Leseprobe H2015 Handel - Vier Türme Verlag · 2. Seit über 50 Jahren existiert in der Abtei...

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1 Vier-Türme-Verlag Neue Bücher im Herbst 2015

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Vier-Türme-Verlag Neue Bücher im Herbst 2015

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Seit über 50 Jahren existiert in der Abtei Münsterschwarzach der Vier-Türme-Verlag, der Verlag der Mönche von Münsterschwarzach. Hier erscheinen Bücher, die Hilfe für einen lebensnahen Glauben und alltagstaugliche Spiritualität sein möchten.

Sie finden in unserem reichhaltigen Verlagsprogramm neben Büchern zu unter-schiedlichsten Themen auch Hörbücher, Kalender und Meditationskarten, die Sie in Ihrem Alltag begleiten und Ihrer Seele gut tun. Weitere Informationen zu unserem Programm erhalten Sie auf unserer Webseite

oder in jeder gut sortierten Buchhandlung.

www.vier-tuerme-verlag.de

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Martin Kämpchen: Am Abend notiert – 147 Einladungen zum Innehalten 4

Anselm Grün: Worte, die uns tragen 10

Anselm Grün, Michael Grün: Zwei Seiten einer Medaille – Gott und die Quantenphysik 14

Anselm Grün: Was uns leben lässt – Biblische Weisheit für den Alltag 20

Marion Küstenmacher: Der Purpurtaucher – Vom inneren Wachsen mit Bildern der Mystik 24

Wunibald Müller: Für immer – geht das? Wenn Lebens entscheidungen in die Krise geraten 28

Eine Auswahl unserer Novitäten

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Martin Kämpchen Am Abend notiert – 147 Einladungen zum Innehalten

187 Seiten, 12 x 19,5 cm Gebunden ISBN 978-3-89680-950-6 € 17,99 / A€ 18,50 / sFr 25,90*

Eine besondere Art des Tagebuchs, das einem die Augen öffnen möchte für den Augenblick – und dafür, dass in jedem bewusst und achtsam erlebten Moment etwas in unserem Leben aufscheint, das größer und tiefer ist als das Augenscheinliche. Dieses Erleben lädt zum Nach-Denken und Nach-Spüren ein und gibt jedem Tag eine Tiefe und Weite, die dem bewusst wird, der lernt, mit den Augen des Herzens zu schauen.

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IM GARTEN ZU ARBEITEN befriedigt unmittelbarer, als zu schreiben oder zu malen oder

unter anderen zu wirken. Die Blüten sind uns sicher, danach die Früchte. Bleiben sie aus, entde-

cken wir meist die Ursachen – Ungeziefer oder Kälte, Trockenheit oder wenig Schatten – und

können ihnen entgegenwirken. Wir pflanzen und gießen, düngen und jäten. Dann treten wir zur

Seite, und das Eigentliche geschieht: das Wachsen und Reifen und Früchtetragen. Das untersteht

nicht unserer Mühe, es ereignet sich geheimnisvoll, als sei es ein Spiel, wie eine Lusterfüllung; da

gibt es kein Ächzen und Schwitzen, kein Seufzen und Verzweifeln wie im Ringen mit unseren

eigenen kreativen Kräften. Das Wachsen und Welken im Garten lässt sich nicht beobachten, aber

es geschieht. Der Gärtner schaut zu. Es ist ein wahres Schauen, denn er beobachtet keine Bewe-

gung, keinen Fortschritt; er erkennt die Bewegung des Wachsens erst über lange Zeitspannen

hinweg.

Welch eine Befreiung, dass das Wesentliche ohne uns geschieht! Wir umhegen und pflegen nur

das Wunderbare. Zum Gartenkosmos gehören Sonnenhitze und Winterfrost. Dieser Kosmos

bleibt trotz allem, das sich nicht entfalten und keine Früchte bringen konnte, lebendig und voll-

ständig, eine kleine göttliche Schöpfung. Im Garten gibt es im Grunde keine Enttäuschungen,

keine Niederlagen wie bei unseren kreativen und gesellschaftlichen Tätigkeiten.

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Zum Garten gehört noch zweierlei: seine Abgeschlossenheit und seine Stille. Ein Zaun soll da-

rum sein, nicht jeder darf durchlaufen. Nicht jeder soll ihn kennen. Ein Garten muss sich ver-

stecken können, sonst wird er ein öffentlicher Park, in dem Hunde spazieren geführt werden.

Aber zum Garten gehört mehr als nur das eingegrenzte Stück Erde. Seine Umgebung muss den

Garten unterstützen, muss still sein oder die Laute dämpfen. Ein Garten, sei er noch so herrlich,

wirkt nicht, wenn seine Grenzen von Lärm und Gestank umkämpft sind. Wenn sich Menschen

der Gartenkunst zuwenden, wollen sie die Kraft der Schöpfung im Kleinen und Bescheidenen

durch den Jahreskreis erleben und etwas von dieser Energie in sich überleiten. Ich verstehe die

Gärtner, die auf das Erblühen der einen Tulpe warten, deren Zwiebel sie im Herbst gesetzt

haben. Sie blicken auf diese leere Stelle und warten auf die Spitze des grünen Sprosses, die sich

durch die Erdkrumen bohrt, als steige die Schöpfung dadurch vom Nichtsein ins Sein.

