiten vom zweiten Konsul

    44 bersahen. Denn sechs Tage lang, heit es, zogen die Germanen ohne Unterbruch an Marius Be-festigungen vorber. Vgl. Flor. 1,38,6.

    45 Plut., Marius 18,1 (ed. R. Flacelire, Paris 1971, 116): . bers. Anm. 28.

    46 Franz Miltner (wie Anm. 14), 294 fiel das denkwrdige Verhalten der Rmer auf; er glaubte dieErklrung hierfr mit militrischen Auseinandersetzungen greren Umfangs bei Massilia er-klren zu mssen.

    47 Dio 27, fr. 90.48 Strab. 4,1,8: danach bergab er den Kanal den Massalioten als Kampfpreis fr ihre Teilnahme

    am Krieg gegen die Ambronen und Tougener . Vgl. Miltner (wie Anm. 14), 293f.49 Heinrichs (wie Anm. 12), 277299. Vgl. die inhaltlich belanglose Kritik von H.-E. Joachim, Die

    Datierung der jngerlatnezeitlichen Siedlungen von Niederzier-Hambach im Kreis Dren, in: BJb207, 2007, 3374, hier: 42 Anm. 56. Die geonomastischen berlegungen von Fritz Vonficht(Die frheren Namen von Etsch, Eisack und Isar, in: Der Schlern 53, 1979, 88102) sprechen dafr,dass die Germanen den Weg ber den Brenner- und nicht den gleichfalls denkbaren Weg ber denReschenpass whlten.

    50 Dazu zuletzt B. Steidl, Zum Grenzverlauf zwischen Noricum, Raetien und der Regio X im Eisack-tal, in: Bayerische Vorgeschichtsbltter 76, 2011, 158176.

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  • Peter Kritzinger332

    des Jahres 102 Q. Lutatius Catulus befehligt wurden. Aus den Periochae und einer An-gabe bei Plutarch wird ersichtlich, dass der Konsul zunchst mehrere Psse in den Alpenhatte besetzen lassen.51 Diese Aussagen blieben meist unbeachtet, da hufig a priori davonausgegangen wurde, dass die Rmer die Psse des Alpenhauptkamms noch nicht erreichthaben konnten.52 Gegen diese prinzipielle Annahme sei lediglich an die MilitraktionenRoms gegen die Stoeni und Carni wenige Jahre zuvor erinnert, als das rmische Heer weitin das Innere der stlichen Alpen vorgedrungen sein muss.53 Anzufhren ist in diesemKontext auch die Behauptung Plutarchs, Sulla habe unter dem Oberbefehl des Catulus wei-te Teile des Alpenraums unter rmische Kontrolle gebracht.54 Dies muss im Jahr 102 ge-schehen sein.55 Soviel ist jedenfalls zu erkennen, dass der Radius der militrischen Akti-onen Roms durchaus bis zum Alpenhauptkamm gereicht haben kann und wahrscheinlichauch hat. Insofern mssen m.E. die Aussagen Plutarchs und Livius durchaus ernst genom-men werden.

    Da Catulus mehrere bergnge besetzen lie, ist davon auszugehen, dass im Gegensatzzur Situation in Sdfrankreich nicht bekannt war, welchen Weg/Pass die Germanen whlenwrden.56 Diese Beobachtung wirft ein Schlaglicht auf das ansonsten weitgehend unbe-kannte Verhltnis zwischen Rom und den lokalen Stmmen in den Alpen.57 Es kann vor-ausgesetzt werden, dass die Bewohner der Alpen jederzeit ber die Schritte beider Kriegs-parteien genauestens informiert waren.58 Wenn sie nun den Rmern solche Informationenvorenthielten, so war dies gewiss kein Zufall oder gar ein Kavaliersdelikt, sondern mussvielmehr als veritables Indiz einer vergifteten Beziehung gedeutet werden.59 Zwar sind

    51 Plut., Marius 23,2 (ed. R. Flacelire, Paris 1971, 122): -, , - , , , , , -; Liv. per. 68.

    52 Beispielsweise F. Sartori, Verona Romana, Verona 1960, 172175; Koestermann (wieAnm. 31), 327; Loose (wie Anm. 11), 247249; R. G. Lewis, Catulus and the Cimbri 102 B.C., in:Hermes 102, 1974, 90109.

    53 Leider schweigen die literarischen Quellen hierzu weitgehend, sodass sich nichts mit Exaktheit sa-gen lsst. Liv. per. 62; Oros. 5,14,5; Fasti Triumphales zum Jahr 115: de Galleis Karneis; zum Jahr117: de Liguribus Stoeneis. Siehe A. Degrassi, Fasti Capitolini, Turin 1954, 106. Allgemein A. Al-bertini, Tridentini Raeticum Oppidum, in: Atti della Accademia Roveretana degli Agiati 228,1978, 4379, bes. 51; R. Heuberger, Rtien im Altertum I., Innsbruck 1932, 117, 307; dagegen E.Meyer, Stoeni, in: RE 14, 1974, 747.

    54 Plut. Sulla 4,3.55 Heuberger (wie Anm. 53), 51.56 Richard Heuberger (Der Eintritt des mittleren Alpenraumes in Erdkunde und Geschichte, in:

    F. Huter [Hg.], Beitrge zur Geschichte und Heimatkunde Tirols, Bozen 1947, 69118, hier 85)nimmt an, die Rmer htten sptestens im Sommer Kenntnis vom Anmarschweg der Kimbern ge-habt. Dagegen berzeugend Loose (wie Anm. 11), 243f.

    57 Allgemein dazu Haider (wie Anm. 42), 140f.58 Dazu die berlegungen bei Walser (wie Anm. 21), 1012; D. van Berchem, Les Alpes sous la

    domination romaine, in: P. Guichonnet (Hg.), Histoire et civilisations des Alpes, Toulouse/Lau-sanne 1980, 95130.

