Labor Kommunikationstechnik - ak.tu-berlin.de · In Abbildung 5 (rechts), hergeleitet für ka
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Labor Kommunikationstechnik
Lautsprechertechnik
Fachgebiet Audiokommunikation
Alexander Lindau
KT-Labor Lautsprecher -Skript- WS 09/10
© A. Lindau 2009 S. 2 /27
Einleitung
Betrachtet man die Kette der Übertragungsglieder einer modernen analog/digitalen Audio-
übertragungsstrecke von I) Aufnahme, II) Mischung & Nachbearbeitung III) Speicherung bis
zu IV), der Wiedergabe (Abb.1), fällt auf, dass der Lautsprecher im Hinblick auf die Linearität
des Übertragungsmaßes und den Anteil nichtlinearer Verzerrungen bei Weitem das
schwächste Glied der Kette darstellt. Zumindest ist der mit professionellen, aktiven Lautspre-
chern bzw. professionellen Lautsprecher-Endverstärkerkombinationen erreichbare
Signalrauschabstand zufrieden stellend. Der erreichbare Dynamikumfang (ca. 110-120 dB)
bei der Lautsprecherwiedergabe liegt nur geringfügig unterhalb des wahrnehmbaren Dyna-
mikumfangs [Fie94]. Die linearen Frequenzgangsverzerrungen moderner (Kleinmembran-)
Mikrofone (<1dB), von Vor- und Endverstärkern (<0.1dB), AD/DA-Wandlern (<0.1dB),
Mischpulten und digitalen Speichersystemen (<0.1dB) liegen dagegen um einen Faktor 2-20
unter denen von professionellen Lautsprechersystemen (≥2dB). Letztere liegen durchaus im
hörbaren Bereich, weshalb der Lautsprecher anstatt als neutrales oft als klangbestimmendes
Element der Übertragungskette anzusehen ist. Bei den Qualitätsanforderungen sollte man
daher gerade beim Lautsprecher keine Kompromisse eingehen. Zudem interagieren Laut-
sprecher in komplizierter Weise mit dem Wiedergaberaum (s. z.B. [Too08]). Kommen
Mängel des Lautsprecherdesigns (auch: der Richtcharakteristik), der Raumakustik und Feh-
ler bei der Positionierung von Quellen und Hörern zusammen kann die Wiedergabe eine
objektive Beurteilung reproduzierter Aufnahme unmöglich machen.
Abbildung 1 Schematische Darstellung einer typischen mehrkanaligen Audioübertragungsstrecke
(Tonstudioumgebung) aus [Fie94]
In diesem Labortermin beschäftigen wir uns mit einem Teilaspekt der Lautsprecherentwick-
lung: dem Weichenentwurf mit modernen digitalen Verfahren. Dieses Skript ist als Einstieg
ins Thema Lautsprecher zu verstehen. Wir benutzen dazu ein gegebenes technisches Laut-
sprecherdesign (2-Wege-Nahfeldmonitor im Bassreflexgehäuse). Viele wesentliche Aspekte
wie z.B. die Auswahl oder gar das Design von Treibertypen, der Entwurf und die Abstim-
mung von Gehäusen, eine Diskussion der Belastbarkeit, Ursachen nichtlinearer
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Verzerrungen, die Beurteilung der Richtcharakteristik oder der Interaktion mit dem Wieder-
gaberaum bleiben aus Zeitgründen fast völlig unbetrachtet. Interessierte Leser seien hier auf
die (weiterführende) Literaturliste verwiesen.
1. Grundlagen der Lautsprechertechnik Mikrofon und Lautsprecher (es sei ein elektrodynamischer Konustreiber lt. Abbildung 5 ge-
meint) unterliegen den größten Frequenzgangsabweichungen vom nachrichtentechnischen
Ideal, was auf ihre Eigenschaft als elektro-mechano-akustischer Wandler zurückzuführen ist.
Zumindest für Kleinstmembranmikrofone vom Typ Kondensatordruckempfänger, deren
Membrandurchmesser im gesamten hörbaren Frequenzbereich deutlich unterhalb einer Wel-
lenlänge liegt, stellen sich die akustischen Verhältnisse so günstig dar, dass unhörbare
Abweichungen vom ideal glatten Übertragungsmaß innerhalb eines weiten Frequenzbereich
erreicht werden können (vgl. KT-Labor „Mikrofone“, [Peu99]).
Abbildung 2 Links: Amplitudenfrequenzgang (SPL(f) @ 1W/1m, „Sensitivity“) eines 2-Wege-
Lautsprechers (blau: Tieftöner, grün: Hochtöner, rot: Summenfrequenzgang [Wei08]). Rechts: Frequenzgang eines freifeldentzerrten ½’’ Druckempfänger-Messmikrofons (B&K 4191)
Ursache für die Unterlegenheit der Wiedergabeseite, z.B. des Konuslautsprechers, ist zum
einen der ungewöhnliche große, 17 Meter (20 Hz) bis 1,7 Zentimeter (20 kHz) und damit 3
Dekaden umfassende Wellenlängenbereich des hörbaren Schalls, der vom elektrodynami-
schen Wandler Lautsprecher wiederzugeben ist. So müsste ein typischer 17 cm-Treiber im
Breitbandbetrieb Wellenlängen wiedergeben, die um Größenordnungen größer als auch
kleiner als er selbst sind.
Die Schallabstrahlung des Lautsprechers wird durch den von der Membran aus ‚sichtbaren’
frequenzabhängigen Strahlungswiderstand (Realteil der Abstrahlungsimpedanz ZK0) des
umgebenden Mediums bestimmt. Dessen Betrag ist vom Verhältnis der Ausdehnung (mit a =
Radius) des Schallerzeugers zur zu erzeugenden Wellenlänge - beschreibbar durch die Wel-
lenzahl λπω /2/ acaka == - abhängig [Zwi84]. Man kann damit die zu betrachtenden
Wellenlängen in Bereiche HFLF kaka <<<<1 trennen, wobei der Übergang bei 1=ka eine
Wellenlänge beschreibt, die genau dem Umfang der Membran entspricht. Die korrekte Über-
tragung des als elektrischer Spannungsverlauf fixierten Signals in Schalldruck wird zudem
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durch den jeweiligen, mit spezifischen Vor- und Nachteilen behafteten gewählten Weg der
Wandlung durch die drei Medien (s. Abbildung 3) erschwert. Der subjektiv jedoch oft als
durchaus zufrieden stellend empfundene Höreindruck grenzt damit zeitweise an ein Mysteri-
um, welches es zu lüften gilt.
Abbildung 3 Ersatzschaltbild des elektrodynamischen Wandlers im geschlossenen Gehäuse unter
Berücksichtigung der akustischen Abstrahlung (UG = Generatorspg., UE =
Schwingspulenspg., Uind = aufgrund Membranschnelle induz. Spg., RG = Innenwid.std.
d. Generators, RE=ohmsch. Widerstd. der Schwingspule LE = Ind. der Schwingspule, Ie
= Schwingspulenstrom, M = Wandlerkonstante, FL = Kraft a. d. Schwingsp.,
vD=Schnelle d. Membran/Schwingsp., w = mech. Reibung m = eff. bewegte Masse, 1/s
= Nachgiebigkeit d. Aufhg., FD = Kraft auf Membran, SD = eff. Membranfläche, pd=
Druck auf Membran, qd = Volumenfluss, ZAB= einbaubedingte Gehäuseimpedanz, RAR
= Strahlungswiderstand, mAR = mitschw. Mediumsmasse)
Die Einprägung einer (Wechsel-)Spannung in die Schwingspule eines elektrodynamischen
Lautsprechers (vgl. Abbildung 5) führt aufgrund des Magnetfelds im Luftspalt zu einer Kraft-
wirkung auf die schwingungsfähig aufgehängte Membran. Die Bewegung der Membran führt
zur Luftschallleistungsabgabe über dem reellen Strahlungswiderstand des umgebenden Me-
diums, d.h. zur akustischen Schallabstrahlung. Abbildung 3 zeigt ein Ersatzbildschaltbild des
elektrodynamischen Lautsprechers, welches zur Diskussion oder Modellierung des Laut-
sprecherverhaltens zur Anwendung kommen kann.
