Lern- und Arbeitstechniken für das Studium || Die mündliche Prüfung

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12 Die mündliche Prüfung Worum geht es im 12. Kapitel? Zu guter Letzt geht es in diesem Kapitel um die verschiedenen Funk- tionen von Prüfungen und wie man sich speziell auf mündliche Prüfun- gen vorbereiten sollte. (Über die schriftlichen Prüfungsteile steht einiges in den Abschn. 10.4 und im Kap. 11.) Darüber hinaus finden Sie Hinwei- se darüber, wann und welche Informationen Sie zu „Ihrem“ Prüfer bzw. „Ihrer“ Prüferin sammeln sollten. Der eigene Eindruck ist hier sicherlich entscheidender als Schauergeschichten, die Ihnen möglicherweise zu Ohren kommen. Am wichtigsten ist nach der Abstimmung und Festle- gung der Themenkreise jedoch die rechtzeitige, gründliche Vorberei- tung. Hierzu kommen die Lerntechniken aus Kap. 3 und die Lese- und Verarbeitungsstrategien aus Kap. 9 zur Anwendung. Darüber hinaus ist ein gutes Zeitmanagement erforderlich (s. Kap. 6). Eine gründliche Vor- bereitung mindert das Risiko, das in jeder Prüfung steckt, denn eine gute Beherrschung des „Stoffs“ erhöht auch die Selbstsicherheit. Außerdem weist Sie das Kapitel darauf hin, dass neben dem Inhaltlichen auch das äußere Erscheinungsbild und das eigene Auftreten eine erhebliche Rol- le bei der Notengebung spielen, die alles andere als „objektiv“ ausfallen kann. 12.1 Die Funktionen von Prüfungen Prüfungen sollen die Funktion haben, festzustellen, ob die Kandidatinnen und Kan- didaten 351 F. Rost, Lern- und Arbeitstechniken für das Studium, DOI 10.1007/978-3-531-94088-5_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaſten | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

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12Diemündliche Prüfung

▸ Worum geht es im 12. Kapitel?Zu guter Letzt geht es in diesem Kapitel um die verschiedenen Funk-tionen von Prüfungen und wie man sich speziell auf mündliche Prüfun-genvorbereiten sollte. (Überdie schriftlichenPrüfungsteile steht einigesin den Abschn. 10.4 und im Kap. 11.) Darüber hinaus finden Sie Hinwei-se darüber, wann und welche Informationen Sie zu „Ihrem“ Prüfer bzw.„Ihrer“ Prüferin sammeln sollten. Der eigene Eindruck ist hier sicherlichentscheidender als Schauergeschichten, die Ihnen möglicherweise zuOhren kommen. Am wichtigsten ist nach der Abstimmung und Festle-gung der Themenkreise jedoch die rechtzeitige, gründliche Vorberei-tung. Hierzu kommen die Lerntechniken aus Kap. 3 und die Lese- undVerarbeitungsstrategien aus Kap. 9 zur Anwendung. Darüber hinaus istein gutes Zeitmanagement erforderlich (s. Kap. 6). Eine gründliche Vor-bereitungmindert das Risiko, das in jederPrüfung steckt, denneineguteBeherrschung des „Stoffs“ erhöht auch die Selbstsicherheit. Außerdemweist Sie das Kapitel darauf hin, dass neben dem Inhaltlichen auch dasäußere Erscheinungsbild und das eigene Auftreten eine erhebliche Rol-le bei der Notengebung spielen, die alles andere als „objektiv“ ausfallenkann.

12.1 Die Funktionen von Prüfungen

Prüfungen sollen die Funktion haben, festzustellen, ob die Kandidatinnen undKan-didaten

351F. Rost, Lern- und Arbeitstechniken für das Studium,DOI 10.1007/978-3-531-94088-5_12,© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012

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• sich den in der Ausbildungszeit vermittelten „Stoff“ angeeignet haben und inwelcher Qualität sie mit ihm umgehen und ihn wiedergeben können (Lernkon-trollfunktion),

• über bestimmte Fähig- und Fertigkeiten verfügen, um nun in den für erfolg-reiche Absolvent(inn)en vorgesehenen Ausbildungs- bzw. Aufgabenbereichaufzurücken resp. zu bestimmten Ämtern und Handlungen berechtigt zu sein(Prognose- sowie Berechtigungsfunktion).