    59 Dagegen postulieren ein Abkommen oder gar ein foedus mit wenig berzeugenden Argumenten:Albertini (wie Anm. 53), 5961; V. Chioccetti, Tridentini splendidum Municipium et colonia

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  • Vom Niederrhein ins Vercellese 333

    unmittelbare Auseinandersetzungen zwischen Rom und den Gebirglern nicht berliefert,vielleicht kann aber ein Zerstrungshorizont, der parallel an mehreren Stellen im Alpen-raum beobachtet wurde und grob gesprochen in die Zeit um die Jahre 10090 datiert,als Zeugnis einer spteren Vergeltungsmanahme Roms interpretiert werden.60 Auch diezeitnahe Eroberung (etwa im Jahr 90) von Tridentum und die Unterwerfung der Tridentinipasst in dieses Modell.61

    Auf der Suche nach Erklrungen fr ein Bndnis zwischen Alplndern und Germanenstt man zunchst auf den helvetischen Teilstamm der Tiguriner, der nur wenige Jahre zu-vor aus der Alpenregion kommend, sich den Germanen angeschlossen hatte.62 In dieser Si-tuation htten die Tiguriner als Vermittler und Dolmetscher dienen knnen. Denkbar sindaber auch manifeste wirtschaftliche Argumente.63 Wie Gerold Walser betont hat, wardie wichtigste Einnahmequelle der Alplnder der Transitverkehr.64 In diesem Sinnekonnte der Zug der Germanen fr die lokalen Stmme ein lukratives Geschft darstellen,wenngleich mit kaum kalkulierbaren Risiken. Mglicherweise lassen sich die von Jo-hannes Heinrichs beobachteten, aufflligen Goldfunde entlang der hier prferiertenRoute der Germanen als Reminiszenz eines Kontraktes zwischen Kimbern und Alplnderbegreifen.65 Wie etwaige Abkommen im Einzelnen ausgesehen haben, wird wohl nichtmehr mit absoluter Sicherheit in Erfahrung zu bringen sein. Das Verhltnis zwischen indi-gener Bevlkerung und den Rmern war jedenfalls gestrt.

    Catulus zog jedoch, noch vor dem ersten Kontakt mit dem Feind, seine Truppen vonden Pssen wieder ab und irgendwo an der Etsch zusammen.66 Schon den antiken Histo-riographen schien dieses Verhalten erklrungsbedrftig. Plutarch suchte es seinen Lesern(und wohl auch sich selbst) dadurch zu erklren, der General habe seine Krfte an der Etschkonzentrieren wollen.67 Dieser Erklrungsansatz ist wenig berzeugend. Wenn Catulus

    59 Papiria, in: Atti della Accademia Roveretana degli Agiati 229, 1979, 1748, hier: 1721. Dagegenaber schon Haider (wie Anm. 42), 142.

    60 Die Zerstrungen wurden meist auf die Kimbern zurckgefhrt. O. Menghin, Zur Historisierungder Urgeschichte Tirols, in: Tiroler Heimat 25, 1961, 1021; R. Lunz, Venosten und Rter, Calliano1981, 3335; Haider (wie Anm. 42), 137142.

    61 Bereits Theodor Mommsen (Edict des Kaiser Claudius, in: Gesammelte Schriften, Berlin 1906,Bd. 4.1, 291311, bes. 302305) ist die bemerkenswert frhe Unterwerfung der Tridentini aufgefal-len.

    62 Strab. 7,2,2 (FGrH 87 F 31,2); Tac. Germ. 28,2; vgl. Ptol. 2,11,6. Allgemein zu den Helvetiern undihrer Lokalisierung F. Sthelin, Die Schweiz in rmischer Zeit, Basel 31948, 2730, 54; F. G.Maier, Kelten und Helvetier in der Schweiz, in: A. Gunter, F. Mller (Hg.), Gold der Helveti-er. Keltische Kostbarkeiten aus der Schweiz (Katalog), Zrich 1993, 2325; zuletzt F. Mller u.a.(Hg.), Die Schweiz vom Palolithikum bis zum frhen Mittelalter, Basel 1999, Bd. 4, 3134. Vgl. da-gegen G. Dobesch, Die Kimbern in den Ostalpen und die Schlacht bei Noreia, in: Mitteilungender sterreichischen Arbeitsgemeinschaft fr Ur- und Frhgeschichte 32, 1982, 5172, bes. 6368.

    63 Vgl. etwa Pol. 3,48,11 (Hannibal engagierte gegen Bezahlung lokale Fhrer); Strab. 4,6,7 (Brutusmusste selbst i.J. 43 fr sein gesamtes Heer den Salassern ein Passiergeld von einem Denar proMann entrichten). Allgemein G. Walser, Via per Alpes Graias, Stuttgart 1986, 14f.

    64 U.a. Walser (wie Anm. 21), 1014; ders. (wie Anm. 63), 14; van Berchem (wie Anm. 40),201204.

    65 Heinrichs (wie Anm. 12), 277299.66 Flor. 1,38,12; Plut., Marius 23,27.67 Plut., Marius 23,2 (zit. in Anm. 51).

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  • Peter Kritzinger334

    seine Einheiten lediglich an der Etsch htte konzentrieren wollen, wre er gewiss nicht erstbis in die Berge vorgerckt.

