Lars machen Pause Kutscher - Gueti Gschichte · 2016. 10. 31. · Untermieter Werner ist sehr...

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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 40 Zermatts letzter Kutscher Seit 42 Jahren chauffiert WERNER IMBODEN mit seinem Pferde-Taxi Gäste. Er liebt seine Rösser, obwohl sie ihn einst fast tot trampelten. Ende Jahr steigt er nun endgültig vom Kutschbock. Ein Team Werner Imboden, 57, und sein Ross Monsieur Lars machen Pause auf dem Weg von Zer- matt hoch zum Furi.

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    Zermatts letzter Kutscher

    Seit 42 Jahren chauffiert WERNER IMBODEN mit seinem Pferde-Taxi Gäste. Er liebt seine

    Rösser, obwohl sie ihn einst fast tot trampelten. Ende Jahr steigt er nun endgültig vom Kutschbock.

    Ein Team Werner Imboden, 57, und sein Ross Monsieur Lars machen Pause auf dem Weg von Zer-matt hoch zum Furi.

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    Rossnatur Seit dem Unfall mit einem Pferd vor 46 Jahren ist Werners Kopf de-formiert. Er trägt stets ein Wallis-Shirt und den alten Militärhut eines Offiziers.

    «Look, the Matterhorn, king of the mountains!» Während des Kutschierens erklärt Werner seinen Gästen ganz Zermatt.

    Kinderfreund Die Kleinen dürfen bei Werner ab und zu auf den Bock sitzen. Seit ein Kind herunterfiel, bindet er sie mit einem Hosengurt fest.

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    «Eines meiner Pferde taufte ich Beethov en. Es konnte so melodiös furzen» WERNER IMBODEN

    Untermieter Werner ist sehr tierlieb. Sogar das Mäuschen, das in seinem Stall wohnt, wird jeden Morgen begrüsst.

    Beflaggt Werners Frau Isabelle, 55, macht die Kutsche parat. Ja nie fehlen dürfen Schweizer- und Walliserfahne.

    Ross-Staubsauger Bevor die Pferde vor die Kutsche gespannt werden, wäscht, striegelt und staubsaugt sie Werner.

    Haupt-Mann Der alte Militär-hut eines Infanterie-Offiziers (ein Tschako, Ordonnanz 1898) ist Werners Markenzeichen.

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    Dorf-Original Bei den Touristen ist Kutscher Werner Kult. Er wird beim Vor-beifahren sogar abgeklatscht.

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    TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS REMO NÄGELI

    D ie zwei schwierigsten Dinge im Leben, sagt Werner Imboden, sind, die richtige Frau zu finden und ein gutes Pferd zu bekommen. Das mit der Frau hat geklappt, «eine Bernerin, aber eine flotte». Mit den Pferden dage gen hat Werner allerhand durchgemacht. Sie traten ihn als Bub fast tot, zertrümmerten seinen Kopf und zerstörten seine Lebenspläne. Um ihm dann ein neues, ganz anderes, aber unverhofft erfülltes Leben zu bescheren.

    Wer mit der Bahn im autofreien Zermatt ankommt und den Bahnhofplatz überquert, kann ihn unmöglich übersehen. Überhören schon gar nicht. Da steht er, mit Pferd und Kutsche, einparkiert zwischen Elektromobilen, und wartet auf Fahrgäste. Tätschelt sein Ross, pützelt die Karosse, wirbt singend «im Waaalllis!», verbeugt sich vor Touristen, neckt die Kinder und zwinkert den Damen zu. Werner Imboden, 58, mit WallisShirt, Sonnenbrille und dem alten Militärhut eines InfanterieLeutnants (ein Tschako, Ordonnanz 1898).

    16jährig fing er als Pferde TaxiFahrer an zu einer Zeit, als in Zermatt noch vierzig Fuhrwerke um Fahrgäste buhlten. Heute ist Imboden der letzte Kutscher im Ort, DorfOriginal, lebende Legen de, ProfiWalliser, BerufsZermatter. Er sagt: «Es heisst, ich sei ein Unikum.» Nicht mehr lange. Nach 42 Jahren spannt er sein Ross nun für immer aus.

    Man muss den Gästen etwas bieten, sagt Imboden, das fängt bei den Namen der Pferde an. Er stiefelt in den Stall und begrüsst

    seine zwei Rösser: «Güätu Morgu, Monsieur Lars, güätu Morgu, Charlie Chaplin.» Es ist sieben Uhr, Zermatt noch im Schatten, im Dorfkern, in einer Seitengasse, nahe einer Felswand, steht das Brantschenhaus Nummer 10. Der Schuppen davor ist mit alten, hölzernen Kutschenrädern dekoriert.