Diese scheinbar nutzlosen Gärtner, die ihre nutzlosen Tulpen setzen – ich liebe sie. Auch sie we-

ben und wirken am breiten Gewand des Lebens.

Santiniketan

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HÄUFIG MUSS ICH EINE ENTSCHEIDUNG FÄLLEN, vor der ich mich sträube. Sie

könnte Unzufriedenheit in anderen schüren, Diskussionen, Kritik, Beleidigungen auslösen. Sie

wird auch meine Selbstzweifel aufwirbeln wie ein Windstoß das trockene Laub: Durfte ich die-

se Entscheidung fällen? Gab es dafür ausreichende Gründe? Schädige ich niemanden dadurch?

Schädige ich mich selbst? Hätte ich die Sache besser ignoriert? Die Sache hätte sich vielleicht von

selbst erledigt; man muss nicht immer handeln. Habe ich mit genügend Weitblick und Umsicht

geurteilt und entschieden? ... Ein Gestrüpp aus Fragen.

Meine Regel: Nicht spontan, nie im Ärger oder in der Empörung handeln, sich nicht von anderen

drängen lassen, wenn man noch Zeit zur Klärung braucht. Nie von einer emotionalen Situation

oder einer augenblicklichen Stimmung oder einer Atmosphäre, die gerade in einem Gespräch,

einer Gruppe, an einem Ort herrscht, überwältigen lassen. Wie schwierig das ist! Wie häufig ich

dagegen verstoße!

Doch wenn mir deutlich wird, dass ich handeln muss, und desgleichen, wie ich handeln kann,

dann: Nicht aufschieben! Face the monkey! Diese Episode im Leben von Swami Vivekananda,

dem großen Hindu-Mönch des 19. Jahrhunderts, erzähle ich gern: In jungen Jahren besuchte

er die Pilgerstadt Varanasi. Rund um den Visvanath-Tempel gibt es noch heute ein dichtes

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Gewebe aus Gassen und Gässchen, viele so eng, dass sich die Menschen darin schieben, stoßen

und rempeln, um sich durchzuquetschen. In einer dieser Gassen näherte sich dem Swami mit

gefletschten Zähnen ein ausgewachsener Affe. Unwillkürlich machte der Mann einen Schritt

zurück. Als er sich umdrehte, um das Weite zu suchen, hörte er eine Stimme: Face the monkey!

Weiche nicht zurück, sieh der Bestie ins Auge! Vivekananda blickte das Tier an, entschlossen,

weiterzugehen. Er ging einen Schritt, einen zweiten – sieh da, der Affe wich zurück, machte

kehrt und sprang weg.

Santiniketan

SAURABH, MEIN COMPUTERFACHMANN, WILL KEIN GELD. Seit vielen Jahren rufe

ich ihn, sobald mein Computer oder Drucker, der Scanner oder der Internetanschluss Schwierig-

keiten macht. Bei Saurabh kaufe ich das Zubehör, er aktualisiert und repariert. Seine Geduld ist

sprichwörtlich. Ich gebe ihm als Erstes eine Tasse grünen Tee oder südindischen Kaffee. Wenn

etwas Leckeres im Haus ist – Saurabh wird verwöhnt, denn er ist der Hüter ungestörter Arbeit. Er

kommt, wenn es sein muss, noch um zehn Uhr abends vorbei. Ich rufe Katastrophe!, er sagt dekhi,

lass mal sehen, und kommt, ohne ein zweites Wort zu verlieren, zur Sache. Er bleibt höflich, wenn

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ich dränge, bleibt sachlich, wenn ich mein Schicksal beklage, in diesem Land, in dem »nichts

klappt«, zu leben. Darum bin ich bald wieder mit dem Schicksal versöhnt.

Warum scheut er aber, meine Bezahlung anzunehmen? Bei jedem Besuch frage ich: Wie viel soll

ich dir dafür geben? Einige Ersatzteile hat er in Kalkutta kaufen müssen. Was kostet das? Regel-

mäßig wehrt Saurabh ab. Die Fragen sind ihm unangenehm. Er hilft mir als Freund, als jüngerer

Bruder. Darf er Geld fordern, Geld empfangen? Das ist ehrenrührig.

Erst Monate später, oft nach wiederholten Nachfragen, händigt er Rajen, meinem Mitarbeiter,

die Rechnung aus, niemals vor meinen Augen. Wenn sich die Bezahlung verzögert, etwa weil

ich auf Reisen bin, fragt er nicht nach. Geld spielt keine Rolle in der Familie. Geld spielt keine

Rolle in einer Freundschaft. Das Familienempfinden greift häufig ins Berufsleben ein. Für unsere

kommerzielle Denkweise ist dies ein Lichtblick. Doch wer gern Beruf und Privatleben auseinan-

derhält, findet diese Haltung problematisch.

