Leseprobe Vanessa Cher Zimmerer - Mit 45 bitte den Tod

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LESEPROBE

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Vanessa Cher ZimmererMit 45 bitte den Tod

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Madame Bernot steht am Rande ihres Lebens, dem Tod ins Auge blickend, denn an ihrem 45. Geburtstag möchte sie ster-ben. Sie ist eine sehr einsame, melancholische und äußerst de-pressive Frau am Rande des Wahnsinns. Eine Frau, die in einer Welt der Oberflächlichkeit und Unloyalität aufwächst, geprägt von Verbitterung, Unrecht und Antipathie gegen ihre Umwelt. Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach dem Tod und der Hoffnung nach Erlösung, lebt sie in brutaler Einsam-keit, die sie mehr und mehr in den Sog der krankhaften De-pressionen zieht. Um es in einem Satz zu sagen: sie ist allein und alt. In den letzten Tagen ihres Daseins berichtet sie über ihr Leben und eröffnet die Umstände, die sie zu diesem Schritt bewegten, ihr Leben aufzugeben.

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Am Tage des 18. Septembers beschloss Madame Bernot sich endgültig das Leben zu nehmen. Sie betrat ihr Schlafgemach und setzte sich vor den kleinen Toilettentisch, der an der Wand neben ihrem Fenster stand. Sie betrachtete sich lange und mit der Genauigkeit eines Falken auf der Jagd. Sie starrte sich un-beirrt an und wusste nicht ob sie nun über die hässlich aussehende Frau im Spiegel weinen oder sich einige Punkte aufzählen sollte, die Beweisen würden, dass sie doch einige Vorzüge hatte, auf die sie noch stolz sein konnte. Schon so viele Jahre war sie mit ihrem Aussehen nicht mehr zufrieden. Sie war nun in den Vierzigern, das heißt sie war offiziell alt. Sie verlor mehr und mehr die lieblichen Züge ihrer Jugend und trat in eine Welt, die Falten, müde Gesichtszüge und schwache Bewegungen offenbarte. Sie fürchtete sich vor dem älter werden. Und die Tatsache, nichts gegen die Tücken der Natur tun zu können, ließ sie in einen Sog der Verzweiflung abrutschen. Als sie 40 Jahre alt wurde, drohte ihre Welt auseinander zu brechen. Sie dachte mehr und mehr über den Tod nach, Nacht für Nacht überkam sie das Angstgefühl eines Tages nicht mehr aufzuwachen. Sie wusste selbst nicht, weshalb sie so oft über das Sterben nachdachte, denn war ihr sehr wohl bewusst, dass das Sterbealter einer Frau im Durchschnitt bei 80 Jah-ren lag. Sie fürchtete sich vor dem Gedanken eines Tages alleine zu sein, irgendwo im Nichts. Ihre Augen wagten nicht zu blinzeln und obwohl sich schon Tränen vor ihrer Pupille sammelten, starrte sie sich unentwegt an. Ob die Tränen nun von den zu lange offen gehaltenen Augen oder von Gefühlswegen her, auftauchten, war nicht klar zu bestimmen. Doch verdeutlichten die Tränenunterlaufenen Augen, durch das ein oder an-dere ausgelöst, wie sehr Madame Bernot litt. Eine traurige und gequälte Seele, die sich nicht zu helfen wusste. Ihr gesamtes verletztes Wesen trat durch ihre Augen hervor und offenbarte jedem, was Madame Bernot alles in ihrem Leben auszuhalten hatte. In ihrer geknickten Haltung, erkannte man die Bürden, die ihr durch all die Leiden aufgezwungen wurden. Sie saß mit gekrümmtem Rücken und verschränkten Armen, die ihre Haut-falten am Bauch kaschieren sollten, vor dem mit Gold verzierten Spiegel und strich sich mit einer Hand über ihre Wange, die jede Veränderung ertasten sollte. Ihre Hand strich langsam, wie in Zeitlupe, von ihrem Trä-

