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jazzwerkstatt Magazin Nr. 2

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jazzwerkstatt

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jw119 Alexander von Schlippenbach & Manfred Schoof - Blue Hawk

jw106 Boom Box Willi Kellers/Thomas Borgmann/Akira Ando - Jazz

Die Zeitung „All About Jazz“ aus New York City hat 3 unserer jazzwerkstatt CDs von 2011 als beste Veröffentlichung des Jahres ausgezeichnet.

Die Jazz-Zeitung in New York hat folgenden jazzwerkstatt CDs ausgezeichnet:

BEST NEW RELEASES 2011 - HONORABLE MENTION:

jw105 Gebhard Ullmann/Tá Lam 11 - Mingus!

Warten auf A Short History

Ich weiß noch gut, wie viel Respekt ich empfand, als ich das erste Mal ein Album von Rova hörte – es waren die Achtziger, und das Album hieß „This, This, This, This“ (Moers Music). Beeindruckt hat mich damals nicht nur die Homogenität der Klangfarbe, sondern auch die kompromisslose Komplexität der Musik, die das Saxofonquartett zum Besten gab. Genauso dachte ich früher auch über die Streichsextette von Brahms, bis ich etwas älter wurde und gelernt hatte, richtig hinzuhören: Was ich als halbwüchsiges, von der Übermensch-Melodramatik Wagners eingenommenes Pickelgesicht als zäh und trübe empfand, erwies sich später als üppig und tiefgründig. So verhält es sich auch mit Rova. (Und das mit der Homogenität der Klangfarbe ist natürlich auch nur dummes Zeug. Zu behaupten, ein Sopransaxofon klinge wie ein Bariton, ist genauso dämlich, wie wenn man sagen würde, eine Geige klinge wie ein Cello.) Da wir es hier nicht mit deutlich verschiedenen Instrumenten zu tun haben, die gegeneinander ausgespielt werden – die Versuchung, Instrumente zu personifizieren und Musikstücke mit Theaterstücken zu vergleichen, ist ja immer nahezu unwiderstehlich – bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit der Musik an sich auseinanderzusetzen – nämlich mit den Noten. Und die Herren Ackley, Adams, Ochs und Raskin sind ausgewiesene Notenkünstler – „note men“, wie es einer ihrer Helden, Morton Feldman, formuliert hat. Die vier Musiker blicken auf 34 Jahre des gemeinsamen Musizierens zurück. (Im Fall von Adams, der 1988 nach dem Abgang von Gründungsmitglied Andrew Voigt dazukam, sind es allerdings erst 23.) Trotz dieser Langlebigkeit, an die sonst nur das Schlippenbach-Trio und Borbetomagus herankommen, haben sie anscheinend nur wenig Interesse an den Flatter-, Klick- und Knallgeräuschen der

„neuen“ Saxofonsprache der letzten 15 Jahre. Aus den drei Stücken, die hier präsentiert werden, wird unmissver-ständlich klar, dass die guten alten zwölf Töne noch immer genug hergeben, um unserem Ensemble genügend Material für weitere drei Jahrzehnte zu liefern.

Ursprünglich als Eröffnungsnummer für Rova-Konzerte konzipiert, entwickelte sich „The Blocks“ von Steve Adams bald zu einem vielschichtigen, an Elliott Carter erinnernden Doppelsolo von sich überlagernden Taktarten und Tempi. Die Spannung zwischen dem dichten, netzartigen Notenmaterial und den improvisierten Duos ist es, wovon das Stück und damit das ganze Album lebt, und genau diesen produktiven Mittelweg zwischen Komposition und Improvisation pflegen Rova seit mehr als dreißig Jahren. Larry Ochs bezeichnet ihn als „strukturierte Improvisation“ und bemerkt, dass Ausarbeitung dieser Art Musik „immer die meiste Zeit erfordert, mehr als rein notierte Musik oder freie Improvisation“. Es ist ja auch klar: Wenn alles aufgeschrieben ist, muss man nur noch das spielen, was auf dem Blatt steht (wenn man’s denn kann). Und wenn gar nichts aufgeschrieben ist, braucht man noch weniger Zeit. Aber Rova haben sich noch nie mit dem einfachsten Ausweg zufriedengegeben. Und obgleich konventionelle Noten bei einem Großteil ihrer Musik eine Rolle spielen, haben sie zusätzlich ein ganzes Arsenal an weiteren Techniken in der Trickkiste. Jon Raskins „To The Right Of The Blue Wall“ besteht zu einem guten Teil aus dem, was er „process cues“ nennt – das umfasst „maskieren“, „einen Sound übernehmen“, „die Zwischenräume zwischen Sound-Ereignissen verändern“ und andere

komplexe Systeme von geleiteten „Händespielen“ – und aus „sound cues“, zu denen auch koordinierte Änderungen der Klangfarbe und Dynamik zählen können, oder eben, wie hier, die Verwendung einer von Kandinsky inspirierten grafischen Notenschrift – und Fotografien. Dabei dürfte es wohl niemanden überraschen, dass der in Kalifornien ansässige Komponist ausge-rechnet Fotos von Trauben und Weinreben heranzieht. Noch nie hat Obst so gut geklungen.