    An die Etsch zurckgekehrt lie Catulus, hnlich wie Marius in Sdfrankreich, Befesti-gungen mit einer Brcke errichten. Dennoch gelang es den Germanen offenbar problem-los, die Rmer aus ihren Verschanzungen zu vertreiben.68 Dieser berraschende Erfolg flltbesonders vor dem Hintergrund der vergeblichen Bemhungen vor Valentia auf. M.E. gibtes hierfr nur eine Erklrung: Die Rmer wurden berrascht, wobei sich die Frage stellt,wie das passieren konnte, hatten sie doch den Gegner erwartet. Der wahre Grund fr diesesMissgeschick ist aus den literarischen Quellen nicht zu erfahren. Zum einen hngen dieberlieferten Werke von Autoren ab, die entweder selbst an der Niederlage beteiligt waren,oder doch zumindest dem Lager der Optimaten angehrten. Von ihnen kann man nicht er-warten, etwaige militrische Fehler zu erfahren. Zum anderen schweigt die populare Tradi-tion (Florus, Orosius), oder ist nicht erhalten (Livius), weshalb die Antwort auf diese Frageerschlossen werden muss.69

    Hierzu muss zunchst der Ort des Geschehens lokalisiert werden. Das denkwrdige Ge-fecht wurde bis dato recht unterschiedlich verortet.70 Unlngst glaubte Robert G. Lewisaufgrund der Variationen in den verschiedenen Beschreibungen, es htte gar mehrereSchlachten gegeben, wobei seine suggestiven berlegungen nicht berzeugen knnen.Lewis geht meist von den uerst knappen antiken Beschreibungen aus, die er dann in dermodernen Kulturlandschaft wiederzuerkennen versucht. Das grte Problem dabei ist,dass sich die Kulturlandschaft von heute kaum mit jener von vor ber 21 Jahrhundertenvergleichen lsst. Zudem entfernt er sich hufig allzu weit von den Aussagen der Quellen,weshalb seine Ergebnisse zum Teil einen hchst spekulativen Charakter annehmen.71 Be-trachtet man dagegen allein die uerungen zu der Schlacht, so kann kaum ein Zweifel be-stehen, dass lediglich eine Schlacht stattgefunden hat.72 Die Variationen in den Beschrei-bungen lassen sich mit der jeweiligen politischen Position der Primrquellen erklren.Whrend nmlich die eine Seite bemht war, die Leistung des Catulus mithin zu heroisie-

    68 Val. Max. 5,8,4 (ed. J. Briscoe, Stuttgart/Leipzig 1998, 360f.): M. vero Scaurus, lumen ac decus pa-triae, cum apud Athesim flumen impetu Cimbrorum Romani equites pulsi deserto consule Catulo ur-bem pavidi repeterent, consternationis eorum participi filio suo misit qui diceret libentius se in acieeius interfecti ossibus occursurum quam ipsum tam deformis fugae reum visurum ; Plut., Marius23,2 (zit. in Anm. 51). Vgl. Frontin. strat. 1,5,3.

    69 Wir werden weiter unten noch sehen, weshalb auch die Autoren, die von Marius oder Livius ab-hngen allen voran Florus , dieses Missgeschick nicht ausfhrlich wiedergeben. Vgl. auch dieAbb.

    70 Z.B. Mommsen (wie Anm. 14), Bd. 2, 185 (unterhalb von Trient am linken Ufer der Etsch); F.Mnzer, Lutatius (Nr. 7), in: RE 13.2, 1927, 20732082, bes. 2075 (Plateau von Rivoli bei Verona);Schmidt (wie Anm. 21), Bd. 1, 15 und Sade, (wie Anm. 7), 7582 (in der Nhe von Verona);Miltner (wie Anm. 14), 289307, bes. 300 (Veroneser Klause); R. Heuberger, Das erste Er-scheinen der Germanen in den Alpen, in: Sdost-Forschungen 14, 1955, 19 (in der Nhe von Tri-ent); Loose (wie Anm. 11), 251f. (in der Nhe der Mndung der Etsch); J. Herrmann, Grie-chische und lateinische Quellen zur Frhgeschichte Mitteleuropas, Mnchen 1988, Bd. 1, 607f.;Haider (wie Anm. 42), 141 (am Sdfu der Lessinischen Berge); Timpe (wie Anm. 2), 59f. (oh-ne sich festzulegen).

    71 Vgl. Lewis (wie Anm. 52), 90109.72 Ampelius 19,10; Eutr. 5,2,1f; Frontin. strat. 1,5,3; 4,1,13; Liv. per. 68; Plin. nat. 22,11; Plut., Marius

    23,27; Val. Max. 5,8,5. Vgl. Flor. 1,38,12f.; Oros. 5,16,3; Vir.ill. 67; 72; 75.

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  • Vom Niederrhein ins Vercellese 335

    ren, bezeichnete ihn die andere Seite schlichtweg als Feigling und Urheber der Katastrophe,was geradezu zwingend zu leichten Variationen der Darstellung der Schlacht fhren muss-te.73 Obwohl die Schlacht von mehreren antiken Autoren beschrieben wurde, bieten nurdrei jeweils eine konkrete Ortsangabe.

    1. Ampelius schreibt in seinem Lehrbuch: Lucius Opimius ttete unter dem ConsulLutatius Catulus am Tridentinischen Hgel einen Kimbern, der ihn herausgeforderthatte.74 Zwar drfte es sich bei dieser Anekdote um ein konstruiertes Exemplumhandeln, dessen Wahrheitsgehalt kaum abschtzbar ist, die topographische Angabewird von Ampelius jedoch wenig spter in einem anderen Kontext wiederholt.75Auch nimmt die Ortsangabe in saltu Tridentino keinen Einfluss auf die Lehre derzweifelhaften Anekdote, sodass wohl davon ausgegangen werden kann, dass er dieAngabe unverndert von einem Gewhrsmann also wohl M. Aemilius Scaurus bernommen hat.76

    2. Frontin schreibt in den Strategemata: Weil der Sohn des Marcus Scaurus am Triden-tinischen Pass vor den Feinden von seinem Posten gewichen war, verbot ihm der Va-ter, vor seine Augen zu treten.77 Frontin drfte ebenfalls vom Bericht des M. Aemili-us Scaurus abhngen. Die wrtliche bereinstimmung mit Ampelius bezglich derOrtsbezeichnung macht eine gemeinsame Quelle jedenfalls recht wahrscheinlich.

