Lay Feature Farc Kolumbien 04.02.20 - Auswärtiges Amt · FEATURE 02.2020 „WIR SIND HIER, UM ZU...

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Kolumbien - Reintegration von FARC-Rebellen Mit dem Friedensabkommen von 2016 endeten über 60 Jahre Bürgerkrieg in Kolumbien. Das Auswärtige Amt unterstützt den Friedensprozess durch konkrete Projekte – zum Beispiel durch die Reintegration ehemaliger FARC-Rebellen in die Gesellschaft. Besonders im Ökotourismus und im Kleingewerbe sehen viele ihre Chance. Tierra Grata ist eine kleine Siedlung, die viele Gesichter hat. Das Dorf mit rund 300 Einwohnern liegt im Norden Kolumbiens im Grenzgebiet zu Venezuela. Vor Ende des Bürgerkriegs war es ein Dschungel-Camp der Rebellengruppe FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia). Mit dem Friedensabkommen vom November 2016 zwischen der FARC und dem kolumbi- anischen Staat verwandelte sich auch Tierra Grata. Aus dem einstigen Guerilla-Un- terschlupf wurde eines von 24 Wiedereingliederungszentren für ehemalige FARC-Kämpfe- rinnen und Kämpfern. In diesen „Espacios Territoriales de Ca- pacitación y Reintegración“ (ETCR), wörtlich übersetzt „Zonen für Ausbildung und Reintegration“, legten rund 12.000 ehema- lige Kombattanten unter Aufsicht der Vereinten Nationen ihre Waffen nieder. Im Gegenzug erhielten sie dafür Unterstützung, um ihren Weg ins zivile Leben zu finden. Dieselben Streitkräfte, die früher die Guerilla bekämpften, müssen heute ihre Sicher- heit in den ETCR garantieren. In Tierra Grata gelingt das sehr gut. Das Wiedereingliederungszen- trum ist heute unter anderem ein beliebtes Reiseziel für den Öko- tourismus. Betrieben wird es von früheren FARC-Kämpferinnen und Kämpfern, die sich damit eine neue Existenz aufgebaut haben. FEATURE 02.2020 „UNSER WILLE ZUM FRIEDEN IST STARK.“ „IN KOLUMBIEN IST ES NACH JAHRZEHNTELANGEM BÜRGERKRIEG MÖGLICH GEWORDEN, DASS SOLDATEN UND EHEMALIGE GUERILLEROS ZUSAMMEN LEBEN UND ARBEITEN.“ Heiko Maas, Bundesaußenminister TIERRA GRATA: FRÜHER GUERILLA-CAMP, HEUTE DORF MIT SCHNEIDEREI, VIEHZUCHT UND ZUVERSICHT. © AUSWÄRTIGES AMT / ANNA FRITZSCHE

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Kolumbien - Reintegration von FARC-Rebellen

Mit dem Friedensabkommen von 2016 endeten über 60 Jahre Bürgerkrieg in Kolumbien. Das Auswärtige Amt unterstützt den Friedensprozess durch konkrete Projekte – zum Beispiel durch die Reintegration ehemaliger FARC-Rebellen in die Gesellschaft. Besonders im Ökotourismus und im Kleingewerbe sehen viele ihre Chance.

Tierra Grata ist eine kleine Siedlung, die viele Gesichter hat. Das Dorf mit rund 300 Einwohnern liegt im Norden Kolumbiens im Grenzgebiet zu Venezuela. Vor Ende des Bürgerkriegs war es ein Dschungel-Camp der Rebellengruppe FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia). Mit dem Friedensabkommen

vom November 2016 zwischen der FARC und dem kolumbi-anischen Staat verwandelte sich auch Tierra Grata. Aus dem einstigen Guerilla-Un-terschlupf wurde eines von 24 Wiedereingliederungszentren für ehemalige FARC-Kämpfe-

rinnen und Kämpfern. In diesen „Espacios Territoriales de Ca-pacitación y Reintegración“ (ETCR), wörtlich übersetzt „Zonen für Ausbildung und Reintegration“, legten rund 12.000 ehema-lige Kombattanten unter Aufsicht der Vereinten Nationen ihre Waffen nieder. Im Gegenzug erhielten sie dafür Unterstützung, um ihren Weg ins zivile Leben zu finden. Dieselben Streitkräfte, die früher die Guerilla bekämpften, müssen heute ihre Sicher-heit in den ETCR garantieren.

