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    BRIEF AN DEN PARTEITAG[1]

    UBER DIE AUSSTATTUNGDER STAATLICHEN PLANKOMMISSION

    MIT GESETZGEBERISCHEN FUNKTIONEN

    ZUR FRAGEDER NATIONALITTEN

    ODER DER AUTONOMISIERUNG

    Diktiert Dezember 1922 Januar 1923.Verffentlicht 1956 in der

    Zeitschrift Kommunist" Nr. 9Und als Broschre

    Nach der stenografischenAufzeichnung

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    I

    BRIEF AN DEN PARTEITAG

    Ich wrde sehr empfehlen, auf diesem Parteitag eine Reihe von nderungen in unsererpolitischen Struktur vorzunehmen.Ich mchte Ihnen die Erwgungen mitteilen, die ich fr die wichtigsten halte.In erster Linie rate ich, die Zahl der Mitglieder des ZK auf einige Dutzend oder sogar aufhundert zu erhhen. Mir scheint, unserem Zentralkomitee wrden, falls wir eine solcheReform nicht vornehmen, groe Gefahren drohen, wenn sich der Gang der Ereignisse nichtganz gnstig fr uns gestaltet (damit mssen wir aber rechnen).Sodann mchte ich der Aufmerksamkeit des Parteitags empfehlen, den Beschlssen derStaatlichen Plankommission unter bestimmten Voraussetzungen gesetzgeberischen Charakterzu verleihen, diesbezglich also Gen. Trotzki bis zu einem gewissen Grad und unter gewissenBedingungen entgegenzukommen.

    Was den ersten Punkt betrifft; d. h. die Erhhung der Zahl der Mitglieder des ZK, so glaubeich, dass das ntig ist, sowohl um die Autoritt des ZK zu heben als auch um ernsthaft an derVerbesserung unseres Apparats zu arbeiten und um zu verhindern, dass Konflikte kleinerTeile des ZK eine bermig groe Bedeutung fr das ganze Schicksal der Partei erlangenknnten.Ich glaube, dass unsere Partei das Recht hat, von der Arbeiterklasse 50100 Mitglieder desZK zu verlangen, und dass sie diese von ihr ohne bermige Anspannung ihrer Krfteerhalten kann.Eine solche Reform wrde unsere Partei erheblich festigen und ihren Kampf erleichtern, densie inmitten feindlicher Staaten zu fhren hat, und der sich meiner Meinung nach in dennchsten Jahren stark zuspitzen kann und muss. Mir scheint, dass unsere Partei durch einesolche Manahme tausendfach an Stabilitt gewinnen wrde.

    Lenin

    23.12.1922Niederschrift: M. W.

    II

    Fortsetzung der Aufzeichnungen.24. Dezember 1922Unter der Stabilitt des Zentralkomitees, von der ich oben gesprochen habe, verstehe ichManahmen gegen eine Spaltung, insoweit solche Manahmen berhaupt getroffen werdenknnen. Denn der Weigardist in der Russkaja Mysl (ich glaube, es war S. F. Oldenburg [2])hatte natrlich recht, als er erstens seine Hoffnungen in dem Spiel dieser Leute gegenSowjetruland auf eine Spaltung unserer Partei setzte und als er zweitens seine Hoffnungenhinsichtlich dieser Spaltung auf sehr ernste Meinungsverschiedenheiten in der Partei setzte.Unsere Partei sttzt sich auf zwei Klassen, und deshalb ist ihre Instabilitt mglich und ihrSturz unvermeidlich, wenn es dahin kme, dass zwischen diesen beiden Klassen keinEinvernehmen erzielt werden knnte. Es ist zwecklos, fr diesen Fall diese oder jene

    Manahme zu treffen und berhaupt von der Stabilitt unseres ZK zu sprechen. KeinerleiManahmen werden in diesem Fall eine Spaltung verhindern knnen. Ich hoffe jedoch, das

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    liegt in allzu ferner Zukunft und ist ein allzu unwahrscheinliches Ereignis, als dass mandarber sprechen msste.Ich meine mit Stabilitt die Garantie vor einer Spaltung in allernchster Zeit und beabsichtige,hier eine Reihe von Erwgungen rein persnlicher Natur anzustellen.Ich denke, ausschlaggebend sind in der Frage der Stabilitt unter diesem Gesichtspunkt solche

    Mitglieder des ZK wie Stalin und Trotzki. Die Beziehungen zwischen ihnen stellen meinesErachtens die grere Hlfte der Gefahr jener Spaltung dar, die vermieden werden knnte undzu deren Vermeidung meiner Meinung nach unter anderem die Erhhung der Zahl derMitglieder des ZK auf 50, auf 100 Personen dienen soll.Gen. Stalin hat, nachdem er Generalsekretr geworden ist, eine unermessliche Macht inseinen Hnden konzentriert, und ich bin nicht berzeugt, dass er es immer verstehen wird, vondieser Macht vorsichtig genug Gebrauch zu machen. Anderseits zeichnet sich Gen. Trotzki,wie schon sein Kampf gegen das ZK in der Frage des Volkskommissariats fr Verkehrswesenbewiesen hat, nicht nur durch hervorragende Fhigkeiten aus. Persnlich ist er wohl derfhigste Mann im gegenwrtigen ZK, aber auch ein Mensch, der ein berma vonSelbstbewusstsein und eine bermige Vorliebe fr rein administrative Manahmen hat.