    3. Florus schreibt: Als die Teutonen vllig vernichtet waren, wandte man sich gegen dieKimbern. Diese waren bereits wer wrde das glauben? im Winter, der die Alpennoch hher werden lsst, ber die Tridentinischen Hgel nach Italien eingestrmtund (wie) eine Lawine herabgestrzt.78 Florus nennt den Ortsnamen nicht explizitim Zusammenhang mit der Schlacht an der Etsch. berhaupt ist nicht so recht er-sichtlich, weshalb er die Hgel erwhnt. Denn kommt man von Norden entlang derEtsch, so stellen diese Hgel keine sonderlich markante geographische Formationdar. Auch befand man sich danach durchaus noch nicht in der Gallia cisalpina.79

    73 Die Ursache fr die Niederlage wird von folgenden Quellen beim subalternen Personal lokalisiert:Frontin. strat. 4,1,13 (ed. G. Bendz, Berlin 31987, 168); Ampelius 19,10; Val. Max. 5,8,5. Das Ver-dienst des Catulus wird von folgenden Quellen hervorgehoben: Eutr. 5,2,1 (ed. F. L. Mller,Stuttgart 1995, 74); Frontin. strat. 1,5,3 (ed. G. Bendz, Berlin 31987, 34); Plut., Marius 23,35 (ed.K. Ziegler, Stuttgart u.a. 21971, Bd. 3.1, 230f.). Das Verdienst subalternen Personals wird von fol-genden Quellen betont: Plin. nat. 22,6 (ed. C. Mayhoff, Leipzig 1933, Bd. 4, 137); Liv. per. 68. Vgl.Vir.ill. 67; 72; 75; Flor. 1,38,12f. Vgl. auch die Abb.

    74 Ampelius 22,4 (ed. M.-P. Arnaud-Lindet, Paris 1993, 35): Lucius Opimius, sub L(u)tatio Catuloconsule, in saltu Tridentino provocatorem Cimbrum interfecit.

    75 Ampelius 45,2.76 Vgl. dazu die Abb.77 Frontin. strat. 4,1,13. bers. nach G. Bendz, Frontin Kriegslisten, Berlin 31987, 169. Vgl. Ampeli-

    us 19,10. Zum Verhltnis von Florus zu Ampelius siehe L. Braun, Florus, Ampelius und der Liberde viris illustris, in: WJA NF 31, 2007, 169179, bes. 173.

    78 Flor. 1,38,11 (ed. P. Jal, Paris 1967, 88): Hi iam quis crederet? per hiemem, quae altius Alpes le-vat, Tridentinis iugis in Italiam provoluti (per) ruina descenderant. Man hat diesen Passus m.E. zuUnrecht versucht, als verderbt abzutun. Der Satz ist in jeder Hinsicht korrekt und in seiner Aussagezweifelfrei verstndlich. Vgl. aber Welwei (wie Anm. 9), Bd. 1, 214 Anm. 34. Dagegen richtig P.Jal, Paris, 1967, 88, 143.

    79 Die Lokalisierung der Tridentini im heutigen Trientner Becken wird besttigt von Plin. nat. 1,20,323,2 (3,121130); ILS 86. Dazu W. Cartellieri, Die rmischen Alpenstraen, in: Philologus

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  • Peter Kritzinger336

    Trotzdem ist nicht davon auszugehen, dass er die toponyme Angabe einfach erfundenhat. Wie lassen sich diese Beobachtungen erklren? Die inhaltliche Krzung drftedem Zweck des Werkes geschuldet sein, denn Florus wollte schlielich nicht denKimbernkrieg schildern, sondern anhand von dessen kurzer Skizze die militrischeTugend von einst exemplifizieren. Dabei steht er in popularer Tradition, welche dieNiederlage des Optimaten Catulus keinesfalls beschnigt haben drfte. Folglichkonnte Florus die gewiss wenig schmeichelhafte Schilderung der Schlacht bei den Tri-dentinischen Hgeln nicht unverndert bernehmen. Offenbar hat er das Gefechtgnzlich ausgespart, die topographische Angabe jedoch ohne Bezug bernommen.

    Die weitgehend verlorenen Primrquellen beider Lager scheinen hinsichtlich der Lokalisie-rung der Schlacht an der Etsch einer Meinung gewesen zu sein, weshalb den toponymenAngaben m.E. hchste Glaubwrdigkeit zukommt.80

    Nun stellt sich die Frage, welche geographische Formation konkret mit saltui respektiveiugo/is Tridentini gemeint ist. Da saltus und iugum offenbar als Synonyme zu begreifensind, die semantische Schnittmenge der Begriffe jedoch die Bedeutungen von Wald, H-gel aber auch Joch, Pass umfasst, gilt es zunchst festzustellen, was bezeichnet werdensoll. Der Verweis auf einen Pass kann insofern ausgeschlossen werden, als es auf dem ge-samten Stammesgebiet der Tridentini keinen Sattel gab, den die Kimbern auf ihrem Weg inden Sden (sinnvollerweise) htten berqueren knnen.81 Iugum oder saltus im Sinn vonWald scheint fr die Lokalisierung einer Schlacht zu unprzise, sodass sehr wahrschein-lich auf einen (oder mehrere) Hgel verwiesen wird.82 Fr die geographische Verortungdes Ethnonyms Tridentinus bieten sich zwei Verstndnismglichkeiten an. Zunchst kannder Begriff das Stammesgebiet der Tridentini respektive die abgeleitete geographische Regi-on (etwa im Sinn von: alpes Tridentinae) bezeichnen. Sodann knnte das Ethnonym auchspeziell auf die Zentralsiedlung des Stammes also: Tridentum/Trient verweisen. ZweiArgumente sprechen m.E. fr diese zweite Deutung. Zunchst einmal deutet die Formulie-rung des Florus an, dass die Hgel bei der Siedlung gemeint sind, da das Ethnonym in Ge-stalt eines Adjektivs lediglich dazu dient, Hgel nher zu bestimmen. Htte Florus die H-gel des gesamten Stammesgebietes bezeichnen wollen, so htte er bestimmt von den Tri-dentini iuga geschrieben. Sodann drften die Ortsbezeichnungen in den erhaltenen Quel-len hchstwahrscheinlich letztinstanzlich auf den Bericht des Marius und/oder dieautobiographische Skizze des Catulus zurckgehen (vgl. Abb.). Fr beide Militrs darf wohlvorausgesetzt werden, dass sie sich hinsichtlich geographischer Beschreibungen einer ho-hen Przision befleiigten. Die Lokalisierung einer Schlacht durch den Verweis auf einmehrere hundert Quadratkilometer umfassendes Territorium, wie es das Stammesgebietder Tridentini darstellte, kann insofern mit groer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen wer-

