Leseprobe aus: "Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Mittel- und Osteuropa" von Ludwig M....

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Dieses Handbuch bietet ausführliche und aktuelle Informationen über die gegenwärtige Situation der deutschsprachigen Minderheiten in den Ländern Mittel- und Osteuropas. Dabei werden in einer Zusammenschau sowohl die Sprachinselminderheiten als auch die Minderheiten an den Rändern des geschlossenen deutschen Sprachgebiets in den Blick genommen. In sieben Länderartikeln wird jeweils ein Überblick über Demographie, Geschichte sowie politische und rechtliche Lage der Minderheiten gegeben. Auf der Basis neuer, eigener Erhebungen wird für jedes Land eine Dokumentation der Kompetenz- und Sprachgebrauchssituation, eine Beschreibung und Analyse der soziolinguistischen Situation mit ihren je spezifischen Standard-Substandard-Verteilungen und eine Untersuchung der Spracheinstellungen der Sprecher geboten.

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Handbuch der deutschenSprachminderheiten

in Mittel- und Osteuropa

Herausgegeben von

Ludwig M. EichingerAlbrecht PlewniaClaudia Maria Riehl

Gunter Narr Verlag Tübingen

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Handbuch der deutschen Sprachminderheitenin Mittel- und Osteuropa

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Handbuch der deutschenSprachminderheitenin Mittel- und Osteuropa

Herausgegeben von Ludwig M. Eichinger,Albrecht Plewnia und Claudia Maria Riehl

Gunter Narr Verlag Tübingen

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Prof. Dr. Dr. h.c. Ludwig M. Eichinger ist Direktor des Instituts für Deutsche Sprache inMannheim und Ordinarius für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim.

Dr. Albrecht Plewnia ist Wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Deutsche Sprachein Mannheim.

Prof. Dr. Claudia M. Riehl ist Leiterin des Zentrums für Sprachenvielfalt und Mehrspra-chigkeit an der Universität Köln.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

Gedruckt mit Unterstützung des Instituts für Deutsche Sprache, Mannheim.

© 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertungaußerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verla-ges unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier.

Internet: http://www.narr.deE-Mail: [email protected]

Druck und Bindung: Hubert &Co., GöttingenPrinted in Germany

ISBN 978-3-8233-6298-2

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Inhaltsverzeichnis

Ludwig M. Eichinger Vorwort .......................................................................................................................................... VII

1. Claudia Maria Riehl Die deutschen Sprachgebiete in Mittel- und Osteuropa ...............................................................1

2. Nina Berend und Claudia Maria Riehl Russland............................................................................................................................................ 17 mit einem Anhang von Renate Blankenhorn Die russlanddeutsche Minderheit in Sibirien............................................................................... 59 und einem Anhang von Valerij Schirokich Die russlanddeutsche Minderheit in Baschkirien........................................................................ 71

3. Olga Hvozdyak Ukraine ............................................................................................................................................. 83

4. Maria Katarzyna Lasatowicz und Tobias Weger Polen ............................................................................................................................................... 145

5. Pavla Tišerová Tschechien ..................................................................................................................................... 171

6. Albrecht Plewnia und Tobias Weger Slowakei .......................................................................................................................................... 243

7. Elisabeth Knipf-Komlósi Ungarn ............................................................................................................................................ 265

8. Johanna Bottesch Rumänien ....................................................................................................................................... 329

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Vorwort

Solange wir das beobachten können, hat die deutsche Sprache einen Platz in dem Gebiet, das wir heute Mittel- und Osteuropa nennen. Das hat verschiedene Gründe und hat dazu geführt, dass es im Einzelnen etwas ganz Un-terschiedliches bedeuten kann, wenn man vom Gebrauch und der Geltung des Deutschen in dem Raum spricht, dem die Beiträge in diesem Handbuch gewidmet sind. Wie das in den je-weiligen Fällen wirklich ist, wird in den Arti-keln dieses Bandes dargestellt und braucht da-her hier nicht vorweggenommen zu werden. Wenn man unterscheiden wollte, so wäre zu-mindest von der einfachen Überlagerung der Sprachgebiete und möglicherweise der Sprach-domänen zu reden, die vor allem von Bedeu-tung ist, solange die politische oder staatliche Verfasstheit die Sprache eher beiläufig behan-delt, von frühen Kolonisierungszügen in mehr oder minder besiedelte Räume unter Mitnah-me einer eigenen Organisationsform, von ver-schiedenen Phasen einer Besiedlung „auf Ein-ladung“, die der Kolonisierung und Kultivie-rung dienten, letztlich von der Überdachung durch die große mehrsprachige Staatsform der k. u. k. Monarchie, die auf jeden Fall ein vir-tuelles Netz des Deutschen weit über das Land gespannt hat. Das alles führt dazu, dass das Deutsche an ganz verschiedenen Orten, in ganz verschiedenen Kontexten und in ganz verschiedenen Formen vorzufinden ist – oder

weithin eher: war. Denn was alle diese Ver-tretungen eint, ist, dass sie infolge der politi-schen Geschehnisse des zwanzigsten Jahrhun-derts, insbesondere aber durch die Verhee-rungen, die der Nationalsozialismus angerich-tet und hervorgebracht hat, in eine kritische Lage gekommen sind. Und wie die Dinge la-gen, wurde das im Bereich des damaligen Ost-blocks nicht besser, auch wenn die Nationali-tätenpolitik sicher in den verschiedenen Staa-ten dann doch recht unterschiedlich war. Wie die Verhältnisse im einzelnen genau waren und sind, weiß man aufgrund dieser politischen Si-tuation nicht so ganz genau; was man bis zur politischen Wende an Informationen bekom-men konnte, trug immer sehr stark den Stem-pel der jeweiligen politischen Überzeugung. Das war einer der Gründe, warum in dem „Hand-buch der mitteleuropäischen Sprachminder-heiten“, das vom Verfasser dieses Vorworts gemeinsam mit Robert Hinderling herausge-geben wurde,1 trotz existierender Vorarbeiten zumindest zu den direkt an das geschlossene deutsche Sprachgebiet angrenzenden Regio-nen, darauf verzichtet wurde, Informationen über die Situation der Sprachminderheiten im Osten des deutschen Sprachgebiets aufzuneh-

