lärmen und seine Kunstmühle: Ei lauter Abschied mit ...

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Kurz vor Schluss noch mal ein Paukenschlag: Während in der Jarmener Mühle bereits die Ausräumarbeiten laufen, rückte sie am Sonntag für Kunstinteressierte noch einmal in den Blickpunkt. Frauen-Power im Dreierpack: Wirtin Sunny (Joana-Maria Rueffer, rechts), ihre Freundin Tina (Karen Salewski, links) und die quirlige Postfrau Helga (Petra Schwaan-Nandke) sorgen für beste Unterhaltung - schauspielerisch ebenso wie gesanglich. fotos: Stefan hoeft lärmen und seine Kunstmühle: Ei lauter Abschied mit Gassenhauern Premiere für Jarmen, seine Mühle und die Künstler: Henriette Sehmsdorf und ihre Opernale-Truppe gastierten am Sonntag erstmals in der Peenestadt - aufgrund der Resonanz gleich zweimal. Von Stefan Hoeft Wenn statt Mehlsäcken und Packmaschinen ein Potpourri von Opern-Arien über Rock und Schlager bis hin zu alten Film- Gassenhauern die Szene bestimmen, flankiert von plattdeutscher Schnoddrigkeit: Die „Opernale und die Stadt Jarmen mit ihrer Bürgerinitiative haben für ein bisher einzigartiges Kultur- und Klangerlebnis gesorgt. jarmen. Die „Opernale hat i dem runden Ja rzehnt ihres Bestehen schon so einige un¬ gewöh liche Auf rittsorte mit Leben erfüllt, schließlich gehört das erklärterma en zur Grundidee des Vereins, große Kultur aufs flache Land zu bringen. Doch mit seine ersten Gasts iel in Jarmen stieß das Ensemble um die künstlerische Leiterin Hen¬ riette Sehmsdorf am Sonntag buchstäblich neue Türen auf. Und das trotz oder gerade in dem Bewusstsein, dass sich ie schon kurz darauf ieder schließen - vermutlich auf längere Zeit. Gastierten sie doch im Mehllager der 1907 errichteten Getreidemühle neben dem Hafen, die der Eig¬ nerkonzern GoodMills zum Ende des Monats dichtmacht. „Das ist heute auch für mich ein sehr emotionaler Moment und Ort , erklärte die Chefin zur Begrüßung. Schließlich erinnere sie sich noch genau an die erste Besichtigung, als sich bis unter die Decke und dicht an dicht die Säcke stapel¬ ten, Pack- und Sortiertechnik den Takt und den Klang Vor¬ gaben. Und sie isse natürlich um den Kampf der Jarmener für eine weitere Zukunft d r Müllerei in ihrer Stadt. An e¬ führt von der Bürgerinitiative „Rettet die Jarmener Mühle und unterstützt vonseiten der Kommune, die beispielsweise den nötigen Veranstalterver¬ trag für die Opernale unter¬ schrieben habe. Eine bisher einmalige Konstellation, wie Sehmsdorf betonte. Das En¬ gagement all der Leute nötige ihr mehr als nur Hochachtung ab, ergänzte sie gegenüber dem Nordkurier, ohne dieses Arbeiten Hand in Hand wären die Auftritte so niemals mög- hch gewesen. Zumal es wegen der Corona-Krise erhebliche Einschränkun en und ange¬ sichts der hohen Resonanz im Vorverkauf sogar noch eine zweite Vorstellung an diesem Nachmittag beziehungsweise Abend gab. „Wir wollen auch Mut ma¬ chen , erklärte die Frau. Zu¬ mal das aktuelle Stück „Ein Glas aufs Land und eins auf die See zum Einen als Reak¬ tion auf die Corona-Pandemie in personell abgespeckter Ver¬ sion als vorgezogener „Teil 2 auf die Beine gestellt wurde. Und zum anderen mit seinem musil ahschen Pasticcio übers Kommen, Gehen und Bleiben in Vorpommern wie maßge¬ schneidert auf die Jarmener Situation wirkte. Trotz des 30-jährigen Be¬ stehens ihrer Meinen Hafen- kneipe in Hafennähe und der Bewältigung so manchen Prob¬ lems dabei steht Wirtin Sunny (Joana-Maria Rueffer) vor dem Aus. Weil der Besitzer andere Pläne damit hat. Während sie also ausräumt und über eine Zukunft in der Feme nach- denkt, ist ihre Freundin und Aushilfe Tina (Karen Salew- s ) das ständige Gerede vom Weggehen und das Ausbluten der Region satt. „Wir müs¬ sen kämpfen, das ist unser Land, das ist unsere Heimat!