    Diese zwei Eigenschaften zweier hervorragender Fhrer des gegenwrtigen ZK knnenunbeabsichtigt zu einer Spaltung fhren, und wenn unsere Partei nicht Manahmen ergreift,um das zu verhindern, so kann die Spaltung berraschend kommen.Ich will die persnlichen Eigenschaften der anderen Mitglieder des ZK nicht weitercharakterisieren. Ich erinnere nur daran, dass die Episode mit Sinowjew und Kamenew imOktober[3] natrlich kein Zufall war, dass man sie ihm (Offenbar ein Schreibfehler: statt ihm musses sinngem ihnen heien. Die Red.) aber ebenso wenig als persnliche Schuld anrechnen kannwie Trotzki den Nichtbolschewismus.Was die jungen Mitglieder des ZK betrifft, so mchte ich einige Worte ber Bucharin undPjatakow sagen. Das sind meines Erachtens die hervorragendsten Krfte (unter den jngstenKrften), und ihnen gegenber sollte man folgendes im Auge haben: Bucharin ist nicht nurein beraus wertvoller und bedeutender Theoretiker der Partei, er gilt auch mit Recht alsLiebling der ganzen Partei, aber seine theoretischen Anschauungen knnen nur mit sehrgroen Bedenken zu den vllig marxistischen gerechnet werden, denn in ihm steckt etwasScholastisches (er hat die Dialektik nie studiert und, glaube ich, nie vollstndig begriffen).25.12.Nun zu Pjatakow. Er ist zweifellos ein Mensch mit groer Willenskraft und glnzendenFhigkeiten, der jedoch einen allzu starken Hang fr das Administrieren und fradministrative Manahmen hat, als dass man sich in einer ernsten politischen Frage auf ihnverlassen knnte.Natrlich mache ich die eine wie die andere Bemerkung nur fr die Gegenwart und fr den

    Fall, dass diese beiden hervorragenden und ergebenen Funktionre keine Gelegenheit findensollten, ihr Wissen zu erweitern und ihre Einseitigkeit zu berwinden.

    Lenin

    25.12.1922Niederschrift: M. W.

    ERGNZUNG ZUM BRIEF VOM 24. DEZEMBER 1922

    Stalin ist zu grob, und dieser Mangel, der in unserer Mitte und im Verkehr zwischen unsKommunisten durchaus ertrglich ist, kann in der Funktion des Generalsekretrs nichtgeduldet werden. Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu berlegen, wie man Stalin

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    ablsen knnte, und jemand anderen an diese Stelle zu setzen, der sich in jeder Hinsicht vonGen. Stalin nur durch einen Vorzug unterscheidet, nmlich dadurch, dass er toleranter,loyaler, hflicher und den Genossen gegenber aufmerksamer, weniger launenhaft usw. ist.Es knnte so scheinen, als sei dieser Umstand eine winzige Kleinigkeit. Ich glaube jedoch,unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung einer Spaltung und unter dem Gesichtspunkt der

    von mir oben geschilderten Beziehungen zwischen Stalin und Trotzki ist das keineKleinigkeit, oder eine solche Kleinigkeit, die entscheidende Bedeutung erlangen kann.

    Lenin

    Niederschrift: L. F.4. Januar 1923

    III

    Fortsetzung der Aufzeichnungen.26. Dezember 1922Die Erhhung der Zahl der Mitglieder des ZK auf 50 oder sogar 100 Personen soll meinesErachtens einem doppelten oder sogar dreifachen Ziel dienen: Je mehr Mitglieder dem ZKangehren, desto mehr Genossen werden in der ZK-Arbeit geschult und desto geringer wirddie Gefahr einer Spaltung auf Grund irgendeiner Unvorsichtigkeit sein. Die Einbeziehungvieler Arbeiter in das ZK wird den Arbeitern helfen, unseren Apparat zu verbessern, der unteraller Kritik ist. Im Grunde genommen wurde er uns vom alten Regime hinterlassen, denn eswar vllig unmglich, ihn in so kurzer Zeit, besonders whrend des Krieges, der Hungersnotusw. umzugestalten. Daher kann man den Kritikern, die uns spttisch oder boshaft mit

    Hinweisen auf die Defekte unseres Apparates aufwarten, ruhig antworten, dass diese Leutedie Bedingungen der gegenwrtigen Revolution absolut nicht begreifen. Den Apparat ineinem Jahrfnft hinreichend umzugestalten ist berhaupt unmglich, besonders unter denBedingungen, unter denen sich die Revolution bei uns vollzogen hat. Es gengt, dass wir infnf Jahren einen Staat von neuem Typus geschaffen haben, in dem die Arbeiter, gefolgt vonden Bauern, gegen die Bourgeoisie vorgehen, auch das ist angesichts der feindlicheninternationalen Umgebung eine gigantische Leistung. Aber dieses Bewusstsein darf uns denBlick nicht dafr trben, dass wir im Grunde den alten Apparat vom Zaren und von derBourgeoisie bernommen haben und dass jetzt, nachdem der Frieden gekommen und derminimale Bedarf zur Stillung des Hungers gesichert ist, alle Arbeit darauf gerichtet sein muss,den Apparat zu verbessern.

    Ich stelle mir die Sache so vor, dass einige Dutzend Arbeiter, die Mitglieder des ZK werden,sich besser als irgend jemand sonst damit befassen knnen, unseren Apparat zu berprfen, zuverbessern und neu zu gestalten. Die Arbeiter- und Bauerninspektion, die diese Funktionzunchst innehatte, erwies sich als auerstande, ihr gerecht zu werden, und kann lediglich alsAnhngsel oder unter bestimmten Voraussetzungen als Helferin dieser Mitglieder des ZKVerwendung finden. Die Arbeiter, die ins ZK aufzunehmen sind, drfen meiner Meinungnach vorwiegend nicht unter jenen Arbeitern ausgewhlt werden, die einen langenSowjetdienst durchgemacht haben (in diesem Teil meines Briefes zhle ich zu den Arbeiternberall auch die Bauern), weil sich bei diesen Arbeitern schon bestimmte Traditionen undbestimmte Vorurteile herausgebildet haben, die wir gerade bekmpfen wollen.Arbeitermitglieder des ZK sollen vorwiegend Arbeiter sein, die unter jener Schicht stehen,

    welche bei uns in den fnf Jahren in die Reihen der Sowjetangestellten aufgerckt ist, undmehr zu den einfachen Arbeitern und zu den Bauern gehren, die jedoch nicht direkt oderindirekt unter die Kategorie der Ausbeuter fallen. Ich glaube, dass solche Arbeiter, die in allen

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    Sitzungen des ZK, in allen Sitzungen des Politbros anwesend sind und alle Dokumente desZK lesen, einen Stamm ergebener Anhnger der Sowjetordnung bilden knnen, die erstensfhig sind, dem ZK selbst Stabilitt zu verleihen, und die zweitens imstande sind, wirklich ander Erneuerung und Verbesserung des Apparats zu arbeiten.

