LESEPROBE Astrid Lindgren. Wer ist das? von Katrin Hahnemann

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Astrid Lindgren — ihre Bücher kennt jeder, den Kindern überall auf der Welt bedeutet sie viel. Katrin Hahnemann schildert das Leben einer Frau, die durch ihre Bücher verzauberte, die zugleich aber auch eine Kämpferin und für viele ein Vorbild war.

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Astrid Lindgren

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ASTRID L INDGREN WER IST DAS?

Illustriert von Uwe Mayer

Bloomsbury

Kinderbücher & Jugendbücher

Katrin Hahnemann

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© 2011 Bloomsbury Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten

Umschlag gestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg, unter Verwendung einer Illustra-

tion von Uwe Mayer und einer Fotografie von © Ullstein Bild Typografie und

Gestaltung: Manja Hellpap, Berlin Gesetzt aus der Custodia und der Today

Druck und Bindung: T B B, Banská Bystrica Printed in the Slovak Republic

I S B N 978-3-8270-5481-4 www.bloomsbury-verlag.de

Für meine Mutter K. H.

Für Sasha U. M.

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WAS S IEHST DU H IER?

Eine Frau hat ihren Arm um ein Mädchen gelegt. Die beiden

schauen gespannt in die Richtung, in die die Frau zeigt. Was

sie da sehen, wissen wir nicht. Die Frau trägt ein Kopftuch, und

sie geht komisch, irgendwie schleichend, ein bisschen gebückt.

Auch das Mädchen geht so. Es sieht nicht aus wie ein norma-

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les Mädchen. Rote Zöpfe, Sommersprossen, großer lachender

Mund, lange Strümpfe und zu große Schuhe. Erkennst du sie?

Ja, es ist Pippi Langstrumpf, oder eigentlich Inger Nilsson, das

Mädchen, das Pippi im Film spielt. Und die Frau ist die Erfinde-

rin von Pippi, die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren.

Astrid Lindgren ist eine der besten Kinderbuchautoren der Welt,

vielleicht ist sie auch die allerbeste. Mit ihren Büchern hat sie viel

mehr erreicht, als einfach nur Kinder zu unterhalten.

Sie hat die Vorstellung der Menschen davon, wie Kinder

sind, verändert. Dass Kinder stark und mutig sein können, frech

und eigensinnig und dass das in Ordnung ist, das hat Astrid Lind-

gren den Menschen mit ihren Geschichten gezeigt.

Außerdem hat sie in ihren Reden und Artikeln für die Rechte der

Kinder gekämpft:

Die Ideen für ihre Bücher nahm sie aus ihrer Kindheit. Wie aber

sah sie aus, Astrids Kindheit? Wie wurde sie zu einer berühmten

Kinderbuchautorin?

Lies weiter, wenn dich das interessiert.

Katrin Hahnemann

das Recht, niemals geschlagen zu werden das Recht, mit Achtung und Respekt behandelt zu werden

das Recht, frei sein und Kind sein zu dürfen

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»DER ASTEROID L INDGREN« — ODER WIE ES IST , BERÜHMT ZU SE IN

Astrid Lindgren war die berühmteste Kinderbuchautorin der

Welt. Manche sagen sogar, sie war die berühmteste schrift-

stellerin der welt. Sie hat 82 Bücher geschrieben. Die sind in

90 Sprachen übersetzt worden, von Afrikaans über Kirgisisch bis

zu Portugiesisch und Thailändisch.

»Lappenkinder in ihren Zelten im Norden, die Kinder im indischen

Dschungel, in den israelischen Kibuzzim, in amerikanischen Luxus-

villen wie in japanischen Bambushäusern, ja kinder aus aller

welt könnten zusammensitzen und sich über die Sachensucher,

über Pippis Spiel mit der Polizei, über die Pfi ffi gkeiten des Meister-

detektivs Blomquist, über Karlsson vom Dach und sein Frikadellen-

essen oder über Michel in der Suppenschüssel und seine Streiche

amüsieren«, hat einmal ein Kritiker über Astrids Bücher gesagt.

Es sind über 145 millionen exemplare ihrer Bücher gedruckt

und verkauft worden. Irgendjemand, der gut in Mathe war, hat

vor ein paar Jahren mal Folgendes ausgerechnet: Wenn man alle

Astrid-Lindgren-Bücher in einer Reihe nebeneinanderlegen wür-

de, dann würde diese Bücherschlange dreimal um die gesamte

Erde reichen! Wenn man sie aufeinanderstapeln würde, könnte

man 175 Eiffeltürme damit bauen. Kannst du dir das vorstellen?