Für tiefe Frequenzen, d.h. für kleine Werte von ka , kann der Lautsprecher vereinfachend als
Punktquelle betrachtet werden [Cre03]. Deren Schallabstrahlung kann einfach und direkt
über die akustische Leistungsabgabe diskutiert werden, da noch keine richtungsabhängigen
Effekte zu berücksichtigen sind (Kugelquellencharakter). Die abgestrahlte Schallleistung
ergibt sich im Fernfeld aus dem Produkt von Membranschnellenquadrat v²M, Membranfläche
SM und Strahlungswiderstand [Zwi84], wobei die Membranfläche der gedachten Kugelober-
fläche entspricht.
s1
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}{2KugelMMKugel ZevSP ℜ⋅⋅= für ka<<1, mit 22
022
22
0 ~1
}{ akZakakZZe Kugel +
=ℜ Gl. 1
Für einen frequenzunabhängig konstante Schallleistungsabgabe muss demnach gelten:
.}{ 02 constZev KM =ℜ⋅ Gl. 2
Abbildung 4 qualitative Darstellung der Zusammenhänge zwischen links: Membranschnelle v,
mittig: Strahlungswiderstand }{ KugelZeℜ (hier: für Kolbenmembran) und rechts: ab-
gestrahlter akustischer Leistung PKolben
Nur weil sich die frequenzabhängigen Verläufe von Schnellequadrat und Strahlungswider-
stand gerade aufheben, existiert oberhalb der mechanischen Resonanz und unterhalb des
Bereichs in dem der Strahlungswiderstand gegen Z0 konvergiert, ein Bereich in dem der
Lautsprecher zu einer frequenzunabhängigen Leistungsabgabe fähig ist (Abbildung 4).
Vervollständigend muss man den elektrodynamischen Lautsprecher jedoch als Kombination
eines mechanischem Feder-Masse-Schwinger und seiner elektrischen Bauteile modellieren
(Abbildung 3). Unter Berücksichtigung des Innenwiderstands einer realen Spannungsquelle
Ra, sowie der Impedanz der Lautsprecherspule ( ii LjR ω+ ) lässt sich der Frequenzgang der
Membranschnelle wie folgt angeben (vgl. Skript KT I):
const
iia
ULjRR
jsrmj
Blv)(
)(ω
ωω
ω++⎟⎟
⎠
⎞⎜⎜⎝
⎛++
= . Gl. 3
Diesem Ausdruck zufolge steigt die Schnelle zunächst mit +6dB/Okt (~ω) bis zur mechani-
schen Resonanzfrequenz, sinkt danach mit gleicher Steilheit (~1/ω), um schließlich oberhalb
der elektrischen Eckfrequenz mit -12dB/Okt (~1/ω2) weiter zu fallen.
Der resultierende Schalldruckverlauf bei der Abstrahlung ergibt sich aus der Transformation
der Schnelle über den reellen Strahlungswiderstand der Kugelquelle (vgl. Skript KT I) zu
2)( avjSvjp MMM πωρωρω ⋅⋅=⋅⋅= . Gl. 4
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Aus Gleichung 3 und 4 ergibt sich der Übertragungsfaktor GpU für einen Lautsprecher im ge-
schlossenen Gehäuse (für ka<<1) zu
))(()()()( 2
22
iiapU LjRRsrjm
BlaUpG
ωωωρπω
ωω
ω++++−
−== . Gl. 5
Nach Einführung der mechanischen und elektrischen Resonanzfrequenzen ωm und ωelektr
ms
m =ω bzw. i
aielektr L
RR +=ω Gl. 6
führt die Diskussion dieser Formel auf das frequenzabhängige Verhalten, wie es in Abbil-
dung 5 (rechts) dargestellt ist. Dieser entspricht bisher dem Leistungsfrequenzgang (vgl.
Abbildung 4, rechts und Abbildung 5, rechts), in der Realität kommen jedoch mit steigender
Frequenz durch Effekte wie Richtwirkung und modales Verhalten der Membran zu zuneh-
menden Abweichungen des axial messbaren Schalldruckfrequenzgangs vom
Leistungsfrequenzgang.
Abbildung 5 links: prinzipieller Aufbau des elektrodynamischen Konuslautsprechers; rechts: prinzi-
pieller Frequenzverlauf des Übertragungsfaktors (Nah- und Fernfeld, Skript KT I)
In Abbildung 5 (rechts), hergeleitet für ka<<1, ist auch noch nicht der Bereich berücksichtigt,
in dem der Strahlungswiderstand konvergiert (s. Abbildung 4, Mitte), so das tatsächlich ein
weiteres Tiefpassfilter 1. Ordnung zu berücksichtigen wäre und somit die Hochtonwiederga-
be ab einer weiteren, vom Membrandurchmesser bestimmten Grenzfrequenz ωg schließlich
mit -12dB/Okt fallen würde.
Der Schnellefrequenzgang des für den mechanischen Teil des Lautsprechers zugrunde ge-
legten Feder-Masse-Schwinger (Abbildung 4, links) kann durch Integrieren bzw.
Differenzieren in den Auslenkungs- (x(ω)) bzw. Beschleunigungsfrequenzgang (a(ω)) über-
führt werden, da für harmonische Zeitsignale
+12dB/Okt -6dB/Okt
ωm ωelektr
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∫= dttvtx )()( ωω
ωjvx )()( = bzw. Gl. 7
dttvta )()( = )()( ωωω vja ⋅= Gl. 8
gilt. Division durch bzw. Multiplikation mit jω entspricht einer „Drehung“ des Schnellefre-
quenzgangs um 6dB nach rechts, bzw. nach links. Wie in Abbildung 4 (links) gezeigt, sinkt
die Membranschnelle im Durchlassbereich des Lautsprechers mit -6dB/Okt. Ein konstanter
Schalldruckfrequenzgang stellt sich also im Bereich frequenzunabhängig konstanter Memb-
ranbeschleunigung ein. Die Auslenkung dagegen sinkt in diesem Bereich bereits mit -
12dB/Okt. Die gleichzeitige Wiedergabe sehr hoher und tiefer Frequenzen von einem Laut-
sprecherchassis führt so zu sehr unterschiedlichen Auslenkungen der Membran. Wird der
Wiedergabeort der hohen Frequenzen durch die großen Membranauslenkungen der Tief-
tonwiedergabe moduliert, treten Dopplereffekte auf [Zwi84].
Im Frequenzbereich konphaser Membranbewegungen kann eine mit steigender Frequenz
zunehmende und zur Membranebene normale Richtwirkung beobachtet werden, die auf
richtungsabhängige Laufzeitunterschiede zwischen gleichphasig schwingenden Bereichen
der räumlich ausgedehnten Membran zurückzuführen ist. Führt man eine Fernfeldbetrach-
tung der Richtwirkung einer Kolbenmembran durch [Skript KT-I], findet man die erste totale
Auslöschung des Schalldrucks, bei ±90° zur Flächennormalen, bei der Frequenz, deren hal-
be Wellenlänge gleich dem effektiven Membrandurchmesser ist. Mit steigender Frequenz
schnürt sich die Hauptkeule immer mehr ein und es bilden sich zunehmend Nebenkeulen
aus. Mit den bedeutenden Themen wie Richtcharakteristik der Einzellautsprecher, der Cha-
rakterisierung oder der Beeinflussung der Richtwirkung eines Mehrwegsystems z.B. durch
Filterung oder Timealignement beschäftigen wir uns in diesem Labortermin aus Zeitgründen
nur am Rande, jedoch sollten die Ursachen und das zu globale Verhalten von Richteffekten
über der Frequenz bekannt und abschätzbar sein.