“ Unterstützung erhält sie von der quirligen Postfrau Helga (Petra Schwaan-Nandke), die mit ihrem plattdeutschen Re¬ deschwall und Lebensweishei¬ ten neuen Mut und gute Laune verbreitet. Letzteres übrigens auch beim Publikum in Jarmen, das besonders diese verbale Sprit¬ zigkeit mit so einigem Extra- Applaus belohnte. Ebenso wie die Sangeskunst der drei Da¬ men, bei denen sich die Wirtin als ausgebildete Sopranistin be¬ sonders hervortat. Sie schmet¬ terte Opem-Arien aus Wagners „Fliegendem Holländer“ und aus Pucdnis „Madame Butter¬ fly“ ebenso durch den Raum wie die „Seeräuber-Jenny“ aus Brechts „Dreigroschenoper oder „Das ist die Liebe der Ma¬ Stefan Hoeft Untergang muss nichtfür immer sein Die Aufführungen der Oper¬ nale in Jarmen hatten ,in mehrerlei Hinsicht auch s m¬ bolischen Charakter. Selbst kulturell stemmen sich die Vorpomme hier gegen den von der rein renditeorientier¬ ten Marktwirtschaft verord- neten Kahlschlag - auf der Bühne im Stück ebenso wie in der Reahtät. Und irgend¬ wie wirkt das altehrwürdige gemauerte Mühlen-Schlacht- schiff an der Peene auf diese Weise fast wie einst die Tita¬ nic auf dem Atlantik, deren Fahrt abrupt von einem Eis¬ block gestoppt wurde, der den Menschen nur seine Spitzezeigte. Als der Ozeanriese, der üb¬ rigens nur ein Jahr nach dem Mühlen-Startschuss 1907 in Jarmen in Auftrag gegeben wurde, sich mehr und ehr dem Untergang zuneigte und alles in Auflösung begriffen war, soll bis zuletzt wenigs¬ tens die Bordkapelle gespielt haben. Bei uns übernahmen Opernale und Bürgerinitiati¬ ve diesen Part - wohl durch¬ aus ähnlich lautstark. Doch während das be¬ rüh te Schiffswrack in rund vier Kilometer Tiefe unter der Meeresoberfläche seiner end¬ ültigen Zerstörung entgegen rostet, können die J rmener wenigstens Hoffnung auf eine Wiederbelebung hegen - in welcher Form auch immer. Vielleicht ja dann tatsächlich als eine „Kunstmühle nach heutiger Wortbedeutung. Zweite Premiere: Auch die Ausstellung der Jarmener Bürgerinitiative zur Gesc ichte der „Kunstmühle war am Sonntag zum ersten Mal zu sehen. Und soll noch öfter gezeigt werden - trosen aus der Filmoperette „Bo en auf Monte Carlo . Flanldert von roc gen Tönen, Schla ern und so manche bis heute gängigen Gassenhauer aus der Vorkriegszeit, ergab sich ein Potpourri, das sich immer irgendwie ums Wasser drehte. Und dabei offenbar¬ te, welches unerwartet gute Klan -Potenzial dieses leere Mehllager bietet. Ein Fakt, den auch die BI nau registriert haben dürfte. Ist ihr doch nicht nur an einer Neuaufnahme der Produktion än nun erzwungenermaßen anderer Stelle elegen, sondern auch an einer Wiederbelegung des historischen Mühlenstand¬ ortes. Womöglich eben teilwei¬ se mit Kultur. Doch an diesem Sonntag ermöglichten die Ak¬ tivisten erstmal einen umfang¬ reichen Rückblick auf die 117 Jahre „Kunstmühle“: In einem Nebenraum wartete eine Aus¬ stellun mit alten Fotos, Doku¬ menten und Zeitungsartikeln. Sie soll danach beispielsweise hoch im Zuge des nächsten J rmener - Filmabends am 24. September ab 19 Uhr im Kulturzentrum Jarmen und im Tutower Gemeindezent¬ rum „Weiße Schule zu sehen sein. Kontakt zum Autor s.hoeftdnordkurier.’de Die richtigen Adressen Vorpommern Kurier vom 15. September 2020

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Kurz vor Schluss noch mal ein Paukenschlag: Während in derJarmener Mühle bereits die Ausräumarbeiten laufen, rückte sie amSonntag für Kunstinteressierte noch einmal in den Blickpunkt.

