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Landwirtschaft und Naturschutz im Oberen Goms: Gemeinsamer Einsatz für das Braunkehl-chen Jahresbericht 2017
Petra Horch
Reto Spaar
Jahresbericht zu Handen der am Projekt beteiligten Be-
wirtschafter und der Dienststellen für Landwirtschaft und
für Wald und Landschaft des Kantons Wallis
Braunkehlchenförderung im Oberen Goms: Jahresbericht 2017 1
Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
Impressum
Landwirtschaft und Naturschutz im Oberen Goms: Gemeinsamer Einsatz für das Braunkehl-
chen. Jahresbericht 2017
Bericht zuhanden der am Projekt beteiligten Bewirtschafter und der Dienststellen für Landwirtschaft und für Wald
und Landschaft des Kantons Wallis.
Autoren
Petra Horch, Dr. Reto Spaar
Bestandsaufnahmen
Petra Horch (Projektleiterin)
Fotos (Titelseite)
Oben: Schlangenknöterichbestand (© Petra Horch); unten: blumenreiche, mittelfette Wiese (© Petra Horch)
Zitiervorschlag
Horch, P. & R. Spaar (2018): Landwirtschaft und Naturschutz im Oberen Goms: Gemeinsamer Einsatz für das
Braunkehlchen. Jahresbericht 2017. Schweizerische Vogelwarte, Sempach.
Kontakt
Petra Horch, Schweizerische Vogelwarte, Seerose 1, 6204 Sempach
Tel.: 041 462 97 00, 041 462 97 44 (direkt), Fax: 041 462 97 10, [email protected]
© 2018, Schweizerische Vogelwarte Sempach
Dieser Bericht darf ohne Rücksprache mit der Schweizerischen Vogelwarte Sempach weder als Ganzes noch
auszugsweise publiziert werden.
Braunkehlchenförderung im Oberen Goms: Jahresbericht 2017 2
Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung 3
1. Wirkungskontrolle Fördergebiete für das Braunkehlchen 3
1.1 Artenförderung Braunkehlchen im Goms 3
1.2 Methode und Kartierflächen 4
1.3 Ergebnisse Braunkehlchen 2017 6
Fördergebiet 37: Ritzingen Südhang 8
Fördergebiet 38: Reckingen Nordhang 9
Fördergebiet 40: Geschinen Südhang 10
Fördergebiet 41: Geschinen Nordhang 11
Vergleichsflächen Geschinen Tal, Ulrichen/Obergesteln Tal, Obergesteln Tal
und Oberwald 13
Kilometerquadrat aus dem Monitoring Häufige Brutvögel MHB Geschinen 16
2. Bestandsentwicklung des Braunkehlchens im Oberen Goms 17
3. Informationen zum Braunkehlchen 18
3.1 Kurze Beschreibung von Art und Bestandssituation in der Schweiz 18
3.2 Das Problem: Die heutige Grünlandbewirtschaftung 19
3.3 Die Lösung: Grossflächige Schutz- und Fördermassnahmen 20
4. Dank 21
5. Literatur 22
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Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
Zusammenfassung Das Artenförderungskonzept Vögel für den Kanton Wallis weist für das Braunkehlchen eine hohe kan-
tonale Handlungspriorität aus. Fördermassnahmen wurden im Oberen Goms umgesetzt, in dem „För-
dergebiete Braunkehlchen“ ausgewiesen und in die Vernetzungsprojekte aufgenommen wurden. Da-
mit ist auf diesen Flächen die Förderung des Braunkehlchens im Oberen Goms bis 2022 gesichert.
Die Vogelwarte begleitet die Umsetzung. 2017 führte sie in neun Monitoring-Flächen im Oberen Goms
Bestandsaufnahmen für das Braunkehlchen durch. Die Bestandsentwicklung im Oberen Goms weist
zwischen 2006 und 2017 eine fortschreitende Ausdünnung aus. Dies ist – sogar in verstärktem Masse
- auch in der Schweiz insgesamt zu beobachten.
Im Rahmen der Begleitung der Umsetzung des Vernetzungsprojekts führt die Vogelwarte das Monito-
ring im Oberen Goms 2018 weiter. Weil das Obere Goms für das Braunkehlchen eine grosse Bedeu-
tung hat und der Kanton für die Art eine hohe Handlungspriorität ausweist, müssen in den nächsten
Jahren weitere Fördermassnahmen entwickelt und vorbereitet werden, um den Braunkehlchenbestand
auch nach 2022 zu fördern.
1. Wirkungskontrolle Fördergebiete für das Braunkehl-chen
1.1 Artenförderung Braunkehlchen im Goms
2006 ergab die flächendeckende Erhebung des Braunkehlchenbestands im Gomser Talgrund zwi-
schen Niederwald und Oberwald, dass hier neben dem Bestand im Engadin der zweitwichtigste
Braunkehlchenbestand in der Schweiz vorkommt (Rey & Sierro 2007).
Ab 2009 wurde von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach gemeinsam mit den Dienststellen für
Landwirtschaft und für Wald und Landschaft sowie der Biobergkäserei Goms ein Pilotprojekt zur För-
derung des Braunkehlchens gestartet (Horch et al. 2010). 2011 erstellten die Dienststelle für Wald und
Landschaft des Kantons Wallis und die Vogelwarte gemeinsam ein Artenförderungskonzept Vögel für
den Kanton Wallis (Posse et al. 2011). In Anlehnung an das nationale Konzept zur Prioritätensetzung
im Vogelschutz (Keller et al. 2010b) wurden darin die für den Naturschutz im Wallis besonders wichti-
gen Vogelarten identifiziert. Für das Braunkehlchen wird eine hohe kantonale Handlungspriorität aus-
gewiesen. Konsequenterweise wurden in den letzten Jahren auch die Massnahmen zur Förderung
des Braunkehlchens im Oberen Goms ausgeweitet.