In meiner militant-avantgardistischen Anti-Brahms-Zeit auf der Uni habe ich einmal voller Empörung den Hörsaal verlassen, als Robin Holloway die Komponisten Britten, Schostakowitsch und Copland als „natürliche Serialisten“ bezeichnete. Erst später erkannte ich, dass dies kein vernichtendes Urteil über meine damaligen Zwölftongötter war, sondern simple Wahrheit: Denn Benjamin, Dimitri und Aaron waren nicht weniger besessen von der akribischen Untersuchung aller möglichen und unmöglichen Facetten der kleinsten Juwelen ihres Musikmaterials als Arnold, Alban und Anton. Meiner Ansicht nach würde Holloway (der schließlich meine Begeisterung für Brahms weckte, als er mir dessen Einfluss auf Schönberg erklärte) wohl auch Adams, Raskin und Ochs ohne Weiteres in seine Liste der natürlichen Serialisten aufnehmen. Das monumentale „Certain Space“ von Ochs beginnt mit einer zweieinhalbminütigen Introduktion, deren Mittelstimme, ein „cantus firmus“ aus neun Tönen, bereits die Keimzelle des Tonmaterials für das ganze Stück in sich birgt. Man beachte die Häufigkeit von Halb- und Ganztönen sowie großen und kleinen Terzen. Außerdem stellen die inneren Wiederholungen in der Introduktion den Kern der Triller und wiederholten Noten dar, die in späterer Folge erklingen. Hier gibt es so viel Rohmaterial, dass ein ausgewiesener Serialist eine ganze Sinfonie daraus machen könnte, aber Ochs zieht es vor, die (Zweite Wiener) Schule zu schwänzen und stattdessen durch das Fenster ins Unterholz

hineinzuspringen. Dort widmet er jeden der Hauptteile seines Stücks einem anderen Komponisten – Giacinto Scelsi, Cecil Taylor und Morton Feldman –, für den die Improvisation (die wir im Fall von Feldman wohl lieber Intuition nennen sollten) wichtiger war als ein konsequenter theoretischer Bogen. „Jeder Teil ist eigentlich ein Konzert für einen Solisten, bei dem die drei anderen Spieler gleichzeitig den Kontext herstellen, über dem sie später ihr eigenes Solo spielen werden“, sagt Ochs. „Ich nenne die Solisten ‚freie Kräfte‘, weil sie die Freiheit haben, sowohl vor dem Hintergrund als auch innerhalb des Hintergrunds zu spielen – oder auch gar nicht zu spielen.“ Nun stimmt es ja, dass aus kleinen Samen große Bäume wachsen, aber ganz egal, wie sorgfältig sie vom Gärtner gepflegt werden, sind sie doch immer auch den Kapriolen des Wetters ausgesetzt. Und mit besagtem Hintergrund (oder besser: besagten Hintergründen, die oft aus sorgfältig aufgeschriebenen Akkordfolgen oder Tonkonstellationen bestehen, die nach penibler Probenarbeit bei der Aufführung von Ochs aufgerufen werden) ist es wie mit dem Wetter: Egal, ob man seinen Tagesablauf darauf abstimmt oder es lieber gänzlich ignoriert, hat es einen unvermeidlichen, wenn auch subtilen Einfluss auf das eigene Verhalten und die eigene Stimmung. Ochs bringt es auf den Punkt: „Der Hintergrund wirft vielleicht ein noch deutlicheres Schlaglicht auf den Widmungsträger als die Soli.“

Aber sowohl der Hintergrund als auch die Soli spiegeln die atemberaubende Virtuosität und das vollkommene musikalische Können dieser Jungs wider. Und keine noch so detaillierten schrift-lichen Erklärungen im Begleitheft (von dem Larry Ochs übrigens hofft, dass Sie es erst nach dem Hören des Albums lesen werden, und ich schließe mich dieser Hoffnung von ganzem Herzen an) können den Zuhörer auf die mitreißende Herausforderung von „A Short History“ vorbereiten. Trotz seines Titels fordert und verdient dieses Album ein langes,