Wer beispielsweise die Führerscheinprüfung nicht bestanden hat, darf kein Autosteuern, obwohl er vielleicht besser Auto fahren kann als ein anderer Führerschein-inhaber. Somit hat jede Prüfung auch eine Auslesefunktion, zumal die Prüfer dieAnforderungen unterschiedlich hoch ansetzen und damit steuern können, ob vie-le oder wenige die Prüfung bestehen (sollen) (Selektions- und Steuerungsfunktion).Insofern haben Prüfer(innen)Macht.

Prüflinge belastet i. d. R. die Unsicherheit,

• ob sie genügend gut vorbereitet sind,• wie die Prüfung verlaufen wird,• was inhaltlich „drankommt“ und• wie ihre Leistung bewertet wird.

Ist sie vorüber, haben die Kandidaten hoffentlich auch eine realistische Rückmel-dung über ihre Performanz erhalten (Feedbackfunktion). Leider werden Prüfungenauch als Druckmittel gegen Schüler und Studierende eingesetzt (Disziplinierungs-funktion).

Wenngleich empirische Untersuchungen aufzeigen, dass es um die „objektive“und „gerechte“ Beurteilung sowie um die prognostische Gültigkeit von Prüfungs-urteilen für den späteren Berufserfolg der Absolventen nicht gut bestellt ist, ist bis-her kein besseres Verfahren zur Erteilung von Berechtigungen vorhanden. In derSichtweise der Ethnologen kann man Prüfungen auch eine Initiationsfunktion zu-schreiben, mit denen eine Gesellschaft versucht, Übergänge von einer Lebensphasein eine neue zu markieren. Prüfungen wären somit vergleichbar mit Mutprobenwie es die Mannbarkeitsriten bei Stammesvölkern sind. Flaue Gefühle, Unsicher-heit, auch Angst und Angstüberwindung gehören somit zu Prüfungen.

Ein Viertel aller Prüflinge leidet nach eigenen Angaben vor und in den Prüfun-gen unter Prüfungsangst, doch hinterher höre ich oft, dass die Prüfung gar nicht soschlimmwar, sondern die Ungewissheit! Doch nicht nur Kandidaten haben eventu-ell Angst. Auch für viele Prüfer(innen) ist die Prüfungssituation keine angenehme,denn sie stehen nicht nur unter der Beobachtung der anwesenden Personen, son-

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12.2 Informationen sammeln zu möglichen Prüfungsberechtigten 353

dern befinden sich ebenfalls auf dem Prüfstand: mit ihrem Wissen, ihrer Vorbe-reitung und Durchführung der Prüfung ebenso wie mit ihren Lehrveranstaltungenund ihren Fähigkeiten zur Stoffvermittlung, wenn sie ihre eigenen Studierendenprüfen.

Mündliche Prüfungen haben außerdem vieles gemeinsam mit einerTheaterauf-führung: Neben dem obligaten „Lampenfieber“ gibt es „Rollen“ wie die des Prüf-lings und des Prüfers bzw. der Prüferin. Wenngleich die Protokollführung (durchBeisitzer/-in) meist eine Nebenrolle in dem Frage-und-Antwort-Spiel einnimmt,ist diese Person zugleich Publikum und Kritiker(in) der Inszenierung wie mögli-cherweise weitere anwesende Personen, wenn die Prüfung „(hochschul-)öffentlich“stattfindet. Beim Staatsexamen (das es nach wie vor in einigen Fächern gibt und zudem beispielsweise der Freistaat Sachsen in der Lehrerausbildung wieder zurück-gekehrt ist) ist der Kreis der Prüfenden größer, wobei jedoch nicht der Vorsitzende,sondern i. d. R. der Fachprüfer das Prüfungsgespräch führt. Insofern ist er für sei-nen Prüfungsteil auch der „Regisseur“ der Aufführung.