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nensack, bis hin zu ihrem Kinn, an welchem sie ein wenig Haut zusam-mendrückte. Mit kritischem Blick sah sie zu, wie ihre dünnen Finger die Wangen ein wenig anhoben und sah mit gesenktem und trostlosem Blick, wie sie wie-der schlaff herunter fielen. Diese Wangen kamen ihr vor, wie die Lefzen eines Hundes. Aus reiner Verzweiflung heraus, überkamen sie wieder die Gedanken des Todes. Die Gedanken, wo sie wohl wäre, wenn sie stirbt. Sie glaubte nicht an ein Leben nach dem Tod, aber wusste sie auch nicht woran sie dann glauben sollte. Sie fürchtete ein schwarzes Nichts, ihre Seele irgendwo in den endlosen Weiten des Nichts verloren und ALLEIN. Ein Nichts, indem sie weder leben, noch denken könnte. Sie ist einfach ausgelöscht, gelöscht wie ein Fehler auf einem Blatt Papier. Aber wo wäre sie dann?Könnte sie in einem Jenseits sein, wo sie zwar noch denken könnte, aber ihre Seele einfach von einem großen Nichts verschlungen würde? Die Verdammnis in einer riesigen Leere verweilen zu müssen, Gedanken zu haben, diese aber nicht teilen zu können, lediglich von Erinnerungen zu leben, die das schwarze Nichts auf irgendeine Weise versuchen auszufül-len.Und nach etlichen Jahren feststellen zu müssen, dass die Erinnerungen gerinnen und langsam in Vergessenheit geraten werden.Diese Gedanken bestimmten zunächst ihre Träume und sie vermochte nicht mehr zu schlafen. Nächtelang saß sie wach in ihrem Bett und ver-suchte diese abscheulichen Visionen, die sie ständig überkamen zu ver-gessen und ein wenig Ruhe zu finden. In manchen Nächten wurde ihr Gnade zuteil, denn dann konnte sie träumen. Doch wirkliche Gnade war das nicht, ihre Glieder konnten sich erholen, aber ihre Seele musste lei-den. Es waren wirre Träume in denen sie kaum zwischen der realen Welt und der Traumwelt unterscheiden konnte. Oft stand sie alleine in einem schwarzen Nichts. Sie hörte von überall her Stimmen, doch sie wusste nicht von wem und wo sie genau herkamen. Diese Stimmen waren so weit entfernt und schleierhaft, dass sie selbst im Traum nicht recht wuss-te, ob sie sie wirklich vernommen hatte. Sie ging in diesem schwarzen Nichts umher und suchte einen Ausweg, doch sie war so schwach und müde, dass sie sich kaum vorwärts bewegen konnte. Und dann tauchten wieder diese Qualen auf, das stechende Gefühl in ihrer Brust, wenn ihr

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Herz einen ängstlichen Sprung machte. Sie fühlte sich, wie in einem Dro-genrausch, alles um sie herum war verschwommen. Sie verlor das Gefühl von Raum und Zeit.Doch die Träume wurden jedes Mal grausamer. Bücher, die sie las, gaben ihr nur hier und dort Stichworte, um über ihr schreckliches Schicksal zu grübeln. Sie kam täglich übermüdet zur Arbeit und die Konzentration war wie verflogen. Ihre Arbeitsmoral ließ stark nach, genau wie ihre Mo-tivation.Wie es so kommen musste, wurde sie im Mai, ihres 39. Lebensjahres, ge-feuert. Auf den Rat ihres Chefs, einen Therapeuten aufzusuchen, ging sie nicht ein, Madame Bernot war keine Frau, die sich von anderen helfen ließ. Sie konnte nicht mit anderen Menschen über ihre Probleme reden.Sie verdrängte sie lieber. Sie erneut hochkommen zu lassen, kostete sie zu viele Nerven und es bewirkte in ihr nur noch mehr Stress, den sie zu der Zeit überhaupt nicht gebrauchen konnte.Sie war alleine, stand da ohne Job und musste ihr Haus räumen.Die Depressionen und Frustrationen nahmen von Jahr zu Jahr zu. Zwar war es ihr einerseits lieb viel allein zu sein, da sie in dieser Zeit von nie-mandem seelische Schmerzen erfahren konnte, doch war die Sehnsucht nach einer freundlicheren und lebhafteren Welt so stark, dass die furcht-bare Wahrheit sie sehr quälte. Die Situation zerrte an ihren Nerven. Ihre Freunde verschwanden und ihre gesellschaftlichen Bemühungen ließen nach und endeten letztendlich ganz. Sie vernachlässigte alle ihre Bekanntschaften und zog sich mehr und mehr in ihrer kleinen Ein-Zim-merwohnung zurück, die sie sich von ihren winzigen Ersparnissen leisten konnte. Sie wollte keinen Kontakt mehr zu jeglichen ihrer früheren Be-kannten haben, zu sehr wurde sie verletzt und ihr Vertrauen missbraucht. Sie konnte nun keinem mehr vertrauen, ja man könnte meinen, sie sei in dieser Beziehung ein wenig paranoid. Sie dachte von jedem übers Ohr ge-hauen zu werden, was zur reinen Belustigung der so genannten Freunde dienen sollte. Erst vergangenen Monat ließ sich eine ihrer Freundinnen dazu hinab, Madame Bernot in ihrer kleinen unseligen Stadtwohnung zu besuchen. Die Wohnung war ein Rattenloch. Man konnte kaum schlafen, geschwei-ge denn das Fenster öffnen, wenn man sein eigenes Wort noch verstehen