Dan Warburton

liebevolles und aufmerksames Hinhören, was es denn auch reich belohnt. ORNETTE COLEMAN ET CETERA USCHI BRÜNING & ERNST LUDWIG PETROWSKY TRIO Das Personenensemble. Auftritt Petrowsky. Der Querdenker, der in seiner jahrzehntelangen Laufbahn, oft das zu sagen und zu spielen wusste, was andere nicht hören wollten. Dass er eben damit richtig lag und liegt, hat ihm nicht nur die passenden Gegner und eine treue Fangemeinde beschert, sondern seine Musik auch auf solche Weise reifen lassen, dass man ihr uneingeschränkt und weit über deutsche Lande hinaus das Gütesiegel „eigenständig“ zuspricht. Luten Petrowsky spielt mit dem über lange Wegstrecken akkumulierten Reichtum seiner musikalischen Biografie. Ihm zur Seite: die Brüning. Gereift zu einer Sängerin, die mit ihrer Spannweite – vom Belcanto des populären Gesangs bis zur völligen Risikobereitschaft in der freien Improvisation – ein gänzlich eigenes Format entfaltet hat und die mit der jeweiligen Stimmigkeit ihres Ausdrucks beharrlich zu verblüffen vermag. Uschi Brüning vokalisiert gemeinsames Leben, verwandelt Alltag in Kunst, Jazz in das, was er immer war oder sein sollte: sound of surprise. Die beiden – Luten und Uschi – eine Lebens- und Künstlergemeinschaft, in der die gegenseitige und gemeinsame Herausforderung zur beständigen Triebkraft, mitunter auch zum qual-vollen Ringen nach hohem Selbst-anspruch geworden ist. Die beiden – ein Springquell der Intuition, der Erfindung, der Überraschung. Vom gemeinsamen Küchentisch hinaus in die Welt. Diese neu erfindend oder aus ungewöhnlichem Blickwinkel betrachtend. Liebgewonnene Idole wie Ornette Coleman kommen dabei ebenso ins Spiel wie das Neue Usel, ein sich der Erklärung entziehendes Musikphänomen neodadaistischen

Charakters aus dem Bohnsdorfer Umfeld. Uschi Brüning und Luten Petrowsky, das „Duo für Stimm- und Bambusblatt“, das – ebenfalls Zitat ELP – die Klischeevorstellungen eines Zusammentreffens von „Schlager-sängerin und Free-Jazz-Chaot“ gründlich zu durchkreuzen weiß, ist längst eine Kunstform in sich und drängte doch immer wieder nach Ergänzung, musikalischer Bereicher-ung und weiter gespannten Kommuni-kationsgeflechten. Das kann oder konnte eine Bigband sein, eine Jazzcombo wie „Enfant“, die Begegnung mit exzeptionellen Kunstproduzenten wie dem Innova-tionskomponisten und Echtzeit-elektroniker Georg Katzer oder die Kooperation mit dem Wortakrobaten, Dichter und Hinterlistiker Wiglaf Droste. Das Duo also schreit nach Umgebung und findet hier nun zu einer neuen Entität. Die Szene betritt Michael Griener, ein Schlagzeuger von Jazzgottes Gnaden, zudem einer, wie es scheint, für alle Gelegenheiten. Doch er perfektioniert nur Umgebungen, in denen er sich wiederfindet – ein Rhythmiker, der zugleich Melodien spielt, Strukturen schafft und sein Spiel bei aller Intellektualität sinnlich pulsieren lässt. Aufgewachsen unter dem Mentor-enblick von Günter Christmann, erfahren mit einer Vielzahl von Improvisations-Ensembles, einschließlich der Ost-Connection, wenn man das immer noch so nennen darf, mit Ulrich Gumpert. Michael Griener ist einer von den vergleichsweise Jüngeren, die die Traditionen des Jazz und der improvisierten Musik auf bewunderns-werte Weise aufgesogen haben. Ernst-Ludwig Petrowsky und Uschi Brüning, er beschreibt das in seinem Statement, zählen zu seinen frühen Idolen. Er weiß, wie man kreativ mit Überlieferung umgehen kann. Im