Aufgrund der örtlich ungleichmäßigen Zuführung der antreibenden Kraft durch die bewegte
Schwingspule, einer endlicher Materialsteife und einer begrenzten inneren Dämpfung zerfällt
die konphase Bewegung der Membran mit steigender Frequenz mehr und mehr in Partial-
schwingungen. Teile der Membran führen gegenläufige Schwingungsformen aus
(Abbildung 6), welche wiederum richtungsabhängig zu konstruktiver oder destruktiver Über-
lagerung (Interferenz) führen. Mit dem Auftreten der ersten Partialschwingung kann bei einer
Wellenlänge gerechnet werden, die gleich dem effektiven Durchmesser der Membran ist.
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Abbildung 6 Darstellung der vibrometrisch abgetasteten Oberflächenbewegung eines Konustrei-
bers im Betrieb deutlich oberhalb der kritischen Frequenz [© http://www.klippel.de]
Diese wird auch als Grenzfrequenz (fcrit = kritische Frequenz) bezeichnet [Sta92]. Oberhalb
dieser Frequenz spricht dann auch vom Aufbrechen der Membran (s. Abbildung 6). Mit zu-
nehmender Anzahl von Radial- und Axialmoden verringert sich die effektiv wirksame
Membranfläche, der Wirkschall wird zunehmend von der Membranmitte aus abgestrahlt. Die
dem mathematischen Modell der Kolbenmembran nahe kommenden Flachmembranlaut-
sprecher zeigen hierbei ein kritischeres Verhalten als die konstruktionsbedingt steiferen
Konustreiber. Verschiedenste bauartliche als auch materialtechnische Verfahren zu Unter-
drückung der modalen Effekte können zur Anwendung kommen. Mittels Teilperforation der
Membran, durch steife Wabenstrukturen oder mit nichtabwickelbaren Konusmembranhüllflä-
chen wird versucht die Eigenmoden zu unterdrücken bzw. – akustisch vorteilhaft – auf
bestimmte Bereiche der Membran zu beschränken. Materialtechnisch stellen hochsteife und
dabei leichte Membranen (z.B. aus Kevlar oder Carbon, s. Abbildung 7) bei gleichzeitig ho-
her innerer Dämpfung mit geringer Eigenschwingungsneigung den letzten
Entwicklungsschritt dar.
Abbildung 7 Links: Vorderseite einer Carbon-(Kohlefaser-)Membran Rechts: mit Rohacell be-
dämpfte Rückseite
Vor allem die populären Leichtmetallmembranen neigen aufgrund geringer innerer Dämp-
fung zu stark ausgeprägten und gut hörbaren tonalen Eigenmoden („Gong“-Effekt, Abbildung
8).
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Abbildung 8 Links: Frequenzgang, Rechts: Zerfallsspektrum eines Konusmitteltöners mit Alumini-
ummembran von 16cm effektivem Membrandurchmesser [© http://www.visaton.de],
deutlich sind die Auswirkung der ersten, auf Achse konstruktiv wirkenden Membranre-
sonanz bei 4800Hz erkennbar (fcrit~2100Hz)
Zu einer weiteren Verkomplizierung des abgestrahlten Schallfelds führen Interferenzen mit
am Gehäuse reflektierten Schallanteilen (Kantenreflexionen). Auch kann ein auf das Gehäu-
se zurückzuführender Druckstaueffekt (sog. baffle step) beobachtet werden. Dieser tritt zu
Tage, sobald die abzustrahlende Wellenlänge die maximale Ausdehnung der frontalen
Schallwand unterschreitet.
Abbildung 9 Illustration des baffle steps: Frequenzgang eines 17cm-Tieftöners mittig in einem
Standlautsprechergehäuse mit einer Schallwand von ca. 23 x 123 cm, der baffle step
baut sich über 250 – 650 Hz (λ: 1.37m – 0.53m) auf etwa 6dB auf, Membranmoden
sind bei 2300 und 5000 Hz sichtbar
Dabei ändert sich die Abstrahlungsbedingung von Freifeld in Halbfreifeld und äußert sich in
einem Pegelsprung von bis zu 6dB (s. Abbildung 9). Eine ausführliche Untersuchung der
Auswirkung unterschiedlichster Gehäuseformen auf die Abstrahlung eines Lautspre-
cherchassis findet man bei [Ols69].
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Abbildung 10 Darstellung des frequenzabhängigen Richtverhaltens eines 2-Wege Lautsprechers
[http://de.wikipedia.org]
Die Anforderung an die Lautsprechermembran laufen also frequenzabhängig auseinander,
effiziente Tieftonwiedergabe verlangt große Volumenflüsse und daher große Membrandur-
chmesser und -auslenkungen, eine ungerichtete Abstrahlung verlangt jedoch geringe
Quelldurchmesser [Zwi84]. Eine Aufteilung des hörbaren Frequenzbereichs auf mehrere
optimierte Teillautsprecher ist vorteilhaft. Sinnvollerweise sind diese dann in dem Bereich
zu betreiben, im dem ihr Frequenzgang linear, die Effizienz hoch, die Verzerrungen
niedrig, und Partialschwingung gering, sowie das Richtverhalten noch gering ausge-
prägt ist. Die resultierende Leistungsbandbreite eines Treibers umfasst somit selten mehr
als eine Dekade. Aufgrund des drei Dekaden umfassenden Hörschallwellenlängenbereichs
empfiehlt sich daher die Aufteilung des Nutzsignals auf drei oder mehr Einzelchassis (3-
Weg-Lautsprecher). Wie wir im Labortermin sehen werden, stellen 2-Weg-Konstruktionen in
dieser Hinsicht meist schon einen Kompromiss dar. Abbildung 10 zeigt das Richtdiagramm
eines (guten) 2-Weg-Systems. Die auf die beginnende Richtwirkung des Tieftöners zurück-
zuführenden, leichten seitlichen Einschnürungen verraten den Übergangsbereich bei ca.
1500Hz. Zwischen 400Hz - 6kHz wird eine relativ konstante, breite Abstrahlung erreicht,
oberhalb von 6kHz ist jedoch bereits die Richtwirkung des Hochtöners sichtbar.
Das Zeitsignalverhalten des Lautsprechers lässt sich anschaulich in der Impulsantwort bzw.
deren Integral, der Sprungantwort darstellen (Abbildung 11). Die Einschwingdauer wird durch
die obere Bandgrenze des Einzellautsprechers bzw. der Mehrwegkonstruktion bestimmt, sie
sollte daher der Grenze des Hörbereichs entsprechen. Die Ausschwingdauer wird von der
Lage der unteren Grenzfrequenz und der dortigen Filtergüte bestimmt. Die letzteren beiden
werden durch den aus Lautsprecher und Gehäusetyp gebildeten Resonator bestimmt. An
der unteren Grenzfrequenz können je nach Einbauzustand und Filterung Laufzeitverzöge-
rungen von bis zu 20ms entstehen (geschlossene Box = HP 2. Ordnung, BR-Box = HP 4.
Ordnung, BR-Box mit Subsonicfilter 2. Ordg. = HP 6. Ordnung). Psychoakustische Untersu-
chungen zur Hörbarkeit von Phasen- bzw. Laufzeitverzerrungen zeigten für kritische
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Signale/Abhörbedingungen die Hörbarkeit der Gruppenlaufzeitverzerrungen bei Systemen 6.
Ordnung [Lek92].
Abbildung 11 Links: Impulsantwort, Rechts: Sprungantwort eines 2-Wege-Lautsprechers, deutlich
ist das zu frühe Einsetzen des Hochtöners zu erkennen: spitzer Peak gefolgt von brei-
terem Tieftonimpuls (aus [Wei08])
Bei Mehrwegsystemen wird das möglichst zeitgleiche Eintreffen der Signale aller Einzeltrei-
ber am Hörerort als Timealignement bezeichnet. Dies kann bereits in der Konstruktion
durch entsprechende geometrische Anordnungen der Einzelsysteme bzgl. einer Hörerpositi-
on (Koaxiale Treiberanordnung, abgeschrägte/durchgebogene Schallwand) oder
nachträglich durch elektrische, elektronische oder digitale Laufzeitglieder erreicht werden.