Santiniketan

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Anselm Grün Worte, die uns tragen

152 Seiten, 14,5 x 22 cm Gebunden ISBN 978-3-89680-952-0 € 17,99 / €A 18,50 / sFr 25,90*

Vielen Menschen bleibt das Glaubensbekenntnis unverständlich. Das Bekenntnis hinter den Worten hat offensichtlich wenig mit ihrem Alltag zu tun. Anselm Grün erschließt die heilsame Bildsprache des Glaubensbekenntnisses durch neue, alltagsnahe Deutung. Er zeigt so Wege auf, wie das eigene Leben gelingen kann. Ein Buch auch für Kirchenferne und diejenigen, die nicht mehr glauben können.

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Einleitung

Nach einer Talkshow im Fernsehen kam einer der Teilnehmer auf mich zu und sagte: »Was Sie

gesagt haben, das hat mich tief berührt. Ich habe früher fest geglaubt. Ich war auch Ministrant.

Aber jetzt kann ich nicht mehr an all das glauben, was uns die Kirche vorgibt: Jungfrauengeburt,

Auferstehung, Himmelfahrt. Ich kann damit nichts anfangen. Ich glaube immer noch, dass es et-

was Größeres gibt als uns Menschen. Ich möchte gerne glauben. Aber ich kann es einfach nicht.«

Das Gespräch mit diesem jungen Mann hat mich sehr nachdenklich gemacht. Offensichtlich

hatte er das Gefühl, dass er mit dem Aufsagen des Glaubensbekenntnisses, des Credo, wie er es

früher als Ministrant in der Messe tat, alles Mögliche glauben müsse, das mit vernünftigem Den-

ken nichts zu tun hat. Es kam ihm fremd vor.

So wie es diesem jungen Mann ergeht, empfinden heute viele Menschen. Wenn sie noch in den

Gottesdienst gehen, können sie jedoch meistens mit den Worten des Credo nichts mehr anfangen.

Andere haben sich von der Kirche verabschiedet, weil ihnen ihre Lehren fremd geworden sind. Die

Begegnung mit solchen Menschen weckt in mir immer den Drang, ihnen die christliche Botschaft

so zu erklären, dass sie davon berührt werden, dass sie verstehen: Das hat mit mir zu tun. Das sind

nicht einfach verstaubte Worte, sondern sie sagen etwas über mich selbst aus. Und sie öffnen mei-

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nen Geist für das Geheimnis Gottes. Ich muss nicht wider meine Vernunft glauben. Vielmehr geht

es darum, diese alten Worte so zu verstehen, dass ich darin einen Weg für mich selbst entdecke. Ich

möchte die Menschen, die suchen und die glauben wollen, in die Bilderwelt des Credo einführen,

damit sie eine ganz neue Sicht auf ihr Leben gewinnen können. Und ich möchte sie ermutigen,

dass sie sich ihres Glaubens vergewissern und wieder neue Standfestigkeit erlangen. (...)

Ich glaube

Schon mit diesen ersten Worten tun sich manche Menschen schwer. Glauben – so sagen sie – heißt:

nicht wissen. Doch das ist ein oberflächlicher Begriff des Glaubens. Glauben heißt nicht, irgendwel-

che Dinge oder Sätze für wahr zu halten. Wenn ich in die Bibel schaue, gibt es für mich drei Bilder,

die für den Glauben wesentlich sind. Das erste Bild findet sich bei Jesaja, die Einheitsübersetzung

und Martin Luther geben die Stelle so wieder: Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht. Jesaja 7,9.

Joseph Ratzinger übersetzt diesen Vers so: Wenn ihr nicht glaubt (wenn ihr euch nicht an Jahwe

festhaltet), dann werdet ihr keinen Halt haben. Ratzinger, Einführung in das Christentum, 43.

Glauben heißt also: einen festen Stand haben. So hat es auch der Hebräerbrief verstanden: Glaube

aber ist: feststehen in dem, was man erhofft. Hebräer 11,1

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Glauben hat also mit Feststehen zu tun. Im Glauben finde ich Halt in etwas, das größer ist als ich

selbst. Ich finde Halt in Gott. Dieses erste Bild hängt eng mit dem zweiten Bild zusammen: Glauben

ist Vertrauen. Wir beten im Credo nicht »ich glaube, dass ...«, sondern »ich glaube an ...«. Also ist schon

das Vertrauen mitgedacht: Ich traue Gott. Ich vertraue darauf, dass er mich führt, dass er bei mir ist,

dass er mir Schutz gewährt. Ich traue Gott zu, dass er es gut mit mir meint. In diesem Sinn gebraucht

Jesus selbst das Wort »glauben«, vor allem im Markusevangelium: Als die Jünger in ihrem Boot vom

Gegenwind bedrängt werden, kommt Jesus über das Wasser zu ihnen. Sie bekommen Angst, er sei ein

Gespenst. Da sagt Jesus zu ihnen: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht! Markus 6,50. Glau-

ben heißt vertrauen, dass ich nie allein bin, dass Jesus selbst in Angst auslösenden und bedrängenden

Situationen bei mir ist. Ich darf vertrauen, dass er mich nicht allein lässt, dass er mir die Hand reicht

und mir dann wieder festen Stand schenkt. So hat es Petrus erfahren, als er auf die Aufforderung Jesu,

