La voce di Torre

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Periodico mensile – Uscita Nº 8 LA VOCE DI TORRE Musik Der Komponist Stephen Oliver. Ein großer Künstler, der viel zu früh von uns ging. S. 2 Mühen der Liebe Das Ereignis des Monats: Exklusiv- Interview mit Regisseur Manfred Weiß über „Mario und der Zauberer“ S. 4 Manipulation Sind wir getrieben oder lassen wir uns treiben? Fragen zur Freiheit des Willens. S. 5 Magisches Aus dem Hut gezaubert: Karl-Heinz Kaiser über Trick- und Täuschungs- prinzipien. S. 7 Macht Das Zeitgeschehen im Überblick. Im Zentrum der Macht. Über politi- sche Radikalität. S. 9 GAZZETTINO DI INFORMAZIONE PER TORRESI E TURISTI A m 27. November 1930 antwor- tete Thomas Mann auf den Brief eines gewissen Hopkins: „Es ist alles ganz richtig, wir waren im August bis September 26 in Forte dei Marmi, das mit dem Torre di Venere der Novelle identisch ist, und wir haben zusammen mit Ihnen den Zauberer gesehen. Seinen wirklichen Namen erfuhr ich erst wieder von Ih- nen, Gabriele [Cesare Gabrielli, Anm. d. Red.], ich hatte ihn vergessen. In derselben Pension wohnten wir freilich nicht, sondern in einer anderen, analog Dem Zauberer auf der Spur Erhellendes von Thomas Mann D ie Idee zu dieser Arbeit ent- stammte den Eindrücken ei- nes früheren Ferienaufenthal- tes in Forte dei Marmi bei Viareggio (31. August bis 13. Septem- ber 1926). Von dort hatte Thomas Mann am 7. September an Hugo von Hof- mannsthal geschrieben: „Wir haben Licht und Wärme in Überfülle gehabt und die Kinder waren glückselig am Strand und im warmen Meer. An klei- nen Widerwärtigkeiten hat es anfangs auch nicht gefehlt, die mit dem derzei- tigen unerfreulichen überspannten und fremdfeindlichen nationalen Gemüts- zustand zusammenhingen. Natürlich hat das eigentliche Volk seine Liebens- würdigkeit bewahrt und steht geistig nicht unter dem blähenden Einfluss des Duce“. Bemerkenswert an diesem Zeugnis – dem einzigen zeitgenössischen – von Über die Entstehung von Thomas Manns „Mario und der Zauberer“ von Hans Rudolf Vaget Erlebtes und Erdachtes dem Aufenthalt in Forte dei Marmi ist die relativ gelassene Reaktion auf die „kleinen Widerwärtigkeiten“, obwohl der neue, faschistische Geist schon klar erkannt wurde. Die sinistre Atmosphä- re sowie das dämonische, tragische Wesen des Geschehens fehlen hier noch; sie sind dem „Reiseerlebnis“ of- fenbar erst in den folgenden Jahren und in Deutschland zugewachsen. Wie ge- wohnt hielt sich Thomas Mann in fast allen Einzelheiten des Geschehens an Selbsterlebtes. Davon berichtet er vor allem in dem Brief an Otto Hoerth vom 12. Juni 1930: Selbst „der ‚Zauber- künstler‘ war da und benahm sich ge- nau, wie ich es geschildert habe“. Le- diglich der „letale Ausgang“ sei eine Erfindung und Zutat, denn „in Wirk- lichkeit lief Mario nach dem Kuss in komischer Beschämung weg und war am nächsten Tage, als er uns wieder den Tee servierte, höchst vergnügt und voll sachlicher Anerkennung für die Ar- beit ‚Cipollas‘“. Jedoch seien auch die Schüsse nicht eigentlich seine Erfin- dungen, denn als er zu Hause von je- nem Abend erzählte, habe seine Toch- ter Erika bemerkt: „Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er ihn nieder- geschossen hätte‘. Erst von diesem Au- genblick war das Erlebte eine Novelle“. Es ist anzunehmen, dass die Episode mit Erikas spontaner Reaktion auf das Reiseerlebnis der Eltern von 1926, un- mittelbar nach der Rückkehr aus Itali- en, zu datieren ist. Das würde bedeu- ten, dass die Konzeption der Novelle drei Jahre lang bereitlag, bevor Thomas Mann sie im August und September 1929 ausführte. [Die Novelle erschien erstmals unter dem Titel „Tragisches Reiseerlebnis“ in Velhagen & Klasings Monatsheften im April 1930, noch im gleichen Jahr dann als Buchausgabe im Fischer Verlag unter dem Titel „Mario und der Zauberer. Ein tragisches Rei- seerlebnis“. Anm. d. Red.] Ob und in- wieweit sich während dieser Jahre die italienischen Eindrücke mit deutschen Erfahrungen angereichert haben, kann im Einzelnen nicht bewiesen werden. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass Thomas Manns wachsende Ausein- andersetzung mit der nationalsozialis- tischen Bewegung in Deutschland sein Gleichnis von dem faschistischen, itali- enischen Zauberer entscheidend mit- bestimmt hat. Hans Rudolf Vaget, Thomas Mann. Kommentar zu sämtlichen Erzählungen, Winkler Verlag, München 1984. © KEYSTONE/THOMAS-MANN-ARCHIV/STR Fast so schön wie am Strand von Torre di Venere Thomas Mann und Familie in Kampen auf Sylt, 1927 Schüsse auf offener Bühne Handlung 1. Teil Eine drückende, bis zum Bersten ge- spannte Atmosphäre liegt über dem italienischen Badeort Torre di Venere, in dem eine deutsche Witwe mit ihrer zehnjährigen Tochter den Sommerur- laub verbringt. Unmut über die Gäste bricht sich durch einen bestimmten Vorfall Bahn, der zum Vehikel für offe- ne Fremdenfeindlichkeit wird: Nach dem Schwimmen im Meer hatte die kleine Tochter mit Erlaubnis ihrer Mut- ter ihren Badeanzug ausgezogen, um ihn im Wasser auszuspülen – eine kur- ze Zeit war sie dadurch nackt am Strand zu sehen. Grund genug für ei- nen italienischen Bürger, einen Skan- dal zu veranstalten, ihr Gesetzesbruch und Schamlosigkeit vorzuwerfen und den Fall dem Bürgermeister vorzutra- gen, der der deutschen Touristin für das Vergehen ihrer Tochter eine Geld- strafe auferlegt. Die Gastwirtin der deutschen Familie, Signora Angiolieri, nimmt eine vermit- telnde Position ein und zeigt Verständ- nis für die empörte Mutter, lehnt sich aber nicht gegen ihre Landsleute auf. Durch Mario, den Kellner im Café der Signora, erfährt die Tochter von einer dort stattfindenden, öffentlichen Zau- bervorstellung am Abend, die sie mit ihrer Mutter besuchen möchte. Signora Angiolieri gerät über das Thema „Theater“ ins Schwärmen – verklärt be- richtet sie über ihr einstiges Leben als Garderobiere der großen Schauspiele- rin Eleonora Duse. Währenddessen är- gert Guiscardo, ein grober Kerl vom Strandort, den Kellner mit der Nennung des Namens Silvestra; ist sie Marios heimliche Freundin? 2. Teil Bewohner der Stadt und die Gäste des Badeortes finden sich in Signora An- giolieris Café ein und warten auf den angekündigten Zauberer Cipolla. Als dieser endlich erscheint, werden bald seine manipulativen Fähigkeiten deut- lich: Neben Karten-, Zahlen- und ande- ren Zaubertricks gelingt es ihm vor al- lem durch Mentalmagie, Zuschauer zu verführen, zu hypnotisieren und sie so zu seinen willigen Opfern zu machen, die er bloßstellen kann. Keiner der Be- sucher vermag sich seinem Einfluss zu entziehen. Abstoßendes und Anziehen- des halten sich die Waage – unerklär- lich, was die eigentliche Faszination ausübt, denn die Demütigungen der Besucher nehmen stetig zu. Als Cipolla den Kellner Mario zu sich bittet und diesem suggeriert, er selbst sei dessen Angebetete, überspannt der Zauberer den Bogen: Er verlangt, dass Mario Sil- vestra, also ihm, einen Kuss geben soll. Mario erwacht aus der Hypnose. Außer sich zieht er einen Revolver und er- schießt Cipolla. gelegenen, die Pension Regina hieß. Der Name der Wirtin war Angela Quer- ci, woraus mir in der Novelle Angiolieri geworden ist, und diese Dame hatte auch schon von der Novelle läuten hö- ren und erkundigte sich angelegentlich danach. Ich habe es aber vorgezogen, eine Ausrede zu gebrauchen und ihr das Buch lieber nicht zu schicken.“ Hans Wysling / Marianne Fischer (Hrsg.): Thomas Mann. 1918–1943, Fischer Verlag, München, Frank- furt a.M. 1979. Dresdner Ausgabe Torre di Venere Stephen Oliver Ankündigung Oper in einem Akt nach der gleichnamigen Erzählung von Thomas Mann Libretto vom Komponisten — Deutsch von Manfred Weiß Premiere 22. November 2012 auf Semper 2 Mario und der Zauberer

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Programmheft zu »Mario und der Zauberer«

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Page 1: La voce di Torre

Periodico mensile – Uscita Nº 8

La voce di torreMusikDer Komponist Stephen Oliver. Ein großer Künstler, der viel zu früh von uns ging.✐ S. 2

Mühen der LiebeDas Ereignis des Monats: Exklusiv-Interview mit Regisseur Manfred Weiß über „Mario und der Zauberer“✐ S. 4

ManipulationSind wir getrieben oder lassen wir uns treiben? Fragen zur Freiheit des Willens.✐ S. 5

MagischesAus dem Hut gezaubert: Karl-Heinz Kaiser über Trick- und Täuschungs-prinzipien.✐ S. 7

MachtDas Zeitgeschehen im Überblick.Im Zentrum der Macht. Über politi-sche Radikalität.✐ S. 9

G a z z e t t i n o d i i n f o r M a z i o n e p e r t o r r e S i e t u r i S t i

Am 27. November 1930 antwor-tete Thomas Mann auf den Brief eines gewissen Hopkins:„Es ist alles ganz richtig, wir

waren im August bis September 26 in Forte dei Marmi, das mit dem Torre di Venere der Novelle identisch ist, und wir haben zusammen mit Ihnen den Zauberer gesehen. Seinen wirklichen Namen erfuhr ich erst wieder von Ih-nen, Gabriele [Cesare Gabrielli, Anm. d. Red.], ich hatte ihn vergessen. In derselben Pension wohnten wir freilich nicht, sondern in einer anderen, analog

dem zauberer auf der SpurErhellendes von Thomas Mann

Die Idee zu dieser Arbeit ent-stammte den Eindrücken ei-nes früheren Ferienaufenthal-tes in Forte dei Marmi bei