Sind die akustischen Zentren der Teillautsprecher bzgl. der Schallwandebene unterschied-
lich tief versetzt ergibt sich eine Neigung der sog. Lautsprecherachse (Achse identischer
Laufzeit zw. Einzeltreibern) zur Schallwandnormalen. Werden diese nun ohne Laufzeitkor-
rektur auf Achse der Schallwandnormalen entzerrt ergeben sich Asymmetrien in der
resultierenden vertikalen Richtcharakteristik. Zudem kann, auch nach einer laufzeitlichen
Korrektur der geometrischen Versätze, das Phasengangsverhalten der Frequenzweiche zu
Verzerrungen der vertikalen Richtcharakteristik führen.
Die Interaktion mit dem Hörraum spielt bei der Beurteilung der Qualität von Lautsprechern
als auch bei der Entstehung des Klangbilds am Hörerort eine überragende Rolle [Oli92,
Too08]. Eine auf richtungsabhängig gleichmäßigen Energieeintrag in den Raum hin optimier-
te Richtcharakteristik erlaubt bereits bei geringem Anpassungsaufwand einen gleichmäßigen
Klangeindruck auf einer größeren Hörerfläche [Goe08]. Essentiell ist das Vermeiden von
Aufstellungsfehlern wie Aufstellung in Wandnähe, Aufstellung entlang von Symmetrieachsen
bei Rechteckräumen, korrekte Stereobasisbreiten und angepasste Hörabstände. Raumspe-
zifische Entzerrungen sind zudem oft von Vorteil und geben den letzten Schliff. Leider wird
von dieser Entzerrung oft fälschlich erwartet, die notwendigen, aber teuren und daher einge-
sparten raumakustischen Maßnahmen vollständig ersetzen zu können.
Alle bisherigen Betrachtungen setzten implizit ein konstantes Übertragungsmaß für Laut-
sprecher als Ideal voraus. Es ist jedoch immer auch der tatsächliche Anwendungsbereich
des betrachteten Lautsprechers zu berücksichtigen [Wei08, Kap. 8]. Wenn auch im Tonstu-
dio absolute Klangneutralität die wichtigste Rolle spielen sollte, so wird z.B. im
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Konsumerbereich eine leichte Bassanhebung oft als „verkäuflicher“ bewertet („Geschmacks-
filterung“).
Weichentechnologien im Lautsprecherbau Obwohl im HiFi-Marktsegment immer noch erstaunlich viele Produkte rein passiv gefiltert
und verkauft werden, macht die Entwicklung der Schaltungs- und Digitaltechnik natürlich
nicht vor dem Lautsprecher halt. Aktive Filterstufen basierend auf OPV-Schaltungen kombi-
niert mit leistungsangepassten Endstufen in jedem Teilweg sind im Beschallungs- und
Studiosektor längst Alltag. Den letzten Entwicklungsschritt stellen universell konfigurierbare,
mehrkanalige Lautsprechermanagementsysteme wie z.B. der im Labortermin verwendete
HD-2-Prozessor dar, bei denen die Entzerrung vollständig in der digitalen Domäne stattfin-
det. Die Verlagerung der Signalverarbeitung in den digitalen Bereich erlaubt neue
Entzerrungsansätze wie z.B. eine nahezu perfekte echtzeittfaltungsbasierte FIR-Entzerrung
des on-axis-Frequenzgangs bei freier Wahl des Phasenverhaltens oder die Einbeziehung
von vor Ort ermittelten Raumentzerrungsfiltern und deren Realisierung mit FIR- oder IIR-
Filtern.
Aktive vs. passive Lautsprecher Stehen keine Möglichkeiten zur aktiven elektronischen oder digitalen Entzerrung zur Verfü-
gung, werden Lautsprecher typischerweise passiv aufgebaut, d.h. analoge RLC-
Entzerrernetzwerke werden vor das Mehrwegsystem geschaltet, welches dann durch einen
einzelnen, externen Verstärker betrieben werden kann. Die Möglichkeiten von Passivwei-
chen zur Frequenzgangskorrektur sind prinzipbedingt beschränkt, so sind z.B. Anhebungen
im Frequenzgang nicht möglich. Die Bauteile sind groß, teuer und verlustbehaftet, Filter-
schaltungen höherer Ordnung (>3) werden nur selten realisiert. Nichtsdestotrotz ist der
Entwurf eines passiven Lautsprechersystems, viell. gerade aufgrund der begrenzten Mittel
und des daher notwendigen sorgfältigen Entwurfs, eine lohnende Herausforderung.
Abbildung 12 Lautsprecherbeschaltung bei passiven (links) und aktiven (rechts) Frequenzweichen
In aktiven Mehrweglautsprechern dagegen arbeiten in jedem Teilweg angepasste Leistungs-
endstufen, aktive OPV-Filterschaltungen realisieren steilflankige Bandpassfilter und
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vollparametrische Equalizer dienen der komfortablen Frequenzgangskorrektur und Rauman-
passung.
Einfluss und Wahl des Gehäuses Bei passiven Boxen ist die sorgfältige Abstimmung von Gehäuse und Treiber zum Erreichen
eines gewünschten Tieftonfrequenzgangs und Einschwingverhaltens notwendig. Aktivboxen
werden dagegen oft auch in zu kleinen Gehäusen eingesetzt, ihr Frequenzgang wird dann
einfach elektronisch korrigiert.
Abbildung 13 Normierte Tieftonfrequenzgänge (links) und Schrittantworten (rechts) eines LS im
geschlossenen Gehäuse für versch. Einbaugüten QTC [Sma72]
Die berühmte Serie der in den 70-er Jahren im JAES wieder veröffentlichter Aufsätze von
Richard Small und Neville Thiele [z.B. Sma72] bildet bis heute den theoretischen Grundstock
bei der Berechnung passiver Lautsprecher-/ Gehäusekombinationen. Die dort beschriebenen
elektroakustischen Ersatzschaltbilder und Kenngrößen (Thiele-Small-Parameter, z.B. QTC,
die Einbaugüte, s. Abb. 13) erlauben eine numerische Vorhersage des Tieftonfrequenzgangs
vieler typischer Lautsprecher-Gehäuse-Kombinationen. Die beschriebenen Gehäusetypen
umfassen das geschlossene Gehäuse, Bassreflexgehäuse, Konstruktionen mit Passiven-
membran oder Bandpassgehäuse. Weiterhin existieren Transmissionlinekonstruktionen,
rück- oder vorderseitig horngeladene Systeme, sowie bei Mehrwegsystemen natürlich auch
jede denkbare Kombination. Damit wird klar, dass das Thema Gehäusetypen, -auswahl & -
berechnung leicht weitere Labortermine füllen könnte, aufgrund der Themenstellung wird es
hier nur rudimentär betrachtet.
Im unserem Labortermin werden wir eine kleine 2-Weg BR-Konstruktion betrachten. Bei
Bassreflexsystemen wird der rückwärtig von der Membran abgestrahlte Schall nutzbar ge-
macht, indem man ihn durch eine Öffnung im Gehäuse, den sog. Bassreflextunnel austreten
lässt. Die im Tunnel eingeschlossene Luftmasse bildet einen auf der Gehäuseluftfeder
schwingenden, durch Tunnellänge und -querschnitt abstimmbaren Helmholtzresonator. Ob-
wohl der rückwärtigen Schalls 180° in der Phasen gedreht ist, addiert sich dieser durch die
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erneute Phasendrehung bei der Resonatoreigenfrequenz konstruktiv zum Membranschall
hinzu. Unterhalb dieser Frequenz führt die fortgesetzte Phasendrehung zunehmend zu einer
destruktiven Überlagerung, wodurch das gegenüber der geschlossenen Box steilere Hoch-
passverhalten zustande kommt (24 vs. 12 dB/Okt). Die Tieftonwiedergabe wird durch den
zusätzlichen Resonator deutlich verbessert, für korrekte Frequenzgangsmessungen an BR-
Boxen müssen die Tunnelanteile daher berücksichtigt werden. Probleme der BR-Boxen sind
höhere Laufzeitverzerrungen und die gegen Null gehende Bedämpfung der Membran (akust.