Vertrauen zu haben, aus dem Boot stieg und selbst über das Wasser gehen konnte. Doch sobald er auf

den heftigen Wind und die Wellen schaute, ging er unter. Er hatte nur festen Halt, solange er Jesus

vertraute (vgl. Matthäus 14,22–33). Das dritte Bild in Bezug auf den Glauben begegnet mir im Jo-

hannesevangelium. Dort bedeutet zu glauben eine neue Weise des Sehens. An Jesus glauben heißt für

Johannes: in diesem Menschen Gott schauen, in seiner menschlichen Schwachheit die göttliche Herr-

lichkeit schauen, im Scheitern des Kreuzes den Sieg der Liebe schauen. Es ist ein tieferes Schauen. (...)

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Anselm Grün, Michael Grün Zwei Seiten einer Medaille – Gott und die Quantenphysik

128 Seiten, 12 x 19,5 cm Gebunden mit Schutzumschlag 14 s/w-Abbildungen ISBN 978-3-89680-954-4 € 14,99 / €A 15,50 / sFr 21,90*

Verständlich und leicht nachvollziehbar erklären der Physiker Michael Grün mit seinem Bruder, der Benediktinerpater und Theologen Anselm Grün, warum Physik und Theologie sich nicht widersprechen. Sie eröffnen Wege zur Lebensbewältigung und Zugangsweisen zur gemeinsa-men Erkenntnis der Wahrheit. Denn oft genug sind Religion und Wissenschaft nur zwei Seiten ein und derselben Medaille.

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Michael Grün

Ich hatte in meiner Zeit als Lehrer für Physik und Mathematik an einem Gymnasium oft erleben

dürfen, wie fasziniert schon zehnjährige Schüler waren, wenn ich ihnen vom Weltall oder etwa von

der Relativität der Zeit erzählte. Im Leistungskurs Physik waren Schüler manchmal zunächst ein-

mal sprachlos, wenn ich ihnen Aussagen und Versuche zur Relativitätstheorie oder Quantenphysik

erläuterte. Nach einiger Zeit gab es dann aber lebhafte Diskussionen über die daraus folgenden

Interpretationen, auch über die Auswirkungen für das Weltverständnis und die Religionen.

Ich hatte dabei den Eindruck gewonnen – den mir manche Religionslehrer bestätigten –, dass

viele Jugendliche einem Naturwissenschaftler eher als einem Theologen Glauben schenken. (...)

Nach der klassischen Physik funktionieren das Weltall und alles in ihm wie eine Maschine, wie

ein Uhrwerk, das – einmal aufgezogen – von selbst nach den Gesetzen der Physik abläuft. In

dieser klassischen Physik gilt ein strenges Kausalitätsprinzip, das heißt jede Wirkung hat eine ein-

deutige Ursache, also einen Grund, warum sie auftritt. In der klassischen Physik und dem mit ihr

verbundenen Denken ist kein Platz mehr für Religion, für Transzendenz, für einen freien Willen,

für moralische Begriffe, für Gewissen, für Gefühle wie Sehnsucht, Liebe, Trauer. Gott kann

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höchstens noch Platz eingeräumt werden als dem Schöpfer und Erbauer der Maschine, keinesfalls

aber als jemandem, der noch immer ins Leben und in die Welt eingreift. Gott ist demnach so-

wohl den physikalischen Gesetzen als auch der Zeit unterworfen, also nicht allmächtig. Und da

er nicht mehr ins Geschehen eingreifen konnte, wurde er entbehrlich. Man vergaß ihn oder tat

ihn spöttisch ab als eine Umschreibung für das wissenschaftlich noch nicht Gewusste. Selbst als

Schöpfer wurde er schließlich nicht mehr von allen akzeptiert, da man teilweise das Weltall als

schon immer existent annahm.

Die klassische Physik war so erfolgreich darin, durch Erfindungen dem Menschen das Le-

ben zu erleichtern, Vorgänge zu erklären und die Zukunft von Vorgängen zu berech-

nen, dass man Ende des 19. Jahrhunderts glaubte, dem Menschen sei in der Beherrschung

der Natur und der Erkenntnis der Wahrheit keine Grenze gesetzt. Und man war felsen-

fest davon überzeugt, dass die klassische Physik die richtige Beschreibung der Welt sei. (...)

Vor allem drei wichtige Teilbereiche der Physik haben im 20. Jahrhundert einen Paradigmen-

wechsel im Verhältnis von Physik und Religion herbeigeführt, wenngleich dieser Paradigmen-

wechsel insbesondere in der westlichen Welt noch längst nicht von allen wahrgenommen wird:

Dies sind die Quantenphysik, die spezielle Relativitätstheorie zusammen mit der allgemeinen

Relativitätstheorie und viele seit etwa 1925 gemachte Entdeckungen in der Kosmologie.

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Ich möchte in diesem Buch – sehr unvollständig und teilweise vereinfachend – aus diesen drei

Bereichen einige Erkenntnisse schildern, die für die momentane Stellung der Physik zur Religion

relevant sind. (...)

