LUXUS? – Ausgabe 19 strassenfeger

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  • 7/24/2019 LUXUS? Ausgabe 19 strassenfeger

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    Straenzeitung fr Berlin & Brandenburg

    1,50 EURdavon 90 CT r

    den_die Verkuer_in

    No. 19, Sepember - Okober 2015

    WOHNENLeider kein Grund-

    rech (Seie )

    TEILHABELeider nich r alle(Seie )

    MOBILEEINZELFALL-HILFEZurck ins Leben(Seie )

    LUXUS?

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    srasseneger | Nr. | Sepember - Okober | INHALT

    strassen|fegerDie soziale Sraenzeiung srassenegerwird vom Verein mob obdach-lose machen mobil e.V.herausgegeben. Das Grundprinzip des srassenegeris: Wir bieen Hile zur Selbshile!

    Der srassenegerwird produzier von einem Team ehrenamlicherAuoren, die aus allen sozialen Schichen kommen. Der Verkau des sras-senegerbiee obdachlosen, wohnungslosen und armen Menschen dieMglichkei zur selbsbesimmen Arbei. Sie knnen selbs enschei-den, wo und wann sie den srassenegeranbieen. Die Verkuer erhaleneinen Verkuerausweis, der au Verlangen vorzuzeigen is.

    Der Verein mob e.V. finanzier durch den Verkau d es srassenegersoziale Projeke wie die Nobernachung und den sozialen TreffpunkKaffee Bankrot in der Sorkower Sr. 139d.Der Verein erhl keine saaliche Unerszung.

    Liebe Leser_innen,Luxus ist schn, wenn man ihn sich leisten kann. Gemeint sindmit diesem sehr subjektiv geprgten Begriff Gegenstnde oderVerhaltensweisen, die ber das bliche hinausgehen und nurdem persnlichen Vergngen dienen. Das behauptet zumin-dest das Internetlexikon Wiktionary. Das Wort stammt wohl

    aus dem 17. Jahrhundert und leitete sich von lateinisch luxusla ppigkeit, Ausschweifung, Verschwendung ab. Nun ja,es gibt wie gesagt sehr verschiedene Ansichten darber wasLuxus ist. Fr denjenigen Menschen, der wenig bis gar nichtsbesitzt, bedeutet Luxus ganz sicher, jeden Tag etwas zu essenund zu trinken zu haben und vielleicht auch ein eigenes Dachber dem Kopf. Fr einen Hartz IV-Empfnger sind Besuchevon Kulturveranstaltungen ein echter Luxus, weil viele Kon-zert- bzw. Theatertickets mittlerweile extrem teuer sind. Auchsich selbst und die Kinder modisch zu kleiden, sie in den Sport-verein schicken zu knnen oder auf eine Klassenfahrt, all dasist fr diese Menschen Luxus. Ganz zu schweigen von all denelektronischen Konsumprodukten, die gerade wieder publi-kumswirksam und sehr verfhrerisch auf der InternationalenFunkausstellung in Berlin prsentiert werden. Luxus muss aber

    nicht immer materiell sein. Zeit zu haben fr Miggang, frdas die Seele baumeln lassen, das ist fr viele Menschen in unse-rer so schnelllebigen und aufgeregten Zeit echter Luxus. Stelltsich letztlich die Frage: Was braucht der Mensch zum Leben?All diesen Fragen sind unsere Autoren in dieser Ausgabe nach-gegangen. Und sie haben wie immer auch ein wenig um die Eckegedacht und dabei Erstaunliches zu Tage gefrdert.

    In der Rubrik art strassenfegerberichtet Urszula Usakowska-Wolff ber ihren Atelierbesuch bei Sebastian Bieniek. Er be-zeichnet sich selbst als eine Mischung aus Scharlatan, Schamane,Clown und Trickser (S 16f). Im Brennpunkt geht es um die Mo-bile Einzelfallhilfe am Bahnhof Zoo (S. 20f). Und im Sportteilberichten wir ber das Internationale Stadionfest der Leichtath-leten im Berliner Olympiastadion (S. 26f).

    Viel Spa beim Lesen wnscht IhnenAndreas Dllick

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    LUXUSEin Dach ber dem Kop is kein Luxus!

    Wohnopoly mehr als ein Spiel

    Mein Luxus

    Was brauch ein Mensch?IFA : Vernezung berall und jederzei

    Sind Kino, Konzer und Kulur Luxus?

    Parum die pereke Mischung machs!

    Vom Holzzuber zum Whirlpool

    Alle Zei der Wel

    Teilen is das neue Besizen: Pumpipumpe

    Frauensachen im Schloss Charlotenburg

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    TAUFRISCH & ANGESAGTa r t s t r a s s e n f e g e r

    Ich bin eine Mischung aus Scharlaan,

    Schamane, Clown und Trickser

    Aeliersbesuch bei Sebasian Bieniek

    P U N K t r i f f t P R O F

    Anne-Lydia Mhle im Gesprch mi Nena

    B r e n n p u n k t

    Mobile Einzelallhile: Zurck ins Leben

    K u l t u r t i p p s

    skurril, amos und preiswer!

    S o z i a l

    Das Armusnezwerk: Von der Iniiaive

    Berber-Ino zum Verein

    Hierarchiereies Mieinander in

    der Liniensrae

    S p o r t

    . ISTAF Leichahleik der Exraklasse

    A k t u e l l

    Kein Bock au Nazis

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    AUS DER REDAKTIONH a r t z I V - R a t g e b e r

    Neue Aushrungsvorschrien Wohnen ()

    K o l u m n e

    Aus meiner Schnupabakdose

    V o r l e t z t e S e i t e

    Leserbriee, Vorschau, Impressum

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    srasseneger | Nr. | Sepember - Okober LUXUS |

    Kein Dach ber dem Kop! (Foo: Andreas Dllick VG Bild-Kuns)Zimmer in der neuen Nobernachung (Foo: Andreas Dllick VG Bild-Kuns)

    Ein Dach ber dem Kopfist kein Luxus!Die ganzjhrig geffnete Notbernachtung des mob e.V. soll bald startenB E R I C H T : A n d r e a s D l l i c k

    E

    in Dach ber dem Kopf, ein eigenes Bett zumSchlafen das sind ganz wichtige Dinge im Lebeneines Menschen. Leider gibt es in der Verfassungunseres Landes keinen Artikel dazu, dass Woh-

    nen ein Grundrecht fr jeden Menschen ist. Dasheit aber noch lange nicht, dass Wohnen Luxus sein muss.Nein: Jeder, aber auch jeder Mensch in unserem reichen Landsollte ein Dach ber dem Kopf, ein eigenes Bett haben. Da-von sind wir leider meilenweit entfernt. Die Bundesarbeitsge-meinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) schtzte 2013 dieZahl der wohnungslosen Menschen auf 284 000. Die Zahlder Menschen, die ohne jede Unterkunft auf der Strae leben,stieg von ca. 22 000 in 2010 auf ca. 24 000 in 2012 eine er-neute Steigerung um ca. zehn Prozent! Die Dunkelziffer liegtsicher noch viel hher. Besonders erschreckend: Die Zahl derKinder und minderjhrigen Jugendlichen liegt laut BAGW bei32 000, der Frauenanteil bei 63 000. Allein in Berlin sollenrund 6 000 Menschen obdachlos sein. Eine offizielle Statistikzu den Obdachlosenzahlen in Berlin gibt es nicht, das Abge-

    ordnetenhaus hat einen Antrag der Bndnisgrnen dazu ab-gelehnt. Was es aber gibt, das ist diese erschreckende Zahl: InBerlin gibt es derzeit 83 Betten (!) fr obdachlose Menschenin ganzjhrig geffneten Notbernachtungen. 73 fr Mnnerund 10 fr Frauen!

    E i n n e u e s D a c h b e r d e m K o p ff r 2 0 o b d a c h l o s e M e n s c h e nDemnchst werden wir wieder rund 20 obdachlosen Men-schen ein Dach ber dem Kopf bieten knnen. Die frischsanierten Rume befinden sich im Flchtlingswohnheim Ru-pert-Neudeck-Haus in der Storkower Str. 139C direkt nebenunserem neuen Vereinssitz mit den sozialen Hilfeprojektensozialer Treffpunkt Kaffee Bankrott, dem Sozialwarenkauf-haus Trdelpoint und der Redaktion der sozialen Straen-zeitung strassenfeger. Derzeit werden die Rume mbliert,und es muss ein Betreuerteam aufgebaut werden.

    Was uns einiges Kopfzerbrechen bereitet, sind die hohe

    Miete, die wir an das Landesamt fr Gesundheit und Sozi-ales zahlen mssen, und die als Bankbrgschaft zu hinter-legende Kaution fr das Objekt. Dazu kommen noch dieKosten fr Wasser und Abwasser, Strom und Mllabfuhr,

    Verbrauchsmaterialien wie Bettwsche und Reinigungs-mittel, Telefon und Internet sowie fr das Personal und dieehrenamtlichen Mitarbeiter.

    All das kostet Geld, viel Geld. Von der Sozialverwaltungbekommen wir keine finanzielle Untersttzung. Als kleiner,gemeinntziger Verein ist das alles nicht leicht zu stemmen.Deshalb sind wir sehr auf Spenden aus der Bevlkerung an-gewiesen sind. Unsere dringende Bitte: Helfen Sie uns, ob-dachlosen Menschen zu helfen. Sichern Sie mit Ihrer Spende,dass in unserer ganzjhrig geffneten Notbernachtung EinDach ber dem Kopf 20 Betten fr obdachlose Menschenbereitstehen. Jeder Euro hilft!

    PS: Tglich erreichen uns Anrufe von Sozialarbeiternund auch obdachlosen Menschen, ob wir nicht ein Bett freihtten. Deshalb freuen wir uns sehr darber, dass es bald

    losgehen kann!

    Spendenkonto:mob e.V.

    Bank fr SozialwirtschaftBLZ: 10020500

    Kto.-Nr.: 3283801BIC: BFSWDE33BER

    IBAN: DE97 1002 0500 0003 2838 01

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    INFO

    www.karuna-prevens.de

    www.gesobau.de/uner-nehmen/nachhaligkei/

    nachhaligkei-jugend/

    wohnopoly-das-dach-

    ueberm-kop-spiel/

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober | LUXUS

    Wohnst Du schon,oder lebst Du noch

    bei den Eltern?Das ganze Leben ist ein Quiz. Deshalb gibt es in Reinicken-dorf eine Wohnung, in der man spielend lernt, wie man alsjunger Mieter keinen schlechten Eindruck macht.

    B E R I C H T : B o r i s G l c k s p i l z N o w a c k

    D

    ie erste eigene Wohnung! Freiheit! Schlsselrein, Tre auf, Tre zu, Knig sein! Aber schongehen die Sorgen los: Der Khlschrank flltsich nicht von alleine. Merkwrdig! Staubsau-

    gen muss man wohl doch ein Mal pro Woche.Und vielleicht sollte ich die anderen Mieter im Haus bermeine Einweihungsfeier informieren, damit es keine Klagenwegen Ruhestrung gibt.

    Mit der einen oder anderen Situation musste jederschon einmal klarkommen. Doch damit das erste eigeneWohnerlebnis gerade fr Jugendliche zum Traum undnicht Albtraum wird, hat der gemeinntzige Verein KA-RUNA pr|events das Dach-berm-Kopf-Spiel entwickelt:Wohnopoly. In Lebensgre! Die Wohnung dazu befin-det sich im Mrkischen Viertel in Reinickendorf und wirdvon der Gesobau zur Verfgung gestellt.

    Ein Gang durch die 111 m2fhlt sich ein bisschen anwie das Durchblttern eines Mbelhauskatalogs. Die Woh-nung ist zweckmig und modern eingerichtet. Ein hellesWohnzimmer, eine gerumige Kche, ein Balkon und vierZimmer. Nichts berflssiges liegt herum, keine Unord-nung, so als wohnte hier niemand. In Wirklichkeit aber

    sind da Paul, Mia und Ben: die Spielfigurenvon Wohnopoly. Sie verkrpern die ver-schiedenen sozialen Herausforderungen einerWohngemeinschaft. Mia treibt mit ihrer Com-

    puterarbeit die Stromrechnung in die Hhe,erklrt mir Djamila Mustafa, Projektleiterinbei KARUNA pr|events. Paul schaut abendsgerne fern und nervt damit die anderen. UndBen hat schon seit Wochen seine Freundin da,die nichts zahlt, aber den Khlschrank leert.Sie alle mssen miteinander, den anderen Mie-tern im Haus und dem Vermieter klarkommen.

    K e i n Z e i ge fi nge r,s o n d e r n S e n s i b i l i s i e r u n g

    Wohnzimmer frei fr die Teilnehmer, denn hierstartet das Spiel mit der Begrung durch denModerator. Jugendliche um die 16 bis 21 Jahre,die ihre Ausbildung oder ein Studium beginnenoder einfach so aus dem Elternhaus ausziehenwollen oder mssen. Es kommen Lehrer mit

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    Au Magnetaeln markieren

    die Spieler ihre Lsungen

    Inflaionssichere Gesos sind

    das Spielgeld bei Wohnopoly

    In jedem Bereich waren Augaben und

    Ereignisse. Fas wie im richigen Leben

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober LUXUS |

    ihren Schulklassen, Jugendliche in Reintegra-tions- oder Berufsmanahmen oder vom betreu-ten Wohnen. Rund 400 Teilnehmer waren es imletzten Jahr, so lange gibt es das Projekt schon.