Kurzschluss) unterhalb der Tunnelresonanz, was die erwähnten Schultzschaltungen gegen
zerstörerische, tieffrequente Membranauslenkungen notwendig machen.
2. Kennwerte von Lautsprechern Bevor wir uns in Abschnitt 3 im Detail mit dem digitalen Weichenentwurf befassen, sollen
zunächst einige ausgewählte, für die Weichentwicklung relevante Kennwerte von Lautspre-
chern diskutiert und die im Labortermin mithilfe des Messprogramms ‚Monkey Forest’ (MF)
durchzuführenden Messungen erläutert werden. Impedanz Der Wechselstromwiderstand des elektrodynamischen Lautsprechers ist in Betrag und Pha-
se frequenzabhängig und wird daher als komplexe Impedanz bestimmt. Die
Betragsdarstellung verläuft typischerweise von einem Minimum beim 0 Hz (dem Gleich-
stromwiderstand RDC von z.B. 4-8 Ω) über ein Resonanzmaximum bei der mechanischen
Resonanzfrequenz und geht danach im Bereich ansteigender Schwingspuleninduktivität in
einen monoton steigenden Verlauf über (Abbildung 14). Aus der Impedanzmessung kann auf
den Gleichstromwiderstand und die Resonanzfrequenz, sowie über die Halbwertsbreite (-
3dB-Frequenzen) des Resonanzmaximums auf die elektrische Güte Qes, die mechanische
Güte Qms und die Gesamtgüte Qts des Lautsprecherchassis, sowie auf die Induktivität der
Schwingspule geschlossen werden.
Abbildung 14 Betragsfrequenzgang der Lautsprecherimpedanz in geschlossener (links), in Bassre-
flexbox (rechts) in qualitativer Darstellung
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Im Einbauzustand kann anhand der Lage der Resonanzmaxima und -minima zudem die Ab-
stimmung von Treiber und Gehäuse beurteilt werden. Bei Mittel- und Hochtönern wird der
Beginn des Arbeitsbereichs meist zu 0.5-1 Oktave oberhalb der mechanischen Reso-
nanz bestimmt, da unterhalb dieses Bereiches das nichtlineare Verhalten stark
zunimmt. Aus nur zwei Impedanzmessungen (Massen- oder Federdifferenzmethode
[Dic05]) können z.B. auch alle wichtigen Thiele-Small-Parameter eines Lautsprecherchassis
bestimmt werden. Aus dem Impedanzfrequenzgang von Tieftontreibern in Bassreflexgehäu-
sen lässt sich zudem die Abstimmung des als Helmholtzresonator arbeitenden
Bassreflextunnels ablesen. Diese sog. Tuningfrequenz ft liegt zwischen den zwei typischen
Impedanzmaxima (s. Abbildung 14, rechts). Sie kann durch Ändern der Portgeometrie in
einem gewissen Bereich verstimmt werden. Außerdem ist sie ein Indikator für das untere
Ende des Arbeitsbereichs des Tieftöners im Bassreflexbetrieb. Die Membran führt bei ft
die geringste Hübe aus, der Bassreflextunnel strahlt hier den meisten Schallruck ab (s. Ab-
bildung 17, links, grüne Kurve). Unterhalb dieser Frequenz sollte die BR-Box nicht betrieben
werden, da der Tunnel zunehmend für einen ungehinderten Druckausgleich (akust. Kurz-
schluss) sorgt. Infolgedessen steigen die Auslenkungen der nun unbedämpften Membran
dramatisch an. Ohne Subsonicfilter (Hochpass) kann es leicht zur mechanischen Zerstörung
des Chassis kommen.
Da Monkey Forrest (MF) ein FFT-basiertes Messsystem ist, können aus den nach einer
Messung verfügbaren komplexen Spektren von Strom und Spannung direkt die komplexe
Impedanz )(/)()( fIfUfZ = berechnet werden. Zur Messung wird der Lautsprecher an
den Endstufenausgang des ITA-Mess-Frontends angeschlossen. In diesem befindet sich
neben einem hochgenauen Referenzwiderstand von 10 Ohm, der zur Kalibrierung der Mess-
vorrichtung verwendet wird, auch der für die Strommessung erforderliche Shunt-Widerstand
(1 Ohm, geringe Toleranz), über den eine dem Strom proportionale Spannung gemessen
werden kann. Vor der eigentlichen Impedanzmessung am Wandler ist eine Referenzmes-
sung (liefert )( fU ) mit dem eingebauten 10-Ohm Widerstand durchzuführen.
Abbildung 15 Messung des Impedanzfrequenzgangs mit MF, links: Referenzmessung, rechts: Mes-
sung eines Prüfling, ZMF = unbekannte Ausgangsimpedanz des Messsystems
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Dazu wird dieser bei der Referenzmessung automatisch in den Signalweg geschaltet. Da-
nach wird der Prüfling angeschlossen und der resultierende Strom )( fI als komplexe
Spannung über dem in Reihe geschalteten 1 Ohm Widerstand gemessen. Bei der anschlie-
ßenden Berechnung der komplexen Impedanz durch komplexe spektrale Division, werden
die in beiden Messungen enthaltenen Einflüsse des Messsytems und des Anregungssig-
nalspektrums eliminiert.
Fernfeldmessung von Lautsprecherfrequenzgängen Die nachhallfreie Messung der Frequenzgänge der beiden Einzellautsprecher der Laborbox
bildet die Grundlage der FIR-Entzerrung. Die Messung der Übertragungsfunktion erfolgt im
„LS-Sensitivity“-Messmenü von MF. Die Bezeichnung ‚Sensitivity’ (Empfindlichkeit, vgl. KT-
Labor „Mikrofone“) bezieht sich auf die eine Messung der Schalldruckübertragungsfunktion
bei 1W Eingangsleistung im Abstand von 1m. Sie stellt einen wichtigen Kennwert dar, der als
Frequenzgangsschrieb oder als Einzahlwert (bezogen auf einen Frequenzbereich mit im
Mittel konstanter Schallabstrahlung) vom Hersteller angegeben wird. Zur Messung der Sen-
sitivity muss nicht tatsächlich mit einer Eingangsleistung von 1W gemessen werden.
Bequemerweise skaliert MF das gemessene Spektrum anhand der gesetzten Ausgangs-
spannung und bei Angabe von Nennimpedanz, Messentfernung und Mikrofonempfindlichkeit
automatisch in die Sensitivitydarstellung um.
Für eine entfernungsunabhängige Gültigkeit des Frequenzgangs ist im sog. Fernfeld zu
messen. Im Nahfeld der Membran verändert sich die Schalldruckfunktion aufgrund frequenz-
und winkelabhängiger Laufzeitunterschiede auf komplizierte Weise. Für die Festlegung der
Fernfeldmessposition gelten bei Messung mit Druckempfängern zwei Kriterien [Kap.1,
Wei08]. Zuerst soll der Messabstand groß gegenüber der größten Ausdehnung gleichphasig
schwingender Teilbereiche der Quelle sein (z.B. 5 mal so groß), damit soll eine etwa gleich
große entfernungsabhängige Schalldruckabnahme aller Teilstrahler garantiert werden.
hrmess >> ; h = größte Quellausdehnung Gl. 9
Zweitens ergibt sich eine anhand der Auslenkung um φ,δ von der 0°/0° Achse beschreibbare
Richtcharakteristik der Quelle erst, wenn das Kriterium
λ
2hrmess > ; h = größte Quellausdehnung Gl. 10
eingehalten wird. Ein drittes Fernfeldkriterium besagt, dass das Schallfeld annähernd einer
ebenen Welle entspricht, und damit das Verhältnis von Druck und Schnelle reell sei [Cre03].