In Tierra Grata gelingt das sehr gut. Das Wiedereingliederungszen-trum ist heute unter anderem ein beliebtes Reiseziel für den Öko-tourismus. Betrieben wird es von früheren FARC-Kämpferinnen und Kämpfern, die sich damit eine neue Existenz aufgebaut haben.

FEATURE 02.2020

„UNSER WILLE ZUMFRIEDEN IST STARK.“

„IN KOLUMBIEN IST ES NACH JAHRZEHNTELANGEMBÜRGERKRIEG MÖGLICH GEWORDEN, DASS SOLDATEN UND EHEMALIGE GUERILLEROS ZUSAMMEN LEBEN UND ARBEITEN.“Heiko Maas, Bundesaußenminister

TIERRA GRATA: FRÜHER GUERILLA-CAMP, HEUTE DORF MIT SCHNEIDEREI, VIEHZUCHT UND ZUVERSICHT. © AUSWÄRTIGES AMT / ANNA FRITZSCHE

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F E AT U R E 02.2020

„WIR SIND HIER, UM ZU BLEIBEN.“

Germán Gómez, früherer FARC-Kommandeur

Finanziert werden dieses und andere Reintegrationsprojek-te aus einem Treuhandfonds der Vereinten Nationen, in den mehrere Geber einzahlen. Das Auswärtige Amt – durch die Mittel der Abteilung für Krisenpräventi-on, Stabilisierung, Konfliktnachsorge und Humanitäre Hilfe – ist einer der größten Beitragszahler. Für Bundesaußenminister Heiko Maas ist das deutsche Engagement eine unverzichtbare Stütze für einen fragilen Friedensprozess. „In Kolumbien ist es nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg mög-lich geworden, dass Soldaten und ehemalige Guerilleros zu-sammen leben und arbeiten. Eine schöne Geschichte, wenn man sich anschaut, was es auf der Welt für Krisen und Kon-flikte gibt.“

Ein Leben nach dem Kampf

Germán Gómez war früher Kommandeur der Rebellengrup-pe FARC und lebt seit drei Jahren in Tierra Grata. Jetzt holt er gerade ein Studium in Politikwissenschaft nach. Daneben koordiniert und plant er den weiteren Ausbau des Ökotou-rismus-Projekts. 20 von insgesamt 300 Bewohnern verdienen

mit dem Tourismus in Tierra Grata bereits ihr Geld. Mit „Tierra Grata Ecotours“ gründeten sie eine eigene Firma. Die Touris-ten schlafen in nachgebauten FARC Dschungelcamps. Sie sol-len die jüngste Geschichte des Landes erleben und auch etwas über den zurückliegenden Konflikt, seine Ursachen und das Friedensabkommen erfahren. „Wo könnten wir authentischer über die FARC sprechen als in diesem ehemaligen Dschun-gelcamp“, sagt der Ex-Guerillero. Ein kleines Museum erinnert an das Leid der Opfer. „Sie stehen im Mittelpunkt“, bekräftigt der frühere Kämpfer, der heute offen zu seiner Mitschuld steht.

Gómez kommt ins Schwärmen, wenn er über die vielen Plä-ne der Dorfgemeinschaft spricht. 17 Einzelprojekte haben sie schon umgesetzt. So züchten sie inzwischen Wachteln und

Schweine, eine Schneiderei fertigt Klei-der und Uniformen für Beschäftigte der regionalen Verwaltung an. Eine Bäcke-rei versorgt Gäste wie Einheimische mit Backwaren. Und weiteres soll folgen: zum

Beispiel Erlebnistouren, die Besuchern die Vielfalt der tropi-schen Vogelwelt näherbringen. „Wir haben viele Ideen und jede Menge Motivation für neue Produkte“, sagt Germán Gó-mez.