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wollte. Die etlichen Fahrzeuge, die Tag für Tag über die viel befahrene Hauptstraße fuhren, kosteten jeden Bewohner den letzten Nerv. Der Dunst, der sich dadurch in den spärlichen Räumen staute, erregte Ekel und Unwohlbefinden. Die Wände waren übersät von Rissen und gelb-lichen Flecken, die von undichten Stellen herrührten, wenn der Regen sich über das Haus ergoss. Die Feuchtigkeit war deutlich zu spüren und machte die Luft noch dicker und unreiner. Moderig und faulig begrüßten die Räumlichkeiten ihre Bewohnerin. Die Einrichtung hob sich so sehr von der Wohnung ab, dass man denken könnte sie diene lediglich dem Nutzen von Abstellräumen. Madame Bernot besaß wunderschöne, alte und antike Möbelstücke, die in jeder Villa ihren Platz finden könnten. Charmante Verschnörkelungen zierten die Kommoden und den Toilet-tentisch, das Bett, ein beeindruckendes Holzgestell aus wertvoller Eiche, zog alle Blicke auf sich. An allen vier Kanten ragten hohe Holzgestelle, welche eingravierte Musterungen besaßen, zur Decke und um diese wan-den sich Seidentücher, die sich unter der Decke wie ein zweiter Himmel breit machten. Das gesamte Schlafgemach war ein Himmelstraum, ledig-lich die Umgebung war unpassender, als ein Pinguin in der Sahara. Als ihre Freundin zum ersten Mal die Wohnung betrat, machte sich ein unglaubwürdiges Lächeln auf ihrem kantigen Gesicht breit. Es fielen Höf-lichkeitsfloskeln, wie „Ach wie nett du es hier hast und so gemütlich!“ und „Du hast mal wieder die richtige Wahl der Möbelstücke getroffen“. Selbstverständlich waren es dieselben Möbelstücke, die sich auch vorher in ihrem Haus befunden hatten. Doch einer Frau, wie Laure fiel so etwas nicht auf. Sie strich sich bloß immer wieder über ihren vornehmen An-zug und spielte an ihren goldenen Ringen herum, die beinah dicker wa-ren, als ihre Finger selbst. Sie hatte einen reichen Börsenmakler geheira-tet, der bis jetzt das richtige Händchen für Aktien gehabt hatte. Über Geld brauchte sie nicht nachzudenken. Sie hatte immer welches zur Verfügung und wusste nie wie es ist, sich die Hände für etwas Luxus schmutzig zu machen. Madame Bernot jedoch wusste es, sie musste schon immer für ihr Einkommen selbst aufkommen. Um sich den Umgang mit Laure und den anderen Frauen leisten zu können, hatte sie bis spät in die Nacht ar-beiten müssen und das nur, um einen Sonntag im Fünfsterne Restaurant Caesar speisen zu können. Und um an einem ausgewählten Nachmittag der Frauen, mit dem Dampfer umher zu pendeln. Genüsslich Tee zu trin-