1 Hinderling, Robert/Eichinger, Ludwig M. (1996): Handbuch der mitteleuropäischen Sprachminderhei-ten. Tübingen: Narr.

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Vorwort VIII

men – wenngleich die geographische Benen-nung im Titel natürlich zumindest implizit erkennen lässt, dass eine solche Beschreibung eigentlich dazugehörte, um die Stellung des Deutschen angemessen zu erfassen. Die Ge-legenheit dazu ergab sich dann allmählich im Verlaufe der Jahre nach 1989, allmählich auch deshalb, weil sich erst nach und nach die Ver-bindungen zu den Forscherinnen und For-schern, die über das Wissen und den Zugang zu den deutschsprachigen Gemeinschaften im Osten Europas verfügten, knüpfen und in ei-ner Weise stabilisieren ließen, dass wir uns auf den gemeinsamen Weg machen konnten, die-se ebenso gewichtige wie schmerzliche For-schungslücke mit einem gewissen Anspruch an Übersicht zu füllen. Wären wir nicht in der Lage gewesen, das vorhandenen Wissen und die existierenden Beziehungs-Netzwerke in die jeweiligen deutschsprachigen Gemeinschaften hinein zu nutzen, und wären sie nicht bereit gewesen, sich auf unsere methodischen Vor-gaben einzulassen, hätten wir das in diesem Buch sichtbar gewordene Ende kaum erreicht. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft sei an dieser Stelle Dank dafür gesagt, dass sie nicht nur in den Jahren 1999 bis 2001 das Projekt finanziell unterstützt hat.

Die vorliegende Publikation schließt in Vor-gehensweise und Strukturierung in mancher-lei Weise an das oben erwähnte Handbuch an, es ist aber keine einfache Fortsetzung, min-destens aus zwei Gründen. Zum Teil sind die Verhältnisse anders, zum Teil lernt man (hof-fentlich) dazu. Was auch diesen Band zu mehr machen sollte als einer Sammlung von Dar-stellungen unterschiedlicher Sprachverhältnis-se, ist der Anspruch, mit dem Raster und in der Gewichtung der berücksichtigten Fakto-ren und Variablen die Grundlage für einen Vergleich in grundsätzlicher Hinsicht gelegt zu haben. Dabei liegen die Variablen in diesem Fall etwas anders als in dem damaligen Pro-jekt und der daraus hervorgegangenen Publi-kation. Dort stellt das Gegeneinander deut-scher und anderer Sprachminderheiten eine Dimension des Vergleichs dar; diese fällt hier aufgrund der historisch-geographischen Be-schränkung weg. Das hat auf der anderen Sei-te zur Folge, dass die einzelne sprachliche

Charakteristik, also der Unterschied darin, was jeweils Deutsch heißt, eine wesentlich bedeut-samere Rolle spielt. Das ist nicht zuletzt der Reflex der Tatsache, dass die sprachliche Kon-stellation der „Sprachinsel“, die im Westen eher das marginalere Modell darstellt, im Fall des Ostens eher das dominante Muster ist. Das betrifft unmittelbar auch den vorherrschen-den Charakter der jeweiligen Sprachformen: zumeist spielen sprechsprachliche, dialektal ge-prägte Formen die hervorragende Rolle. Aus diesem Grund ist auch ein anderer Punkt we-niger kritisch. Nicht zuletzt aufgrund der his-torischen Entwicklung in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Frage des Minder-heitencharakters der Sprechergruppen, die ver-schiedene Formen des Deutschen nutzen, un-strittig. Dagegen spricht auch nicht der Sach-verhalt, dass sich vor allem in den traditionel-len Grenzräumen das Deutsche zum Teil als Kontaktsprache wieder bewährt; nicht umsonst ist damit mehrheitlich eine Ablösung durch eine als Fremdsprache gelernte standardnahe Form verbunden. Selbstverständlich steckt in dieser Entwicklung aber die Chance, aus der Tradition eine spezifische Ausprägung moder-ner europäischer Mehrsprachigkeit zu entwi-ckeln.2 Für die Klassifikation als minoritär sprechen auch die Erfahrungen mit der Inte-gration russlanddeutscher Aussiedler, wie sie verschiedentlich in Forschungen des Instituts für Deutsche Sprache dokumentiert worden sind.

Diese anderen Grundkonstellationen ver-schieben zweifellos die Art und Breite der je-weiligen Realisierung der einzelnen paradig-matischen Kategorisierungen solcher Gebiete und Gemeinschaften, das Netz der relevanten paradigmatischen Beziehungen, wie es etwa in Eichinger 1996 erläutert wurde,3 konnte im

2 Die Verteilung des Lernens des Deutschen als Fremdsprache in den verschiedenen Staaten der EU spricht davon, dass dieser Effekt zumindest zum Teil eintritt. Man kann das, wenn es so anhält, sicherlich als eine sinnvolle Fortsetzung traditioneller Mehr-sprachigkeit verstehen. 3 Eichinger, Ludwig M. (1996): Sociolinguistic charac-ters: On comparing linguistic minorities. In: Hellin-ger, Marlis/Ammon, Ulrich (Hrg.): Contrastive Socio-linguistics. Berlin/New York: Mouton de Gruyter

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Vorwort IX

Wesentlichen beibehalten werden. Das schlägt sich in einem weitgehend gleichartigen Auf-bau nieder: Auch im vorliegenden Band wird man in jedem Artikel – und vielleicht sogar noch etwas konsequenter – die folgende Un-tergliederung wiederfinden. Dabei sind die Punkte 5 bis 7 zentraler, während etwa die rechtlichen Regelungen einen geringeren Raum einnehmen:

1. Allgemeines und geographische Lage 2. Statistik und Demographie 3. Geschichte 4. Wirtschaft, Politik, Kultur und rechtliche

Stellung 5. Soziolinguistische Situation 6. Sprachgebrauch und -kompetenz 7. Spracheinstellungen 8. Faktorenspezifik (Zusammenfassung) 9. Literatur

Die angedeutete Charakteristik der zerstreu-ten und sprachinselartigen Verteilung und die vielfältigen politischen Verwirrungen, von de-nen die Geschichte dieser Sprachgemeinschaf-ten gekennzeichnet ist, führte dazu, dass sich eine angemessene Gestaltung der Karten, die jedem Gebietsartikel vorangestellt sind und eine grobe Übersicht ermöglichen sollen, nicht immer als ganz einfach erwiesen hat. So sind die Schraffuren, die die Räume kennzeichnen, in denen sich das Deutsche findet, nur unge-fähre Kennzeichnungen; weder sind ihre Gren-zen als harte und präzise Begrenzungen die-ser Gebiete zu lesen, noch sagen sie etwas über den prozentualen Anteil des Deutschen in diesem Areal aus. Die in diesen Karten verzeichneten Toponyme werden einheitlich zunächst in der Landessprache (bei Russland und der Ukraine in ISO-Transkription) und dann auf Deutsch aufgeführt. Da ansonsten die Präsenz der deutschen Toponyme und der Umgang mit ihnen in der einzelnen Min-derheitsgebieten recht unterschiedlich ist, wird diese Frage in den einzelnen Länderartikeln von den Verfassern teilweise unterschiedlich gehandhabt.