    Durch Wohnopoly sollen sie lernen, nein, eineAhnung davon bekommen, was es heit, selb-stndig Mieter zu sein und die eigenen Rechteaber auch Pflichten zu kennen. Es gibt keinRichtig oder Falsch, sagt Djamila Mustafa, Esist eine Einladung, sich ber Situationen und L-sungen auszutauschen.In jedem der acht Bereiche (Zimmer, Kche,Bad, Balkon), gibt es Fragen, Ereignisse undAufgaben, die die Besucher besprechen, lsenund erledigen mssen. Die Waschmaschine istkaputt. Welche neue kauft man, repariert mandie alte, wie entsorgt man sie? Heizungskostensenken: Warme Klamotten anziehen? Party: In-formiere ich die Nachbarn? Und was muss ichfr das Abendessen einkaufen? Und danach:Mlltrennung. Aber auch: Wie gehe ich mitden Wnschen anderer etwa um Ruhe und

    dem Vermieter um, damit ich nicht wieder raus-fliege? Fr die Antworten gibt es Geld, inflati-onssichere Gesos. Wer am Ende das meistebrig hat, gewinnt.

    Wer seine Antwort gut begrnden kann,bekommt auch dafr Gesos, betont DjamilaMustafa. Wir wollen fr diese Themen vor al-lem sensibilisieren. Bei Wohnopoly wirdeine Gruppendynamik erzeugt, wie sie spterauch in einer Wohngemein- oder Nachbarschaftentsteht, in der man im besten Fall zu einer allezufrieden stellenden Lsung kommt. Es ist eine

    Win-win-win-Situation: Lehrer freuen sich berdiese praktische, auerschulische Aktivitt, dieGesobau ber kompetente Mieter und KARUNAdarber, dass Jugendliche aus ihren anderen Pro-jekten fit gemacht werden, vorbereitet in dieeigene Wohnung einzuziehen. Eine Wohnungwurde dank Wohnopoly auch schon vermit-telt, strahlt Djamila Mustafa.

    Ereignisbereich Balkon: Die attraktiveNachbarin zieht sich bei offenen Vorhngen um.Wegschauen? Gren? Still beobachten? Ichziehe einen Joker.

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    Termine (Quelle: Monillona/Wikipedia CC BY-SA 3.0)

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober | LUXUS

    Manchmal pfeife ich

    auf Zeit und TermineWas Luxus fr mich ist, und warum es wichtig istB E T R A C H T U N G : D e t l e f F l i s t e r

    Luxus ist eine schwierige Sache, weil ermeistens mit materiellen Werten ver-bunden wird und daher immer wiederNeid erzeugt. Ich finde es eigentlich

    schade, dass das oft so reduziert betrachtet wird.Fr mich ist Luxus nicht nur materiell. Mit Hilfevon Beispielen aus meinem Leben mchte ich er-

    klren, was Luxus fr mich ist.

    E n t s p a n n u n g i s t w i c h t i g

    Oft hetzt man den ganzen Tag durch die Gegendund findet einfach keine Ruhe, kommt einfachnicht dazu, auch nur einen Moment innezuhal-ten, weil oft viele Termine warten. Ein Beispielaus meinem Leben: Um 9 Uhr ist Zahnarztter-min und um 10.30 Uhr Einzeltermin mit mei-nem Bezugstherapeuten. Um 12 Uhr gibt es dasgemeinsame Mittagessen. Irgendwann zwischenEinzeltermin und Mittagessen muss ich noch ein-kaufen gehen. Damit ich auch garantiert nichtzur Ruhe komme, ist zwischen 13.30 Uhr und14.30 Uhr sozialtherapeutische Gruppe, und an-

    schlieend habe ich noch Putzdienst. Das allesdauert so bis 15.15 Uhr. Nach dem Putzdienst

    hetze ich zur U-Bahn, weil um 16.45 Uhr un-sere Theatergruppe Unter Druck in Weddingprobt. Dieses frchterliche Termingehetze kanneinen schon gewaltig nerven.

    Deshalb habe ich heute mal versucht, es an-ders zu machen. Nach dem Putzen setze ich micherst einmal auf die Bank und mache mir in Ruhe

    eine Zigarette an. Ganz entspannt rauche ichund beobachte die Leute, die ber den Platz het-zen, um ihren tglichen Beschftigungen nach-zugehen. Ich aber pfeife auf diese Hetzerei undamsiere mich ber die Leute, die durch die Ge-gend hetzen. Ich pfeife auf Zeit und Termin undlasse den lieben Gott einen guten Mann sein. Ichgnne mir den Luxus hier zu sitzen und in Ruheeine zu rauchen, einen Moment innezuhalten,obwohl ich um 16.45 einen Termin habe. Aberes klappt alles. Um 15.32 stehe ich auf und gehezur U-Bahn. Um 16.37 Uhr bin ich, zugegebenungewhnlich spt, bei der Theatergruppe. Aberich fhle mich irgendwie ruhiger und entspann-ter als sonst obwohl ich erst acht Minuten vorBeginn der Probe eingetroffen bin. Dieser Mo-

    ment des Innenhaltens und der Entspannung zuHause auf dem Platz war einfach ntig!

    E i n f a c h e i n m a l a b s a g e nu n d v e r s c h i e b e n

    Normalerweise bin ich mit meinen Kumpel Klausverabredet und msste vorher noch meinen Ar-tikel fr den strassenfegerbei der Redaktion ab-geben. Aber ich bin in eine Situation gekommen,

    die ich einfach nicht verlassen mchte. Ich habein der U-Bahn auf der Frankfurter Allee einejunge Dame getroffen, und wir haben uns in derBahn sehr gut unterhalten. Es war ein schnesGesprch, und sie sagte mir, dass sie mit einer Be-kannten zum Kaffeetrinken verabredet sei undich ob ich nicht mitkommen wolle. Eigentlichmsste ich ihr absagen und nach Hause fahren,um zumindest meinen USB-Stick zu holen, da-mit ich der Redaktion meinen Artikel abgebenkann. Ich beschloss sowohl den Abgabeterminmeines Artikels als auch den mit Klaus zu ver-schieben und sage ihr zu.

    Es wird ein richtig toller Nachmittag. Clau-dia und ihre Freundin Michaela sind total lus-tig, und wir unterhalten uns gut gelaunt. Es gibt

    viele Grnde zu lachen, und das Gesprch mitbeiden wird sehr unterhaltsam. Jedenfalls habeich es nicht bereut, von meinem Plan abgewichenzu sein. Ich habe die beiden Frauen zwar nichtmehr wieder gesehen, aber es hat sich wirklichin jederlei Hinsicht gelohnt, schon weil ich vielSpa hatte und zwei interessante Frauen ken-nengelernt habe. Fr mich als sonst zielstrebigerMensch, der seine Plne stur durchzieht, warmein Verhalten schon sehr luxuris, aber auchunbedingt notwendig.

    W a s i s t f r m i c h L u x u s ?

    Mein Fazit: Luxus ist fr mich, einfach nicht das

    zu tun, was ich blicherweise tue oder man vonmir erwartet, sondern von gemachten Plneneinfach mal abzuweichen, auch ohne sich dar-ber Gedanken zu machen, welche Konsequen-zen oder Nachteile das haben knnte.

    Im ersten Fall htte es durchaus eine unan-genehme Reaktion meiner Theatergruppe gebenknnen, weil ich auf den letzten Drcker ankam.Beim zweiten Fall htte es passieren knnen,dass mein Kumpel Klaus verrgert ist, weil ichnoch nicht einmal abgesagt habe. Eine weiterenegative Folge meines Abweichens vom Planhtte das Nichtabdrucken meines Artikels imstrassenfegersein knnen, weil der Artikel erstnach Redaktionsschluss eintraf und ich vorherauch nicht Bescheid gesagt hatte. Manchmalaber ist mir so was total egal. Gott seid Dank,trat keiner dieser negativen Umstnde ein.

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    Tja, die Tassen im Schrank (Foo: Andreas Dllick VG Bild-Kuns)

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    Tassen im Schrank oder...Was braucht ein Mensch?T E X T : M i s c h a N .

    Drei Tage hatte ich damit verbracht, ber meinLeben nachzudenken, es Revue passieren zulassen und in der Rumpelkammer meines vonGedanken berfllten Kopfes Ordnung zuschaffen. Ich brauchte Klarheit, ein durchdach-

    tes, richtungsweisendes Ergebnis, denn ich hatte in meinemUmfeld beobachtet, dass nur eine planvolle Vorgehensweisezu Wohlstand, Erfolg und Ansehen fhrt, also zu jenen Din-gen, die man in diesen Zeiten braucht.

    Ich strauchelte in meinen berlegungen von einer Frage zurnchsten, nahm mich erbarmungslos ins Verhr, ertrug tapferjeden treffsicheren Hammerschlag und den damit verursach-ten Schmerz in meinen Schlfen. Vermutlich, denn eine an-dere Erklrung habe ich nicht dafr, geriet ich zunehmend ineine Art Erschpfungszustand und in diesem schleichendenProzess geistiger Flatterhaftigkeit immer mehr von der mirursprnglich auferlegten Marschroute ab. Meine, wenn aucherlahmte Aufmerksamkeit, widmete sich gnzlich unntzenGefhlen, die mir zu erzhlen suchten, was ich bruchte undwas mir zuteil geworden war und ich keineswegs gebrauchthtte. Ich irrte in auftauchenden Bildern orientierungslos um-her und klammerte mich an jenen Zipfel meines Verstandes,der sich inzwischen offenbar erholt hatte und mir befahl, dieseDinge schriftlich zu fixieren. Geschnrt und geknebelt diese

    Idee verlieh mir Kraft wrde ich sie verbannen, sie im Altpa-piercontainer einem ungewissen Schicksal berlassen.

    Eine zndende Idee braucht der Mensch! Ich begann sofortmit der Arbeit, berzeugt, dass diese schnell erledigt sei.Auf Seite 127 brauchte ich nichts mehr, war ich restlos undreichlich bedient. Im Grunde und ich hatte das Gefhl,dort angekommen zu sein brauchte ich auch mein Lebennicht mehr. Ich zog einen fetten, schwarzen Strich darunter.Den Irrtum absoluter Bedrfnislosigkeit erkannte als ich andie mir bevorstehende Reise dachte. Jeder Reisende brauchtetwas, selbst wenn es die letzte Reise ist in meinem Fallehatte ich spontan den Strick gewhlt. Beschwingt verlie ichmeinen Schreibtisch, ein Haushaltswarengeschft aufzusu-chen. Unauffllig sah ich mich hier und dort ein wenig um

    und verweilte, nur zum Scheine, vor den an Haken hngen-den Hundeleinen. Ich war, so fand ich, meinem Ziel schonrecht nahe. Zu meinem Entsetzen aber habe ich pltzlich andie Worte eines Philosophen denken mssen und an dessenPudel, den er zu siezen pflegte.

    Irritiert suchte ich mir ein wenig die Beine zu vertreten. Nachfnf Schritten erblickte ich eine kleine, hssliche Porzellan-figur Buddha. Ich glaube nicht an Wiedergeburt, zog aber pltzlich von Zweifeln berwltigt in Betracht, dass mireine solche bald bevorstnde. Wrde ich im nchsten Lebenall die Dinge, die so hbsch fixiert auf meinem Schreibtischlagen, wiederholen mssen? Brauchte ich die Worte einesPhilosophen oder gar einen Pudel? Du hast nicht mehr alleTassen im Schrank!, sagte ich leise zu mir. Brauchte ich Tas-sen? Ich drohte in meinen Fragen zu versinken und vernahmeine fremde, aber ebenso an mich gerichtete: Knnen Sie mirhelfen? Ich hatte die alte Frau, die neben mir stand, gar nicht

    bemerkt. Ich brauche Vogelfutter!, sagte sie. Haben Sieeinen Vogel?. Ich sah sie entgeistert an, sprend, dass sie ihreTrnen mhsam verbarg. In den letzten Tagen dachte ich,ich htte einen, antwortete sie. Es gibt Momente, in denenein Mensch nicht viele Worte braucht, schon gar nicht dievermeintlich passenden. Und so erwiderte ich, nachdem ichkurz um die nchste Ecke gedacht hatte: Die Bratwurst sucht

    man nicht im Hhnerstall!

    Sie lachte. Ein wenig mutiger geworden brauchte ich nocheinen kleinen Ruck, sie in das Caf einzuladen, das sich ander nchsten Straenecke befand. Nachdem ich hinter unsdie Geschftstr geschlossen hatte, bot ich der alten Fraumeinen Arm. Sie haben wirklich nicht mehr alle Tassen imSchrank!, lehnte sie ab. Wir fanden im Caf einen Tisch amFenster und gengend Zeit fr ein Gesprch. Wir haben einPckchen Taschentcher gebraucht und einander zum Ab-schied die Hnde gereicht.

    An meinen Schreibtisch zurckgekehrt habe ich die 127 Sei-ten in den Altpapiercontainer geworfen und diesen Text ge-schrieben, den ich mir natrlich ausgedacht habe! Vielleicht,letztlich mndet alles in einer Frage, braucht ihn kein Mensch.

    Was braucht ein Mensch schon wirklich?

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    Hereinspazier ins Konsumparadies!