    79 Suppl. 18.1, 1926, 1186, hier: 49; H. Philipp, Tridentum, in: RE 7.1, 1939, 102104. Karte: TIR L32, Mediolanum, 1966, 134; R. J. A. Talbert, Barrington Atlas of the Greek and Roman World,Princeton 2000, 39.

    80 Dagegen aber Loose (wie Anm. 11), 247f.; Haider (wie Anm. 42), 141.81 Vgl. Talbert (wie Anm. 79), 39.82 Haider (wie Anm. 42), 141 glaubt, dass mit den Begriffen die gesamten(!) sdlichen Voralpen be-

    zeichnet werden.

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  • Vom Niederrhein ins Vercellese 337

    den. Das Gefecht an der Etsch drfte also wohl auf einem (oder mehreren) Hgel(n) in derNhe des Hauptortes der Tridentini zu lokalisieren sein.83

    Als Kuriosum denn mehr ist es nicht sei auf die Val di Cembra hingewiesen, die we-nige Kilometer nrdlich von Trient in stliche Richtung abzweigt.84 Es gilt in der Topono-mastik als ausgemacht, dass der Name des Tals auf ein gewisses castrum Cimbra zurck-geht, dessen frheste Erwhnung sich bei Paulus Diaconus findet.85 Aufgrund der groenzeitlichen Distanz ist eine direkte Verbindung zwischen dieser Erwhnung und den hieruntersuchten Ereignissen nicht ohne weiteres mglich.86 Es ist aber doch auffallend, dassdie archologischen Funde in Cembra (erste Ortschaft des gleichnamigen Tals) entwederaus frhester rmischer Besiedlung (etwa um 100 v.Chr.) oder aus der Sptantike stam-men.87 Insofern ist, um es mit der angebrachten Vorsicht auszudrcken, ein Zusammen-hang zwischen dem Toponym und dem Zug der Kimbern nicht ausgeschlossen.

    Letzten Endes ist die zweifelsfreie Bestimmung des Ortes der Schlacht und des Rmerla-gers einzig durch archologische Funde mglich, die bisher fehlen. Allgemein ist unschwerzu erkennen, dass die gesamte Region hervorragende Pltze zur Anlage eines Sperrriegelsbot. Eine Antwort auf die Frage, weshalb es den Kimbern gelang, die Rmer zu berra-schen, ist hieraus nicht zu gewinnen.

    In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wann die Schlacht bei Trient stattgefun-den hat. Bisher wurde diese Frage unterschiedlich beantwortet.88 Die Quellen bieten gleichmehrere chronologische Anhaltspunkte. Wenige Tage nach der siegreichen Schlacht beiAquae Sextiae habe Marius durch einen Boten die Nachricht von der Niederlage bei Trienterhalten.89 Da ein Bote, der gewiss den schnellsten Weg kannte, die Strecke in relativ kurzerZeit bewltigt haben drfte, ist davon auszugehen, dass die beiden Schlachten cum granosalis zeitgleich stattgefunden haben. Wenige Tage vor dieser schlechten Nachricht hatteMarius einen Boten aus Rom empfangen, der ihm seine Designation zum Konsul fr dasfolgende Jahr erffnete.90 Folglich so wurde argumentiert mussten die Centuriatskomi-tien in Rom bereits abgeschlossen worden sein, womit ein terminus post quem vorliege.91

    83 Bereits im Lauf des 1. Jh. ist der Name Tridentum fr den (Haupt-) Ort der Tridentini an der Stelledes heutigen Trient nachgewiesen. Vgl. Heuberger (wie Anm. 53), v.a. 54; ders., 1947 (wieAnm. 56), 8385.

    84 Haider (wie Anm. 42), 220, 236; V. Bierbauer, Castra und Hhensiedlungen in Sdtirol, imTrentino und in Friaul, in: ders., H. Steuer (Hg.), Hhensiedlungen zwischen Antike und Mit-telalter von den Ardennen bis zur Adria, Berlin/New York 2008, 643715, bes. 652f., 655f., 674685, Karte auf S. 650, Abb. 1.

    85 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 3,31.86 Keine Rolle fr den Ursprung des Flurnamens spielen die Zimbern. So aber noch K. Hofmann,

    Die germanische Besiedlung Nordbadens, Heidelberg 1937, 711. Dagegen richtig, wenn auch po-lemisch Schmidt (wie Anm. 21), Bd. 1, 9, 14f.

    87 Bierbauer (wie Anm. 84), 652f., 674685.88 Fr den Sommer 102 sprechen sich aus: M. Ihm, Cimbri, in: RE 3.2, 1909, 2549; Mommsen (wie

    Anm. 14), Bd. 2, 184. Fr den Herbst 102 sprechen sich aus: Schmidt (wie Anm. 21), Bd. 1, 14.Fr den Winter 102/1 sprechen sich aus: R. Heuberger, Zur Geschichte der rmischen Brenner-strae, in: Klio 27, 1934, 311336, hier: 311; Sade (wie Anm. 7), 75. Fr das Frhjahr 102 sprichtsich aus: C. Jullian, Histoire de la Gaule, Paris 1926, Bd. 3, 88f.