Tab. 1. Zusammenstellung der Vorgaben für „Fördergebiete Braunkehlchen“ (Fördergebiet = FG), der Zielwerte
und der effektiv erreichten Biodiversitätsförderflächen (BFF).
Vorgabe Zielwert Zielwert realisierte
Id Gemeinde(n), Stand Mai 2015 FG (ha) BFF (%) BFF (ha) BFF (ha)
37 Grafschaft, Reckingen-Gluringen 40 50 20 13
38 Reckingen-Gluringen 70 50 35 46
40 Münster-Geschinen 90 50 45 76
41 Münster-Geschinen, Obergoms 95 50 48 61
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Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
Das Vernetzungsprojekt im Oberen Goms (2014–2022) hat zu einer Sicherung von weiteren Biodiver-
sitätsförderflächen (BFF) für das Braunkehlchen und die Wiesenflora und -fauna geführt (buweg
2014), denn es vergrösserte die Perimeter der Fördergebiete. Wurde im Fördergebiet 38 Reckingen-
Gluringen (Braunkehlchenschutz ab 2011) eine Fläche von 18,5 ha als BFF angemeldet, so stieg die
Anforderung mit dem Vernetzungsprojekt und es wurden 46 ha angemeldet (Tab. 1). Das Förderge-
biet 40 Münster-Geschinen (Braunkehlchenschutz ab 2010) wuchs von 28,5 ha auf 76 ha (Tab. 1).
Zusätzlich konnten mit dem Vernetzungsprojekt zwei weitere Fördergebiete realisiert werden (Förder-
gebiete 37 und 41, Tab. 1). Damit sind in zwei weiteren Gebieten spätgeschnittene Flächen gesichert.
1.2 Methode und Kartierflächen
Für die Wirkungskontrolle der „Fördergebiete Braunkehlchen“ im Oberen Goms wurden neun Monito-
ring-Flächen kartiert (Tab. 2, Abb. 1). Bei den Monitoring-Flächen werden Fördergebiete mit und Ver-
gleichsflächen ohne Projekt für den Braunkehlchenschutz unterschieden.
Die Daten von 2006, als das ganze obere Goms nach Braunkehlchen abgesucht wurde, gelten als
Ausgangspunkt für die Wirkungskontrolle (Tab. 2).
Tab. 2. Monitoring-Flächen zur Wirkungskontrolle im Projekt „Braunkehlchenförderung im Oberen Goms“, Flä-
chen-Typ und Erhebungsjahre (blau). Ab 2008 wurden die Flächen Geschinen Südhang und Oberwald jährlich
gezählt. Auch die Fläche Obergesteln Tal wurde ab 2008 im Rahmen eines Projekts zur ökologischen Qualität
und Vernetzung von Ausgleichsflächen (Vorgänger Vernetzungsprojekte), für welches das Braunkehlchen eine
Zielart war, als Wirkungskontrolle bis 2012 jährlich gezählt. Ab 2013 wurde die Fläche Obergesteln Tal als Ver-
gleichsfläche behandelt und in einen zweijährigen Zählrhythmus überführt. Ab 2009 kamen die Flächen Geschi-
nen Tal und Ritzingen Südhang dazu. Um den Kartieraufwand etwas zu reduzieren, wurde die Fläche Oberwald
ab 2009 in einem zweijährigen Zählrhythmus bearbeitet. In den folgenden Jahren wurden Fördergebiete ab ihrer
Bezeichnung jährlich, verschiedene Vergleichsflächen jeweils alle zwei Jahre gezählt. 2011 wurden für eine Mas-
terarbeit alle Flächen gezählt, 2017 wurden ebenfalls alle Flächen gezählt.
Monitoring-Flächen Flächen-Typ
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Geschinen Südhang Fördergebiet (ab 2010)
Reckingen Tal Fördergebiet (ab 2011)
Ritzingen Hang Fördergebiet (ab 2015)
Geschinen Nordhang Fördergebiet (ab 2015)
Geschinen Tal Vergleichsfläche (ab 2009)
Obergesteln Tal Vergleichsfläche (ab 2012)
Obergesteln/Ulrichen Tal Vergleichsfläche (ab 2016)
Oberwald Vergleichsfläche (ab 2009)
Geschinen MHB Monitoring Häufige Brutvö-gel, Vergleichsfläche
Die 2011 für die Masterarbeit definierten Perimeter der Monitoring-Flächen für die Wirkungskontrolle
der „Fördergebiete Braunkehlchen“ wurden 2015 an die neue Situation, die durch das Vernetzungs-
projekt Oberes Goms entstanden ist, angepasst, d.h. teilweise vergrössert (Abb. 1).
Die Perimeter werden von Ende Mai bis Ende Juni möglichst vor Mahdbeginn je dreimal am frühen
Morgen besucht und nach der Methode Bibby et al. (2002) resp. Schmid (2010) auf einer vorgegebe-
nen Route abgeschritten.
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Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
Dies bedeutet:
Je drei Begehungen im Projektperimeter zwischen Morgengrauen und Mittag an Tagen ohne
viel Wind zwischen dem 25. Mai und dem 25. Juni. Fortbewegung auf den Strassen im Gebiet
im Schritt-Tempo und Erfassen aller Beobachtungen von Braunkehlchen. Zwischen den einzel-
nen Rundgängen sollten jeweils mindestens 7 Tage liegen.