Die moderne Physik hat die Jahrhunderte währende Gegnerschaft zwischen Religion und Phy-

sik beseitigt. Sie ist überzeugt von der Existenz von Transzendentem, also von etwas, das jen-

seits des von unseren Sinnesorganen Wahrnehmbaren ist – sei es (mit Vorbehalt) die Dunkle

Materie oder die Dunkle Energie in der Kosmologie, seien es vielleicht die höheren Dimen-

sionen der Stringtheorie, aber ganz bestimmt die virtuellen Welten der Quantenphysik. Die

moderne Physik hat uns auch wieder das Staunen über die unermessliche Größe und Großar-

tigkeit der Natur und ihrer Gesetze – nicht nur im Großen, in der Kosmologie, sondern auch

im Kleinen, in der Mikrophysik – zurückgebracht. Hatte uns die klassische Physik übermütig

gemacht, so lehrt uns die moderne Physik die Demut und das Sich-Wundern. Sie lässt uns er-

ahnen oder bei vielen auch zur Gewissheit werden, dass hinter der Welt etwas ganz Großartiges

stecken muss, das die meisten Gott nennen. So glauben heute manche Wissenschaftler – wie es

beispielsweise der englische Physiker Paul Davis ausgedrückt hat –, dass der Weg zu Gott über

die Physik leichter sei als über die Theologie.

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Ich möchte mit einem Zitat von Werner Heisenberg enden, einem der genialsten Physiker des

20. Jahrhunderts, das die Erfahrung vieler großer Physiker der modernen Physik beschreibt:

„Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, doch auf dem Boden des Bechers erscheint dann Gott.“

Anselm Grün

Was mein Bruder als Physiker über die Beziehung zwischen Physik und Religion – vor allem von

seiner Erfahrung der Quantenphysik her – geschrieben hat, regt mich an, selbst über die Bezie-

hung von Glaube und Physik nachzudenken. Mir ist klar, dass Theologie und Quantenphysik

auf verschiedenen Ebenen arbeiten. Die Naturwissenschaft erklärt die Entstehung und das We-

sen der Natur. Und zur Natur gehört eben auch das menschliche Gehirn, das denken kann. Die

Theologie sucht Antworten auf die Fragen nach dem Sinn und Ziel menschlicher Existenz.

Dennoch berühren sich auch die Ebenen von Naturwissenschaft und Theologie. Von der Ge-

schichte der Theologie her ist mir klar, dass alle Theologen ihre Theologie immer auch im Dialog

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mit der jeweiligen Philosophie und Naturwissenschaft entfaltet haben. Die Theologen haben

immer auch die Natur studiert und Begriffe aus dem jeweiligen Weltbild in ihre Theologie über-

nommen. Und auch heute kann Theologie nur im Diskurs mit heutiger Philosophie, Psychologie

und Naturwissenschaft verantwortlich betrieben werden. (...)

Wir sprechen von Gott letztlich immer in menschlichen Begriffen und Bildern. Und diese Bilder

sind oft genug noch der alten Physik verhaftet. Daher ist die Beschäftigung mit der Quanten-

physik eine Einladung, unsere Begriffe und Bilder von Gott zu hinterfragen und eventuell Bilder

für Gott zu benutzen, die der heutigen Physik mehr entsprechen. Doch bei allen Begriffen und

Bildern müssen wir immer zugleich bekennen, dass Gott jenseits aller Begriffe und Bilder ist.

Die Naturwissenschaft ist offen für Gott als Schöpfer und für Gott als Geist. Gott als Person,

wie uns die biblische Offenbarung Gott vorstellt, kann die Naturwissenschaft weder bestätigen

noch leugnen. Gott als Person entspricht einer Erfahrung, die wir mit dem biblischen Glauben

machen.

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Anselm Grün erschließt biblische Texte für eine spirituelle Lebenskunst im Alltag der Menschen im 21. Jahrhundert. Er konzentriert sich auf die alltäglichen Probleme der Menschen, die sich nach einer Entscheidungs- und Lebenshilfe sehnen, die wirklich und über den Tag hinaus trägt. Das Buch begleitet in schweren Zeiten, spendet Trost und Mut zum Neuanfang und enthält eine kleine Sammlung von Segen und Segenswünschen.

Anselm Grün Was uns leben lässt – Biblische Weisheit für den Alltag

256 Seiten, 14 x 21 cm Gebunden mit LesebändchenISBN 978-3-89680-953-7 € 17,99 / €A 18,50 / sFr 25,90*

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Vorwort

Die Bibel ist für mich eine unerschöpfliche Fundgrube, in der ich immer wieder neue Antworten

finde auf die Fragen, die mich in meinem Leben bewegen. So möchte ich in diesem Buch bib-

lische Texte auslegen, die auf wesentliche Fragen unseres Lebens und auf alltägliche Nöte und

Schwierigkeiten Antworten geben oder besser gesagt: einen Weg weisen, wie wir weitergehen

können. Die Bibel gibt keine einfachen Antworten, die man nach Hause tragen kann. Sie schenkt

uns vielmehr Worte, die wir kauen, an denen wir uns abarbeiten sollen, damit sie für uns zu Le-

bensworten werden, zu Worten, die ins Leben führen.