„Lacy Pool“ widmet er sich der Klangwelt von Steve Lacy auf ähnlich forschende Weise wie dieser einst der Musik von Thelonious Monk. Zum Zeitgenossen Luten Petrowsky ergab sich in verschiedenen Spielkon-stellationen bald eine besondere Affinität, wenn nicht gar eine gewisse Wahlverwandtschaft. Im günstigen Moment schaufelte Michael Griener ad hoc einige Stunden Studiozeit in der Nalepastraße frei, um mit Ernst-Ludwig Petrowsky eine Duo-Platte einzuspielen – nach dem Lachs-Prinzip spontan gegen den Strom schwimmend: „The Salmon“. Als Vierter tritt auf: Jeanfrançois Prins – auch er ein Alleskönner mit besonderem Geschmack, der mit Musikern wie Lee Konitz, Mal Waldron und Andy Middleton gespielt hat. Er war dabei, als die Jazzwerkstatt Uschis 60. Geburtstag in der Berliner Philharmonie zelebrierte, gemeinsam mit Marc Secara, dem Berlin Jazz Orchestra und Manfred Krug. Seither schwärmen Uschi und Luten für die sensiblen Linien und die delikaten Akkorde des in Berlin gestrandeten Belgiers. Aus unterschiedlichen Richtungen aufeinander zugehend, ist das Quartett entstanden, das auf diesem Album zu hören ist. Kein Bass, kein Keyboard schien mehr vonnöten. Es sind vor allem die Musiker-persönlichkeiten, nicht die

Instrumente, die das Ensemble konstituieren.

USCHI BRÜNING &

ERNST-LUDWIG PETROWSKY TRIO

Ornette Coleman et Cetera USCHI BRÜNING vocal ERNST-LUDWIG PETROWSKY saxophones JEANFRANÇOIS PRINS guitar MICHAEL GRIENER drums

Der gründlichste Weg, ein Vorbild zu verfehlen, besteht darin, es zu imitieren. Die Musik von Ornette wird hier umspielt und assoziiert, ergänzt durch eigene Spontankompositionen, niemals nachgeahmt. Aus dem Fundus von Ornette Coleman zu schöpfen, bedeutet, aus dem Fundus der Freiheit zu schöpfen. Das Et cetera wird nicht zur Floskel, sondern zum Bestandteil des Wesentlichen: im Übrigen, und so fort, eines fließt aus dem anderen. Musik aus dem Geist von Coleman weist über Ornette hinaus. Seine Kompositionen sind allenfalls Startrampen für die von ihm rhetorisch gestellte Frage „Was spielt man, wenn man das Thema gespielt hat?“ Für Ernst-Ludwig Petrowsky wurde diese Frage schon Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre relevant – damals im Quartett mit dem Trompeter Heinz Becker, dem Kontrabassisten Klaus Koch und dem Schlagzeuger Günter Sommer, vor allem aber im Trio mit Becker und Koch. Bereits damals begannen sich diese magischen, von Ornette überwiegend für sein „klassisches“ Quartett entwickelten Themen in die musikalische Phantasie von Ernst-Ludwig Petrowsky einzubrennen. Im

Duo mit Uschi Brüning hat er sie immer wieder aufgenommen. Und nun beflügeln sie dieses exzeptionelle Quartett nicht nur bei dessen Hommage à Ornette, sondern auch und vor allem beim Et cetera. Als „Union of Sounds“ fliegen die Vier durch den Raum, ganz im Sinne von OC, der einmal sagte: „Es ist möglich, unisono zu spielen, auch wenn jeder eine andere Tonart intoniert.“ Das ist nach der Weisheit der europäischen Musikwissenschaft unhaltbar. Aber, wenn diese, sagen wir, fünfzig Prozent des Gesamtwissens ausmacht – so hat es Joachim Kühn einmal formuliert –, dann weiß Ornette Coleman um die anderen fünfzig Prozent. Das Quartett folgt seinem Leitbild in der Perfektion des Unperfekten, in der Sinngebung des Zufälligen, in der Intuition, mit der die individuellen Stimmen etwas Gemeinsames gestalten: eine Art mobile Architektur. Ernte und Aussaat. Alles Erfahrene fließt ein. Ernst-Ludwig Petrowskys frühe Faszination für den Cool Jazz ebenso wie die Annäherungen an den Hard Bop eines Cannonball Adderley. Wer „jazzhistorisch“ hört, wird Spuren der Duos von Lee Konitz mit dem Gitarristen Billy Bauer im Umkreis des Pianisten Lennie Tristano entdecken oder Assoziationen an den Ornette Coleman von „Prime Time“ mit seinen Gitarrensounds. Wer biographisch forscht, wird mit „Blues for Carmell“ an eine Situation Anfang der sechziger Jahre erinnert, als Ernst-Ludwig Petrowsky und Joachim Kühn bei „Jazz in der Kammer“ vergeblich auf