Frauen-Power im Dreierpack: Wirtin Sunny (Joana-Maria Rueffer, rechts), ihre Freundin Tina (Karen Salewski, links) und die quirligePostfrau Helga (Petra Schwaan-Nandke) sorgen für beste Unterhaltung - schauspielerisch ebenso wie gesanglich. fotos: Stefan hoeft

lärmen und seine Kunstmühle: Ei lauter Abschied mit Gassenhauern

Premiere für Jarmen, seine Mühle und die Künstler: Henriette Sehmsdorf und ihre Opernale-Truppegastierten am Sonntag erstmals in der Peenestadt - aufgrund der Resonanz gleich zweimal.

Von Stefan Hoeft

Wenn statt Mehlsäcken undPackmaschinen einPotpourri von Opern-Arienüber Rock und Schlager bishin zu alten Film-Gassenhauern die Szenebestimmen, flankiert vonplattdeutscherSchnoddrigkeit: Die„Opernale und die StadtJarmen mit ihrerBürgerinitiative haben fürein bisher einzigartigesKultur- und Klangerlebnisgesorgt.

jarmen. Die „Opernale hat i dem runden Ja rzehnt ihresBestehen schon so einige un¬gewöh liche Auf rittsortemit Leben erfüllt, schließlichgehört das erklärterma enzur Grundidee des Vereins,große Kultur aufs flache Landzu bringen. Doch mit seine ersten Gasts iel in Jarmenstieß das Ensemble um diekünstlerische Leiterin Hen¬riette Sehmsdorf am Sonntagbuchstäblich neue Türen auf.Und das trotz oder gerade indem Bewusstsein, dass sich ie schon kurz darauf ieder

schließen - vermutlich auflängere Zeit. Gastierten siedoch im Mehllager der 1907errichteten Getreidemühleneben dem Hafen, die der Eig¬

nerkonzern GoodMills zumEnde des Monats dichtmacht.

„Das ist heute auch für michein sehr emotionaler Momentund Ort , erklärte die Chefinzur Begrüßung. Schließlicherinnere sie sich noch genauan die erste Besichtigung, alssich bis unter die Decke unddicht an dicht die Säcke stapel¬ten, Pack- und Sortiertechnikden Takt und den Klang Vor¬gaben. Und sie isse natürlichum den Kampf der Jarmenerfür eine weitere Zukunft d rMüllerei in ihrer Stadt. An e¬führt von der Bürgerinitiative„Rettet die Jarmener Mühle

und unterstützt vonseiten derKommune, die beispielsweiseden nötigen Veranstalterver¬trag für die Opernale unter¬schrieben habe. Eine bishereinmalige Konstellation, wieSehmsdorf betonte. Das En¬gagement all der Leute nötigeihr mehr als nur Hochachtungab, ergänzte sie gegenüberdem Nordkurier, ohne diesesArbeiten Hand in Hand wärendie Auftritte so niemals mög-hch gewesen. Zumal es wegender Corona-Krise erheblicheEinschränkun en und ange¬sichts der hohen Resonanz imVorverkauf sogar noch eine

zweite Vorstellung an diesemNachmittag beziehungsweiseAbend gab.

„Wir wollen auch Mut ma¬chen , erklärte die Frau. Zu¬mal das aktuelle Stück „EinGlas aufs Land und eins aufdie See zum Einen als Reak¬tion auf die Corona-Pandemiein personell abgespeckter Ver¬sion als vorgezogener „Teil 2 auf die Beine gestellt wurde.Und zum anderen mit seinemmusil ahschen Pasticcio übersKommen, Gehen und Bleibenin Vorpommern wie maßge¬schneidert auf die JarmenerSituation wirkte.