Viareggio (31. August bis 13. Septem-ber 1926). Von dort hatte Thomas Mann am 7. September an Hugo von Hof-mannsthal geschrieben: „Wir haben Licht und Wärme in Überfülle gehabt und die Kinder waren glückselig am Strand und im warmen Meer. An klei-nen Widerwärtigkeiten hat es anfangs auch nicht gefehlt, die mit dem derzei-tigen unerfreulichen überspannten und fremdfeindlichen nationalen Gemüts-zustand zusammenhingen. Natürlich hat das eigentliche Volk seine Liebens-würdigkeit bewahrt und steht geistig nicht unter dem blähenden Einfluss des Duce“.Bemerkenswert an diesem Zeugnis – dem einzigen zeitgenössischen – von

Über die Entstehung von Thomas Manns „Mario und der Zauberer“ von Hans rudolf vaget

erlebtes und erdachtes

dem Aufenthalt in Forte dei Marmi ist die relativ gelassene Reaktion auf die „kleinen Widerwärtigkeiten“, obwohl der neue, faschistische Geist schon klar erkannt wurde. Die sinistre Atmosphä-re sowie das dämonische, tragische Wesen des Geschehens fehlen hier noch; sie sind dem „Reiseerlebnis“ of-fenbar erst in den folgenden Jahren und in Deutschland zugewachsen. Wie ge-wohnt hielt sich Thomas Mann in fast allen Einzelheiten des Geschehens an Selbsterlebtes. Davon berichtet er vor allem in dem Brief an Otto Hoerth vom 12. Juni 1930: Selbst „der ‚Zauber-künstler‘ war da und benahm sich ge-nau, wie ich es geschildert habe“. Le-diglich der „letale Ausgang“ sei eine Erfindung und Zutat, denn „in Wirk-lichkeit lief Mario nach dem Kuss in komischer Beschämung weg und war am nächsten Tage, als er uns wieder

den Tee servierte, höchst vergnügt und voll sachlicher Anerkennung für die Ar-beit ‚Cipollas‘“. Jedoch seien auch die Schüsse nicht eigentlich seine Erfin-dungen, denn als er zu Hause von je-nem Abend erzählte, habe seine Toch-ter Erika bemerkt: „Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er ihn nieder-geschossen hätte‘. Erst von diesem Au-genblick war das Erlebte eine Novelle“.Es ist anzunehmen, dass die Episode mit Erikas spontaner Reaktion auf das Reiseerlebnis der Eltern von 1926, un-mittelbar nach der Rückkehr aus Itali-en, zu datieren ist. Das würde bedeu-ten, dass die Konzeption der Novelle drei Jahre lang bereitlag, bevor Thomas Mann sie im August und September 1929 ausführte. [Die Novelle erschien erstmals unter dem Titel „Tragisches Reiseerlebnis“ in Velhagen & Klasings Monatsheften im April 1930, noch im

gleichen Jahr dann als Buchausgabe im Fischer Verlag unter dem Titel „Mario und der Zauberer. Ein tragisches Rei-seerlebnis“. Anm. d. Red.] Ob und in-wieweit sich während dieser Jahre die italienischen Eindrücke mit deutschen Erfahrungen angereichert haben, kann im Einzelnen nicht bewiesen werden. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass Thomas Manns wachsende Ausein - andersetzung mit der nationalsozialis-tischen Bewegung in Deutschland sein Gleichnis von dem faschistischen, itali-enischen Zauberer entscheidend mit-bestimmt hat.

Hans Rudolf Vaget, Thomas Mann. Kommentar zu sämtlichen Erzählungen, Winkler Verlag, München 1984.

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fast so schön wie am Strand von torre di venere — thomas Mann und familie in Kampen auf Sylt, 1927

Schüsse auf offener Bühne

Handlung

1. Teil Eine drückende, bis zum Bersten ge-spannte Atmosphäre liegt über dem italienischen Badeort Torre di Venere, in dem eine deutsche Witwe mit ihrer zehnjährigen Tochter den Sommerur-laub verbringt. Unmut über die Gäste bricht sich durch einen bestimmten Vorfall Bahn, der zum Vehikel für offe-ne Fremdenfeindlichkeit wird: Nach dem Schwimmen im Meer hatte die kleine Tochter mit Erlaubnis ihrer Mut-ter ihren Badeanzug ausgezogen, um ihn im Wasser auszuspülen – eine kur-ze Zeit war sie dadurch nackt am Strand zu sehen. Grund genug für ei-nen italienischen Bürger, einen Skan-dal zu veranstalten, ihr Gesetzesbruch und Schamlosigkeit vorzuwerfen und den Fall dem Bürgermeister vorzutra-gen, der der deutschen Touristin für das Vergehen ihrer Tochter eine Geld-strafe auferlegt. Die Gastwirtin der deutschen Familie, Signora Angiolieri, nimmt eine vermit-telnde Position ein und zeigt Verständ-nis für die empörte Mutter, lehnt sich aber nicht gegen ihre Landsleute auf. Durch Mario, den Kellner im Café der Signora, erfährt die Tochter von einer dort stattfindenden, öffentlichen Zau-bervorstellung am Abend, die sie mit ihrer Mutter besuchen möchte. Signora Angiol ier i gerät über das Thema „Theater “ ins Schwärmen – verklärt be-richtet sie über ihr einstiges Leben als Garderobiere der großen Schauspiele-rin Eleonora Duse. Währenddessen är-gert Guiscardo, ein grober Kerl vom Strandort, den Kellner mit der Nennung des Namens Silvestra; ist sie Marios heimliche Freundin?

2. TeilBewohner der Stadt und die Gäste des Badeortes finden sich in Signora An-giolieris Café ein und warten auf den angekündigten Zauberer Cipolla. Als dieser endlich erscheint, werden bald seine manipulativen Fähigkeiten deut-lich: Neben Karten-, Zahlen- und ande-ren Zaubertricks gelingt es ihm vor al-lem durch Mentalmagie, Zuschauer zu verführen, zu hypnotisieren und sie so zu seinen willigen Opfern zu machen, die er bloßstellen kann. Keiner der Be-sucher vermag sich seinem Einfluss zu entziehen. Abstoßendes und Anziehen-des halten sich die Waage – unerklär-lich, was die eigentliche Faszination ausübt, denn die Demütigungen der Besucher nehmen stetig zu. Als Cipolla den Kellner Mario zu sich bittet und diesem suggeriert, er selbst sei dessen Angebetete, überspannt der Zauberer den Bogen: Er verlangt, dass Mario Sil-vestra, also ihm, einen Kuss geben soll. Mario erwacht aus der Hypnose. Außer sich zieht er einen Revolver und er-schießt Cipolla.

gelegenen, die Pension Regina hieß. Der Name der Wirtin war Angela Quer-ci, woraus mir in der Novelle Angiolieri geworden ist, und diese Dame hatte auch schon von der Novelle läuten hö-ren und erkundigte sich angelegentlich danach. Ich habe es aber vorgezogen, eine Ausrede zu gebrauchen und ihr das Buch lieber nicht zu schicken.“

Hans Wysling / Marianne Fischer (Hrsg.): Thomas Mann. 1918–1943, Fischer Verlag, München, Frank­furt a.M. 1979.

dresdner ausgabe

Torre di Venere

Stephen Oliver

Ankündigung

Oper in einem Akt nach der g leichnamigen Erzählung von Thomas MannLibretto vom Komponisten — Deutsch von Manfred Weiß

premiere 22. november 2012 auf Semper 2

Mario und der zauberer

Page 2: La voce di Torre

nº 8La voce di torre2 Kultur / Musik

Stephen oliver über das KomponierenAuszug aus einem

Gespräch mit Paul Griffiths aus dem Jahre 1980

Wie gehen Sie beim Komponieren vor? Wie entscheiden Sie, ob eine idee richtig ist oder nicht?

Mit Denken. Das Beste, was ich je über meine Musik gelesen habe, stand in Hugo Coles Bespre-chung der nicht-revidierten „Herzogin von Malfi“, das ist jetzt dreizehn Jahre her, als er sagte, da gibt es Momente, in denen ich wusste, welche Mu-sik hätte geschrieben werden sollen, die ich aber tatsächlich nicht geschrieben habe: Mit anderen Worten, ich habe die Geste gemacht, aber sie nicht mit Musik durchdrungen. Also frage ich mich heute: Hast du da wirklich Musik geschrie-ben oder rumpelt da nur etwas dahin? Das ist et-was, worüber man bei einer zweiten Fassung nachdenken muss. In der ersten kann man das nicht machen, da versucht man nur, die Form richtig hinzukriegen, arbeitet sie heraus; doch in der zweiten muss man fragen: Sagst du wirklich etwas Sinnvolles oder Schönes, wenn du diese Note dahin setzt? In diesem Sinne denke ich also schon über Stil nach.

Haben Sie also das Gefühl, es gibt einen oliver-Stil für opern und eine pasticcio-technik für die anderen Sachen?Ja, das sind unterschiedliche Dinge, also eindeu-tig ja. Aber es ist dennoch ein Gegenverkehr; es gibt Pasticcio in den Opern und es gibt teilweise moderne Musik in den Fernsehpartituren. Es hängt davon ab, was der Stil der Produktion ist: Ich habe für „Perikles“ eine Partitur geschrieben, die durchgängig ein modernes Idiom hatte, weil die Produktion nicht auf ein bestimmtes Jahrhun-dert festgelegt war. Aber wenn die Musik eine un-terstützende Rolle haben soll, dann ist es deine Aufgabe, die Musik zu liefern, die notwendig ist.

Übersetzung von Manfred Weiß.