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Dieses Kriterium λ>>messr ist im unteren Hörfrequenzbereich schwer einhaltbar. Es ist aber
für die Messung des Schalldrucks nur relevant, falls ein Gradientenempfänger zum Einsatz
käme, der bei Verletzung des Kriteriums aufgrund des Nahbesprechungseffekts Frequenz-
gangsverfälschungen zeigen würde.
Das erste Kriterium (Gl. 9) beschreibt eine geometrische Messbedingung. Stellt man Gl. 10
nach der Frequenz um, zeigt sich dass hier eine von der Strahlergröße abhängige obere
Bandgrenze definiert wird. Je nach betrachtetem Strahler (Tieftöner, Hochtöner, Parallelbe-
trieb beider Treiber, gesamte Box) ist h anzupassen und auch der zu betrachtende
Wellenlängenbereich neu zu überdenken. Bei der Bestimmung einer maximalen Strahlergrö-
ße ist zu beachten, dass auch die Schallbrechung/-reflektion an den Gehäusekanten als
weiterer Schallentstehungsort zum resultierenden Fernfeldschalldruck (meist nachteilig) bei-
trägt. Der Einfachheit halber ist der aus beiden Kriterien resultierende größte Messabstand
zu wählen. Für welchen Fall von h wird Gl. 10 maximal (s. Protokollanforderungen)? In
der so festgelegten Entfernung wird die Sensitivity aller Einzelsysteme an einem Punkt ge-
messen. Streng genommen gilt nur für diesen Punkt die hochgenaue Laufzeit- und
Frequenzgangsentzerrung der zu generierenden FIR-Filter.
Da Raumeinflüsse in den Messungen zu verfälschten FIR-Filtern führen würden, sind die
Fernfeldmessungen von restlichen Raumreflexionen zu befreien. Durch das Fenstern der
gemessenen Impulsantwort können späte Reflexionen in den Messungen nachträglich elimi-
niert werden. Selbst Messungen aus normalen Büroräumen können so in quasi-
reflektionsfreie Messungen überführt werden. Reflexionsarme Räume machen diesen Schritt
eigentlich überflüssig, leider finden sich doch immer wieder Restreflexionen des Messauf-
baus. Die nach der Messung in MF vorliegenden komplexen Frequenzgänge sind per IFFT in
den Zeitbereich zu transformieren und dort geeignet zu fenstern. In logarithmierter Darstel-
lung sind die Reflexionen besonders leicht zu sehen. Ein um den Direktschallpuls
symmetrisches Fenster mit einem konstanten Durchlassbereich von 50-80% (Tukey-Fenster)
hat zwar eine nur geringfügig bessere Nebenkeulenunterdrückung als ein einfaches Recht-
eckfenster, garantiert aber die Energieerhaltung der Impulsantwort. Alternative
Fensterentwürfe mit effizienterer Stoppbandunterdrückung werden ausführlich in [Har78]
diskutiert. Dabei ist zu beachten, dass die Fensterung vor allem den unteren Frequenzbe-
reich verfälscht. Der Fehler hängt von der Länge des Fensters ab. Die Multiplikation im
Zeitbereich stellt im Frequenzbereich eine Faltung des Lautsprecherspektrums mit dem
Fensterspektrum dar. Zu Abschätzung des verfälschten Frequenzbereichs kann die Un-
schärferelation der Nachrichtentechnik angewendet werden, nach der die
Frequenzauflösung dem Inversen des Betrachtungszeitraums (d.h. der Fensterbreite) ent-
spricht [Str92]. Unterhalb dieser Frequenz wirkt das Fensterspektrum auf den Verlauf des
tieffrequenten roll-offs (vgl. Abbildung 17, links, unnatürlich glatter Abfall der blauen Kurve).
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Um dies zu verhindern, sollte die Fensterlänge in etwa dem zweifachen der tiefsten darzu-
stellenden Periodendauer entsprechen.
Notwendigkeit von Nahfeldmessungen Selbst der große reflexionsarme Raum des ITA weist bei tiefen Frequenzen keine vollständi-
ge Absorption mehr auf, so dass unterhalb von 60 Hz (und auch etwas darüber noch) mehr
oder weniger starke Raummoden die Messungen verfälschen. Diese lassen sich durch Fens-
terung nicht entfernen, sind im Nahfeld vor dem Lautsprecher jedoch stark bedämpft. Nach
[Kee74] ist der Schalldruckfrequenzgang im Nahfeld der Membran dem gesuchten Schall-
druck im Fernfeld bis auf frequenzunabhängige Faktoren direkt proportional (für ka<<1,
Kolbenmembranmodell im Vollraum):
rkvScpFern π
ρ40= und
akvScpNah π
ρ 04= . Gl. 11
Damit ist
FernNah parp 4
= bzw. NahFern prap4
= . Gl. 12
Durch ein so genanntes ‚Fitting’ der Nahfeldmessung an die Fernfeldmessung können Fre-
quenzgänge konstruiert werden, die sowohl für hohe als auch für tiefe Frequenzen korrekt
sind. Eine obere Grenzfrequenz (Fehler <1dB) unterhalb der die Nahfeldmessung sinn-
volle Aussagen trifft, kann aus
1=ka ⇔ 16.0=λa
zu acfgrenz 6
≈ Gl. 13
bestimmt werden ([Str92], vgl. Abbildung 16). In [Kee74] wurden zudem weitere Randbe-
dingungen gezeigt, die für eine korrekte Nahfeldmessung einzuhalten sind. So sollte z.B.
der Messabstand 11% des Membranradius’ nicht überschreiten, um Fehler <1dB zu
erhalten. Außeraxial sinkt der Schalldruck vor der Membran kontinuierlich aber frequenzun-
abhängig ab, trotzdem sollte in der Membranmitte gemessen werden, um die höchste
Unterdrückung von Raumreflexionen oder benachbarten Schallaustrittsöffnungen zu
erreichen.
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Abbildung 16 Nahfeldmessung, links: Messmikrofon mittig und so dicht wie möglich anordnen,
rechts: obere Grenzfrequenz der Validität von Nahfeldmessungen als Funktion des
Strahlerdurchmessers (aus [Str92])
Für Bassreflexsysteme werden immer zwei Messungen im Nahfeld benötigt, die zudem mit
unterschiedlichen Strahlerflächen (Tieftönermembran bzw. Bassreflextunnel) zusammen-
hängen (s. Gl. 11: pnah ~ 1/a). Sind die Strahlerflächen gleich groß, können gleiche Beiträge
angenommen werden. Ist allerdings die Rohrmündung, wie üblich, kleiner als die Membran-
fläche, wird im Nahfeld ein überhöhter Schalldruck am Tunnel gemessen, da der gesamte
Volumenfluss vS durch eine kleinere Fläche gepresst wird.
Um dennoch die Addition der Teilschalldrücke korrekt durchführen zu können muss der
Schalldruck nach [Kee74] mit den Flächenanteilen bzw. den Strahlerradien gewichtet wer-
den. Die Addition der Nahfeldteilschalldrücke zu dem im Fernfeld resultierenden
Gesamtschalldruck erfolgt nach Gl. 12 zu
Membran
TunnelTunnelMembran
Membran
TunnelTunnelMembranges S
Sppaappp +=+= . Gl. 14
Eine Alternative dazu stellt die Addition der Messungen nach Angleichung mittels der Volu-
menflussmethode dar. Dabei wird davon ausgegangen, dass im Grenzfall gegen 0Hz
derselbe Volumenfluss, der von der Membran erzeugt wird, auch durch den Bassreflextunnel
austreten muss. Bei sehr tiefen Frequenzen müssten sich daher die beiden Schalldruckver-
läufe einander annähern. So kann die Addition auch durchgeführt werden, nachdem die
beiden Nahfeldfrequenzgänge tieffrequent (unterhalb von 10 Hz) zur Deckung gebracht wur-
den. Ein praktisches Problem stellt jedoch der unterhalb von 10Hz erreichbare SNR da. In
der Praxis liefern daher beide Methoden oft nicht das gleiche Resultat, Einzel- und addierten
Frequenzverläufen sind daher genau zu bewerten.