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober | LUXUS

    Moderner Haushalt,

    Vernetzung berall und jederzeit,implantierter ChipDie Internationale Funkausstellung 2015B E R I C H T & F O T O S : T h o m a s G r a b k a

    Smoothies berall. An jeder zweiten Eckein den Ausstellungshallen der diesjhri-gen Funkausstellung, in denen die neu-esten Kchengerte vorgestellt wurden,

    konnte man der Zubereitung der meist grnen,

    angedickten Gemsedrinks in hochmodernenMixern zuschauen. Ob Siemens oder AEG, Leif-heit oder WMF, Miele oder Bosch keiner wollteauf den neuen Trend zu diesem smig priertenGetrnk verzichten. Frisch zubereitet aus Blatt-spinat und Orangen, aus Chinakohl und gefro-renen Himbeeren, mit Lwenzahn und Petersi-lie, pfeln, Ananas, Bananen und Brokkoli derPhantasie sind da kaum Grenzen gesetzt, gab esdie Smoothies zum Probieren fr jedermann indaumenkuppengrossen Plastikbechern.

    V ors pru ng du rc h Te c hni kf r d i e H a u s f r a u !

    Moderner Haushalt war eines der zentralenThemen dieser IFA. Bei Miele, deren Messeauf-tritt unter dem Motto Inspired by life stand,

    soll zuknftig nie mehr etwas anbrennen. EineKochexpertin zeigt wie das geht. Sie schlgt einEi in die Pfanne und erklrt: Wrde sie jetzt zehnMinuten vom Herd weggehen, wie das im wirkli-chen Leben ja schnell mal geschehen kann, wre

    das Ei sicher verbrannt. Mit dem neuen Herdvon Miele, ausgestattet mit einer Vielzahl vonSensoren, die beim Braten u.a. das Material derPfanne erkennen und fortlaufend die Wrme imPfannenboden ermitteln und steuern, kann daszuknftig nicht mehr geschehen.

    Vernetzung! berall und jederzeit. BeiWhirlpool mit seinen Marken Kitchen Aid,und Bauknecht ist Connectivity das Zei-chen der Zeit. Alle aktuellen Premium-Mo-delle, ob Waschmaschinen, Trockner, Khl- undGefriergerte und Geschirrsplmaschinen siealle lassen sich bequem vom Smartphone oderTablet, egal zu welcher Zeit und von welchemOrt, steuern und geben jederzeit Rckmeldungan den Nutzer ber den Status der durchge-fhrten Arbeit. Da macht es auch dem Ge-schftsmann zuknftig Spa, die Wsche selbst

    zu waschen. Smart Home: Nachhaltigkeit,Energieeffizienz und Ressourcenschonung beieinfachster Bedienbarkeit sind die Schlagworteder Hausgerte-Trends unserer Zeit.

    R F I D - C h i p i m p l a n t i e r t

    Bei Kaspersky, einer russischen Firma fr Sicher-heits- und Antivirensoftware ging man noch einenSchritt weiter beim Vernetzen: Unter dem MottoChipping Humans The Internet of Things be-comes the Internet of Us wurde einem Mitar-beiter der deutschen Kaspersky-Niederlassunglive whrend einer Paneldiskussion auf dem IFAGelnde ein RFID Mikrochip in die linke Handimplantiert. Das sei allemal besser als die AppleWatch am Handgelenk, so die Teilnehmer derDiskussionsrunde, zu der auch Mitglieder einesschwedischen Biohacker-Kollektivs gehrten,mit dem Kaspersky zusammenarbeitet. Derzeitlsst sich mit so einem Chip unter der Haut anverschiedenen Kassen bezahlen, die eigene Iden-titt bei Sicherheitschecks nachweisen, ohne ei-

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    Vernezer Luxus

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    nen Pass vorzeigen zu mssen, Notebooks miteiner Handbewegung entsperren oder ein Autostarten vorausgesetzt, die dafr notwendige In-frastruktur ist vorhanden.

    Allerdings sind die Informationen auf demimplantierte Chip derzeit noch unverschlsselt,was bedeutet: Jeder kann mit einem entsprechen-den Gert diese Daten auslesen - ja es wre sogarproblemlos mglich, die Daten zu berschreibenund dem Trger eines solchen Chips damit eineandere Identitt unterzuschieben. Wollte mandie Daten im Chip sichern, bruchte man dazueine Stromquelle aber wer will sich schon zu-stzlich zum Chip auch noch eine Batterie unter

    die Haut schieben lassen? Auf all diese Problemewill Kaspersky mit dieser Aktion aufmerksammachen. Denn, so waren sich die Experten si-cher: Kommen wird diese Technologie ber kurzoder lang, so oder so.

    I c h g l o t z T V

    Und wie schon in den vergangenen Jahren wa-ren auch in diesem Jahr die klassischen techni-schen Gerte unserer Informations- und Unter-haltungsgesellschaft Publikumsmagnete: allenvoran die flachen Fernsehbildschirme, super-scharf mit noch ultrahherer Auflsung. Ob nunbei Samsung, Grundig, Philips oder Panasonic:Curved TV, HDR, 4K, UltraHD und SUHD TVsind die Schlagwrter der Gegenwart, wenn esum das Heimkino zu Hause geht. Immer flacher,

    immer grsser in der Bilddiagonale, mit nochmehr Farben und millionenfacher Auflsung so flimmerten die Bildschirme imposant auf-gereiht in den Hallen der Aussteller.

    K a m p f a u f d e m S m a r t p h o n e - M a r k t

    Die IFA ist auch seit einigen Jahren der Hotspotder Handyproduzenten: Dort wo beispielsweisedie chinesischen Hersteller Huawei und Lenovoihre Smartphones und Technik-Gadgets zeigten,herrschte stndig Hochbetrieb der Ausstellungs-Besucher. Und auch im CityCube, einem Mes-seneubau, in dem die sdkoreanische Firma

    Samsung ihre Produktpalette, allen voran dasneue Galaxy S6 Edge+ vorstellte, war es meistensziemlich voll.

    Huawei gelang noch ein spektakulresMessehighlight auf der IFA: Mit der Prsentationdes Mate S hat Huawei den Leuten von Appleeinen Strich durch die Rechnung gemacht, denndie hatten die als Weltpremiere geplante Vorstel-lung des ersten druckempfindlichen Displaysbei einem Smartphone mit ihrem iPhone 6s frden 9.9. geplant. Huawei kam ihnen auf der IFA2015 ein paar Tage zuvor. Apple suchte man b-rigens vergebens auf der IFA.

    Fazit: Die Veranstalter knnen zufrieden sein.Beinahe eine viertel Million Besucher kamen zurdiesjhrigen Elektronikmesse. Bestellungen imWert von 4,3 Milliarden Euro wurden zwischenden Herstellern und dem Handel vereinbart.

  • 7/24/2019 LUXUS? Ausgabe 19 strassenfeger

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    Knig der Lwen im Musicalheaer im Hamburger Haen(Quelle: CC BY-SA 3.0/Wikimedia)

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober | LUXUS

    Sind Kino, Konzertund Kultur Luxus?Knnen arme Menschen sich Teilhabe berhaupt leisten?B E T R A C H T U N G : A s t r i d

    I

    ch sehe mir wie wahrscheinlich vielevon uns auch mal gern mal einen Filmim Kino an. Nun, da gibt es Kinos und Ki-nos. Kinos, die von gemtlich und klein

    bis hin zu den CineStar-Centern wie am Alexreichen. So unterschiedlich die Kinos, so un-terschiedlich auch die Eintrittspreise und Er-migungen, die diese Kinos anbieten. Besitztman einen Berlin-Pass, bieten viele Kinos anbestimmten Tagen, meist montags bis donners-tags, einen gesenkten Eintrittspreis an.

    Das ist schon schn, wenn man dann vielleichtnur sieben Euro statt zwlf bezahlen muss.Trotzdem lppert sich da bei einer vierkpfigenFamilie einiges zusammen. Und das ist nur derEintrittspreis. Getrnke, Sigkeiten und Pop-corn sind da noch nicht mal drin. Da kann manschnell auf einen Fnfziger oder mehr kommen,da Naschereien in Kinos nicht gerade billig sind.

    Auch fr mich, die keine Kinder hat, ist zwar dasEintrittsgeld nicht unbedingt das Problem. Abermehr als einmal im Monat knnte ich mir dasnicht leisten.

    Oft, wenn ich in meinen Vertriebswagen desstrassenfeger sitze und Radio hre, kommtWerbung fr Bands, Snger oder andere Knst-ler, die Berlin besuchen. Und manchmal seufzeich, da ich bestimmte Sachen einfach mal gernsehen wrde. Heit es dann Bald in der Merce-des-Benz-Arena zu sehen, wei ich, lass mallieber die Finger weg! Die Karten dafr kannich mir mit Sicherheit nicht leisten. Leute, ichwill nicht den Kauf dieser Arena finanzieren,

    ich will einfach nur die Show sehen. Aber dieTicketpreise dort? Oh, l, l! Andere Konzert-pltze sind oft etwas preiswerter, aber auchnicht immer.

    Nehmen wir mal den Friedrichstadtpalast? Dortist es auch nicht so viel besser. Ich wollte Ticketsfr den Quatsch Comedy Club und war neu-gierig. Am Eingang starrte ich dann entsetzt diePreise an. hm, ich bekomme EU-Rente undGrundsicherung. Ein Ticket fr die Show im Pa-last htte fast die Hlfte meiner Rente gekostet.Deshalb verabschiedete mich erstmal von demWunsch, diese Show zu sehen.

    Als ich mal die Toilette in der Galeria am Ost-bahnhof besuchte, stolperte ich im Erdgeschossber einen Katalog eines Reisebros. Zugegrif-

    fen, und er war meiner. Musicals, die liebe ichauch. Also wurde im Vertriebswagen mal drinrumgeblttert. Und ich fand dort unglaublicherWeise fr die Show im Friedrichstadtpalast Ti-ckets unter 50 Euro. Hh? Im Palast kosteten diefast 200 Euro. Wie geht das denn? Gibt es fr die

    teuren Karten auch noch ne Flasche Schampusund Kaviar? Mag ich beides sowieso nicht.

    Bleiben wir mal kurz bei den Musicals. Ich habemir mal eins rausgesucht, den Knig der Lwen.Spielt in Hamburg, wie viele wissen. Also kom-men die Fahrkarten fr die Reise nach Hamburgdazu. Ich rechnete mit Sonderpreis im Katalogfr ein Ticket und ein Hotel, dann die Fahrkartendazu und kam auf 147,90 Euro. Nicht schlechtoder? Das nehme man mal vier, und dann manhat die Monatsmiete fr eine Zweizimmerwoh-nung beisammen. Wer kann sich so etwas leisten?Ja, es gibt spezielle Angebote, aber die sind oftnur in der Woche gltig, mit Kindern unmglich,wenn das Musical nicht in Berlin luft.

    Nun wollte ich es aber wissen: Es muss doch

    etwas in Berlin geben, das fast nichts oder garnichts kostet! Das fand ich dann auch, nachdemich meinen armen PC sehr lange geqult habe.Viele der Museen in Berlin sind frei. Einige, dieEintritt verlangen, haben entweder einen Tag imMonat oder in der Woche frei. Na ja, nicht jeder

    Jugendliche geht gerne in ein Museum, auch ichfand nur eines, das mich interessiert htte.

    Also suchte ich nach dem, das mich interessierte,und sah nach, was mich der Eintritt dort kostenwrde. Das gyptische Museum. Als ich die Ein-trittspreise sah, kratzte ich mich am Kopf. Nor-mal zwlf Euro, ermigt sechs Euro. Eine Er-klrung, was ermigt ist? Keine! Ich fand aberdann die gleiche Aussage unter einer Jahreskarte,nur fr Schwerbehinderte. Na gut, kann ich se-hen. Aber, was ist mit Leuten, die nur kleineRenten oder auch Hartz IV bekommen? Drfendie nicht fr weniger rein oder glaubt man demFernsehen, dass alle die Hartz IV bekommen,Kulturbanausen sind? Wenn man sie so behan-delt, wei ich, wieso sie es werden: Realityshowsim Fernsehen kosten nichts.

  • 7/24/2019 LUXUS? Ausgabe 19 strassenfeger

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    Echer Luxus(Foo: Andreas Peers)

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober LUXUS |

    Sinnlich, dynamisch, glamours,extravagant, natrlich oder maskulinParfum die perfekte Mischung machts!B E R I C H T : A n d r e a s P e t e r s

    N

    eulich lief ich an einem klaren und lichten Sonn-tagmorgen joggend durch den Park. Dort wurdeich mit dem After Shave eines vorbeilaufendenMannes konfrontiert. Der Geruch war mir zwar

    irgendwie vertraut aus Kindertagen, aber er setztesich schnell unangenehm in meiner Nase fest. Selbst im Parkhielt sich die Duftnote noch erstaunlich lange. Fr mich war dasLuftverschmutzung. Vielleicht sollte der Duft nur etwas ber-decken. So, wie Parfum im alten gypten von der Oberschichtgenutzt wurde, als Waschen noch nicht an der Tagesordnungwar, und man danach trachtete, unangenehme Krperausdns-tungen zu berdecken. Ganz gleich was zutraf, ich ging zur Ge-genoffensive ber und beschloss spontan, mir selbst mal wiederein Parfum zuzulegen. Keines dieser 08/15-Wsserchen, son-dern eines, das wirklich richtig gut duftet, gepflegt und erfri-schend wirkt und vielleicht sogar beim anderen (Geschlecht)in angenehmer Erinnerung bleibt.