Alles hat seine ZeitAlles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen, eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen, eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz; Kohelet 3, 1

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Wir möchten gerne immer alles auf einmal haben. Wir möchten das Glück und die Freude fest-

halten, den Erfolg und die Anerkennung, die Harmonie und den Frieden. Doch der Weise, der

in der Gestalt des Predigers im Buch Kohelet zu uns spricht, sagt uns ganz nüchtern: Es gibt eine

Zeit des Glücks und des Unglücks, der Freude und der Trauer, des Erfolgs und des Misserfolgs,

der Anerkennung und der Ablehnung, des Friedens und des Streites. Wir sollen in der Zeit des

Glücks nicht ängstlich darauf warten, dass jetzt auf jeden Fall Unglück kommen müsste. Dann

könnten wir das Glück und die Freude und den Frieden gar nicht genießen. Wir sollen nur damit

rechnen, dass das Leben ein Auf und Ab ist, dass man nichts festhalten kann.

Der Prediger nimmt einfach das aus Gottes Hand an, was gerade ist. Wir können es uns nicht

aussuchen, ob wir in einer Zeit des Friedens oder in Kriegszeiten leben. Wir müssen die Zeit neh-

men, wie sie ist. Jede Zeit hat ihre eigene Herausforderung, aber auch ihre eigene Plage. Es gibt

Zeiten des Hochgefühls und Zeiten, in denen wir uns niedergeschlagen fühlen.

Leben im RhythmusSorgt euch also nicht um morgen;denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage.

Matthäus 6, 3 4

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Viele Menschen malen sich voller Sorge aus, was morgen und übermorgen und überhaupt in der

Zukunft alles geschehen könnte. Natürlich sollen wir unsere Verantwortung für die Zukunft wahr-

nehmen. Wie wir mit der Natur umgehen, das hat Folgen für die kommenden Generationen. Doch

diese Verantwortung für die Zukunft hat Jesus hier bei Matthäus nicht im Blick. Er möchte uns

vielmehr einladen, ganz im Augenblick zu leben. Wir sollen ihn in Dankbarkeit und in Vertrauen

leben. Wenn wir uns ständig um die Zukunft Sorgen machen, dann versäumen wir das Leben. Es

geht darum, den heutigen Tag gut zu meistern. Ich soll mir heute noch nicht den Kopf zerbrechen,

was morgen sein wird. Viele kreisen heute schon um das Gespräch, das morgen stattfinden wird,

oder um die Arbeit, die sie morgen erledigen müssen. Doch damit können sie den gegenwärtigen

Augenblick nicht genießen. Die Sorge um den morgigen Tag lastet auf ihnen und bedrückt sie.

Wenn ich morgens aufstehe, lasse ich mich nicht erdrücken von den Terminen, die heute anstehen.

Ich erhebe vielmehr die Hände zum Segen und segne den heutigen Tag. Dann gehe ich voll Vertrau-

en in den Tag, nicht mit Sorgen, was alles geschehen könnte, sondern im Glauben daran, dass alles,

was ich heute tue, gesegnet ist. Ich gehe in einen gesegneten Tag und brauche mir keine Sorgen zu

machen, was alles schiefgehen könnte. In einen gesegneten Tag kann ich gelassen und ruhig gehen.

Ich weiß, dass jeder Augenblick von Gottes Segen erfüllt ist, dass Gottes Segen über jedem Gespräch

steht, über jeder Arbeit, über jeder Begegnung.

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Was genau ist eigentlich ein Mystiker? Und was tut er? Und wie kann man selbst einer wer-den? Ein „mystischer Tauchschein“, um in die Tiefen des Geistes das kostbare Purpur, den Schatz zu finden: die Begegnung mit Gott. Marion Küstenmacher beschäftigt sich mit verschie-denen mystischen Bildern, wie z.B. das des Purpurtauchers, die Mystiker wie Rumi, Heinrich Seuse, Getrud von Helfta oder auch Meister Eckhart geprägt haben. Sie deutet sie und macht sie für heutige Leser verstehbar.

Marion Küstenmacher Der Purpurtaucher – Vom inneren Wachsen mit Bildern der Mystik

160 Seiten, 14,5 x 22 cm Gebunden mit SchutzumschlagISBN 978-3-89680-951-3 € 17,99 / A€ 18,50 / sFr 25,90*

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Der PurpurtaucherDu bist des Tauchers Kleidung, die abgelegt am Strand liegt. Du bist das Meer ...

Dschelaleddin Rumi

Leseprobe

Kein Mystiker ist jemals fertig vom Himmel gefallen. Mystiker wird man auch nicht automatisch

durch ein außergewöhnliches spirituelles Erlebnis. Mystiker sind Menschen, die sich allesamt

dadurch auszeichnen, dass sie auf der Suche nach Gott irgendwann anfingen, ihren Geist re-

gelmäßig auf die verschiedenen Bewusstseinszustände in ihrem Inneren zu richten – und dabei

fündig wurden. Beharrlich und teilweise gegen viele innere wie äußere Widerstände folgten sie

ihrem tiefsten Wesen, das ihnen den Weg wies. Dieser Weg führt einen spirituellen Sucher ebenso

in die Tiefen und Untiefen seines eigenen Bewusstseins wie in die unergründliche Tiefe Gottes,

den Urgrund aller Wirklichkeit.