    Zuoberst im Haus, unter dem Dach, wohnt Familie Imboden, im Erdgeschoss befindet sich der Stall. Er veredle immer die Namen seiner Rösser, erzählt Imboden beim Ausmisten. Aus Lars, dem Freiberger, machte er Monsieur Lars, «der Herr ist drum ein wenig vornehm». Aus Charlie, dem Olden burger, wurde Charlie Chaplin, «weil er die Beine so lustig kreuzt, wenn wir anhalten». Früher zogen noch Mister Whiskey die Kutsche («Er lief etwas Slalom»), Wilma (ihr Fell ziert die Wand im Treppenhaus), Madame Elona (sie geniesst ihre Pension auf einem Bauernhof im Aargau) und dann natürlich der legendäre Beethoven. Ein taubes Ross? «Ein grandioser Komponist», sagt Imboden, «er konnte unerhört melodiös furzen.»

    Werner wäscht und striegelt seine zwei Pferde, spricht ihnen zu, streichelt sie. Schwalben zickzacken durch den Stall, Spatzen stibitzen vom Hafer, aus einem Loch in der Bretterwand gügselt eine Maus, Werner grüsst auch sie. Es dünkt ihn, seit seinem Unfall, seit in seinem Kopf drin alles anders ist, habe er einen feinen Draht zu Tieren, «und sie zu mir». Werner lächelt, in stillen Momenten wie diesem bekommt er diesen gläsernen Blick, die Augen irrlichtern herum, der Gesichtsausdruck wirkt seltsam, die Stirn irgendwie eingedrückt, die Schläfen deformiert. Nur eine Plastikplatte, erklärt Imboden, halte seit

    dem Unfall seinen Schädel noch zusammen.

    Der 6. April 1969 ist ein Ostersonntag. Der elfjährige Werner kümmert sich um die Pferde seines Vaters, Heinrich Imboden, der seit den 1950erJahren in Zermatt ein KutschenUnternehmen betreibt. Da schlägt eines der Pferde aus und trifft den Buben am Kopf. 13 Tage liegt Werner im Koma, er hat schwere Kopfverletzungen, die Ärzte bereiten die Eltern darauf vor, dass ihr Sohn sterben könnte. Doch der Bub wacht wieder auf. Werner selber merkt als Erster, dass in seinem Kopf, seinem Hirn drin, etwas anders ist. War er früher ein pfiffiger Bub, clever, gescheit, ein guter Schüler, so fällt es ihm jetzt schwer, sich Dinge zu merken. Er vergisst vieles sofort wieder; was er lernt, kann er nicht mehr im Kopf behalten. In der Schule kapiert er gar nichts mehr, wird drum einfach bis zur letzten Klasse mitgeschleppt. All seine beruflichen Pläne und Wünsche sind dahin.

    Mit 16 steigt Werner auf den Kutschbock und fährt künftig PferdeTaxi für seinen Vater.

    Es ist neun Uhr geworden. Imbodens essen Zmorge. Walliser Käse, Walliser Trockenfleisch, Walliser Roggenbrot, die Melasse, die sich Werner aufs Brot streicht, stammt nicht aus dem Wallis, er mag sie trotzdem. Natürlich sei er stolz, Walliser zu sein, natürlich sei es grossartig, Zermatter zu sein, beim schönsten Berg der Welt zu wohnen, sagt Imboden. Er ist der Ansicht, allein der Anblick des Matterhorns genüge, um die Menschen glücklich zu machen, «ich jedenfalls bin es, jeden Tag».

    Werners Frau Isabelle, 55, aus der Region Thun, kam vor 30 Jahren nach Zermatt in die Skiferien und lernte Werner kennen. 1992

    Werner 1975 Mit 16 Jahren beginnt er, als Kutscher im Fuhrunter-nehmen sei- nes Vaters zu arbeiten.

    Werner 2016 Seit 42 Jahren sitzt er auf dem Bock. Beide Fotos wurden auf dem Kirch-platz gemacht.

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    heiratete das Paar, die zwei Söhne David und Simon sind längst erwachsen. Isabelle … Den ganzen Tag über wird Imboden mit Verehrung von ihr erzählen. «Isabelle managt mich und mein Leben.» Man ahnt, dass ein Mann mit Plastikplatte im Schädel und Defiziten beim Hirnen sehr wohl weiss, was für ein Glück er mit dieser Frau hat.

    Seine Managerin hat inzwischen die Kutsche parat gemacht, eine Walliserfahne daran befestigt und die Schachtel mit den roten Schoggiherzen aufmunitioniert. Jeder Fahrgast bekommt eines geschenkt, umgekehrt flögen auch Werner die Herzen zu, weiss Isabelle. Viele Gäste, auffallend viele Frauen, erzählen ihrem Mann während der Fahrt aus ihrem Leben, vertrauen ihm ihre Sorgen und Nöte an, ja berichten gar von Krankheiten oder baldigem Sterben. «Es ist», sagt Isabelle, «als habe der Unfall meinen Mann feinsinniger gemacht, die Gäste spüren das, fühlen sich bei ihm verstanden.» Schicksalsschläge verbinden. Zudem, ganz praktisch gesehen, sind die Geheimnisse bei Werner gut aufgehoben: Er erinnert sich zwar an die Geschichten, nicht aber, wer sie ihm erzählt hat.