    Tage spter stand ich also in einer dieser bekannten Parfme-

    rien. Frher hatte ich durch Werbung oder Tipps von Freun-den meist gewusst, was fr mich in Frage kam. Diesmal warich offen fr Neues, aber schnell berfordert mit dem um-fangreichen Angebot. Zu viele Dfte drngten auf einmal inmeine Nase, bis ich mich schlielich gar nicht mehr entschei-den konnte. Das eine Wsserchen war zu streng, dass anderezu s, das dritte zu fruchtig, das vierte zu blumig. Ich httevorbereitet sein sollen. Denn danach recherchierte ich, dassman besser morgens, wenn die Nase ausgeruht ist, auf Duft-suche geht und als Ungebter im brigen eh nicht mehr alsfnf Dfte ausprobieren sollte. Dazu braucht es gebte Sinne.Profis sollen bis zu 3 000 Duftstoffe unterscheiden knnen.Kaum zu glauben.

    Ich machte mit meinen neuen Informationen einen zweitenAnlauf. Diesmal in einem Geschft, das dem geneigten Kun-den dabei behilflich ist, einen ganz eigenen Duft zu kreieren.Dort war man mir sogar dabei behilflich, die Bestandteile ei-

    nes mir vertrauten Parfums zu ermitteln. Es stellte sich jedochheraus, dass die Liste der verwendeten Ingredienzien viel zuumfangreich war. Aber ich hatte nun immerhin schon ein paarAnhaltspunkte, um meine ganz eigene Auswahl vornehmen zu

    knnen. Dem Ziel war ich somit schon ein Stck nher gerckt.Meine Aufgabe beim Kreieren bestand anschlieend darin, ei-nen Hauptcharakter und sechs Duftvarianten zu bestimmen.Ich lernte umgehend, typisch mnnliche und weibliche Cha-rakterdfte zu unterscheiden. Unter anderem nach sinnlich,dynamisch, glamours, extravagant, natrlich oder maskulin.Danach musste ich allerdings erst einmal meine Nase wiederfrei machen, bzw. neutralisieren. Dazu hielt mir die Parfmeu-rin ein mit Kaffeebohnen geflltes Glas an die Nase. Danachwar ich bereit dem Charakterduft sechs eigene Nuancen hin-zuzufgen. Zur Auswahl standen wieder unzhlig viele Dfte.Ich fand Gefallen an den holzigen Dften wie Sandelholz undZeder oder blumigen Aromen wie Rose, Jasmin oder Laven-del. Aber auch das Orientalische und Fruchtige hatte es mirangetan. Meist entschied ich mich spontan, um zu meiner ganz

    eigenen Zusammenstellung des Parfums zu gelangen. Die Par-fmeurin legte den jeweils von mir ausgewhlten Duft bzw.Flakon(-stpsel) auf ein Tablett und fcherte mit ihrer Hand dieauf diese Weise entstandene Duftkomposition in Richtung mei-ner Nase. Auf diese Weise fand ich schlielich zu meiner ganzeigenen Duftkomposition. Verpackt in einem schnen Flakon.

    Manch einer mag nun denken, was fr ein Aufwand nur freinen Duft?! Zumal ich selten diese Dfte nutze. Wer aber wie viele (Frauen vor allem) jeden Tag ein Parfum nutzt,der wird mit einer eigenen Kreation belohnt. Ich fragte nochmal nach, und mir wurde versichert, dass bei Mnnern Ber-gamotte, Moschus, Tonkabohne, Amber und Sandelholz be-sonders beliebt sind. Frauen fhlen sich eher zu den blumigenDften wie Rose, Lilie oder Jasmin hingezogen. Aber Frauenhaben ja wohl auch die bessere Nase. Kleopatra soll brigensfr jeden Teil ihres Krpers ein eigenes Parfm benutzt haben.Das wrde den heutigen Mann sicher berfordern.

  • 7/24/2019 LUXUS? Ausgabe 19 strassenfeger

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    Whirlpool in einem Kneippkurhoel (Quelle: Usien/Wikipedia CC BY-SA 3.0)

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober | LUXUS

    Vom Holzzuber

    zum WhirlpoolLuxus Badewanne in der eigenen WohnungB E T R A C H T U N G : C a r s t e n D a h l e k e ( v e r k a u f t d e n s t r a s s e n fe g e r )

    Der alte Vater Heinrich Zille hat um 1900 seine Mili-euzeichnungen gemacht. Auf manchen Zeichnun-gen sieht man, wie die Kinder in Holzzubern geba-det werden. Wer nun denkt, das war nur damals

    so, der irrt. Ich selbst habe diese Erfahrung noch Anfang der1970ger Jahre bei meinen Groeltern am Rande von Spandaumachen drfen.

    Als Kind vom Lande war ich im Sommer stndig unterwegs.Im Hochsommer schwitzt man bekanntlich ja, dann kommtder Staub der Strae dazu, und schon ist man als Kind reiffr die Badewanne. Die stand damals bei uns hinten im Gar-ten, von der Strae aus nicht einsehbar, in Form eines groenHolzzubers unter einer Birke, unweit des Schweineauslaufes.Manchmal waren die eigenen Schweinchen sauberer als ich.Meine Tanten bekamen dann immer die undankbare Aufgabevon meiner Oma gestellt, mich wieder sauber zu schrubben.Ja, das ist sehr lange her, aber es war auch eine schne Zeit!

    Irgendwann um 1975 herum begann mein Grovater mit demUmbau des Hauses. Besser gesagt, er baute zwischen dem ne-ben dem Haus stehenden Stall und dem Wohnhaus noch einGebude und im ehemaligen Stall dann das Bad ein. Da lebte

    ich aber schon bei meiner Mutter in ihrem Haushalt in BerlinPrenzlauer Berg. Den groen Holzzuber gab es da nun nichtmehr. Dafr stand dort im sehr engen Bad eine Duschkabine.

    Erst spter bekam ich mit, das es in Berlin noch viele Woh-nungen gab, die nicht ber ein Bad verfgten. Oftmals wardie Toilette da auch noch eine halbe Treppe tiefer! Viele Leserwerden das vielleicht auch noch kennen. Der Luxus einer Ba-dewanne hielt fr viele Familien erst sehr spt Einzug. Selbstheute gibt es sicher in einigen Wohnungen nur eine Dusche,aber keine Badewanne. Dies liegt aber wohl eher an den rum-

    lichen Mglichkeiten, der Zuschnitt mancher Wohnung lsstoft nur eine Dusche zu. Die oft neidvollen Stimmen Ach, Duhast eine Badewanne, gibt es auch heute noch, auch wennviele Huser und Wohnungen auf dem neuesten Stand bezg-lich Badkultur gebracht wurden. Dies zeigt doch, dass derFortschritt man kann es auch Luxus nennen den Besitzeiner Badewanne mit sich bringt.

    Nun gibt es ja auch die unterschiedlichsten Formen bei Bade-wannen und deren Ausstattungen. Viele Menschen wnschensich eine ganz normale lngliche Badewanne. Manche mgenes aber luxuriser, sie bevorzugen eine Badewanne mit Whirl-pool-Funktion und anderen Annehmlichkeiten. Wenn manbedenkt, dass es bis vor nicht allzu langer Zeit ein absoluterLuxus war, berhaupt eine Badewanne zu besitzen, dann frageich mich: Gibt es in vierzig Jahren vielleicht Badewannen,die sprechen und die Temperatur des Badewassers auf Kom-mando selber regeln? Wie weit ist das von Pinsel-HeinrichsMilieustudien entfernt, und wo fhrt dies vielleicht noch hin?Heutzutage ist eine Badewanne schon selbstverstndlich, ge-nauso wie es damals die Holzzuber waren. Urig waren die ir-gendwie doch, finde ich. Heute ist es brigens auch nicht mehr

    ntig, dass man in einer Stadt wie Berlin in sogenannte Stadt-bder gehen muss, um in den Genuss eines Vollbades in einerBadewanne zu gelangen. Die alten Stadtbder von damals wiezum Beispiel in der Oderberger Strae zerfallen heute, auchwenn sie unter Denkmalschutz stehen, oder werden ihrer ehe-maligen Funktion beraubt, indem die neuen Eigentmer sie zuEventcentern umfunktionieren. Die Geschichte dieser Husergeht dann oft verloren, das finde ich sehr schade. Man solltezumindest deren Geschichte bewahren, auch wenn man derenFunktion im damaligen Sinn nicht mehr braucht. Denn Stadt-bder sind ein Teil der Geschichte dieser Stadt.

  • 7/24/2019 LUXUS? Ausgabe 19 strassenfeger

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    Eisenuhr USK (Foo: CC BY-SA 3.0/Wikimedia)

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober LUXUS |

    Alle Zeit der WeltWas fr ein Luxus!B E T R A C H T U N G : J a n M a r k o w s k y

    Ein schner Tag. Ich gehe eine Straeentlang. Ich kenne weder die Strae,noch die Gegend. Mir ist aber klar,ich bin irgendwo in Reinickendorf.

    Vom Bahnhof Friedrichstrae bin ich mit derS-Bahn zum Bahnhof Reinickendorf gefahren,habe zunchst das alte Dorf Reinickendorf mitDorfanger und Dorfkirche entdeckt, dann dieehemalige Maschinenfabrik und den Friedhof

    fr die Gefallenen der Weltkriege. Ich bin danndurch einen kleinen Park und der nchstenStrae rechts gefolgt und unter der Bahn-brcke immer geradeaus.

    Eine gut ausgebaute Strae mit zwei Fahrbah-nen kreuzt. Ich folge der breiten Strae nachrechts. Weit und breit kein Auto zu sehen. AmNordgraben, lese ich. Rechts Einfamilienhu-ser mit Grten, links Bsche und der Graben.Auf der anderen Straenseite geht ein Mann mitseinem Hund. Ich will rber, ausgerechnet jetztkommen Autos vorbei. Als der Verkehr nach-lsst, sind Herr und Hund weg. Pltzlich einBahndamm und eine schmale niedrige Brcke.Da durch? Ich habe kein gutes Gefhl und gehe

    lieber ber die Strae. Eine kurze Strecke amBahndamm, dann biegt die Strae nach rechtsab. Wieder eine Brcke. Dieses Mal hher undbreiter. Kaum durch, zeigt sich rechts ein gebo-gener Neubau. Gleich danach ist die Strae zuEnde. Ich biege rechts ab. Links kleine Huser,viele mit Garten, rechts Neubauten der 60erund 70er Jahre. Jetzt zeigen sich auch linkskleine Bauten im quadratischen Betonstil der70er. Eine Kirche links bringt Abwechslung indem Baustileinerlei. Noch ein Hochhaus links,und meine Strae mndet in eine Hauptstrae.Ich folge ihr rechts, und es kommt eine Frei-flche: Hier war die Mauer. Ein nicht mehr ge-nutztes Gleis. Ich kehre um. Links und rechts

    Hochhuser, dann eine lange Hauszeile. Ich leseMrkisches Zentrum und habe zum erstenMal eine Ahnung, wo ich bin.

    Als Westberlin noch eine Insel war, wurden mirGeschichten ber diese Gegend hier erzhlt.Gartengelnde mit rebellischen Laubenpiepern.Die Nazis sollen sich nicht reingetraut haben.Um die Rebellen zu vertreiben, sei die Gro-Siedlung hier gebaut worden. Ob es den Tatsa-chen entspricht, kann ich nicht beurteilen. Wenndem nicht so ist, hat man mir immerhin eineschne Legende erzhlt.

    Die Straenlaternen gehen an, es wird dunkel.Ich habe alle Zeit der Welt, und ich habe michtreiben lassen. Jetzt will ich ins Zentrum. Dakommt die Bahnbrcke. Rechts geht es hoch

    zum S-Bahnhof Wittenau. Jetzt fllt mir auf,dass es den ganzen Tag nicht geregnet hat. DieBahn bringt mich zur Friedrichstrae. Ich zhlemein Geld. In Kreuzberg ist ein Bcker, der ver-kauft Brtchen fr wenige Pfennige. Dort werde

    ich morgen mein letztes Geld ausgeben. Ich binmit dem Tag zufrieden. Ich hatte viel Zeit, undich habe sie fr mich genutzt. Neue Wege gehen,im wahrsten Sinn des Wortes. Mir fllt ein, dassich schon lange nicht mehr in Kpenick war.Das nchste Ziel.