Mit Beginn der Mahd verändert sich das Gefüge des lokalen Bestands: Durch die Mahd gehen
Bruten verloren. Untersuchungen im Engadin haben gezeigt, dass die meisten Weibchen das
Revier verlassen, d.h. viele Paare trennen sich (Schuler 2003, Grüebler et al. 2015b). Daraufhin
verschieben die Männchen ihr Revier oder wandern ebenfalls ab, z.B. in noch ungemähte Be-
reiche in der Nachbarschaft des ehemaligen Reviers. Durch den Neuankömmling verändert sich
die Revieraufteilung auch dort. Weil das Männchen mit Nestverlust eine neue Partnerin sucht,
singt es ausdauernd und wird bei einer Kartierung zu diesem Zeitpunkt auch am neuen Ort er-
hoben. Bei der Auswertung aller Kartierdaten wird aber auch das ursprüngliche Revier gezählt:
Es kommt damit zu einer Überschätzung des Bestands. Daher ist es wichtig, dass die Bege-
hungen beendet sind, bevor die Mahd im Gebiet zum ersten Mal startet.
Die Fläche 41 wird nach dem Beginn der Mahd im Tal noch ein viertes Mal begangen, um zu
klären, ob es hier nach Mahdbeginn im Tal zu Neuansiedlungen durch am ursprünglichen
Brutort ausgemähte Braunkehlchen kommt.
Alle Kontakte mit Braunkehlchen werden festgehalten: möglichst genauer Eintrag des Aufent-
haltsortes und des Verhaltens des Vogels auf der Kartierkarte.
Um die Rahmenbedingungen für die Braunkehlchen zu kennen, werden Vegetationshöhe bzw.
Mahdfortschritt in benachbarten, nicht unter Vertrag stehenden Gebieten pro Kartierrundgang
auf der Kartierkarte festgehalten.
Abb. 1. Übersicht der Monitoring-Flächen Braunkehlchen im Oberen Goms [© swisstopo (DV 351.5)].
Oberwald
Obergesteln Tal
Ulrichen/Obergesteln Tal
Geschinen Tal
Geschinen Südhang Geschinen Nordhang
Reckingen Tal
Ritzingen Südhang
Geschinen
MHB
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Mit der verwendeten Methode werden insbesondere revieranzeigende Verhaltensweisen, meist sin-
gende Männchen, erfasst. Es handelt sich um eine vergleichende Methode: die Anzahl festgestellter
Reviere ist von Jahr zu Jahr vergleichbar. Dies erlaubt Rückschlüsse über den Brutbestand. Trifft man
auf dem Rundgang auf Weibchen (oder im letzten Rundgang auf Familien mit Jungtieren), so wird
dies ebenfalls erfasst. Die Methode sieht aber nicht genügend lange Beobachtungszeiten vor, um
Aussagen über Verpaarungsrate, die Anzahl effektiver Bruten oder den Bruterfolg zu machen.
Eine ein Quadratkilometer grosse Fläche bei Geschinen wird im Rahmen des Projekts Monitoring
Häufige Brutvögel (MHB) seit 1999 jährlich kartiert (Tab. 2, Abb. 1, weitere Informationen zur Methode
siehe http://www.vogelwarte.ch/de/ projekte/ueberwachung/monitoring-haeufige-brutvoegel.html). Hier
werden neben dem Braunkehlchen auch alle anderen Brutvogelarten erfasst.
1.3 Ergebnisse Braunkehlchen 2017
Die Aktivitäten der Vogelwarte standen im Jahr 2017 ganz im Rahmen der Wirkungskontrolle. Zwei
Mitarbeiter der Vogelwarte führten die Kartierungen in allen acht Monitoring-Flächen durch (Abb. 2,
Abb. 3, Tab. 3). Auch die MHB-Fläche wurde kartiert.
Abb. 2. Übersicht der kartierten Monitoring-Flächen Braunkehlchen im Oberen Goms 2017: Fördergebiete 37–41,
siehe Tab. 3; KFGT = Vergleichsfläche Geschinen Tal, KFUT = Vergleichsfläche/Ulrichen/Obergesteln Tal,
KFOGT = Vergleichsfläche Obergesteln Tal, KFOWT = Vergleichsfläche Oberwald und MHB = Fläche Geschinen
des Monitorings Häufige Brutvögel MHB (blau) [© swisstopo (DV 351.5)].
KFOGT
KFUOT
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40
38 37
MHB
KFOWT
KFGT
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Tab. 3. Resultate der Braunkehlchenkartierungen 2017 im Oberen Goms (n Reviere = Anzahl Reviere; n Rev/10
ha = Revierdichte pro 10 Hektaren). MHB: Monitoring Häufige Brutvögel.
Monitoring-Fläche Flächen-Typ
(ab 2015)
Perimeter-
grösse (ha)
n Reviere n Rev/10 ha
(Dichte)
Ritzingen Südhang Fördergebiet 37 76,9 22 2,86
Reckingen Nordhang Fördergebiet 38 52,9 28 5,29
Geschinen Südhang Fördergebiet 40 107,1 43 4,01
Geschinen Nordhang Fördergebiet 41 106,4 7 0,66
Geschinen Tal Vergleichsfläche KFGT 67,7 12 1,77
Ulrichen/Obergesteln Tal Vergleichsfläche KFUT 39,6 13 3,29
Obergesteln Tal Vergleichsfläche KFOGT 28,6 4 1,40
Oberwald Vergleichsfläche KFOWT 66,4 18 2,71
Geschinen Vergleichsfläche MHB 100,0 10 1,00
TOTAL Reviere 645,6 147 2,28
Abb. 3. Übersicht über den Braunkehlchenbestand 2017 in den Gomser Flächen (Anzahl Reviere) und die ent-
sprechenden Besiedlungsdichten (Anzahl Reviere/10 ha).