12.2 Informationen sammeln zumöglichenPrüfungsberechtigten und dem Prüfungsablauf

In den neuen BA/MA-Studiengängen wird dagegen studienbegleitend geprüft,sodass Sie wahrscheinlich keine große Prüferwahl haben: Sie werden schriftlichund/oder mündlich von denjenigen Personen geprüft, die ein Modul bzw. einedazugehörige Veranstaltung durchgeführt haben. Wenn Sie aber eine Wahlmög-lichkeit haben, dann sollten Sie, damit die Aufführung nicht zur Tragödie gerät,sich sehr genau über die zur Wahl stehenden Prüfungsberechtigten informierenund auch über deren Vorstellungen hinsichtlich des Inhalts und der Gestaltung derPrüfung. Dies wird meist im Kurs allgemein besprochen oder man kann es z. T. aufder Homepage der Prüfungsberechtigten finden.

In manchen Studiengängen gibt es die Chance, an mündlichen Prüfungen alsZuschauer/-in teilzunehmen, sofern die Kandidatin bzw. der Kandidat zustimmt.Solche Gelegenheiten sollten Sie ein Semester vorher unbedingt nutzen! Sie kennendann jedenfalls die Art, wie der bzw. die von Ihnen favorisierte oder Ihnen zugeteiltePrüfungsberechtigte tatsächlich vorgeht.

Obwohl die mündliche Prüfung eine asymmetrische Rollenverteilung darstellt,wünschen sich viele Prüferinnen und Prüfer ein (quasi-)gleichberechtigtes Ge-spräch in Form des gemeinsamen Nachdenkens über einenThemenkomplex, seinetheoretische und begriffliche Fassung und Ausdifferenzierung, eventuell vorhan-

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dene Konkurrenzmodelle, die Reichweite des zu erörternden Ansatzes, möglicheKritikpunkte und offene Fragen. Andere Prüfer wiederum bevorzugen Wissensab-fragen zu einem oder mehreren Themen; wieder andere wählen Gedankenexperi-mente von der Art: „Gesetzt den Fall, Sie seienmit folgender Situation konfrontiert,wie würden Sie handeln?“ und testen im Dialog die Problemwahrnehmungs- und-lösefähigkeit der Kandidatin bzw. des Kandidaten; wieder andere lassen den Prüf-ling das Gelernte herunterbeten und schalten sich selten in den Monolog ein, auswelchen Gründen auch immer. Manchmal monologisieren auch Prüfer und dieKandidaten kommen kaum zu Wort.

Wenn Sie selbst die Möglichkeit haben, an einer Prüfung bei der von Ihnenins Auge gefassten Person als Beobachter(in) teilzunehmen, so sollten Sie IhreWahrnehmung auf die prüfende Person konzentrieren. Wenn eine Teilnahme nichtmöglich ist, können Sie durch Befragung von ehemaligen Prüflingen dieses Prü-fers/dieser Prüferin Informationen sammeln:

• Wirkt der Prüfer/die Prüferin unsicher, chaotisch, aufgeregt oder ungeduldig?• Ist sie/er freundlich-aufmerksam und der Kandidatin/dem Kandidaten positiv

zugewandt?• Stellt er seine bzw. sie ihre Fragen klar und verständlich?• Wie reagiert er/sie, wenn die Kandidatin/der Kandidat nicht weiter weiß?• Worauf kommt es dem Prüfer/der Prüferin in der Prüfung offenbar besonders

an und wie geht er resp. sie vor?• Hat er/sie Lieblingsthemen und -ansichten und wenn ja, welche sind das?• Verwechselt er/sie gar Themenmit denen anderer Prüflinge?• Zensiert er/sie streng oder eher milde? . . .

Solches sollten Sie am besten selbst durch Beobachtung herausfinden oder abergleich nach den Prüfungen erfragen, wenn sich die Geprüften noch sehr genauerinnern. Lassen Sie sich jedoch nicht direkt vor Ihrer Prüfung durch möglicheHorror-Geschichten verrückt machen!