    Das Leben geht weiterIn den nchsten Tagen nehme ich mir vor, umGeld zu bitten. Es bleibt beim Vorsatz. Ich schlen-dere oft durch die Straen. Als es mir schwerfllt, an Lebensmittelstnden vorbei zu gehen,ohne etwas mitzunehmen, mache ich mich zurSuppenkche in Pankow auf. Ich stelle mich anund erhalte reichlich Suppe und noch eine Wurstoben drauf. Als ich mich setze, fhle ich mich gutaufgehoben und gut versorgt. Mir wird noch vonden Sonderausgaben, der Kleiderkammer und

    von Bruder Johannes und seiner Hygienestationerzhlt. Das ist mehr, als ich erwarten durfte.Ich lese dort den Aushang eines Nachtcafs undgehe abends hin. Gut ausgeschlafen wache icham nchsten Morgen auf, und von da an schlafeich jeden Winter in einem Nachtcaf. Doch erstals Bruder Johannes mir einen guten Schlafsackmitgibt und ich im Park ausgeschlafen und frischaufwache, wei ich, ich kann ohne Wohnung

    und ohne Geld leben.Ich richte mich auf das berleben durch regel-mige Nutzung der Hilfsangebote ein. OhneWohnung, ohne Geld. Alle Zeit der Welt ist nichtmehr. Aber ich habe noch viel Zeit fr mich. Dafange ich an, mich einzubringen. Ich hatte Zeit.Da gibt es die Episode beim Umbruch des Ver-eins Unter Druck. Ich war in den Vorstand ge-whlt worden, da musste auf die drohende Kr-zung der Zuwendungen reagiert werden. Meinebeiden Vorstandskollegen waren nicht da. DasArbeitsrecht kennt aber bestimmte Fristen, undso habe ich mich hingesetzt und die Entlassungs-schreiben verfasst und ausgedruckt. Ich habedann gewitzelt, ich sei der einzige Obdachlose,

    der Mitarbeiter entlassen hat.

    FazitIn Deutschland wird auf das Geld geschaut: Hastdu was bist du was. Arme haben einen Schatz,der viel zu wenig gewrdigt wird: Zeit haben! Ichhabe die Zeit genossen. Was fr ein Luxus!

    Karikaur: OL

  • 7/24/2019 LUXUS? Ausgabe 19 strassenfeger

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    Pumpipumpe Map: Suche au

    der Pumpipumpe-Map: Wo

    bekomme ich jez in Berlin

    ein Wael- oder Bgeleisen

    her? (Foo: Boris Nowak)

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober | LUXUS

    INFO

    www.pumpipumpe.ch

    Wohnst Du schon?

    Dann kleb doch auch!Teilen ist das neue Besitzen. Ein gemeinntziger Schweizer Verein hatein simples System entwickelt, um mit Nachbarn Kontakt aufzunehmenund Gebrauchsgegenstnde zu teilen.B E R I C H T: B o r i s N o w a c k

    Wer braucht schon alles, wenn doch allezusammen alles haben? Die sogenannteShare-Economy, die Wirtschaft des Tei-lens, ist die Zukunft. Sie besitzen eineBohrmaschine? Schn! Die brauchen Sie

    durchschnittlich anderthalb Minuten im Jahr. In der Schweizzumindest.* Aber gerade jetzt brauchen Sie ein Fondueset frden am Abend zu betrenden Besuch? Sektglser? Discoku-gel? Dann fragen Sie doch Ihre Nachbarn!

    So hnlich dachten sich das wohl 2012 ein paar Desi-

    gner des METEOR Collectifs aus der Schweiz, als sie ihreSticker erfanden. Diese bringt man im Haus einfach am ei-genen Briefkasten an und signalisiert so seinen Nachbarn,dass man etwas auszuleihen bietet. Der Gedanke dahinterist nicht nur ein grner, sondern auch ein sozialer. Denn sospart man Geld und Ressourcen fr einen Schlitten, denman (in Berlin!) gerade ein Mal im Jahr braucht, und kommtauerdem mit seinen ansonsten nur im Vorbeigehen be-grten Nachbarn ins Gesprch und baut soziale Kontakteauf. Sharing is caring, so to say.

    B e r l i n t e i l t g e r n e

    In Deutschland sind die Sticker in Berlin am weitesten ver-breitet. Aber auch in den USA, dem Land er unbegrenztenEinkaufsmglichkeiten, teilt man berraschenderweise gerne.Rund 16 000 Haushalte weltweit nutzen Pumpipumpe inzwi-schen. Wenn das Collectif diesen Erfolg vorhergesehen htte,

    htte es vielleicht den Namen anders gestaltet. Aber Pumpi istnun mal der Schweizer Begriff fr Fahrradluftpumpe, die mansich eben gerne ausleiht. Und keine Sorge, Pumpi macht nichtvor neuen Medien schlappi: Derzeit ist die Pumpipumpe-Mapin Entwicklung. Registrierte Nutzer knnen sich nun auf einerKarte im Internet eintragen und ihresgleichen finden.

    Ein Blick auf die Berliner Pumpipumpe-Karte machtVorfreude auf Stichsge und Nhmaschine und neue Freund-schaften in der Nachbarschaft. Und seien wir ehrlich, wasknnte es Schneres geben, als die holde Nachbarin oder den

    durchtrainierten Nachbarsjungen eines Tages mit den verfh-rerischen Worten zu begren: Prte-moi ta pompe. Frfnf (nicht inflationssichere) Euro kann sich jeder die Auf-kleber zuschicken lassen oder direkt in Bern oder Zrich, denbeiden Standorten des METEOR Collectifs, abholen.

    *) htp://www.ww.ch/de/akuell/medien/?1759/Gerade-einmal-

    15-Minuen-in-Gebrauch

    Leserrage: Was mache ich, wenn ich das ganze Haus vonPumpipumpe berzeugen will und es noch keine Aufleber gib?Auflsung au unserer Facebookseie ab Erscheinungsdaumuner wwhtps://de-de.acebook.com/srasseneger.mob.e.V

  • 7/24/2019 LUXUS? Ausgabe 19 strassenfeger

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    Auguse Frsin von Liegniz, geb. von Harrach (18001873) nach Wilhelm von Schadow,Porzellanmalerei (Foo: Wolgang Pauder SPSG)

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober LUXUS |

    FrauensacheEine Ausstellung im Schloss Charlottenburg

    ber die Frauen der HohenzollernB E R I C H T : M a n f r e d W o l f f

    Preuen das scheint eine reine Mnnersa-che zu sein, die vom Groen Kurfrst, Al-ten Fritz und Kaiser Wilhelm geschaffenwurde. Sie werden von der Geschichts-

    schreibung aus allen mglichen und unmgli-chen Perspektiven beleuchtet und werden dabeiimmer grer und wichtiger, lassen alle anderenverblassen, vor allem die Frauen an ihrer Seite.

    Nach der festen berzeugung der Herrscher hat-ten die Frauen, die durch eine arrangierte Heirat(heute nennen wir in brgerlichen Kreisen sowaseine Zwangsehe) zu Frstinnen oder Knigin-nen wurden, nur eine staatstragende Pflicht: Siesollten Kinder gebren, am besten Jungen, damitdie Dynastie erhalten blieb. Wenn sie dann nocherbberechtigt aus einer wackeligen Dynastie ka-men, war das auch ein erwnschter Beitrag zurStrkung des Staates, der nur dann die Aufmerk-samkeit der Historiker weckte, wenn es deshalbeinen Erbfolgekrieg gab, den natrlich die Mn-ner heldenhaft fhrten.

    Die Ausstellung Frauensache. Wie aus Bran-denburg Preuen wurde im Theaterbau des

    Charlottenburger Schlosses rckt die Frauen derHohenzollern ins Licht und zeigt ihre Bedeutungfr das Entstehen des Staates, der als PreuenVorbild fr den modernen Staat wurde. Die Stif-tung Preuische Schlsser und Grten hebt dieseFrauen auf die verdienten Denkmalssockel, diean der Promenade vor dem Schloss magentafar-ben leer stehen. Ein Gang durch die Ausstellungregt nicht nur den Historiker zu neuen Sichtwei-sen an. Auch die Leser der Yellow Press kommenmit Klatsch und Tratsch auf ihre Kosten.

    Wie wichtig das Kinderkriegen fr diese Frauenwar, demonstriert das Beispiel Sophie Charlottesvon Braunschweig-Lneburg, Ehefrau des Sol-

    datenknigs Friedrich Wilhelm I.. Da sich langekein Stammhalter einstellen wollte, gab man na-trlich ihr die Schuld an diesem Manko. Das Endeder Hohenzollern-Dynastie htte auch das EndePreuens bedeutet. Sie wehrte sich gegen die Vor-wrfe der Unfruchtbarkeit, indem sie Wachspup-pen ihrer beiden frh verstorbenen Kinder inderen Kleidern ausstellte. Die sind jetzt in Char-lottenburg zu sehen. Schlielich gebar sie Fried-rich II. und erfllte damit ihre Pflicht. Friedrichverstarb ohne mnnlichen Nachkommen, wasdaran lag, dass er den Kontakt mit seiner EhefrauElisabeth Christine, auch eine Braunschweige-rin, mied. Beide, Sophie Charlotte und ElisabethChristine, machten mit ihrer Liebe zur Kunst undWissenschaft Berlin zu Spree-Athen. BesondersSophie Charlotte adelte das nach ihr umbenannteSchloss Lietzenburg zum Musenhof.

    Mit der Knigin Luise, einer gebrtigen Meck-lenburgerin, bekam Preuen dann eine Kniginder Herzen. Ihre Rolle in den napoleonischenKriegen und ihre eher brgerlichen Lebensfor-men machten sie zur sagenhaften Mutter desneuen preuischen Staates. Ihre ffentliche Ver-ehrung im ganzen Land gab es Knigin-Luise-Bnde, in denen sich die patriotischen Frauentrafen stellt allerdings die groe Ausnahme dar.Ihr frher Tod 1810 trug sicher zur Entstehungdes Luise-Mythos bei.

    Wilhelm I. gab seine angestrebte Verbindung mitder polnischen Adligen Elisa Radziwill auf Drn-gen seines Vaters auf, weil der die Polin nicht frstandesgem hielt, und heiratete Augusta vonSachsen-Weimar-Eisenach. Diese und auch ihresptere Schwiegertochter Victoria versuchten(allerdings vergeblich), Preuen aus der konser-vativen Ecke auf einen liberalen Weg zu fhren.Beide scheiterten am eisernen Kanzler Bis-marck. Auguste Viktoria, Gemahlin Wilhelms II.,tat sich vor allem in der Frderung der Gesund-heitspflege hervor. Sie stiftete unter anderem dasAuguste-Viktoria-Klinikum in Schneberg, dasdie Berliner nur schnoddrig das AVK nennen.

    Natrlich verschweigt die Ausstellung nicht dieschne Wilhelmine, Wilhelmine Enke, diefnfzehnjhrig ein Verhltnis mit dem Kronprin-

    zen Friedrich Wilhelm begann und ihm bis zu sei-nem Tod als Freundin und Mtresse fast dreiigJahre verbunden blieb. Friedrich Wilhelm erhobsie als Knig zur Grfin Lichtenau und ermg-lichte dieser fr damalige Verhltnisse emanzi-pierten Frau ein angesehenes Leben, umgebenvon Knstlern und Wissenschaftlern. Nahebei imMuseum Charlottenburg in der Schlossstrae istzeitgleich ihr eine eigene Ausstellung gewidmet.

    INFO

    Frauensache.Wie Brandenburg Preuen wurde.

    Theaerbau am Schloss Charlotenburg,Spandauer Damm 10

    Bis 22. November,Diensag bis Sonnag 10 bis 18 Uhr

    Einrit 14 Euro, ermig 10 Euro

    Ein Leben fr die Liebe und die Kunst

    Museum Charlotenburg-Wilmersdor,Schlosssrae 55

    Bis 13. Mrz 2016, Diensag bis Freiag 10 bis17 Uhr, Sonnabend und Sonnag 11 bis 17 Uhr

    Der Einrit is rei.

  • 7/24/2019 LUXUS? Ausgabe 19 strassenfeger

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    Sebasian Bieniek in seinem Aelier

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober | TAUFRISCH & ANGESAGT a r t s t r a s s e n f e g e r

    Ich bin eine Mischung ausScharlatan, Schamane, Clownund Trickser Sebastian BieniekSebastian Bieniek ist einer, der die Kunst der Kommunikation wiekein anderer beherrscht, und das sowohl in der realen als auch inder digitalen Welt. Seine Galerie ist der virtuelle Raum der sozialenMedien, ein riesiges Netzwerk.I N T E R V I E W & F O T O S : U r s z u l a U s a k o w s k a - W o l f f

    S

    eine Fangemeinde auf Facebook, Instagram undTumblr zhlt hunderttausende Leute und tglichkommen neue dazu. Der Maler, Performer, Filme-macher und Fotograf will sich programmatisch denRegeln des Kunstmarkts nicht unterwerfen und hat

    Erfolg damit. Am 24. April 1974 in einem Dorf bei Opole(Polen) geboren, zog er 1989 nach Niedersachsen, studierteFreie Kunst an der Hochschule fr Bildende Knste in Braun-schweig und dann an der Universitt der Knste Berlin, woer 2002 bei Katharina Sieverding einen Abschluss als Meis-terschler machte. Danach absolvierte er ein Regiestudiuman der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Mit sei-nen Filmen und Performances wie etwa Burqa (2009) oderMein Freund H. Winkler von der Deutschen Bank (2013)erregte er groes Aufsehen. Seine 2013 begonnene FotoserieDoublefaced, die sich zuerst in den sozialen Medien aus-breitete, machte ihn international bekannt. Was SebastianBieniek beschftigt, ist die multiple Persnlichkeit und die Bi-polaritt, also wie Virtualitt die Realitt und das Individuumbeeinflusst und verndert. Sebastian Bieniek, der darber

    auch das Buch Realfake geschrieben hat, ist in Wirklichkeitein charmanter und eloquenter Mensch und ein konsequen-ter Knstler, wovon ich mich beim Besuch seines Ateliers inFriedrichshain berzeugen konnte.