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Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
Fördergebiet 37: Ritzingen Südhang
Da erst wenige Flächen als Biodiversitätsförderflächen im Vernetzungsprojekt angemeldet wurden
(Abb. 4, gelb eingefärbte Flächen), profitierte erst eine Minderheit der Braunkehlchen (10 von 28 Re-
vieren) in Ritzingen von Flächen mit einem Braunkehlchen-freundlichen Schnittregime vom 15. Juli
(Abb. 4). Es braucht in diesem Fördergebiet dringend weitere Flächen mit einem Nutzungszeitpunkt
ab dem 15. Juli. Die Dichte der Braunkehlchenreviere schwankt stark von Jahr zu Jahr (Abb. 5).
Abb. 4. Fördergebiet 37, Ritzingen Südhang: Mittelpunkte der Braunkehlchenreviere 2017 (grün), Puffer von 35 m
(rot gestreift), Perimeter Untersuchungsfläche (orange Linie) und Vertragsflächen Vernetzungsprojekt (hellgrün)
[SWISSIMAGE © swisstopo (DV 043734)].
Abb. 5. Entwicklung der Braunkehlchendichte in der Fläche Ritzingen Südhang 2006–2017 (Anz. Reviere pro 10
Hektaren). Jährlich aufeinander folgende Kartierergebnisse sind verbunden.
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Fördergebiet 38: Reckingen Nordhang
Die Biodiversitätsförderflächen im Fördergebiet Reckingen hängen zusammen und erreichen mehr als
50 % der Perimeterfläche (Abb. 6), und die Dichte der Braunkehlchenreviere ist hoch und stabil
(Abb. 7). Die Verteilung der Braunkehlchenreviere und die Vernetzungsprojektflächen überlagern sich
zu einem grossen Teil. Falls die geplante Deponie im nördlichen Bereich des Untersuchungsperime-
ters realisiert wird, wird dies zu einer Entwertung (Transport und Aufschüttung von Material) und mit
der Zeit zu einer Zerstörung dieses Teils des Untersuchungsperimeters führen. Die Ergänzung durch
eine Ersatzfläche wird diskutiert (Horch & Spaar 2016).
Abb. 6. Fördergebiet 38, Reckingen Nordhang: Mittelpunkte der Braunkehlchenreviere 2017 (grün), Puffer von
35 m (rot gestreift), Perimeter Untersuchungsfläche (orange Linie) und Vertragsflächen Vernetzungsprojekt (hell-
grün) [SWISSIMAGE © swisstopo (DV 043734)].
Abb. 7. Entwicklung der Braunkehlchendichte in der Fläche Reckingen Nordhang 2006–2017 (Anz. Reviere pro
10 Hektaren). Jährlich aufeinander folgende Kartierergebnisse sind verbunden.
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Fördergebiet 40: Geschinen Südhang
Über 50 % der Perimeterfläche Geschinen Südhang hat einen Schnittzeitpunkt nach dem 15. Juli. Die
Überschneidung mit den Braunkehlchenrevieren ist dementsprechend gut (Abb. 8).
Das Angebot an Flächen mit einem späten Schnittzeitpunkt ist inzwischen so gross, dass wir eigent-
lich mehr Braunkehlchenreviere erwarten würden. Der Braunkehlchenbestand liegt im Vergleicht zu
2009–2011 tiefer, hat sich aber seit 2012 auf tieferem Niveau stabilisiert (Abb. 9).
Abb. 8. Fördergebiet 40, Geschinen Südhang: Mittelpunkte der Braunkehlchenreviere 2017 (grün), Puffer von
35 m (rot gestreift), Perimeter Untersuchungsfläche (orange Linie) und Vertragsflächen Vernetzungsprojekt (hell-
grün) [SWISSIMAGE © swisstopo (DV 043734)].
Abb. 9. Entwicklung der Braunkehlchendichte in der Fläche Geschinen Südhang 2006–2017 (Anz. Reviere pro 10
Hektaren). Jährlich aufeinander folgende Kartierergebnisse sind verbunden.
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Fördergebiet 41: Geschinen Nordhang
Im Unterschied zu den anderen Flächen wurde das Fördergebiet 41, Geschinen Nordhang, 2017 wie-
derum viermal kartiert, um eine späte Besiedlung durch Braunkehlchen, deren Nester auf anderen
Flächen ausgemäht wurden, festzustellen. Die Fläche liegt im Schatten der Bergkette und hat wegen
ihrer Nordausrichtung ein späteres Vegetationswachstum als z.B. Geschinen Südhang. Damit entwi-
ckeln sich auch Insekten und Wirbellose verzögert. Weil die Bergflanke relativ steil ansteigt und be-
waldet ist, sind die Wiesenflächen am Talgrund hier aus der Sicht eines Wiesenbrüters recht beengt.
Insgesamt also keine besonders ideale Fläche für die Braunkehlchenförderung, was sich in der tiefen
Besiedlungsdichte von 0,7 Reviere/10 ha zeigt (Tab. 3, Abb. 3, Abb. 10, Abb. 11).