(=Contributions to the Sociology of Language; 71), S. 37-55.

Wie oben schon angedeutet, hat es die Art der vorfindlichen Sprachformen und das ge-ringe Ausmaß dessen, was man darüber wuss-te, nötig gemacht, dass die Darstellung der sprachlichen Form und der Sprachverwen-dung einen zentralen Platz einnimmt. Zum Teil konnte hier von den Autoren auf Daten zurückgegriffen werden, die vor Ort schon vorhanden waren. Zu einem großen Teil wur-den aber eigens umfangreiche Spracherhebun-gen durchgeführt. Ihre Ergebnisse bilden die Basis der Darstellung in diesen Artikeln und werden dort auch exemplarisch dokumentiert. Die Siglen zu den einzelnen Belegen in den Artikeln verweisen auf unsere Tonaufnahmen. Diese digitalen Aufnahmen werden im IDS ar-chiviert und sind dort auch für die Forschung zugänglich.

Die endgültige Zusammenstellung dieses Bandes mit seinen vielen Mitarbeitern an ver-schiedenen Orten hat einige Zeit gebraucht, nicht zuletzt auch, weil sich beim Projektlei-ter und den Projektmitarbeiterinnen zwischen-zeitlich wesentliche Veränderungen im wis-senschaftlichen Arbeitsumfeld ergaben. Logi-scherweise hat das auch Folgen für die mög-liche Aktualität v.a. statistischer Daten. Den-noch bietet der vorliegende Band ein Bild der Verhältnisse, wie es sich nach den großen po-litischen Veränderungen stabilisiert hat, und entspricht so grundsätzlich der aktuellen Lage.

Dass das Projekt zu einem guten Ende ge-funden hat, ist zuvörderst den Mitarbeiterin-nen zu verdanken. Zu Beginn war das Nina Berend, die auch weiterhin für ihr Spezialge-biet mit Rat und Tat zur Seite stand, dann vor allem Claudia Maria Riehl, die das Vorhaben während der Förderungszeit durch die DFG mit hohem persönlichen Einsatz vorangetrie-ben hat und es auch nach dem Ende der För-derung fortgeführt und zu ihrer Sache ge-macht hat. Gemeinsam mit meinem Mitarbei-ter Albrecht Plewnia hat sie die Hauptlast der Fertigstellung des vorliegenden Bandes getra-gen. Ihnen sei ganz herzlich dafür gedankt, dass sie aus dem vom Projektleiter entwickelten Rah-men ein eigenständiges Konzept entwickelt haben und auch die Mühen der Koordination der verschiedenen Beiträge nicht gescheut ha-ben. Dank gebührt natürlich daneben genau-

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Vorwort X

so den Verfasserinnen und Verfassern der Ar-tikel, die sich unter oft nicht ganz einfachen Umständen daran gemacht haben, die Vorstel-lungen der Projektleitung mit Leben zu füllen. Für praktische Hilfe danke ich daneben den in der einen oder anderen Weise beteiligten Kie-ler und Mannheimer studentischen Hilfskräf-ten, hier vor allem Melanie Kraus, meiner Kie-ler Sekretärin Ilse Welna für das kompetente

Projektmanagement während der DFG-För-derung, Norbert Volz für die Erstellung der Titelkarten, der DFG für die Förderung und nicht zuletzt dem IDS, das die Fertigstellung dieses Bandes und seine Drucklegung ermög-licht hat. Gunter Narr sei gedankt für die Auf-nahme des Buchs in sein Verlagsprogramm.

Mannheim Ludwig M. Eichinger

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Die deutschen Sprachgebiete in Mittel- und Osteuropa

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Claudia Maria Riehl

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Inhalt

1 Einführende Überlegungen........................................................................................................ 3 2 Gründe für Siedlungsbewegungen ............................................................................................ 3 3 Geschichte der Ostbesiedlung ................................................................................................... 4

3.1 Phasen der Ansiedlung .......................................................................................................... 4 3.1.1 Die mittelalterliche Ostsiedlung ................................................................................ 4 3.1.2 Die neuzeitliche Ostsiedlung ..................................................................................... 5

3.2 Arbeitsmigration..................................................................................................................... 8 3.3 „Rücksiedlung“, Umsiedlung und Aussiedlung nach dem Zweiten Weltkrieg.............. 9

4 Sprachausgleich und Spracherhalt ........................................................................................... 10 4.1 Gründe für die Ausbildung einer bestimmten Koiné ..................................................... 10 4.2 Faktoren für Spracherhalt und Sprachwechsel................................................................. 11

5 Literatur ...................................................................................................................................... 15

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1 Einführende Überlegungen

Betrachtet man die Geschichte der deutschen Besiedlung Mittelost- und Osteuropas, so spie-len zunächst die verschiedenen Ausgangssitu-ationen eine Rolle: Man muss unterscheiden zwischen den alten Siedlungen des Mittelal-ters, die als Grenzminderheiten unmittelbaren Kontakt zum geschlossenen deutschen Sprach-raum hatten (Tschechien, Polen, Slowakei) und anderen alten Besiedlungen mit Sonder-privilegien (Siebenbürgen, Zips, hospes-Sied-lungen in Ungarn) und den verschiedenen Siedlungsbewegungen im 18. und 19. Jahrhun-dert innerhalb Ungarns, der Ukraine und Russ-lands. Hier gibt es wieder verschiedene Typen von Einwanderung: planmäßige, behördlich abgesicherte oder sogar geförderte Wander-bewegungen (z.B. die sog. Schwabenzüge) und mehr oder weniger organisierte Gruppen, die selbständig auf Suche nach neuem Land wa-ren (z.B. die Dobrudschadeutschen aus Süd-russland).