    Urszula Usakowska-Wolff: Deine Kunst setzt sich, unab-hngig davon, ob es sich dabei um Malerei oder Fotogra-fie handelt, aus Serien, die Du Reihen nennst, zusammen.Liegt Deiner Arbeitsweise ein Konzept zugrunde oder istsie spontan?

    Sebastian Bieniek: Ich bin eigentlich jemand, der aus demBauch, aus dem Gefhl heraus arbeitet. Serien sind fr michwichtig, denn sie garantieren, dass die Arbeit eine bestimmteKonsequenz und Dauer hat. Dabei folge ich einem Rhythmus,den man mit einem Lied vergleichen kann. Da gibt es ja einenTon und einen Rhythmus, die ber eine bestimmte Zeit: vier,manchmal sechs, manchmal zehn Minuten durchgehalten wer-den mssen, damit sich etwas entfaltet. Wenn ich an einem Bild

    arbeite, folge ich halt diesem Rhythmus, woraussich ein Konzept entwickelt. Dieser intellektuelleberbau, also das Konzept, ist nie eiskalt, kausaloder logisch. Es ist bei mir immer mit einer Emo-tion verbunden.

    Was sind das fr Emotionen? Aus welchenEmotionen entwickelte sich zum Beispiel DeineBrenreihe?

    Meine Arbeiten hngen sehr stark mit mei-nem Leben zusammen. Die Bren sind entstan-den, als ich in Berlin Filmregie studierte und dieBeziehung zur Mutter meines Sohnes in die Br-che ging. Die Illusion, eine Familie zu haben undin einem kreativen Umfeld zu arbeiten, war ka-putt. Das mit den Bren hat sich aus dieser Si-tuation einfach ergeben. Ich musste zu den Wur-zeln zurckkehren, also fr meinen Sohn sorgenund malen. Das ich malen kann, ist nichts Beson-deres, jeder kann malen, denn das ist eine Frage

    der Technik, aber die Fertigkeit hatte ich ja, alsohabe ich fr mich und meinen Sohn gemalt. Ichhabe zuerst eine Leinwand und Farben aufgestelltund gesagt, jetzt fange ich an. Das mache ich oftso. Ich male einfach drauflos und hre auf, wennich etwas erkenne. Da mein Sohn Bela heit undweil er l als r ausgesprochen hatte, dachte er, ersei ein Br. Es gab viel Spielzeug in der Wohnung,viele Teddybren, wir guckten Filme ber Bren,es gab pltzlich sehr viele Bren in meinem Le-ben, da habe ich einen Bren auf meiner Lein-wand gesehen und ich habe gesagt, das ist gut,weil mein Leben damals halt so war.

    Um fr Deine Kunst zu werben, benutzt Du diesozialen Medien. Deine Fanseite auf Facebookgefllt fast einer halben Million Menschen. Sieverfolgen darauf den Entstehungsprozess Dei-

    INFO

    Sebast ian Bi eniekAbabdbabdbad

    Noch bis zum 25. Sepember

    Projekraum ExperimenalsysemLenausrasse 2312047 Berlin

    ffnungszeien: Freiag 15 19 Uhrund nach Vereinbarung

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  • 7/24/2019 LUXUS? Ausgabe 19 strassenfeger

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    Im Aelier von Sebasian Bieniek

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober TAUFRISCH & ANGESAGT | a r t s t r a s s e n f e g e r

    ner Kunst, kommentieren Deine Kunstwerke.Ist das fr Dich frderlich oder einfach nur fun?

    Ja, das ist absolut frderlich, das bringtgenau dasselbe, wie eine Ausstellung, wobei esbequemer ist, schneller geht und nichts kostet.

    Es bringt Geld, Sammler, Aufmerksamkeit undAuftrge, Ausstellungen in den Galerien, allesgeht einfach schneller und ich brauche nicht ausdem Haus zu gehen. Mittlerweile sind darausauch persnliche Kontakte und Freundschaf-ten im wirklichen Leben entstanden. Selbst wirkennen uns ja vom Facebook. Manchmal meldensich Leute aus allen Teilen der Welt und schrei-ben, sie folgen schon seit Jahren meiner Arbeit,es ist also eine ganz intensive Sache, wie man dieLeute an sich binden kann. Sie gucken sich meineSeite jeden Tag an, also 365 Tage im Jahr und dasseit fnf Jahren! Das hat eine hhere Intensittals jede Ausstellung. Das ist also ein ganz ande-rer Rahmen. Eine traditionelle Ausstellung hat

    sehr viel mit Architektur zu tun. Es sind groeRume, in denen Kunst inszeniert wird, es istwie in einer Kirche, du musst vor der Kunst aufdie Knie fallen, nur, weil der Raum so gro ist.Dieses Werkzeug habe ich nicht, ich brauche esnicht, es ist ein sehr inhumanes Werkzeug, Leutemit der Architektur zu unterjochen. Sie ist dazuda, um den Leuten zu zeigen, wie klein sie sind.

    Was mich besonders beeindruckt, ist DeineHaltung gegenber den Galerien. Du bemhstDich um keine Ausstellungen, wartest, bis dieGaleristen zu Dir kommen und Dir eine Aus-stellung anbieten. Das ist eher eine Ausnahmein der Kunstwelt. Du bst also demonstrativenVerzicht, was Deiner Popularitt nicht schadet.Warum ist es so?

    Der Grundfehler vieler Knstler ist, dass

    sie sich bei den Galerien anbiedern. Fr meinenknstlerischen Werdegang war am wichtigstendie Begegnung mit Bla Tarr, einem ungarischenFilmregisseur, bei dem ich in Berlin studierthabe und wir Freunde geworden sind. Das ist ein

    ganz toller Mensch, ein Avantgarde-Regisseur,der Das Satanstango und zuletzt Das Turi-ner Pferd gedreht hat. Er sagte zum Beispielzu mir: Sebastian, versuche niemals durch denVordereingang zu gehen, weil da tausende Leutestehen, sondern geh immer durch den Hinterein-gang. Das ist die eine Sache, aber viel wichtigerist es, nie da hinzugehen, wo groes Gedrngeherrscht, sondern die Leute zu sich kommen zulassen. Man hat dadurch einfach einen strategi-schen Vorteil. Wenn jemand zu dir nach Hausekommt, dann muss er deine Regeln akzeptieren,es sei denn, dass du dich den Regeln der anderenunterwerfen willst. Das darfst du als Knstleraber nicht tun, und deshalb tue ich das nicht. Alle

    Kontakte, die ich habe, entstanden durch Leute,die zu mir gekommen sind. Alles andere hltnicht. Knstler haben das natrliche Interesse,Kunstwerke zu produzieren und auszustellen,sie wollen nichts Bses, jeder, der ihnen das an-bietet, ist deren Partner. Galeristen haben andereInteressen und das ist schwer zu durchschauen,welche Interessen das sind. Das ist nicht so ein-deutig. Viele sagen: Ich liebe Kunst, aber dasist ein komischer Dialekt, der in der Kunstweltgesprochen wird. Bei mir war letztens eine Frau,die extra aus Frankfurt gekommen ist. Sie sagte:Sebastian, ich liebe deine Kunst, sie ist so toll,du vernderst mich. Ich will unbedingt mit diretwas machen, eine Ausstellung, ein Knstlerge-sprch, egal was. Ich will Deine Kunst unbedingtkaufen, ich zahle den doppelten Preis, denn siefindet selbst Ai Wei Wei toll. Und dann fragte

    sie mich, ob ich Ai Wei Wei, der demnchst nachFrankfurt kommen sollte, persnlich kenne. Als

    ich es verneinte, war die ganze Sache vorbei. Soungefhr sieht die Liebe zur Kunst aus (lacht).

    Fr groes mediales Aufsehen sorgt die Reiheder Doublefaced, die Du 2013 begonnenhast. Woher kommt Dein Interesse fr die Ja-nuskpfigkeit? Willst Du zeigen, dass die Men-schen viele Gesichter haben oder dass sie ihreGesichter hinter Masken verbergen? Ist es Deinpersnliches Facebook?

    Diese Reihe hngt auch mit meinem Lebenzusammen. Als mein Sohn einmal sehr verrgertwar und schmollte, habe ich ihm ein lachendesGesicht auf die Wange gemalt. Da merkte ich,dass man mit ganz wenigen Strichen das Bild

    einer Person verndern kann. Es braucht sehrwenig, damit sich alles dreht. Ich glaube, dass esdiese Dualitt schon seit immer gibt. Es ist alles inallem drin: etwas Gutes und etwas Bses, etwasHelles und etwas Dunkles, etwas Rotes und etwasGrnes. Was man sieht, hngt vor allem vom Be-trachter ab. Wenn ich darauf sensibilisiert bin, indir nur rot zu sehen, dann sehe ich rot, egal, wasdu sagst oder anhast. Wenn ich nur das Schlechtesehen will, sehe ich nur das Schlechte. Es gibt sehrviele Themen, mit denen wir es in unserer Zeit zutun haben: die Genderfrage, die Bipolaritt. Vorzehn Jahren wusste ich nicht, was Bipolaritt ist,und heute scheint es alle zu betreffen.

    Einen Teil der bipolaren und januskpfigen Bil-

    der zeigst Du jetzt im Projektraum Experimen-talsystem. Was bedeutet der Titel der Ausstel-lung Ababdbabdbab? Ist das Dada?

    Ich wollte, dass keine bestimmte Informa-tion rberkommt. Ich wollte einen Titel haben,bei dem, wenn man ihn liest oder hrt, kein kon-kretes Bild vor den Augen entsteht. Diese Bilderhaben etwas mit meiner Arbeit, mit den Fotogra-fien zu tun, weil ich sie als Vorlage benutzte. Ichhabe mich, wie immer, beim Malen gehen lassen.Es war mir vllig egal, in welche Richtung esgehen wird. Das war wieder so eine Kommuni-kation mit der Leinwand, denn ich arbeitete solang, bis ich ein Gesicht auf der Leinwand er-kannte und dann hrte ich auf.

    Wer ist denn Dein Vorbild? Gibt es eine Knst-lerin oder einen Knstler, die Du bewunderst?

    Mir gefallen bestimmte Haltungen. Es gibt jadiese Opferknstler, die fr die ganze Welt leidenund die saufen und kiffen, das ist so theatralisch,das mag ich gar nicht. Ich mag eher die Fchse:Duchamp ist fr mich so ein Fuchs. Er hat sichber die Kunstwelt lustig gemacht, das macheich ja auch. Die Kunst ist ein Spiel. Ich denke,dass ich so bin, wie ein Knstler sein sollte: eineMischung aus Scharlatan, Schamane, Clown,Trickser. Ich denke, dass ist das, was den Knst-ler ausmacht. Er ist einer, der mit Figuren und mitSachen spielt, mit denen man nicht spielen kann,aber er spielt trotzdem damit. So sollte ein Knst-ler sein. Und berhaupt: Man muss sich ber allelustig machen und die Autoritten infrage stellen.

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    Nena (Foo: Michael Schilling / Wikipedia CC BY-SA 3.0)

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober | TAUFRISCH & ANGESAGT P U N K t r i f f t P R O F

    Oldschool ist fr micheine Art BasisstationDie Promi AnnA LYseI N T E R V I E W: A n n e - L y d i a M h l e m i t N e n a

    P U N K t r i f f t P R O F

    D I E P R O M I A n n A L Y s e

    Anne-Lydia Mhle: Am 27. Februar istdiesen Jahres ist Dein neues AlbumOldschool erschienen. Was ist frDich Oldschool?

    Nena: Oldschool ist fr mich eine Art Ba-sisstation, an der ich mich zu Hause fhle, undgleichzeitig bleibe ich als Oldschooler offen frdas Leben und die Menschen, die mir begegnen.

    Wie bzw. warum kam es fr das Album Old-school zur Zusammenarbeit mit Samy Deluxe?

    Samy kam eines Tages ungefragt mit einpaar Songideen, die mich sofort zu hundert Pro-zent abgeholt haben. Schon beim ersten Hren

    war klar, dass ich aus der Nummer nicht mehrraus will. Er hatte die Vision fr das Album, und

    ich bin an den Stellen eingestiegen, die fr michbestimmt waren. Wir hatten eine schne Zeit.

    Im Sommer 2015, bis in den Herbst hinein, bistDu auf groe Deutschland/sterreich-Tour undvorher, im Mrz war die Oldschool-Clubtourin kleineren Lden. In Kreuzberg hast Du am4. Mrz ein Konzert im SO 36 gespielt! Cool!Was bedeutet das SO 36 fr Dich?

    Im SO 36 zu spielen war ein hnlichesGefhl wie im CBGB in New York einfachumwerfend und toll! Der Laden war brechendvoll, es war hei und verschwitzt, so wie sich dasfr einen guten Club-Gig gehrt.

    Das SO 36 gabs ja schon in den 80ern inKreuzberg. Wie hast du Kreuzberg damals er-lebt? Gibt es eine alte Geschichte, die Du er-zhlen mchtest?

    In meiner Anfangszeit in Berlin wohnte ichschrg gegenber vom SO 36 damit fhle ichmich bis heute verbunden, und ich bin froh, dassder Laden immer noch aktiv ist.

    Ebenfalls in den 80ern, als die rzte nochganz unbekannt waren, haben sie den Film Ri-chy Guitar gedreht. Du hast einen Auftritt alsNENA in dem Film und supportest damit dierzte, wie kam es dazu?