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ken und über den neuesten Klatsch der Gesellschaft zu tratschen, das war der Tagesablauf auf einem der Dampfer, die von Luxus nur so strotzten. Pokerspiele und die ewig ertönenden Klänge von Louis Armstrong. Doch gerade dieses aufgesetzte Wohlbefinden, ließ ihr ein wenig Entspannung zuteilwerden. All die Damen mit den chicsten Kleidern und Hüten, Män-ner in den teuersten Anzügen und ein Fünfgänge Menü, welches jeden Abend gegen achtzehn Uhr serviert wurde. Madame Bernot konnte sich diese Fahrten von ihrem kleinen Einkom-men gar nicht leisten, deshalb entstand jeden zweiten Monat entweder ein Notfall in der Familie oder ihr beanspruchter Rücken machte ihr Pro-bleme. An diesem Tag war es Madame Bernot nicht nach einem solchen Besuch. Sie war peinlich berührt und schämte sich für die dürftige Un-terkunft in der sie lebte. Wie es der Anstand verlangt setzte sie Tee auf und versorgte ihre Freundin mit allem was sie zur Verfügung hatte. Doch einem Gespräch, wie es früher zwischen ihnen stattfand, kam sie nicht nach.»Jetzt erzähl doch meine Liebe, wir machen uns schon ernsthaft Sorgen um dich. Du machst keine Lebenszeichen und wir vermissen dich im Caesar. Wenn du Geldsorgen hast dann sag es uns, Liebes. Wir helfen dir natürlich selbstredend.«Ihre unverschämte und direkte Art machte Madame Bernot wütend und es verletzte sie mehr, als wenn ihre Freundin so täte als wäre alles in Ord-nung. Dabei sprach sie doch die Wahrheit.»Laure, ich mache grade eine schwierige Phase durch, ich habe meinen geliebten Job verloren und ich musste einfach einen Wechsel in mein Le-ben bringen.«»Liebes, mach dich doch nicht lächerlich…Du willst mir doch nicht er-zählen, dass das hier«, dabei zeigt sie wild gestikulierend in die Räum-lichkeiten, »wirklich das ist, was du unter einem Wechsel verstehst. Du kannst unmöglich gerne und vor allem feiwillig hier leben. Du musst dein Ansehen schützen, mach dich vor den anderen Leuten nicht verletzlich, lass dir nicht ansehen, dass du Sorgen hast.«»Ich wohne gern hier. Ich bin immerhin eine allein stehende Frau und benötige kein Haus mehr. Und mein Mädchen habe ich entlassen weil es Unstimmigkeiten gab, die ich nicht mehr zu beseitigen vermochte.«»Du bist ein Rätsel für mich, aber ich…nein wir, sind jeder Zeit für dich

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da, wenn du uns brauchst.« Natürlich war das gelogen, denn selbst Da-men der hohen Gesellschaft, die sich immer als hilfsbereit hinstellten, zogen ungern eine Freundin aus den `Slums` mit sich, jemanden finan-zieren zu können, gab ihnen nur die Macht, über diese Person verfügen zu können. Das war ihr Vorteil und der einzige Grund es zu tun. Doch Madame Bernot wollte nicht ein Schoßhündchen der feinen Damen, die sich ihre Freundinnen schimpften, sein. Ihr Stolz war das einzige, was ihr geblieben war. Diese Sachlage war der einzige Grund, weshalb Laure sich bei Madame Bernot blicken ließ, nach etlichen Monaten, ohne jegli-chen Kontakt, konnte es nur ein Grund sein, der Laure Vorteile brachte. Aus reiner Reue, weil sie ihre Freundin vernachlässigt hatte, wäre sie nie hergekommen. Den Rest der Unterhaltung verbrachten sie mit Themen über die neuesten Gerüchte, welche sie die letzten Wochen verpasst hatte. Doch es interessierte sie nicht mehr, denn es war ohnehin das Letzte was sie über diese Leute zu hören bekam. Doch ihre Gestiken passten sich un-vermeidlich ihrer Freundin an, wie sie es immer tat, wenn sie mit Laure, Annick und Marianne in einer ihrer Villen saß und Tee trank. Madame Bernot saß kerzengerade an ihrem Tisch, nippte nur kurz mit ihren roten Lippen am Rand der Teetasse, während ihre goldene Armbandkette an dem weißlichen Porzellan erklang und sie wie auf Zuruf die Wadenbeine kreuzte. Es waren nicht länger ihre Freundinnen, denn nun gehörte sie zu denen, über die geredet wurde. Die Frauen, die keinen Geschmack besaßen und die wirklich wichtigen Dinge nicht schätzten, nämlich den Umgang mit den richtigen Leuten. Nicht die geringsten Spannungen trieben sie dazu sich einen neuen Job zu suchen oder sich auf irgendeine Weise mit einer Sache zu beschäftigen.Sie mied die Öffentlichkeit und ließ ein kleines Mädchen namens Valerié, die Einkäufe für ein kleines Entgelt erledigen. Sie selbst verließ die Woh-nung nur für kleinere Besorgungen im Supermarkt um die Ecke.Ihr Fernseher diente nur noch dazu Liebesfilme zu senden und sie ver-sank dadurch noch weiter in Selbstmitleid. Sie vermisste die Gefühle der Liebe und die der sexuellen Erregung. Sie war alleine, alleine wie ein Fisch im Glas.Sich Tag für Tag im spiegelnden Glas betrachtend, welches ihre Silhouette vom aufbrausenden Wasser mehr und mehr verzerrte. Die Wohnung verließ sie lediglich, um zum Briefkasten zu eilen und die