Wer selbst durch die Möglichkeit einer Teilnahme als Prüfungsbeobachter(in)profitiert hat, sollte diese Chance sicherlich wiederum anderen einräumen. ImÜbrigen werden in der Prüfung nicht nur Wissensbestände und ihr Können ge-testet, sondern Problemlösefähigkeiten, sprachliches Differenzierungsvermögen,Selbstsicherheit, Stressbelastbarkeit u. a.m. Deshalb sollten Sie nicht nur den Prü-fungs„stoff“ beherrschen, sondern sich vorher – durch Perspektivenwechsel – indie Person der Prüferin bzw. des Prüfers hineinversetzen und sich Gedanken zuden „Essentials“ der gewählten Themen sowie zu der Funktion der Ihnen bevor-stehenden Prüfung machen:

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12.3 Die Anmeldung zur Prüfung und die Vorbereitungsphase 355

• Welches sind die Fragen, die Sie, wenn Sie Prüfer(in) wären, zu „Ihren“ Prü-fungsthemen stellen würden?

• Was sind die Hauptfragen des Fachs, was sind die üblichen, anerkannten Erklä-rungsansätze (die sogenannte „herrschende Lehre“)?

• Erst danach:Welche Außenseiterpositionen gibt es dazu? Wie sind die üblichenparadigmatischen Ansätze vom Standpunkt der abweichenden Argumentationzu beurteilen? (Und umgekehrt)

• Welchen Nutzen kann man aus den einzelnenTheoremen für die Praxis ziehenund welche nicht?

Prüfungen sind auch Verwaltungsakte, d. h., die formalen Dinge sind in Prü-fungsordnungen geregelt. Lesen Sie sich nicht nur zu Beginn Ihres Studiums, son-dern auch ca. ein Jahr sowie ein Semester vor Ihrer Prüfung die für Sie geltendeStudien- und Prüfungsordnung genau durch; und nur wenn Sie dann noch Fragenhaben, suchen Sie sich kompetente Personen (Ihre Prüferin, Ihren Prüfer selbst,Sachbearbeiter[innen] in den Prüfungsbüros, Mitglieder des Prüfungsausschusses),die Ihnen wirklich korrekte und präzise Auskünfte geben können.

▸ Tipp Viele Fachbereiche und Fakultäten veröffentlichen die Studien-und Prüfungsordnungen als Dateien zum Nachlesen und Ausdruckenauch im Internet. Darüber hinaus verfügt mancher Prüfungsberechtigteüber eine Homepage, auf der die Zeiten der Sprechstunden, die wissen-schaftlichenSchwerpunkteundThemenderPublikationennachzulesensind. Manche stellen auf ihrer Homepage sogar spezielle Merkblätterfür mündliche und schriftliche Prüfungen zum Herunterladen bereit, indenen die persönlichen Grundsätze, mögliche Themenbereiche, Stan-dards und Bewertungskriterien genannt werden.

12.3 Die Anmeldung zur Prüfungund die Vorbereitungsphase

Wer in den „alten“ Studiengängen (Diplom, Magister) eingeschrieben ist, etliche„Scheine“ gesammelt sowie alle Voraussetzungen zur Prüfungsanmeldung, wie sieaus der Studien- und Prüfungsordnung hervorgehen, erfüllt hat, meldet sich zur(Zwischen-)Prüfung an.Wenn Sie freie Prüferwahl haben, sollten Sie sich, nachdemSie Erkundigungen eingezogen haben, für die Prüfungsberechtigten entscheiden,bei denen Sie schon Lehrveranstaltungen besucht haben, die Ihnen sympathisch