2 Gründe für Siedlungsbewe-gungen

Dass Menschen ihre angestammte Heimat ver-lassen und in bislang un- oder wenig besie-deltem Terrain ihr Glück suchen, kann viele Ursachen haben. Dabei gibt es einerseits ne-gative Gründe in der Heimat (sog. push-Fak-toren) und andererseits positive Faktoren im Zielland (sog. pull-Faktoren, vgl. Ingenhorst 1997: 21). Einer der wichtigsten und schwer-wiegendsten Gründe ist sicher die Bedrohung der eigenen Existenz durch Kriege, Hungers-nöte, Seuchen oder andere Katastrophen, aber auch materielle Not, die z.B. infolge der Mi-nimierung des Besitzes durch Realteilung ent-stehen kann. Auch das Erbhofrecht kann zur Folge haben, dass die jüngeren Geschwister, die ja bei dieser Regelung leer ausgingen, sich entweder in anderen Berufen verdingen (im Mittelalter war auch das Kloster ein Auffang-ort) oder ebenfalls auf andere Weise Land suchen mussten. Dieser Aspekt spielt bei den mittelalterlichen Ostsiedlungen eine bedeuten-de Rolle. Ein weiterer wichtiger Grund für Emigrationen ist der Wunsch nach Religions-

freiheit: das betrifft vor allem Sekten, wie et-wa die Mennoniten, die in ihrer Heimat unter Druck gesetzt wurden � dies ist allerdings erst ein neuzeitliches Phänomen und spielt für die mittelalterlichen Wanderbewegungen noch keine Rolle. Viele Angehörige religiöser Sekten siedelten sich beispielsweise in Russ-land an (v.a. im Schwarzmeergebiet). Andere Siedler empfinden den Druck auferlegter Ver-pflichtungen seitens der Staatsmacht, unter die beispielsweise auch der Militärdienst fällt,1 als zu groß. Dieser Aspekt gilt besonders für das Mittelalter, als viele Bauern unter der Feu-dalherrschaft litten und als Leibeigene kaum Rechte besaßen. Meist werden den Neuansied-lern bestimmte Privilegien eingeräumt, die sie dann solcher Pflichten entbinden. Andere Pri-vilegien waren z.B. Abgabenstundung, Rode-freiheiten und Stadtprivilegien (Gottas 1995: 16). Nach einer bestimmten Zeit und vor al-lem bei Machtübernahme durch eine andere Staatsmacht – was in den letzten Jahrhunder-ten für die Situation in Mittel- und Osteuropa kennzeichnend war – können diese Privilegien auch aufgehoben werden, was zu weiteren Siedlungsbewegungen führt: so wurde etwa 1871 das „Fürsorge-Komitee“, das die Ange-legenheiten der Kolonien in Cherson, Ekate-rinoslav, Taurien und Bessarabien regelte, aufgelöst, und die deutschen Siedler wurden damit den russischen Bürgern gleichgestellt, d.h. sie mussten beispielsweise auch Militär-dienst leisten. Das hatte zur Folge, dass eini-ge von ihnen in die Dobrudscha abwander-ten, die zu dieser Zeit noch dem Osmanen-reich unterstand und den Kolonisten Sonder-rechte einräumte (z.B. etwa Befreiung vom Militärdienst, vgl. Gadeanu 1998: 60).

Neben diesen Kolonistenzügen gab es über alle Jahrhunderte hinweg kleinere Gruppen von Arbeitsmigranten wie qualifizierte Fach-arbeiter, Lehrer oder Ärzte, die karrierebe-dingt auswanderten und sich in Städten nie-derließen. Besonders konzentriert waren die-se Migranten in städtischen Zentren wie Prag, Budapest, Moskau und St. Petersburg.

1 Dieser dauerte in der Regel zwölf Jahre und war da-durch eine große Belastung.

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Claudia Maria Riehl 4

3 Geschichte der Ostbesiedlung

3.1 Phasen der Ansiedlung

Bei der deutschen Besiedlung im Osten las-sen sich, wie bereits erwähnt, grob zwei Zeit-stufen unterscheiden: die frühe Besiedlung im Mittelalter und die Kolonisation im 18. und 19. Jahrhundert. Die erste deutsche Ostsied-lung begann im 10. Jahrhundert und dauerte etwa bis Mitte des 14. Jahrhunderts. Der Hö-hepunkt lag dabei im 12. und 13. Jahrhun-dert. Das Ende dieser kontinuierlichen Wan-derbewegung ist in der Pest zu sehen, die um diese Zeit in Europa grassierte (Gottas 1995: 15). Die zweite Siedlungswelle setzte Ende des 17. Jahrhunderts ein und erstreckte sich teilweise bis in die Mitte des 19. Jahrhun-derts, wobei der Höhepunkt im 18. Jahrhun-dert liegt.

3.1.1 Die mittelalterliche Ostsiedlung

Die frühe Besiedlung im Mittelalter gehört

„in die Geschichte des mittelalterlichen Land-ausbaus, der in erster Linie ein Vorgang der Be-völkerungsgeschichte und der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sodann aber auch der Ver-fassungs- und Rechtsgeschichte ist.“ (Schlesin-ger, zit. nach Gottas 1995: 16).

Die Besiedlung betrifft das Gebiet von Böh-men, Mähren, Schlesien, Ostpommern und Ostpreußen, die heute auf den Staatsgebieten von Tschechien, der Slowakei und Polen lie-gen, sowie das Gebiet von Siebenbürgen, der Zips, Teile des heutigen Rumäniens, und hos-pes-Siedlungen in Ungarn, die heute meist der Slowakei angehören.

Die Gründe für die Ostsiedlung wurden zunächst im Bevölkerungszuwachs gesehen: Im Osten gab es eine viel geringere Bevölke-rungsdichte, teilweise sogar unbesiedelte Ge-biete. Aber auch Missionierung oder Hun-gersnöte wurden aufgeführt (Göllner 1979: 19). Insbesondere, sind aber hier wohl soziale Ursachen ins Feld zu führen: Durch Um-strukturierung von Feudal- und Wirtschafts-system (Auftreten der Geld-Ware-Beziehung statt bisheriger Naturalwirtschaft) standen viele Bauern, die noch im Früh- und Hoch-mittelalter die Stütze der Feudalgesellschaft

bildeten, vor dem Ruin (Göllner 1979: 20). Allerdings wanderten in der Frühzeit auch Ritter und Bürger „gen Ostland“ (Piskorski 1994: 13). Im 12. und 13. Jahrhundert betrug die gesamte Abwanderung aus dem Westen in die Gebiete östlich von Elbe und Saale ca. 400.000 Personen. Die Siedler wanderten von dort aus weiter nach Böhmen, Polen und ins Baltikum. Kleinere Gruppen begaben sich auf Einladung des ungarischen Königs nach Siebenbürgen und in die Zips. Förderer der Ostbesiedlung waren Grundherren, die die fortschrittliche Agrartechnik (Dreifelderwirt-schaft, Gebrauch von Sensen und Mühlen) und Wirtschaftsorganisation der deutschen Siedler für ihr Land in Anspruch nehmen wollten; als Ausgleich boten sie dann entsprechende so-ziale Vorteile an (Gottas 1995: 16).2 So er-hoffte sich der ungarische König Géza II., als er die deutschen Siedler um 1150 nach Sie-benbürgen rief, dass durch bessere Ackerbau-methoden, Handwerkstechnik und schließlich Belebung des Handels höhere Steuereinnah-men für ihn heraussprängen. Die Privilegien, die den Deutschen zugestanden wurden, wur-den 1224 unter Andreas II. im sog. „Golde-nen Freibrief“ (Andreaneum) besiegelt. Aller-dings betrifft dies zunächst nur die Hermann-städter Provinz und wird erst 1486 mit Grün-dung der „Sächsischen Nationaluniversität“ (Universitas Saxonum in Transsilvania) für al-le ausgeweitet.3 Die Freiheiten, die den Sie-benbürgern bereits darin zugestanden wur-den, mussten sich die Bewohner des Mutter-landes teilweise erst in der Neuzeit erkämp-fen. Die Siebenbürger Sachsen galten als eine eigene Nation mit eigenen gewählten Rich-tern und einem vom König ernannten Grafen und verfügten über autonome wirtschaftliche, kirchliche und kulturelle Institutionen. Auch die Zipser erhielten 1271 von Stefan V. ähn-liche Rechte.