Diese Fläche könnte künftig an Bedeutung gewinnen, weil Braunkehlchen, die auf landwirtschaftlichen
Gunstlagen im Tal einen Brutversuch wagen und das Nest durch die Mahd verlieren, in den spät ge-
schnittenen Wiesen ein Ersatznest anlegen könnten. Mit einer vierten Kartierung Anfang Juli, als erste
Flächen im Tal bereits erstmals gemäht waren, wollten wir feststellen, ob es zu solchen Umsiedlungen
kommt. Von den sechs Revieren wurde tatsächlich eines erst bei der vierten Kartierung festgestellt. Es
handelte sich um ein Männchen, das sich allerdings auf einer Wiese ansiedelte, welche nicht fürs
Projekt angemeldet war und daher auch nicht durch einen späten Mahdzeitpunkt gesichert war (Abb.
12).
Damit im Fördergebiet 41 auch spätere Bruten (Ersatzbruten) erfolgreich aufkommen könnten, müss-
ten Flächen, die zur Förderung des Braunkehlchens angemeldet werden, nicht vor dem 5. August
gemäht werden. Nur so wäre gewährleistet, dass ein Anfang Juli angelegtes Nest bis zum Flüggewer-
den der Jungen in einer ungemähten Wiese liegt.
Abb. 10. Fördergebiet 41, Geschinen Nordhang: Mittelpunkte der Braunkehlchenreviere 2017 (grün, blau umran-
detes Revier ein unverpaartes Männchen, das sich erst nach dem 24. Juni ansiedelte), Puffer von 35 m (rot ge-
streift) und Vertragsflächen Vernetzungsprojekt (hellgrün) [SWISSIMAGE © swisstopo (DV 043734)].
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Abb. 11. Entwicklung der Braunkehlchendichte in der Fläche Geschinen Nordhang 2007–2017 (Anz. Reviere pro
10 Hektaren). Der Perimeter wird seit 2015 bearbeitet. Jährlich aufeinander folgende Kartierergebnisse sind ver-
bunden.
Abb. 12. Blumenwiesen im zentralen Bereich des Perimeters Geschinen Nordhang am 20. Juni 2017. Diese Flä-
chen sind nicht für einen späten Schnitt-Termin angemeldet.
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Vergleichsflächen Geschinen Tal, Ulrichen/Obergesteln Tal, Obergesteln Tal und Oberwald
Um abzuschätzen, ob es bei der Entwicklung der Braunkehlchenbestände einen Unterschied gibt
zwischen den Fördergebietsflächen und weiteren Gebieten, die zwar von Braunkehlchen besiedelt
werden aber bisher nicht als Fördergebiete für die Braunkehlchen bezeichnet wurden, kartieren wir
jedes, Jahr mindestens zwei Vergleichsflächen im Tal. 2017 wurden alle vier Vergleichsflächen bear-
beitet (Abb. 13–19). Während der Bestand auf den Vergleichsflächen Geschinen Tal und Obergesteln
Tal leicht rückläufig verläuft, weisen die Vergleichsflächen Ulrichen/Obergesteln Tal und Oberwald
einen zwar schwankenden, aber insgesamt recht ausgeglichenen bis leicht ansteigenden Bestand auf.
Obschon es sich bei den Vergleichsflächen nicht um „Fördergebiete Braunkehlchen“ handelt, sind die
Vorkommen dichter als im Fördergebiet Geschinen Nordhang (Abb. 10, Abb. 3).
Abb. 13. Vergleichsfläche Geschinen Tal: Mittelpunkte der Braunkehlchenreviere 2017 (grün), Puffer von 35 m
(rot gestreift) und Vertragsflächen Vernetzungsprojekt (hellgrün) [SWISSIMAGE © swisstopo (DV 043734)].
Braunkehlchenförderung im Oberen Goms: Jahresbericht 2017 14
Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
Abb. 14. Entwicklung der Braunkehlchen-Revierdichten in der Fläche Geschinen Tal 2006–2017 (Anzahl Reviere
pro 10 Hektaren). Jährlich aufeinander folgende Kartierergebnisse sind verbunden.
Abb. 15. Vergleichsflächen Ulrichen/Obergestlen Tal (links und Obergesteln Tal (rechts): Mittelpunkte der Braun-
kehlchenreviere 2017 (grün), Puffer von 35 m (rot gestreift)) [SWISSIMAGE © swisstopo (DV 043734)].
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Geschinen Tal
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Abb. 16. Entwicklung der Braunkehlchen-Revierdichten in der Fläche Ulrichen/Obergesteln Tal 2006–2017 (An-
zahl Reviere pro 10 Hektaren). Jährlich aufeinander folgende Kartierergebnisse sind verbunden.
Abb. 17. Entwicklung der Braunkehlchen-Revierdichten in der Fläche Obergesteln Tal 2006–2017 (Anzahl Revie-
re pro 10 Hektaren). Jährlich aufeinander folgende Kartierergebnisse sind verbunden.
Abb. 18. Entwicklung der Braunkehlchen-Revierdichten in der Fläche Oberwald Tal 2006–2017 (Anzahl Reviere
pro 10 Hektaren). Jährlich aufeinander folgende Kartierergebnisse sind verbunden.
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Oberwald Tal
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Abb. 19. Vergleichsfläche Oberwald: Mittelpunkte der Braunkehlchenreviere 2017 (grün), Puffer von 35 m (rot
gestreift)) [SWISSIMAGE © swisstopo (DV 043734)].
Kilometerquadrat aus dem Monitoring Häufige Brutvögel MHB Geschinen
Das Kilometerquadrat Geschinen MHB wird seit 1999 jährlich bearbeitet, und es wurden jeweils zwi-
schen 10 und 18 Reviere nachgewiesen (Tab. 4, Abb. 20).
Tab. 4. Jährliche Revierzahlen zum Monitoringquadrat Häufige Brutvögel MHB Geschinen.