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sind und von denen Sie annehmen, dass Sie ihnen „gewogen“ sind; denn für dieNotengebung ist Sympathie leider nicht unerheblich: Diejenigen, die man mag, siehtman wesentlich unkritischer und bewertet sie besser. Natürlich muss die Prüfer-wahl auch mit der der Themen einhergehen, weil nicht jeder Prüfer/jede Prüferinalle Lerngebiete prüfen darf oder will. Mit Ihren Themenvorstellungen, die sichnach Ihren Studienschwerpunkten und den von Ihnen besuchten Lehrveranstaltun-gen richten sollten, melden Sie sich zur Sprechstunde der bzw. des dafür in Fragekommenden Prüfungsberechtigten an, um sich mit ihm bzw. ihr über die vorzube-reitenden Themen sowie die dazu heranzuziehende Literatur zu verständigen. Beidiesem Gespräch sollten Sie auch fragen, worauf es ihm bzw. ihr in den Prüfungenbesonders ankommt. Ist er/sie einverstanden, Ihre Prüfung durchzuführen, wirder bzw. sie dieses durch die Unterschrift auf dem Prüfungsmeldeformular quittie-ren. Die abgesprochenen Themen und die zugrunde gelegte Literatur sollten Sieschriftlich festhalten und dem Prüfer/der Prüferin als eine erste schriftliche Infor-mation zuschicken. Durch die kurze Vorbereitungszeit bei den schriftlichen wiemündlichen Prüfungen ist es ratsam, schon vor der Meldung zur Prüfung auf diesystematische Vorbereitung aller Studienunterlagen allergrößten Wert zu legen.

Etliche Professorinnen und Professoren veranstalten für ihre Kandidat(inn)enein Prüfungskolloquium, an dem Sie aktiv teilnehmen sollten. Darüber hinaus soll-ten Sie rechtzeitig mit dem verteilten Lernen beginnen, d. h. die vereinbarte Lite-ratur (wieder) zu beschaffen, vom Umfang her in kleinere Portionen aufzuteilenund dasWichtigste zuerst anzugehen. Besonderswichtig ist es, nicht nur rechtzeitigzu beginnen, sondern Zeitpuffer für Unvorhergesehenes einzuplanen. Meist ebensopositiv wie die Teilnahme an einem Prüfungskolloquium ist die gemeinsame Vor-bereitung mit anderen, die gleiche oder sehr ähnliche Themenstellungen gewählthaben (s. Zusammenarbeit mit anderen – Kap. 4). Stickel-Wolf und Wolf (2011,S. 317) raten Ihnen, regelmäßig und in kleinen Zeitabständen Ihre Lernfortschrittezu testen. Damit geben Sie sich selbst Rückmeldungen über Ihre Lernerfolge, ins-besondere, wenn Sie diese mit kleinen Belohnungen verstärken (s. Abschn. 3.7).Sollten Sie das Lernen immer wieder aufschieben wollen, so analysieren Sie dieGründe für Ihr Verhalten. Eine zeitweise gemeinsame Vorbereitung, um sich moti-vational zu unterstützen, und später das Sich-gegenseitig-Abfragen und Simulierenvon Prüfungssituationen zu einer Zeit, zu der die Prüfungsvorbereitung in ein Fes-tigen und Wiederholen der Gelernten übergeht, sind weitere Möglichkeiten, denStress vor einer Prüfung erfolgreich zu bewältigen.

Inmanchen Prüfungsordnungen sind auchGruppenprüfungenmöglich oder garvorgeschrieben, in der zwei oder mehr Studierende zugleich und zu denselbenThe-men geprüft werden. Allerdings verlängert sich die Prüfungszeit dadurch, was nichtnur eine längere Anspannung für alle Beteiligten bedeutet: Mancher Prüfungsstoff

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12.4 Kurz vor der Prüfung und in der mündlichen Prüfungssituation 357

gibt zeitlich gar nicht so viel her, sodass zwangsläufig andere Themen geprüft wer-den müssen. Weiß jemand nicht weiter, wird meist der nächste Kommilitone bzw.die nächste Kommilitonin befragt. Daraus kann unbeabsichtigt eine Konkurrenz-situation entstehen, manchmal profiliert sich tatsächlich jemand auf Kosten deroder des anderen.

Egal, ob Sie nun als Einzelkämpfer/-in oder zumehreren die Arena betreten, einbisschen innere Unruhe, Unsicherheit und Anspannung vor einer Prüfung gehörendazu, sollten Sie aber nicht lähmen, sondern dazu antreiben, sich optimal vorzu-bereiten. Sie minimieren nicht nur das Risiko, das in jeder Prüfung steckt, sonderneine durchdachte methodische Vorbereitung gibt Ihnen die nötige Selbstsicherheitund steigert die Selbstwirksamkeit. Sie haben außerdem ein reines Gewissen, weilSie alles getan haben, was Ihnen möglich war. Insofern haben Sie sich nichts vor-zuwerfen, falls doch etwas „schief “laufen sollte. Und träumen Sie vor der Prüfungauch einmal davon, wie Sie sich nach den Strapazen belohnen werden.