Der englische Komponist wurde am 10. März 1950 in Chester geboren und starb am 29. April 1992 mit 42 Jahren in Lon-don. Oliver studierte mit Kenneth Leigh-

ton und Robert Sherlaw Johnson in Oxford, wo Studentenproduktionen seiner ersten Opern – hinzuweisen sei auf „The Duchess of Malfi“ aus dem Jahre 1971 (später vollständig überarbeitet) – eine große Aufmerksamkeit erzielten. Schon im Alter von 24 Jahren war es ihm möglich, als frei-schaffender Komponist zu leben, der überwie-gend als Opernkomponist bekannt wurde. Auf Basis des Erfolges von „Malfi“ wurde Oliver von Colin Graham beauftragt, im Jahre 1975 für die English Music Theatre Company „Tom Jones“ zu schreiben. 16 Jahre später sollte nach unzähligen Werken im Jahre 1991 seine letzte große abend-füllende Oper für die English National Opera „Timon of Athens“ entstehen. Der größte Teil sei-nes Œuvres jedoch besteht aus kleineren Formen und dramatisch individuellen Strukturen, die von kurzen Monologen bis zu „mini-operas“ reichen. Zudem kreierte er „Three Instant Operas“ (1973) und „The Dong with the Liminous Nose“ (1976) für junge Amateur-Darsteller und auch eine Kin-

„doch hast du jemals etwas getan, was du nicht tun wolltest, was jemand anderer wollte? Hast du von der trennung des Wollens und des tuns, von der arbeits- teilung gehört?“

cipollaStephen oliver, „Mario und der zauberer

deroperette, „Jacko’s Play“ (1979). Auch schrieb er das Musical „Blondel“ nach dem Libretto von Tim Rice und gelegentlich Musik für Bühnen- und Fernsehproduktionen. Verbunden war Oliver mit dem Festival „Musica nel Chiostro Batignano“ in Italien, wo einige seiner Opern ihre Uraufführung erlebten, und für das als Auftragswerke „Mario und der Zauberer“ (Mario and the Magician) im Jahre 1988 und „L’oca del Cairo“ im Jahre 1991 entstanden. Im Vergleich zu den Opern gilt Olivers Instrumen-talmusik als weniger bedeutend, aber Werke wie eine Sinfonie (1976, revidiert 1983), ein „Recorder Concerto for Michala Petri“ (1988), „Five Ricerca-re“ (1973–86), geistliche und weltliche Choralmu-sik bereichern sein Œuvre.Stilistisch ist Olivers Musik weit gefächert, was vor allem seine pasticciohaften Kompositionen für Fernsehproduktionen belegen, während er in sei-nen größeren Opern seinen eigenen, gesten- und klangfarbenreichen Musikstil ausprägte.

Matthew rye

Übersetzung von Stefan Ulrich, nach: Oliver, Stephen, in The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Bd. 18, 2001.

Über die produktivität eines Komponisten,

dessen Lebens-Stern zu schnell erlosch

Signora angiolieri (Sabine Brohm), Mario (Christopher Kaplan)

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Page 3: La voce di Torre

nº 8

3La voce di torre

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PARTNER DER SEM P EROP ER

Eine Initiative der Rudolf Wöhrl AG.

Die Junge Szene wird unterstützt durch

Mario und der zauberer

Musikalische Leitung Ekkehard Klemm inszenierung Manfred WeißBühnenbild & Kostüme Kattrin Michel Licht Jens Klotzsche dramaturgie Stefan Ulrich

orchester Studierende der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden – tricktechnische Beratung und Spezialeffekte Karl-Heinz Kaiser

oper in einem akt nach der gleichnamigen erzählung von thomas MannLibretto vom Komponisten – deutsch von Manfred Weiß

Geschrieben für das Batagnano Festival 1988 – In Dresden kommt die überarbeitete Fassung von 1989 zur Aufführung

Zwischen den Teilen I und II ist die Nummer „The Ba-Ta-Clan“ aus Jacques Offenbachs „Ba-Ta-Clan“ in der Bearbeitung von Stephen Oliver eingefügt

Signora angiolieri Sabine Brohm

die Mutter Christel Lötzsch

die tochter Karo Weber/Nina Bennert

ein Bürger der Stadt Bernd Könnes

der Bürgermeister Gerald Hupach

Guiscardo Allen Boxer

cipolla Markus Butter

Mario Christopher Kaplan

Signor angiolieri Hans-Joachim Fiedler/

Thoralf Stöckl

antonio, Beppe, franco,

ruggiero, u.a.Frank DäbritzTim Fischdick

Frank Friedrich GellrichFritz Herrmann Sebastian HübelLukas Seidler

Peter Vanselow

Stephen Oliver

Page 4: La voce di Torre

nº 8La voce di torre4 Gespräch

„Mario und der zauberer“ von thomas Mann, untertitelt als „ein tragisches reiseerlebnis“ , kommt vordergründig als petitesse rund um einen unglücklichen Strandurlaub mit ungutem ausgang daher. So klein das Werk aber auch ist, es offen-bart ein feinfühliges Gespür, politisch neue Strömungen der zeit zu benennen – ge-sellschaftliche Bestandsaufnahme oder Weitblick?

Interessant ist für mich zum einen Thomas Manns feine, in der Novelle niedergeschriebene Beobachtung, wie systematisch Ausgrenzung funktioniert. Eine Familie bekommt im Urlaub im Ausland zu spüren, wie sie zu Fremden ge-macht und auch entsprechend behandelt wird. Zum anderen ist die Geschichte um den Zaube-rer faszinierend, dessen Auftritt eine ganz an-dere Richtung nimmt, als man sich das als Ita-l ienurlauber zu denken vermochte. Die Attraktion kippt um in die intensive Erfahrung einer Manipulierbarkeit und gnadenlosen De-monstration von Abhängigkeit. Das Werk endet höchst dramatisch, indem der Magier von ei-nem seiner „Opfer“ nach seiner Bloßstellung erschossen wird. Es stellt sich mir die Frage, wieso Thomas Manns Novelle, deren Inhalte zu großen Teilen auf selbst Erlebtes zurückzufüh-ren sind, am Schluss diese hinzugedichtete Wendung nimmt. Mit der Vernichtung des un-heilstiftenden Aggressors löst sich die Situation auf tragische Weise. Als Finale einer „kleinen“ Erzählung scheint mir, als ob Thomas Mann damit weit mehr als nur einen drastischen Ef-fekt erzielen wollte.

Stephen oliver nahm thomas Manns novelle als vorlage für seine oper. Was legt er uns in seinem „Mario und der zauberer“ musikalisch und strukturell vor?

Man ist heutzutage etwas vorsichtig, wenn man den Begriff „Literaturoper“ hört, in der meist ein kompletter Text vertont wird, was dann häu-fig etwas schwerfällig und sperrig erscheint.

Für mich war es die Überraschung, wie Ste-phen Oliver aus der Novelle eine eigene Drama-turgie für sein Stück entwickelt. In seiner Kurzoper kommt zum Schwingen, was Thomas Mann in „Mario und der Zauberer“ an Atmo-sphären entwickelt. So illustriert der Kompo-nist weniger den Text, als er dem Werk eine zweite Eben verleiht: Wir erleben etwa zu Be-ginn musikalisch unterschwellig aber immer präsent die Sommerfrische, die aber mit einer Störung belegt ist – Hitze, Gereiztheit, Nervosi-tät kommen als irritierende Elemente in seiner Musik substanziell zum Ausdruck. Hören wir die Zaubervorstellung im zweiten Teil, so ver-stärkt die Musik die hypnotischen Momente, wodurch man als Zuschauer sinnlich involviert und ein Teil des Ganzen wird.

die zwei teile der novelle, die scheinbar nur durch einen äußeren rahmen der gleichen Örtlichkeit zusammengehalten werden, f inden sich auch in der oper wieder . Wie geht oliver in seinem Werk und wie gehen Sie in ihrer inszenierung damit um?

Die Teile bauen meines Erachtens aufeinander auf: Die Sehnsucht nach Ordnung profiliert sich im ersten Teil durch die Figur des Bürgers, der ein minimales Ereignis zum Anlass nimmt, nach dem starken Mann zu rufen; das ist in die-sem Fall der Bürgermeister. Im zweiten Teil wird die Autorität um ein Vielfaches größer. Der starke Mann ist da, der herrscht und mani-puliert und auch den Bürger zur Marionette macht, der vorher noch nach Ordnung rief. Uns war es wichtig, das Publikum einen Pers-pektivwechsel vornehmen zu lassen. Die Zu-schauer, die am Anfang von außen den Aktio-nen der Oper beiwohnen, werden mit dem Beginn des zweiten Teils zum Teil der Men-schenmenge, die dem Zauberer als Publikum

dient – sie werden selbst zum Versuchsobjekt. Das Moment von Verführbarkeit kann somit je-der erleben, unmittelbar und ohne Distanz. In-teressant ist es, sich selbst zu prüfen, wo die Grenze verläuft zwischen einer guten Zauber-show, deren Tricks wir nicht durchschauen und von denen wir uns vielleicht sogar gerne täu-schen lassen, die Verführung genießen, und dem Moment, in dem Kräfte zu wirken begin-nen, die nicht nur mit unserer Wahrnehmung spielen, sondern uns selbst auf eine Art und Weise manipulieren, die unser ganzes Wesen erfassen.

ist das Maximum an verführung und Manipulation am ende der novelle erreicht, wenn der zauberer cipolla Mario glauben macht, er sei seine angebetete?

Zumindest ist hier eine neue Stufe der Machtausübung erreicht, eigentlich eine recht tragische, die die Gebrochenheit des Cipolla of-fenbart. Er ist Zauberer, der über die Fähigkeit verfügt, Menschen für sich zu vereinnahmen. Er erhält Achtung und Anerkennung von ihnen. Man zollt ihm Respekt. Alles, nur Liebe be-kommt er nicht … So ist die letzte Szene im Grunde genommen eine Liebesszene unter fal-schen Vorzeichen. Hinter der Maske des star-ken, einflussreichen Magiers Cipolla kommt der Mensch zum Vorschein, der Zuneigung sucht, der sich aber emotional nicht öffnen kann. Ei-ner Verzweiflungstat gleich wirkt er mit seinen ihm vertrauten Mitteln der Macht gnadenlos auf Mario ein, erschleicht sich körperliche und emotionale Nähe, indem er den Kellner glauben macht, er sei seine Geliebte. Tatsächlich stellt er sein Opfer damit vor der Öffentlichkeit bloß – vor allem aber sich selbst.

„alles, nur Liebe bekommt er nicht …“Manfred Weiß im Gespräch über „Mario und der Zauberer“ von Stephen Oliver nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann.

das Gespräch führte Stefan ulrich

Mario (Christopher Kaplan), cipolla (Markus Butter)

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nº 8

5La voce di torre

Dossier

die tochter (Karo Weber), die Mutter (Christel Lötzsch)

mit verschlossenen Augen.Während Krankenwagen durch die Straßen der Stadt im Dschungel rasten, verhafteten Polizisten Zambrano. In der Klinik wachten die Kinder dann all-mählich auf. Bei einigen dauerte es al-lerdings so lange, dass die Eltern die Polizei baten, den Zauberer zum Kran-kenhaus zu bringen. Als dieser kam, traf er nicht nur den Bürgermeister von Mocoa, sondern auch Psychologen, Pa-rapsychologen, einen Pfarrer und einen Schamanen.Der Fall sorgt in Kolumbien für Speku-lationen aller Art. In Mocoa ist die Rede von dunkler Magie und Dämonen. Der Schuldirektor ist von einer „kollektiven Hypnose“ überzeugt, während Ärzte von „Bewusstseinsveränderungen“ sprechen. Auch die kolumbianische Gesellschaft für Hypnose hat sich zu Wort gemeldet. Es habe sich nicht um Hypnose gehandelt, sondern um „kol-lektive Hysterie“, sagte ein Experte. Kinder neigten dazu, Ideen als real zu betrachten. Die ersten hätten sich in die Vorstellung hineingesteigert, sie seien verzaubert worden. Dass auch El-tern und Lehrer sich offenbar davon anstecken ließen, habe die verhängnis-volle Kettenreaktion aber erst verur-sacht.