den Trompeter Carmell Jones warteten, der aus West-Berlin einreisen sollte, aber nicht konnte oder durfte. Auch der Ort, an dem die Aufnahmen zu dieser CD entstanden, lässt neuere Jazzgeschichte aufleuchten. Das Ernst-Ludwig Petrowksy jahrzehntelang vertraute Studio im Komplex des ehemaligen DDR-Rundfunks – eine Insel, eine Klangkapsel inmitten des Verfalls – inspirierte die Aufnahmesessions. In kürzester Zeit wurde das Gültige dem Moment abgetrotzt. Musik voller Bezüge und voller Zu-fälle, wie das Zitat von „Enfant“, das jeder der zu ungelegener Zeit bei Petrowsky/Brüning klingelt, von deren Anrufbeantworter kennt. Ornette hat sich auf seinem Album „Tone Dialing“ einen ähnlichen Spaß gemacht: nach der Zahlenkombination meldet sich da eine Stimme mit „Harmolodic“. Apropos Spaß: was es sonst auch und durchaus originell im Duo Petrowsky/Brüning gab, das Kabarettistische, ist bei diesen Aufnahmen völlig abwesend. Reine Emotion, so klar wie ein Volkslied und so tief wie ein Blues. Und doch etwas anderes. Ornette et cetera…

Text von Bert Noglik

Paul Klees Einfluss auf die Musikgeschichte ist wahrscheinlich größer als der der meisten Musiker und Komponisten. Man darf nicht vergessen, dass er als Wunderknabe schon im Alter von elf Jahren für die Bernische Musikgesellschaft Violine spielen durfte und sich als junger Mann dort sogar seinen Lebensunterhalt als Geiger verdiente. Beide Eltern waren Musiker und vor allem der Vater drängte den Sohn zu einer musikalischen Karriere. Dass Paul Klee nicht einer der großen Komponisten des 20. Jahrhunderts geworden ist, verdanken wir im wesentlichen einer pubertären Regung, dass er nämlich im Alter von 18 Jahren gegen den Wunsch der Eltern opponierte. Er studierte in München Grafik und Kunst – und eben nicht Musik.

Aber los wurde er sie dadurch nicht, die Musik. Im Gegenteil, sie blieb eine wichtige Anregung. "Immer mehr drängen sich mir Parallelen zwischen Musik und bildender Kunst auf", notiert der 26-Jährige in seinem Tagebuch. Viele seiner Bilder lassen sich unmittelbar auf einen musikalischen Hintergrund oder einen Klangeindruck zurückführen. Man denke an Bilder wie Orgelklänge, Herbstlicher Klang oder Notturno für Horn. Dabei kann man die Suggestion, mit der Klee Klänge ins Bild setzt nicht überschätzen. Bilder wie die Musikalischen Tiere, das Lied des Spottvogels und ganz besonders natürlich die berühmte Zwitscher-maschine entfachen und lenken die akustische Imagination des Betrachters und schaffen so einen stummen

Klangraum, der Komponisten nicht ohne weiteres zugänglich ist, auch wenn es natürlich zahlreiche Klee-Vertonungen gegeben hat und Georges Aperghis sogar unlängst noch zwei seiner Musiktheater mit Texten bzw. mit Puppen von Paul Klee ausstattete. Noch in einem anderen Punkt hat Klee Musikgeschichte geschrieben, als er nämlich 1929 das Aquarell Monument an der Grenze des Fruchtlandes malte und damit die Möglichkeit zur Grenzüberschreitung in der Kunst andeutete. Pierre Boulez plante zunächst, seine Structures pour deux piano aus dem Jahre 1952 An der Grenze des Fruchtlandes zu nennen, und veröffentlichte dann 1955 einen Aufsatz über die damals noch junge elektronische Musik unter diesem Titel. Nicht an Fortschritt sei er interessiert, schrieb Boulez damals, sondern an einer "Verschiebung der Aktionsfelder", wie Klee sie in seinem Bild andeute. Wie steht es hingegen mit Klees Verhältnis zu Dichtung und Sprache. Es ist oft auf die geistreichen Titel hinge-wiesen worden, mit denen er seinen Bildern eine zusätzliche Bedeutungs-ebene verlieh. Aber Klee liebäugelte darüber hinaus mit der Dichtkunst, ja in Tagebucheintragungen um die Jahr-hundertwende ist öfter von der Möglichkeit, Schriftsteller zu werden, die Rede. "Die Musik ist für mich eine verhexte Geliebte. Ruhm als Maler? Schriftsteller, moderner Lyriker? Schlechter Witz. So bin ich beruflos und bummle." Klee hat fast sein gesamtes Leben über Gedichte verfasst, die Existenz dieser Texte aber geheim gehalten. Die Quellen seiner erst posthum durch den Sohn herausgegebenen Gedichte sind: diverse Tagebucheinträge sowie ein kleines blaues Schulheft mit lyrischen Fragmenten und ausgearbeiteten Gedichte, dass erst nach seinem Tode 1940 gefunden wurde. Man hat auf den