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Abb. 20. Entwicklung der Braunkehlchen-Revierdichten in der Vergleichsfläche Geschinen MHB 2006–2016 (An-
zahl Reviere pro 10 Hektaren). Jährlich aufeinander folgende Kartierergebnisse sind verbunden.
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MHB Geschinen
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Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
2. Bestandsentwicklung des Braunkehlchens im Oberen Goms
Da nicht alle Untersuchungsgebiete jedes Jahr gezählt werden und da sich die Grösse einiger Unter-
suchungsflächen im Laufe der Zeit verändert hat (Tab. 5), kann die Bestandsentwicklung im Goms
von 2006 bis 2017 nur in Form eines Modells der Revierdichte dargestellt werden. Obschon Bestände
von Kleinvögeln natürlicherweise von Jahr zu Jahr um bis zu 30% schwanken können, zeigt Abb. 21,
dass der Braunkehlchen-Bestand im Oberen Goms zwischen 2006 und 2017 stetig etwas ausdünnt.
Daraus folgern wir, dass die Massnahmen noch nicht ganz zielführend sind und dass weitere Förder-
massnahmen geprüft werden sollten. Besonders die Bestände in Ritzingen Südhang, Geschinen Tal
und im MHB Geschinen sind zwischen 2011 und 2017 um mehr als 50% rückläufig.
Tab. 5. Bestandsentwicklung des Braunkehlchens in allen 9 Monitoringflächen von 2006 bis 2017. Jahre, in wel-
chen keine Kartierung stattfand, sind grau hinterlegt.
R/10 ha 2006
R/10 ha 2007
R/10 ha 2008
R/10 ha 2009
R/10 ha 2010
R/10 ha 2011
R/10 ha 2012
R/10 ha 2013
R/10 ha 2014
R/10 ha 2015
R/10 ha 2016
R/10 ha 2017
Ritzingen Südhang 5,73 3,06 4,33 5,99 4,08 4,97 4,97 3,64 2,86
Reckingen Nordhang 6,56 6,37 4,44 5,02 5,21 5,02 5,10 5,29
Geschinen Südhang 5,19 4,43 5,73 6,05 5,51 3,13 3,24 2,05 3,67 3,08 4,01
Geschinen Tal 2,81 2,36 4,88 4,73 2,36 1,48 3,40 1,77
Geschinen Nordhang 1,60 0,88 0,56 0,66
MHB Geschinen 1,30 1,10 1,60 2,00 1,80 2,00 1,80 2,00 1,20 1,10 1,40 1,00
Ulrichen-Oberge. Tal 3,79 2,78 1,26 3,29
Obergesteln Tal 2,74 1,99 1,00 1,99 1,75 1,99 1,99 1,75 1,40
Oberwald Tal 2,11 1,96 1,36 1,21 2,57 2,72 2,72
Abb. 21. Bestandsentwicklung des Braunkehlchens im Goms von 2006 bis 2017 (Revierdichte RV/ha). Schwarze
Linie: Modellvorhersage (generalized linear mixed model, Regressionslinie) über alle Untersuchungsgebiete;
grauer Bereich: 95 % credible interval.
Braunkehlchenförderung im Oberen Goms: Jahresbericht 2017 18
Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
3. Informationen zum Braunkehlchen
3.1 Kurze Beschreibung von Art und Bestandssituation in der Schweiz
Das Braunkehlchen ist ein insektenfressender, am Boden von Wiesen brütender Singvogel (Abb. 22).
Ab April kehrt das Braunkehlchen aus den Winterquartieren in den Savannen Afrikas in die Brutgebie-
te in Mitteleuropa zurück. Im Goms bilden sich ab Ende Mai Paare. Das Nest wird in kleineren Boden-
vertiefungen in Wiesen und an Abhängen oder Wegborden angelegt. Der Nestbau dauert wenige Ta-
ge. Ab Anfang Juni bis Mitte Juni legt das Weibchen pro Tag ein türkisfarbenes Ei, insgesamt sind es
5–7 Eier (Abb. 24). Die Bebrütung dauert 11–13 Tage, das Weibchen brütet allein. Nach dem Schlüp-
fen kümmern sich beide Eltern um die Jungen. 11–14 Tagen später verlassen die Jungen das Nest.
Da sie aber noch nicht flugfähig sind, verstecken sie sich weiterhin in Nestnähe in der Wiese. Mit 19–
21 Tagen sind sie voll flugfähig. Die frühesten Familien sind in Geschinen ab 2. Woche Juli zu be-
obachten. Die Mehrheit ist um den 20. Juli flügge. Nach dem Flüggewerden der Jungvögel hält sich
der Familienverband noch weitere 2–4 Wochen in der näheren und weiteren Umgebung des Brutortes
auf, dann verlassen die Braunkehlchen das Brutgebiet. Das Braunkehlchen bevorzugt einmal gemiste-
te Wiesen. Wichtig ist, dass es in der Wiese einzelne, überstehende Krautpflanzen oder Warten gibt,
die als Sing- und Jagdwarten genutzt werden können. Solange Struktur- und Insektenreichtum einer
Wiese stimmen, besiedelt das Braunkehlchen auch intensiver genutzte Wiesenflächen. Bruterfolg
stellt sich aber nur ein, wenn die Wiese nicht zu früh genutzt wird. Ein Braunkehlchenpaar nutzt schät-
zungsweise eine Fläche von ca. 1 ha Grösse. Braunkehlchen brüten zudem gerne in kleineren bis
grösseren Gruppen. Um einen lokalen Braunkehlchenbestand effektiv zu fördern, braucht es daher
zusammenhängend spät gemähte Wiesenflächen für ca. 20 Paare, was bei einer derzeit maximalen
Brutpaardichte von 5 Paaren pro 10 ha eine Fläche von mind. 40 ha Wiesenfläche bedeutet.