Artikel aus: Süddeutsche Zeitung, 5. September 2011

Mocoa – Endlich war der berühmteste Zauberer der Stadt da, nun konnten die Schüler den diesjährigen Zirkustag er-öffnen. Auftritte von Clowns und Jong-leuren sowie eine Hypnose-Show wa-ren Ende vergangener Woche im Gymnasium „IECM“ in Mocoa geplant. Das Fest in der südkolumbianischen Stadt war klein – und für Medien und Polizei in dieser von Gewalt erschütter-ten Region völlig Nebensache. Doch nur Stunden später berichteten Nach-richtensender von einer „ungewöhnli-chen Notlage“. Die Feier war zu einer dramatischen Pleite geworden. Am Freitag lagen 36 Mädchen und fünf Jungen in der Notaufnahme von Mo-coa. Und der Zauberer, der 31-jährige Miller Zambrano, sitzt nun im Gefäng-nis. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm gefährliche Körperverletzung vor.Was war passiert? Die Show hatte um kurz nach sieben Uhr morgens begon-nen. Schüler, Lehrer und Eltern, insge-samt 159 Menschen, saßen im Publi-kum und sahen zu, wie der Zauberer acht Freiwillige zu sich rief. Er hob die Stimme, bewegte die Hände und plötz-lich befolgten die Jugendlichen seine Befehle. Das Publikum klatschte, aber die Trance war noch nicht vorbei. Au-genzeugen berichten, dass in kurzer Zeit Dutzende weitere zu Boden gin-gen. Mädchen schrien panisch, dass sie den Teufel sähen. Andere zuckten

dämonen im dschungelBei einem kolumbianischen Schulfest gerät ein Zaubertrick außer Kontrolle

von camilo Jiménez

Stellen Sie sich vor, Sie gehen morgens Bröt-chen holen. Welch herrlicher Tag! Die Son-ne strahlt vom Himmel, Sie müssen nicht arbeiten, es ist Urlaubszeit. Keine Arbeit,

die liegengeblieben ist, keine Vorhaben, die drin-gend erledigt werden müssten, keine Verpflich-tungen, die Sie eingegangen sind, kein Termin in Ihrem Kalender, keine Schulden auf Ihrem Konto. Die Welt ist schön, die Stimmung bestens. Auf einmal tritt Ihnen ein misanthropisch blickender Mensch in den Weg, der Sie kritisch mustert. Sie registrieren das studentische Outfit, die Ringe un-ter den Augen, die vom Nikotingenuss fahle Haut-farbe und den in ab strakte Regionen verweisen-den Gesichtsausdruck. Aha, denken Sie, eine Geisteswissenschaftlerin! Sie vermerken eine weitere Bestätigung Ihres Weltbildes in Ihrem Hinterkopf. Doch etwas lässt Sie stutzen. Ein Ton-bandgerät und ein Mikrofon? Wie das? Und nun kommt dieser Mensch auf Sie zu, hebt gar das Mi-krofon? Sie wird doch nicht etwas fragen wollen? Doch, sie will. Sie komme vom philosophischen Institut der örtlichen Universität. Dort halte man gerade ein Seminar über Willensfreiheit ab. Und nun wolle man wissen, was – Sie mögen den Aus-druck verzeihen – normale Menschen mit gesun-dem Menschverstand intuitiv darüber denken. Und da man an der Universität durch die philoso-phische Vorbildung oder solle man lieber sagen: Verbildung? – na ja, egal, also jedenfalls vorein-genommen sei, traue man den eigenen Intuitionen nicht mehr so richtig über den Weg, Deshalb habe

man sich überlegt, man solle einfach mal raus auf die Straße, um sozusagen die Philosophie etwas empirischer zu machen, und deswegen sei sie nun hier und habe den erstbesten Menschen, der nicht so abweisend aussehe – sie mache das ja auch zum ersten Mal – tja, ausgeguckt und wolle nun-mehr die Umfrage beginnen und was sie eigent-lich wissen wolle, sei: Haben Sie einen freien Willen?Verwundert und ein wenig mitleidig, wie man ei-nen so schönen Tag so nutzlos verbringen kann, antworten Sie nachsichtig: Ja natürlich. Alle Men-schen hätten einen freien Willen, das sei doch selbstverständlich. Und bevor die übernächtigte Studentin zu ihrer zweiten Frage ansetzen kann, lassen Sie sie mitsamt ihrem Mikrofon stehen und steuern Ihre vertraute Bäckerei an. In die schwie-rige Wahl zwischen Vollkornbrötchen und Scho-kocroissant vertieft, haben Sie den Vorfall fast schon wieder vergessen.Schade eigentlich. Dass die meisten Menschen mit „ja“ antworten, wenn sie gefragt werden, ob sie über Willensfreiheit verfügen, ist weder son-derlich aufregend, noch sonderlich interessant. Erst die zweite Frage hätte uns ins Zentrum unse-res Themas geführt. Wie sie gelautet hätte? Ganz einfach: Woher wissen Sie, dass Sie einen freien Willen haben?

Henrik Walter, Neurophilosophie der Willensfreiheit. Von der liber­tanistischen Illusion zum Konzept natürlicher Autonomie, mentis Verlag, Paderborn 1999.

Manipulation und Willensfreiheit: Können wir anders?von Henrik Walter

die freiheit existiert, und auch der Wille existiert; aber die Willensfreiheit exis-tiert nicht, denn ein Wille, der sich auf seine freiheit rich-tet, stößt ins Leere.

cipolla thomas Mann, „Mario und der zauberer

AUS ALLEr WELT

SPrUCH DES MONATS

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nº 8La voce di torre6 Foto des Monats

cipolla (Markus Butter)

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nº 8

7La voce di torre

Gespräch

zauberei bedeutet für viele Menschen in erster Linie faszination. Herr Kaiser, was war es, dass Sie an der tätigkeit als zauberer gereizt hat, bzw. wie erlernt man einen solchen Beruf?

Den Beruf des Zauberers kann man als solchen in Deutschland nicht erlernen. Ich persönlich bin als Amateur zur Zauberkunst gekommen, da meine Großmutter mir zu meinem 10. Lebens-jahr einen Zauberkasten schenkte. Da-raufhin entwickelte ich eine anhalten-de Faszination für die Zauberei, die mich dazu brachte, vorhandene Kunst-stücke zu verbessern bzw. eigene her-zustellen und zu bauen. Berufszauberer als solches bin ich seit 1987. In dem Jahr erhielt ich meinen Berufsausweis – die staatlich anerkannte Genehmi-gung zur Zauberei in der DDR. Meine Prüfung dazu legte ich am Steintor Va-rieté in Halle ab. Anschließend hatte ich das große Glück, dem Magier Heinz Wizardo, der mir fördernd und bera-tend zur Seite stand, zu begegnen und ihn meinen Mentor nennen zu dürfen.

Welche eigenschaften sollte ihrer Meinung nach ein erfolgreicher zauberer unbedingt mitbringen?

Unbedingt notwendig sind Zielstrebig-keit und Ausdauer. Denn ohne diese beiden Eigenschaften dürfte es schwer werden, die nötige Disziplin für das ständige Üben und Verbessern von Zaubertricks aufzubringen. Außerdem ist eine der wichtigsten Eigenschaften, sich das Staunen und die Faszination zu bewahren. Man muss innerlich so-zusagen immer Kind bleiben.

apropos Kind bleiben: Haben Kinder denn einen anderen zugang zur zauberei als erwachsene?

Kinder haben definitiv einen anderen Zugang zur Zauberkunst als Erwachse-ne. Sehr gut kann man das am Erfolg der „Harry Potter“-Bücher und Filme festmachen. Hier wird Magie ganz an-ders dargestellt, als das bei uns in der Zauberei der Fall ist. Zauberei wird durch optische, akustische oder menta-le Beeinf lussung hervorgerufen. All das trifft in den Büchern und Filmen von „Harry Potter“ ja nicht zu. Hier geht es schlichtweg um Fantasie. Da Kinder noch nicht über einen Erfah-rungsschatz verfügen, können sie nicht einschätzen, dass ein Mensch nicht schweben kann oder sich Spielkarten einfach verwandeln. Sie nehmen das als gegeben hin und betrachten dies dann als Zauberei. Erwachsene hinge-gen sind es gewohnt, Dinge bis ins Kleinste zu analysieren. Je höher der Bildungsstand eines Jeden, desto einfa-cher ist er zu täuschen. Die Menschen vergessen mit zunehmendem Alter und wachsendem Wissen die einfachsten Möglichkeiten.

Wo liegt denn eigentlich der unterschied zwischen Hypnose und „normaler“ zauberei?

Für die Hypnose bin ich kein Fach-mann. Zauberei als solches beruht auf Trick- und Täuschungsprinzipien. Die können nun optischer, akustischer oder mentaler Art sein. Ich glaube es war der alte Dresdner Zauberer Hans Han-

der „Tosari“ der einmal gesagt hat: „Die Leute müssen nicht sehen, was Du machst. Sie müssen glauben, dass sie sehen, was Du machst.“ Und mit die-sem Satz hat er wirklich recht. Gute Zauberei beruht auf der Täuschung des Publikums. Bei der Hypnose hingegen geht es darum, das Bewusstsein auszu-schalten und über das Unbewusste zu steuern. Dann ist es dem Hypnotiseur möglich, Eingriffe in das Unterbewusst-sein vorzunehmen und die Leute zu den unmöglichsten Sachen zu bringen.

Würden Sie Geschehnisse während der zaubervorstellung in thomas Manns „Mario und der zauberer“ dann als eine Mischung aus Hyp-nose und zauberei bezeichnen?

Ich denke, was Thomas Mann da be-schreibt, ist in der Tat einerseits Hyp-nose und zum anderen Zauberei. Die Verkrampfungen im Publikum sind zum Beispiel nicht über Zauberei machbar. Die Kunststücke mit den Zahlen und Karten hingegen sind typi-sche Zaubertricks.

Was sind aus ihrer eigenen erfahrung und aus der arbeit mit unse-rem zauberer „cipolla“, der von Markus Butter interpretiert wird, die größten Herausforderungen bei der arbeit mit Laien?