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Abbildung 17 Links: Frequenzgänge der Nahfeldmessungen an einer Bassreflexbox vor der Memb-
ran (blau) und vor dem Tunnel (grün), sowie die komplexe Summenfunktion (rot)
Rechts: Fitting der Nahfeldmessung (grün) an eine gefensterte Fernfeldmessung
(blau) bei 100 Hz (Summenfunktion (rot) +10dB versetzt)
Die gefensterte Fernfeldmessung ist nun für die Vorgabe von Phasengang und Abso-
lutschalldruckpegel zu verwenden. Die nach Formel 14 addierten Nahfeldfrequenzgänge
sind nach Wahl der Übergangsfrequenz und Pegelverschiebung an die Fernfeldmessung
anzufügen. Die Phaseninformationen der Nahfeldmessung werden dabei verworfen. Obwohl
dieses Verfahren weit verbreitet ist, ist es keinesfalls frei von Unwägbarkeiten. Die bereits
erwähnten Unterschiede der Flächen- und der Volumenflussmethode sind z.B. auf Ambiva-
lenzen bei der Bestimmung der absoluten Messposition/Abstrahlungsebene bei
Bassreflextunneln mit exponentieller Öffnung und konischen Membranen zurückzuführen.
Mehrere Bassreflextunnel oder größere geometrisch bedingte Abstände zur Membran (Lauf-
zeitkompensation z.B. bei rückwärtiger Tunnelaustrittsöffnung) können die Ergebnisfindung
weiter verkomplizieren. Zudem kann schwierig sein, einen geeigneten Übernahmenpunkt
zwischen Fern- und Nahfeldmessung zu finden sein (s. Abbildung 17).
THD Die letzte in diesem Labortermin berücksichtigte Eigenschaft von Lautsprechern betrifft die
Bestimmung der harmonischen Klirrverzerrungen (vgl. KT-Labor Messtechnik) der Lautspre-
cherchassis. Auch diese dienen zur Festlegung des Arbeitsbereichs jedes individuellen
Treibers. Die Entstehung harmonischer Verzerrungsprodukte hat vielfältige, zumeist mecha-
nische Ursachen. Die bei hohen Belastungen (Großsignalverhalten) dominierenden
nichtlinearen Effekte sind die Auslenkungsabhängigkeit a) der Antriebskraft Bl(x), b) der
durch die Randeinspannungen bestimmten Federsteife s(x) und c) der Spuleninduktivität L(x)
(s. Abbildung 19, [Kli01, Kli06]).
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Abbildung 18 nichtlineares Kennlinienverhalten, links Bl-Produkt mittig: Federsteife, rechts:
Schwingspuleninduktivität, jeweils über der Auslenkung aufgetragen [Kli01]
Der Klirrfaktor, der das Verhältnis der Leistung harmonischer Obertöne zu eines einzelnen
anregenden Sinustons angibt, ist zwar der bekannteste, für subjektive Einschätzungen aber
nicht der unbedingt relevanteste Kennwert zur Beschreibung von Nichtlinearitäten (s.
[Goo06]). Hörrelevant sind dagegen nichtharmonische Störprodukt wie Intermodulationver-
zerrungen, d.h. Summen- und Differenztöne, die entstehen, wenn Signalgemische auf
nichtlineare Kennlinien treffen. Aufgrund des fehlenden harmonischen Bezugs zum Aus-
gangssignal sind sie weitaus störender als harmonische Obertöne. Auch können kleine
mechanische Defekte, wie Partikel im Luftspalt, die zu deutlichen, scharrenden Geräusche
führen (sog. Rub’n’Buzz), über den THD kaum nachgewiesen werden. Aufgrund der einfa-
chen Messbarkeit, ist der THD trotzdem als Kennwert weit verbreitet (… und MF bietet keine
Multitonmessverfahren an). Im Allgemeinen werden Klirrfaktoren von unter 1% angestrebt,
eine Begründung für gerade diesen Wert lässt sich z.B. aus den Kurven spektraler Verde-
ckung herleiten. Im Beschallungsbereich werden auch schon mal 10% zur Bestimmung der
Dauerlastgrenze zugelassen [Goe99]. Der Klirrfaktor (vgl. KT-Labor Messtechnik) wird häufig
um die Angabe breitbandiger Störgeräusche zum THD+N ergänzt. Die Definitionen für Klirr-
faktors (in [%]) bzw. des THD (total harmonic distortion oder auch Klirrdämpfung) sei mit
100
1
2
2
2
xA
ArKlirrfakto
n
kk
n
kk
∑
∑
=
== in [%] bzw.
∑
∑
=
==n
kk
n
kk
A
ATHD
1
2
2
2
log20 in [dB] Gl. 15
gegeben. Für elektroakustische Geräte wie z.B. aktive Lautsprecher, ist nach DIN IEC
60268-2 oder der AES 17 anstatt Gleichung 15 das Verhältnis der Gesamtausgangsleistun-
gen jeweils mit bzw. ohne die Grundwelle zu bestimmen. Damit erhält man den THD+N
Wert. In MF’s THD+N(f)-Menü kann sowohl die Bezugsgröße, als auch die berechnete Ober-
ton/-Rauschleistung frei gewählt werden.
Für Lautsprecherchassis differieren die Herstellerangaben häufig stark bzgl. der Art der
Messung. Mal wird mit konstanter Eingangsleistung gemessen, mal mit diversen konstanten
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Schalldruckpegeln in einem unbekannten Abstand bei unbekannter Frequenz. Die zuständi-
ge Norm [DIN EN 60268-5] lässt allerdings keine Interpretationspielraum. Sie verlangt die
frequenzabhängige Auftragung des THDs über alle, bei Sinusnennbelastung, mit Gleitsinus-
tönen bis 5kHz messbaren Obertöne. Die wahrscheinlich ehrlichste Messung zur
Bestimmung der harmonisch-verzerrungsbedingten Belastbarkeit eines Lautsprechers ist die
des maximal erreichbaren Schalldruckpegels über der Frequenz für einen festgelegten THD
von z.B. 1%, 3% oder 10%. Zur Abschätzung des Arbeitsbereichs der im Labor verwendeten
Treiber genüge uns daher die Bestimmung des Frequenzbereichs relativ geringer Verzer-
rungswerte bei moderatem Pegel. Es soll lediglich der Frequenzverlauf harmonischer
Verzerrungsprodukte niedriger Ordnung (k2 und k3) bestimmt werden, um die Ent-
scheidungen bzgl. des spektralen Einsatzbereichs der Einzeltreiber zu unterstützen.
Abbildung 19 Impedanz- (links) und THD-Frequenzgang (rechts) des Hochtöners der Laborbox,
erkennbar ist der Zusammenhang zw. mechanischer Resonanzfrequenz und dem An-
stieg der harmonischen Verzerrungen (800-900Hz), oberhalb 2kHz stellen sich
annehmbare Werte <-40dB (~1%) ein, Eingangsleistung 1W
Im MF-Messmenü THD+N(f) wird dazu ein Anregungspegel eingestellt, der einer konstanten
elektrischen Leistungsabgabe von 1W entspricht und der Klirrfaktor für k2 und k3 in diskreten
Frequenzabständen (z.B. 1/24-Oktavabstand) bestimmt.
Belastbarkeit Das hochspannende Thema der mechanischen Kurz- und der thermischen Dauerbelastbar-
keit, und die damit verbundene Klärung der Frage „Wie lange kann den unsere Box nun wie
laut und wie gut klingt sie dann(ach) noch?“ lassen wir in diesem Labortermin aus Zeitgrün-
den völlig unbetrachtet. Der HD-2 Prozessor verfügt über eine zweistufige Thermo- & Peak-
Limitermimik, deren korrektes Einstellen jedoch aufwendige Belastungsmessungen an End-
stufen und Treibern verlangen würde. Interessierte seien auf das Kapitel 2 in [Mül99] oder an
unseren Mitarbeiter Frank Schultz verwiesen.