expressionistischen Charakter dieser Texte hingewiesen und damit vor allem den unmittelbaren Tonfall, den Klee bemüht, gemeint. Es sind aber vor allem Unsinnsgedichte und Sprach-spiele darunter sowie Texte im Ton eines Volkslieds. Es ist sicher müßig, über den Stellenwert der Gedichte im kleeschen Gesamtschaffen zu diskutieren. Er selbst hat sie der Öffentlichkeit vorenthalten und selbst einmal notiert: "Dichter sein und Dichten ist zweierlei." Gerade darin aber liegt der Reiz dieser Texte von Paul Klee, denn wo er auf die Außenwahrnehmung seiner künstler-ischen Tätigkeit keine Rücksicht zu nehmen braucht, zeigt er sich vollkommen unverstellt. Die Texte wirken dabei ausgesprochen persönlich; wo Klee "ich" sagt, zeigt er sich offen und verletzlich. Manches wird nur angedeutet, oft verlieren sich die Gedanken in flüchtigen Bildern, manchmal listet er bloß Reimpaare auf. Immer aber spürt man, dass Klee versucht, Sprache als Folge von Klang- und Sinneinheit zu gestalten. Bekenntnisse, Beobachtungen, Traum-protokolle, Wortspiele, ästhetische Reflexionen, Aphorismen und private Notizen, all das findet man in den "Gedichten" von Paul Klee. Der Wunsch, diese Texte zu musikalisieren, ja sie im besten Sinne des Wortes zu "vertonen" ist mehrfach nachzuvollziehen. Zum einen ist da der schiere Klang, den Klee in nicht enden wollenden, seine musikalische Neigung einmal mehr veranschaulichenden Wortspielen freisetzt. Vom Klang der Wörter geht ein Reiz aus, den musikalisch anzuverwandeln nahe liegt. Die Musik selbst ist eher selten Gegenstand der Betrachtungen. Von Tönen aus der Ferne ist die Rede, um vom transzendenten Charakter der Musik: "Eine Art von Stille leuchtet zum Grund ... nicht von hier, nicht von mir, sondern Gottes." Und seine apodiktische Sentenz "Die Musik über

alles lieben, heißt unglücklich sein" hat sicherlich Offenbarungscharakter. Wichtiger aber noch als der musikalische Gehalt ist der offene Charakter dieser Texte, der einer Vertonung nicht nur keine formale Disposition auferlegt, sondern der bewegliche und wendige Gestaltungs-verfahren nachgerade zu fordern scheint. Und die gelenkte Impro-visation, die Charakter und Formverlauf eines Stückes grob festlegt, im Einzelnen aber Spontaneität und Entscheidungsfreiheit nicht nur zulässt, sondern sogar fordert, erweist sich da als ein idealer Ausgangspunkt. Sven-Åke Johansson versteht das Launische und Sprunghafte der kleeschen Texte nicht als Makel, sondern als Qualität eigenen Rechts. Seine dreizehn Vertonungen greifen genau diese Eigenschaften der Texte auf, ja man könnte sogar sagen, dass sich der Zusammenhang zwischen Wort und Musik in diesen Eigen-schaften manifestiert. Johansson vertont Klees Gedichte nicht, er reichert sie an. Das gilt zunächst für den Vortrag, der auf einen zudringlichen Eingriff seitens des Musikers verzichtet. Sachlich, lakonisch und mit zurückhaltender Anspannung trägt Johansson diese Texte vor. Kein Drama, kein Pathos, keine humorvolle Übersteigerung, keine Wertung.