    Lenin

    Niederschrift: L. F.26.12.1922

    IV

    Fortsetzung der Aufzeichnungen.27. Dezember 1922

    BER DIE AUSSTATTUNGDER STAATLICHEN PLANKOMMISSION

    MIT GESETZGEBERISCHEN FUNKTIONEN

    Diesen Gedanken hat Gen. Trotzki, scheint mir, schon vor langem geuert. Ich trat dagegenauf, weil ich der Ansicht war, dass sich dann im System unserer gesetzgeberischenInstitutionen eine tiefgehende Unstimmigkeit zeigen werde. Aber nach aufmerksamer Prfungfinde ich, dass der Gedanke eigentlich einen gesunden Kern hat, nmlich: die StaatlichePlankommission steht etwas abseits von unseren gesetzgeberischen Institutionen, obwohl sie

    als ein Gremium von Fachleuten, Experten, Vertretern der Wissenschaft und Technik imGrunde die meisten Voraussetzungen besitzt, um die Dinge richtig zu beurteilen.Indessen sind wir bisher von dem Standpunkt ausgegangen, dass die StaatlichePlankommission dem Staat kritisch gesichtetes Material zu liefern hat, whrend diestaatlichen Institutionen ber die staatlichen Angelegenheiten entscheiden sollen. Ich glaube,bei der gegenwrtigen Lage, da sich die staatlichen Angelegenheiten ungewhnlichkompliziert haben, da auf Schritt und Tritt abwechselnd Fragen zu lsen sind, die einGutachten von Mitgliedern der Staatlichen Plankommission erfordern, und solche, die einGutachten nicht erfordern, ja mehr noch, Angelegenheiten zu entscheiden sind, in deneneinige Punkte ein Gutachten der Staatlichen Plankommission erfordern, whrend anderePunkte ein solches Gutachten nicht erfordern - ich glaube, dass man jetzt einen Schritt in der

    Richtung machen soll, die Kompetenzen der Staatlichen Plankommission zu erweitern.Ich denke mir diesen Schritt so, dass die Beschlsse der Staatlichen Plankommission nicht imblichen Sowjetverfahren umgestoen werden knnten, sondern zu ihrer Abnderung einesbesonderen Verfahrens bedrften, indem man beispielsweise die Frage auf einer Tagung desGesamtrussischen Zentralexekutivkomitees vorbringt, eine neue Beschlussfassung darber anHand einer besonderen Instruktion vorbereitet, hierbei auf Grund besonderer Regelnschriftliche Berichte verfasst, um abzuwgen, ob der betreffende Beschluss der StaatlichenPlankommission aufzuheben ist, und schlielich, indem man besondere Fristen fr dieAbnderung eines Beschlusses der Staatlichen Plankommission festlegt usw.In dieser Hinsicht, denke ich, kann und muss man Gen. Trotzki entgegenkommen, nicht aberdarin, dass entweder jemand aus dem Kreis unserer politischen Fhrer oder der Vorsitzende

    des Obersten Volkswirtschaftsrats usw. der Staatlichen Plankommission vorstehen soll. Mirscheint, dass hier mit der prinzipiellen Frage gegenwrtig allzu eng die persnliche Frageverflochten ist. Ich denke, die Vorwrfe, die wir jetzt gegen den Vorsitzenden der Staatlichen

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    Plankommission, Gen. Krshishanowski, und seinen Stellvertreter, Gen. Pjatakow, hren,Vorwrfe, die wechselseitig erhoben werden, so dass wir einerseits Beschuldigungen wegenallzu groer Nachgiebigkeit, wegen Unselbstndigkeit und Charakterlosigkeit und anderseitsBeschuldigungen wegen allzu groer Schroffheit, wegen Feldwebelmanieren, ungengendsolider wissenschaftlicher Vorbildung usw. hren - ich denke, dass diese Vorwrfe zwei

    Seiten der Sache, Ins Extrem gesteigert, zum Ausdruck bringen und dass wir in Wirklichkeitin der Staatlichen Plankommission eine kluge Verbindung zweier Charaktertypen brauchen,wobei Pjatakow fr den einen und Krshishanowski fr den anderen als Muster dienen kann.Ich glaube, dass an der Spitze der Staatlichen Plankommission ein Mann stehen muss, derwissenschaftlich gebildet ist, und zwar gerade auf technischem oder agronomischem Gebiet,ber eine groe, jahrzehntelange Arbeitserfahrung in der Technik oder Agronomie verfgt.Ich glaube, ein solcher Mann muss weniger die Eigenschaften eines Administrators besitzenals reiche Erfahrung und die Fhigkeit, Menschen zu gewinnen.

    Lenin

    27.12.1922Niederschrift: M. W.