Der echte Eiffelturm in Paris ist 320 Meter hoch. 175 Eiffeltürme

nur aus Büchern? Und inzwischen sicher noch mehr, denn jedes

Jahr werden ungefähr zwei Millionen weitere Bücher von Astrid

Lindgren verkauft.

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»der asteroid l indgren« 8

2007 wäre Astrid Lindgren 100 Jahre

alt geworden, und dieser geburts-

tag wurde überall auf der Welt groß

gefeiert. Das Jahr wurde sogar das

astrid-lindgren-jahr genannt.

Ja, Astrid Lindgren war wirklich

berühmt:

Mehrmals wurde sie zur berühm-

testen Schwedin des Jahres gewählt

und mit 90 Jahren sogar zur beliebtes-

ten Schwedin des Jahrhunderts.

regierungschefs und

könige haben ihr zum

Geburtstag gratuliert. Als sie

starb, bekam sie ein Staats-

begräbnis, wie sonst nur die

Mitglieder der schwedischen

Königsfamilie.

Auf der ganzen Welt wurden schulen und krankenhäuser

nach ihr benannt.

Allein in Deutschland gibt es über 170 Astrid-Lindgren-

Schulen.

In Russland ist »Karlsson vom Dach« neben der Bibel angeblich

das bekannteste Buch.

Die Namen Ronja und Lotta sind wegen Astrid Lindgrens

Büchern zu beliebten Mädchennamen geworden.

In Astrid Lindgrens Geburtsstadt Vimmerby gibt es einen

Freizeitpark mit Nachbauten der Orte, an denen ihre Geschichten spielen.

Und auch Stockholm hat ein astrid-lindgren-museum.

Vor Astrid liegen ihre Bücher in all den verschiedenen Sprachen.

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wie es i st , berühmt zu se in 9

Der Hof, auf dem die Michel-Filme gedreht wurden,

wurde umbenannt in Katthult, nach dem Hof von Michels

Familie in »Michel aus Lönneberga«.

Sevedstorp, wo die Bullerbü-Filme gedreht wurden,

besuchen bis zu 2000 Menschen pro Tag.

Und nach Vimmerby, wo Astrid Lindgren aufgewachsen

ist, kommen sogar noch viel mehr Besucher. Der Ort hat mittler-

weile eine Astrid-Lindgren-Straße, eine Bullerbü-, eine Krach-

macher- und eine Rote-Rosen-Straße, außerdem eine Alfred-,

eine Mio- und eine Saltkrokan-Gasse.

Die Villa Kunterbunt in Vimmerby

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»der asteroid l indgren« 10

Du meinst vielleicht, dass es Spaß machen würde, so berühmt

zu sein. Aber Astrid Lindgren war es ziemlich egal. Sie fand es

merkwürdig, »was für ein aufstand um diesen menschen

astrid lindgren« gemacht wurde, wie sie selbst es einmal aus-

drückte.

Über all die berühmten Leute, die sie traf, sagte Astrid Lindgren: »Für

mich ist das kein Unterschied, ob es eine Königin ist oder eine Putz-

frau. Ich sehe sie als die Kinder, die sie waren. Ich bin Astrid aus Små-

land, eine bauerntochter von anfang bis ende.«

Astrid bekam unglaublich viele preise und auszeichnungen,

vor allem für ihre Bücher, aber auch weil sie sich für die Rechte

von Kindern, für ein besseres Tierschutzgesetz und gegen Krieg

und Atomkraft einsetzte.