»Der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit«, schreibt Paulus (1 Kor 2,10). Der

alte Begriff »Versenkung« für Kontemplation verdeutlicht das sehr schön. Er bedeutet ursprüng-

lich »sich sinken lassen« und ist aktiv und passiv zugleich. Mein Lieblingsbild für die mystische

Suche ist darum das eines Tauchers, der sich ins Meer sinken lässt, um in der Tiefe so lange nach

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Schätzen zu tauchen, bis er schließlich begreift, dass der größte Schatz das Meer selbst ist, in

dem er sich längst befindet. Die alten Griechen hatten einen plastischen Begriff für diese mutige

Suchbewegung: das Verb καλχαίνω, kalchaino. Es bedeutete ursprünglich »Purpur erzeugen«

und stand bildlich für verzehrende Sehnsucht, für dunkel aufgewühlte stürmische See und für

den Tauchgang in die Tiefe des Meeres, auf dessen Grund mutige Taucher nach der kostbaren

Purpurschnecke suchen. Purpur ist seit der Antike der exquisiteste Farbstoff der Welt. Man muss

zehntausend Purpurschnecken vom Meeresgrund holen, um den Farbstoff für das Färben eines

einzigen Kilos Wolle gewinnen zu können. Noch heute ist echter Purpur etwa 300 mal so teuer

wie Gold, ein einziges Gramm reiner Purpur kostet weit über 2000 Euro. Der nach einem kom-

plizierten Ausscheidungsprozess gewonnene Farbstoff hat anfangs keineswegs die spektakuläre

Purpurfarbe, sondern ist milchig-weiß bis blassgelb. Erst durch eine Enzymreaktion während der

Einwirkung von Luft und Licht erfährt er seine wundersame Transformation.

Der Farbprozess läuft von Gelb nach Hellgrün, zu Dunkelgrün und Blau, bis er schließlich bei Pur-

purrot oder Tiefviolett endet. Da der Farbstoff so teuer war, waren Jahrhunderte lang nur die Ge-

wänder hoher Herrscher und geistlicher Würdenträger purpurn. Hohepriester, Kardinäle, der Papst

oder jüdische Oberrabbiner trugen das seltene Purpur und verliehen der Farbe eine exquisite geistliche

Symbolik. Auch die Toga der römischen Kaiser war purpurn. Junge Könige trugen einen in grünem

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Purpur eingefärbten Mantel, der sich erst im Lauf der Zeit durch Licht und Lufteinwirkung in das

würdevolle Purpurrot verwandelte. So vollzog der Mantel symbolisch vor aller Augen die allmähliche

Wandlung seines Trägers von einem unreifen Anfänger, der noch grün hinter den Ohren war, zu

einem reifen, erfahrenen und selbstbewussten Herrscher, der aus eigener Autorität von innen heraus

sprechen und handeln konnte. Weil der Grundstoff für Purpur aus der geheimen Tiefe des Meeres

kommt und erst Himmelslicht und Luft die endgültige Farbe erzeugen, wurde Purpur auch als Farbe

des schöpferischen GEISTES (Ich schreibe hier im Buch das Wort GEIST immer groß, um damit

die göttliche Fülle des unendlichen Bewusstseins auszudrücken, die klassisch auch mit HEILIGEM

GEIST bezeichnet wird) betrachtet – Gottes Atem selbst hatte beim Färben mitgewirkt.

Wir können das Wort kalchaino also auch in ganz spirituellem Sinn benutzen, um auszudrücken, dass

wir bereit sind, unermüdlich in unsere eigene Tiefe hinab zu tauchen, das verborgene Purpurmeer

des GEISTES von innen her zu erforschen und uns ganz von ihm »einfärben« zu lassen. Aber wie

gelangen wir in dieses Purpurmeer des GEISTES? Indem wir uns wie die Mystiker ganz und gar für

den gegenwärtigen Augenblick öffnen. Henri Boulard, ein ägyptisch-libanesischer Mystiker, fand

dafür folgende Worte: »Man sollte lernen, in die Gegenwart einzutauchen wie ein Taucher ins Meer,

vollständig. Mit Leib und Seele sollen wir uns in dieses Hier und Jetzt versenken und alles an die Ge-

genwart hingeben ... Das Jetzt offenbart mir diese Fülle, ihm muss ich mich zuwenden und öffnen.«

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Immer wieder machen Menschen die Erfahrung, dass Sie ihre einmal getroffene Lebensent-scheidung, das einmal Zugesagte nicht mehr halten können. Wunibald Müller möchte Mut ma-chen, eine solche Krise nicht als Scheitern zu verstehen, sondern als Chance – wie auch immer dann die Entscheidung am Ende ausfällt. Im Mittelpunkt steht dabei die positive Kraft, die aus dem vermeintlichen Scheitern erwächst. Wenn man das Abbrechen eines Weges akzeptieren kann und sich auf die Suche nach einem neuen macht, um der zu werden, der man wirklich ist.