Abb. 22. Braunkehlchenmännchen: Gut zu erkennen an der bräunlich-orangen Kehle und dem weissen Überau-
genstreif (© Markus Jenny).
Der Bestand zeigt in der Schweiz seit Mitte des letzten Jahrhunderts infolge der Mechanisierung der
Landwirtschaft einen massiven Rückgang. Dieser geht ungebremst weiter, wie der Bestandesindex
Braunkehlchen zeigt (Abb. 23). Auf der Roten Liste der Brutvögel der Schweiz wird das Braunkehl-
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Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
chen seit 2010 als „verletzlich“ (VU, vulnerable) eingestuft (Keller et al. 2010a). Es sind kaum noch
Brutgebiete unterhalb von 800 m besetzt. Auch in mittleren Lagen und in Tallagen der Alpen zeigen
sich je nach Exposition und Intensivierungsgrad der Grünlandbewirtschaftung rückläufige Tendenzen.
Abb. 23. Bestandsindex Braunkehlchen Schweiz. Der Wert für das Jahr 2000 ist auf 100 gesetzt (© Schweizeri-
sche Vogelwarte, 2016).
Die Schweizerische Vogelwarte Sempach und der Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz ha-
ben 2003 ein Mehrjahresprogramm zur Förderung gefährdeter Arten in der Schweiz gestartet. Dieses
Programm „Artenförderung Vögel Schweiz“ wird in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für
Umwelt BAFU durchgeführt. Die Vogelwarte und der SVS/BirdLife Schweiz haben jene 50 Vogelarten
identifiziert, welche Artenförderungsprogramme dringend benötigen (sogenannte Prioritätsarten; Keller
et al. 2010b) und aufgezeigt, welche Faktoren die Bestände gefährden und mit welchen Massnahmen
sie gefördert werden können (Spaar et al. 2012). Das Ziel des Programms ist es, diese Arten in über-
lebensfähigen Populationen in der Schweiz zu erhalten. Das Braunkehlchen ist eine dieser 50 priori-
tätsarten für Artenförderung. Schon seit 2001 behandelt die Vogelwarte das Braunkehlchen als priori-
täre Art für ihre Förderprogramme und setzt regional Fördermassnahmen für das Braunkehlchen um
(Horch et al. 2008, Horch & Spaar 2015).
3.2 Das Problem: Die heutige Grünlandbewirtschaftung
Bestandsentwicklungen bei Wiesenbrütern wie dem Braunkehlchen hängen stark von der Intensität
der landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsmethoden ab. Im Frühling/Sommer 2011 untersuchten wir im
Oberen Goms das Konfliktpotenzial zwischen dem Brutverlauf (Brutphänologie) beim Braunkehlchen
und dem Mahdablauf auf sieben unterschiedlich exponierten Flächen (zwei Hangflächen in Südaus-
richtung, drei Talflächen, zwei Hangflächen in Nordausrichtung; Strebel et al. 2011). Unsere Studie
zeigt, dass der Mahdzeitpunkt und nicht der Brutablauf des Braunkehlchens das Konfliktpotenzial
bestimmt. Die Braunkehlchen treffen in den verschiedenen Untersuchungsflächen im ganzen Oberen
Goms gleichzeitig ein. In den höher gelegenen Talflächen in Oberwald wird nicht später mit dem Brü-
ten begonnen als z.B. in Ritzingen. Hingegen zeigte sich, dass die nach Norden ausgerichteten Hang-
lagen erst leicht später besiedelt werden, was mit der Beschattung, späterer Schneeschmelze und
einem etwas verzögerten Vegetationswachstum erklärt werden kann. Wir beschränkten unsere Unter-
suchungen auf Bruten, die möglichst früh in der Saison gestartet wurden, d.h. später begonnene Bru-
ten wurden nicht berücksichtigt. Es zeigte sich, dass das Konfliktpotenzial zwischen landwirtschaftli-
cher Bewirtschaftung und dem Bruterfolg bereits bei diesen frühen Bruten in den intensiver bewirt-
schafteten, relativ zeitig im Frühjahr gemähten Flächen im Talboden am höchsten ist (z.B. Geschinen
Braunkehlchenförderung im Oberen Goms: Jahresbericht 2017 20
Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
Tal). In Wiesen in Hanglage mit Südausrichtung war es (noch) relativ gering. Die Untersuchung zeigt
weiter, dass der Konflikt negative Auswirkungen auf die Brutdichte und damit auch den Bestand des
Braunkehlchens hat: Gebiete mit einem hohen Konfliktpotenzial zeigen mit der Zeit eine geringere
Braunkehlchen-Revierdichte.
Das Braunkehlchen ist ein relativ ortstreuer Brutvogel. Die Männchen kehren jedes Jahr in das Brut-
gebiet zurück, in welchem sie zuvor erfolgreich brüten konnten, und versuchen dort erneut, Nach-
wuchs grosszuziehen (Bastian & Bastian 1996), auch wenn sich inzwischen die Bewirtschaftung der
Wiese verändert hat. Wird gemäht bevor die Jungen geschlüpft sind, können nicht nur Gelege zer-
stört, sondern sogar brütende Weibchen getötet werden. Weibchen haben darum auch eine höhere
Mortalität während der Brutzeit als Männchen (Grüebler et al. 2008). Da mit den meisten gebräuchli-
chen Monitoringmethoden vor allem singende Männchen dokumentiert werden, fällt das Fehlen von
Weibchen nicht unbedingt auf – erst wenn auch die Männchen nicht mehr zurückkehren, wird der
negative Effekt der Intensivierung bemerkt. Die Auswirkungen auf die Bestände der Braunkehlchen
werden also verzögert festgestellt und sind dann oft nicht mehr umkehrbar. Deshalb sind Schutz- und
Fördermassnahmen dort nötig, wo das Braunkehlchen noch in guten Beständen vorkommt.