    Kaum hat Imboden Ross und Wagen (am Morgen ist Monsieur Lars dran, am Nachmittag dann Charlie Chaplin) auf dem Bahnhof platz parkiert und singt wie ein Marktschreier seinen Werbeslogan «im Waaalllis!», steigen die ersten Fahrgäste ein. Es gibt in Zermatt noch zwei HotelKutschen, diese befördern aber nur ihre eigenen Gäste, ein richtiges PferdeTaxi bietet nur Imboden an. 30 Minuten kosten 82 Franken, eine stündige Rundfahrt 140. Inklusive Werners Fremdenführerkommentare. Er weiss alles, kennt jedes Haus, er

    zählt über das 165jährige «Mont Cervin», zeigt das «Monte Rosa» von 1839, präsentiert den Bergsteigerfriedhof und aus irgendeinem Grund auch das Altersheim. Dazwischen lobpreist er im Minutentakt den Berg der Berge, «look, the king of the mountains». Sind Passanten seiner Kutsche im Weg, warnt Werner sie ganz speziell: Er pfeift den «Tüütaatoo»Dreiklang eines Postautos.

    Seine Dienste sind auch bei EheAnträgen beliebt. So wie gestern. Da (ver)führte er ein verliebtes Paar an einen schönen, stillen Ort, wo der Mann dann, etwas abseits der Kutsche, seiner Liebsten den Antrag machte. Normalerweise dauere dieser WillstdumichheiratenAkt um die 15 Minuten, weiss Werner aufgrund langjähriger Erfahrung. Als das gestrige Paar aber nach einer halben Stunde noch immer nicht zurückkam, schaute Werner nach. «Die zwei feierten das Jawort sehr lang und sehr, sehr innig.» Er selber müsse noch heute jedes Mal «es bitzi» weinen, wenn er so herzige Szenen miterleben darf.

    Ebenfalls viel Freude bereiten ihm die japanischen Touristinnen, deren Kimonos findet er wunderschön, und die Inderinnen in ihren Saris sähen aus wie Prinzessinnen. Längst nicht alle Damen sind galant. Da tanzte doch letzthin eine betrunkene Russin in seiner Kutsche – nackt! Zum Glück hat Werner immer eine grosse Wolldecke mit dabei.

    Der König von Spanien sass schon in Imbodens Kutsche, Schauspieler Kevin Costner, Ab

    baSängerin AnniFrid und der damalige französische Präsident Jacques Chirac. Das Problem sei, sagt Werner, dass er die Promis nie erkenne, immer erst nachträglich erfahre, wer das war. Nur den Ogi, den Bundesrat, den erkenne er immer.

    Sommers wie winters ist Werner unterwegs. Das Rossgeschirr schellt, Werner «tüütaatoot», die Touristen klatschen und fotografieren. Den Japanern ruft er «Konnichiwa!» zu (das heisse guten Tag) und «Aiaiaiiiii!» (das heisse nichts, töne aber lustig, und die Japaner hätten grausam Freude daran).

    Doch mit all dem soll nun Schluss sein. Das war Imbodens letzte Sommersaison, vielleicht macht er noch Weihnachten und Neujahr, dann ist fertig. Der Grund: Sein Wohnhaus samt Stall wird abgerissen. Imboden müsste seine Pferde künftig ausserhalb Zermatts einquartieren, aber das wäre zu umständlich, zu teuer. Also hört er auf. Was er danach arbeiten will, weiss er noch nicht. Mit 58 sei das nicht so einfach.

    Charlie Chaplin und Mon si eur Lars wird er weggeben. Mit einer Bedingung: Es muss ein auswärtiger Käufer sein. Er würde es nicht ertragen, sagt Werner, seine Rössli hier im Dorf zu sehen und nicht mit ihnen herumfahren zu dürfen. Denn er vergesse ja viel, sagt Werner und klopft sich mit den Fingerknödli auf die Stirn, hinter der eine Plastikplatte seinen Schädel zusammenhält, «aber an meine Rössli werde ich mich immer erinnern».

    Sind Passanten im Weg, pfeift der Kutscher

    Tüü-taa-too

    Damals Das Foto oben und das unten zeigen Zermatts Bahnhof-platz. Im Jahre 1961 warten Dut-zende Kutschen auf Kundschaft.

    Ross oder Strom Im autofreien Zermatt gibst nur noch Werners Ross-Taxi und Elektrofahrzeuge. Diese baut sein Bruder Bruno.

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