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Post zu holen. Und auch nur unter der Gewissheit, dass sich keiner der anderen Hausbewohner im Flur befand. Es waren abscheuliche Leute, die sie anekelten und sich äußerst unhöff-lich benahmen. Sie hatten weder Anstand, noch jegliches Bedürfnis nach Körperpflege. Die alten Verhaltensnormen, die sie früher so sehr annahm blieben ihr bis heute im Gedächtnis und waren ihr wie damals sehr wich-tig. Sie hatte Angst sich ihnen anpassen zu können, wenn sie auch nur die geringste Zeit mit einem dieser Leute verbringen würde. Doch ihr ausgezeichnetes Gespür, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, ver-ließ sie nicht. Sie stahl sich aus dem Haus und schlich sich genauso ge-schickt wieder herein. Für unbemerktes Verhalten war Madame Bernot eine Meisterin. Doch eines Tages, als sie schon gar nicht mehr daran glaubte je wieder ein Lächeln auf ihre dünnen Lippen zaubern zu können, kam ein Brief für sie an.Die Post holte sie einmal die Woche ab, wenn sie sich zum Supermarkt aufmachte. Ein kleiner, länglicher Brief stand senkrecht im Briefkasten, der Absender lautete:

Anwaltsgesellschaft Depardiéu et Reno50, rue Royale77300 Fontainebleau

Sie öffnete ihn mit ihren langen roten Fingernägeln und entnahm ein ge-faltetes Blatt vom Anwalt ihrer Tante Sylvie Claricé Deval.Ihre Tante Mademoiselle Sylvie Deval, eine reiche Witwe, die ihr Leben der Einsamkeit gewidmet hatte, war verstorben. Welch ein Glück!Dieses befremdende Gefühl des Lächelns kam Madame Bernot so unge-wohnt vor, dass sie die Muskeln für diese Aktion schnell wieder lockerte und ihre alte Mimik machte sich auf dem ausgelaugten Gesicht breit.Mademoiselle Sylvie Deval, wie sie sich immer zu nennen ließ, besaß eine Villa auf der Rue de Château in Fontainebleau und diese erbte Madame Bernot. Die Villa lag etwa drei Meilen von der Stadt entfernt in einer voll-kommenen Idylle der Ruhe und Gelassenheit. Es war selten, dass hier ein Auto aus der Stadt entlang fuhr.