Einmal erzählte Astrid, am allermeisten hätte sie sich über den aller-

ersten Preis gefreut. Da hat sie bei einem Preisausschreiben mitge-

macht und ein Mädchenbuch geschrieben. Alle späteren Preise, die

kleinen Statuen und so weiter, »die kann man ja ins Fenster stellen,

wenn man lüftet«, hat sie gesagt. Das war natürlich auch witzig ge-

meint. Denn Astrid Lindgren hatte viel humor, und sie machte oft

und gerne Witze. Als sie von der russischen Regierung gefragt

wurde, ob sie einen neu entdeckten Asteroid, das ist so etwas Ähn-

liches wie ein Miniplanet, nach ihr benennen dürften, da sagte sie:

»Ja, ja. Ab jetzt dürft ihr mich Asteroid Lindgren nennen.«

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Jede Woche bekam Astrid Lindgren ungefähr 150 briefe aus

aller welt von Kindern und Erwachsenen. Stell dir vor, du

müsstest jeden Tag über zwanzig Briefe beantworten. Ganz

schön anstrengend, oder? Zuerst hat sie das ganz allein gemacht,

aber später stellte sie ihre alte Freundin aus dem Verlag, Kerstin

Kvint, als Sekretärin ein. Die hat ihr bei der Beantwortung der

Post geholfen. An ihrem 85. Geburtstag lieferte die Post neun

große Säcke voller Briefe. An ihrem 90. Geburtstag waren es so-

gar 16 Säcke. Stell dir das mal vor, 16 große Säcke voll mit Brie-

fen!

Außerdem klingelte bei Astrid Lindgren ständig das Telefon.

Leute fragten:

Wo liegt Bullerbü? Was wolltest du mit »Mio, mein Mio« sagen?

Dürfen wir »Michel aus Lönneberga« verfilmen?

Ich möchte gerne ein Theaterstück

aus »Karlsson vom Dach« machen, geht das?

Kann man Pippi-Figuren auf Porzellan drucken?

Dürfen wir unsere Schule Bullerbü-Schule nennen?

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»der asteroid l indgren« 12

alle wollten etwas von ihr. Manche baten sie auch um Un-

terstützung für bestimmte Projekte, weil sie so berühmt war.

Und viele wollten sie ganz einfach gerne kennenlernen oder be-

suchen.

Wenn Astrid Lindgren spazieren oder einkaufen ging, sprachen sie

auch ständig Leute an und fragten: »Hallo, sind Sie nicht Astrid Lind-

gren?« Sie antwortete dann gerne: »Nein, ich bin die Schwester von

Fingal Olsson.«

Durch den Verkauf ihrer Bücher ist Astrid Lindgren mit der Zeit

ziemlich reich geworden. Sie hätte eigentlich in Saus und Braus

leben, schöne Reisen machen, in teuren Hotels wohnen, sich

alles Mögliche kaufen können. Aber sie interessierte sich nicht

für geld.

An Weihnachten 1972 schrieb sie in ihr Tagebuch: »Geld habe ich

so verdammt viel verdient. Es macht mir angst. Ich will Geld nicht

haben.« Kannst du das verstehen? Überleg mal, wie es wohl wäre, viel

Geld zu haben, mehr als alle deine Freunde, deine Eltern und Ver-

wandten. Man ist dann irgendwie anders, gehört nicht mehr richtig

dazu, oder?

Zum hundertsten Geburtstag gab es eine deutsche Astrid-Lindgren-Briefmarke.

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Astrids Alltag änderte sich aber durch das viele Geld kaum. Sie

blieb in ihrer alten Vierzimmerwohnung in der Dalagatan woh-

nen, und dort sieht es auch nach ihrem Tod immer noch so aus

wie in den vierziger Jahren. Die gleichen Stühle und Tische, das

gleiche Sofa, die gleichen Betten. Astrid Lindgren lebte so spar-

sam, wie sie es von ihrer Mutter gelernt hatte. Sie verstand nicht,

warum es Spaß machen sollte, sich immer wieder Dinge, Dinge,

Dinge zu kaufen.

In den Ferien fuhr sie fast immer auf eine kleine Insel vor

Stockholm, furusund. Das Haus dort hat sie gekauft und auch

Näs, den alten Hof ihrer Eltern in vimmerby. Aber das waren die

einzigen Male, wo sie viel Geld ausgegeben hat. Dafür hat sie oft

anderen Leuten Geld gegeben, um ihnen zu helfen.

Diese sparsame Art war damals typisch für die Leute in små-

land, der Gegend von Schweden, in der Vimmerby liegt. Und

Astrid war nun einmal eine typische Smålander Bauerntochter.

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»DAMALS , VOR LANGER ZE IT« — ASTR ID , E IN K IND IN SMÅLAND

Schweden liegt hoch im Norden von Europa, dort gibt es viele

Wälder, im Winter viel Schnee und im Sommer die Mitternachts-

sonne. Das bedeutet, dass in den nördlichen Ländern die Sonne

im Sommer auch nachts nicht ganz untergeht. Bilder dazu findest

du unter: http://www.kidsnet.at/Norwegen/Nordlicht.htm

Ansonsten leben die Leute dort nicht so viel anders als hier.