Damit die Vision keine Träumerei bleibt, setzten sie von Be-ginn an auf den engen Austausch mit den umliegenden Ge-meinden und mit internationalen Partnern. Gemeinsam mit der Wirtschaftskammer der benachbarten Stadt Valledupar wurden Schulungen durchgeführt. In Betriebswirtschaft, Ackerbau, Tourismusmanagement und vor allem im Umgang mit Besuchern selbst.Zudem gab es psychologische Unterstützung dabei, wie die Ex-Kombattanten mit Gästen über ihre Rolle in Kriegszeiten

sprechen können. Angestellte der Ver-einten Nationen halfen bei den ersten Schritten im Marketing. Und es dauerte nicht lang, bis Studierende, Journalisten und Filmemacher aus der ganzen Welt neugierig wurden. Inzwischen besuchen bunt-gemischte Gruppen internatio-naler Touristen das ehemalige Gueril-la-Camp. Kaum verwunderlich, dass in Tierra Grata immer öfter der Satz zu hö-ren ist: „Wir sind hier, um zu bleiben“.

Kolumbiens steiniger Weg zum Frieden

Trotz aller Erfolge bleiben die Um-setzung des Friedensabkommens und die Wiedereingliederung der FARC in das zivile Leben eine Mammutaufga-be. Dem historischen Friedensvertrag

von 2016 folgte vielerorts Ernüchterung. Sowohl die Regie-rung als auch die FARC erfüllten ihre Verpflichtungen nur schleppend; in der Bevölkerung polarisierte sich die Debat-te darüber, wie mit der Vergangenheit umzugehen sei. Den Ex-Kämpfern der demobilisierten Guerilla fiel die Umstel-lung in ein „normales“ Leben schwer. Und in manchen Tei-len Kolumbiens wurde es durch den Friedensprozess nicht sicherer, sondern gefährlicher. Dies gilt besonders für sozi-ale Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger, die immer häufiger Opfer von Gewaltverbrechen werden. Aber auch ehemalige FARC-Mitglieder selbst sind betroffen. Außerhalb

Kolumbien - Reintegration von FARC-Rebellen

EX-KÄMPFER GERMÁN GÓMEZ (VORNE IM BLAUEN T-SHIRT) ZEIGT BESUCHERN DAS VON IHM MITGEGRÜNDETE

ÖKOTOURISMUS-PROJEKT. © UN VERIFICATION MISSION IN COLOMBIA

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F E AT U R E 02.2020

„DIESE PROJEKTE ERLAUBEN ES UNS, AN DEN

NEUANFANG ZU GLAUBEN.“

Germán Gómez, früherer FARC-Kommandeur

der Siedlungen fühlen sich die früheren Kombattanten nicht ausreichend geschützt. 173 ehemalige Guerillas und heutige Mitglieder der politischen Partei FARC sind bereits ermordet worden.

Auch Rechtsunsicherheit ist zunehmend ein Problem. Die Wiedereingliederungszentren waren als eine provisorische Übergangslösung geschaffen wor-den. Doch mittlerweile haben sich die rund 3.000 in den ETCRs verbliebenen Ex-Kombattanten dauerhaft dort nie-dergelassen, haben Familien gegründet und eine Existenz aufgebaut. Die Grund-stücke wurden häufig vom kolumbiani-schen Staat teuer gepachtet, ohne eine langfristige Lösung für das Land, auf dem sich die ETCRs befinden. Das offizielle Mandat der Wieder-eingliederungszentren endete am 15. August 2019; um ihren Fortbestand wurde bis zuletzt hart gerungen. Unter großem

Druck unterstützt Kolumbiens Regierung letztlich ihren Fort-bestand. Dass die Reintegration insgesamt als Erfolgsgeschich-te gesehen werden kann, zeigt sich auch daran, dass sich alle 24 umgebenden Standortgemeinden für den Erhalt der ETCRs aussprachen.