    V

    Fortsetzung des Briefesber den gesetzgeberischen Charakterder Beschlsse der Staatlichen Plankommission.28.12.1922

    Ich habe bei einigen unserer Genossen, die fhig sind, die Lenkung der staatlichenAngelegenheiten entscheidend zu beeinflussen, die Tendenz festgestellt, die administrativeSeite zu bertreiben, die natrlich am rechten Ort und zur rechten Zeit notwendig ist, die manaber mit der wissenschaftlichen Seite, mit der Erfassung der breiten Wirklichkeit, mit derFhigkeit, Menschen zu gewinnen, usw. nicht verwechseln darf.In jeder staatlichen Institution, besonders in der Staatlichen Plankommission, ist dieVereinigung dieser zwei Eigenschaften notwendig, und als mir Gen. Krshishanowski sagte, erhabe Pjatakow fr die Staatliche Plankommission gewonnen und sich mit ihm ber die Arbeitverstndigt, erklrte ich mich damit einverstanden, hegte aber einerseits im stillen gewisseZweifel, whrend ich anderseits manchmal hoffte, dass wir hier eine Kombination beiderTypen von Staatsmnnern erhalten. Ob sich diese Hoffnung erfllt hat, muss man jetzt

    abwarten und auf Grund etwas lngerer Erfahrung beurteilen, aber im Prinzip, glaube ich,kann es keinem Zweifel unterliegen, dass eine solche Verbindung von Charakteren und Typen(Menschen, Eigenschaften) fr das richtige Funktionieren der staatlichen Institutionenunerlsslich ist. Ich denke, bertriebene Administriererei ist hier ebenso schdlich wieberhaupt jede bertreibung. Der Leiter einer staatlichen Institution muss im hchsten Gradedie Fhigkeit besitzen, Menschen zu gewinnen, und zugleich ber hinreichend solidewissenschaftliche und technische Kenntnisse verfgen, damit er ihre Arbeit kontrollierenkann. Das ist das Grundlegende. Fehlt es daran, so kann es keine richtige Arbeit geben.Anderseits ist es sehr wichtig, dass er zu administrieren versteht und dafr einen geeignetenGehilfen oder deren mehrere hat. Die Vereinigung dieser beiden Eigenschaften in einerPerson drfte wohl kaum vorkommen und wohl kaum erforderlich sein.

    Lenin

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    Niederschrift: L. F.28. XII. 1922

    VI

    Fortsetzung der Aufzeichnungenber die Staatliche Plankommission.29. Dezember 1922

    Die Staatliche Plankommission entwickelt sich bei uns offenbar allseitig zu einerExpertenkommission. An der Spitze einer solchen Institution muss unbedingt jemand mitgroer Erfahrung und vielseitiger wissenschaftlicher Bildung auf dem Gebiet der Technikstehen. Die administrierende Kraft darf hier, im Grunde genommen, nur eine Sttze sein. Einegewisse Unabhngigkeit und Selbstndigkeit der Staatlichen Plankommission ist vomStandpunkt der Autoritt dieser wissenschaftlichen Institution unerlsslich und setzt nur einesvoraus, nmlich Gewissenhaftigkeit ihrer Mitarbeiter und deren gewissenhaftes Bemhen,unseren Plan des wirtschaftlichen und sozialen Aufbaus in die Tat umzusetzen.Diese letzte Eigenschaft kann man jetzt selbstredend nur als Ausnahme antreffen, denn dieberwiegende Mehrheit der Wissenschaftler, aua denen sich die Staatliche Plankommissionnatrlicherweise zusammensetzt, ist unvermeidlich mit brgerlichen Anschauungen undbrgerlichen Vorurteilen infiziert. Sie diesbezglich zu kontrollieren muss die Aufgabeeiniger Personen sein, die das Prsidium der Staatlichen Plankommission bilden knnen; siemssen Kommunisten sein und im Verlauf der Arbeit Tag fr Tag verfolgen, inwieweit diebrgerlichen Wissenschaftler ergeben sind, sich von den brgerlichen Vorurteilen lossagenund auch wie sie allmhlich zum Standpunkt des Sozialismus bergehen. Diese doppelte

    Arbeit einer solchen wissenschaftlichen Kontrolle im Verein mit rein administrativer Arbeitsollte das Ideal der Leiter der Staatlichen Plankommission unserer Republik sein.

    Lenin

    Niederschrift: M. W.29. Dezember 1922

    Ist es zweckmig, die von der Staatlichen Plankommission zu leistende Arbeit in einzelneAuftrge zu gliedern, oder sollte man nicht umgekehrt danach streben, einen Kreis stndiger

    Spezialisten zu schaffen, die durch das Prsidium der Staatlichen Plankommissionsystematisch kontrolliert wrden und alle Fragen, fr die die Staatliche Plankommissionzustndig ist, in ihrer Gesamtheit lsen knnten? Ich glaube, letzteres wre zweckmiger,und man sollte danach streben, die Zahl der zeitweiligen und dringlichen Einzelaufgaben zuverringern.

    Lenin

    29. Dezember 1922Niederschrift: M.W.

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    VII

    Fortsetzung der Aufzeichnungen.29. Dezember 1922.

    (ZUM ABSCHNITT UBER DIE ERHHUNGDER ZAHL DER ZK-MITGLIEDER)

    Wird die Zahl der Mitglieder des ZK erhht, so muss man sich meinte Erachtens auch undwohl hauptschlich damit befassen, unseren Apparat, der absolut nichts taugt, zu berprfenund zu verbessern. Zu diesem Zweck mssen wir die Dienste hochqualifizierter Spezialistenin Anspruch nehmen, und es muss die Aufgabe der Arbeiter- und Bauerninspektion sein, dieseSpezialisten zu stellen.Wie man die Arbeit dieser Kontrollspezialisten, die ausreichende Kenntnisse haben, und

    dieser neuen Mitglieder des ZK verbindet diese Aufgabe muss in der Praxis gelst werden.Mir scheint, die Arbeiter- und Bauerninspektion hat (infolge ihrer Entwicklung und infolgeunseres Befremdens ber ihre Entwicklung) als Ergebnis das gezeitigt, was wir jetztbeobachten, nmlich einen bergangszustand von einem besonderen Volkskommissariat zueiner besonderen Funktion von Mitgliedern des ZK; von einer Institution, die alle und allesrevidiert, zu einem Gremium nicht sehr zahlreicher, aber erstklassiger Revisoren, die gutbezahlt werden mssen. (Das ist besonders notwendig in unserem Jahrhundert, in dem fralles gezahlt werden muss, und angesichts des Umstands, dass die Revisoren direkt imDienste jener Institutionen stehen, von denen sie am besten bezahlt werden.)Wird die Zahl der Mitglieder des ZK entsprechend erhht und werden diese Mitglieder mitHilfe solcher hochqualifizierten Spezialisten und auf allen Gebieten kompetenten Mitglieder

    der Arbeiter- und Bauerninspektion Jahr fr Jahr einen Lehrgang in Staatsverwaltungdurchmachen, so werden wir, glaube ich, diese Aufgabe, mit der wir so lange nicht fertigwerden konnten, erfolgreich lsen.Also, noch einmal bis zu 100 Mitglieder des ZK und nicht mehr als 400500 Helfer,Mitarbeiter der Arbeiter- und Bauerninspektion, die im Auftrag dieser ZK-MitgliederRevisionen vornehmen.