Johanssons klare Diktion, seine deutliche, fast schon überzeichnete Aussprache verleiht Klees Texten etwas Lapidares, ohne ihnen das Persönliche und Intime zu nehmen. Nur selten streift er die Grenzbereiche des Sprechens, das Flüstern und das Schreien, um einer Passage Nachdruck zu verleihen. Aufgegriffen hat Johansson den verspielten Charakter vieler Gedichte, der sich bei ihm in Wiederholungen und virtuosen Stehgreifpermutationen einzelner Wortketten niederschlägt und die dem Vortrag etwas Spontanes und Unmittelbares verleihen. Die Musik verhält sich dazu, oder aber sie tut es nicht. Wollte man die Musik des gesamten Zyklus auf einen Begriff bringen, dann wäre der der Reflexion ein idealer Ausgangspunkt. Die Musiker scheinen in Tönen nachzudenken über das, was Klee in wenigen Worten und Phrasen andeutet. Der aphoristische Charakter der Texte setzt eine musikalische Betrachtung frei, die sich in Farbspielen und Klangeffekten, in elaborierten Soli und kurzen Charakterepisoden niederschlägt. Ein Nachsinnen in Tönen also, aber dann auch wieder mehr als das. Denn die Musik illustriert, kommentiert und dramatisiert die Gedichte auch. Da sind zum Beispiel lautmalerische Passagen, wie die Trompetenglissandi, die in keinem zufälligen Verhältnis zu den "Kreisen der Unsterblichkeit" stehen, den "runden Formationen", die "ganz oben in der obersten Etage" gezogen werden (No. 2). Dann wieder untermalt die Musik die geschilderten Ereignisse. Das klaustrophob-verregnete Szenario aus Regen (No. 1) wird von einer verwegen-verhauchten Trompete und einer melancholisch-verträumten Celesta stimmungsvoll grundiert. Die zurückgestaute Nervosität am Anfang von Schälkchen (No. 2) evoziert eine unruhige und zersplitterte Landschaft, in die hinein die Texte sich verlagern. Die Musik spitzt die Texte dramatisch

zu, wie die schicksalsschweren Schläge, mit denen das Satirische Opus (No. 6) beginnt und das nervöse Zittern der Gedanken, mit Eine Satire auf die Kraftmeierei (No. 5) schließt. Mit gesteigertem Ausdruck führt das Ensemble die Stücke Mond und Romantische Attacken zu einem dynamischen Höhepunkt, der einer Verzweiflung der Überzeugung Raum gewährt. Bisweilen fällt die Musik auch wie ein höhnischer Kommentar über den Text her, wie die Varieté-Nummer, die dem Satirischen Opus seinen satirischen Zug erst verleiht. "Die Fachzeitschriften geben [der neuen Kunst] einen Namen mit der Endung auf -ismus", macht Paul Klee sich über den Kunstbetrieb lustig (No. 7). Und da ist man natürlich sofort geneigt, die von den genannten stilistischen Varianten ausgehende Tonkunst als "Kleeismus" zu institutionalisieren. Entscheidend für die Musikalisierung der Texte ist, dass Johansson keine eigene Klangsprache erfinden musste, sondern dass er mit über die Jahrzehnte hinweg erworbenen Mitteln der Texte habhaft wird. Johansson selbst hat sich als Freejazz-Schlagzeuger der frühen Jahre sowie als Sänger mit einer eigenen Sprechgesangtechnik hervorgetan. Er hat zudem komponiert, darunter Ensemblekompositionen, Musiktheaterwerke und performative Konzeptkunst, in der Traktoren, Telefonbücher oder Handfeuerlöscher zum Einsatz kommen. Hinzu kommen konventionellere Jazz-Stücke, die an die goldene Ära der Fünfziger- und Sechzigerjahre erinnern. Zuletzt hat Johansson außerdem häufig mit Musikern aus dem Bereich der freien Improvisation zusammengespielt und so zur Entwicklung einer neuen geräuschhaften, reduktionistischen Klangsprache beigetragen. All diese Facetten kommen in Für Paul Klee zum tragen. Natürlich stehen der