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Ein perfekter Ort für Madame Bernot. Ein Ort, an dem sie in Ruhe le-ben konnte, außerhalb der Gefahr, jeglicher Gefühlsverletzungen. Nicht mehr verliebte Paare turtelnd im Park spazieren sehen zu müssen, wenn sie nachmittags aus ihrem Fenster zum Park hinunter blickte. Ihr Park vor dem Haus wäre dann Menschenleer und nur für sie alleine da. Der Frühling schien alle Menschen zu verzaubern, alle waren so fröhlich und begeistert, sobald die ersten Sonnenstrahlen den Boden berührten und die Vögel begannen zu zwitschern, die Bäume färbten sich grün und die Blumen sprossen aus der dunklen Erde. War sie etwa die einzige, die sich nicht von diesem lächerlichen Verhalten beeinflussen ließ? Es war grauenhaft und töricht, sich wegen solch belanglosen Dingen voll-kommen verändern zu lassen. Sich so banal zu verhalten, nur weil die Natur sich ein wenig veränderte. Sich ausgerechnet im Frühling aufzu-machen, um den Partner fürs Leben zu finden. War der Winter etwa nicht gut genug für die Liebe?Madame Bernot stieg die Treppen mit einem Glücksgefühl empor, dass sie seit langem nicht mehr verspürt hatte. Es war ein Gefühl der Auf-regung, das sie empfand, die Tatsache, dass sich irgendetwas verändern würde. Sie wusste nicht inwiefern, aber es würde sich einiges ändern und das war äußerst erregend. Es war auch keinesfalls eine Freude, wie sie andere Menschen erlebten, sie freute sich innerlich und auf eine so entfernte Art und Weise, dass sie selbst es nicht als Freude, sondern als eine Belastung empfand. Ihr Herz schlug schneller und fester, ein leichtes Schwindelgefühl überkam sie, während sie ununterbrochen über das vererbte Haus nachdachte. Wie ein Kind, das hinter der Bühne auf seinen Auftritt wartete und nicht wusste, ob es sich freuen sollte oder anfangen musste zu weinen, weil die Aufre-gung bald das kleine Herz zerfetzte. Madame Bernot, nahm die Freudengefühle nicht wahr und ließ sie auch nicht in jeglichen Verhaltensweisen an den Tag treten. Ihr Gang war der selbe langsame und schleichende Gang wie immer und auch ihre Bewe-gungen, wenn sie etwas zur Seite schob oder ihr Glas mit dem Merlot füllte, erhielten keine Lebensfreude, sondern blieben im alten lustlosen Takt der Vergangenheit. Sie war zu einer trägen Frau geworden, die stets deprimiert in ihrer kleinen Wohnung herumlief, ohne eigentlich zu wis-

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sen, weshalb sie nur in ihrer Wohnung verweilte. Der Kaffee schmeckte abscheulich und ließ sie den gesamten Tag über an das scheußliche Ge-bräu denken. Doch der Gedanke diesen Kaffee bald los zu sein, stimmte sie etwas fröhlicher, fast enthusiastisch. Vielleicht gab es sogar ein Kaf-feegeschäft mit Kaffeebohnen aus Brasilien oder Uruguay. Das schreck-liche Geräusch der surrenden Kaffeemaschine und den Lärm der fürch-terlichen Straße nicht mehr hören zu müssen, zauberte doch beinah ein Lächeln auf ihr Gesicht. Doch es war bloß der Gedanke daran, sie setzte diese Aktion nicht in die Tat um. Das wäre ihr den Kraftaufwand nicht Wert. Ihre Freude blieb einfach eine rein gedachte Freude, wobei sie in Gedanken Luftsprünge machte. Eine Villa ganz für sie allein, das war ihr fast ein Leben wert. Voller nervöser Erwartungen fuhr sie, so schnell es der Anwalt in die Wege leiten konnte, zur Villa, um ihr neues Heim zu besichtigen und es sich nach ihren Wünschen umzugestalten. Jedoch sie auf dem Weg zur Villa eine jugendliche Erregung, sie war aufgeregt wie ein junges Reh, das seinen ersten Sprung in die Freiheit tätigte. Ihre Augen zeigten keine Regung und ihre Hände waren ruhig, doch ihr Herz sprach eine ande-re Sprache und machte sich durch wilde Sprünge bemerkbar. Trotz alle-dem machte sich wieder diese unerklärbare Angst breit. Wie ein Schatten schien diese schleierhafte Furcht sie zu verfolgen, eine Ungewissheit, die Madame Bernot nicht in frieden lassen konnte. Warum nur konnte sie diese Gedanken nicht wenigstens für eine Zeit lang verbannen und für eine Weile das Leben genießen. Jetzt hatte sie doch die gewollte Freiheit, sie war unabhängig, hatte Zeit und trotzdem war sie eine Gefangene Ih-rer selbst. Gefangen von Gefühlen, die sie nicht loslassen konnte und ihr keine Entspannung gönnten. Wie eine Gefangene fühlte sie sich und war doch bis zu einer gewissen Grenze frei. Geldsorgen brachten ihr wohl, wie jegliche andere Sorgen, Kummer und Schmerz. Geld schien das wich-tigste Mittel zu sein und teilte die Leute in die verschiedensten Gruppen ein. Wieso spielte Geld eine so wichtige Rolle? Darüber mochte sich Ma-dame Bernot nun nicht mehr den Kopf zerbrechen.Die Villa war sehr verwahrlost, als Madame Bernot sie das erste Mal betrat. Von außen waren die zersplitterten Fenster zu sehen und abge-storbener Efeu hing an dem Mauerwerk, das von zahlreichen Rissen und teilweise heraus gebrochenen Steinen gezeichnet war. Es war eine