    Lenin

    29. Dezember 1922Niederschrift: M. W.

    Fortsetzung der Aufzeichnungen.30. Dezember 1922

    ZUR FRAGE DER NATIONALITTENODER DER AUTONOMISIERUNG

    Es scheint, ich habe mich vor den Arbeitern Rulands sehr schuldig gemacht, weil ich michnicht mit gengender Energie und Schrfe in die ominse Frage der Autonomisierung [4]

    eingemischt habe, die offiziell, glaube ich, als Frage der Union der SozialistischenSowjetrepubliken bezeichnet wird.

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    Im Sommer, als diese Frage auftauchte, war ich krank, und dann, im Herbst, setzte ich allzugroe Hoffnungen auf meine Genesung und darauf, dass es mir auf dem Oktober- undDezemberplenum[5] mglich sein wrde, mich in diese Frage einzuschalten. Indessen konnteich weder auf dem Oktoberplenum (bei diesem Punkt) noch auf dem Dezemberplenumanwesend sein, so dass diese Frage fast vllig ohne mich behandelt wurde.

    Ich konnte lediglich mit Gen. Dzierzynski sprechen, der vom Kaukasus gekommen war undmir erzhlte, wie diese Frage in Georgien steht. Auch mit Gen. Sinowjew konnte ich ein paarWorte wechseln und Ihm meine Befrchtungen hinsichtlich dieser Frage mitteilen. Auf Grunddessen, was Gen. Dzierzynski berichtete, der die Kommission leitete, die vom Zentralkomiteemit der Untersuchung des georgischen Zwischenfalls betraut worden war, konnte ich nurdie grten Befrchtungen hegen. Wenn es so weit gekommen war, dass Ordshonikidse sichzu physischer Gewaltanwendung hinreien lie, wie mir Gen. Dzierzynski mitteilte, so kannman sich vorstellen, in welchem Sumpf wir gelandet sind. Offenbar war dieses ganzeUnterfangen mit der Autonomisierung von Grund aus falsch und unzeitgem.Man sagt, die Einheit des Apparats sei ntig gewesen. Woher stammten diese Behauptungen?Doch wohl von demselben russischen Apparat, den wir, wie ich schon in einer frheren

    Aufzeichnung meines Tagebuchs feststellte, vom Zarismus bernommen und nur ganz leichtmit Sowjetl gesalbt haben.Zweifellos htte man mit dieser Manahme so lange warten sollen, bis wir sagen konnten,dass wir uns fr unseren Apparat wirklich wie fr den eigenen verbrgen. Jetzt aber mssenwir, wenn wir ehrlich sein wollen, umgekehrt sagen, dass wir einen Apparat als eigenenbezeichnen, der uns in Wirklichkeit noch durch und durch fremd ist und ein brgerlich-zaristisches Gemisch darstellt, das wir beim besten Willen in den fnf Jahren nichtberwinden konnten, in denen uns die Hilfe anderer Lnder fehlte und wir uns vorwiegendmilitrisch bettigten und die Hungersnot bekmpften.Unter diesen Umstnden ist es ganz natrlich, dass sich die Freiheit des Austritts aus derUnion, mit der wir uns rechtfertigen, als ein wertloser Fetzen Papier herausstellen wird, dervllig ungeeignet ist, die nicht-russischen Einwohner Rulands vor der Invasion jenes echtenRussen zu schtzen, des grorussischen Chauvinisten, ja im Grunde Schurken undGewalttters, wie es der typische russische Brokrat ist. Kein Zweifel, dass derverschwindende Prozentsatz sowjetischer und sowjetisierter Arbeiter in diesem Meer deschauvinistischen grorussischen Packs ertrinken wird wie die Fliege in der Milch.Man sagt zur Verteidigung dieser Manahme, die Volkskommissariate, die mit der nationalenMentalitt, dem nationalen Bildungswesen unmittelbar zu tun haben, seien ausgesondertworden. Doch hier ergibt sich die Frage, ob man diese Volkskommissariate vllig aussondernkann, und die zweite Frage, ob wir mit gengender Sorgfalt Manahmen getroffen haben, umdie Nichtrussen tatschlich vor dem echt russischen Dershimorda (Polizist in Gogols Revisor. Zu

    deutsch: Halt-die-Schnauze. Der bers.) zu schtzen. Ich glaube, wir haben diese Manahmen nichtgetroffen, obwohl wir sie htten treffen knnen und mssen.Mir scheint, hier haben Stalins Eilfertigkeit und sein Hang zum Administrieren wie auch seineWut auf den ominsen Sozialnationalismus eine verhngnisvolle Rolle gespielt. Wut ist inder Politik gewhnlich berhaupt von grtem bel.Ich frchte auch, dass Gen. Dzierzynski, der nach dem Kaukasus gefahren war, um dieVerbrechen dieser Sozialnationalisten zu untersuchen, sich hier ebenfalls nur durch seineecht russische Gesinnung hervorgetan hat (bekanntlich neigen die russifizierten Nichtrussenstets zur bertreibung, was die echt russische Gesinnung betrifft) und dass dieUnvoreingenommenheit seiner ganzen Kommission durch OrdshonikidlesHandgreiflichkeit hinreichend charakterisiert wird. Ich meine, diese russische

    Handgreiflichkeit lsst sich durch keine Provokation und sogar durch keine Beleidigungrechtfertigen, und Gen. Dzierzynski hat eine nicht wiedergutzumachende Schuld auf sichgeladen, weil er sich leichtfertig zu dieser Handgreiflichkeit verhielt.