3.3 Die Lösung: Grossflächige Schutz- und Fördermassnahmen
Ein später Mahdzeitpunkt ist eine wirksame Schutzmassnahme für die Braunkehlchenbestände im
Oberen Goms, wie die Erfolgskontrolle zeigt. Das vom Bund für extensiv genutzte Flächen vorgege-
bene Mahddatum vom 15. Juli, das die Vogelwarte für Braunkehlchenfördergebiete anwendet und das
auch für die Verträge im Vernetzungsprojekt Anwendung findet, räumt dem grössten Teil der Braun-
kehlchenpaare genügend Zeit für eine erfolgreiche Aufzucht der Jungen ein (Horch & Spaar 2015).
Was geschieht während einer Intensivierung der Grünlandbewirtschaftung mit den Wiesen und welche
Schutz- und Fördermassnahmen für das Braunkehlchen sind langfristig erfolgreich? Grüebler et al.
(2015a) stellten dies in einem Modell dar: In frühen Stadien der Intensivierung der Grünlandbewirt-
schaftung, wenn erst wenige Flächen intensiver bewirtschaftet werden, wirkt sich die Mahd gut er-
kennbar unmittelbar negativ auf den Braunkehlchenbestand aus: Nester werden durch den Mäher
zerstört. Rückt der Mahdtermin noch weiter vor, werden auch brütende Weibchen auf dem Nest getö-
tet (s. zweiter Abschnitt 3.2). Theoretisch könnte dieser Konflikt zwischen Bodenbrüter und Grünland-
bewirtschaftung mit Nesterschutz gelöst werden. Die Intensivierung der Grünlandbewirtschaftung hat
jedoch auch indirekte Effekte wie bspw. die Veränderung der floristischen Zusammensetzung der
Wiesen in grasreichere, höher und dichter wachsende Bestände. Dadurch nehmen das Angebot an
Insekten und Wirbellosen und ihre Erreichbarkeit für die Vögel ab. Konzentriert man sich in der Braun-
kehlchenförderung nur auf den Nesterschutz, bleiben diese Veränderungen des Lebensraums und
seiner Qualität unberücksichtigt. Die schleichende Lebensraumverschlechterung scheint zuerst un-
wichtig, denn die Braunkehlchen brüten erfolgreich, kehren also im Folgejahr zurück und ihr Nest wird
wiederum geschützt. Aber das Jahr kommt, in dem sich das Grünland so stark verändert hat, dass es
sich für die Braunkehlchen gar nicht mehr als Lebensraum eignet, weil sie darin nicht mehr genügend
Nahrung für ihre Jungen und sich selber finden. Daher verlangt umfassende, langfristig erfolgreiche
Braunkehlchenförderung eine Grünlandbewirtschaftung, die mindestens 50 % der Fläche extensiv
bewirtschaftet, also weder Düngung noch Bewässerung oder artenarmen Ansaaten von Kunst- oder
Futterwiesen zulässt.
Im Rahmen des Vernetzungsprojekts dürfen in den Fördergebieten für Braunkehlchen im Goms so-
wohl extensiv genutzte Wiesen (keine Düngung, keine Bewässerung) wie auch wenig intensiv genutz-
te Wiesen (Düngung mit maximal 30 kg verfügbarem Stickstoff in Form von Mist oder Kompost; Aus-
nahme bei Vollgüllesystemen: verdünnte Vollgülle in kleiner Gabe bis maximal 15 kg pro ha und Ga-
be, jedoch nicht vor dem ersten Schnitt) angemeldet werden. Es besteht ein absolutes Kunstdünger-
verbot. Die botanische Qualität darf sich in den Vertragsjahren nicht verschlechtern, und vorhandene
Braunkehlchenförderung im Oberen Goms: Jahresbericht 2017 21
Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
Strukturelemente müssen erhalten werden. Allerdings ist bekannt, dass sich die botanische Zusam-
mensetzung der Wiesen unter Düngereintrag, also auch der wenig intensiv genutzten Wiesen, ändert
und die Artenvielfalt abnimmt (Roth et al. 2013, Bosshard 2015).
4. Dank Wir danken den kantonalen Dienststellen für Landwirtschaft und für Wald und Landschaft für die gute,
langjährige Zusammenarbeit sowie allen Landwirten, die bereit waren und sind, Massnahmen für die
Förderung des Braunkehlchens zu realisieren. Ein besonderer Dank gilt der Biobergkäserei Goms, die
von Anfang an Interesse an der Braunkehlchenförderung zeigte. Einzelne ihrer Mitglieder beteiligen
sich seit 2010 am Projekt.
Danken möchten wir zudem den Mitarbeitern des Ökobüros buweg für den Informationsaustausch im
Zusammenhang mit dem Vernetzungsprojekt Oberes Goms.
Ein herzliches Dankeschön geht auch an die Marion Jean Hofer-Woodhead-Stiftung, welche die Ar-
tenförderung Braunkehlchen Goms 2017 finanziell unterstützten und damit unsere Aktivitäten über-
haupt möglich machte.
Abb. 24. Braunkehlchen-Gelege, das für die Studie von 2011 entdeckt wurde (© Schweizerische Vogelwarte).
Braunkehlchenförderung im Oberen Goms: Jahresbericht 2017 22
Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2018
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