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Gruft, die den Anschein hatte jahrelang nicht genutzt worden zu sein. Aber ließ diese Gruft dennoch, durch die reichen Verziehrungen und die prunkhafte Bauweise, den Wert erahnen, den diese Villa einst gehabt ha-ben musste. Sie erinnerte Madame Bernot ein wenig an ein altes kleines Schloss, das in einem blühenden Rosengarten stand, doch sind die Rosen schon vor Zeiten verwelkt. Man stelle sich Dornröschens Schloss vor, be-vor der Prinz sich durch die Dornenbüsche gekämpft hatte und versetze dieses Schloss in das heutige Frankreich, dann hat man eine ungefähre Vorstellung der Villa von Sylvie Clericé Deval. Die vielen Pflanzen, die die Villa zierten, gaben dem Bauwerk einen altertümlichen Touch. Sie wirkte dadurch antik, als wäre sie aus dem Mittelalter zurückgeblieben und seit dem nie wieder bewohnt worden. Dabei war es nur drei Monate her, dass Mademoiselle Sylvie Deval die Welt verließ, ihr Cousin Jean-Luc erbte das viele Geld, während Madame Bernot die Villa bekam.Im Grunde hätte man den Wert der Villa in eine Renovierung stecken müssen, aber das Geld ließ sich nun mal nicht malen.Hinter der Tür, die mit einem herrlichen Rundbogen im Stil der Renais-sance erbaut worden war, erblickten Wände mit charmanten Kunstver-zierungen bemalt, das Tageslicht. Der Vorraum war dunkel und die rie-sigen Bäume, die neben dem Haus standen ergossen ihre Blätter in der Eingangshalle. In dieser befand sich noch eine wunderbare Glaskuppel, die die Villa noch mehr, wie ein Schloss, denn eine Villa erscheinen ließ. Diese Glaskuppel ließ einige Lichtstrahlen in die Räumlichkeiten, jedoch wurde das meiste Licht von den Bäumen aufgehalten, die ihre Äste mit den zahlreichen Blättern schützend vor das Glas hielten. Die Hälfte der Kuppel war bereits zerbrochen, jedoch lag kein Glas in der Eingangshalle, Sylvie Deval war es wahrscheinlich nicht wichtig gewesen sie zu erneu-ern. Sie war eine alte Frau, die den gesamten Tag in ihrem Bett verbrachte. Madame Bernot sah ihre Tante zuletzt, in ihrer Kindheit, sie erinnerte sich an diese strenge und mürrische Tante, die schon seit Gezeiten allein lebte.Sylvie Deval redete nicht auf gleichem Niveau mit anderen Menschen, sie gab stets Befehle und das nur in Worten, Sätze waren zu persönlich gewesen und hätten zu leicht eine Beziehung entstehen lassen können. Beziehungen zu Menschen waren für sie nur verletzende Gegebenheiten,