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    Ordshonikidse verkrperte gegenber allen anderen Brgern im Kaukasus die Staatsmacht.Ordshonikidse hatte kein Recht zu jener Gereiztheit, auf die er und Dzierzynski sich beriefen.Ordshonikidse war im Gegenteil verpflichtet, eine solche Zurckhaltung zu ben, wie sie keineinziger gewhnlicher Brger ben muss, um so weniger einer, der eines politischenVerbrechens angeklagt ist. Und die Sozialnationalisten waren ja, im Grunde genommen,

    Brger, die eines politischen Verbrechens angeklagt waren, und die ganzen Umstndekonnten diese Anklage nur so und nicht anders qualifizieren.Hier ergibt sich bereits die wichtige prinzipielle Frage: Wie ist der Internationalismus zuverstehen.(Weiter ist in der stenografischen Aufzeichnung folgender Text gestrichene Ich bin der Meinung, dass unsereGenossen in diese wichtige prinzipielle Frage nicht gengend eingedrungen sind. Die Red.)

    Lenin

    30.12.1922Niederschrift: M. W.

    Fortsetzung der Aufzeichnungen.31. Dezember 1922

    ZUR FRAGE DER NATIONALITTENODER DER AUTONOMISIERUNG

    (Fortsetzung)

    Ich habe bereits in meinen Schriften ber die nationale Frage geschrieben, dass es nicht

    angeht, abstrakt die Frage des Nationalismus im Allgemeinen zu stellen. Man mussunterscheiden zwischen dem Nationalismus einer unterdrckenden Nation und demNationalismus einer unterdrckten Nation, zwischen dem Nationalismus einer groen Nationund dem Nationalismus einer kleinen Nation.Was die zweite Art von Nationalismus betrifft, so haben wir Angehrigen einer groenNation uns in der geschichtlichen Praxis fast immer einer Unzahl von Gewalttaten schuldiggemacht, ja mehr als das, unmerklich fr uns selbst fgen wir den anderen eine Unzahl vonGewalttaten und Beleidigungen zu ich brauche mir nur meine Wolgazeit ins Gedchtniszurckzurufen und mich daran zu erinnern, wie man bei uns die Nichtrussen behandelt, wieman einen Polen nicht anders denn Polacken nennt, jeden Tataren als Frsten verspottet,den Ukrainer nur beim Spitznamen Chochol ruft, alle Georgier und die Angehrigen

    anderer kaukasischer Stmme als Kapkaser verhhnt.Deshalb muss der Internationalismus seitens der unterdrckenden oder so genannten groenNation (obzwar gro nur durch ihre Gewalttaten, gro nur in dem Sinne, wie ein Dershimordagro ist) darin bestehen, nicht nur die formale Gleichheit der Nationen zu beachten, sondernauch solch eine Ungleichheit anzuerkennen, die seitens der unterdrckenden Nation, dergroen Nation, jene Ungleichheit aufwiegt, die sich faktisch im Leben ergibt. Wer das nichtbegriffen hat, der hat die wirklich proletarische Einstellung zur nationalen Frage nichtbegriffen, der ist im Grunde auf dem Standpunkt des Kleinbrgertums stehen geblieben undmuss deshalb unweigerlich stndig zum brgerlichen Standpunkt abgleiten.Was ist fr den Proletarier wichtig? Fr den Proletarier ist nicht nur wichtig, sonderngeradezu lebensnotwendig, sich seitens des Nichtrussen ein Maximum von Vertrauen im

    proletarischen Klassenkampf zu sichern. Was ist dazu ntig? Dazu ist nicht nur die formaleGleichheit ntig. Dazu ist ntig, durch sein Verhalten oder durch seine Zugestndnissegegenber dem Nichtrussen so oder anders das Misstrauen, den Argwohn zu beseitigen, jene

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    Krnkungen aufzuwiegen, die ihm in der geschichtlichen Vergangenheit von der Regierungder Gromacht"nation zugefgt worden sind.Ich denke, fr Bolschewiki, fr Kommunisten ist es berflssig, das noch weiter undeingehend zu erklren. Und ich glaube, im gegebenen Fall, in dem es sich um die georgischeNation handelt, haben wir ein typisches Beispiel dafr, wo eine wahrhaft proletarische

    Einstellung grte Vorsicht, Zuvorkommendheit und Nachgiebigkeit unserseits erfordert. EinGeorgier, der sich geringschtzig zu dieser Seite der Sache verhlt, der leichtfertig mitBeschuldigungen des Sozialnationalismus um sich wirft (whrend er selbst ein wahrer undechter Sozialnationalist, ja mehr noch, ein brutaler grorussischer Dershimorda ist), einsolcher Georgier verletzt im Grunde genommen die Interessen der proletarischenKlassensolidaritt, weil nichts die Entwicklung und Festigung der proletarischenKlassensolidaritt so sehr hemmt wie die nationale Ungerechtigkeit und weil die gekrnktennationalen Minderheiten fr nichts ein so feine. Gefhl haben wie fr die Gleichheit und frdie Verletzung dieser Gleichheit, sei es auch nur aus Fahrlssigkeit, sei es auch nur im Scherz,fr die Verletzung dieser Gleichheit durch ihre Genossen Proletarier. Deshalb ist in diesemFalle ein Zuviel an Entgegenkommen und Nachgiebigkeit gegenber den nationalen

    Minderheiten besser als ein Zuwenig. Deshalb erfordert in diesem Falle das grundlegendeInteresse der proletarischen Solidaritt und folglich auch des proletarischen Klassenkampfes,dass wir uns zur nationalen Frage niemals formal verhalten, sondern stets den obligatorischenUnterschied im Verhalten des Proletariers einer unterdrckten (oder kleinen) Nation zurunterdrckenden (oder groen) Nation bercksichtigen.