Die Herausforderung für mich besteht darin, Kunststücke herauszusuchen, die für einen Laien machbar sind. Wir hatten keine zwei Jahre Vorbereitungs-zeit, um die Tricks einzustudieren. Es gibt aber auch sogenannte „Selbstgän-ger“, bei denen eine geniale Tricktech-nik und eine relativ simple Handha-

bung dahintersteckt. Nichtsdestotrotz musste Markus Butter in mühevoller Fleißarbeit Handlungen und Fingerfer-tigkeiten bergreifen und erlernen. Wichtig ist aber auch, dass der Laie die Tricks hinterfragt und durchdenkt. Meistens ist der Nichtfachmann dann verblüfft, wenn er erfährt, was für eine Wirkung solche doch recht einfachen Tricks beim Publikum erzielen. Die Kompliziertheit des Kunststückes ist also nicht das Ausschlaggebende, son-dern vielmehr der Effekt, der im Kopf des Zuschauers entsteht.

dem zauberer auf die Hände geschautKarl-Heinz Kaiser, fachlicher Berater in zaubertechnischen Belangen bei der Produktion „Mario und der Zauberer“, im Gespräch über Illusion, Magie und billige Tricks.

das Gespräch führte Marc-dirk Harzendorf

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Signora angiolieri (Sabine Brohm), cipolla (Markus Butter)

zur person eines helfenden Magiers

Karl-Heinz Kaiser, Jahrgang 1953, gilt als einer der führenden Zauberkünst-ler und Requisiteure, nicht nur in Sachsen. Breits im Alter von zehn Jah-ren begann er seine Zauberkarriere. 1964 folgte dann der erste öffentliche Auftritt. Daraufhin nahm er an zahlrei-chen nationalen Wettbewerben der DDR teil. Während der Armeezeit ent-wickelte er zahlreiche Bühnenpro-gramme. Schließlich erfolgte 1981 die Aufnahme in den „Magischen Zirkel Dresden“. 1987 erreichte er den ersten Platz beim 13. Leistungsvergleich der Zauberkunst der DDR. Im selben Jahr erfolgte die offizielle Berufszulassung als Zauberer. Seit 1988 ist er in bera-tender Funktion an Theatern zum The-ma Spezialeffekte tätig. 2004 entwi-ckelte er das aktuelle Konzept „Schloss Schönfeld – Das Zauberschloss“. Karl-Heinz Kaiser entwickelt und fertigt Re-quisiten, Illusionen und Spezialeffekte für alle Genres der Unterhaltungskunst. Er ist Preisträger zahlreicher nationaler und internationaler Wettbewerbe.

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nº 8La voce di torre8 Wissenschaft

Wir müssen hier auf die wichtige sociale Seite der Suggestion hinweisen. [...] man überschätzt [...] die fähigkeit des ‚freien Willens‘, der freien Menschen, sich gegen

diese Massensuggestionen zu wehren. ein genaueres und tieferes Studium der verhältnisse lässt bald die schreck-liche Schwäche der grossen Mehrzahl gegen solche Sug-gestivmächte erkennen.“ Unter dem Gesichts-punkt der Massensuggestion hat die Novelle zwei Schauplätze: Torre di Ve-nere und die populäre Sala im eher ple-bejischen Vorort von Torre. In Torre selbst erscheint die längst ausgebildete Masse der vom Duce erweckten Nation, und in der Sala erlebt man dann ein „Muster der Massenbildung“ wie in der Retorte. Der Hypnotiseur Cipolla geht dabei vor wie nach dem Lehrbuch für Einzelhypnosen. Er suggeriert ver-schiedenen Personen bestimmte Vor-stellungen – sie hätten eine Kolik oder wollten eine bestimmte Karte ziehen, und die Summe seiner Erfolge macht das Publikum zur Masse.„auf diesem psychischen vorgang beruhen die so viel be-sprochenen und so missverstandenen hypnotischen epide-mien, die ‚Massensuggestionen‘, die ‚ansteckung‘ des Hypnotismus.“ Das geschieht, wie in der Einzelhypno-se, am wirksamsten über die Nachah-mung eines Beispiels. Der Herr aus Rom hat seinen Kampf verloren und wirft die Glieder. Und so führt ihn Ci-polla nun auf das Podium, wo er vor al-ler Augen tanzt. Denn: „von grossem Werth ist die nachahmung, resp. der ein-druck, den die erfolge des Hypnotiseurs bei einem fall, den er zeigt, dem zu Hypnotisierenden machen.“ Und so geht es mit dem tanzenden Herrn aus Rom: „Man kann sagen, dass sein ‚Fall‘ Epoche machte. Mit ihm war das Eis gebrochen, Cipollas Triumph auf seiner Höhe“. Auf der kleinen Büh-ne tanzen jetzt acht oder zehn Perso-nen, „aber auch im Saale selbst gab es allerlei Beweglichkeit“, kommt jetzt „Gelöstheit“ auf, im Mittelgang fängt jemand ganz von sich aus an zu tanzen. Die Masse hat sich hergestellt. Auch der Erzähler und seine Frau sind von ihrer Stimmung ergriffen. Dass sie im-

mer noch nicht die Kinder fortgeschafft haben, „kann ich mir nur mit einer ge-wissen Ansteckung durch die allgemei-ne Fahrlässigkeit erklären“.Das zentrale ethische Thema in der deutschen Diskussion über den Hypno-tismus war das der Willensfreiheit. […] Wie fast alle Hypnoseärzte stellt auch August Forel das Vorhandensein eines essentiell freien Willens prinzipiell in Abrede. Es verhalte sich damit wie in der Feststellung Spinozas: „die illusion des freien Willens ist weiter nichts als die unkenntnis der Motive unserer entschlüsse“. In der Hypnose werden diese Motive durch Suggestionen eines anderen her-gestellt, sie ist insofern das beste Bei-spiel für die allgemeine Bedingtheit des Willens. Dennoch gibt es einen mehr oder minder intensiven „Widerstand der eigenen Gehirntätigkeit des Hypnotisier-ten gegenüber den fremden Übergriffen“. Wird dieser vom Hypnotiseur nicht überwunden, bricht die Suggestibilität der Versuchsperson zusammen, und sie kann wieder „frei“ wollen. Wenn also eine essentielle, ursprüngliche Willensfreiheit auch nicht existiert, so kommt doch eine sozusagen sekundäre Entscheidungsfreiheit im Widerstand gegen die Fremdsuggestionen zum Ausdruck. Die Mario-Novelle spielt ver-schiedene Formen durch, wie sich die-ser Widerstand bei Cipollas Versuchs-personen äußert, und wie er ihn jeweils bricht. Es handelt sich um Zweikämpfe zwischen Ungleichen. […]Der erste Widersacher, der dem Zaube-rer nicht zu Willen sein will, ist ein jun-ger Mann mit der „Modefrisur des er-weckten Vaterlandes“. Cipolla nennt ihn „Giovantto“, was an die "Giovinez-za" anklingt, die Hymne der faschisti-schen Bewegung. Er ist schon mit dem Massenvirus angesteckt, Cipolla hat das gleich erkannt: „Du gefällst mir, Giovanotto. Willst du glauben, dass ich dich längst gesehen habe? Solche Leu-te wie du haben meine besondere Sym-pathie, ich kann sie brauchen.“ In Sym-pathie ist eine zweite Bedeutung

mitgesprochen: der unterindividuelle, naturmagische Zusammenhang aller Wesen, wie ihn etwa Schopenhauer kennt. Cipolla spürt, dass dieser Zu-sammenhang hier ungewöhnlich aus-geprägt ist. Der Giovanotto eignet sich deshalb besonders für den Sympathie-zauber – in anderer Terminologie: Er ist sehr suggestibel. Deshalb streckt er auch auf Cipollas Kommando dem Pub-likum die Zunge heraus und bekommt später gehorsam eine Kolik. Das ist die Wirkung der Suggestion, Thomas Mann beschreibt sie genau. Wie funk-tioniert sie? „als Suggestion (eingebung) bezeichnet man nach der nancy'schen Schule die erzeugung einer dynamischen veränderung im nervensystem eines Menschen [...] durch einen anderen Menschen mittels Hervorrufung der (be-wussten oder unbewussten) vorstellung, dass jene verän-derung stattfindet, oder bereits stattgefunden hat, oder stattfinden wird. verbalsuggestion oder einrede ist die Suggestion durch die Lautsprache.“ Diese Erklärung beruht auf der damali-gen Kenntnis des Nervensystems. Die Suggestion behauptet also, eine Tatsa-che finde statt – daraufhin erscheint im suggestiblen Gehirn der Versuchsper-son die Vorstellung dieser Tatsache und bewirkt die zugehörigen Impulse im Nervensystem. Und daraufhin findet die Tatsache auch wirklich statt. […]„es galt vielfach als axiom, dass wer nicht hypnotisiert werden will, nicht hypnotisiert werden kann [...] nach meiner ansicht darf man nicht allzuviel auf diese Behaup-tung geben, welche mehr oder weniger auf der psycholo-gisch unrichtigen annahme einer essentiellen menschli-chen Willensfreiheit beruht. es muss zunächst der Mensch nicht wollen können, um wirklich und frei nicht zu wollen.“ Und nicht wollen kann er nicht, soviel weiß auch der Erzähler. Nach seiner Meinung erlag der Herr aus Rom der „Negativität seiner Kampfposition“. Wahrscheinlich kann man vom Nicht-wollen seelisch nicht leben; eine Sache nicht tun wollen und überhaupt nicht mehr wollen, also das Geforderte den-noch tun, das liegt vielleicht zu be-nachbart, als dass nicht die Freiheits-idee dazwischen ins Gedränge geraten müsste [...].

Hypnose in „Mario und der zauberer“: auguste forels Lehrbuchvon Manfred dierks

Seine letzte Hypnose bringt Cipolla dem Kellner Mario bei, einem mensch-lich sehr für sich einnehmenden, in sei-ner Melancholie und hoffnungslosen Verliebtheit schutzlosen jungen Mann. Der Hypnotiseur hat ihn schon lange erkannt. „Aber ja, ich habe dich längst ins Auge gefaßt und mich deiner vor-trefflichen Eigenschaften versichert.“ […] Er unterschiebt Marios Vorstellung von der reizenden Silvestra seinen ei-genen Körper – er vertauscht die Ge-schlechter. „In der Liebe gibt es Miss-verständnisse, – man kann sagen, dass das Missverständnis nirgends so sehr zu Hause ist wie hier.“ Wie erzeugt Ci-polla das gewollte Missverständnis – den Körper- und Geschlechtertausch? Er benutzt den sprachlichen Aufbau der Vorstellungen, um sich in die gram-matische erste Person der Silvestra ein-zuschleichen. Dabei „versetzt [er] sich an ihre Stelle“ und spricht mit seiner Stimme für sie. Das ergibt im Kopfe Marios eine Vorstellung, die – nach den Annahmen des Hypnotismus – allmäh-lich zur inneren Tatsache wird. Mario muss das Suggerierte sehen und schließlich auch als Realität begreifen. Deshalb weist ihn Cipolla auch darauf hin: „Siehst du – begreifst du, erkennst du!“ […] Thomas Mann hat hier den Vorgang einer sprachlichen Suggestion ziemlich genau nachgebildet: eine Vor-stellung wird sukzessive aufgebaut (Sil-vestra), eine zweite ergänzt sie (Cipolla spricht durch Silvestra), und beides schlägt schließlich in eine vermeintli-che äußere Realität um: Cipolla „ist“ Silvestra. So kann er sich Marios Kuss erschleichen.