Inzwischen steht fest: Die kolumbianische Regierung sichert mit Zuschüssen für Lebensmittel und Gesundheitsversorgung für weitere acht Jahre den Betrieb. Zudem können die frü-heren FARC-Kämpfer mit der Weiterzahlung von 90 Prozent des monatlichen Mindestlohnes durch die kolumbianische Regierung rechnen. „Das sind wirklich gute Nachrichten für die Reintegration in Kolumbien“, kommentiert der deutsche Botschafter Peter Ptassek diese Entwicklung.

Deutschland als enger Partner Kolumbiens

Mit rund 20 Millionen Euro ist Deutschland einer der größten Geber für den Treuhandfonds der Vereinten Nationen für Ko-lumbien. Daraus werden Reintegrationsprojekte wie in Tierra Grata im ganzen Land unterstützt. Ptassek sieht den Versöh-nungsprozess trotz mancher Rückschläge auf einem guten

Weg. „Mehr als 90% der Wiedereingeglie-derten und ihre Familien haben ein neues Leben und greifen nicht wieder zu den Waffen.“

Neben der finanziellen Unterstützung wirkt die deutsche Botschaft in Kolum-bien auch bei der Projektgestaltung mit. Dabei legen die Mitarbeiterinnen und

Mitarbeiter des Auswärtigen Amts besonderen Wert darauf, bei der Unterstützung vor Ort immer die Balance zwischen den ehemaligen Rebellen und der Zivilgesellschaft im Blick zu behalten. „Was im Friedensvertrag beschlossen wurde, muss jetzt fühlbar werden für die gesamte Bevölkerung. Aus Kämp-fern werden Arbeitnehmer und Unternehmer, das ist keine leichte Aufgabe, deswegen unterstützen wir sie dabei. Kolum-bien braucht aber eine Zukunftsperspektive, die alle mit ein-bezieht“, so der deutsche Botschafter.

Versöhnung und Perspektiven schaffen

Erleichtert haben sie die Nachricht vom Fortbestand der ETCRs auch im Wiedereingliederungszentrum in Tierra Grata ver-nommen. Es stehe viel auf dem Spiel, sagt der Ex-FARC-Kom-mandeur Germán Gómez: „Diese Projekte erlauben es uns, an den Neuanfang zu glauben“. Und das sei nicht immer ganz ein-fach, gibt der Ex-Guerillero zu bedenken, denn auch Friedens-zeiten hätten sehr viele Widersprüche. Doch trotz oder gerade wegen dieser Widersprüche sei der Wille zum Frieden stark.

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HISTORISCHES BILD AUS DER ZEIT DES BÜRGERKRIEGS: FARC-KÄMFERINNEN SALUTIEREN

WÄHREND EINER MILITÄRPARADE AM 7.2.2001 IN SAN VICENTE. © DPA - BILDARCHIV

ÜBERNACHTEN IM EHEMALIGEN FARC DSCHUNGEL-CAMP? IM WIEDEREINGLIEDERUNGS-

ZENTRUM TIERRA GRATA IST DAS MÖGLICH. © AUSWÄRTIGES AMT / ANNA FRITZSCHE

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F E AT U R E 02.2020 Kolumbien - Reintegration von FARC-Rebellen

FONSECA

LA PAZ TIERRA GRATA

TIBÚ

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LA MACARENA

SAN JOSÉ DEL GUAVIARE

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LA MONTAÑITA

PUERTO ASÍS

TIERRALTA

ANORÍ

REMEDIOS

VERTEILUNG DER WIEDEREINGLIEDERUNGSZENTREN (ETCR) IN KOLUMBIEN

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