12.4 Kurz vor der Prüfungund in dermündlichen Prüfungssituation

Ihre inhaltlichen Vorbereitungen sollten etwa drei Tage vor dem Prüfungstermin ab-geschlossen sein. Dann sind nur noch Wiederholungen und Prüfungssimulationenangebracht, die allerletzten am frühen Abend vor der Prüfung. Danach sollten Siesich noch etwas entspannen und ablenken, damit Sie gut und ausreichend schlafen.Verzichten Sie auf Coffein, Alkohol und Schlaftabletten, weil diese die natürlicheSchlafkurve beeinträchtigen. Je nachdem, ob Sie Probleme mit dem Aufstehen ha-ben, sollten Sie sichergehen, dass Sie rechtzeitig geweckt werden und nicht verschla-fen.

„Was soll ich anziehen?“, ist eine nicht nur von Studentinnen gestellte Frage. IhreKleidung sollte sauber, bequem und nicht zu auffällig sein. Bedenken Sie, dass deräußere Eindruck Prüfer(innen) unbewusst beeinflusst (dazu gehören auch Frisur,Fingernägel, Tattoos, Piercings, Körperhaltung u. a.). Vermeiden Sie Körpergeruchebensowie aufdringliche Parfümierung. Inwieweit Prüfer(innen) auf ÄußeresWertlegen und wie stark sie sich davon beeinflussen lassen, ist leider aus deren eige-nemÄußeren nicht direkt ableitbar. Da Prüfungen und damit zu vergebende spätereBerufschancen eine Errungenschaft des Bürgertums sind, orientieren Sie sich eheran bürgerlichen Normalvorstellungen als am „Dernier cri“ einer Subkultur.

Nach Möglichkeit sollten Sie einige Zeit vor der Prüfung leichte und bekömm-liche Nahrung zu sich genommen haben, und das in Ruhe. Bedenken Sie, dass Ihr

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Gehirn einer erhöhten Flüssigkeits- und Energiezufuhr bedarf, um Höchstleistun-gen zu erbringen (s. Abschn. 3.6). Machen Sie sich so rechtzeitig auf denWeg, dassein verpasstes öffentliches Verkehrsmittel Sie nicht aus der Ruhe bringt. Falls Siekeine genaue Ortskenntnis besitzen, sind Sie gut beraten, diesen Weg vorher ein-mal zur gleichen Zeit zurückzulegen und schon zu wissen, hinter welcher Tür diePrüfung stattfinden wird und wo sich eine Toilette befindet. Gut ist, wenn Sie sorechtzeitig am Prüfungsort ankommen, dass Sie noch einige Zeit vor demGebäudeauf- und abgehen und frische Luft schöpfen können. Vermeiden Sie dabei Flach-atmung und beruhigen Sie sich mit der Bauchatmung: Legen Sie eine Hand aufIhren Unterbauch und atmen Sie ruhig bis zu Ihrer Hand ein. Nach einer kurzenPause atmen Sie lang und ruhig wieder aus. Diesen Vorgang wiederholen Sie etli-che Male, bis Sie sich ruhiger fühlen. Lampenfieber gehört dazu und zeigt, dass IhrKörper auf Hochtouren arbeitet.

▸ Tipp Vermeiden Sie hochgradigen Stress, der der Konzentration scha-det und Ihr Denken blockieren könnte. Bedenken Sie stattdessen, dassSie schon Prüfungen bestanden haben und gut vorbereitet sind.

Wenn Sie dann hereingerufen werden, treten Sie ein und begrüßenmit leichtemHändedruck und freundlich lächelndem Blickkontakt Prüfer(in) und Beisitzer(in)(nicht aber das Publikum). Versuchen Sie durch Ihre Körperhaltung und verbind-licheUmgangsformen einen sympathischen Eindruck zu erwecken. Freundlich auf-tretende Menschen sind hier klar im Vorteil. Halten Sie auch während der Prüfungimmer wieder festen, ruhigen Blickkontakt mit Prüfer(in) bzw. Beisitzer(in) (vgl.Dietze 1999, S. 19).