Manfred Dierks, Hypnose in „Mario und der Zauberer: Auguste Forels Lehrbuch“, in: Holger Pils und Christina Ulrich (Hrsg.), Thomas Manns „Mario und der Zauberer“, Buddenbrookhaus, Heinrich­und­Thomas­Mann­Zentrum, Kulturstiftung Hansestadt Lübeck 2010. Der Artikel zitiert: August Forel. Der Hypnotismus. Seine psycho­physiologische, medicinische, strafrechtliche Bedeutung und sei­ne Handhabung. Stuttgart 1889. 3., verbesserte Auflage 1895.

Guiscardo (Allen Boxer), cipolla (Markus Butter)

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9La voce di torre

Geschichte

1919Politische und soziale Unruhen in Italien. Das Bürgertum fürchtete eine sozialis-tische und bolschewistische Revolution.

23. MärzBenito Mussolini (1883–1945), vor dem Ersten Weltkrieg einer der führenden marxistischen Sozialisten Italiens, dann wegen seiner Forderung des Kriegseintritts an der Seite Englands und Frankreichs deren leidenschaftli-cher Gegner, gründet den ersten Kampfbund („Fascio di Combattimen-to“). Zu den Mitgliedern zählen auch viele Studenten und ehemalige Offizie-re. Unterstützung kommt von Groß-grund- und Fabrikbesitzern, die den Verlust ihres Besitzes durch die Sozia-listen fürchteten. Ziel ist der Wieder-stand gegen den Kommunismus, vor allem aber die Vernichtung des Sozia-lismus (Demolierung von sozialisti-schen Partei- und Redaktionsbüros), dazu der Kampf für die Größe des Va-terlands.

19214. aprilMussolini bezeichnet die Eroberung Roms als unmittelbares Kampfziel: „Rom ist unser Ausgangspunkt und un-ser Endziel, unser Symbol oder, wenn ihr wollt, unser Mythos! Wir erstreben das römische, das zähe, starke, diszip-linierte und imperiale Italien.“

MaiDie bürgerlichen Parteien erkennen die Gefahr nicht, die ihnen durch die Fa-schisten droht; anstelle eines gemein-samen Kampfes gegen die Faschisten kommt es zu gegenseitigen Auseinan-dersetzungen. Bürgerliche Parteien hoffen, die Faschisten durch eine Be-teiligung an der Regierung „zähmen“ zu können.

novemberUmbildung des Kampfbundes zur Nati-onalen Faschistischen Partei (Partio Nazionale Fascista) mit dem erklärten Ziel, die Macht im Staate zu erringen.

der historische Hintergrundvon Karl pörnbacher

1922SommerTerror der Faschisten: sozialistische Bürgermeister werden zum Rücktritt gezwungen. In Bologna lagern Zehn-tausende von Faschisten so lange in den Straßen, bis sie die Abberufung ei-nes ihnen unangenehmen Präfekten erreicht haben.

24. oktoberFaschistentreffen in Neapel; Begrü-ßungstelegramm durch den Parla-mentspräsidenten in Rom.

28. oktoberMarsch der Faschisten nach Rom. Knapp 40.000 Männer, schlecht be-waffnet, ziehen aus verschiedenen Richtungen nach Rom. Sie bleiben 30 bis 40 km vor der Hauptstadt stehen, ohne Verpflegung, zermürbt vom Dau-erregen, und erwarten vergebens den Befehl zum Angriff. Kleine Truppentei-le hätten die Faschisten mühelos ver-treiben können, doch der König weigert sich, den Befehl dazu zu geben und den Belagerungszustand zu verhängen.

29. oktoberKönig Viktor Emanuel III. beruft Mus-solini zum Ministerpräsidenten.

30. oktoberDie Faschisten ziehen in Rom ein.

31. oktoberMussolini übernimmt die Macht; er wird Regierungschef, Außen- und In-nenminister. Regierungsbildung mit den Nationalisten (Kabinett der „natio-nalen Konzentration“).

16. novemberMussolini verkündet vor der italieni-schen Abgeordnetenkammer das Ende der parlamentarischen Herrschaft in Italien.

25. novemberMussolini erhält bis 31. Dezember 1923 diktatorische Vollmachten zur Wieder-herstellung der Ordnung und Durch-führung eines Reformprogramms. – Die Sturmtruppen werden staatlich finanzierte Parteiarmee; sie sind auf Mussolini vereidigt.

192314. novemberWahlgesetz zugunsten der Faschisten: Die stärkste Partei mit mindestens ei-nem Viertel aller Stimmen erhält zwei Drittel der Parlamentssitze.

19246. aprilNeuwahlen ergeben 65% der Sitze für die Faschisten.

10. JuniErmordung des sozialistischen Abge-ordneten Giacomo Matteotti lässt die Opposition gegen den Faschismus an-wachsen. Bürgerliche Parteien ziehen sich aus dem Parlament zurück.

19253. JanuarMussolini übernimmt die Verantwor-tung für alle Handlungen der faschisti-schen Revolution. Verschärfung der Diktatur durch Pressezensur, Verhaf-tungen und Verbannungen. Verbot des Freimaurertums.

24. dezemberGesetz über die Befugnisse des Regie-rungschefs; dieser trägt die persönli-che Verantwortung für die Regierung. Parlament kann nur über Vorlagen be-raten, die der Regierungschef vorher genehmigt hat.

192631. JanuarGesetz über die Befugnisse der Regie-rung: Sie kann rechtsverbindliche Nor-men ohne die Zustimmung des Parla-ments festsetzen.

3. aprilGesetz für die rechtliche Ordnung des kollektiven Arbeitsvertrags: Verbot von Streik und Aussperrung.

JuniKeine Wahlen mehr in den Provinzen der Kommunen. Endgültiges Verbot der Opposition.

1929Faschismus und Staat werden gleichge-setzt.

Karl Pörnbacher (Hg.), Der historische Hintergrund. Thomas Mann, Mario und der Zauberer, Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 1980.

„Man verstand bald, dass politisches umging, die idee der nation im Spiele war.“

thomas Mann, „Mario und der zauberer“

Page 10: La voce di Torre

impressumHerausgeber Sächsische Staatsoper Dresdenintendantin Dr. Ulrike Hessler †Kaufmännischer Geschäftsführer Wolfgang RotheSpielzeit 2012/13premiere 22. November 2012 auf Semper 2

redaktion Stefan Ulrichdruck Union Druckerei Dresden GmbHGestaltung Fons Hickmann m23, Björn Wolf, Susann Stefanizen, Melanie Köcheler

BildnachweiseFotos der Klavierhauptprobe am 16. November 2012 © Matthias Creutziger

Urheber, die nicht erreicht werden konnten, werden wegen nachträglicher Rechtsabgleichung um Nachricht gebeten.

aufführungsrechteMario und der zaubererStephen Oliver© Novello & Company Limited, London, UK;S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M.;Deutsch von Manfred Weiß 2003

Ba-ta-cLanJacques Offenbach, Fassung von Stephen Oliver© Edition Wilhelm Hansen Hamburg (Sikorski), für Deutschland, Österreich und die SchweizOriginalverlag: Novello & Company Limited, London, UK

nº 8La voce di torre10 Vermischtes

untere reihe v.l.n.r.: tim fischdick, Lukas Seidler, fritz Herrmann – oberer reihe v.l.n.r.: Sebastian Hübel, frank friedrich Gellrich, frank däbritz, peter vanselow

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ein Bürger der Stadt (Bernd Könnes), die Mutter (Christel Lötzsch), der Bürgermeister (Gerald Hupach)

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torre di venere ist stolz auf seine Jungs

Sieger des nationalen Angelwettbewerbes von Viareggio.

LESErBrIEF

Bleiben oder gehen …

Wir blieben auch deshalb, weil der aufenthalt uns merkwürdig geworden war, und weil Merkwürdigkeit ja in sich selbst einen Wert bedeutet, un-abhängig von Behagen und unbe-hagen. Soll man die Segel streichen und dem erlebnis ausweichen, sobald es nicht vollkommen danach angetan ist, Heiterkeit und vertrau-en zu erzeugen? Soll man „abrei-sen“, wenn das Leben sich ein biss-chen unheimlich, nicht ganz geheuer oder etwas peinlich und kränkelnd anlässt? nein doch, man soll bleiben, soll sich das ansehen und sich dem aussetzen, gerade dabei gibt es viel-leicht etwas zu lernen.

thomas Mann, „Mario und der zauberer“

Straßenszenen einer Stadt

Der Bürgermeister von Torre di Venere hat immer ein offenes Ohr, wenn es um die

Belange seiner Einwohner und Gäste geht.

Page 11: La voce di Torre

torre di venere dankt

operndirektor Eytan PessenStudienleitung Johannes Wulff-Woesten

Musikalische einstudierung Markus HennMusikalische assistenz Clemens Posselt,

Daniela Pellegrino*, Keiko Iwabuchi*abendspielleitung Heike Maria Jenor

inspizienz Sandra Schmidt, Sabine BohligSoufflage Uta Mücksch, Gabriele Auenmüller

ausstattungsassistenz Jee Hyun KimKünstlerische produktionsleitung Susanne Hoffmann

technischer direktor Jan Seegertechnischer produktionsleiter Arne Walther

Leiter der Bühnentechnik Kay BuschBühnenmeister Mario Bley, Andreas Denk

Leiter Licht-audio-video Fabio AntociBeleuchtungsmeister Jens Klotzsche

Beleuchtung Steffen Adermanntonmeister Stefan Folprecht

ton Mike Wapplervideo Knut Geng

Leiterin requisite Elisabeth Schröterrequisite Anne Püschel

direktor der dekorationswerkstätten Sven Schmidtgenproduktionsleiter dekorationswerkstätten Martin Borrmeister

Konstruktion Wolfgang Schröter, Andreas Knoblauch

direktorin Kostüm- und Maskenabteilung Frauke SchernauKostümassistentin Renate Thümmlerchefmaskenbildner Dietmar Zühlsdorf