2 Allerdings ist hier zu beachten, dass die Verwen-dung des Begriffes „deutsch“ für das 10. Jahrhundert nicht unproblematisch ist. Weder national noch sprachlich handelt es sich hier um eine einheitliche Gruppe. 3 Damit geht auch die Einführung einer neuen Form der Landesverteidigung einher.

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1. Die deutschen Sprachgebiete in Mittel- und Osteuropa 5

Ebenfalls auf Anwerben ungarischer Kö-nige kamen bereits im 11. Jahrhundert Siedler nach Oberungarn in die Gegend um Press-burg (Bratislava) und im 12. Jahrhundert in die Zips, in der 24 Städte gegründet wurden (auf dem Gebiet der heutigen Slowakei). Hier ist zu unterscheiden zwischen den Handels-städten und Bergbaustädten, die dort im 13. Jahrhundert gegründet wurden. Neben Bau-ern, Handwerkern und Kaufleuten kamen dann auch viele Bergleute, vor allem aus Sachsen, ins Land. Diese brachten ein vorgeprägtes Rechtssystem und Sozialmodell mit (Gottas 1995: 18), das über Jahrhunderte in dieser Gegend prägend wurde. So wurde beispiels-weise das unter Nürnberger Einfluss entstan-dene Stadtrecht von Kaschau zur Norm für die oberungarischen Städte (vgl. Gottas 1995). Es gab ein ausgeprägtes Zunftwesen, das den Aufstieg des Bürgertums und gleichzeitig den Niedergang des Bauerntums zur Folge hatte. Immer mehr Städte wurden mit deutschem oder sächsischem Stadtrecht versehen. Im 13. Jahrhundert entstanden auch die ersten Stadt-ansiedlungen nach Magdeburger Recht in den östlichen Karpaten, wie Krakau und Lemberg. Auch hier gab es anfangs eine große deutsch-sprachige Gemeinde, die sich aber schnell as-similierte. Die alte deutsche Besiedlung in Ost-galizien ist daher aufgrund dieser Assimilie-rungstendenz (und durch Tartaren- und Tür-keneinfälle) weitgehend verschwunden.

Parallel dazu förderten die Herzöge von Schlesien die Ansiedlung in ihrem kulturell, wirtschaftlich und sozial unterentwickelten Land. Auch hier entstanden bereits im 13. Jahrhundert viele Städte nach deutschem Recht. Mitte des 14. Jahrhunderts lebten dort 450.000 Menschen, von denen mehr als die Hälfte deutschsprachig war (Breit 1998: 21).

Was nun die sprachliche Entwicklung be-trifft, so entwickelten sich in den östlich an-grenzenden Regionen autochthone Mundar-ten des Deutschen wie Böhmisch, Mährisch, Schlesisch, Ostpommerisch und Preußisch. Das hängt damit zusammen, dass die Siedler aus den angrenzenden Gebieten kamen, z.B. nach Böhmen meist Nordbayern und Ost-franken, nach Schlesien auch Thüringer und Sachsen. Außerdem lebten die Siedler dort im

Grenzland immer im unmittelbaren Kontakt mit dem „Mutterland“ und auch mit den an-grenzenden Mundartsprechern. Insofern kann man bei diesen Siedlungen zunächst nicht von Sprachminderheiten sprechen.

Im Gegensatz dazu sind die Gebiete in Sie-benbürgen, der Zips und in Ungarn eigentli-che Sprachinseln, da sie nicht an das geschlos-sene deutsche Sprachgebiet angrenzen. Trotz-dem hat der Kontakt zu Deutschland über die Jahrhunderte hinweg immer bestanden; beispielsweise gingen viele junge Siebenbür-ger nach Deutschland zum Studium. Was al-lerdings die Dialekte betrifft, so trafen hier Siedler aus verschiedenen Regionen aufeinan-der – in Siebenbürgen überwogen rheinfrän-kische und moselfränkische Dialekte, so dass sich hier eigene Mischvarietäten herausbilde-ten.

3.1.2 Die neuzeitliche Ostsiedlung

Wie bereits erwähnt, fand die mittelalterliche Siedlungsbewegung durch die Pest ihr vorläu-figes Ende und wurde dann auch durch die Ausbreitung der türkischen Herrschaft weiter verhindert. Lediglich innerhalb der Gebiete gab es Verschiebungen (z.B. von Schlesien in Städte des südwestlichen Großpolens). Erst nach dem Zurückdrängen der Türken setzte eine zweite große Welle der Ostwanderung ein: Habsburger Kaiser und russische Zaren rie-fen deutsche Siedler, um die von den Turk-völkern entvölkerten Gebiete an der unteren Donau und zwischen Dnjepr und Wolga wie-der zu besiedeln. Die neue Siedlungsbewe-gung unterscheidet sich von der mittelalterli-chen Besiedlung in einigen wesentlichen Punk-ten: Es handelt sich hier um eine „von oben gelenkte Bevölkerungsbewegung und um plan-mäßige Siedlungspolitik“ (Gottas 1995: 19). So gab es etwa eine eigene königlich-ungari-sche Siedlungsverordnung, das sog. „Impo-pulationspatent“ (1689), das den Abschluss von Siedlungsverträgen regelte: Freizügigkeit, Befreiung von Untertanenlasten (z.B. Kriegs-dienst), Bauhilfen, Gleichberechtigung in na-tionaler und religiöser Hinsicht. Diese Impo-pulationspolitik wurde nicht nur von Öster-reich-Ungarn, sondern auch von Preußen be-