    Lenin

    Niederschrift: M. W.31.12.1922

    Fortsetzung der Aufzeichnungen.31. Dezember 1922Was fr praktische Manahmen sind nun bei der entstandenen Lage zu ergreifen?Erstens muss man die Union der Sozialistischen Republiken bestehen lassen und festigen;ber diese Manahme kann kein Zweifel sein. Wir brauchen sie ebenso wie daskommunistische Weltproletariat fr den Kampf gegen die Weltbourgeoisie und fr dieVerteidigung gegen ihre Intrigen.Zweitens muss man die Union der Sozialistischen Republiken, was den diplomatischenApparat betrifft, bestehen lassen. Nebenbei bemerkt, bildet dieser Apparat eine Ausnahme inunserem Staatsapparat. Wir haben dort keine einzige irgendwie einflussreiche Person aus dem

    alten zaristischen Apparat zugelassen. Der ganze irgendwie magebende Apparat besteht dortaus Kommunisten. Deshalb hat sich dieser Apparat schon (das kann man ohne weiteres sagen)den Ruf eines bewhrten kommunistischen Apparats erworben, der in unvergleichlich,unermesslich hherem Mae von dem alten zaristischen, brgerlichen und kleinbrgerlichenApparat gesubert ist als jener, mit dem wir uns in den anderen Volkskommissariatenbehelfen mssen.Drittens muss man Gen. Ordshonikidse exemplarisch bestrafen (ich sage das mit um sogrerem Bedauern, als ich persnlich zu seinen Freunden gehre und im Ausland, in derEmigration mit ihm zusammengearbeitet habe) sowie alle Materialien der KommissionDzierzynskis nachtrglich prfen bzw. neu untersuchen, um die Unmenge vonUnrichtigkeiten und voreingenommenen Urteilen, die es dort zweifellos gibt, zu korrigieren.

    Politisch verantwortlich fr diese ganze wahrhaft grorussisch-nationalistische Kampagnemssen natrlich Stalin und Dzierzynski gemacht werden.

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    Viertens muss man uerst strenge Vorschriften hinsichtlich des Gebrauchs der nationalenSprache in den nichtrussischen Republiken erlassen, die unserer Union angehren, und dieBefolgung dieser Vorschriften besonders sorgfltig kontrollieren. Zweifellos werden bei uns,wie unser Apparat heute beschaffen ist, unter dem Vorwand des einheitlichenEisenbahnbetriebs, unter dem Vorwand des einheitlichen Fiskus usw. eine Menge von

    Missbruchen echt russischer Art Platz greifen. Fr den Kampf gegen diese Missbruchebedarf es besonderer Findigkeit, ganz zu schweigen von der besonderen Aufrichtigkeit jener,die einen solchen Kampf aufnehmen. Hier ist ein detaillierter Kodex ntig, den nur dieAngehrigen der Nation, die in der betreffenden Republik leben, einigermaen erfolgreichzusammenstellen knnen. Dabei soll man keinesfalls von vornherein die Mglichkeitausschlieen, dass man auf Grund dieser ganzen Arbeit auf dem nchsten Sowjetkongresswieder einen Schritt zurck macht, d. h. die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken nurin militrischer und diplomatischer Hinsicht bestehen lsst, in jeder anderen Hinsicht aber dievolle Selbstndigkeit der einzelnen Volkskommissariate wiederherstellt.Man muss in Betracht ziehen, dass die Zersplitterung der Volkskommissariate und diefehlende Koordinierung ihrer Arbeit mit Moskau und den anderen Zentren durch die Autoritt

    der Partei ausreichend wettgemacht werden kann, wenn von dieser Autoritt einigermaenumsichtig und unvoreingenommen Gebrauch gemacht wird; der Schaden, der unserem Staatdaraus entstehen kann, dass die nationalen Apparate mit dem russischen Apparat nichtvereinigt sind, ist unermesslich geringer, unendlich geringer als jener Schaden, der nicht nuruns erwchst, sondern auch der ganzen Internationale, den Hunderte Millionen zhlendenVlkern Asiens, dem in der nchsten Zukunft bevorsteht, nach uns ins Rampenlicht derGeschichte zu treten. Es wre unverzeihlicher Opportunismus, wenn wir am Vorabend diesesAuftretens des Ostens, zu Beginn seines Erwachens, die Autoritt, die wir dort haben, auchnur durch die kleinste Grobheit und Ungerechtigkeit gegenber unseren eigenennichtrussischen Vlkern untergraben wrden. Eine Sache ist die Notwendigkeit, uns gegen diewestlichen Imperialisten zusammenzuschlieen, die die kapitalistische Welt verteidigen. Hierkann es keine Zweifel geben, und ich brauche nicht erst zu sagen, dass ich diese Manahmenrckhaltlos gutheie. Eine andere Sache ist es, wenn wir selbst, sei es auch nur inKleinigkeiten, in imperialistische Beziehungen zu den unterdrckten Vlkerschaftenhineinschlittern und dadurch unsere ganze prinzipielle Aufrichtigkeit, unsere ganzeprinzipielle Verteidigung des Kampfes gegen den Imperialismus vllig untergraben. Denn dermorgige Tag der Weltgeschichte wird eben der Tag sein, an dem die vom Imperialismusunterdrckten Vlker, die sich schon regen, endgltig erwachen werden, an dem der langeund schwere Entscheidungskampf um ihre Befreiung beginnen wird.

    Lenin

    31.12.1922Niederschrift: M. W.