Maske Cornelia Fitzek, Simone Kroggel, Doreen Papperitz

Musikalische Leitung

ekkehard KlemmEkkehard Klemm war von 1968 bis 1977 Mitglied des Dresdner Kreuzchores. 1979 bis 1984 studier-te er an der Hochschule für Musik Dresden Diri-gieren, Komposition und Klavier. Nach Engage-ments in Altenburg und Greifswald war er bis 1996 Chefdirigent am Theater Vorpommern, da-nach Dirigent und ab 1999 Geschäftsführender Stellvertreter des Chefdirigenten am Staatstheater am Gärtnerplatz München. Gastdirigate führten ihn zu vielen namhaften deutschen Orchestern sowie nach Schweden, Griechenland, Italien, Po-len, Tschechien, Österreich, in die Schweiz, die USA und Armenien, zu den Bad Hersfelder Fest-spielen und an die Kammeroper Rheinsberg. Ek-kehard Klemm setzt sich mit großem Engagement für die Neue Musik ein. Viel beachtet waren Auf-führungen von Dessau, Rautavaara, Bengtson, die mehrfach ausgezeichneten Uraufführungen von Tarnopolskis „Wenn die Zeit über die Ufer tritt“ und Terterians „Das Beben“, ferner Henzes „Eng-lische Katze“, Schnebels „Majakowskis Tod“, No-nos „Intolleranza“ sowie Saariahos „L’amour de loin“. In Dresden erklangen Krätzschmars „Die Schlüsseloper“, Werke von Kantscheli, Herchet und Saunders mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden sowie mit der Singakademie Dresden Ur-aufführungen von Weiss, Voigtländer und Klemm selbst. Mit Aufführungen wie „Oberon“ von We-ber, „Faust-Szenen“ und „Genoveva“ von Schu-mann ist er auch um das Dresdner Repertoire be-müht. Seit 2003 ist Ekkehard Klemm Professor für Dirigieren und Künstlerischer Leiter des Hoch-schulsinfonieorchesters, seit 2004 auch Leiter der Singakademie Dresden. 2010 wurde er zum Rek-tor der Hochschule für Musik Carl Maria von We-ber Dresden gewählt. Er ist Vizepräsident des Ver-bandes deutscher Konzertchöre (VdKC).

Inszenierung

Manfred WeißManfred Weiß hat als Regisseur, Autor und Schauspieler u.a. in Hannover, Mannheim, Frei-burg, Bochum, Basel, Tel Aviv, Gelsenkirchen und Stuttgart gearbeitet. Seine Stücke „Halbes Leben“ und „Deine Chance!“ sind im Suhrkamp Theater Verlag erschienen. Von 2002 bis 2006 war er Künstlerischer Leiter und Geschäftsführer der Jungen Oper der Staatsoper Stuttgart. Er schrieb die Libretti zu den Kinderopern „Erwin, das Na-turtalent“, „Der unglaubliche Spotz“ (beide kom-poniert von Mike Svoboda) sowie „Prinzessin Ulla und die schöne Lau“ (Komposition von Thomas Stiegler), die u.a. in Freiburg, Stuttgart, Saarbrü-cken, Chemnitz und Düsseldorf gespielt wurden. Lehraufträge führten ihn u.a. an die Universität Mozarteum Salzburg, die Schola Cantorum Basi-liensis und an die Hochschule für Musik und Dar-stellende Kunst Stuttgart. Seit 2010/11 ist Man-fred Weiß Künstlerischer Leiter der neuen Sparte Junge Szene an der Semperoper und inszenierte hier „Il tutore“, „Dido and Aeneas“, „Simplicius Simplicissimus“ und „Die Prinzessin auf der Erb-se“, für „Die Konferenz der Tiere“ erstellte er die Textfassung. In der Spielzeit 2012 /13 bringt er Ernst Křeneks „Das geheime Königreich“ auf die Bühne und Stephen Olivers „Mario und der Zau-berer“ und ist für Dramaturgie und Textfassung von „Prinz Bussel“ verantwortlich.

Bühnenbild und Kostüme

Kattrin MichelKattrin Michel wurde 1967 in Leipzig geboren und studierte ab 1989 Bühnen- und Kostümbild an der Kunsthochschule Berlin Weißensee bei Prof. Volker Pfüller. Seit 1993 ist sie als Bühnen- und Kostümbildnerin tätig, vorwiegend im fran-zösischsprachigen Raum so u.a. am Théâtre de la Ville Paris, Théâtre de l’Odéon Paris, Théâtre Athénée Louis Jouvet Paris, Théâtre National de Chaillot Paris, Festival d’Avignon, an den Theater-häusern in Rennes, Bordeaux, Nantes, Dijon, am Théâtre National du Luxembourg, Théâtre de Vidy Lausanne, Opéra de Lausanne, Luzerner Theater, aber auch am Hamburger Schauspiel-haus, Schauspiel Frankfurt, Bayerisches Staats-theater München, Münchner Kammerspiele, Deutsches Theater Berlin, Schaubühne Berlin, Ruhrfestspiele, Staatstheater Stuttgart, Schau-spielhaus Hannover sowie in Italien am Teatro Regio Parma, Teatro Stabile Torino und Teatro Farnese Parma. Eine langjährige künstlerische Partnerschaft verbindet sie mit dem französi-schen Regisseur Dominique Pitoiset. 2004 / 05 war sie Artiste Associée am Théâtre National Bor-deaux Aquitaine und 2005/06 Gastdozentin für Bühnen- und Kostümbild an der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Seit 2009 hat sie eine Professur für Bühnen- und Kostümbild an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden inne.

Licht

Jens KlotzscheDer gebürtige Dresdner ist seit 1984 an der Sem-peroper tätig, seit 1993 im Bereich Beleuchtung. Er qualifizierte sich zum staatlich geprüften Techniker und Beleuchtungsmeister. Für zahlrei-che Ballett- und Opernaufführungen war er seit-dem für die lichttechnische Betreuung zuständig, auch in Zusammenarbeit mit internationalen Lichtdesignern. Gastspielreisen führten ihn u.a. nach Wien, Venedig und Palermo.

Signora Angiolieri

Sabine Brohm

Im Anschluss an ihr Studium an der Hochschule Carl Maria von Weber wurde Sabine Brohm in das Opernstudio Dresden übernommen und wechsel-te von dort in das Ensemble der Sächsischen Staatsoper. Hier verkörperte sie alle wichtigen Partien ihres Fachs, zuletzt Sylva („Csardasfürs-tin“), Donna Elvira („Don Giovanni“) Gerhilde („Walküre“), Gutrune („Götterdämmerung“), Anna Maurant („Street Scene“) oder Mrs. Patrick de Roucher („Dead Man Walking“), und sang in Uraufführungen wie Ruzickas „Celan“, Ari Benja-min Meyers „Nico Sphinx aus Eis“ und Manfred Trojahns „La Grande Magia“. 2012/13 ist die Sop-ranistin als Kate Pinkerton („Madama Butterfly“), Signora Angiolieri („Mario und der Zauberer“), Königin („Prinz Bussel“), Frau des Soldaten 2 („We Come to the River / Wir erreichen den Flus“ ) und Gertrud („Hänsel und Gretel“) zu erleben. Sa-bine Brohm gastierte in Petersburg, Minsk, Salz-burg sowie an den Opernhäusern von Berlin, Es-sen, Karlsruhe, Köln, München, Wiesbaden, Wien und Salvador de Bahia, Brasilien. Sie sang am Gran Teatre del Liceu Barcelona die Gerhilde („Walküre“) und gastierte als Boulotte („Barbe Bleu“) an der Staatsoperette Dresden, wo sie dar-auffolgend als „Gräfin Mariza“, „La Périchole“ und „Die Großherzogin von Gerolstein“ zu erleben war. 2012/13 wird sie hier wieder als Großherzo-gin von Gerolstein sowie als Gertrud auf der Büh-ne stehen. Sabine Brohm ist auch im Bereich Kammermusik und Lied sehr erfolgreich: Sie kon-zertierte mit dem Dietzsch-Trio sowie den Kam-mersolisten der Staatskapelle Dresden und gestal-tete diverse solistische Liederabende. Zahlreiche CD- und Rundfunkaufnahmen erfolgten unter anderem beim WDR, MDR, Berliner Rundfunk und Deutschlandfunk.

Die Mutter

christel Lötzsch*

Christel Lötzsch wurde in Annaberg-Buchholz ge-boren und absolvierte ihr Abitur am Musikgym-nasium Karlsruhe. Sie besuchte zunächst die Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. Ab Oktober 2010 studierte Christel Lötzsch am Con-servatorio di Giuseppe Verdi in Mailand. Wichtige Impulse erhielt sie bei Meisterkursen u.a. bei KS Prof. Brigitte Fassbaender, KS Deborah Polaski, Dame Gwyneth Jones, Prof. Norma Sharp und Hans Sotin. Seit 2010 arbeitet sie mit dem interna-tional bekannten Wagner-Tenor Manfred Jung. 2010 erhielt sie ein Stipendium der Jungen Musi-ker Stiftung Bayreuth. Christel Lötzsch war schon während ihres Studiums eine sehr gefragte, er-folgreiche Sängerin und wurde bereits für Kon-zerte und Opernproduktionen im In- und Ausland engagiert. Zum Repertoire der Mezzosopranistin gehören sowohl die Strauss-Hosenrollen des Komponisten („Ariadne auf Naxos“), Octavian („Der Rosenkavalier“) als auch die Belcanto-Par-tien des Romeo in „I Capuleti e i Montecchi“ oder Rossinis Rosina in „Il barbiere di Siviglia“ und Angelina in „La cenerentola“. Die Mozart-Partien des Cherubino („Le nozze di Figaro“), Idamante („Idomeneo“), Sesto, Annio („La clemenza di Tito/Titus“) sowie die der Dorabella („Così fan tutte“) und der Zerlina („Don Giovanni“) gehören eben-falls zu ihrem Repertoire. Letztere sang sie im Sommer 2012 in der Arena di Verona. Seit August 2012 ist sie Mitglied des Jungen Ensembles der Semperoper Dresden. In dieser Saison ist auch ein Gastspiel an der San Francisco Opera als Dorabel-la geplant.

Ein Bürger der Stadt

Bernd Könnes

Der Tenor Bernd Könnes studierte Gesang an den Musikhochschulen Detmold und Essen. Er ist Preisträger zahlreicher Wettbewerbe (u.a. VDMK: 1. Preis). 1996 verpflichtete John Dew den Künst-ler für die europäische Erstaufführung der Oper „Harvey Milk“ nach Dortmund, wo er die Partie des Young Harvey sang. Von 1997 bis 2003 war er am Pfalztheater Kaiserslautern unter Vertrag. Dort debütierte er mit Partien wie David („Die Meistersinger von Nürnberg“), Steuermann („Der fliegende Holländer“) und Bob Boles („Peter Gri-mes“). Während dieser Zeit gastierte der Künstler am Nationaltheater Mannheim, den Schwetzinger Festspielen, den Heidelberger Schlossfestspielen sowie bei den Eutiner Sommerfestspielen. Von 2003 bis 2010 war Könnes an der Staatsoperette in Dresden engagiert, wo er u.a. als Blaubart (Of-fenbach) auftrat, den er auch am Theater in Dort-mund verkörperte (2011), sowie als Hexe in „Hän-sel und Gretel“. Seit der Spielzeit 2010/11 ist der Tenor freischaffend tätig. Neben seiner Bühnentä-tigkeit erarbeitete sich Bernd Könnes ein umfang-reiches Konzertrepertoire, das von Bach bis zur Moderne reicht.