Freejazz und die freie Improvisation im Zentrum der Ausdrucksmöglichkeiten, schon weil die Musiker des Ensembles hier ihre Affinitäten ausleben können. Paul Lovens, Alexander von Schlippenbach und Aki Takase haben den Freejazz seit den späten Sechzigerjahren geprägt und reichern Für Paul Klee mit energischen, eruptiven Klangmomenten an. Werner Dafeldecker und Axel Dörner wiederum haben seit den späten Neunzigerjahren wesentlich an der Entwicklung der freien Improvisation mitgewirkt; ihre konzentrierten, erratischen Klangideen versehen den Zyklus mit einer eigenen Farbe. Hin und wieder scheinen auch traditionellere Jazz-Passagen auf, Momente der Zelebration, bei dem das Verhältnis zwischen Solo und Begleitung konventionellen Vorstellungen entspricht. Aus dem Bass wird ein walking bass, aus dem Schlagzeug ein Taktgeber. Entscheidend aber ist der freie und souveräne Umgang mit allen verfügbaren Techniken, die von der schlichten Faktur der Varieté-Nummer bis hin zur komplexen Polyphonie avantgardistischer Provenienz reichen. Paul Klees Texte sind dann nur Ausgangspunkt und Anregung einer musikalischen Exkursion, die uns etwas über die Möglichkeiten und die Vielschichtigkeit menschlichen Empfindens berichtet. Dass aber Paul Klee mit einem solchen Ansatz mehr als einverstanden gewesen wäre, darauf weisen zwei Textstellen hin. Einmal, in einem Gedicht von 1909, stellt Klee zwei musikalische Sphären einander gegenüber, nämlich "die Äolsharfen-artige Weise, nach innen zu erklingen" und "die pathetische Gegend der Musik", um sich dann aber von beiden ab- und einer dritten Sphäre zuzuwenden: "Ich sollte so einfach sein, wie ein kleines Volkslied, Arglos-sinnlich sollte ich sein, offenen Auges." Man wird Johanssons Für Paul Klee eher nicht mit einem "kleinen Volkslied"

in Verbindung bringen, aber das "Arglos-sinnliche" und die Offenheit der Musiker haben sicher etwas damit zu tun. Und dann ist da noch jener humoristische Dialog, den Klee 1908 notierte: "Herr Lehrer, darf ich daneben auch etwas Mu-Mu-Musik machen??" "Vielseitige Künste? Ja! sollste, darfste! Vielseitige Künste sind gut, wenn se nur nicht zu's Jesamtkunstwerke führen." Da können wir den Herrn Lehrer aber beruhigen. Björn Gottstein Dreizigster September 2011 – das Konzert zum fünfjährigen Bestehen der jazzwerkstatt wurde im Konzertsaal „Bros Vian“ im Institut Francias, am Kufürstendamm präsentiert. Zu Beginn fand das Publikum eine zerstreute Band auf dem Podium, der anzumerken war das sie selten spielt. Der Bandleader erklärte das vokale Einlagen von ihm ohne Mikrophon nicht zu verstehen sind, obwohl als er das sagte, ohne Mikro, er gut zu verstehen war und so blieb Chris Dahlgreen wiedersprüchlich in der Konzeption, aber auch im solistischen. Einzelne Soli, wie von Gebhard Ullmann überzeugten, aber zu retten war der Auftritt von Lexicon nicht. Claudio Puntin und Johannes Fink schafften es dann aber mit Eleganz, melodischer Leichtigkeit und phantasievoller Interpretation der Filmmusikkompositionen von Nino Rota das Publikum einzufangen und auf ihre Seite zu bringen. Das Duo erreichte durchaus kammermusikalische Virtuosität, zeigte seine Spielfreude aber auch improvisatorische Frische im

Umgang mit Partituren und Kompositionen. Lacy Pool war konzeptionell ähnlich aufgebaut wie das Duo zuvor, auch hier war der Umgang mit der kompositor-ischen Vorlage, diesmal von Steve Lacy, absolut überzeugend. In kompakter Improvisation wurde über diese musiziert besonders spannend war das die Posaune das Saxophon ersetzte. Christof Thewes gelang das sehr überzeugend im Team mit Uwe Oberg, am Klavier und Michael Griener am Schlagzeug. Das war zeitgenössischer Jazz in absolut vitaler und kreativer Art. Das neue Trio von Günter Baby Sommer konnte live nicht das bieten was die brandneue CD versprach. Das einleitende melodische Klarinettensolo von Floros Florides bereitete die Stimmung für ein erwartungsvolles Konzert, aber dann blieb weiterführend die Musik im Dickicht der vielen individuellen Töne stecken. Echte Zauberformeln, wie im CD-Booklet versprochen fehlten am späten Abend. Zugegeben ist der vierte Konzertbeitrag an einem langen Abend kein leichter Brocken, aber dennoch um weiter aus dem Booklet zu zitieren… nichts vermag den Menschen heute mehr zu verzaubern als Sound. Das blieb ihm versagt. Trotzdem: ein großartiges Jubiläumskonzert das die Bandbreite der jazzwerkstatt im künstlerischen und innovativem zeigte, sowie die bunte Palette der Musiker-persönlichkeiten. Karl-Heinz