Trotz des 30-jährigen Be¬stehens ihrer Meinen Hafen-kneipe in Hafennähe und derBewältigung so manchen Prob¬lems dabei steht Wirtin Sunny(Joana-Maria Rueffer) vor demAus. Weil der Besitzer anderePläne damit hat. Während siealso ausräumt und über eineZukunft in der Feme nach-denkt, ist ihre Freundin undAushilfe Tina (Karen Salew-s ) das ständige Gerede vomWeggehen und das Ausblutender Region satt. „Wir müs¬sen kämpfen, das ist unserLand, das ist unsere Heimat!“Unterstützung erhält sie vonder quirligen Postfrau Helga(Petra Schwaan-Nandke), diemit ihrem plattdeutschen Re¬deschwall und Lebensweishei¬ten neuen Mut und gute Launeverbreitet.

Letzteres übrigens auchbeim Publikum in Jarmen, dasbesonders diese verbale Sprit¬zigkeit mit so einigem Extra-Applaus belohnte. Ebenso wiedie Sangeskunst der drei Da¬men, bei denen sich die Wirtinals ausgebildete Sopranistin be¬sonders hervortat. Sie schmet¬terte Opem-Arien aus Wagners„Fliegendem Holländer“ undaus Pucdnis „Madame Butter¬fly“ ebenso durch den Raumwie die „Seeräuber-Jenny“ ausBrechts „Dreigroschenoper oder „Das ist die Liebe der Ma¬

Stefan Hoeft

Untergang muss nichtfür immer sein

Die Aufführungen der Oper¬nale in Jarmen hatten ,inmehrerlei Hinsicht auch s m¬bolischen Charakter. Selbstkulturell stemmen sich dieVorpomme hier gegen denvon der rein renditeorientier¬ten Marktwirtschaft verord-neten Kahlschlag - auf derBühne im Stück ebenso wiein der Reahtät. Und irgend¬wie wirkt das altehrwürdigegemauerte Mühlen-Schlacht-schiff an der Peene auf dieseWeise fast wie einst die Tita¬

nic auf dem Atlantik, derenFahrt abrupt von einem Eis¬block gestoppt wurde, derden Menschen nur seineSpitzezeigte.

Als der Ozeanriese, der üb¬rigens nur ein Jahr nach demMühlen-Startschuss 1907 inJarmen in Auftrag gegebenwurde, sich mehr und ehrdem Untergang zuneigte undalles in Auflösung begriffenwar, soll bis zuletzt wenigs¬tens die Bordkapelle gespielthaben. Bei uns übernahmen

Opernale und Bürgerinitiati¬ve diesen Part - wohl durch¬aus ähnlich lautstark.

Doch während das be¬rüh te Schiffswrack in rundvier Kilometer Tiefe unter derMeeresoberfläche seiner end¬ültigen Zerstörung entgegen

rostet, können die J rmenerwenigstens Hoffnung aufeine Wiederbelebung hegen -in welcher Form auch immer.Vielleicht ja dann tatsächlichals eine „Kunstmühle nachheutiger Wortbedeutung.

Zweite Premiere: Auch die Ausstellung der JarmenerBürgerinitiative zur Gesc ichte der „Kunstmühle war am Sonntagzum ersten Mal zu sehen. Und soll noch öfter gezeigt werden -

trosen aus der Filmoperette„Bo en auf Monte Carlo .Flanldert von roc gen Tönen,Schla ern und so manche bisheute gängigen Gassenhaueraus der Vorkriegszeit, ergabsich ein Potpourri, das sichimmer irgendwie ums Wasserdrehte. Und dabei offenbar¬te, welches unerwartet guteKlan -Potenzial dieses leereMehllager bietet.

Ein Fakt, den auch die BI e¬nau registriert haben dürfte.Ist ihr doch nicht nur an einerNeuaufnahme der Produktionän nun erzwungenermaßenanderer Stelle elegen, sondernauch an einer Wiederbelegungdes historischen Mühlenstand¬ortes. Womöglich eben teilwei¬se mit Kultur. Doch an diesemSonntag ermöglichten die Ak¬tivisten erstmal einen umfang¬reichen Rückblick auf die 117Jahre „Kunstmühle“: In einemNebenraum wartete eine Aus¬stellun mit alten Fotos, Doku¬menten und Zeitungsartikeln.Sie soll danach beispielsweisehoch im Zuge des nächstenJ rmener - Filmabends am24. September ab 19 Uhr imKulturzentrum Jarmen undim Tutower Gemeindezent¬rum „Weiße Schule zu sehensein.

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