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3. Digitaltechnik zur Lautsprecherentzerrung
Mit den vorliegenden Frequenzgängen und Kennwerten können nun sinnvolle Arbeitsberei-
che der Einzeltreiber festgelegt und zum Weichenentwurf übergegangen werden. Dieser
letzte Abschnitt beschäftigt sich daher mit den Grundlagen und der praktischen Umsetzung
des digitalen Lautsprecherdesigns. Zur Entzerrung des Frequenzgangs von Lautsprechern
bieten sich Prozessoren zur digitalen Signalverarbeitung (DSPs) an. Ihre Struktur eignet sich
besonders zur effizienten Implementierung digitaler Filter, da diese sich aus lediglich drei
Elementen - Multiplizierern, Addierern und Verzögerungsstufen - aufbauen lassen. Anhand
ihres Blockschaltbilds lassen sich zwei Typen von digitalen Filtern rekursive (IIR-) und nicht
rekursive (FIR-) Filter unterscheiden.
IIR-Filter Entwurfsalgorithmen für IIR-Filter platzieren Pol- und Nullstellen in der komplexen Z-Ebene
während sie dabei ein meist quadratisches Fehlerkriterium bzgl. eines Wunschfrequenz-
gangs minimieren. Als Resultat erhält man eine gebrochen rationale Übertragungsfunktion in
z, die allgemein der Form
∑
∑
=
−
=
−
= N
n
nn
N
n
nn
za
zbzH
0
0)( Gl. 16
entspricht. Die b-Koeffizienten repräsentieren dabei die nichtrekursiven Zweige (Nullstellen in
der komplexen Ebene) und die a-Koeffizienten die rekursiven Zweige (Polstellen).
Abbildung 20 Blockschaltbild eines IIR-Filters
Durch die Rückkopplung der Ausgangswerte über die a-Koeffizienten ist die Impulsantwort
des Filters potentiell unendlich lang (Infinite Impulse Response). Aufgrund der durch die
Rückkopplungen entstehenden Polstellen sind IIR-Filter nicht immer stabil, benötigen dafür
allerdings bei gleicher Amplitudenvorgabe und unabhängig von dem zu beeinflussenden
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Frequenzbereich eine erheblich geringere Ordnung als FIR-Filter. Für Polynome zweiter
Ordnung ergibt sich die häufig benutzte Biquadstufe, mit der sich z.B. ein vollparametrisches
Filter, charakterisiert durch Frequenz, Güte und Verstärkung realisieren lässt (s. a. [Zöl05]).
FIR - Filter Das FIR-Filter erreicht seinen Amplitudenfrequenzgang lediglich durch Nullstellen in der
komplexen Ebene. Die Übertragungsfunktion ergibt sich daher aus Gl. 16 zu
∑=
−=N
n
nn zbzH
0
)( Gl. 17
FIR-Filter sind rückkopplungsfrei, ihre Ausgangwerte hängen nur von den Eingangswerten
ab und sind damit immer stabil. Die Impulsantwort besitzt eine endliche Länge (Finite Impul-
se Response) und ist gleich den Koeffizienten, deren Anzahl die Ordnung des Filters
bestimmt. FIR-Filter erlauben die getrennte Wahl von Betrag und Phase. Nach Vorgabe ei-
nes Betragsfrequenzgangs, können Phasenverläufe bzw. Gruppenlaufzeiten beliebig
eingestellt werden. Häufig werden FIR-Filter jedoch entweder minimalphasig, d.h. mit ge-
ringstmöglicher Phasenverzögerung aller Frequenzanteile oder linearphasig, d.h. mit
frequenzunabhängig konstanter Gruppenlaufzeit entworfen. Dem nachrichtentechnischen
Ideal des Diracstoßes kommen linearphasige Filter am nächsten. Ihre konstante Gruppen-
laufzeit, wird jedoch durch Akausalität der Impulsantwort bzw. ein erhöhte Grundlaufzeit
erkauft. In timingkritischen Bereichen (Live-Performance) sind sie daher evtl. in Lautspre-
chern nicht anwendbar.
Abbildung 21 Blockschaltbild eines FIR-Filters
Kurzeinführung ins Messprogramm Monkey Forest (RWTH Aachen, AAC Aachen)
Monkey Forest (MF) ist auf einem eigenen Messlaptop installiert und startet unter MS-DOS
(für Signalbearbeitung oder Hausaufgaben kann es auch in der Dosbox unter Windows ge-
startet werden). Für das Senden und Empfangen der Messsignale ist zudem eine Interface-
Karte vonnöten. Im Laborversuch wird ein PCMCIA-Interface verwendet (RME HDSP Multi-
face: 16 Kanäle, fs 44.1 kHz, 24 bit) zusammen mit einem analogen Frontend (‚ITA
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Robofrontend’) verwendet, welches Mikrophoneingänge mit vom Rechner aus umschaltbarer
Empfindlichkeit sowie einen kleinen Leistungsverstärker mit 2*25 Watt Leistung beinhaltet.
MF ist komplett ohne Maus bedienbar und arbeitet menüorientiert. Bei Drücken der Alt-Taste
erscheint die zur Menüauswahl (Einträge hier fett dargestellt) zu drückende Taste farblich
hervorgehoben. Die Parameter in den Menüeinstellungen sind (meist) auf sinnvolle Werte
voreingestellt und werden nach Verlassen des Programms abgespeichert. MF kann entwe-
der im Zeit- (time à STRG+t) oder im Frequenzbereich (magnitude à STRG+m) betrieben
werden. In beiden Modi sind alle wesentlichen Funktionen verfügbar, wie z.B. das Aussen-
den und der Empfang von Signalen über das Wandlersystem (AD/DA, ALT+a), das Laden
und Sichern (File, ALT+f) von Messdaten oder die Bearbeitung und Analyse von Signalen
(Edit, ALT+e). Im Zeitbereich werden Signale im Format NAME.DAT, im Frequenzbereich
unter NAME.SPK gespeichert (einfacher Tastendruck auf s) und mit entsprechend voreinge-
stellter Dateimaske (*.DAT bzw. *.SPK) auch zum Einlesen angeboten. Signale können in
mehreren Kanälen sowohl im RAM als auch auf Platte gespeichert werden.
Das Erzeugen neuer Kanäle sowie das Verknüpfen von Kanälen geschehen über das Menü
Edit=>channelwork. Es können weiterhin Zeit- oder Spektrums-Dateien in neue Kanäle zu
den bestehenden hinzu geladen werden oder mit diesen verknüpft werden (Edit=>Read Fi-
le). Bei allen Operationen ist darauf zu achten, ob diese sich auf einen oder alle Kanäle
beziehen sollen! Mit den Cursortasten kann einer von zwei Cursors über den Bildschirm
bewegt werden (Umschalten mit Leertaste); die Werte von Ordinate und Abszisse können
am unteren Bildschirmrand abgelesen werden. Mit den Tasten + und - kann der sichtbare
Ausschnitt der Zeit- bzw. Frequenzachse vergrößert oder verkleinert werde. Das vollständige
Zeitsignal oder Spektrum wird durch (SHIFT+e) von den Cursoren erfasst. Weitere Optionen
der Darstellung sind im Menü Display auswählbar, so z.B. die Skalierung der Ordinate. Es
empfiehlt sich, Dateien vor dem Speichern mit einem Kommentar zu versehen (k), um den
Inhalt nicht nur aus dem Dateinamen dechiffrieren zu müssen. MF bietet in der Dateiaus-
wahlbox die Möglichkeit, den Kommentar vor dem Laden (und Überschreiben des
Speicherinhaltes) zu sichten. Das Programm bietet weiterhin umfangreiche Möglichkeiten zur
Signalverarbeitung, wie z.B. die Filterung und Faltung von Signalen (Edit=>J-Filter). Durch
einen Blick in das Editier-Menü sowie die zahlreichen Untermenüs kann der anfangs etwas
verwirrend große Umfang der Funktionen in etwa abgeschätzt werden.
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