Der Bürgermeister

Gerald Hupach

Der gebürtige Thüringer studierte an der Hoch-schule für Musik in Weimar. Seit 1993 ist der Te-nor Ensemblemitglied der Semperoper Dresden. Einladungen zu Festivals und Konzerten führten ihn nach Frankreich, Italien, Österreich, in die Schweiz, nach Liechtenstein und Tschechien. Zu seinen Partien an der Semperoper gehören u.a. Jäger/Priester („Rusalka“), Lucano/Console („L’incoronazione di Poppea“), Monostatos und Zweiter Priester („Die Zauberflöte“), Basilio („Le nozze di Figaro“), Abraham Kaplan („Street Scene“), Raoul de St. Brioche („Die lustige Wit-we“) und Father Grenville („Dead Man Walking“). Neben seiner Operntätigkeit widmet er sich der Pflege eines vielseitigen, vom Barock bis zur Mo-derne reichenden Konzertrepertoires.

Guiscardo

allen Boxer*

Allen Boxer studierte am Curtis Institute of Music in Philadelphia. Während seines Studiums sang er verschiedene Partien wie Nick Shadow („The Rake’s Progress“), Don Basilio („Il barbiere di Si-viglia“), Dulcamara („L’elisir d’amore“), Golaud („Impressions de Pelléas“) und Förster („Das schlaue Füchslein“). Collatinus (Brittens „The rape of Lucretia“) sang er beim Castleton Festival und beim Aldeburghs Britten-Pears-Programm, Masetto („Don Giovanni“) gab er an der Opera North (New Hampshire) und Olin Blitch („Susan-nah“) am Chautauqua Voice Institute. Weitere Auftritte hatte er an der Aix-en-Provence Acadé-mie Européenne de Musique und beim Festival Lyrique-en-mer (Bretagne). Seit der Spielzeit 2011/12 ist er Mitglied des Jungen Ensembles der Semperoper Dresden und singt hier Partien wie Erster Priester und Zweiter Geharnischter („Die Zauberflöte“), Masetto („Don Giovanni“), Cesare Angelotti („Tosca“) und Albert („La juive“).

Cipolla

Markus Butter

Der aus Österreich stammende Bariton war, bevor er sein Studium an der Musikuniversität in Graz begann, Mitglied und Solist bei den Wiener Sän-gerknaben. Seit 1994 ist er als Konzertsänger u.a. in Zusammenarbeit mit Dirigenten wie Zubin Mehta, Wolfgang Sawallisch, Bruno Weil, Stefan Soltesz, Paavo Järvi, Daniel Harding, Semyon By-

chkov und Nikolaus Harnoncourt sowie mit Klangkörpern wie den Rundfunkorchestern des MDR und WDR, dem Orchestre de Paris und den Münchner und Berliner Philharmonikern zu hören . Als Opernsänger gastierte er u.a. bei der RUHR.2010, in Mannheim, Köln, Essen, an der Staatsoper Unter den Linden Berlin, dem New Na-tional Theatre Tokyo, den Salzburger Festspielen sowie regelmäßig am Theater an der Wien. An der Semperoper, deren Ensemblemitglied er seit 2005 ist, sang er bisher Partien wie Wolfram von Eschenbach („Tannhäuser“), Conte d’Almaviva („Le nozze di Figaro“), Papageno und Sprecher („Die Zauberflöte“), Giorgio Germont („La travia-ta“), Marcello („La bohème“), Archediakon („Not-re Dame“), Valentin („Faust/Margarete“) und Al Kasim („L’Upupa“) von Hans Werner Henze. 2009 wurde ihm der Christel-Goltz-Preis der Stiftung zur Förderung der Semperoper verliehen. 2011/12 gab er an der Semperoper seine Rollendebüts als Melisso („Alcina“), Don Giovanni und Vater/Eule/Igel in der Uraufführung von Miroslav Srnkas „Ja-kub Flügelbunt“, 2012/13 debütiert er in zwei Neuproduktionen, und zwar als Zauberer („Mario und der Zauberer“) sowie als Lescaut („Manon Lescaut“).

Mario

christopher Kaplan*

1988 in Stuttgart geboren, begann Christopher Kaplan früh mit Violin- und Klavierunterricht und sang im Kinderchor der Staatsoper Stuttgart, wo er erste solistische Erfahrungen sammelte. 2007 begann er sein Gesangsstudium bei Prof. Dunja Vejzovic an der Stuttgarter Musikhochschule, wo er 2011 seinen Bachelor erfolgreich abschloss und nun ein Masterstudium bei Prof. Turid Karlsen weiterführt. Christopher Kaplan hat bisher umfas-sende Konzerterfahrungen im Bereich Oratorium und Liedgesang sammeln können, u.a. bei Lieder-abenden im Weißen Saal im Neuen Schloss Stutt-gart sowie in der Umgebung von Stuttgart. Sein Repertoire umfasst verschiedenen Messen und Oratorien von Monteverdi bis Saint-Saëns. In der Spielzeit 2009/10 erhielt er einen Solo-Gastver-trag an der Staatsoper Stuttgart für das Stück „Ju-dith“ von Vivaldi, eine Koproduktion der Staats-oper Stuttgart und des Schauspiel Stuttgart mit den Salzburger Festspielen. 2010 wurde er Sti-pendiat der „Freunde der Gesellschaft“. 2011 spielte er in der Opernschulproduktion der Stutt-garter Musikhochschule in Offenbachs „Orphée aux enfers“ die Rollen Mercure und John Styx im Stuttgarter Wilhelma Theater. Im Januar 2012 gab er sein Debüt in Mozarts „Zauberflöte“ als Tamino an der Kroatischen Nationaloper Zagreb. Kurz da-nach sprang er an der Staatsoper Stuttgart in „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“ als Tempo ein. Bei den Rossini Festspielen in Bad Wildbad war er als Ali in Rossinis Oper „Adina“ zu sehen. Seit der Spielzeit 2012/13 ist Christopher Kaplan Mitglied des Jungen Ensemble der Semperoper.

Berühmte Künstler aus torre di venere stellen sich vor

*Mitglied Junges Ensemble

nº 8

11La voce di torre

Persönlichkeiten

Page 12: La voce di Torre

torre di venere – monatliches KlimaIn diesem Monat sind außerordentlich lange und heiße Tage zu erwarten. Die Temperaturen in Torre di Venere wer-den deutlich über 30°C steigen. Das schwülwarme Wetter bringt heftige Wärmegewitter mit sich.

Eleonora Duse, Jahrgang 1858, gilt als eine der großen Theaterschauspielerin-nen des 20. Jahrhunderts. Geboren in der Lombardei, etablierte sie sich ne-ben Sarah Bernhardt zu einer der füh-renden Erneuerinnen des Schauspiels. Aufgrund ihres innovativ puristischen Schauspielstils, der durch den Verzicht auf die gängige große Theatralik ge-kennzeichnet war, gilt sie als Wegwei-serin der Moderne im Theater. Zu ihren größten Bewunderern gehörten zahlrei-che Intellektuelle ihrer Zeit, wie etwa Rainer Maria Rilke, Lion Feuchtwanger, Hugo von Hofmannsthal, Lou Andreas-Salomé oder George Bernard Shaw. Sie pflegte eine Liebesbeziehung zu dem im politischen Verhältnis zu Mussolini nicht unumstrittenen Schriftsteller Gab-riele D’Annunzio, der ihr mehrere Stü-cke widmete. Eleonora Duse ist die Na-mensgeberin der Pension „Eleonora“

von Signoria Angiolieri aus Thomas Manns Erzählung „Mario und der Zau-berer“. Duse starb 1924.

George Bernard ShawDie Duse erzeugte die Illusion, in der Mannigfaltigkeit schöner Posen und Be-wegungen unerschöpflich zu sein. Jede Idee, jeden Schatten eines Gedankens und einer Stimmung weiß sie zart, aber lebendig auszudrücken. Obwohl die Duse scheinbar über eine Million von Modulationen verfügt, ist es unmöglich, auch nur eine Linie eines stumpfen Win-kels oder auch nur die kleinste Anstren-gung zu bemerken, die auf die völlige Hingabe aller Glieder an die leiblichste Anmut (wie nach einem natürlichen Gra-vitationsgesetz geschieht diese Hingabe bei ihr) störend einwirkte.

Marc-dirk HarzendorfThe Saturday Review, 1985

Cesare Gabrielli, 1881 geboren, war ein italienischer Hypnotiseur und Zau-berkünstler. Im Italien des frühen 20. Jahrhunderts erreichte er überregiona-le Bekanntheit durch seinen draufgän-gerischen, energischen und autoritären Zauberstil. Trotz körperlicher Gebre-chen, wie einer lädierten Wirbelsäule und einer daraus resultierenden krum-men Haltung, gelang es ihm, dank sei-ner als patriarchalisch und absolutis-tisch beschriebenen Persönlichkeit, das Publikum für sich einzunehmen und zu führen. Gabrielli diente Thomas Mann in seiner Novelle „Mario und der Zauberer“ als reales Vorbild des Zau-berers Cipolla. Cesare Gabrielli ver-starb 1943 in Florenz.

„Wenn Gabrielli jemanden bei Licht fi-xierte, zuckten seine Augen phosphores-zierend auf, wie bei Katzen, die Nachttie-

re sind. Und das war sein magnetisches Fludium.“ So berichtet uns der Zeitzeu-ge Ferdinando Giannessi.„Er rief zum Beispiel einige Zuschauer auf die Bühne, hypnotisierte sie und sag-te ihnen dann: ›Seht mich an, ich bin eine schöne Frau und ziehe mich jetzt aus!‹ Daraufhin begann er sich auszuzie-hen, und die Hypnotisierten schmachte-ten ihn wie Satyrn mit großen Augen an. Oder er schmiss eine Zigarette auf den Boden und forderte das Publikum auf, sie aufzuheben was jedoch keinem ge-lang: Sie war wie festgenagelt.“

Marc-dirk Harzendorf

cesare Gabrielli

nº 8La voce di torre12 Rückblicke

Wir erinnern an zwei bedeutende persönlichkeiten der nation

eleonora duse

Ärger, Gereiztheit, Überspannung lagen von anfang an in der Luft, und zum Schluss kam dann der choc mit diesem schrecklichen cipolla, in dessen person sich das eigentümlich Bös-artige der Stim- mung auf verhäng-nishafte und übrigens mensch-lich sehr ein-drucksvolle Weise zu verkörpern und bedrohlich zu-sammenzudrängen schien.

thomas Mann, „Mario und der zauberer“

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RC

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