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Claudia Maria Riehl 6

trieben und später von Katherina II. aufge-griffen.4

Die drei wichtigsten Ansiedlungsgebiete in dieser Zeit waren das Banat, die Batschka und die sog. Schwäbische Türkei (zwischen Do-nau, Drau und Mecsekgebirge). Bereits Ende des 17. Jahrhunderst kamen Siedler aus den österreichischen Erblanden und Süddeutsch-land ins Ofener Bergland und in die Schwäbi-sche Türkei (Wagner 1995: 160). Die eigentli-che Besiedlung dieser Gebiete erfolgte aber im Wesentlichen in drei Etappen, den drei sog. „Schwabenzügen“, die von den jeweili-gen Herrschern des Habsburgerreiches initi-iert wurden: erstens die Karolingische Ansied-lung (1718 bis 1737) während der Regie-rungszeit Karls VI.; hier kamen etwa 60.000 Kolonisten, vor allem aus Schwaben, Fran-ken, Hessen und der Pfalz; zweitens die The-resianische Ansiedlung (1749 bis 1772) unter Maria Theresia, die besonders Handwerker und Bergleute ins Land brachte. Das waren etwa 5.000 Kolonisten, davon 2.500 Lothrin-ger und weitere Siedler sehr unterschiedlicher Herkunft, besonders aus dem Rheinland, der Pfalz, Südwestfalen, aber auch aus Österreich. Während dieser Kolonisation versuchte man, mit den Bauern auch Sträflinge und Aufrüh-rer abzuschieben (Gadeanu 1998: 125). Der dritte Schwabenzug, die Josephinische Ansied-lung (1782 bis 1787) zur Regierungszeit Jo-sephs II., war eher unorganisiert; viele Siedler blieben nicht in der Batschka oder im Banat, sondern zogen weiter nach Galizien. Danach gibt es noch eine letzte Ansiedlungsetappe, die aber wegen ihrer geringen Bedeutung nicht unter die großen Schwabenzüge gerechnet wird. Grund war die Streichung der Subven-tionen für Einwanderer und eine relativ restrik-tive Ausstellung der Einwanderungsgenehmi-gung. Die Einwanderung fand in den Jahren 1790-1803 statt und umfasste meist Siedler aus dem Elsass und Lothringen (Gadeanu 4 Die Impopulationspolitik wurde angeregt von der deutschen Kameralwirtschaft: Diese geht davon aus, dass die Vermehrung der Bevölkerung einer von drei Hauptwegen zur Vergrößerung des Reichtums eines Staates sei (neben Aufbau einer zuverlässigen Verwal-tung und einer zeitgemäßen Rechtsstaatlichkeit). Da-zu Turczynski 1995: 177, Brandes 1999: 16.

1998: 126). Während der Regierungszeit von Joseph II. entstanden im Zuge der beginnen-den Industrialisierung auch Bergbaugemein-den und Glashüttenorte (Wagner 1995: 161).

Ebenfalls in diese Zeit fällt die Neubesied-lung des Gebietes um Sathmar, die auf eine Privatinitiative zurückzuführen ist, und die Zwangsumsiedlung von österreichischen Pro-testanten, den sog. „Landlern“ nach Sieben-bürgen. 1775 hatte Österreich zudem die we-gen der Karpatenpässe strategisch wichtige Bukowina von den Türken erobert und dort ebenfalls deutsche Siedler angesiedelt. Diese setzten sich einerseits aus Bauern und Hand-werkern aus Südwestdeutschland (Rheinpfalz, Württemberg), andererseits aus Bergleuten aus der Zips und Glas- und Waldarbeitern aus dem Bayrischen Wald und dem Böhmerwald zusammen. Diese Siedelbewegung zeichnet sich durch sehr großen Andrang aus, was da-rauf zurückzuführen ist, dass sie sehr gut or-ganisiert war. Daneben gab es auch bürgerli-che Schichten aus den verschiedenen Kronlän-dern, Beamte, Lehrer, Geistliche usw. (Gottas 1995: 21). Eine ganz wichtige Rolle spielten auch die aus Galizien zugezogenen Juden, die aufgrund der Nähe der jiddischen Sprache zum Deutschen die deutschsprachige Schule besuch-ten und daher ebenfalls Deutsch als Umgangs-sprache angaben. So waren etwa bei der Volks-zählung 1900 von den ca. 160.000 Deutschen über 90.000 mosaischen Glaubens (Stourzh 1995: 41). In der Bukowina hatte keine ande-re Sprache so eine hohe Stellung wie das Deut-sche, während in Galizien das Polnische diese Position einnahm (Stourzh 1995: 43).

Neben Österreich verfolgte in dieser Zeit auch Russland eine zielbewusste Siedlungspo-litik (vgl. Brandes 1999). Auch hier gab es drei große Einwanderungswellen: In den Jahren 1764 bis 1767, unter Katharina II., wurden 104 Dörfer an der Wolga gegründet (63 Lo-katoren- und 41 Kronsiedlungen südlich und nördlich von Saratov), die damit die größte deutsche Sprachlandschaft in Russland bilde-ten. Die Siedler sollten brachliegendes Step-pengebiet urbar machen und zu diesem Zweck auch neue Anbaumethoden aus ihrer Heimat in Russland einführen. Die Siedlungen waren als Musterkolonien mit einer inneren Selbst-

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1. Die deutschen Sprachgebiete in Mittel- und Osteuropa 7

verwaltung gedacht, die neben eigenen Kir-chen und Schulen auch die deutsche Sprache als Amts- und Umgangssprache vorsah. Da aber einige deutsche Kleinstaaten ebenso wie die europäischen Großmächte die Auswande-rung verboten und die offiziellen Werber ver-folgten, betrieben auch private Agenten, sog. „Lokatoren“, Anwerbungen, die aber nicht nur fähige Bauern sondern auch Heimatlose und andere anzogen. Die meisten Siedler stamm-ten aus Hessen, der Nordpfalz, Nordbayern, Nordbaden und der Fuldaer Gegend, da es dort einen großen Mangel an Grundstücken und im Gegenzug zu hohe Abgaben gab. Da-neben gab es Siedlungen in Jamburg, �erni-gov, Wolhynien und im Schwarzmeergebiet, das Russland 1792 von der Türkei eroberte. Im Gegensatz zum Wolgagebiet siedelten hier kleinere Gruppen, z.B. Siedler aus dem Dan-ziger Raum, die durch die Annexion des Hin-terlandes durch Preußen in eine schwierige wirtschaftliche Situation geraten waren. Ganz besonders betroffen waren davon die Danzi-ger Mennoniten, die bei der bevorstehenden Angliederung an Preußen Militärdienst hätten leisten müssen, was sich nicht mit ihrem Glau-ben vereinbaren ließ. Ihre Motive für die Aus-wanderung waren daher vor allem die Befrei-ung vom Militärdienst und die zugesicherte Religionsfreiheit. Ähnliches galt für die ab 1801 aus Württemberg zuziehenden Pietisten. Im Gegensatz zu den Wolgadeutschen hatten die Schwarzmeersiedler von Anfang an bessere Bedingungen, z.B. eigene Geräte und Vermö-gen und Landzuweisung als Privatbesitz.5 In den Jahren 1803 bis 1823 (Alexander I.) wur-den zur Besiedlung von Bessarabien Deut-sche aus Polen, Mecklenburg, Pommern und Westpreußen angeworben, denen noch Sied-ler unmittelbar aus Südwestdeutschland (Würt-temberg, Nordbaden, Elsass, Südostpfalz, Hes-sen und Rheinland, die besonders durch die Rekrutierungen Napoleons und durch Steuer-lasten betroffen waren) folgten. Die Einwan-