    89 Plut., Marius 23,14.90 Plut., Marius 22,35. Vgl. Oros. 5,16.91 Beispielsweise Jullian (wie Anm. 88), 88f.; Schmidt (wie Anm. 21), Bd. 1, 1217.

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  • Peter Kritzinger338

    Allerdings war fr die Komitien noch kein bestimmter Termin festgelegt, weshalb sie jenach politischer oder militrischer Lage frher oder spter stattfinden konnten.92 Einechronologische Gewissheit ist folglich aus dieser Angabe nicht zu erzielen. Doch Florusnennt ja die Jahreszeit (Paraphrase): Die Kimbern waren aber wer kann es glauben? be-reits im Winter nach Italien gelangt.93 Aus dem Passus ist ersichtlich, dass Florus lediglichseine Quelle wiedergibt, ohne sein eigenes Erstaunen, ja seine Unglubigkeit (quis crederet)ob der Jahreszeit zu verhehlen. Neben dieser expliziten uerung zur Jahreszeit berichtenPlutarch und Orosius im Zusammenhang mit der Alpenberquerung durch die Kimbernvon Schnee und Klte.94 Zugleich wird berichtet, dass die Teutonen vor der Schlacht beiAquae Sextiae in warmen Quellen gebadet htten. Die uerungen der antiken Autorenverorten die Geschehen widerspruchslos in der kalten Jahreszeit, sodass die Kimbern in derTat erst bei Wintereinbruch (allerdings auch nicht viel spter, denn im hohen Winter isteine Passage der Psse kaum vorstellbar) auf die rmischen Einheiten bei Trient gestoensein drften.

    Vor diesem Hintergrund beantworten sich nun beide offenen Fragen wie von selbst. Esliegt auf der Hand, weshalb Catulus die Stellungen auf den Passhhen aufgegeben und sichins Tiefland zurckgezogen hatte. Hinter diesem Verhalten stecken nicht, wie Plutarch ver-mutet hatte, strategische berlegungen. Vielmehr wurden die Einheiten schlicht in dasWinterlager zurckgezogen. Vor diesem Hintergrund wird auch verstndlich, weshalb dieRmer von den Kimbern berrascht werden konnten: Sie rechneten aufgrund der vorge-rckten Jahreszeit nicht mehr mit der Mglichkeit, dass die Germanen noch eine berque-rung der Alpen wagen wrden. Die Wahl Trients als Platz fr ein Winterlager war alsodurchaus durchdacht, denn im folgenden Frhjahr htten die Psse schnell wieder besetztwerden knnen, whrend die Legionen im Winter von der Gallia cisalpina aus einfach zuversorgen waren.

    Die Aussagen der Optimaten und Popularen stimmen darin berein, dass die rmischenEinheiten bei Trient zwar geschlagen wurden, sich jedoch einigermaen geordnet zurck-zuziehen vermochten.95 Widersprche ergeben sich lediglich wie kaum anders zu erwar-ten hinsichtlich der Frage, wem die Rettung der geschlagenen Einheiten zuzuschreibensei. Die Optimaten fhren diesen Teilerfolg auf das besonnene, ja heldenhafte Verhaltendes Catulus zurck und suchen die Schuld an der Misere bei Individuen (Stichwort: M.Aemilius Scaurus).96 Die popularen Darstellungen betonen dagegen die Leistung der ge-samten Legion und namentlich eines primus pilus und kontrastieren diese mit der Feigheitdes Kommandanten Catulus.97 Wem nun tatschlich die Rettung der Legionen zu verdan-ken ist, lsst sich heute kaum mehr entscheiden. Jedenfalls konnten die Germanen in derFolge der Schlacht bei Trient das Gebiet nrdlich des Pos okkupieren, ohne auf weiteren

    92 U. Hackl, Zur Chronologie der rmischen Konsulwahlen 149 v.Chr., in: Hermes 107, 1979, 123126 (November; gelegentlich aber auch frher); L. J. Grieve, The Reform of the comitia centuria-ta, in: Historia 34, 1985, 278309; dagegen J. Bleicken, Die Verfassung der rmischen Republik,Paderborn 1982, 130f. (fester Termin im Juli).

    93 Flor. 1,38,11 (zit. in Anm. 78).94 Oros. 5,16,14; Plut., Marius 23,3.95 Beispielsweise Frontin. strat. 1,5,3; Plut., Marius 23,57. Und die Verweise in den Anm. 72f.96 Frontin. strat. 1,5,3; Plut., Marius 23,25; Val. Max. 5,8,4.97 Plin. nat. 22,6.

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  • Vom Niederrhein ins Vercellese 339

    Widerstand zu treffen.98 Entgegen der weit verbreiteten Meinung drften sie aber nicht aufdirektem Weg nach Vercellae (unabhngig davon, wo man den Ort der Schlacht lokalisiert)gezogen sein.99 In der Tat berichtet Florus, der sich fr unser Anliegen hinsichtlich prziserOrtsangaben als zuverlssige Quelle herausgestellt hat, sie htten in Venetia berwin-tert.100 Cassius Dio und Orosius besttigen einen lngeren Aufenthalt der Germanen inNorditalien.101 Man hat diese Angaben aufgrund ihres topischen Charakters bisher kaumernst genommen.102 Aber was genau ist an der Aussage topisch? Ohne jeden Zweifel sinddie Ausschmckungen, wonach das kultivierte und luxurise Leben, das reichliche Essenund der unverdnnte Wein die Kampfkraft der Barbaren schwchten, literarische Gemein-bilder.103 Doch sieht man von diesen klar umrissenen Klischees ab, sind die Angaben m.E.ernst zu nehmen. Denn weshalb htte Florus die Ortsangabe erdichten sollen? Ein besonde-res Interesse seinerseits ist fr mich jedenfalls nicht zu erkennen. Natrlich darf der Ver-weis auf die zehnte augusteische Region Venetia et Histria nicht sensu stricto verstandenwerden; doch im Groen und Ganzen drfte das Gebiet dieser Region gemeint sein. Folg-lich ist anzunehmen, dass die Kimbern den Winter und das Frhjahr der Jahre 102101 imNordosten Italiens zugebracht haben.104