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    ANMERKUNGEN

    1. Den Brief an den Parteitag diktierte W. 1. Lenin in der Zeit vom 23. bis 26. Dezember1922, die Ergnzung zum Brief vom 24. Dezember 1922 aber am 4. Januar 1923.Dieser Brief wie auch die darauf folgend verffentlichten Briefe ber die

    Ausstattung der Staatlichen Plankommission mit gesetzgeberischen Funktionen undZur Frage der Nationalitten oder der Autonomisierung lehnen sich an die letztenArbeiten W.I. Lenins an, die programmatische Bedeutung besitzen:Tagebuchbltter, ber das Genossenschaftswesen, ber unsere Revolution (AusAnlass der Aufzeichnungen N. Suchanows), Wie wir die Arbeiter- undBauerninspektion reorganisieren sollen (Vorschlag fr den XII. Parteitag) undLieber weniger, aber besser. Diese Arbeiten diktierte er im JanuarFebruar 1923,und sie wurden auch damals in der Prawda verffentlicht. (Siehe Werke, Bd. 33.)Die Briefe ber innerparteiliche Fragen wurden zu jener Zeit nicht verffentlicht; derBrief Zur Frage der Nationalitten oder der Autonomisierung " wurde auf einerBeratung der Delegationsleiter des XII. Parteitags im Zusammenhang mit derErrterung der nationalen Frage verlesen; der Brief ber die Ausstattung derStaatlichen Plankommission mit gesetzgeberischen Funktionen wurde im Juni 1923an alle Mitglieder und Kandidaten des Politbros des ZK und an diePrsidiumsmitglieder des Zentralexekutivkomitees geschickt; der Brief an denParteitag wurde in den Delegationen auf dem XIII. Parteitag der KPR(B) verlesen.1956 wurden diese Briefe Lenins auf Beschluss des Zentralkomitees der Partei denDelegierten des XX. Parteitags der KPdSU zur Kenntnis gebracht, an dieParteiorganisationen versandt und in der Zeitschrift Kommunist Nr.9 verffentlichtund als Broschre in Massenauflage herausgegeben.

    2. Der politische Beobachter der im Jahre 1922 in Prag erscheinenden weigardistischenZeitschrift Peter Struves Russkaja Mysl war nicht S. F. Oldenburg (wie im Briefgesagt wird), sondern S. S. Oldenburg. S. F. Oldenburg ist der bekannte russischeGelehrte und Orientalist, der 1922 stndiger Sekretr der Akademie derWissenschaften war.

    3. Gemeint ist das kapitulantenhafte Verhalten Sinowjews und Kamenews in denSitzungen des ZK der Partei am 10. (23.) und 16. (29.) Oktober 1917, als sie gegenLenins Resolution ber die sofortige Vorbereitung des bewaffneten Aufstandsauftraten und dagegen stimmten. Nachdem Kamenew und Sinowjew in beidenSitzungen entschieden zurckgewiesen worden waren, verffentlichten sie am 18.Oktober in der menschewistischen Zeitung Nowaja Shisn eine Erklrung desInhalts, dass die Bolschewiki den Aufstand vorbereiten, dass sie beide aber den

    Aufstand fr ein Abenteuer halten. Damit verrieten sie den streng geheimen Beschlussdes ZK ber die unmittelbare Organisierung des Aufstands an Rodsjanko undKerenski. Am gleichen Tag verurteilte W. I. Lenin in dem Brief an die Mitglieder derPartei der Bolschewiki diese Handlungsweise und bezeichnete sie als unerhrtesStreikbrechertum.

    4. Autonomisierung der Plan, die Sowjetrepubliken durch ihren Eintritt in dieRSFSR auf der Grundlage der Autonomie zu vereinigen. Dieser Plan lag demResolutionsentwurf ber die Beziehungen zwischen der RSFSR und denunabhngigen Republiken zugrunde, der von J. W. Stalin vorgeschlagen und imSeptember 1922 von einer Kommission des ZK angenommen wurde, die gebildetworden war, um die Frage der weiteren Beziehungen zwischen der RSFSR, der

    Ukrainischen SSR, der Belorussischen SSR und der Transkaukasischen Fderation frdas Plenum des ZK vorzubereiten. In seinem Brief vom 26. September 1922 an dieMitglieder des Politbros bte W. I. Lenin an diesem Entwurf ernste Kritik. Er schlug

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    eine prinzipiell andere Lsung der Frage vor den freiwilligen Zusammenschluss allerSowjetrepubliken, darunter auch der RSFSR, zu einem neuen Staatsgebilde, der Unionder Sowjetrepubliken, auf der Grundlage ihrer vollen Gleichberechtigung. W. I. Leninschrieb: ... wir betrachten uns und die Ukrainische SSR u. a. als gleichberechtigt, undwir werden zusammen und auf gleichem Fue mit ihnen der neuen Union, der neuen

    Fderation beitreten ... Die Kommission des ZK arbeitete den Resolutionsentwurfentsprechend den Weisungen W. I. Lenins um. Der neue Entwurf, der von denLeninschen Weisungen ausging, wurde im Oktober 1922 vom Plenum desZentralkomitees der Partei besttigt. Auf der Grundlage des ZK-Beschlusses wurdedie Vorbereitungsarbeit fr die Vereinigung der Republiken entfaltet. Am 30.Dezember 1922 fasste der 1. Unionskongress der Sowjets den historischen Beschlussber die Grndung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. W. I. Lenin, dergrten Wert auf eine richtige nationale Politik und auf die praktische Verwirklichungder Deklaration und des Vertrags legte, die vom Sowjetkongress angenommen wordenwaren, diktierte den Brief Zur Frage der Nationalitten oder der Autonomisierungam 30. und 31. Dezember 1922. W. I. Lenins Brief wurde in einer Sitzung der Leiter

    der Delegationen zum XII. Parteitag der KPR(B) verlesen, der im April 1923 stattfand.Der Parteitag nahm eine Resolution Zur nationalen Frage an, der die LeninschenLeitstze zugrunde lagen.

    5. Gemeint sind die Plenartagungen des ZK der KPR(B) im Oktober und Dezember1922. Auf der Tagesordnung der Plenartagungen standen Fragen, die mit derGrndung der UdSSR zusammenhingen.