Prüfende werden Ihnen meistens erst einmal Gelegenheit geben, Ihr Lampen-fieber zu überwinden, indem sie sich zu Beginn noch einmal zu demThemengebietvergewissern, Sie dazu auffordern, einen kleinen Überblick als Einführung zu ge-ben oder indem sie leichtere Fragen stellen. Sie als Prüfling konzentrieren sichauf die Aufforderungen und Fragen. Wenn Sie in der Aufregung eine Frage nichtverstanden haben, bitten Sie um deren Wiederholung. (Manche tun dies auch,um Zeit zu gewinnen, weil sie noch keine Antwort wissen. Das kann man einmalmachen, aber nicht nach jeder Frage.) Wenn Sie zu einem Statement aufgefordertwerden, nutzen Sie die Gelegenheit, sich und Ihr Wissen überlegt zu präsentierenund dies in Hochdeutsch, in vollständigen Sätzen und mithilfe der zum Themagehörigen Terminologie. Vermeiden Sie abgedroschene Phrasen (diese provozierenunangenehme Nachfragen), argumentieren Sie stattdessen mit Hypothesen, beleg-baren Behauptungen und Schlussfolgerungen. Besonders gut bewertet wird nichtnur der Transfer von theoretischen Konzepten auf Praxiskontexte, sondern auch

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12.5 Nach der mündlichen Prüfung 359

eine detaillierte Kenntnis von Theorien, ihres Entstehungszusammenhangs, vonAlternativkonzepten, deren Vor- und Nachteile im Vergleich. Wenn Sie „gar keineAhnung“ haben zu einer gestellten Frage, sei es, weil Sie diesen Bereich in denVorbereitungen nicht berücksichtigt oder einen „Blackout“ haben, reden Sie nichtherum, sondern sagen Sie das offen. So kann das Prüfungsgespräch thematisch ineinem anderen Bereich fortgeführt werden und die Prüfung gerät nicht in eine fürbeide Seiten stockende und qualvolle Phase.

Wichtig ist, dass Sie sich eine Uhr so bereitlegen, um die begrenzte Zeit im Augebehalten können. Manche Kandidat(inn)en verschießen in ihrer Aufgeregtheit ihrPulver zu schnell, andere verzögern die Situation ausAngst vor unangenehmenFra-gen. Nutzen Sie die Ihnen zur Verfügung stehende Zeit, IhrWissen und Können zupräsentieren, damit es nicht am Ende heißt: „Was hat die Kandidatin/der Kandidateigentlich gesagt?“ – Seien Sie also initiativ und nicht nur passiv!

Nach Dorothee Meer (vgl. 1998), die reale Prüfungsverläufe in verschiedenenFächern untersucht hat, laufen Prüfungen dann am besten, wenn

• ein eher konventioneller thematischer Einstieg gewählt wird,• der Kandidat/die Kandidatin im Aufmerksamkeitszentrum der Prüfungssituati-

on steht,• er/sie sich und sein/ihr thematischesWissen aktiv in angemessener Sprache prä-

sentiert,• dabei beide Seiten dialogisch kohärente Anschlussmöglichkeiten realisieren,• Themenwechsel unproblematisch verlaufen,• Konflikte und Machtkämpfe gemieden bzw. nicht auf die Spitze getrieben wer-

den und• im Idealfall ein gleichberechtigter wissenschaftlicher Dialog zustande kommt.

Nutzen Sie die Ihnen zur Verfügung stehende Zeit, um Ihr Wissen und Könnennachzuweisen! Wenn Sie dieses mit Klugheit, Freude und Engagement tun, werdenSie überzeugen.