    Plutarch berichtet weiter, die Kimbern htten auf die Teutonen gewartet, von denen siesich bei Valentia entgegen rein militrischer und vor allem aufgrund versorgungstech-nischer Grnde getrennt hatten.105 Dies bedeutet, dass die vereinten Stmme vor ihrerTrennung ein Zeitfenster sowie eine bestimmte Region auf italischem Boden fr ihre Wie-dervereinigung vereinbart hatten.106 Dabei drfte es den Germanen nicht darum gegangensein, Italien mittels eines Zangenmanvers einzunehmen (vgl. Anm. 31), sondern viel-mehr darum, die groen Menschenmassen ber die Alpen zu bringen. Dass die Stmme inder Lage waren, solche komplexe, weitrumige Bewegungen zu organisieren, hatten sie be-reits bewiesen. Und so warteten die Kimbern bis zum Beginn des Sommers im NordostenItaliens, dann brachen sie unvermittelt auf und marschierten gegen Westen.107 Plutarch er-klrt das Verhalten plausibel dadurch, dass sie den Teutonen entgegen marschieren woll-ten, wahrscheinlich da sich diese verspteten.108 Die Tiguriner seien bei dieser Gelegenheitin den Norischen Bergen also direkt nrdlich der Region Venetia zurckgeblieben: Diedritte Abteilung, die der Tiguriner, die gewissermaen als Reserve die Norischen Berge be-

    98 Flor. 1,38,13; Oros. 5,16,14.99 hnlich Timpe (wie Anm. 2), 60.

    100 Flor. 1,38,13 (ed. P. Jal, Paris 1967, 88): Et si statim infesto agmine urbem petissent, grande discri-men; sed in Venetia, quo fere tractu Italia mollissima est, ipsa soli caelique clementia robur elanguit.Vgl. Lewis (wie Anm. 52), 92.

    101 Cass. Dio 27, fr. 94,2; Oros. 5,16,14.102 Beispielsweise Loose (wie Anm. 11), 247f.103 Dagegen aber Sade (wie Anm. 7), 75; Koestermann (wie Anm. 31), 328.104 Siehe Plin. nat. 3,22f.; und die Karte in: A.-M. Wittke, E. Olshausen, R. Szydlak u.a. Histo-

    rischer Atlas der antiken Welt, Stuttgart 2007 (DNP Suppl. 3), 175. Vgl. dazu Heinrichs (wieAnm. 12), 294296.

    105 Plut., Marius 24,4: Sie mieden aber den Kampf unter dem Vorwand, dass sie die Teutonen erwar-teten und sich ber deren Sumen wunderten ; vgl. ebd. 24,5.

    106 Vgl. Loose (wie Anm. 11), 241 (zeitliche Vereinbarung).107 Timpe (wie Anm. 2), 60: offensichtlich sind die Kimbern nicht sdwrts, sondern westwrts

    gezogen .108 Plut., Marius 24,47.

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  • Peter Kritzinger340

    setzt hatte, entkam in unrhmlicher Flucht .109 Eine Inschrift auf dem Magdalensbergin der Nhe Klagenfurts aus dem Jahr 10/9 n.Chr. besttigt die Prsenz von Tigurinern imNoricum und kann mglicherweise als ein sptes Zeugnis dieser unrhmlichen Fluchtgesehen werden.110 Aus welchen Grnden die Tiguriner in den Norischen Bergen zurck-blieben, lsst sich nur vermuten, da die Erklrung des Florus (Reserve?) kaum berzeugenkann.111 Aus dem Verhalten knnte man am ehesten den Schluss ziehen, dass die Germa-nen die Region Venetia permanent zu besetzen suchten.112 Tatschlich wird ja auch wie-derholt von Gesandtschaften der Germanen an den rmischen Senat und deren Feldherrenberichtet, die um Landzuweisungen gebeten htten.113 Auch in dieser Situation htten siePlutarch zufolge erneut Land gefordert ( ).114 Die Ernsthaf-tigkeit dieser Anfragen wird m.E. durch die weitere Geschichte der spteren Atuatuker un-termauert. Wahrscheinlich unter dem Eindruck des furor der Germanen wurden die Belegefr diese Bemhungen um Siedlungsraum jedoch meist nicht ernst genommen.115 Welcheplndernde und brandschatzende Horde sucht schon Siedlungsraum? Begreift man jedochdie bizarre Wanderung der Germanen ihrem Grunde nach (zumindest auch) als Suchenach Siedlungsland, dann trgt die Hauptschuld an ihrem Scheitern vor allem der hartn-ckige und unvershnliche Widerstand der Rmer, oder besser gesagt der rmischen Elite.Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die rmische Aristokratie, die einerseits die milit-rischen Niederlagen gegen die Germanen zu verantworten hatte, andererseits jedoch einMonopol auf die Darstellung der Ereignisse besa, die militrische Schlagkraft der Stmmebermig betonte und Gegenteiliges mglicherweise verschwieg.116

    Die erneute Aufteilung der Stmme hatte ihre militrische Schlagkraft jedenfalls so sehrgeschwcht, dass sie am 31. Juli des Jahres 101 die alles entscheidende Schlacht auf denCampi Raudii nordstlich des heutigen Vercelli gegen die rmischen Legionen verloren,womit eines der interessantesten Phnomene der Antike ein abruptes Ende fand.117

    Fassen wir kurz die Ergebnisse zusammen. Vor dem Hintergrund jngster Erkenntnissehinsichtlich des Routenverlaufs sowie der Lokalisierung der Schlacht auf den Campi Raudiiwurden die literarischen Quellen einer erneuten Prfung unterzogen, wobei sich eine insich schlssige und mit dem vermuteten Routenverlauf in Einklang stehende Abfolge der

    109 Flor. 1,38,18 (ed. P. Jal, Paris 1967, 89): Tertia Tigurinorum manus, quae quasi in subsidio Noricosinsederat Alpium tumulos, in diversa lapsi fuga ignobili et latrocinis evanuit. Vgl. Caes. Gall. 1,12,4f.Vielleicht lsst sich so der bei Flor. 1,38,6 und Oros. 5,16,9 berlieferte dritte Zug erklren.