5 Allerdings gab es hier später zuziehende kleinere Gruppen, denen nur die Hälfte des Grundbesitzes der Mennoniten zugewiesen wurden und die aufgrund verwaltungstechnischer Missstände in ärmlichen Ver-hältnissen leben mussten (vgl. Brandes 1999: 24).

derungspolitik Alexanders I. sah nicht mehr Masseneinwanderung, sondern die Einwande-rung kleiner qualifizierter Gruppen von spe-zialisierten Landwirten und Handwerkern vor. Allerdings waren die Hälfte der Einwanderer (z.B. im Gebiet Odessa) Handwerker, Tage-löhner und Soldaten. Ausschlaggebend war ein Manifest Alexanders I., das den Siedlern Re-ligionsfreiheit, Befreiung vom Kriegsdienst und zehnjährige Steuerfreiheit zusicherte. Weitere Siedlerzüge gingen nach Transkaukasien (Ge-orgien, Aserbeidschan). Von 1830 bis 1870 (unter Nikolaus I. und Alexander II.) fand ei-ne Massenansiedlung von Deutschen aus Po-len und Galizien in Wolhynien statt. Durch das Erbrecht (ungeteilte Weitergabe des Be-sitzes) gab es eine wachsende Zahl von Ko-lonisten ohne Land, was zur Gründung von Tochterkolonien führte. Auch die steigenden Pacht- und Bodenpreise zogen Neugründun-gen in Gegenden mit günstigeren Preisen nach sich: nach 1890 wurden Tochtersiedlungen der bisherigen deutschen Siedlungen im Ural, in Sibirien und in Turkestan gegründet.

Die letzte Siedlungswelle ging ab Mitte des 19. Jahrhunderts in die türkische Dobrudscha, in die vor allem deutsche Siedler aus Südruss-land und Bessarabien zogen, da sich dort die Bedingungen verschlechterten: Im Zuge der panslawistischen Ideen wurden die Privilegien der deutschen Siedler immer mehr abgebaut, und sie wurden der russischen Bevölkerung gleichgestellt; das beinhaltete auch die Ver-pflichtung zum Militärdienst. Dieser dauerte 25 Jahre und wurde durch Losentscheid fest-gelegt, was für viele Bauernfamilien den wirt-schaftlichen Ruin bedeutete. Für die Menno-niten war damit, wie bereits erwähnt, außer-dem ein religiöses Problem verbunden.6 1871 wird Deutsch als Amtssprache und ab 1880 als Schulsprache abgeschafft, und es macht sich eine zunehmende Russifizierungstendenz bemerkbar.

Aufgrund der so unterschiedlichen Sied-lungsbedingungen und auch der unterschied-lichsten Herkunftsgebiete der Siedler, sowohl

6 In dieser Zeit setzte bereits die Auswanderungswelle nach Übersee (besonders in die USA) ein, an der sich ebenfalls viele Mennoniten beteiligten.

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regional als auch sozial gesehen, kann man nicht von einer festen Gemeinschaft der Ost-europa-Deutschen sprechen: zu verstreut la-gen die einzelnen Siedlungsschwerpunkte. Au-ßerdem zeigen sich auch in den Mundarten ganz bedeutende Unterschiede, ebenso in der Volkskultur.

Die deutsche Ostbesiedlung ist von einer sehr wechselvollen Geschichte geprägt, die sich auch auf den Erhalt und den Zustand der deutschen Sprache unter den deutschsprachi-gen Siedlern auswirkt. Eine gewisse Ausnah-mestellung hat hier das Gebiet von Sieben-bürgen, das quasi den Status eines autonomen Kleinstaats innehatte und im Laufe seiner gan-zen Geschichte die deutsche Sprache bis heu-te bewahren konnte. Bei den übrigen Gebie-ten spielt v.a. die wechselnde politische Zu-gehörigkeit eine entscheidende Rolle. Ein his-torisches Beispiel ist etwa Schlesien: Anfangs im Besitz polnischer Herzöge, von 1335 bis 1526 unter böhmischer Herrschaft, danach österreichisch, kam der weitgehend größte Teil nach 1740 zu Preußen. Nur ein kleiner Streifen verblieb bei Österreich (Breit 1998: 19ff.). Aber auch neuzeitliche Ansiedlungen können solche wechselnden Zugehörigkeiten mitmachen: Beispielsweise gehörte die heute in der Ukraine liegende deutschsprachige Sied-lung um Mukatschewo ab 1878 Ungarn an, nach 1918 der Slowakei und nach 1945 der Sowjetunion, so dass als Umgebungssprachen heute noch neben dem Ukrainischen (Ruthe-nischen) das Ungarische, das Slowakische und das Russische eine Rolle spielen. Diese Spra-chen werden auch von vielen (älteren) Spre-chern noch parallel nebeneinander gespro-chen.

Für die heutige Sprachsituation hat aber allenfalls noch der Zustand um 1900 Auswir-kungen. Grundsätzlich kann man ab dem Jah-re 1868 von vier großen Gebieten sprechen, in denen deutschsprachige Gruppen behei-matet waren: Länder der ungarischen Krone (Transleithanien), Länder der österreichischen Krone (Zisleithanien),7 Länder des Königtums

7 Nach dem sog. „Ausgleich“ 1848 unterschied man zwischen einer österreichischen Reichshälfte (die auch Galizien umfasste) und der ungarischen Reichshälfte.