Das Land hat zwar einen König und eine Königin, aber die Men-

schen wählen ihre Regierung genau wie bei uns.

Doch als Astrid zur Welt kommt, also vor über hundert jah-

ren, ist vieles noch ganz anders. Fernseher, MP3-Player, Mobil-

telefone und Computer sind noch nicht erfunden. Man nennt

diese Zeit auch das Pferdezeitalter, weil Pferde damals so eine

wichtige Rolle spielen. Es gibt nur wenige Autos und keinen elek-

trischen Strom. Wasser muss aus dem Brunnen gepumpt und in

Eimern ins Haus geschleppt werden, im Winter ist es außerdem

eiskalt.

In der Küche bei Astrids Eltern steht ein großer eiserner

Herd, der mit Holz geheizt wird. Dort sitzt die Familie zusammen

mit den Knechten und Mägden abends vor dem Kaminfeuer. Sie

nähen oder stopfen Strümpfe, die Kinder lernen für die Schule,

und manchmal erzählen die Erwachsenen Geschichten. Ist das

Feuer aus, wird es kalt, und alle gehen ins Bett.

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astrid , e in k ind in småland 15

Astrid kommt auf einem bauernhof zur Welt, in einem alten

roten Holzhaus, das von einer Wiese mit Apfelbäumen umgeben

ist. Es ist Freitag, der 14. November 1907, und sie wird Astrid

Anna Emilia Ericsson genannt. Ericsson, so heißen Astrids Eltern,

Lindgren ist nämlich der Name ihres späteren Mannes, und sie

trägt ihn erst nach ihrer Heirat.

Der Hof der Ericssons heißt Näs, und es ist der ehemalige

Pfarrhof.

Wenn du dir Fotos von Vimmerby und Näs, Astrids Schule usw.

anschauen willst, kannst du unter www.astrid-lindgren.de/typo3/

index.php?id=3876 nachgucken.

Astrids Geburtshaus in Vimmerby

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Astrid ist das zweite von vier kindern. Ihr Bruder Gunnar ist

ein Jahr älter und die Schwestern Stina und Ingegerd sind vier

und neun Jahre jünger. Die Mutter Hanna ist eine fleißige Bäu-

erin. Sie hat keine Zeit, sich nach der Geburt auszuruhen, die

Tiere müssen versorgt und der Haushalt gemacht werden. Sie

und ihr Mann, Samuel August, haben zwar Mägde und Knechte,

die ihnen bei der Arbeit helfen. Doch Hanna ist diejenige, die

allen sagt, was zu tun ist.

astrids vater Samuel August ist ein sehr besonderer Mensch.

Astrid liebt ihn über alles. Er ist witzig und klug, lieb und sanft,

aber auch geschäftstüchtig. Er ist bei allen Leuten sehr beliebt,

denn er hat viel Humor und kann wunderbar Geschichten erzäh-

len. Astrid hat dieses Talent von ihm geerbt. Samuel August ist

ein glücklicher Mensch, der das Leben liebt und gut mit Tieren

umgehen kann. Die Kinder dürfen abwechselnd in seinem Bett

schlafen, und oft gibt es Streit zwischen ihnen, wer gerade an der

Reihe ist.

Hanna, astrids mutter, ist ruhig und tüchtig und auch ein

bisschen streng. Es ist selbstverständlich, dass die Kinder tun,

was sie sagt. Aber sie schimpft und meckert nicht. Wenn die Kin-

der zu spät zum Essen kommen oder ihre Kleider zerrissen und

schmutzig sind, hat sie Verständnis. Umarmungen oder Küsse

bekommt Astrid jedoch nicht von ihrer Mutter. Sie kann sich spä-

ter nur an ein einziges Mal erinnern, wo die Mutter sie umarmt,

als sie nach einer Reise wiederkommt. Kannst du dir das vorstel-

len? Aber es ist für die damalige Zeit ganz normal.

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Einmal lehnt sich Astrid als kleines Kind gegen ihre Mutter auf.

Sie ist ungefähr vier Jahre alt und fühlt sich ungerecht behan-

delt. Also läuft sie aus dem Haus und versteckt sich auf dem

Klohäuschen.