    110 J. ael, Huldigung norischer Stmme am Magdalensberg in Krnten ein Klrungsversuch, in:Historia 16, 1967, 7074; F. Mller u.a. (Hg.), Die Schweiz vom Palolithikum bis zum frhenMittelalter, Basel 1999, Bd. 4, 32.

    111 Flor. 1,38,18. Dagegen Dobesch (wie Anm. 3), 219 Anm. 128 (akzeptiert diese Erklrung).112 hnlich Timpe (wie Anm. 2), 60.113 Flor. 1,38,13; Granius Licinianus 33,8; Liv. per. 65; Plut., Marius 24,4.114 Plut., Marius 25,4.115 Z.B. Dobesch (wie Anm. 3), 217: Dabei ging es ihnen weder um Eroberung noch um Land-

    suche . Dagegen Timpe (wie Anm. 2), 60: Mit allem Vorbehalt darf man vermuten, da siewnschten, dableiben zu knnen .

    116 Vgl. Timpe (wie Anm. 2), 31: Diese romazentristische Betrachtung weithin doch rtselhafter Vor-gnge verdeckt andere Mglichkeiten, sie zu verstehen . Ebd. 45f.

    117 Die beste Rekonstruktion der Schlacht bietet K. Vlkl, Zum taktischen Verlauf der Schlacht beiVercellae, in: RhM 97, 1953, 8388. Zur Lokalisierung der Schlacht Heinrichs (wie Anm. 12),277299.

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  • Vom Niederrhein ins Vercellese 341

    Ereignisse ergab.118 Die Stmme der Germanen trafen demnach wohl mit vereinten Krf-ten bei Valentia auf die rmischen Einheiten. Aufgrund der ausgeklgelten Strategie desMarius mussten sich die Stmme unverrichteter Dinge in zwei Zge aufteilen. Unabhngigvoneinander lieferten sie den Rmern nahezu zeitgleich jeweils eine Schlacht. Whrend dieKimbern und Tiguriner bei Trient siegreich blieben, wurden die Teutonen und Ambronenvon Marius vernichtend geschlagen. Den restlichen Winter verbrachten die Kimbern imNorden Italiens, wo sie sich mit den Teutonen wieder vereinen wollten. Als diese sich ver-spteten, zogen sie ihnen aber auch ihrem eigenen Untergang entgegen.

    Vorausgesetzt man akzeptiert diese Rekonstruktion der Ereignisse und hlt sie zudemfr tragfhig, so lassen sich hiervon weiterfhrende berlegungen ableiten. Das Verhaltender Tiguriner in den Norischen Bergen oder der Atuatuker am Niederrhein zeigt m.E.deutlich, dass die germanischen Stmme zumindest auch Siedlungsraum suchten, der ih-nen vor allem von der rmischen Elite wiederholt verweigert wurde. Dies mag zum Teil imWiderspruch zu den Quellen stehen, welche die germanischen Stmme als geradezu unbe-siegbare, wtende, plndernde und brandschatzende Horden darstellen. Doch drfte frdiesen Widerspruch vor allem die senatorische Geschichtsschreibung verantwortlich sein,die das Versagen des eigenen Standes zu verschleiern trachtete. Tatschlich ist festzustel-len, dass die Germanen gegen jegliche Art von Feinden unterlegen waren: Boier, Skordisker,Iberer und schlielich auch Belger vermochten die Germanen jeweils abzuweisen.119 Einzigdie rmischen Legionen hatten eine denkwrdig schlechte Statistik gegen die unbesieg-baren germanischen Stmme vorzuweisen. Der Mythos von der Unbesiegbarkeit derGermanen schlgt jedoch auf die moderne Literatur durch,120 was vor allem den Einflusssenatorischer Geschichtsschreiber belegt. Die Unbesiegbarkeit der Germanen wie auchdie Furcht vor einer Attacke auf Rom deckt vielmehr ungelste soziale und politische Pro-bleme der spten Republik auf, die in letzter Konsequenz keine Alternative (Landzuwei-sung) zur ultimativen Konfrontation erlaubten.121 Nicht die Germanen suchten kompro-misslos Rom zu vernichten. Im Gegenteil: die rmische Elite verhinderte, dass die Barbarenjemals zur Ruhe kommen konnten. Die sozialen, politischen und militrischen Umbrche,die Rom in dieser Zeit in Atem hielten, lieen augenscheinlich keinen Platz fr ein fried-liches Abkommen mit den germanischen Stmmen. Und so scheint letztlich das tragischeEnde der denkwrdigen Wanderung von Kimbern und Teutonen vor allem einer Art furorRomanus geschuldet zu sein.

    Peter KritzingerFriedrich-Schiller-Universitt Jena, Institut fr Altertumswissenschaften

    Frstengraben 1, D-07743 [email protected]

    118 Heinrichs (wie Anm. 12), 277299; oben Anm. 11.119 Strab. 7,2,2 (Boier); vgl. dazu Koestermann (wie Anm. 31), 314f. Liv. per. 67; Plut., Marius 14,1

    (Hispanier); vgl. dazu Timpe (wie Anm. 2), 43f. Caes. Gall. 2,4,2. Dazu Heinrichs (wieAnm. 12), 277281.

    120 Siehe z.B. Dobesch (wie Anm. 3), 217.121 hnlich Timpe (wie Anm. 2), 58f.

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    Stemma

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