12.5 Nach der mündlichen Prüfung

Nach der mündlichen Prüfung werden Sie gebeten, den Raum zu verlassen, da-mit die Bewertung der Prüfung besprochen werden kann. Wenngleich Sie sicher-lich jetzt abgespannt sind, sollten Sie dennoch selbst noch einmal den Prüfungs-verlauf reflektieren und sich selbst und Ihre Leistung einschätzen, zumal manche

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Prüfer(innen), nachdem Sie wieder in das Prüfungszimmer gerufen wurden, Siegemeinerweise vor Nennung der Note nach Ihrer Selbsteinschätzung fragen („Na,was würden Sie sich denn für eine Note geben?“). Hierauf sollten Sie vorsichtig rea-gieren („Das kann ich nicht so richtig einschätzen, ich war viel zu . . . aufgeregt, . . .sehr auf Ihre Fragen konzentriert, . . . “).

Das Feedback von Prüfer(in) und Beisitzer(in) sollte ausführlicher sein als dieNennung der Ziffernnote. Sie haben einen Anspruch auf eine Begründung, ins-besondere dann, wenn die Note nicht ihren Erwartungen entspricht. Wenn Siesich ungerecht behandelt fühlen, dann sollten Sie Ihre Ansicht sachlich vortragen.Kein(e) Prüfungsberechtigte(r) wird sich auf eine Feilscherei um die Note einlas-sen, aber es stehen Ihnen rechtliche Möglichkeiten offen, einen Prüfungsverlaufkontrollieren zu lassen. Diesen Weg, der zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmenkann, sollten Sie aber nur bei für Sie schwerwiegenden Nachteilen einschlagen undnicht bei einer halben Note Differenz zwischen Fremd- und Selbsteinschätzung.Recht bekommen Sie vor Gericht schneller, wenn eindeutige grobe Formfehler vor-liegen, Sie beispielsweise vor Beginn der Prüfung nicht gefragt wurden, ob Sie sichgesund und prüfungsfähig fühlten. Dann dürfen Sie die Prüfung wahrscheinlichnoch einmal wiederholen.

ZusammenfassungEine mündliche Prüfung will strategisch gut vorbereitet sein. Wenn Sie freiePrüferwahl haben, sollten Sie sich nach Ihren Interessen und Studiengebietenentsprechende Prüfungsberechtigte suchen, bei denen Sie schon Lehrveranstal-tungen besucht haben, die Ihnen nicht unsympathisch sind und denen Sie esoffenbar auch nicht sind. Da Sie Ihre Unterlagen auf mögliche Themenkreiseimmer wieder bearbeitet haben, kennen Sie sich inhaltlich schon so gut aus,dass Sie demPrüfer/der Prüferin Vorschläge unterbreiten können, die er bzw. sievielleicht noch – auch hinsichtlich neuerer Literatur – eingrenzt oder ausweitet.Sofort nach diesemGesprächmüssen Sie sich einenÜberblick über denArbeits-aufwand verschaffen, sich die ausstehenden Schriften besorgen und rechtzeitigund systematisch mit Ihren Vorbereitungen beginnen. Tägliches, verteiltes so-wie stressfreies Lernen (s. Kap. 3) ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dassSie dieses Pensum schaffen und Zeit für Wiederholungen und Prüfungssimula-tionen haben. Schön wäre es, wenn Sie sich thematisch gemeinsam mit anderenauf die Prüfungen vorbereiten könnten.

Für Ihr Studium, dessen Abschluss und Ihren weiteren Lebensweg wünscheich Ihnen Glück und Erfolg!

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12.5 Nach der mündlichen Prüfung 361

▸ Tipp Wer sich noch weiter mit dem Thema „Prüfungsvorbereitung undmündliche Prüfung“ beschäftigen möchte, lese das Buch „Mündlich:ausgezeichnet“ von Lutz Dietze (vgl. 1999) oder das von Bijan Adl-Amini(vgl. 2001). Zum Umgang mit Prüfungsangst empfehle ich das Buchvon Metzig und Schuster (vgl. 2009) oder das Buchs „Prüfungsangstbesiegen“ (Knigge-Illner 2010). Das Prüfungsrecht und -verfahren imZusammenhang mit den neuen Bachelor- und Master-Studiengängenstellt Wex (vgl. 2002) informativ und zuverlässig dar.

Literaturverzeichnis

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