Preußen und Länder des russischen Zarenrei-ches. Eine geringe Rolle spielt in dieser Zeit Ru-mänien: auf diesem Gebiet befand sich da-mals nur die teilweise deutsch besiedelte Do-brudscha. Zur ungarischen Krone gehörten Transkarpatien, Sathmar, das Banat sowie das Großherzogtum Siebenbürgen. Österreich un-terstanden dagegen Böhmen, Mähren, ein klei-ner Teil Schlesiens, Galizien und die Buko-wina. Die Unterschiede bestehen darin, dass die ungarische Regierung im transleithanischen Teil nach 1867 eine ganz starke Nationalisie-rungspolitik (Magyarisierung) durchsetzte und die ungarische Sprache als Staatssprache ein-setzte, während Österreich keine offizielle Staatssprache hatte – wenngleich dem Deut-schen aus historischen und verwaltungstech-nischen Gründen eine Vorrangstellung zukam. Im zisleithanischen Teil herrschte daher eine Vielfalt und Gleichberechtigung von Sprachen, die in der Märzverfassung von 1848 program-matisch verankert wurde (vgl. Goebl 1994: 66). Das führte auch dazu, dass es ein mehr-sprachiges Schulsystem gab. Schönes Beispiel dafür ist die Bukowina, in der von 1869 bis 1918 Deutsch, Ukrainisch (Ruthenisch), Rumä-nisch und in einigen Gebieten auch Ungarisch und Polnisch als Schulsprachen zugelassen waren (Burger 1995). In den Preußen unter-stellten Gebieten (Schlesien, Pomerellen, Groß-polen) war anfangs noch eine liberale Politik zu bemerken, dann aber setzte dort – ähnlich wie in Transleithanien, nur mit umgekehrten Vorzeichen – eine Germanisierungstendenz ein, unter der wiederum die polnischsprachige Be-völkerung zu leiden hatte (Piskorski 1994: 17). Für den Spracherhalt der deutschsprachigen Gruppen war dies natürlich förderlich.

3.2 Arbeitsmigration

Neben den oben beschriebenen Siedlungswel-len, die v.a. landwirtschaftliche Arbeitskräfte und Handwerker ins Land brachten, die sich zunächst in dörflichen Siedlungen niederlie-ßen, gibt es über alle Jahrhunderte hindurch eine Arbeitsmigration von hochqualifizierten

Nach dem Grenzfluss Leitha wurde erstere als Zis-leithanien und letztere als Transleithanien bezeichnet (vgl. Goebl 1994: 61).

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1. Die deutschen Sprachgebiete in Mittel- und Osteuropa 9

Spezialisten wie Ärzten, Apothekern, Lehrern und anderen Angehörigen der Oberschicht, die besonders die städtischen Zentren bevöl-kerten. Hierher gehören auch Militärpersonen, besonders hohe Offiziere, die beispielsweise in den Dienst der russischen Zaren traten (Brandes 1999: 12). Diese Migranten bildeten etwa im 18. Jahrhundert in Moskau und St. Petersburg eine breite Schicht (1869: 46.000 Deutsche in St. Petersburg) � neben Fachleu-ten für Heer, Marine, Rüstungsindustrie und anderen Spezialgebieten, die Peter der Große ins Land gerufen hatte. An der Petersburger Akademie der Wissenschaften, Universitäten und höheren Schulen unterrichten im 18. Jahr-hundert viele deutsche Gelehrte. Die Deut-schen hatten im 18. Jahrhundert in Moskau und später in St. Petersburg eine eigene Kna-ben- und eine Mädchenschule, mehrere Ver-eine und eine deutschsprachige Zeitung. Von allen ethnischen Minderheiten gab es unter den Deutschstämmigen in Russland am meisten Adlige, Ehrenbürger, Kleinbürger und Kauf-leute (Brandes 1999: 13). Allerdings waren auch unter den Handwerkern die Deutschen stark vertreten: besonders Bäcker, Wurstma-cher, Bierbrauer, Uhrmacher, Schneider und Schuhmacher kamen aus dem deutschsprachi-gen Raum. Hier ist aber zu bedenken, dass Angehörige der Oberschicht Träger der Mehr-sprachigkeit sind und sich schneller an die Mehrheitsgesellschaft assimilieren als Hand-werker. In dieser Schicht ist also weniger mit langfristigem Spracherhalt zu rechnen.

3.3 „Rücksiedlung“, Umsiedlung

und Aussiedlung nach dem

Zweiten Weltkrieg

Eine radikale Änderung in der deutschen Be-siedlung Osteuropas ergab sich aus den Folgen des Zweiten Weltkriegs, die eine Siedlungsbe-wegung, die hier euphemistisch als „Rücksied-lung“ bezeichnet wird, auslöste. In Wirklich-keit handelt es sich hierbei um die „folgen-schwerste, unfreiwilligste Massenwanderung des 20. Jahrhunderts“ (Gottas 1995: 27). Aus den Staatsgebieten von Polen, der Tschecho-slowakei und Ungarn wurden über 90 Prozent der dort siedelnden Deutschen nach Deutsch-

land vertrieben. Lediglich Leute, die aus wirt-schaftlichen Gründen gebraucht wurden (z.B. Arbeiter im Bergbau) oder die in einer inter-ethnischen Ehe lebten, wurden zurückbehal-ten, hatten aber unter entsprechenden Re-pressalien zu leiden, was sich auch auf den Gebrauch der deutschen Sprache auswirkte. Von den südosteuropäischen Staaten schloss sich einzig Rumänien der Vertreibung nicht an: Siebenbürger und Zipser Sachsen und die Banater Schwaben konnten bleiben.8 Aller-dings entschlossen sich hier viele zur „freiwil-ligen“ Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland. Anders war die Situation für die Deutschen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion: Bis auf wenige Gebiete (einige Dörfer im westlichen Ural, vgl. dazu Schiro-kich in diesem Band) wurden alle Deutschen im europäischen Teil der damaligen UdSSR nach Kriegsausbruch 1941 nach Sibirien und Mittelasien deportiert. Sie kamen vor allem in Gebiete, die man Ende der 1930er Jahre er-folglos zu besiedeln versucht hatte, nämlich nach Sibirien und Kasachstan, teilweise auch in Gebiete, in denen schon Deutsche siedel-ten. Etwa ein Viertel der deutschsprachigen Bevölkerung wurde in die Arbeitsarmee ge-schickt. Von der Deportation ausgenommen waren nur Frauen, die mit Männern anderer Volksgruppen verheiratet waren. Auch nach der Rehabilitierung (ab 1956) war es den De-portierten nicht möglich, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Stattdessen siedelten die Russ-landdeutschen – verstärkt seit den 1970er Jah-ren – im Zuge der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik oder in die DDR aus (Eisfeld 1999: 120ff.)

Eine zweite große Aussiedlungswelle ist seit Anfang der 1990er Jahre zu beobachten. Durch die Öffnung der Grenzen und entsprechende Abkommen mit der deutschen Regierung voll-zieht sich seit dieser Zeit eine radikale Ab-wanderung aus den Gebieten, in denen sich noch eine mehrheitlich deutschsprachige Be-

8 Hier ist jedoch hinzuzufügen, dass aus allen sowje-tisch besetzten Gebieten Angehörige der deutsch-sprachigen Minderheit in die russische Arbeitsarmee (trudarmija) eingezogen wurden und teilweise dort ums Leben kamen.