Wunibald Müller Für immer – geht das? Wenn Lebens entscheidungen in die Krise geraten

155 Seiten, 14,5 x 22 cm GebundenISBN 978-3-89680-963-6 € 17,99 / A€ 18,50 / sFr 25,90*

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Krisen gehören zu unserem Leben

Also: Für immer – geht das? Als ich einem fast 80jährigen Freund diese Frage stelle, schaut er

mich zunächst groß an, um dann zu antworten: „Das weiß ich nicht“. Er selbst ist seit fast sech-

zig Jahren verheiratet und von dem, was ich von ihm weiß, war das für ihn und seine Frau nicht

immer eine leichte Zeit. (...)

Inwieweit das, was nach meiner Einschätzung dazu beitragen kann, dass eine Bindung lang, viel-

leicht sogar ein Leben lang anhält, bei ihnen eine wesentliche Rolle gespielt hat, dass er auch nach

fast sechzig Jahren mit seiner Frau zusammenlebt, kann ich nicht beurteilen.

Manche Bindungen und Beziehungen – in Partnerschaft oder Gemeinschaften – bleiben auch

einfach nur erhalten, weil jene, die in diesen Beziehungen leben, keine Alternative für sich sehen,

sich mit ihrer Situation abgefunden haben oder einfach nicht den Mut hatten, alte Bindungen zu

lösen und sich auf neue Beziehungen einzulassen.

Wenn ich in Krisen auch eine Chance sehe, die dazu beitragen kann, dass ich mir im Tiefsten treu

bleibe, verlieren Krisen etwas von dem negativen Bild, das wir in der Regel mit Krisen verbinden.

Leseprobe

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Ohne Krisen jetzt zu verharmlosen und die auch sehr unangenehme und schmerzvolle Seite von

ihnen auszublenden, sieht man dann auch ihre positiven Seiten. Auch mag man dadurch geneig-

ter sein, zu akzeptieren, dass Krisen zu unserem Leben gehören.

Krisen gehören also zu unserem Leben. Wir sollten mit ihnen rechnen und wenn sie eintreten,

nicht versuchen, sie einfach zu übergehen, sondern uns ihnen stellen. Sie sind oft Stoppzeichen

unserer Seele, die uns dadurch darauf aufmerksam machen will, dass es so in unserem Leben

nicht weitergehen kann. (...)

Krisen sind Zeiten in unserem Leben, in denen wir uns „zeitigen“, wir nachjustieren müssen,

absondern müssen, was für uns nicht mehr stimmt. Wir müssen neue Bewertungen vornehmen,

neue Entscheidungen treffen. Wir sind in dieser außergewöhnlichen Zeit „weicher“ und damit

formbarer, zugleich natürlich auch verwundbarer als sonst. Solche Zeiten können zu einer sehr

bewegten Zeit werden. Was wir in dieser Zeit erleben, ist vergleichbar mit der Überfahrt eines

Flusses mit einer Fähre, die uns von der einen Seite des Flusses zur anderen Seite bringt. Bei ent-

sprechenden Außenbedingungen kann es dabei sehr stürmisch werden.

Wollen wir die Krise als Chance nutzen, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auf den Prozess

einzulassen, den Weg zu gehen, den uns die Krise vorgibt. Oft verlangt das von uns, uns zu verab-

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schieden von dem, was nicht mehr ist, die Menschen, die nicht mehr für uns wie bisher da sind,

hinter uns zu lassen. Wir müssen die Gefühle von Einsamkeit, Trauer, Verzweiflung und Hoff-

nungslosigkeit, die sich in uns breit machen, zulassen. Wir müssen und dürfen uns zugestehen,

dass wir verwirrt und unsicher sind. (...)

Die Bedeutung von Krisen für unsere Lebensentscheidungen

Krisen gehören also zu unserem Leben, ob wir in innigen Beziehungen leben oder alleine leben.

Sie haben auf viele Bereiche unseres Lebens Auswirkungen, spielen aber gerade auch bei unseren

Lebensentscheidungen eine große Rolle. Ob wir es wollen oder nicht, auch wenn wir eine Lebens-

entscheidung getroffen haben, verändern wir uns und kann es passieren, dass diese Veränderung

Auswirkungen auf unsere Lebensentscheidungen hat. Henry David Thoreau (1999,35), schreibt:

„Das Mausern muss wie bei Vögeln eine Crisis in unserem Leben sein... Auch die Schlange wirft

ihre Haut und die Raupe ihren wurmigen Rock infolge einer inneren Arbeit und Ausdehnung ab.“

Auch hinsichtlich unserer Lebensentscheidungen, sei es, dass diesen oder jenen Beruf ergriffen zu

haben, uns auf diese oder jene Beziehung eingelassen haben, gibt es Phasen, die mit dem Mausern

vergleichbar sind. Es sind Zeiten, in denen wir uns innerlich strecken und ausdehnen. in denen es

zu Reibungen kommt und die sich als hilfreich erweisen können, um mit unserer Identität, unserem

Passwort, wieder neu in Berührung zu kommen.

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