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die sie dazu bringen würde persönliche Details preis zu geben.Und Sylvie Deval hatte schreckliche Beziehungsängste.Es hallten ständig Worte wie „Jouez“, „Lisez“ oder „Ecoutez“ durch die Räume, als Madame Bernot zu früheren Zeiten mit ihrem älteren Cousin zu Besuch war.All diese Erinnerungen strömten mit einem Mal durch ihren Kopf, als sie durch die Tür Schritt und diese bekannten Räumlichkeiten vorfand. Alles erinnerte an die Epoche der Renaissance. Die Malereien zeigten deutliche räumliche Tiefenillusionen, wie es damals üblich war. Madame Bernot erkannte einige japanische Malereien, geprägt von ko-reanischer und chinesischer Kunst. Buddhistische Bilder, realistische Portraitmalereien waren zu erkennen, die von unzähligen Kalligraphien umgeben waren. Eine unbeschreibliche Kunst des Schönschreibens, die vor allem in Japan aufgrund ihrer ideographischen Schriftsysteme eine reiche Tradition hatte. Unbeschreiblich schöne Bilder, die jeden faszinie-ren würden. Sylvie Devals wohl einzige Leidenschaft, die dem geschul-ten Auge kaum zu entgehen vermochte. Doch selbst diese unglaublichen Zeichnungen waren von Pflanzen überdeckt und lieferten Ungeziefer und einigen Vögeln einen Nistplatz. Bis heute hat sich dieses Haus nicht im Geringsten verändert, selbst den Sand, den die Blätter, vom Herbst entsandt, mitbrachten, bedecken den Marmorboden der Eingangshalle.Madame Bernot war nun eine einsame Frau in den Vierzigern. Sie wurde in wenigen Tagen 45 Jahre alt.Der Tag zum Sterben.Sie blickte noch immer in den Spiegel, betrachtete ihre entstandenen Fal-ten und die verlaufene Schminke, die sich über ihre Wangen verteilt hatte. Sie schminkte sich grässlich. Ihre Augen waren mit hellblauem Lidschat-ten beschmückt, während ein blauer Mascara die Wimpern färbte und ein rosa-rötlicher Teint ihre Wangen erhob. Ihre Lippen waren mit einer tiefroten Farbe bemalt und mit einem noch rötlicherem Rand umzeich-net. Ihre Kleidung beschränkte sich schon seit Jahren auf einen Morgenman-tel, den sie Tag und Nacht trug. Es war ein persischer Mantel, dunkel-blau mit goldenen und orangefarbenen Figuren bestickt. Madame Bernot schnürte ihn sich so fest, wie es ihr Körper nur zuließ.

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Und nicht ein Schluck ihres Merlot, dem sie täglich viele tiefe Blicke schenkte, konnte den Mantel auch nur um einen Millimeter erweitern.Ihre Haare waren tiefschwarz und kurz geschnitten, etwa einige Zentime-ter über den Schultern und ein Pony zierte ihre Stirn, welcher fast bis an die Augenbrauen reichte.Madame Bernot legte wie eh und je sehr viel Wert auf ihr Aussehen, je-doch das Haus, hatte sich seit dem Tage ihres Einzugs nicht verändert. Die Blätter lagen noch immer in der Eingangshalle und auch der Efeu schlang sich heute noch im Haus seine Wege. Es mag unglaublich klin-gen, dass sich im Haus Pflanzen an den Wänden entlang schlängelten, die eigentlich an der Außenfassade hängen sollten. Doch Madame Bernot kam es so vor, als habe sie ihren Garten im Haus und diese Gegebenheit beruhigte sie, so musste sie sich nicht mal mehr die Mühe machen, den tatsächlichen Garten zu betreten. Am Haus selber hatte sich seit jenem Tage nichts verändert, lediglich die Gezeiten hatten die Pflanzenpracht mehr gedeihen lassen.Viele Möbel standen erst gar nicht im Haus und geputzt wurde hier schon lange nicht mehr. Ihr Tagesablauf beschränkte sich darauf, morgens ein kleines Frühstück einzunehmen, welches sie stets auf der Terrasse am hinteren Teil des Hau-ses zu sich nahm.Vor dem Mittag legte sie exakt um 10:45 Uhr, wenn die Sonne begann die wärmeren Strahlen durch das feine Glas der Wohnzimmerfassade zu schicken, ihre alte Platte von Barry White auf den Schallplattenspieler und tanzte zu der ausgeglichenen Musik des Sängers. In der rechten Hand das Glas Merlot, mit der linken Hand den Takt schwingend, schwebte sie über den Marmorboden der ungeheuren Halle, die einst ein Wohnzimmer darstellte.Die Fenster ragten vier Meter in die Höhe und die Decke erreichte an die 4,5 Meter. Der Raum wirkte fast wie ein königlicher Ballsaal, der gläserne Wände besaß - die Fenster mit Goldrahmen verziert. Wie Aschenputtel tanzte Madame Bernot durch diesen Traum.Durch die Tanzerei versetzte sie sich in ihre Kindheit zurück, in Zeiten als sie noch glücklich und tugendhaft durch die Welt marschierte.

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