»Ich war überzeugt, alle würden nun laut weinend ankommen

und mich bitten, doch um alles in der Welt wieder nach Hause zu-

rückzukehren. Aber niemand kam, und das war schrecklich. Ich

war gezwungen, ganz von selbst wieder zurückzukehren, und ich

empfand Bitternis, dass

niemand, niemand auf der

ganzen weiten Welt mich

vermisst hatte.«

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Über dieses Von-zu-Hause-weglaufen oder ausziehen hat Astrid

später in ihren Büchern geschrieben. Einmal ist es Lotta aus der Krach-

macherstraße, die in Tante Bergs Schuppen zieht, einmal Pelle aus

»Pelle zieht aus«, der es sich im Klohäuschen gemütlich machen will.

Samuel Augusts Eltern werden von ihren Enkelkindern sehr ge-

liebt. großvater Samuel, der eine Zeit lang auf Näs wohnt,

ist das Vorbild für den lieben Großvater von Inga und Britta

aus den Bullerbü-Geschichten. großmutter Ida ist lieb und

freundlich, doch sie kann die gruseligsten Märchen und Sagen er-

zählen, wenn man sie darum bittet. Die schreckliche Geschichte

von Rupp Rüpel aus Astrid Lindgrens Märchenbuch stammt ur-

sprünglich von ihr.

Samuel August, Ingegerd, Astrid, Stina, Gunnar, Hanna

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Einmal, Astrid ist neun Jahre alt, bekommt sie von ihrer Groß-

mutter ein großes, dickes Buch. Es ist eigentlich kein Kinder-

buch, so dass sie vieles darin gar nicht versteht. Aber gerade das

fasziniert sie. Später, als sie selbst Bücher schreibt, erinnert sie

sich noch daran, wie reizvoll ihr gerade unbekannte Geheimnisse

erschienen.

Die anderen großeltern, also Hannas Eltern, sind strenger.

Aber Astrid findet es wunderbar, sie an Festtagen zu besuchen.

Sie fahren mit der Pferdekutsche hin oder im Winter mit dem

Schlitten. Alle Verwandten sind da, viele Cousinen und Cousins

zum Spielen. Außerdem gibt es Unmengen von gutem Essen. Da-

mals ist das Essen im Alltag einfach, aber an Festtagen werden

die herrlichsten Leckereien aufgetischt. Für solche besonderen

Gelegenheiten wird tagelang gekocht und gebacken.

Astrids Eltern sind nicht reich, aber weil sie Bauern sind, gibt es

auf ihrem Hof Getreide, Obst und Gemüse, Fleisch, Milch, But-

ter, Käse und Eier. Darum ist immer genug zu essen da. Das

ist damals nicht selbstverständlich, es herrscht viel Armut und

Hunger in Schweden zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Astrid

hat darüber auch geschrieben, in »Michel aus Lönneberga«, wo

Michel den Armenhäuslern, also Menschen, die in einem Heim

für arme Leute leben, einen Festschmaus bereitet. Armenhäus-

ler, Bettler und Landstreicher, auch sie sind ein Teil von Astrids

Kindheit.

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Astrid schildert in ihrem Buch »Das entschwundene Land«, wie die

landstreicher bei ihnen in der Scheune übernachteten. »In der

Dämmerung kamen sie an die Küchentür und handelten ein wenig

Milch und Brot ein, und wir starrten sie an, man stelle sich vor: es

gab Leute, die nirgends wohnten, die immer nur gingen und gingen!«

Einmal übernachtet auf dem Heuboden ihrer Eltern ein Land-

streicher, und später stellt sich doch tatsächlich heraus, dass er ein

Mörder war, aus dem Gefängnis ausgebrochen.

Über die armenhäusler liest man in Astrids Kindheitserinnerun-

gen: »Wenn der Frühling kam, wagten sich auch die Armenhäusler

hinaus in den Sonnenschein. Jocke Kis und Johan-Ein-Öre und Elin-

Verrückt und wie sie nun genannt wurden. Ein erbärmliches Leben

hatten sie. Diese armen ›Jämmerlinge‹, so viel Bosheit mussten sie

ausstehen! Die Menschen sind grausam gegen den, der sich nicht

wehren kann.«

So ärmlich leben manche Menschen damals in Schweden.