    Die rzte waren schon damals arrogant-sexy, wilde, ungestme, bereichernd-ernsthafte,intelligente Top-Jungs mit Humor. Da konnteich nicht vorbeischauen. In einem unserer ers-ten groen Konzerte, Deutschlandhalle Berlin,standen sie mal berraschenderweise in der ers-ten Reihe... Irgendwann luden sie mich zu einemGastauftritt in ihrem Film ein, und natrlich habeich die Einladung ohne zu zgern angenommen.

    Du singst auf Deiner neuen Platte: Nena, jetztsein doch mal nicht so berufsjugendlich! Dufragst: Muss ich jetzt Ohrringe aus Perlen tra-gen? Erwarten das Leute von Dir? Machst Duberhaupt was Leute von Dir erwarten?

    Mein Oldschool-Album ist eine Ansage andie Leute, die glauben, dass man ab 50 praktischauf der Abwrtskurve wandelt. Ich verurteile das

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    Album Cover OLDSCHOOL (Foo: Alexander-Huseby)

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober TAUFRISCH & ANGESAGT | P U N K t r i f f t P R O F

    nicht, ich habe selbst auch noch ein paar Glau-bensmuster, die ich knacken will. Wir knntenuns alle gegenseitig viel mehr eine Inspirationsein, anstatt uns stndig die Ellenbogen in dieRippen zu hauen. Tatschlich gilt fr mich, dasswir alle Eins sind und so etwas wie Trennung nurin unseren Kpfen existiert.

    Das Lied Peter Pan singst du gemeinsam mitdeinem Sohn Saskias. Warum habt ihr genaudieses Lied fr ein Duett ausgesucht? Sinddeine Kinder auf der Tour mit auf der Bhne?

    Zwei meiner inzwischen erwachsenen Kin-der sind seit ein paar Jahren feste Bandmitglie-

    der. Mein jngster Sohn hat auf der ClubtourKeyboards gespielt und wird im Oktober bei denRadiogigs auch wieder dabei sein. Wir sind gernezusammen unterwegs und untersttzen uns ge-genseitig bei all unseren Projekten. Die Musikverbindet uns als Familie auf vielen Ebenen.

    Wie war das damals mit Udo Lindenberg? InDeinem autobiographischen Buch: Willst Dumit mir gehn, von Dir und Claudia Thesenfitz(2006) erzhlst Du, er htte Dich fter irgend-wie getarnt und inkognito ins Hotel geschleust...

    Udo und ich sind uns vor vielen Jahren zu-fllig in Berlin am Flughafen begegnet, und vonda an waren wir beide ein Jahr lang als Geheim-

    detektive unterwegs und irgendwie unzertrenn-lich. Wir hatten Spa daran, undercover durchdie Lande zu ziehen und ja, es stimmt... Ich binmehr als einmal mit alten Decken oder einer Af-fenmaske auf dem Kopf mit Udo durch irgend-welche Hotellobbys gerauscht. So blieben wirunentdeckt und konnten fern jeglichem Boule-vard-Gedns ungestrt rumknutschen.

    Hast du Berhrungspunkte mit dem Thema Ob-dachlosigkeit?

    Vor vielen Jahren lernte ich ein Straenkindnamens Katharina kennen, die mit ihrer Ratteauf der Strae lebte. Wir luden beide ein, fr einpaar Monate bei uns zu wohnen. So kamen wirzum ersten Mal intensiv mit dem Thema in Be-rhrung. Das war fr uns alle eine schne undwichtige Erfahrung. Nena 2015 (Foo: Esher-Haase)

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    stras senfeger | Nr. | September - Oktober | TAUFRISCH & ANGESAGT B r e n n p u n k t

    Nie wieder BerlinKlaus Wachsmuth hat 25 Jahre als Alkoholiker auf der Strae gelebtB E R I C H T & F O T O S : L e o n i e K a r n o w s k y ( P r a k t i k a n t i n )

    Ein Bahnhof in Berlin. Auf dem Boden achtlos weg-geworfener Mll, an den Wnden Urinflecken, mit-tendrin sitzt Klaus. Frher war sein T-Shirt wahr-scheinlich wei, jetzt jedenfalls ist es grau undgenauso dreckig wie er selbst. Dnn ist er, tiefe Fal-

    ten durchziehen sein Gesicht, die Hlfte davon verdeckt vonseiner zerschlissenen Mtze. Er stinkt. Ungewaschen und nachAlkohol. Vielleicht haben Sie ihn schon einmal gesehen, sofernSie nicht zu jenen Menschen gehren, die sich beim Anblickeines Penners demonstrativ wegdrehen. Klaus Wachsmuth ist48 Jahre alt und hat 25 Jahre auf Berlins Straen gelebt.

    Klaus Geschichte beginnt im Wedding, hier lebt er mit seinenEltern. Whrend seine Mutter arbeiten ist, muss er mit seinemVater, einem Alkoholiker, in die Kneipe. Zuhause schlgt derseinen Sohn oft, weshalb Klaus Gromutter ihn anzeigt. Alser nach neun Monaten Haft wieder zuhause einziehen will,lsst seine Frau ihn nicht hinein, am nchsten Tag wird ertot auf der Strae gefunden. Er ist erfroren, nachdem er dreiLiter Wodka getrunken hat; Klaus ist gerade sechs Jahre alt.Die Mutter lernt einen neuen Mann kennen, der zwei Gemein-samkeiten mit Klaus Vater hat: Auch er ist alkoholabhngigund auch er misshandelt Klaus regelmig. Er stirbt nachzwei Jahren. Wieder ein neuer Mann, er trinkt auch, aber nuram Wochenende. Er verprgelt Klaus bis zu seinem 14. Le-bensjahr. Im gleichen Jahr hat der Junge seinen ersten Voll-

    rausch, beim Geburtstag seines Bruders trinkt er eine ganzeFlasche Apfelkorn. Danach geht es ihm so schlecht, dass ersich schwrt, nie wieder Alkohol zu trinken. Das Versprechenbricht er in seiner Lehrzeit, denn auf dem Bau haben allegesoffen. Er lernt eine Frau kennen, sie ziehen zusammen.Zu diesem Zeitpunkt trinkt Klaus schon so hufig, dass er zurtheoretischen Gesellenprfung mit einer Alkoholfahne auf-taucht und durchfllt, zur Nachprfung tritt er gar nicht erstnicht an. Dann: Die erste Entgiftung. Als er zurckkommt,trennt sich seine Verlobte von ihm, Klaus sitzt auf der Strae.Als er 1991 eine Therapie abbricht und zu seiner Familie will,findet er seine Mutter tot im Bett und erleidet einen Rckfall.Bis der Leichenwagen 13 Stunden spter eintrifft, wird er dreiLiter Asbach und zwei Flaschen Korn getrunken haben. AmAbend besucht er einen Freund, wo er zwei Flaschen selbst-gemachten Vanillelikr trinkt, danach geht er alleine in eineDisco, er trinkt noch zwei Liter Whisky-Cola. Nach vier Tagenim Koma wacht Klaus auf der Intensivstation wieder auf.

    Zwei Monate spter stirbt seine Tante, bei der

    er zeitweise gewohnt hat, dann ging es wiederrichtig los mit dem Trinken. Die nchste Ent-giftung, er kommt fr 14 Wochen ins Gemein-schaftskrankenhaus Havelhhe. Von dort auszieht er in den Schwarzwald, wo er erst fr neunMonate in Therapie ist und anschlieend im be-treuten Wohnen unterkommt. Nach zwei Mona-ten dort zieht er zu seiner neuen Freundin, mitder er insgesamt drei Jahre zusammen ist. Vonda an ist Klaus sieben Jahre trocken, er konzen-triert sich komplett auf seine Arbeit. Er arbeitetals Gipser und Stuckateur im Akkord, er stehtmorgens um fnf Uhr auf und geht nach ein Uhrnachts ins Bett; mit dem vielen Geld, das er ver-dient, kann er seine Schulden in Berlin bezahlen.Nach sieben Jahren geht die Firma pleite, Klausfindet keinen neuen Job und steht wieder vor demNichts. Also zieht er wieder zurck nach Berlin.

    Klaus Wachsmuh ha es gescha

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    stras senfeger | Nr. | September - Oktober TAUFRISCH & ANGESAGT | B r e n n p u n k t

    Als er hier ankommt, holen ihn seine Kumpels

    vom Bahnhof ab, alle mit Flaschen in den Hn-den: Klaus wird erneut rckfllig. Er lebt zeit-weise bei einem Freund, verbringt aber auch vielZeit auf der Strae. Ende des Jahres 2000 unddrei Selbstmordversuche spter beginnt er seinedritte Entgiftung. Als er nach 18 Monaten vomHiram-Haus zurckkommt, hat er eine eigeneWohnung in Lichtenberg, seine neue Freundinwohnt mit ihrer Tochter in Schneberg. Er wei,dass auch die neue Frau trinkt, anfnglich abernur in Maen, er gibt seine Wohnung auf undzieht zu seiner kleinen Familie. Weil seine Freun-din 2009 anfngt, Drogen zu konsumieren, ziehtKlaus die Reileine und macht Schluss. EinenMonat spter stirbt sein Bruder. Klaus stehtwieder auf der Strae und fngt erneut an zutrinken. Letztes Jahr sprt er, dass er das allesnicht mehr aushlt. Er hat genug vom Leben auf

    der Notoperation und einem stationren Aufent-halt taucht Klaus fr drei Wochen unter und lsstsich erst am Tag vor der Entgiftung wieder beiden mobilen Einzelfallhelfern blicken.

    Claudia Haubrich arbeitet seit Januar dieses Jah-res als eine von insgesamt drei mobilen Einzelfall-helfern und kennt dieses Verhalten von Leuten,die sie begleitet. Manchmal breche der Kontakt

    zu Hilfesuchenden einfach ab, weil die Menschendie Hilfe aus verschiedensten Grnden in jenemMoment nicht annehmen knnten. Gerade dannsei es besonders wichtig, eine Beziehung zu ihnenaufzubauen und ihnen Zeit zu geben, sich an dieVernderung zu gewhnen. Fr Claudia sind dieInhalte ihrer Arbeit der Grundgedanke der so-zialen Arbeit, weil man hier die Leute nicht nurberate, sondern vor allem auch begleite, wodurchman auch irgendwie ein Teil vom Leben des An-deren werde. Anders als bei reinen Beratungsstel-len hat hier der Faktor Zeit einen hohen Stel-lenwert und oft ist das genau das, was die Leutebrauchen. Ins Leben gerufen wurde das Projektder mobilen Einzelfallhilfe im Jahr 2011, musstedann aber aufgrund finanzieller Engpsse wieder

    auf Eis gelegt werden. Mitte 2012 konnte es dankder Untersttzung der Deutschen Bahn Stiftungvon 30 000 jhrlich wieder aufleben, vor einigenWochen spendete die BVG 40 000 . Um weiter-hin Menschen wie Klaus helfen zu knnen, ist dasProjekt trotz allem weiterhin auf Spenden ange-wiesen, da es keinerlei staatliche Mittel erhlt.

    Knapp vier Wochen nach seinem Beinahe-Ex-itus, wie er es nennt, erhielt Klaus einen The-rapieplatz auf einem Bauernhof in Klosterfelde,wo er seit November letzten Jahres lebt. NebenGruppen- und Einzeltherapie arbeitet er hier imBaubereich und im Hofladen, wo er Apfelsaftund Fleisch aus eigener Produktion verkauft. Bis

    Ende Juni 2016 mchte er seine Therapie verln-gern und danach ins betreute Einzelwohnen aufdem Hof ziehen, denn in Berlin mchte er aufkeinen Fall wieder leben. Zu schlecht seien dieErinnerungen, in jedem Bezirk habe ich gesof-fen. Noch ein Rckfall wre mein Todesurteil.Klaus ist auf einem guten Weg, aber er wei auch,dass er noch viel Arbeit vor sich hat: Vor ein paarWochen roch ein Gast in der Bahnhofsmissionnach Schnaps. Klaus musste gehen, weil er dasnoch nicht aushlt, die Versuchung ist zu gro.Eine Jahrzehnte andauernde Alkoholerkrankungverschwindet nicht von heute auf morgen, dieHauptsache ist nur, dass Klaus es schafft. Undbis heute hat er schon einiges erreicht: Zum Bei-spiel sieht er lngst nicht mehr so aus, wie ich ihnzu Anfang beschrieben habe. Und das Schnstedaran: Er stinkt nicht mehr nach Alkohol.

    der Strae und davon, dass Freunde neben ihm

    sterben, weil sie an ihrem Erbrochenen erstickenoder sich eine berdosis in die Venen jagen. Alsogeht er zur Bahnhofsmission am Zoo. Ralf Spon-holz, der als mobiler Einzelfallhelfer arbeitet,hatte Klaus schon 2011 gefragt, ob er nicht eineEntgiftung machen wolle, er wollte nicht. Jetztwill er. Gemeinsam wird alles in die Wege gelei-tet, im November 2014 soll es losgehen. Klaushtte es fast nicht geschafft: An einem Tag imOktober kommt er zur Bahnhofsmission, seinganzer Krper ist merkwrdig aufgedunsen. Inder Notbernachtung war er zuvor betrunkengestolpert und auf eine Tischkante gefallen, imKrankenhaus stellt man fest, dass zwei Rippengebrochen sind, die sich in die Lunge gebohrthaben. Deshalb hat Klaus Atemluft ihren Wegnicht wie gewhnlich zur Lunge gefunden, son-dern sich in seinem ganzen Krper verteilt. Nach

    Klaus und seine mobile Einzelallhelerin Claudia Haubrich

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    skurril, famosund preiswert!Kulturtipps aus unserer RedaktionZ U S A M M E N S T E L L U N G : R e d a k t i o n

    ZIVILGESELLSCHAFT

    TTIP und CETA stoppen!

    Gewerkschaften, Verbnde und Kulturschaffende rufengemeinsam zu einer Grodemonstration zum Stopp derVerhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP zwischenden USA und der Europischen Union sowie zur Nicht-Ratifi-zierung des Freihandelsabkommens CETA zwischen der EUund Kanada am 10. Oktober in Berlin auf. Mit den demokra-tiegefhrdenden und intransparent verhandelten AbkommenTTIP und CETA drohen negative Auswirkungen auf vieleBereiche des tglichen Lebens, betonen Vertreter desBndnisses TTIP & CETA stoppen!. Vor diesem Hinter-grund haben sich Gewerkschaften und Organisationen ausden Bereichen Umwelt-, Entwicklungs- und Sozialpolitik,Demokratie, Brger- und Verbraucherrechte sowie Kulturzusammengeschlossen, um mit der Demonstration eindeutliches Zeichen an die Politik zu senden.

    10. Oktober

    Auakkundgebung: 12 Uhr,Berlin/Haupbahnho Washingonplaz

    Abschlusskundgebung im Anschluss

    an die Demonsraion am Brandenburger TorIno: www.tip-demo.de/home/auru/

    GEMLDEGALERIE

    The Botticelli Renaissance

    In der Gemldegalerie ist die Sonderausstellung THEBOTTICELLI RENAISSANCE zu sehen. Kaum ein andererKnstler hat die Kunst der Moderne und Gegenwart soinspiriert wie Sandro Botticelli (1445 1510). Wie erlangteder Knstler diesen Status universaler Berhmtheit? Wiewurde er zur Pop-Ikone? Warum gelten seine Werke alszeitlos? ber 40 Originale Botticellis werden im Dialog mitExponaten anderer Knstler prsentiert, z. B. Edgar Degas,Ren Magritte, Andy Warhol, Cindy Sherman, Francis Picabiaund Bill Viola.

    Vom 24. September bis 24. Januar 2016

    GemldegalerieSauffenbergsrae 4110785 Berlin

    Ino: www.boticelli-renaissance.deFoo: Andy Warhol: Deails o Renaissance Painings (Sandro Boticelli, Birh

    o Venus, 1482), 1984. Collecion o The Andy Warhol Museum, Pitsburgh

    (Quelle: 2015 The Andy Warhol Foundaion or he Visual Ars, Inc. /

    Ariss Righs Sociey (ARS)

    NATUR

    Rund um den ApfelDer Pomologen-Verein Branden-burg e.V. zeigt eine Ausstellungverschiedener Apfelsorten. Grtnerknnen Obstsorten (max. 3 proPerson) bestimmen lassen. Um 14Uhr gibt es den Vortrag Pflege vonObstgehlzen von Dr. Friedrich-Karl Schembecker.

    27.09.2015 von 11:00 bis 16:00 Uhr

    Ticke 3 Euro, ermig 2 Euro r denVorrag

    Freilandlabor Briz, Brizer GarenSangerhauser Weg 1

    12349 Berlin-NeukllnIno: www.grueneliga-berlin.de

    MUSIK

    Piano BattleAndreas Kern und Paul Cibisnehmen es sportlich und treten imKampf um die Gunst des Publi-kums und den guten Ton gegenein-ander an: In mehreren Rundenspielen und kmpfen die ehrgeizi-gen Tastenvirtuosen mit Wortenund Noten. Jede Runde ist anders inStil und Form, jeden Abend gibt esSiegestaumel und Verlierertrnen...und die Zuschauer werden zurinteraktiven Jury.

    Am 6. Oktober um 20 Uhr

    Einlass und Resauraion ab 18:30 Uhr

    Tipi am KanzleramGroe Querallee10557 Berlin

    Ino: www.ipi-am-kanzleram.deFoo: Andreas Kern (wei) und Paul Ci-bis (schwarz) (Foo: Mahias Bohor)

  • 7/24/2019 LUXUS? Ausgabe 19 strassenfeger

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    VORSCHLAGENSie haben da einen Tipp? Dann

    senden Sie ihn uns an:

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    Je skurriler, amoser und

    preiswerer, deso besser!

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober TAUFRISCH & ANGESAGT | K u l t u r t i p p s

    LITERATUR

    Kiwitt, kiwittBuchpremiere mit Adolf Endler Kiwitt,kiwitt in der Volksbhne. Katja-Lange-Mller und Peter Wawerzinek unverf-fentlichte Gedichte und Notizen Endlers,die er in seinen letzten Lebensjahrenberarbeitet und zusammengestellt.Adolf Endler hat seine Gedichte wiederund wieder berarbeitet, bevor er siezum Druck freigab. An vielen nderte erber Jahre und Jahrzehnte immer wiederDetails. Selbst die krzesten undpointiertesten Texte nahm er sich immerwieder vor, stellte sie neu zusammen,arrangierte berraschende Kontexte. Soschaffte er es, ihnen eine Leichtigkeit zugeben, die all diese Arbeit nicht mehrspren lsst. Seine Gedichte haben oftdie Urgewalt des Moments, eine allesberwindende Kraft homerischenLachens und eine groe Zartheit.

    Am 8. Oktober um 20 Uhr im Roten Salon

    Karen: 6 EUR

    Volksbhne am Rosa-Luxemburg-Plaz10178 Berlin / Liniensrae 227

    Ino: www.volksbuehne-berlin.deFoo: Verlag

    THEATER

    Aufzug hochSurreales ein Abend von und mitWolfgang Lang auf der kleinenRambazamba-Bhne, die fr soviele die Welt bedeutet. DerSchauspieler war bereits inzahlreichen RambaZamba-Rol-len zu erleben. Er spielte denverrckten Linienricher in EinHerz ist kein Fuball und die Zeitin Alice in den Fluchten.Nachdem er in jede Rolle heimlichseine Texte einfgte, bekommt erdiesen Abend, an dem er alleinFunken schlagen kann. Er liest,spricht und ruft eigene Gedichte.Aber auch Fein- und Unsinnigesvon Jandl, Morgenstern, Hugo Ball,Huelsenbeck und Rimbaud. Und ersingt bekannte Lieder von Eisler,Degenhardt und Dowland, die erauf seine unnachahmliche Weise

    interpretiert. In berhrender Weise.Ein wahrhaft surrealer Abend mitTexten, Liedern und Szenen. Anseiner Seite seine kongenialePartnerin Michle Stieber, an derGitarre Christof Hanusch.

    Unbedingt empfehlenswert !

    30. Sepember & 1. Okober ab 20 Uhr

    Eingang Knaacksr. 97 10435 Berlin,Rollsuhl geeigne

    Kareneleon:030 43735744 (24h)030 44049044 (09-16Uhr)Fax: 030 43735743

    Ino: www.heaer-rambazamba.orgFoo: Ramba Zamba

    THEATER

    Wachtrume Ein Panoptikum

    Das traditionsreiche Theater o.N., ehemals Zinnober,versammelt sieben Spieler aus Ost und West fr einepostutopische Theaterinszenierung. Sie sind noch keine 30und fast schon 70 Jahre alt und wirken in dem kleinenTheater im Prenzlauer Berg seit mindestens drei und bald 40Jahren. Mglicherweise treffen sie aufeinander, weil sie von

    hnlicher Unruhe angetrieben sind. In dieser Inszenierung,die in postutopischen Zeiten ber das Verhltnis vonIndividuum und Gesellschaft nachdenkt, sind die Figurenselbst der Plot. Sie spielen wider scheinbare Gewissheiten,geben unerfllte Trume preis und trumen sich wach.Gemeinsam erkunden die Charaktere in zehn EpisodenSchuld und Verantwortung und die fragile Verlsslichkeitmenschlicher Beziehungen, die immer anders sind, als mansie sich vorgestellt hat.

    Urauffhrung am 17. September 2015, 20 Uhr

    Vom 8. bis 10. Okober jeweils 20 Uhr

    Preis: 12 Euro, ermig 7,50 Euro

    Theaer o.N.Kollwizsrae 53

    10405 BerlinIno: www.heaer-on.com

    MUSIK

    Andrej Hermlin

    Anlsslich seines 50. Geburtstages prsentiert AndrejHermlin mit seinem Swing Dance Orchestra auf der RecordRelease Party im Ballhaus Berlin sein neues Album. Unterdem Titel Happy Birthday Mr. Swing stellt der Jubilar neueSwing-Titel im Stil der 1930er Jahre vor. Hermlin grndetedas Swing Dance Orchestra bereits 1986 und hat mit die-sem Orchester schon viele CDs verffentlicht.

    25. September um 21 Uhr

    Einlass ab 20 Uhr

    Ballhaus BerlinChausseesr. 102

    10115 BerlinIno: www.ballhaus-berlin.deFoo: Andrej Hermlin (Quelle: Willi Wallroh/Wikipedia)

  • 7/24/2019 LUXUS? Ausgabe 19 strassenfeger

    24/32

    stras senfeger | Nr. | September - Oktober | TAUFRISCH & ANGESAGT S o z i a l

    INFO

    www.armusnezwerk.de

    www.berber-ino.de

    hp://naionalearmuskonerenz.de

    Das ArmutsnetzwerkVon der Initiative Berber-Info zum VereinB E R I C H T : D i e t m a r H a m a n n ( V o r s i t z e n d e r d e s A r m u t s n e t z w e r k e . V . )

    Am Anfang stand die Frage: Warum gibt esdie Informationsbroschre Berber-Info derFachhochschule Hildesheim nicht mehr? Siewurde von besagter Bildungseinrichtung inZusammenarbeit mit der zentralen Beratungs-

    stelle Wohnungslosigkeit in Oldenburg bis zum Jahre 2005herausgegeben. Inhalt war eine Auflistung der Hilfeeinrich-tungen fr obdachlose Menschen in Niedersachsen. Mit derEinfhrung der Hartz-IV-Gesetze gab es vermeintlich kei-nen Bedarf mehr an solchen Informationen.

    Der wohnungslose Jrgen Schneider konnte sich damit nichtabfinden und so wandte er sich an den Sozialarbeiter RdigerFth des Kirchenkreisamts Diepholz mit der Bitte um Hilfe.Der konnte den bereits seit lngerem in Internetbelangen eh-renamtlich ttigen Dietmar Hamann aus Schwerin zur Mit-arbeit gewinnen. Es entstand die Webseite www.berber-info.de, die am 3. Dezember 2007 online ging. Hier waren alleHilfseinrichtungen der Wohnungslosenhilfe des Landes Nie-dersachsen in Form eines Nachschlagewerkes aufgelistet.

    Schon bald stellte sich heraus, dass der Informationsbedarfnicht nur bei den Wohnungslosen vorhanden war, sondernauch bei Menschen, die von Wohnungslosigkeit bedroht warenund es wurde klar, dass eine Begrenzung auf ein Bundeslandnicht sinnvoll war. Ausgestattet mit einem Nachrichtenteil,der Einbeziehung der Beratungsstellen der Strafflligenhilfeund der Bahnhofsmissionen beziehen sich die Informationenseitdem auf das gesamte Bundesgebiet. Seit dem Jahre 2008sind die Initiatoren von Berber-Info Teilnehmer der jhrlichstattfindenden Treffen der Menschen mit Armutserfahrungen.Diese Veranstaltungen boten die Gelegenheit, weitere Interes-senten an die Initiative zu binden. Im gleichen Zeitraum ent-stand auch eine Zusammenarbeit mit anderen europischenNetzwerken und Organisationen. So entstand 2009 die Ideeder Grndung eines Netzwerks, bestehend ausschlielich

    aus betroffenen wohnungslosen Menschen. In Vorbereitungwurde im Jahre 2010 eine Webseite mit dem Namen Armuts-netzwerk gestaltet. Die Grndung des besagten europischenNetzwerks mit dem Namen HOPE zog sich hin und die Not-wendigkeit der Realisierung eines nationalen Vereins, um diefinanziellen und organisatorischen Belange der Initiative Ber-ber Info zu klren, wurde dringlich.

    Am 23. August 2011 kam es in Sulingen zur Grndung desVereins Armutsnetzwerk e.V.. Die Grnder beschlossen,sich dem Kampf gegen Armut und Ausgrenzung in seiner gan-

    zen Komplexitt zu widmen. So ist das Armutsnetzwerk alsunabhngige Organisation bestrebt, in Kooperation mit ande-ren regional, bundesweit und international aktiven Initiativenund Organisationen von Menschen mit Armutserfahrungen,Obdach- und Wohnungslosen sowie sogenannten Randgrup-pen zusammenzuarbeiten. Das Portal des Armutsnetzwer-kes gewhrleistet einen stndigen Informationsfluss zwi-schen den Betroffenen, den politischen Entscheidungstrgernund der Zivilgesellschaft. Es informiert ber den politischenUmgang mit der Armut und berichtet unvoreingenommenber die Realitt und die Existenz der bestehenden Armut.

    Das Armutsnetzwerk will Selbsthilfepotenziale strken undfrdern und an